Allein unter Chinesen
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Allein unter Chinesen
REISE & ITB STÄDTE SONNTAG, 13. MÄRZ 2011 • LÄNDER • REGIONEN BERLINER MORGENPOST R1 REISENEWS WISSENSWERTES AUS DER URLAUBSWELT KLIMASCHUTZ Neuer Index vergleicht CO2-Ausstoß von Airlines Ein neuer Index der Klimaschutzorganisation atmosfair vergleicht den CO2Ausstoß der 100 größten Fluggesellschaften. Getrennt nach Kurz-, Mittel- und Langstrecke erhält dabei jede Airline zwischen 0 und 100 Effizienzpunkte. Den ersten Platz belegt streckenübergreifend Monarch Airlines, ein Charter-Unternehmen aus England. Auf Platz zwei folgt Condor vor Air Transat, einer kanadischen Fluggesellschaft (www.atmosfair.de/airlineindex). T ITB: Halle 25, Stand 128 TUNESIEN Preise sollen bald wieder erhöht werden Das Fremdenverkehrsamt Tunesien lehnt langfristige Billigpreise als Lockmittel für Urlauber nach der Krise ab. Günstige Preise würden auf Dauer dazu führen, dass sich die Servicequalität verschlechtert, warnt der Direktor des Fremdenverkehrsamtes, Mohamed Boujdaria, denn Urlaub in Tunesien sei ohnehin schon sehr günstig. „Wenn wir die Preise jetzt senken, wird es in Zukunft schwerer, zu den gleichen Preisen zurückzukehren oder die Preise sogar zu erhöhen“, sagt Mohamed Naceur Laribi vom Tourismusbüro Tunesiens. In den vergangenen drei Monaten hätten die Hoteliers stark gelitten und seien nicht in der Lage, die Preise weiter zu drücken. Es wäre besser für Tunesien, die Preise stabil zu halten und die Qualität zu erhöhen, erklärt Laribi (www.tunesien.info). T ITB: Halle 21.B, Stand 217 IRAK Tour von Babylon bis Bagdad Der Irak wirbt auf der ITB in Berlin erstmals für Reisen in das von mehreren Kriegen und internen Konflikten gebeutelte Land. Der Auftritt auf der international wichtigsten Branchenschau sei „eine ideale Chance für den Irak, mit dem Rest der Welt zu interagieren“, sagte Fadhil el Saaehg vom Reiseanbieter Al Rafidain. Auf die Frage nach möglichen Gefahren für Touristen gab er sich entspannt: „Haben Sie je davon gehört, dass Touristen angegriffen wurden?“ Angeboten wird beispielsweise eine 13-tägige Tour durch den Irak an: Babylon, Kurdistan, Mossul, Hatra und zum Abschluss Bagdad. „Fast jede Stadt hat eine Geschichte, die tausende Jahre zurückgeht“, sagte Saaehg (www.al-rafidain.com). T ITB: Halle 3.2, Stand 104 MEXIKO Kanonen zu Korallen: Cancún startet Unterwasserprojekt In Cancún sollen künftig als „Wasserkulturwächter“ ausgebildete Tauchlehrer die Schätze am Meeresgrund schützen. Sie sind Teil eines Projektes, das die Nachhaltigkeitsinitiative der deutschen Reisebranche, der Verein „Futouris“, mit örtlichen Institutionen entwickelte. Es soll Tauchern und Schnorchlern ermöglichen, die Spuren der Piraten und Mayas in dem mexikanischen Badeort kennenzulernen, ohne sie zu gefährden. Ab Ende März werden vor der Insel Contoy Replikate von historischen Kanonen und Ankern versenkt. Sie bilden die Grundlage eines künstlichen Korallenriffs. An den Kanälen und Lagunen von Cancún finden Besucher die Fundamente und Ruinen von Maya-Häfen. Unter Wasser verbergen sich die von Korallen bewachsenen Reste der Schiffe von Spaniern und Piraten (www.futouris.org). T ITB: Halle 1.1, Stand 102+102A SCHWEDEN Mit der Seilrutsche von Hochhaus zu Hochhaus Besucher der Stadt Västerås in Schweden können in diesem Sommer an einer sogenannten Zipline von Hochhaus zu Hochhaus rutschen. Das Stahlseil wird vom Dach des 91 Meter hohen „Skrapan“Hochhauses in der Innenstadt zu einem etwas niedrigeren Haus gespannt. In rund einer Minute gleiten Wagemutige das 530 Meter lange Seil entlang und erreichen bis zu 30 Kilometer pro Stunde. Zugelassen sind Personen ab 15 Jahren mit einem Gewicht von maximal 110 Kilogramm. Die „Zipline“ soll im Frühsommer fertig sein. Västerås liegt am Mälarsee, ungefähr 100 Kilometer nordwestlich von Stockholm (www.skytouch.se). T ITB: Halle 18, Stand 128e Reise-Redaktion: 2591 - 73634 Telefax: 2591 - 71958 E-Mail: [email protected] Allein unter Chinesen Das Reich der Mitte neu erleben: Ein deutscher Veranstalter bietet jetzt eine kombinierte Gruppen- und Individualreise durch China an T VON MEIKO HASELHORST Vor Jahren habe ich in einer Reportage gelesen, dass ein Tourist, der in Peking Fahrrad fährt, lebensmüde sein muss. Ich lebe gerne. Trotzdem lasse ich mich auf das Abenteuer ein. Auf einem Damenrad, das seine besten Tage hinter sich hat, trete ich in die Pedale. Allein unter Chinesen. Zwischen Elektro-Dreirädern mit Käfigen voller Hühner, Fahrzeugen, die akustisch und optisch an Dampfloks erinnern, und den Schlitten der chinesischen Neureichen versuche ich, mich dem Verkehrsfluss anzupassen. Wer bremst, verliert. In die Verlegenheit kann ich nicht kommen – meine Bremse funktioniert nicht. Meine Fahrradtour ist Teil eines neuen Reisekonzepts des Veranstalters China Tours: eine Mischung aus Gruppen- und Individualreise. Zielgruppe sind Menschen, denen das herkömmliche Reisen in einer Gruppe zu stressig und unflexibel ist, die aber keine Lust verspüren, sich komplett auf eigene Faust durch exotische Länder zu schlagen, weil auch das zu stressig ist. Ob Abenteurer oder Gruppenreisender – die Chinesische Mauer will nahezu jeder sehen. Der Aufstieg an einem Teilstück des Bauwerkes, das das chinesische Kaiserreich gegen die Mongolen schützen sollte, ist allerdings so anstrengend, dass viele aufgeben. Die wenigen, die sich hinaufkämpfen, haben jedenfalls nicht das Gefühl, Mitglied einer Reisegesellschaft zu sein, und so haben sie die Aussicht auf einen Bilderbuch-Sonnenuntergang quasi für sich allein. Beim Abstieg meldet sich der Knorpelschaden in meinem Knie. Als ich unten bin, ist es stockdunkel. Aber der Bus wartet auf mich, wie es sich gehört für eine Gruppenreise. Schutz im Jenseits Am nächsten Tag setzen wir uns in den Flieger nach Xi’an. Die Millionenstadt, einst Ausgangspunkt der Seidenstraße, wurde durch den zufälligen Fund der Terrakotta-Armee weltberühmt. Kaiser Qin Shihuangdi hatte es vor gut 2000 Jahren gefallen, sich mit Hundertschaften von Terrakotta-Soldaten beerdigen zu lassen. „Sie sollten ihn im Jenseits beschützen“, erklärt unser chinesischer Reiseführer Tong Si Si, der sich aber lieber Markus nennen lässt. Die über die Fundstätten gebauten Hallen und die extreme Vermarktung nehmen der archäologischen Sensation ein wenig von ihrem Zauber. Die Stadtmauer von Xi’an, die in der Dämmerung beleuchtet ist, hat dagegen genug davon. Während ein paar Gruppenreisende einen Spaziergang durch die Stadt bevorzugen, mache ich mit fünf anderen eine Fahrradtour über das im 14. Jahrhundert erbaute Gemäuer – und im Anschluss noch einen Gang über den Nachtmarkt. Mit einem Mahl aus gerösteten Heuschrecken und fermentierten Enteneiern lasse ich den Tag authentisch chinesisch ausklingen. Die sogenannten 100-jährigen Eier gelten auch in Chongqing, unserer nächsten Etappe, als Delikatesse. Ich esse diesmal lieber Fleischspieße, die ein Mann verkauft, der unweit vom Hotel seinen Grill aufgebaut hat. Keine Ahnung, was für ein Fleisch das ist, es schmeckt jedenfalls gut. In einem wackeligen Bus geht es zum Nationalpark von Jin Dao Xia, der durch enge Schluchten, üppige Vegetation und viele Wasserfälle besticht. Nach all den urbanen Impressionen tut es gut, mal wieder in der Natur zu sein und zu wandern. Allein die frei herumturnenden Makaken bereiten mir ein kleines Problem: Kaum bin ich für eine Sekunde unaufmerksam, reißen sie mir meinen Apfel aus der Hand. Auf dem Rückweg nach Chongqing wird mir in einem luxuriösen Spa etwas anderes aus der Hand gerissen: Sobald ich von einem Heißwasserbecken in ein anderes wechsle, steht eine freundliche Chinesin parat, um mein – noch nicht einmal gebrauchtes – Handtuch gegen ein neues zu tauschen. In einem der Becken lasse ich mir von Hundertschaften kleiner Fische an trockenen Hautstellen rumknabbern, in ein anderes Becken wird halbstündlich eine Flasche Merlot gekippt. Das soll die Haut rosig machen. Ich hoffe, dass der grüne Tee im Nachbarbecken keine ähnlich farbintensive Wirkung entfaltet. Tipps und Informationen ∑ Individuell Der Spezialveranstalter China Tours bietet neuerdings unter dem Namen „Elements of China“ Gruppenrundreisen mit täglichen individuellen Exkursionen an. Die Reisen mit Stationen unter anderem in Peking, Xian, Chongqing und Shanghai sowie mit dreitägiger Flusskreuzfahrt enthalten klassische Stationen, die in der Gruppe besucht werden, sowie Abstecher vor Ort, die auf eigene Faust erkundet werden können. Die Rundreisen dauern jeweils 16 Tage. Im Preis ab 1999 Euro sind Flüge ab/bis Deutschland, innerchinesische Flüge, Teilverpflegung, Übernachtung in gehobenen Hotels und einfachen Gasthäusern sowie Programm vor Ort enthalten (www.elementsofchina.de). ∑ Klassisch Verschiedene Veranstalter haben klassische Rundreisen durch das Reich der Mitte im Programm, beispielsweise Meier’s Weltreisen (www.meiers-weltreisen.de), Berge & Meer (www.berge-meer.de) oder China Tours (www.chinatours.de). China-Studienreisen bieten unter anderem Studiosus (www.studiosus.com) und Gebeco (www.gebeco.de) an. ∑ Auskunft Fremdenverkehrsamt der Volksrepublik China, G 069/52 01 35, www.china-tourism.de. Die Reise wurde unterstützt von China Tours. ITB: Halle 26.C, Stand 311 ASIEN Peking Pazifik CHINA Xi‘an Shanghai Suzhou Shennongjia Chongqing Longsheng Yichang Guilin Yangshuo Wuhan TAIWAN Infografik Ein Kormoran-Fischer auf dem Li-Fluss in Guilin. Die Fischfang-Methode mit den zahmen Vögeln hat in China Tradition Schön geschwungen: Eine Brücke über dem Ronghu-See in Guilin Nach einem lohnenden Ausflug zu den Buddha-Statuen von Dazu fliegen wir nach Guilin im Süden. Auf eigene Faust erkunden einige per Fahrrad das Ufer des Li-Flusses. Die Hängebrücken und malerischen Hausboote der Fischer bereiten mir mehr Kummer als Freude, weil meine Kamera den Geist aufgegeben hat. Ich gebe sie unserem Reiseleiter, der offenbar jemanden kennt, „der da was machen kann“. Große Hoffnung habe ich nicht. Der Fluss als Bühne Der nächste Morgen beginnt mit einer Überraschung: Meine Kamera ist wieder heil. Für 50 Euro kann ich jetzt wieder fotografieren, was das Zeug hält. Und die vierstündige Schifffahrt auf dem Li bietet mit den vielen Karsthügeln genügend Gelegenheit dazu. Unser Zielort heißt Yangshuo. Abends schaue ich mir mit sechs Mitreisenden eine Inszenierung von Zhang Yimou, Choreograf der OlympiaEröffnung in Peking, an. Die Bühne ist der Fluss, die beleuchteten Berge sind die Kulisse. Erzählt wird die Geschichte der Bauern und Fischer der Umgebung. Letz+ tere sind auch die Darsteller – etwa 600 Menschen wurden dafür aus den umliegenden Dörfern zusammengetrommelt, sie leben während ihres zweimonatigen Engagements auf dem Areal. Die Nachbarn beackern derweil ihre Felder und fangen Fische. Die wirklich zauberhafte Vorstellung ist noch nicht ganz beendet, da gehen die über 1000 Zuschauer nach Hause. Einfach so. Kein Applaus. Wir sind die Einzigen, die noch 20 Minuten bleiben und die Darsteller beklatschen. „Das ist in China nicht üblich“, lautet der lapidare Kommentar unseres Guides. Am nächsten Tag fahren wir in die Gegend um Longsheng – die Nacht verbringen wir in einem einfachen Gasthaus inmitten der berühmten Reisterrassen. „Die seinerzeit in diese Gegend verbannten Bauern haben vor über 2000 Jahren damit begonnen, den Schlamm vom Fluss die einst steinigen Berge hinaufzutragen, um dort ihre Terrassen anzulegen und Reis anzubauen“, sagt Tong Si Si alias Markus. Eine phänomenale Leistung, die ich noch mehr zu schätzen lerne, als ich mich daranmache, den Berg hinaufzukraxeln. Die GETTY IMAGES Schön rot: Eine Frau breitet Paprika zum Trocknen in der Sonne aus Nacht bei klarem Himmel wird eisig – damit wir nicht allzu sehr frieren, stellen die Gasthausbetreiber Schalen mit glühenden Kohlen unter die Tische. Auf die Tische kommt jede Menge Reisschnaps. Kalt ist uns schon bald nicht mehr. Badewanne mit Aussicht Dann kommt der Kulturschock: Von Longsheng fliegen wir nach Shanghai. Die Metropole hat nichts mit dem China zu tun, das wir seit zwölf Tagen bereisen. Jedes zweite Gebäude ist ein Wolkenkratzer, die Stadt leuchtet wie ein Weihnachtsbaum. Als ich am späten Abend mein Zimmer im 15. Stock des Fünfsternehotels „The Puli“ betrete, fällt mir zuerst die Badewanne auf, die direkt an der vollverglasten Wand steht – mit Blick über die nächtliche Stadt. Ich kann nicht anders, ich muss in die Badewanne steigen. Ich bestelle mir eine sündhaft teure Flasche Wein und schaue auf das beleuchtete Gewimmel dort draußen, auf diese unfassbare Metropole der Moderne. Auch am nächsten Tag kann ich mich nur mit Mühe vom Hotel losreißen. Ein Mitreisender überredet mich letztlich zu einem kleinen Ausflug auf eigene Faust. Der Blick vom Jin-Mao-Tower auf den Huangpu-River ist absolut beeindruckend, beim Schlendern über den Bund, die historische Promenade am Fluss, begegnen uns interessante Leute, auch beim Ausflug nach Suzhou mit den ehemaligen kaiserlichen Lustgärten – aber am Abend freue ich mich dann doch wieder aufs Hotel und den Whirlpool. Ich sitze im warmen Wasser, trinke Caipirinha (schmeckt besser als chinesischer Pflaumenschnaps) und lasse 15 Tage Revue passieren. Der angestrebte Spagat aus Gruppen- und Individualreise ist geglückt: Ich habe mir meine Freiheiten und Auszeiten nehmen können und habe trotzdem viel gesehen. Wäre ich allein mit dem Rucksack unterwegs gewesen, wäre ich in zwei Wochen wahrscheinlich nicht über Peking hinausgekommen. Zwischen Elektro-Dreirädern und exotischen Fahrzeugen erinnert sich ein anderer Tourist auf dem Fahrrad vielleicht gerade daran, was er zum Thema Radeln in Peking und Lebensmüdigkeit mal gelesen hat.