Atemwegserkrankungen beim Schwein (Teil 1)
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Atemwegserkrankungen beim Schwein (Teil 1)
SERIE Atemwegserkrankungen beim Schwein (Teil 1) Großtierpraxis 5:8, 34-41 (2004) von B. Iben Einleitung Erkrankungen der Atemwege stellen neben Darmerkrankungen die häufigste Ursache für Tierarztbesuche in Schweinebeständen dar. Anlass sind meist Anrufe der Besitzer wegen hustender und/oder Nahrungsaufnahme verweigernder Schweine. Vom Tierhalter wird der Husten oft als Krankheit betrachtet. Nun, der Fachmann weiß, dass Husten keine Krankheit ist und sollte deshalb immer wieder klarmachen, dass das Symptom Husten ein Leitsymptom vieler Atemwegserkrankungen und diese ohne weitere Untersuchungen nicht seriös therapierbar sind. Zeiten, in denen Schweinemäster massenhaft CTP in der Futterküche stehen hatten, um hustende Schweine damit ohne tierärztliche Diagnose zu traktieren, gehören auch auf Grund der neueren Arzneimittelgesetzgebung der Vergangenheit an. Und das ist gut so! Es gilt wieder mehr und mehr: “Diagnosis certa ullae therapiae fundamentum“ (eine sichere Diagnose ist die Grundlage jeder Behandlung). Die Untersuchung der Atemwege beschränkt sich dabei nicht nur auf die Adspektion, sondern darf durchaus um Thermometrieren, Auskultation und Perkussion erweitert werden. Allgemeine Bemerkungen Der Schweineorganismus steht über die Atemwege direkt mit der Außenwelt in Verbindung. Während der Evolution hat sich ein komplexes System zur Abwehr schädlicher Einflüsse 34 GROSSTIERPRAXIS 10/2004 herausgebildet. Wenn schädliche Partikel mit dem Einströmen der Atemluft in den Respirationstrakt gelangen, werden ihnen verschiedene Barrieren entgegen gesetzt. Diese Barrieren sind für die lokale Infektionsabwehr von größter Bedeutung. Dabei handelt es sich um das Flimmerepithel (mit seinen Ziliarbewegungen und dem Schleimbelag mit sekretorischen Antikörpern), die Sekret produzierenden Drüsen sowie Lymphfollikel. Empfindliche Nervenendigungen (Rezeptoren) dienen der mechanischen Abwehr von Schleim oder Fremdkörpern, was sich in Stenosengeräuschen (Schniefen, Schnarchen, Röcheln), Niesen und Husten äußern kann. Immunologie Die Lunge verfügt über ein spezielles immunologisches System, das als bronchus-associated lymphoid system (BALT) bezeichnet wird (Abb. 1). Die auf den Schleimhäuten nachweisbaren Immunglobulinklassen des Schweines entsprechen im Wesentlichen den systemisch vorkommenden Isotypen. Allerdings sind dort deren Mengenverhältnisse unterschiedlich. IgA verhindert die Antigenanheftung an die Schleimhaut und stimuliert FcRezeptor-tragende Fresszellen zu erhöhter Phagozytoseleistung. Es wird wie auch das IgM zusammen mit einer an sein Fc-Teil gebundenen sekre- Abwehrmechanismen der Atemwege Die Schleimbeschichtung der Zilien tragenden Epithelien, die die Luftwege auskleiden, besteht aus einer oberflächlichen Gelphase und einer darunter liegenden Solphase. In der Solphase arbeiten Zilien mit einer Schlagfrequenz bis zu 1300/min und bewirken dadurch einen kontinuierlichen, der Inspirationsrichtung entgegengesetzten Sekretfluss. Solide Partikel, die in Kontakt mit der seromukösen Auflage der Schleimhäute geraten, werden durch die physikalischen Eigenschaften des Schleimes, wie Kohäsion, Viskosität und Pufferkapazität festgehalten und können Hustenreiz auslösen. Die Aktivität der Flimmerepithelien befördert störende Partikel entweder in kraniale Richtung oder sie gelangen im Innern von freibeweglichen Zellen (wie z.B. in Ma- krophagen) über das Lymph- und Blutgefäßsystem in benachbarte Lymphknoten und andere Organsysteme. Teilchen, die so klein sind (<1–2 µm), dass sie im Alveolarbereich deponiert werden, können vom mukoziliären Strom nicht mehr direkt erfasst werden und unterliegen der „bioziden Clearance“, auch dann, wenn es sich dabei um anorganische Strukturen handelt. Sind die Partikel noch kleiner (etwa 0,5 µm) wird ein Drittel bis die Hälfte wieder exhaliert. Ob im Alveolarbereich der Hauptanteil der Clearance mittels Phagozytose durch Alveolarmakrophagen erfolgt oder ob der konstante Fluss des neu gebildeten Surfactant aus den Alveolen heraus dies gewährleistet, ist Gegenstand aktueller Diskussion (http// www.vetmed.unibe.ch 2004). torischen Komponente durch die Epithelzellen auf die Schleimhautoberflächen sezerniert. Eine Aktivierung des Komplementsystems auf den Schleimhäuten erfolgt durch diesen Immunglobulin-Isotyp nicht. IgG hat lediglich zwei Bindungsstellen für passende Antigendeterminanten. In der Form eines Ag-Ak-Komplexes opsoniert es das Antigen und aktiviert die Komplementkaskade über C, oder C3. Verglichen mit IgM tritt es nach einer Invasion von Mikroorganismen auf der Schleimhaut relativ spät in Erscheinung. Das Komplementsystem besteht aus einer Reihe reaktionsfähiger Proteine, die durch IgG und IgM und andere Faktoren aktiviert werden können. Die Aktivierung kann auf den Schleimhäuten des Respirationstraktes durch Zerfallsprodukte neutrophiler Granulozyten ausgelöst werden und zu einer Schädigung der Endothelzellen im Kapillarbereich führen. Bakterienzerfallsprodukte, die erst im Anschluss an die Phagozytose der Keime von den Granulozyten freigesetzt werden, verstärken die Aktivierung von Komplement nach dem Absterben der Fresszellen. Dadurch kommt es in der Lunge bei bakteriellen Infektionen, z.B. mit Pasteurella multocida oder Actinobacillus pleuropneumoniae, in verstärktem Umfang zu erheblichen serofibrinösen Exsudationen in den Alveolar- und Bronchialraum. Gehemmt wird die Infektabwehr insbesondere durch Ammoniak (gestörte Zilienfunktion im Experiment bei 50 ppm, klinisch ab 20 ppm NH3), wandernde Parasitenlarven (Gewebsschädigung, Entzündung), vor allem aber durch immunsuppressive Faktoren wie Kältestress, belastende septikämische oder enterale Infektionen, wahrscheinlich auch Rangordnungskämpfe und Transportstress (http//www.vetmed.unibe.ch 2004). Entzündungen der Atemwege Im Folgenden wird zum allgemeinen Verständnis kurz auf Rhinitiden, La- Abb. 1. Aufbau des tiefen respiratorischen Systems. (a) Luftleitendes System der Lungen, (b) Blut- und Lymphversorgung am Übergang von Bronchiolen in Alveolen, (c) Querschnitt durch eine terminale Bronchiole, (d) Mukosa der Bronchien (Klein 1991). ryngitiden, Pharyngitiden, Bronchitiden, Pleuritiden und Pneumonien eingegangen. gitis) vor. Ihrem Charakter nach kann sie katarrhalischer, katarrhalischeitriger oder kruppöser Form sein. Die Lunge verfügt mit dem bronchusassociated lymphoid system (BALT) über ein eigenes spezifisches Abwehrsystem. Rhinitis. Als Rhinitis wird ein oberflächlicher Katarrh der Nasenschleimhäute bezeichnet. Rhinitiden kommen in unterschiedlichen Verlaufsformen vor (Abb. 2). Laryngitis. Die Laryngitis ist eine Entzündung des Kehlkopfes, meist kommt sie in Verbindung mit einer Entzündung des Schlundes (Pharyn- Tracheitis. Bei der Tracheitis handelt es sich um eine selten isoliert vorkommende infektiöse, allergische oder chemisch-irritativ bedingte Entzündung der Luftröhre. Bei Beteiligung einer Kehlkopfentzündung sprechen wir von Laryngotracheitis, in Verbindung mit einer Bronchitis von Tracheobronchitis; ist die Nasenschleimhaut mit betrofGROSSTIERPRAXIS 10/2004 35 fen haben wir es mit einer Rhinotracheitis zu tun. Abb. 2. Einteilung der Rhinitiden nach ihrer Entstehung, ihrem Verlauf und ihrem Entzündungscharakter (Rossow und Horváth 1985). Bronchitis. Als Bronchitis bezeichnet man eine Entzündung der Bronchialwände. Nach dem Grad der Schädigung unterscheidet man Endo- und Peribronchitiden. Bei Ersteren erfasst der entzündliche Prozess Schleimhaut und Submukosa, bei Letzteren sind auch die äußeren Schichten und die Serosa betroffen. Pleuritis. Die Entzündung des Brustfells ist die häufigste, selten aber isoliert auftretende Erscheinung im Verlauf von Atemwegserkrankungen des Schweines. Ihrem Verlauf nach werden akute und chronische, ihrer Herkunft nach primäre und sekundäre, ihrer Lokalisation nach lokale und diffuse, ihrem Charakter nach exsudative und trockene Pleuritiden (P. sicca) unterschieden. Die exsudative Pleuritis kann serös, serofibrinös, purulent oder gangränös sein. Pathologisch-anatomisch findet man Hyperämie, Fibrinauflagerungen, Granulationsgewebe und Verwachsungen mit dem Brustfell. Abb. 3. Einteilung der Pneumonien (Rossow und Horváth 1985). Übersicht 1: Zusammenstellung der wichtigsten Pneumonien beim Schwein Krankheit EP akut EP chron. APP akut APP chron. Pasteurellose Bordetellose Influenza Aujeszky PRRS Inkubationszeit Allgemeinbefinden gestört bis 3 Wochen + enzoot. +/2-5 Tage +++ enzoot. (+) 1-3 Tage + - +++ enzoot. + 1-2 Tage +++ -20 Tage -10 Tage PRCV -10 Tage Ascariden- 5 Tage larvenpneum. Lungenwurm- 10 Tage pneumonie Fremdkörper? pneumonie 36 GROSSTIERPRAXIS 10/2004 Husten Dyspnoe Apathie Morbidität Mortali- Altersstufen tät ++ + +++ + +++ ++ +++ + -(+) +++ (+) +++ (+) +++ + -(+) +++ (+) +++ (+) +++ 60% 30% 80% 30% 50% 50% bis 100% bis 10% bis 50% bis 30% 2-3% +++ +++ ++ ++ ++ ++ +++ +++ bis 100% bis 100% bis 10% bis 10% + ++ + ++ + +++ + ++ bis 100% bis 100% bis 20% alle Jungtiere alle Jungtiere Jungtiere nur Ferkel alle außer Ferkel Jungtiere Mast,vereinzelt Zucht Jungtiere Jungtiere + ++ +++ ++ bis 50% bis 10% Jungtiere - (+) - - bis 5 % - alle Pneumonie. Als Pneumonien werden Entzündungen des Lungengewebes bezeichnet. Je nach vorherrschender Lokalisation unterscheidet man alveoläre und interstitielle Formen. Eine weitergehende Differenzierung der Pneumonien ist aus Abbildung 3 und Übersicht 1 ersichtlich. Klinische Untersuchung Die klinische Untersuchung der Atmungsorgane umfasst die Beurteilung der Nasenlöcher, der Atemgeräusche, des Hustens, der Atmung und der Lungengrenzen. Untersuchung der Nasenlöcher Physiologischer Befund: „Umgebung der Nasenlöcher feucht und sauber, Nasenschleimhaut blassrosa“ (Abb. 4). Bei fieberhaften Erkrankungen kann die Rüsselscheibe warm und trocken werden. Nasenausfluss, Dejectio nasalis, ist unphysiologisch. Besteht Ausfluss, so müssen Art, Grad und dessen Kontinuität beurteilt werden. Man unterscheidet serösen, seromukösen, mukösen, mukopurulenten, purulenten, blutigen und jauchigen Nasenausfluss. Es kann sich dabei um Sekrete, Transsudate, Exsudate oder Blutungen handeln. Sekrete sind Produkte von Drüsen, Exsudate sind Entzündungsprodukte, Transsudate entstehen durch Plasmaaustritt aus Gefäßen und Blutungen stellen sich bei Gefäßzerreißung ein. Nasenausfluss kann geringgradig, mittelgradig oder hochgradig sein. Der Ausfluss ist entweder diskontinuiuierlich oder kontinuierlich. Eingetrocknetes Nasensekret rings um die Nasenlöcher findet man bei Nasenkatarrh aber auch bei vielen anderen schweren Krankheitszuständen. Als Farbabweichungen der Nasenschleimhaut können Flecken, Petechien, Ischämie, Hyperämie, Zyanose (Abb. 5) vorkommen. Beim Nasenbluten, Epistaxis, unterscheidet man 1. habituelles Nasenbluten, das durch Gefäßverletzungen, physikalische und chemische Reizungen der Nasenschleimhaut oder der Nasennebenhöhlen, Traumata oder Abb. 4. „Nasenschleimhaut blassrosa“. Fremdkörper hervorgerufen wird, und 2. Nasenbluten als Symptom einer Allgemeinerkrankung. Bei Nasenbluten ist in erster Linie an Rhinitis atrophicans zu denken. Atemgeräusche Mit Atemgeräuschen sind pathologische Zustände unterschiedlicher Genese gemeint, die in der Umgebung des Tieres zu hören sind. Normalerweise ist in der Umgebung der Tiere von ihrer Atmung nichts zu hören. Der Begriff Atemgeräusche hat nichts mit Atmungsgeräuschen zu tun. Mit Atmungsgeräuschen sind die physiologischerweise bei der Auskultation hörbaren Geräusche sowie die auf krankhaften Zuständen beruhenden Geräusche im Lungenbereich gemeint. Stenosegeräusche. Schniefen (Stridor, lat. stridor = Zischen, Pfeifen) entsteht bei raumfordernden Prozessen im Nasenbereich. Es ist besonders bei Rhinitis atrophicans zu hören, kann aber auch bei sonstiger Ansammlung von Sekreten, Exsudaten, Eiter oder Blut im Nasenraum auftreten. Einengungen im Rachenraum mit Beteiligung des Foto: TiHo Hannover Abb. 5. Zyanose des Nasenbereichs. GROSSTIERPRAXIS 10/2004 37 ATEMWEGSERKRANKUNGEN Gaumensegels äußern sich im Schnarchen (pharyngeales Stenosegeräusch). Es tritt häufig bei Vergrößerung der retropharyngealen Lymphknoten auf. Das Schnarchgeräusch entsteht dadurch, dass der Atmungsluftstrom das Gaumensegel in Schwingungen versetzt. Laryngeale Stenosegeräusche werden als Röcheln bezeichnet. Für das Auftreten sind Ödeme oder eitrig-abszedierende Prozesse der Kehlkopfschleimhaut verantwortlich. Niesen. Niesen stellt eine krampfhafte Reflexbewegung der Atmungsmuskulatur dar, die durch eine Reizung der Nasenschleimhaut (sensible Trigeminusendungen) zustande kommt. Beim Niesen erfolgt auf eine tiefe Inspiration eine kurze, sehr heftige Exspiration, wobei der durch die Nase ausgestoßene Luftstrom Schleimhautpartikel, Fremdkörper oder Krankheitserreger mit sich reißt (Atemschutzreflex). Vermehrtes Niesen findet sich z.B. in Beständen mit Rhinitis atrophicans, wobei dies häufig das erste Krankheitszeichen bei jungen Tieren ist. empfindlich geworden und die Reizschwelle zur Auslösung des Hustenreflexes erniedrigt. Auf diese Weise erklärt sich der Husten bei Bronchitis, Tracheitis und Laryngitis. Nach Aktivierung des Hustenzentrums kommt es nach einer tiefen Inspiration zum Verschluss der Stimmbänder, zur Kompression der Luft in der Lunge und zur heftigen Sprengung des Stimmbandverschlusses, wobei dann die Luft explosionsartig entweicht. Hierbei werden vergleichsweise orkanartige Windstärken erreicht; so kann die Strömungsgeschwindigkeit 16-120 m/s (entsprechend 55-430 km/ Std.) betragen. 1. Unter Hustenfrequenz sind die pro Zeiteinheit auftretenden Hustenstöße zu verstehen. Diese enormen Auswurfgeschwindigkeiten tragen in hohem Maße zur Verbreitung der Erreger von Lungeninfektionen bei. Durch Husten werden so die Reinigung und das Freihalten der Luftwege von Schleim, Blut, Staub oder Fremdkörpern erreicht. Der Reinigungseffekt durch den Husten hängt von der Konsistenz und der Haftfähigkeit des Sekretes oder Exsudates in den Luftwegen, der Feuchtigkeit der Bronchialschleimhaut (Luftfeuchtigkeit!) und der Stärke der in 3. Die Dauer des Hustens kann zwischen einzelnen Hustenstößen und einem nicht enden wollenden Hustenanfall bestehen. 2. Die Kraft oder das Volumen des Hustens ist von der Reizung der Rezeptoren in der Schleimhaut des Larynx oder der Bronchien durch Schleim, Eiter, Staubpartikel, Futterpartikel, reizende (irrespirable) Gase abhängig. Je nach Grad der Reizung erfolgen oberflächliches Hüsteln oder ein oder mehrere kräftige Hustenstöße (Stakkatohusten), die mit Expektoration oder dem Abschlucken von Bronchialsekret verbunden sein können. 4. Beim Klangcharakter wird insbesondere zwischen trockenem und feuchtem Husten unterschieden. Trockener Husten mit einem oberflächlichen tiefen Klangcharakter ist oft mit Schmerzhaftigkeit verbunden, während feuchter Husten einen giemenden, hellen Klangcharakter besitzt und von Expektoration begleitet ist. zeigen die TieKrankheitserreger sind geschickt : Sitzen sie 5. Schmerzhaftigkeit re, indem sie während des meist erst mal auf der Atemschleimhaut, reizen sie trockenen Hustens den Rücken diese so, dass es zum Niesen kommt. Das aufkrümmen. 6. Die Expektoration dient der Elidient der Verbreitung in der Umwelt und somination von Fremdkörpern oder mit ihrer Erhaltung. von Schleim, Blut (Hämoptyse, Husten Husten kommt vor bei Bronchopneumonie, Pleuraerkrankungen, chronischer Bronchitis, Tracheobronchitis, Kehlkopferkrankungen und als reflektorischer Husten zur Absonderung von Schleim und/oder Fremdkörpern. Der Hustenreflex wird ausgelöst durch Reizung sensorischer Nervenendigungen, die in der Schleimhaut der oberen Luftwege oder in der Pleura liegen. Von hier werden Signale zum Hustenzentrum gesendet. Bei endogenem Husten ist die Schleimhaut über- 38 GROSSTIERPRAXIS 10/2004 den oberen Luftwegen erreichten Strömungsgeschwindigkeit ab. Der Hustenreflex kann beim erkrankten Schwein im Allgemeinen durch schnelles Auftreiben oder Bewegen der Tiere ausgelöst werden. Auch die Perkussion der Lunge führt zum Hustenreflex, wenn Hustenbereitschaft (z.B. bei Pleuraverwachsungen) besteht. Auf Reiz auftretender Husten ist pathologisch und wird beurteilt nach 1. Frequenz, 2. Kraft bzw. Volumen, 3. Dauer, 4. Klangcharakter, 5. Schmerzhaftigkeit und 6. Expektorationen. Hämoptoe) oder Eiter. Die expektorierte Substanz ist mit dem Terminus Sputum (Auswurf) belegt, dieser kann einer adspektorischen oder labordiagnostischen Beurteilung unterworfen werden. Er enthält normalerweise Leukozyten, Epithelzellen, Staubteilchen, Rauchpartikel und evtl. Mikroorganismen. Der Atmungstrakt verfügt neben der Möglichkeit des Hustens und Niesens über weitere physikalische Mechanismen, um sich eingeatmeter Fremdkörper zu entledigen (Übersicht 2). Atmung Bei der Begutachtung der Atmung werden beurteilt: 1. Frequenz, 2. Tiefe der Atmung, 3. Typus, 4. Rhythmus und 5. Atemgeräusche. Atemfrequenz. Als Atmungsfrequenz wird die Anzahl der Atemzüge pro Zeiteinheit bezeichnet. Die Schwankungen sind tierartlich und individuell recht groß. Das ist nicht verwunderlich, wird die Atmung doch von vielerlei Faktoren beeinflusst. Bei erhöhten Leistungen (= erhöhter Sauerstoffbedarf) bei Muskelarbeit, Gravidität, Laktation und psychischer Belastung ist die Frequenz höher als bei Ruhe oder im Schlaf. Klimatische Faktoren spielen ebenfalls eine Rolle, so gibt der Organismus bei hohen Umgebungstemperaturen einen Teil der Körperwärme durch Exspiration ab. Jüngere Tiere zeigen frequentere Atmung als Ältere (Übersicht 3). Pathologische Veränderungen: Die Frequenz der Atmung kann erhöht oder erniedrigt sein. Tachypnoe (Polypnoe) beschreibt eine erhöhte Atemfrequenz, während mit Bradypnoe (Oligopnoe) eine erniedrigte Atemfrequenz gemeint ist. Eine Erhöhung der Atemfrequenz findet sich bei Aufregung des Tieres, nach Bewegung, bei hoher Außentemperatur und hoher Luftfeuchtigkeit sowie bei Adipositas. Sie ist regelmäßig bei höherem Fieber feststellbar und in der Folge verschiedener Lungenerkrankungen, bei schweren Herzschäden, bei Verlegung der obere Luftwege, bei Anämie (Mangel an Erythrozyten mit Hypoxie) sowie bei schmerzhaften Prozessen im Brustraum (Pleuritis) und im Bauchraum (Peritonitis). Tiefe der Atmung (Qualität). Die Tiefe der Atmung wird anhand der Bewegungen des Brustkorbes und der Bauchwand bei der Inspiration und Exspiration beurteilt (Atmungsexkursionen). Die Adspektion erfolgt entweder am stehenden oder am liegenden Tier. Bei sehr gut genährten Tieren kann die Beurteilung ebenso schwierig sein wie bei Kümmerern mit langem struppigem Haarkleid. Pathologische Veränderungen: Die Atmung kann gering-, mittelgradig oder hoch- “vertieft” sein oder ”oberflächlich” werden. Sehr tiefe Atmung kann auch ”pumpend” sein. Wird der Bauchmuskel übermäßig als Hilfsmuskulatur eingesetzt, spricht man landläufig von ”Flankenschlagen” (beruht auf sichtbaren Bewegungen des M. obliquus ext.). Vertiefte Atmung findet sich bei allen Atembeschwerden, die durch unterschiedliche Grade von Schädigungen der oberen Luftwege oder durch Lungenschädigungen bedingt sind. Bei Patienten mit schmerzhaften Zuständen in der Brusthöhle oder im vorderen Bauchraum wird die Atmung dagegen oberflächlich. Bei somnolenten oder komatösen Patienten ist die Atemtiefe nicht feststellbar. Atmungstyp. Unter Typus der Atmung wird die Art der Beteiligung von Brust- und Bauchwandmuskulatur an den Atembewegungen beschrieben. Man unterscheidet den kostalen vom abdominalen Typ. Mischformen nennt man kostoabdominal (physiologischer Befund: ”kostoabdominal”). ATEMWEGSERKRANKUNGEN Pathologische Veränderungen: Abweichungen zum kostalen oder abdominalen Typus haben unterschiedliche Ursachen. Der kostale Typ kommt zustande, wenn das Zwerchfell immobilisiert ist. Dies kann mechanisch durch raumfordernde Prozesse im Bauchraum (Ergüsse, Überladung des Verdauungstraktes, Trächtigkeit, Blähungen im Magen-Darm-Bereich, Neubildungen) bedingt sein. Entzündungen des Diaphragmas selbst oder nervale Störungen (Lähmung des Zwerchfellnerven) führen ebenfalls zum kostalen Atmungstyp. Ein abdominaler Atmungstyp kommt zustande, wenn die Brustwand immobilisiert ist. Dies kann nervale oder mechanische Ursachen haben. Zu den mechanischen Ursachen zählen die durch Pleuritiden oder Pleuraergüsse in der Folge von Affektionen der Lunge verursachten Schädigungen. Rhythmus. Bei normalem Atemrhythmus (Eupnoe) ist die Inspirationsphase etwas kürzer als die Exspirati- Übersicht 2: Physikalische pulmonale Clearancemechanismen Nasenausfluss Expektoration Lymphdrainage des Lungenparenchyms zu den regionären Lymphknoten Abtransport via Blutgefäße Absorption Resorption Mukoziliarstrom Phagozytose durch Alveolarmakrophagen Übersicht 3: Atemfrequenzen in Abhängigkeit vom Alter Altersgruppe Ferkel Läufer Mastschweine Zuchttiere Eber Sau Alter Atemzüge/Minute Schwankungsbreite 6- 8 Wochen 31 20-48 2- 3 Monate 26 19-39 6- 7 Monate 18 13-29 7-12 Monate 19 10-42 1 Jahr 13 9-19 1 Jahr 17 10-21 GROSSTIERPRAXIS 10/2004 39 ATEMWEGSERKRANKUNGEN onsphase, zwischen beiden besteht eine kleine Pause. Abweichungen vom regulären Rhythmus kommen physiologischerweise bei umweltbedingten Ablenkungen vor. Dies kann zu verlängerten oder verkürzten Atemphasen führen. Atemrhythmus und Kreislaufregulation sind eng miteinander verknüpft. Pathologische Veränderungen: Als pathologische Abweichungen vom normalen Atemrhythmus sind zu nennen: Apnoe (fehlende Atmung). Atemstillstand ist lebensbedrohlich bzw. ein Exituszeichen. Ursachen sind: natürlicher Tod, Depression durch Pharmaka, Muskelparalyse, Hyperventilation, Obstruktion, Schock, erhöhter zerebraler Blutdruck, chirurgische Mani- Übersicht 4: Ursachen von Ventilationsstörungen 1. Restriktive Ventilationsstörungen (reversibler oder irreversibler Verlust an blähungsfähigem Lungenparenchym) 1.1 Angeborene Atelektasen 1.2 Erworbene Atelektasen 1.3 Flüssigkeitsansammlungen in der Lunge 1.4 Entzündliche Lungenerkrankungen 1.5 Diffuse Lungenfibrosen 1.6 Bewegungseinschränkungen des Thorax 2. Obstruktive Ventilationsstörungen (Steigerung des Strömungswiderstandes in den oberen Luftwegen) 2.1 Lokal begrenzte Stenosen in den oberen Luftwegen - Rhinitis - Glottisödem - Tumoren - Stenosen der Trachea 2.2 Lokal begrenzte Stenosen in den größeren Bronchien 2.3 Diffuse Stenosen in kleinen Bronchien und Bronchiolen - Bronchitis - Bronchopneumonie Abb. 6. Perkussion der Lunge beim Schwein. 40 GROSSTIERPRAXIS 10/2004 pulation des Vagus und der Eingeweidenerven. Dyspnoe. Als Dyspnoe (Atemnot) wird jegliche Erschwerung der Atmungstätigkeit bezeichnet. Dies kann sich sowohl in Änderungen der Frequenz, des Typus, des Rhythmus und der Tiefe allein als auch von mehreren oder allen Faktoren äußern. Aus klinischer Sicht werden Störungen der äußeren Atmung 1. bis 3. Grades unterschieden. Störungen 1. Grades können nur bei oder nach Belastungen beobachtet werden (respiratorische Belastungsinsuffizienz). Störungen 2. Grades sind durch ständige Dyspnoe gekennzeichnet, d.h. die Patienten zeigen z.B. auch in Ruhe Tachypnoe, die sich bei leichter Belastung rasch verstärkt. Störungen 3. Grades sind durch ausgeprägten O2-Mangel im Gewebe (Hypoxie) und Zyanose gekennzeichnet. Man unterscheidet des Weiteren die inspiratorische, die exspiratorische und die gemischte Dyspnoe. Die inspiratorische Dyspnoe ist charakteris-tisch für Stenosen in den oberen Atemwegen. Die Inspiration ist mitunter hörbar erschwert. Die exspiratorische Dyspnoe zeigt sich in einer deutlich verlängerten und erschwerten Exspiration unter starker Anspannung der Bauchmuskulatur. Teilweise tritt doppelschlägiges Ausatmen auf. Diese Dyspnoeform ist charakteristisch für ein chronischalveoläres Lungenemphysem (hoher Residualluftgehalt). Die gemischte Dyspnoe ist gekennzeichnet durch eine Erschwerung der Inspiration und der Exspiration. Typisch ist diese Form für Bronchitis, Bronchopneumonie und pulmonale Erkrankungen. Schweine atmen normalerweise durch die Nase. Bei Atemnot kommt es zur Maulatmung. Die Atemnot kann durch Lungenschädigungen oder durch hochgradige Kreislaufinsuffizienzen bedingt sein. Die Prognose ist bei diesem Befund immer vorsichtig zu stellen. Die Ätiologie der Dyspnoe ist mannigfaltig und in ihrer Komplexität der Übersicht 4 zu entnehmen. Abschließend zum Thema adspektorische Untersuchung des Atmungsapparates findet sich in Übersicht 5 eine Checkliste zur Erfassung klinischer Befunde. Übersicht 5: Checkliste für adspektorisch erfassbare klinische Befunde am Atmungsapparat Beobachtung Atemfrequenz 18-25/min 27-35/min >36/min [ [ [ ] ] ] Atemtyp kostoabdominal verstärkt kostoabdominal pumpend keine geringgradig mittelgradig hochgradig [ [ [ [ [ [ [ ] ] ] ] ] ] ] Husten (in Ruhe) fehlt spontan auslösbar [ [ [ ] ] ] Husten (nach Auftreiben) fehlt spontan auslösbar [ [ [ ] ] ] Lungengrenzen Die Lungengrenzen können mit der Auskultation aber auch beim Schwein mit Hilfe der Perkussion ermittelt werden (Abb. 6). Versuchen Sie es mal, der Tierhalter wird verblüfft sein. Atemgeräusche Anschrift des Verfassers: Dr. Dr. Bernd Iben Mündener Straße 5 37213 Witzenhausen Tel.: 05542 / 507 701 Fax: 05542 / 507 690 e-mail: [email protected] Anzahl der Tiere (%) Anzeige: Longamox (Vetoquinol) GROSSTIERPRAXIS 10/2004 41