linde technology - The Linde Group
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LINDE TECHNOLOGY #1.12 LINDE TECHNOLOGY Ausgabe # 1. 1 2 TITELTHEMA: Energien aus der Erde CO₂ abtrennen Klimafreundliche Kohlekraft Schiefergas nutzen Rohstoffe effizienter fördern Kohle Umwandeln Synthetische Erdgasproduktion Kriminaltechnik Mit Gasetechnologie auf Spurensuche METALLVERARBEITUNG Bauteile verzugsfrei schweißen Wasseraufbereitung E ntsalztes Meerwasser trinkbar machen Neue Wege für mehr Effizienz und Klimaschutz Herausgeber Linde AG Klosterhofstraße 1 80331 München Telefon +49.89.35757-01 Telefax +49.89.35757-1398 www.linde.com Energien Aus der Erde LINDE TECHNOLOGY #1.12 // Impressum 02 Impressum Herausgeber: Linde AG Klosterhofstraße 1, 80331 München Telefon +49.89.35757-01 Telefax +49.89.35757-1398 www.linde.com Redaktion: Verantwortlich: Dr. Thomas Hagn, Linde AG; wissen + konzepte, München #1. 12 Bildredaktion: Judith Schüller, Hamburg Layout: wissen + konzepte, München; Almut Jehn, Bremen Anfragen und Bestellungen an: Linde AG, Kommunikation Klosterhofstraße 1, 80331 München oder [email protected] Hinter jeder hervorragenden Leistung stehen Menschen mit Ambition. Diese Heftreihe sowie weitere Fachberichte stehen unter www.linde.com als Download zur Verfügung. Nachdrucke oder elektronische Verbreitung nur mit Zustimmung des Herausgebers. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle (und bei vollständiger Quellenangabe) ist die Nutzung der Berichte aus „Linde Technology“ ohne Einwilligung des Herausgebers nicht gestattet. ISSN 1612-2224, Printed in Germany – 2012 Bildquellen: Titel: Linde AG // Seite 04/05: Laurance B. Aluppy, Don Farrall, Sean Gallup/Getty Images, Roche PR // Seite 06/07: Linde AG // Seite 08/09: Frank Siemers/laif, Linde AG (2) // Seite 11: Linde AG // Seite 12/13: Linde AG (2), Novosti/SPL/Agentur Focus, BKA // Seite 14/15: picture-alliance/ dpa, Linde AG (2), Hollandse Hoogte/laif, Image Source/Getty Images // Seite 16: John Zoiner/ Getty Images // Seite 18/19: Linde AG (2), Cuthbert/SPL/Agentur Focus // Seite 21: Shuli Hallak/ Corbis // Seite 22/23: Linde AG, Roy Morsch/Corbis, Justin Sullivan/Getty Images // Seite 24/25: Linde AG // Seite 27: Cameron Davidson/Corbis // Seite 28/29: plainpicture/Design Pics, ddp images, Bloomberg/Getty Images, Linde AG // Seite 30/31: Linde AG (2) // Seite 32: Jonelle Weaver/ Getty Images // Seite 34/35: Linde AG (4), Ruiz/Treal/laif // Seite 37: Thomas Ernsting/laif // Seite 38/39: Getty Images, plainpicture/Cultura, Tallent Automotive Limited // Seite 40/41: Andreas Hub/laif, Bally/Keystone Schweiz/laif // Seite 42: Linde AG // Seite 44: Janet Forster/Getty Images // Seite 46/47: Bloomberg/Getty Images, Yu Fangping/Imaginechina/laif, Linde AG // Seite 48/ 49: Linde AG // Seite 51: Science Photo Library/Agentur Focus // Seite 52/53: Linde AG, Ingram/ Getty Images, Roche PR (2) // Seite 54: M. Barraud/Getty Images, Bayer AG Mehr Erdgas fördern: 670.000 Kubikmeter Stickstoff erzeugen die beiden Luftzerleger des Linde-ADNOCGemeinschaftsunternehmens Elixier stündlich. N₂ macht die Erdgasproduktion in Abu Dhabi effizienter. Ein außergewöhnliches Projekt: Europas größte Erdgasverflüssigungs-Anlage in Norwegen wurde mit dem Know-how der Linde Group errichtet. Ein perfektes Beispiel dafür, dass wir als eines der weltweit führenden Gase- und Engineeringunternehmen mit rund 50.500 Mitarbeitern in mehr als 100 Ländern innovative Ideen entwickeln, die den Horizont des menschlich Machbaren konsequent erweitern. Herausragende Ingenieurkunst, Exzellenz im operativen Bereich und der Antrieb, bei Technologien und Innovationen weltweit neue Maßstäbe zu setzen, unterstützen uns dabei, richtungsweisende Schritte in eine lebenswerte Zukunft zu machen. Weitere Informationen über The Linde Group finden Sie online unter www.linde.com. editorial // LINDE TECHNOLOGY #1.12 03 Editorial Liebe Leserinnen und Leser, der weltweite Energiebedarf steigt rasant, die Rohstoffpreise ebenso, und die globale Erderwärmung bedroht das Klima. Wie ist dieses Spannungsfeld, das Experten als Energie-Trilemma bezeichnen, zu lösen? Darauf gibt es keine einfachen Antworten, fest steht nur: Der Weg zu einer nachhaltigen, verlässlichen und bezahlbaren Energieversorgung führt nur über innovative, umweltverträgliche Technologien. Dabei müssen wir uns klar machen, dass der überwiegende Teil der Energieträger derzeit noch immer aus der Erde gewonnen wird. Die fossilen Rohstoffe bleiben auch noch auf absehbare Zeit unsere wichtigsten Energiequellen – allen voran die Kohle: Sie ist in großen Mengen vorhanden und wird weltweit genutzt. Umso wichtiger ist es deshalb, den CO₂-Ausstoß von Kohlekraftwerken weiter zu senken. Linde verfügt über alle erforderlichen Kompetenzen, um die weitgehende Abscheidung und Speicherung von CO₂ aus Kraftwerksabgasen sicherzustellen. Gepaart mit Verfahren zur Rauchgaswäsche tragen wir dazu bei, den Betrieb von Kohlekraftwerken erheblich klimafreundlicher als bisher zu gestalten. Auch die Umwandlung von Kohle in synthetisches Erdgas ist ein vielversprechendes Verfahren für eine umweltschonendere Nutzung des schwarzen Rohstoffs. In Südkorea realisieren wir derzeit gemeinsam mit Kooperationspartnern ein Referenzprojekt auf diesem Gebiet. In der weltweit größten Gas-to-LiquidsAnlage in Katar wird Erdgas zu flüssigen Kraftstoffen verarbeitet – und sorgt so für eine umweltfreundlichere Mobilität. Dass man industrielle Prozesse durch den Einsatz von Gasen verbessern kann, zeigen Projekte aus der Biotechnologie. So arbeiten etwa Bioreaktoren deutlich wirtschaftlicher, wenn reiner Sauerstoff eingesetzt wird. Ein anderes Beispiel für die vielfältige Wirkungsweise von Gasen ist die Aufbereitung von entsalztem Meerwasser: Mit CO₂ lassen sich der pH-Wert sowie das chemische Gleichgewicht exakt einstellen – so wird das Wasser erst trinkbar. In unserem Technologie-Magazin zeigen wir Ihnen einmal mehr, wie wir mit innovativer Anlagentechnik und einem ausgeklügelten Gasemanagement eine große Bandbreite von Industrieprozessen verbessern und nicht zuletzt nachhaltiger machen. Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre. Professor Dr.-Ing. Aldo Belloni Mitglied des Vorstands der Linde AG LINDE TECHNOLOGY #1.12 // inhalt 04 _26 _36 SchweiSStechnologie: Kälteschock entspannt heiße Nähte _44 Wasser: Den pH-Wert optimal einstellen Kohlekraft: Eine saubere Nutzung ermöglichen _50 Biotechnologie: Sauerstoff kurbelt Prozesse an inhalt // LINDE TECHNOLOGY #1.12 05 03 editorial 06 Frostige Fracht auf Reisen Stickstoff für die Nord-Stream-Pipeline 08 news 10 Dem Täter auf der Spur Gasetechnologie verbessert die Kriminaltechnik Titelthema 14 Energien aus der Erde Auf fossile Rohstoffquellen wie Kohle und Erdgas wird unsere Industriegesellschaft in Zukunft noch länger angewiesen sein. Innovative Verfahren von Linde helfen, die Schätze der Erde effizient und umweltfreundlich zu nutzen. 16 Klimaschutz und Kohlekraft Großbritannien: Leistungsstärkste Oxyfuel- Anlage treibt CCS-Technologie voran 20 Treibstoff aus der Tiefe 24 Nordamerika: Schiefergas-Boom bringt LNG auf die Straße Strategie für Reines Rauchgas Deutschland: Gaswäsche für Kraftwerke 32 Knollen ohne Keime 36 Weniger Spannung im Blech 40 Mobiler Strom – Sauber und Leise 42 Interview: „Wasserstoff ist jetzt im Halbfinale“ 44 Durst nach Meerwasser 48 Entspannung bei Hochdruck 50 Kraftschub für Zellfabriken 54 Mückenfang mit CO₂ Ethengas macht Gemüse fit für den Markt CO₂-Kühlung sorgt für hochwertige Schweißnähte Innovative Wasserstoffanwendung ersetzt Dieselgeneratoren Markus Bachmeier, Leiter Hydrogen Solutions bei der Linde AG Kohlendioxid sorgt für eine ausgeglichene Wasserchemie Herz-OP: Stickstoffmonoxid erweitert verengte Lungenarterien Sauerstoff macht biotechnologische Prozesse leistungsfähiger Umweltfreundlich gegen Moskitos 26 SYNTHETISCHES Erdgas aus Kohle Südkorea: Umweltfreundliches Verfahren zur Energieumwandlung 30 Die Kraftstoff-Maschine Katar: Gas-to-Liquids-Anlage erzeugt flüssige Treibstoffe aus Erdgas LINDE TECHNOLOGY #1.12 // Erdgas Bildquelle: Linde AG / P. Ohligschläger 06 ↳ Stickstoff für die Nord-Stream-Pipeline Frostige Fracht auf Reisen 1.224 Kilometer Stahlrohre liegen in rund 100 Metern Tiefe auf dem Meeresgrund der Ostsee: Die Nord-Stream-Pipeline verbindet das russische Wyborg mit dem deutschen Lubmin nahe Greifswald. 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas sollen ab Ende 2012 jährlich durch die Doppelröhren strömen – und die Energieversorgung in Europa langfristig sichern. Bevor das Gas fließen kann, muss die Pipeline frei sein von Stoffen, die mit Erdgas reagieren könnten. Nach einer ersten Reinigung mit Wasser und anschließender Trocknung folgt als einer der letzten Schritte die Inertisierung: Das Durchspülen mit Stickstoff (N₂) entfernt gefährliche, reaktive Substanzen aus den Röhren. Linde erhielt den Auftrag für die Erdgas // LINDE TECHNOLOGY #1.12 07 Temperaturextreme: Minus 196 Grad Celsius kalt ist der flüssige Stickstoff in den LKW-Tanks (links). Im August 2011 schlug sich die feuchte Luft als Reif auf den eiskalten Anschlüssen nieder (unten). Nach der Anlieferung (oben) wird die frostige Fracht für die Inertisierung verdampft. Wärmetauscher verwandeln sie in 40 Grad Celsius warmen N₂. Bereitstellung der riesigen Stickstoffmengen. Das Ziel: 14.000 Kubikmeter N₂ mussten pro Stunde und eine Woche lang ohne Unterbrechung durch die Pipeline strömen. Linde meisterte diese logistische Herausforderung mit mehr als hundert Tanklastern, die den verflüssigten Stickstoff aus mehreren Luftzerlegungsanlagen nach Lubmin brachten. LINDE TECHNOLOGY #1.12 // News 08 n ews Deutschland: F lüssiges Erdgas für Hamburger Hafen Linde und die Hamburg Port Authority (HPA) treiben die Nutzung von verflüssigtem Erdgas (Liquefied Natural Gas – LNG) voran. Dafür arbeiten beide Unternehmen derzeit gemeinsam an einer umfangreichen Machbarkeitsstudie, die den wirtschaftlichen Einsatz von LNG im Hamburger Hafen untersucht. Die Ergebnisse könnten als Grundlage für den Aufbau einer LNG-Infrastruktur im Hafen dienen, um den umweltfreundlichen Kraftstoff für Schiffe und andere Transportmittel wie LKW einzusetzen. Denn im Vergleich zu Diesel oder Schweröl verursacht Erdgas wesentlich geringere Emissionen: Erdgasantriebe verringern beispielsweise den Ausstoß von Stickoxiden im Vergleich zu Diesel um knapp 90 Prozent und den von Kohlendioxid um bis zu 20 Prozent. Schwefeldioxid- und Feinstaubemissionen entfallen nahezu komplett. „Vor dem Hintergrund verschärfter Umweltstandards registrieren wir eine stetig steigende Nachfrage nach LNG-Lösungen im Transportsektor“, erklärt Dr. Andreas Opfermann, Leiter Clean Energy und Innovationsmanagement bei Linde. Als Anlagen- und Gase- spezialist verfügt das Unternehmen über große Erfahrung im Einsatz von verflüssigtem Erdgas als Kraftstoff. Die schwedische LindeTochter Cryo AB hat in Skandinavien bereits 40 Schiffe mit der LNG-Technologie ausgerüstet – und mit Verflüssigern und LNGTerminals stellt Linde die Versorgung mit dem vorteilhaften Energieträger sicher. Deutschland: Algen für die Zukunft Mehr als 150 Fachleute aus Industrie, Hochschulen und Forschungseinrichtungen trafen sich Ende März 2012 beim 5. Bundesalgenstammtisch, der erstmals bei der Linde AG in Pullach stattfand. Die Experten beschäftigten sich unter anderem mit der Verfahrenstechnik und Konzeption von Photobioreaktoren, in denen Algen kultiviert werden. Mikroalgen gelten als vielversprechende Liefe- ranten nachwachsender Rohstoffe. Im Vergleich zu Landpflanzen erzeugen sie deutlich mehr Ertrag pro Fläche und lassen sich leichter weiterverarbeiten. Linde kooperiert unter anderem mit Sapphire Energy in einem Projekt zur industriellen Algenkultivierung. Für die Lebens- und Futtermittelindustrie, aber auch die Treibstoffproduktion bieten Algen große Zukunftschancen. News // LINDE TECHNOLOGY #1.12 09 Europa: Stärkung des Homecare-Sektors Die medizinische Betreuung von Patienten in ihrem häuslichen Umfeld ist ein wichtiger Zukunftsmarkt. Um das HomecareGeschäft weiter zu stärken, hat Linde jetzt die kontinental-europäischen Homecare-Aktivitäten des Unternehmens Air Products übernommen. Dazu zählen die Länder Belgien, Deutschland, Frankreich, Portugal und Spanien mit insgesamt mehr als 250.000 Patienten. Die Europäische Kommission hat die Übernahme im April 2012 ohne Auflagen genehmigt. Ende April konnte die Akquisition abgeschlossen werden. Linde erwirbt die Homecare-Aktivitäten zu einem Enterprise Value von umgerechnet 590 Millionen Euro. Damit stärkt der Konzern seine Position als einer der weltweit führenden Homecare-Anbieter. „Healthcare ist eines unserer drei strategischen Felder. Es ist ein stabiles Geschäft, das von der demographischen Entwicklung profitiert. Mit dieser Akquisition stärken wir unser Produktportfolio und erweitern unsere Kompetenzen“, sagt Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Reitzle, Vorsitzender des Vorstands der Linde AG. „Wir schaffen gute Voraussetzungen, um neue Behandlungsmethoden und Pflege- konzepte zu entwickeln. Durch den Zukauf werden wir zu einem der führenden Anbieter im europäischen Respiratory HomecareGeschäft“, so Reitzle. Mit Homecare werden medizinische Dienstleistungen für die Behandlung von Patienten außerhalb von Krankenhäusern bezeichnet. Dazu gehören unter anderem Beatmungs- und Schlaftherapien. Saudi-Arabien: Investition im Nahen Osten Linde hat den Auftrag für die langfristige Gaseversorgung des saudi-arabischen Chemieunternehmens Sadara Petrochemical Company erhalten. Am Standort Jubail wird Linde Anlagen zur Kohlenmonoxid-, Wasserstoff- und Ammoniakproduktion errichten und hierfür 380 Millionen US-Dollar investieren. „Dieser Auftrag ist unser größtes On-site-Petrochemie-Projekt in der Region und gleichzeitig das erste in Jubail. Damit stärken wir unsere weltweit führende Stellung in der Produktion und Lieferung von Kohlenmonoxid als Chemiebaustein für die Herstellung von PolyurethanKunststoffen“, sagt Prof. Dr.-Ing. Aldo Belloni, Mitglied des Vorstands der Linde AG. Sadara errichtet am Standort in Jubail Industrial City II einen großen, integrierten Chemiekomplex. Lindes Engineering Division wird die neuen Gase-Anlagen für den Chemiepark planen, liefern und schlüsselfertig errichten. Im Jahr 2015 soll die Produktion anlaufen. Den Anlagenbetrieb übernimmt die Linde Gases Division. China: Joint-Venture für Gaseversorgung Linde setzt sein Engagement in China weiter fort: Das Unternehmen investiert 70 Millionen Euro in den Standort Dalian im Nordosten des Landes und wird dort die Gaseversorgung des chinesischen Chemieunternehmens Dahua Group übernehmen. Im Rahmen dieses On-site-Vertrags wird der Anlagen- und Gasespezialist zwei bestehende Luftzerlegungsanlagen des Chemiekonzerns erwerben und betreiben. Zudem baut Lindes Engineering Division dort einen neuen Luftzerleger, der die beiden älteren Anlagen ersetzen wird. Die neue Anlage, die 2014 in Betrieb gehen wird, hat eine Produktionskapazität von 38.000 Normkubikmetern Sauerstoff pro Stunde und soll den steigenden Bedarf von Dahua decken. Die Versorgungssicherheit des größten chinesischen Herstellers von Basischemikalien und Düngemitteln wird damit deutlich erhöht. Der neue Luftzerleger wird auch Flüssiggase für den regionalen Gasemarkt liefern. Für die lokale Versorgung wurde das Joint-Venture Linde-Dahua (Dalian) Gases Company, Ltd. gegründet. LINDE TECHNOLOGY #1.12 // Kriminalistik 10 Dem Täter auf der Spur Fingerabdrücke liefern entscheidende Beweise für die Spurensuche. Um sie sichtbar zu machen, benötigen Ermittler aber viel Feingefühl – und auch einen speziellen Chemiecocktail. Linde-Ingenieure haben jetzt eine Technik entwickelt, die die Arbeit der Kriminaltechniker künftig effizienter und umweltfreundlicher macht: Mit der innovativen Gasetechnologie lassen sich die individuellen Täterspuren besonders präzise sichern und archivieren. Nach dem Verbrechen kommen die Ermittler: Am Tatort wimmelt es übereinstimmen: Feine Verzweigungen, besondere Schleifen oder von Menschen in weißen Ganzkörper-Overalls. Penibel sammeln sie plötzliche Endungen der Papillarlinien sind wichtige Hinweise. Das Haarproben und Faserreste, fotografieren Beweismittel und suchen individuelle Fingermuster wird schon im Mutterleib festgelegt. nach verborgenen Blutspuren. Und der klassische Fingerabdruck ist „Aber entscheidend für eine zuverlässige Identifizierung ist ein nach wie vor eines der wichtigsten Fundstücke am Ort eines Delikts. optimales Abbild des Fingerabdrucks“, so Knaggs. Dafür muss der Ohne die wichtigen Spuren würde Special Agent Leroy Jethro Gibbs Abdruck sichtbar gemacht werden. Und je nach Oberflächenbeschafbei seinen Ermittlungen in der TV-Sendung Navy CIS ebenso im fenheit des Beweisstücks ist das eine echte Herausforderung. Meist Dunkeln tappen wie Peter Falk alias Columbo – und auch Sherlock rücken die Kriminologen an – bewaffnet mit zahlreichen Pinseln – Holmes überführte in vielen Romanen mit akkuratem Fingerprintver- und streichen feines Rußpulver behutsam über Beweisstücke. Aber gleich zahlreiche Gangster. damit ist das Repertoire der Tatortprofis noch lange nicht erschöpft. Fingerabdrücke helfen schon seit mehr als 150 Jahren dabei, Denn diese Technik eignet sich nur für glatte Materialien, beispielsMenschen eindeutig zu identifizieren. Denn sie sind von Perweise Glas oder Plastik. Schwieriger wird es auf porösem, son zu Person verschieden, kein Muster gleicht dem saugfähigem Untergrund wie Papier oder Holz. Dann anderen. Selbst eineiige Zwillinge haben untersetzen die Spezialisten auf chemische Substanschiedliche Papillarleisten, so heißen die feinen zen wie Ninhydrin oder Iod. „Diese Stoffe reaLinien auf den Fingerkuppen. „Greift ein Vergieren mit den Aminosäuren in den Rückbrecher mit bloßen Händen eine Tatwaffe, ständen des Fingerabdrucks und machen zeichnet sich das Muster dieser unverwechihn dadurch sichtbar“, so Knaggs. Dazu Fingerabdrücke erfasst die weltselbaren Rillen wie ein Stempel auf dem mischen die Kriminalisten die Chemikagrößte Datenbank: das Integrated Automated Fingerprint Identification Gegenstand ab“, erklärt Calvin Knaggs, Marlien mit einem Lösungsmittel, um sie dann System des FBI. ketingmanager Speciality Markets Equipment auf die Abdrücke aufzubringen. Der große bei Linde in Kanada. Winzige Rückstände von Nachteil: Die hierfür nötigen Substanzen Schweiß und Talg, die ununterbrochen von wie Methanol, Petrolether oder HydrofluorHautdrüsen abgesondert werden, bilden die ether sind zum Teil giftig, umwelt- und natürliche Stempelfarbe. Um die Abdrücke sicher gesundheitsschädlich. Dieses Problem wollte einer Person zuzuordnen, müssen mehrere Merkmale Calvin Knaggs lösen: Zusammen mit seinem 70 Millionen Autor: Henning Hochrinner B ildquelle: Linde AG Gasetechnologie verbessert die Kriminaltechnik ↲↳ Leuchtende Spuren: Fingerabdrücke sind unverwechselbar. Die empfindlichen Beweisspuren lassen sich jetzt dank einer neuen Technologie von Linde noch besser sichtbar machen. LINDE TECHNOLOGY #1.12 // kRiminalistik 12 Präzise Profile: Passiert ein Beweisstück das ADROIT™ FC 300 (oben), werden Fingerabdrücke im Detail enthüllt – und helfen so bei der Tätersuche (links). Erfolgreicher Erfinder: Calvin Knaggs, Marketingmanager bei Linde in Kanada, hat die innovative Technik zur Sicherung von Fingerabdrücken entwickelt. Team entwickelte er ein innovatives Verfahren, das die Sicherung von Fingerabdrücken revolutioniert. Das System heißt ADROIT™ FC 300. Der englische Begriff „adroit“ bedeutet soviel wie clever – und der Name ist Programm für die neue Technik: „Das Gerät arbeitet mit einem ungefährlichen und umweltfreundlichen Trägergas und vereinfacht die Entwicklung von unsichtbaren Fingerabdrücken erheblich“, erklärt Knaggs. Bei der Erfindung half ihm vor allem seine langjährige Erfahrung in verschiedensten Fachbereichen bei Linde: Knaggs hat Know-how in der Vakuum- und Dünnschicht-Technologie sowie im Bereich der Spezialgase. Und er beschäftigte sich mit Forensik – besonders die gängigen Methoden zur Sicherung von Fingerabdrücken machten ihn neugierig: „Ich dachte mir, dass es einen einfacheren und vor allem sichereren Weg geben muss, als die Nutzung von leicht entflammbaren und giftigen Lösungsmitteln“, sagt Knaggs. Und mit dem ADROIT™-System ist ihm das gelungen: Das Gerät sieht zwar unscheinbar aus: Eine graue Stahlbox mit Sichtfenster, Schaltern, Schläuchen und einem Display. Doch es kombiniert Vakuum-, Dünnschicht- und Gasetechnologien. Herzstück der Entwicklung ist die Vakuumkammer: Dort legen die Kriminaltechniker die Beweisstücke hinein. Selbst ein komplettes Gewehr findet darin Platz. In einem vorgelagerten Vakuum-DampfSystem befinden sich die Substanzen, mit denen die Fingerabdrücke sichtbar gemacht werden sollen. Durch Aufheizen verdampfen diese Stoffe, verbinden sich mit einem Trägergas und werden so mit- tels einer speziellen Düse in die Vakuumkammer transportiert. Dort benetzen sie das Beweisstück, legen sich als dünner, gleichmäßiger Film über die unsichtbaren Spuren – und bringen die Fingerabdrücke ans Licht. Knaggs: „Es lässt sich ein breites Substanzspektrum zur Visualisierung in das Gerät einspeisen, unter anderem auch fluoreszierende Substanzen.“ Bestrahlt mit Laser- oder UV-Licht beginnen diese zu leuchten und machen die Spuren sichtbar. Das ADROIT™System macht die Arbeit der Kriminalisten viel effizienter, denn das lästige manuelle Auftupfen, Besprühen oder Bepinseln mit Chemikalien entfällt. „Dies ist ein großer Vorteil, weil dabei die Abdrücke oft beschädigt werden“, erklärt Knaggs. Einen ersten Prototypen des Systems hat der Erfinder zunächst auf eigene Faust in der heimischen Garage entworfen – bis ihm seine Frau die Versuchswerkstatt untersagt hat. Doch Knaggs war von seiner Innovation überzeugt; mit seinem Team führte er seine Entwicklung in den Linde-Labors weiter. Um die Technik an die Anforderungen der Ermittler anzupassen, arbeiteten die Ingenieure auch eng mit Spezialisten des Kriminalistiklabors der US-Armee (US Army Criminal Investigation Laboratory – USACIL) zusammen. Die Ermittler prüften die Technik und verglichen das neue Verfahren mit den besten gängigen Methoden. Das Ergebnis: Das ADROIT™-System macht Fingerabdrücke mindestens genauso gut oder besser sichtbar, kommt aber ohne giftige Lösungsmittel aus. Selbst schwer zu untersuchende Oberflächen wie Thermopapier lassen sich mit der neuen Technologie untersuchen: Diese Papiersorte wird unter anderem für Mehr effizienz beim Spurensuchen: Kein Bepinseln und aufsprühen. Kriminalistik // LINDE TECHNOLOGY #1.12 13 Flugtickets, Quittungen oder Faxe verwendet. Es besitzt eine wärmeempfindliche Beschichtung, die sich durch Hitze schwarz färbt. Für Kriminalisten eine Herausforderung, denn das Papier verfärbt sich auch beim Kontakt mit Lösungsmitteln. Beweisspuren gehen so verloren. Der Vorteil des Linde-Verfahrens: Fingerabdrücke lassen sich bei Raumtemperatur entwickeln und die temperaturempfindliche Schicht wird nicht angegriffen. Auch DNA-Spuren oder Drogenrückstände bleiben unversehrt. Analysen archivieren und weltweit austauschen Basierend auf den Prüfergebnissen der USACIL-Experten optimierten die Linde-Ingenieure ihre Technologie: „Wir konnten so das Verfahren hinsichtlich Ergonomie, Abmessungen und Prozessgeschwindigkeit verbessern“, sagt Knaggs. Auf der Tagung der American Academy of Forensic Sciences (AAFS) Anfang 2012 wurde das System erstmals der Fachöffentlichkeit vorgestellt. „Es gab sehr gute Resonanz von den Fachleuten, die in unserer Entwicklung eine innovative Technologie sehen“, so der Linde-Experte. FBI, US-Armee und die deutsche Bundespolizei zeigten bereits reges Interesse. Das im ADROIT™-System integrierte Computersystem erleichtert den Ermittlern zusätzlich die Arbeit. Die Kriminalisten können beispielsweise feste Prozessabläufe programmieren: Wiederkehrende Untersuchungen lassen sich routinierter durchführen – das garantiert Reproduzierbarkeit und gleichbleibende Qualität. Ein weiterer Praxisnutzen: Das System besitzt eine Netzwerkschnittstelle, die eine Fernüberwachung per Internet und das Abspeichern einzelner Analysen ermöglicht. Ermittlungsteams, die weltweit und mit mehreren Systemen arbeiten, können ihre Prozessabläufe so besser übertragen und aktualisieren. Die Entwicklung von Linde erweitert den Werkzeugkasten der Kriminalisten um ein vielversprechendes Instrument. Für Verbrecher wird es künftig schwieriger, ihre Spuren zu verwischen. Verräterische Hautrillen Linienende Pore Kreuzung Kern Insel Gabelung Delta Fingerabdrücke unterscheiden sich in der Beschaffenheit und Anordnung der Grate. Diese Merkmale heißen Minutien. 150 verschiedene sind insgesamt bekannt. Die individuelle Rillenbildung der Haut geschieht bereits im Mutterleib. LINK: www.interpol.int/INTERPOL-expertise/Forensics/Fingerprints Kurzinterview „Selbst Zwillinge haben individuelle Fingerabdrücke“ Linde Technology sprach mit Alexandra Herrmann-Tamm, Kriminalhauptkommissarin beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden über die Spurensicherung am Tatort. ↳ Welche Bedeutung haben Fingerabdrücke für Kriminalfälle in Zeiten von DNA-Tests? Beides ist wichtig. Sämtliche Informationen – auch Werkzeugspuren, Fasern oder Mikrostäube – und natürlich die Aussagen von Personen müssen von den Ermittlern, der Staatsanwaltschaft und den Gerichten interpretiert werden. Denn eine DNA-Spur bedeutet nicht zwingend, dass die identifizierte Person der Täter ist oder überhaupt am Tatort war: DNA-Material kann leicht verschleppt werden – Fingerabdrücke nicht. Ein weiterer Pluspunkt für die Daktyloskopie, also den Methoden zur Sicherung und Auswertung von Fingerabdrücken: Selbst eineiige Zwillinge sind individuell unterscheidbar, obwohl ihre DNA-Profile identisch sind. ↳ Wie lange dauert das Sichern von Fingerabdrücken? Das hängt vom Spurensicherungsmittel, dem Spurenträger und Folgeuntersuchungen ab. Arbeitet man etwa mit Rußpulver und Folienabzug auf nicht saugenden Oberflächen wie Glas oder Metall, ohne auf andere Spuren achten zu müssen, lässt sich ein Abdruck in Minuten sichern. Saugende Oberflächen wie beispielsweise Papier können mehr Zeit brauchen. Vor allem, wenn noch mögliche DNA-Anhaftungen oder weitere Spuren berücksichtigt werden müssen. ↳ Und Was sind die gröSSten Herausforderungen? Die Abdrücke überhaupt sichtbar zu machen. In den meisten Fällen weiß man nicht, ob daktyloskopische Spuren auf Beweismitteln vorhanden sind. Zudem dürfen die Spurensicherer keine Spur beschädigen. Sehr schwierige Materialien sind Styropor, bestimmte Metalle und Fingerspuren, die in Verbindung mit Blut auftreten. Aber auch feuchte Oberflächen und Geldscheine sind eine Herausforderung. Die Methoden werden deshalb permanent verfeinert und die Analytik verbessert. In Versuchen gelang es beispielsweise sogar, daktyloskopische Spuren auf Haut zu sichern. LINDE TECHNOLOGY #1.12 // Titelthema 14 Neue Wege für Mehr Effizienz und Klimaschutz Energien aus der Erde Auf Kohle und Erdgas kann unsere Industriegesellschaft in absehbarer Zeit nicht verzichten. Moderne Anlagen- und Gasetechnologien von Linde helfen weltweit dabei, die Nutzung fossiler Rohstoffe effizienter und klimafreundlicher zu machen. GROSSBRITANNIEN CCS-TECHNOLOGIE USA Schiefergas LKW fahren vermehrt mit Erdgas. Bei der Förderung und Aufarbeitung von unkonventionellem Erdgas sorgen Gasetechnologien von Linde für mehr Effizienz. Seite 20 Kohlekraftwerke müssen klimafreundlicher werden. Mithilfe des Oxyfuel-Verfahrens lässt sich CO2 leichter aus dem Abgas abtrennen und so besser speichern. Seite 16 Titelthema // LINDE TECHNOLOGY #1.12 15 DEUTSCHLAND Rauchgaswäsche Für die Speicherung im Boden muss CO₂ besonders rein sein. Das gelingt mit dem LICONOX®Verfahren. Seite 24 SÜDKOREA Kohlevergasung Aus Kohle lässt sich synthetisches Erdgas gewinnen. Diese Umwandlung macht die Nutzung des Rohstoffs umweltfreundlicher. Seite 26 KATAR Gas-to-Liquids Aus Erdgas lassen sich flüssige Treibstoffe herstellen. Das erfordert große Mengen Sauerstoff, den acht Luftzerleger von Linde liefern. Seite 30 LINDE TECHNOLOGY #1.12 // Kraftwerkstechnik 16 Kraftwerke im Wandel: Mithilfe der CCS-Technologie lassen sich die CO₂Emissionen eindämmen. Das OxyfuelVerfahren und reiner Sauerstoff von Linde helfen dabei, die Energie aus Kohle klimafreundlich zu machen. Titelthema: Energien aus der Erde Kraftwerkstechnik // LINDE TECHNOLOGY #1.12 17 Bildquelle: John Zoiner/Getty Images Autor: Henning Hochrinner CCS-Technologie für kommerzielle Anwendung ↲↳ Klimaschutz und Kohlekraft Die Welt braucht klimafreundliche Kohlekraft. Eine Lösung: Das CO₂ aus Kraftwerksabgasen abtrennen und im Erdboden speichern. Das Oxyfuel-Verfahren ist dabei ein wichtiger Baustein. Jetzt planen Linde-Ingenieure zusammen mit weiteren Industriepartnern das weltweit leistungsstärkste Oxyfuel-Kraftwerk in Großbritannien – für die ersten Tests im kommerziellen Maßstab. Technologien zur klimafreundlichen Kohlenutzung sind gefragter irdischen Lagerstätten gespeichert. Damit ließen sich bis zum Jahr denn je. Denn die Rechnung ist einfach: Der weltweite Energiekon- 2050 etwa 20 Prozent der weltweit nötigen CO₂-Einsparungen erreisum steigt rasant. Nach Prognosen der Internationalen Energieagen- chen, um die Klimaerwärmung auf zwei Grad Celsius zu begrenzen. Auch Linde engagiert sich deshalb intensiv für die weitere Erprotur (IEA) verdoppelt sich der globale Bedarf bis 2050. Doch erneuerbare Energien können die steigende Nachfrage längst nicht decken. bung der CCS-Technologie. Zusammen mit den Kraftwerksspezialisten Daher werden wir wahrscheinlich noch für Jahrzehnte auf fossile der französischen Firma Alstom und dem britischen KraftwerksbeBrennstoffe – vor allem Kohle – zur Stromerzeugung angewiesen sein. treiber Drax planen die CO₂-Manager von Linde derzeit den Bau einer Um den Klimawandel hierdurch nicht weiter zu forcieren, müssen die innovativen Oxyfuel-Anlage in der Grafschaft North Yorkshire in EngCO₂-Emissionen der Kraftwerke dringend eingedämmt werden. Denn land. Mit 304 Megawatt Nettoleistung wird es das leistungsstärkste in den westlichen Industriestaaten bildet Kohle heute noch das Rück- Oxyfuel-Kohlekraftwerk weltweit sein und klimafreundlichen Strom für mehr als 900.000 Haushalte erzeugen. „Vergrat der Stromproduktion: In den USA stammten glichen mit einem konventionellen Kraftwerk wer2011 noch etwa 42 Prozent des Stroms aus Kohleden wir jährlich zwei Millionen Tonnen CO₂ einkraftwerken, so die U. S. Energy Information Admisparen können, indem wir es in salinen Aquiferen nistration. Selbst in Deutschland, dem Vorreiter unter der Nordsee speichern“, sagt Beer. Die bei erneuerbaren Energien, ist der Anteil ähnlich Das geplante OxyfuelKraftwerk soll jährlich Anlagenspezialisten von Linde bauen die Luftzerhoch. Auch in Asien setzt man auf Kohle: „Der einzwei Millionen Tonleger für das geplante Kraftwerk: Diese produziefachste Weg für Nationen wie China und Indien, nen CO₂ einsparen. ren täglich rund 6.300 Tonnen Sauerstoff. Denn schnell und preiswert Strom zu produzieren, ist bei der Oxyfuel-Technik wird die Kohle mit reinem der Bau neuer Kohlekraftwerke. Der Brennstoff ist günstig, meist vor Ort vorhanden und die Länder verfügen über das Sauerstoff statt Luft verbrannt. Der Vorteil: Das Rauchgas besteht Know-how solche Kraftwerke zu bauen“, sagt Philip Beer, Direktor dann vor allem aus CO₂ und Wasserdampf – und das Kohlendioxid lässt sich durch Abkühlen einfach abtrennen. Clean Energy Europa bei Linde. Das Kraftwerk in North Yorkshire wird ein wichtiges DemonstraEine Strategie, um die CO₂-Emissionen trotz wachsendem Energiehunger zu drosseln, ist die CCS-Technologie (CCS = Carbon Capture tionsprojekt für die CCS-Technologie werden – und auch für das Oxyand Storage): Kohlendioxid, das bei der Kohleverbrennung entsteht, fuel-Verfahren: Denn bislang gibt es lediglich kleinere Pilotprojekte, wird im Kraftwerk abgetrennt, gereinigt und anschließend in unter- wie die von Vattenfall betriebene Oxyfuel-Anlage im Industriepark GrossBritannien Titelthema: Energien aus der erde LINDE TECHNOLOGY #1.12 // Kraftwerkstechnik 18 Schwarze Pumpe in Brandenburg mit 30 Megawatt thermischer Leistung. Auch dort hat Linde zahlreiche Komponenten geliefert und das Konzept für den Gesamtprozess entwickelt. „Für die Zukunft ist es wichtig, die Technologie schrittweise in den großtechnischen Maßstab zu übertragen, um sie insgesamt weiter zu verbessern“, erklärt CCSExperte Beer. Und das Kraftwerk in North Yorkshire ist der nächste Ent- Wo am meisten Kohle konsumiert wird Anteile der Regionen am weltweiten Kohleverbrauch 67,1% 15,6% 0,7 % 0,2% 13,7% 2,7% Quelle: BP Review of World Energy 2011 • • • •• • Asien/Pazifik Nordamerika Süd- & Zentral- amerika Europa & Eurasien Mittlerer Osten Afrika Kraftwerksfutter: Die mit Kohle versorgte Anlage des britischen Betreibers Drax (oben) zählt zu den effizientesten weltweit. In der Grafschaft North Yorkshire, England, wird jetzt der Bau einer innovativen OxyfuelAnlage inklusive CO₂-Abtrennung (rechts) geplant – und damit eines der wichtigsten CCS-Demonstrationsprojekte. wicklungsschritt: „Die erste CCS-Demonstrationsanlage im kommerziellen Maßstab“, sagt Beer. Ist das Projekt erfolgreich, soll die Implementierung in einem Großkraftwerk der Gigawatt-Klasse folgen. „Um aus den unterschiedlichen CCS-Technologien die beste auswählen zu können, müssen sämtliche Verfahren in der Praxis im mittleren Maßstab von bis zu 300 Megawatt getestet werden“, erklärt Dr. Bernd Holling, Direktor Geschäftsentwicklung Clean Energy und CCS bei Linde. Denn nur durch den Praxistest lassen sich Oxyfuel-Verfahren, Pre-Combustion- oder Post-Combustion-Verfahren wirklich vergleichen. Die Technologien verfolgen zwar allesamt das gleiche Ziel: den CO₂Ausstoß zu senken. Aber sie haben jeweils völlig unterschiedliche Ansätze. Beim Pre-Combustion-Verfahren wird die Kohle vor der Verbrennung zuerst vergast und mit einer CO₂-Abtrennung kombiniert. Das geschieht im so genannten IGCC-Prozess (Integrated Gasification Combined Cycle). Verbrannt wird anschließend reiner Wasserstoff. Die Post-Combustion-Technik hingegen entfernt das Kohlendioxid erst nach dem Verbrennen. Verschiedene Prozesse befreien das Rauchgas schrittweise von Verunreinigungen, bevor das CO₂ eingefangen wird. Verglichen mit einem Oxyfuel-Kraftwerk ist diese Reinigung aufwendiger, weil die Verbrennungsabgase mehr Schadstoffe enthalten. Für die Erprobung der CCS-Technik ist der Standort in North Yorkshire gut geeignet. Denn das abgetrennte Kohlendioxid kann einfach per Pipeline zur Küste und auf die offene See weitergeleitet werden, wo es dann im Nordseeboden gespeichert wird. „Verglichen mit anderen Ländern sind die geografischen Bedingungen in Großbritannien optimal. Es müssen in der Regel nur kurze Strecken bis zur Küste überbrückt werden“, erklärt Beer. Ein weiterer Vorteil: Die politischen Rahmenbedingungen auf der Insel sind eindeutig, denn alle neu gebauten Kohlekraftwerke müssen künftig mit CCS-Technik ausgestattet werden. Titelthema: Energien aus der Erde Mehr Demonstrationsprojekte für die Industrie In einigen anderen Ländern, die auch keinen direkten Zugang zur See haben, ist die CO₂-Speicherung teilweise ein strittiges Thema: Gegen die unterirdische Speicherung am Festland gibt es Widerstände. Wichtige CCS-Demonstrationsprojekte können deshalb nicht realisiert werden. Gründe für die Ablehnung sind Befürchtungen, dass unterirdische Speicher das Kohlendioxid nicht sicher fixieren oder durch die CO₂-Verpressung in salinen Aquiferen Salzwasser ins Grundwasser gelangen könnte. Forschungsergebnisse haben diese Bedenken allerdings nicht bestätigt: Das Geoforschungszentrum Potsdam erprobt die Technik bereits seit Juni 2008 im Rahmen des Projekts CO₂MAN (früher CO₂SINK). Am Standort Ketzin werden dafür pro Stunde 1,5 Tonnen Kohlendioxid durch armdicke Rohre in tiefer liegende Gesteinsschichten geleitet. Linde liefert hierfür das nötige Kohlendioxid sowie Technologie zur Zwischenspeicherung und Verpressung des Gases. Am Standort gewährleisten undurchlässige Schichten aus Gips und Ton, dass der CO₂-Speicher wie in einer Käseglocke abgekapselt bleibt. Kritiker bemängeln, dass die gespeicherten Mengen in Ketzin zu gering sind, um auf die Anwendung im großen Maßstab schließen zu können. Deshalb müssen künftig auch Projekte im industriellen Maßstab folgen, um die Speicherung weiter zu erproben – ähnlich dem Projekt in Großbritannien. Es gibt allerdings weitere Hürden für die Einführung der klimafreundlichen Kraftwerkstechnik: „Die CO₂-Abtrennung und -Speicherung erfordert große Investitionen in die Technik und sie senkt auch die Effizienz eines Kraftwerkes“, erklärt Beer. Unabhängig vom eingesetzten CCS-Verfahren verbrauchen die zusätzlich dafür benötigten Anlagen Energie, um das CO₂ einzufangen. Ein Kohlekraftwerk verliert deshalb nach heutigem Stand der Technik etwa zehn Prozent an Wirkungsgrad. Viele Kraftwerksbetreiber stehen der CCSTechnik aus diesem Grund zögerlich gegenüber. Programme wie die NER-300-Förderung durch die Europäische Union sind darum sehr wichtig für die Weiterentwicklung der CCS-Verfahren. Auch Linde hat sich gemeinsam mit den Partnern Alstom und Drax mit dem OxyfuelKraftwerk-Projekt in England für die Förderung beworben. Das Projekt wird derzeit von der EU geprüft. Bekommen die Industriepartner den Zuschlag, verpflichten sie sich auch für ein langfristiges Engagement in Sachen umweltfreundliche Stromproduktion: Denn mit Inanspruchnahme der Förderung müssen die Betreiber die CO₂-Abtrennung und -Speicherung für mindestens zehn Jahre fortführen. Läuft alles nach Plan, könnte das Kraftwerk ab 2017 ans Netz gehen. Der Aufwand zur Entwicklung der CCS-Technologie ist hoch, aber er lohnt sich: „Kohlekraftwerke und Industrieverbraucher stoßen signifikante CO₂-Mengen an einem Ort aus. Damit sind sie viel wirkungsvoller mit klimafreundlicher Technik auszustatten als andere Emittenten“, erklärt Beer. Der Aufwand, um bei Privathaushalten oder im Straßenverkehr die Emissionen vergleichbar zu reduzieren, wäre viel höher. Mit CCS bedeutet ein steigender Energiebedarf nicht automatisch mehr CO₂-Emissionen – und das ist gut fürs Klima. LINK: w ww.draxgroup.plc.uk Kraftwerkstechnik // LINDE TECHNOLOGY #1.12 19 Kurzinterview „Die CO₂-Emissionen müssen reduziert werden“ Linde Technology sprach mit Dr. Bernd Holling, Experte für Carbon Capture and Storage (CCS) bei Linde, über die Vorteile, Projekte und die Zukunft der CCS-Technologie. ↳ Warum setzen Sie auf die CCS-Technologie? Nimmt man den Zusammenhang zwischen Klimaerwärmung und Treibhausgasemissionen ernst, muss der CO₂-Ausstoß begrenzt werden. CCS-Technologien kosten zwar Energie, aber der Nutzen überwiegt das Risiko des Nicht-Handelns. Die Industrienationen haben bei der Umsetzung eine wichtige Vorbildfunktion. Ohne ihre Anstrengungen wird sie sich nicht durchsetzen – das wäre für die Klimafolgen fatal. ↳ Welches Verfahren ist das Beste? Das lässt sich leider noch nicht abschließend beurteilen: Oxyfuel-Kraftwerke haben durch die höhere Temperatur einen etwas höheren Wirkungsgrad bei der Verbrennung – das ist ein Vorteil. Das Post-Combustion-Verfahren hingegen kann bisher als einzige Technologie auch bei bestehenden Kraftwerken nachgerüstet werden. Generell gilt, dass alle drei Technologien – Oxyfuel, Post- oder Pre-Combustion – die Kraftwerkseffizienz senken. Für die abschließende Beurteilung sind Demonstrationsanlagen wie in Großbritannien immens wichtig. Denn nur in der Praxis lassen sich die Technologien wirklich vergleichen. ↳ Welche weiteren CCS-Projekte gibt es bei Linde? Neben dem geplanten Oxyfuel-Kraftwerk in Großbritannien engagieren wir uns beispielsweise bei einer Pilotanlage des italienischen Energiekonzern ENEL SpA, um abgetrenntes CO₂ aufzureinigen, zu verflüssigen und zu lagern. Die Anlage entsteht bei Brindisi in Apulien. Unterstützt vom U. S. Department of Energy bauen wir zudem eine CCS-Pilotanlage in Wilsonville, Alabama. Ab 2014 sollen dort innovative Verfahren für die CO₂-Wäsche bei der Post-CombustionTechnik getestet werden. Die Anlage soll mindestens 90 Prozent des CO₂ entfernen, die Energiekosten sollen aber lediglich um 30 Prozent steigen. Titelthema: Energien aus der erde LINDE TECHNOLOGY #1.12 // Schiefergas 20 Treibstoff aus der Tiefe Mobilität erfordert Energie. Noch basieren Kraftstoffe auf Erdöl, aber der schwindende Rohstoff lässt sich ersetzen – zum Beispiel durch Erdgas. In Nordamerika werden LKW verstärkt mit Flüssigerdgas angetrieben. Das Land besitzt riesige Schiefergas-Vorkommen. Linde-Technologien helfen bei der Förderung und Aufarbeitung. Auch bei der eigenen Truck-Flotte setzt man auf LNG. Sie sind die wahren Könige der Straße: amerikanische Trucks. Ihre Welt 700 Trucks integriert. Sie sollen ab dem dritten Quartal 2012 über sind die endlosen Asphaltbänder der Interstates – den Superauto- die amerikanischen Straßen rollen, um nordamerikanische Kunden bahnen der USA. Im Bauch riesiger Sattelschlepper wird Holz von mit Flüssiggasen zu beliefern. „Ein weiterer Vorteil ist, dass die LNGder Ost- an die Westküste transportiert, und auf der Rückfahrt reisen Trucks mehr als 500 Kilogramm leichter sind als dieselbetriebene FahrFrüchte und Gemüse mit. Fast 5.000 Kilometer zieht sich allein die zeuge. Deshalb können wir das Ladegewicht erhöhen“, erklärt Ed Interstate 80 – von New York bis nach San Francisco. Dabei schlucken Windsor, zuständig für das Flottenmanagement bei Linde Nordamerika. die Verbrennungsmotoren der Trucks Unmengen Diesel. Doch es gibt Auch für den Fahrer wird es komfortabler, denn die Maschinen Alternativen: erdgasbetriebene Fahrzeuge – so genannte Natural Gas laufen deutlich leiser als die Variante mit Dieselantrieb. Bei einem Vehicles, kurz NGV. Die Rohstoffsituation ist bei Erdgas im Vergleich zu Zehn-Stunden-Tag am Steuer bedeutet das eine enorme Erleichterung. Erdöl weniger angespannt, mittlerweile ist es auch Äußerlich erkennt ein Laie kaum den Unterschied kostengünstiger. Und die NGVs bieten einen weitezwischen Diesel- und LNG-Truck. „Einzig die Kraftren Vorteil: „Erdgas verbrennt sauberer als Diesel. stofftanks sehen unterschiedlich aus“, erklärt der Das reduziert die CO₂-Emissionen um 20 Prozent, Linde-Manager. „Diesel-Trucks besitzen einen SatSchwefel um 100 Prozent sowie NOX (Stickoxide) Schiefergas deckt inzwischen 23 Proteltank aus Aluminium, die erdgasbetriebenen Fahrum bis zu 70 Prozent – und auch die Partikelemis- zent des amerikanischen Energiezeuge sind mit einem Kryotank aus hochwertigem sionen sind geringer“, sagt Earl Lawson, Vizepräsi- marktes ab. Bis 2035 sollen es nach Edelstahl ausgerüstet“, so Windsor. Mit der neuen Schätzungen der IEA 49 Prozent sein. dent für Energielösungen bei Linde Nordamerika. Truck-Flotte wird das Unternehmen selbst zum LNGAuch Linde setzt beim Antrieb der eigenen Kunden. „Das bekräftigt einmal mehr unsere ÜberLKW-Flotte verstärkt auf verflüssigtes Erdgas, kurz LNG für Liquefied zeugung, dass LNG ein vorteilhafter Treibstoff ist, und wir damit einen Natural Gas: In Süd-Kalifornien testete das Unternehmen während weiteren wichtigen Schritt in Sachen Nachhaltigkeit gehen“, sagt eines Pilotprojekts bereits die Effizienz dreier LNG-Trucks, die flüssiges Lawson. Diese Ansicht teilt mittlerweile auch die Politik: US-Präsident CO₂ im Ballungsgebiet von Los Angeles liefern. Das Ergebnis: Die Treib- Barack Obama sprach sich Ende Januar 2012 in seiner Ansprache zur stoffkosten ließen sich mit den erdgasbetriebenen Trucks um 30 Pro- Lage der Nation für den Einsatz von Erdgas im LKW-Verkehr aus und zent reduzieren. Ein wichtiger Faktor, denn die Linde-LNG-Trucks legen machte deutlich, dass er stärker auf Erdgas aus den USA setzt. Hinterpro Jahr etwa 50.000 Meilen zurück, das entspricht etwa 80.000 Kilo- grund ist, dass in den Vereinigten Staaten und Kanada in den letzten metern. Mittlerweile hat Linde 20 weitere LNG-betriebene LKW Jahren große Gasvorkommen in Schiefergestein entdeckt wurden. Das beschafft und setzt damit verstärkt auf den alternativen Kraftstoff. Die Schiefergas hat eine regelrechte Goldgräberstimmung in der Energieneuen Fahrzeuge werden nach und nach in die Linde-Flotte mit über branche ausgelöst. Mit den neuen Lagerstätten sind die USA zum größten USA Autorin: Caroline Zörlein B ildquelle: Shuli Hallak/Corbis Schiefergas: Basis für die LNG-Mobilität ↲↳ SchieferGAs // LINDE TECHNOLOGY #1.12 21 Rohstoffrausch: Durch die Schiefergas-Vorkommen sind die Vereinigten Staaten zum weltgrößten Erdgasproduzenten aufgestiegen. Titelthema: Energien aus der erde LINDE TECHNOLOGY #1.12 // SchieferGas 22 Erdgasproduzenten der Welt aufgestiegen – und haben sogar Russland überholt. Das Schiefergas deckt inzwischen etwa 23 Prozent des amerikanischen Erdgasmarktes. Nach Schätzungen der Internationalen Energiebehörde (IEA) sollen es bis 2035 sogar 49 Prozent werden. Erdgasschätze effizienter heben Aber der Gasschatz – kilometertief unter der Erdoberfläche – muss erst aus dem Gestein befreit werden. Um diese so genannten unkonventionellen Vorkommen zu erschließen, nutzen Bergbaufirmen eine ausgeklügelte Technologie, das Hydraulic Fracturing. Dabei schraubt sich ein Bohrer erst vertikal tausende Meter tief und dann horizontal in mehrere Richtungen. Anschließend werden Wasser, Sand und Chemikalien unter hohem Druck in das Bohrloch gepresst. Dadurch entstehen künstliche Risse im Gestein, die das Erdgas befreien, sodass es gefördert werden kann. „Mittlerweile sind die Bohrkosten dramatisch gesunken, und die Schiefergasgewinnung hat in den USA stark zugenommen“, erklärt Steve Bertone, Geschäftsführer von Linde Process Plants, USA. „Beispielsweise ist die Anzahl der Bohrpunkte im Marcellus Shale im Bundesstaat Pennsylvania von fast Null im Jahr 2007 auf rund 1.400 im Jahr 2010 angestiegen“, so Bertone. Auch Linde ist entlang der Wertschöpfungskette von der Förderung bis zur Reinigung des Schiefergases beteiligt: Vor allem den hohen Wasserverbrauch wollten die Erdgasspezialisten reduzieren. „Die große Wassermenge ist nötig, um ausreichend Risse zu erzeugen. Denn je größer die dadurch entstehende Oberfläche ist, desto mehr Schiefergas kann gefördert werden – und desto wirtschaftlicher ist der Prozess“, erklärt Robin Weir, Managerin für Öl- und Gas-Technologie im Team Energielösungen bei Linde Nordamerika. Dazu bietet Linde eine innovative Technologie an: Die Experten versetzen die in den Boden gepumpte Flüssigkeit mit den natürlichen Gasen Stickstoff oder Kohlendioxid. „Der Stickstoff wird flüssig geliefert, dann vor Ort verdampft und entweder als reines Gas oder gemischt mit wässrigen Lösungen als Emulsion oder Schaum in den Boden gebracht“, sagt Weir. Verflüssigtes CO₂ kann direkt injiziert werden oder ebenfalls in Kombination mit wässrigen Lösungen. Beide Gase reduzieren den Wasserverbrauch und erhö- hen die Fördermengen. „Wie viel Erdgas letztlich gewonnen werden kann, bestimmen Druck und Viskosität der eingebrachten Flüssigkeit“, sagt Linde-Expertin Weir. Und diese Eigenschaften lassen sich über den CO₂- bzw. N₂-Anteil sehr gut steuern. Ein weiterer Vorteil des Gas-/Wasser-Mixes: Es entsteht weniger Abwasser. Zwar verbleibt ein Teil der Flüssigkeit im Gestein, aber große Mengen werden nach oben gespült und müssen in Spezialbecken gelagert und entsorgt werden. Linde versorgt die Betreiber aber nicht nur mit den Gasen. Das Servicepaket beinhaltet sowohl die professionelle Lagerung der Gase vor Ort als auch Pumpen und Systeme zur Druckerhöhung, bevor die Gase der Mischeinrichtung zugeführt werden. Eine Studie über Schiefergaslagerstätten belegt die Vorteile des Verfahrens: In der Nähe von Montney in der Provinz British Columbia im Westen Kanadas lagern nach Schätzungen von Experten Erdgasvorräte von über 1.400 Billionen Kubikmetern. Die Förderanlagen in diesem Gebiet, die N₂ und CO₂ einsetzten, konnten deutlich mehr Gas produzieren und verbrauchten weniger Zusatzstoffe. „Allein die Wasserersparnis rechtfertigt den Einsatz“, so der Ingenieur Lyle H. Burke von der Beraterfirma RPS Energy in Calgary, Kanada – und Koautor der Studie. Zwar seien die Kosten der Technologie nicht unerheblich, doch das kompensiere die gesteigerte Fördermenge bei weitem. Das freigesetzte Gas muss nach der Förderung oberirdisch weiterbehandelt werden, damit Industrie- und Privatverbraucher den Rohstoff nutzen können. „Das extrahierte Schiefergas enthält verschiedene Komponenten wie Kohlendioxid, Methan, Ethan, Propan und Butan, aber auch schwerere Kohlenwasserstoffverbindungen“, erklärt Bertone. „Das Rohgas wird mithilfe etablierter Linde-Verfahren weiterbehandelt – unter anderem komprimiert und kryogen gekühlt – um es in seine Bestandteile aufzutrennen.“ Produkte, beispielsweise Methan, werden dann zu Privatund Industriekunden geliefert, während die schweren Komponenten (Ethan, Propan, Butan) von der chemischen und petrochemischen Industrie weiterverarbeitet werden. Ein begehrtes Nebenprodukt der Schiefergasvorkommen sind so genannte NGL (Natural Gas Liquids): Diese bestehen aus Ethan und schweren Kohlenwasserstoffen und bilden einen idealen Rohstoff für die Steamcracker der Petrochemie Weniger Wasser, mehr ertrag: GasWasser-Mix optimiert Förderung. Titelthema: Energien aus der Erde SchieferGas // LINDE TECHNOLOGY #1.12 23 Gesamtpotenzial Erdgas* in Billionen Kubikmeter 11 5 63 5 38 27 19 26 131 10 55 59 15 Kumulierte Förderung: (Welt gesamt: 95 Bill. m³) Ressourcen konventionell (Welt gesamt: 313 Bill. m³) 7 35 3 31 3 76 19 6 16 44 8 50 42 13 Ressourcen unkonventionell (Welt gesamt: 217 Bill. m³) Reserven (Welt gesamt:192 Bill. m³) * Quelle: DERA Rohstoffinformationen 2011 Die kumulierte Förderung bezeichnet die Erdgasmenge seit Förderbeginn. Ressourcen sind nachgewiesene, aber technisch und/oder wirtschaftlich noch nicht gewinnbare sowie geologisch mögliche Erdgasmengen. Unter Reserven versteht man nachgewiesene, zu heutigen Preisen und heutiger Technik wirtschaftlich gewinnbare Erdgasmengen. zur Olefin-Produktion. Zudem besitzt das Flüssiggas einen deutlich höheren Verkaufswert. Zur Rückgewinnung des wertvollen Rohstoffs bietet die Linde Engineering Division ein bewährtes Verfahren an: CRYOPLUS™, das mit einer Effizienz von bis zu 98 Prozent arbeitet. Und die boomende Schiefergasexploration treibt den Markt Erdgas für die Straße: Um das Schiefergas zu fördern (links), müssen künstliche Risse in tiefen Gesteinsschichten erzeugt werden. Im Tank von schweren Trucks dient das aufbereitete Erdgas als umweltfreundlicher Treibstoff (Mitte und rechts). an: In weniger als einem Jahr bekam Linde Process Plants den Auftrag für drei Flüssiggas-Rückgewinnungsanlagen im Williston-Becken sowie für eine Anlage im Anadarko-Becken. „Durch die Schiefergasvorkommen sind die USA unabhängiger von ausländischem Erdöl geworden“, erklärt Lawson. „Die LNG-Produktion schafft auch neue Jobs vor Ort – das kurbelt die Wirtschaft in der Region an.“ Erdgas ist von allen fossilen Brennstoffen die sauberste Option und kann somit auf dem Weg in eine CO₂-arme Energiezukunft von großer Bedeutung sein. Damit die Trucks künftig durchs ganze Land rollen können, ist aber eine Infrastruktur für LNG-Produktionsanlagen und LNGTankstellen nötig. Lawson: „Mittlerweile gibt es offensive Pläne, dieses Versorgungsnetz zu verbessern.“ Denn LNG dient nicht nur als Kraftstoff für LKW, sondern kann Diesel in vielen Anwendungen ersetzen: in der Schifffahrt, auf der Schiene oder bei der Energieerzeugung. Die Rohstoffquelle ist vorhanden – jetzt muss sie effizient genutzt und verteilt werden. LINK: www.eia.gov Titelthema: Energien aus der Erde LINDE TECHNOLOGY #1.12 // Oxyfuel-Verfahren 24 Kraftwerksabgase effizient abtrennen S trategie für r eines Rauchgas Kohlendioxid aus Kohlekraftwerken lässt sich im Boden speichern oder für chemische Prozesse verwenden. Dazu muss das Gas möglichst sauber sein. Linde hat ein effizientes Verfahren entwickelt, das Schwefel- und Stickstoffverbindungen herausfiltert – und die Kohlekraft umweltfreundlicher macht. Um Energie aus Kohle weitgehend klimaneutral zu erzeugen, bleibt nur ein Ausweg: Kraftwerke benötigen ein Verfahren, das Kohlendioxid in möglichst reiner Form aus dem Abgasstrom abtrennt. Erst dann lässt es sich in geeigneten Bodenstrukturen speichern oder für industrielle Prozesse nutzen. Mittlerweile gibt es bereits marktreife CCS-Kraftwerkskonzepte (CCS = Carbon Capture and Storage) – und dabei ist die Gewinnung von reinem CO₂ der Schlüsselschritt. Das etablierte Oxyfuel-Verfahren bietet dafür eine vielversprechende Lösung: Denn hierbei wird die Kohle nicht mit Luft verbrannt, wie beim klassischen Kohlekraftwerk, sondern mit reinem Sauerstoff. Der Vorteil: Der Abgasstrom ist deutlich geringer, da der Stickstoffanteil aus der Luft entfällt. Bereits seit mehreren Jahren wird das Verfahren im Vattenfall-Kraftwerk Schwarze Pumpe in Brandenburg getestet. Drei Abgassorten auf einen Streich Aber auch das Oxyfuel-Abgas muss nachbehandelt werden: Bei der Verbrennung entstehen geringe Schadstoffmengen – vor allem Schwefeldioxid und Stickoxide. Die Abgasreinigung ist fundamental, denn für die Verpressung von CO₂ in geologische Formationen gelten hohe Reinheitsstandards: So darf das Kohlendioxid eine Verunreinigung von höchstens 100 ppm (parts per million) aufweisen: In einer Million CO₂-Moleküle dürfen also nur 100 Fremdmoleküle sein. „Zwar werden Stickoxide und Schwefeldioxid schon seit rund 30 Jahren aus dem Abgas von Kohlekraftwerken gefiltert, weil sie in der Atmosphäre sauren Regen bilden. Das ungiftige aber klimaschädliche Kohlendioxid entweicht hingegen bislang“, erklärt Dr. Roland Ritter, Verfahrenstechniker bei der Linde Engineering Dresden GmbH. Die Abtrennung aller drei Abgasbestandteile – also Schwefeldioxid, Stickoxide und Kohlendioxid – ist neu. Dass eine Rauchgasreinigung im Dreierpack möglich ist, haben inzwischen Forschergruppen weltweit gezeigt. Und die Linde-Ingenieure sind bereits einen Schritt weiter: Seit 2008 läuft im Kraftwerk Schwarze Pumpe eine OxyfuelPilotanlage des Kraftwerksbetreibers Vattenfall, die alle drei Komponenten sauber abtrennt und als Nebenprodukte Gips, Pflanzendünger und reines Kohlendioxid produziert. LICONOX® heißt das neu entwi- Waschstationen für Abgase CO₂Verpressung DeNoxEinheit Kondensator Elektrische Arbeit Kessel CO₂Verdichter Brennstoff Entstaubung Entschwefelung Kühler und Kondensator Sauerstoff Rauchgasrückführung Kesselasche Flugasche Gips Wasser Autor: Tim Schröder ↳ Bildquelle: Linde AG Titelthema: Energien aus der Erde ↲ Oxyfuel-Verfahren // LINDE TECHNOLOGY #1.12 25 wandelt sich das NO in Gegenwart von Sauerstoff von selbst in NO₂ um – ganz ohne Ozon. „Für die CO₂-Verpressung muss man das Kraftwerksabgas ohnehin verdichten. Es bietet sich an, die Stickoxide unter höherem Druck zu entfernen“, erklärt Ritter. Labortests bestätigten die Idee der Linde-Experten: Wie erwartet verwandelte sich NO bereits bei 10 bar in das reaktionsfreudigere NO₂. Gaben die Forscher dann die Ammoniaklösung hinzu, bildeten sich Ammoniumnitrat und -nitrit. „Das ist nichts anderes als die Basis für flüssigen Blumendünger“, sagt Ritter. Aus Kraftwerksabgasen entsteht ein nutzbares Produkt. Die Forscher gingen noch weiter. Es gelang ihnen, gezielt Ammoniumnitrit herzustellen. Der Vorteil: Es wandelt sich durch Erwärmen in harmlosen Stickstoff um. Die Tests zeigten deutlich, dass sich das Prinzip der kalten DeNOX verwirklichen lässt. Nach den erfolgreichen Laborversuchen wurde dann eine große Testanlage gebaut, die Oxyfuel-Pilotanlage mit integrierter Gaswäsche in Schwarze Pumpe, die seit Mitte 2010 reibungslos arbeitet. Aber die Linde-Experten mussten noch eine zweite Baustelle in Angriff nehmen: Schwefeloxide, die auch aus dem Abgas entfernt werden müssen. Die neue Oxyfuel-Pilotanlage setzt dabei auf eine altbewährte Technik: In klassischen Kohlekraftwerken filtert man das schwefelhaltige Gas durch das Beregnen mit Kalkmilch heraus. Bei Vorstufe für Verpressung: Die Oxyfuel-Pilotanlage mit integrierter Rauchdieser Reaktion entsteht hochreiner Gips, der bereits seit vielen Jahren gaswäsche im Kraftwerk Schwarze Pumpe liefert hochreines CO₂. in der Bauindustrie eingesetzt wird. Eine entsprechende Rauchgasentschwefelungsanlage arbeitet auch in Schwarze Pumpe. Anders als in herkömmlichen Kraftwerken, befindet sich die Entschwefelungsanckelte Verfahren. Es steht für „Linde Cold Denitrification“, wobei NOx lage vor dem so genannten Entstickungsmodul, also der Abtrennung das chemische Symbol für Stickoxide darstellt. „Unser Konzept hat der Stickoxide. Damit ist das Rauchgas schon abgekühlt, wenn es in eine Reihe von Vorteilen gegenüber herkömmlichen und alternativen den Verdichter der DeNOx-Stufe fließt. „Daher kommt das Wort ‚cold’ Rauchgasreinigungs-Verfahren“, betont Ritter, der das Verfahren bei in unserem LICONOX®-Verfahren“, erklärt Ritter. Zwar sind inzwischen Linde mitentwickelt hat. Bei der klassischen Entstickung in her- alternative Reinigungsmodule auf dem Markt, die das Rauchgas kömmlichen Kohlekraftwerken werden die Stickoxide aus dem rund gleichzeitig von Stick- und Schwefeloxiden befreien. Aber: „Die Gase 350 Grad Celsius heißen Abgas abgetrennt, sobald es die Brennkam- werden dabei mit Wasser ausgewaschen, sodass Schwefel- und Salmer verlässt und ein Teil der Wärme abgeführt wurde. Das Gas strömt petersäure entsteht“, sagt Ritter. Das saure Abwasser greift Leitungen in einem großen Turm durch eine Art Schüttgut. Dieses Material wirkt und Behälter an und muss zudem aufwendig entsorgt werden. wie ein Autokatalysator. Zugleich wird über Düsen eine Ammoniak- Pflanzendünger und Ammoniumsalze, wie sie das Linde-Verfahren erzeugt, sind dagegen nützliche Produkte. lösung in den Turm geleitet. „Das Ammoniak Die Ingenieure sind deshalb überzeugt von reagiert dabei am Katalysator mit den Stickihrer Lösung, die inzwischen Marktreife oxiden zu harmlosem Stickstoff“, erklärt der Der CO₂-Abscheidegrad der erlangt hat. Die Entstickung bei hohem Druck Linde-Experte. Der Nachteil: Da die Abluft aus Oxyfuel-Anlage von Vattenfall beträgt mehr als 90 Prozent. hat noch einen Vorteil: „Weil das Gas bei der Brennkammer sehr viel Staub enthält, seteinem Druck von 20 Bar stark komprimiert zen sich die Katalysatoren immer wieder zu wird, kann die Anlage sehr viel kleiner ausgelegt werden – das verund müssen ausgetauscht werden – ein teurer Prozess. Eine besondere Herausforderung ist die Entstickung (DeNOx) vor ringert die Baukosten“, erklärt der Linde-Experte. allem, wenn das Rauchgas geringe Temperaturen hat und nicht unter „Auch die hohen Reinheitsstandards für die CO2-Verpressung Druck steht. In diesem Fall lässt sich Stickstoffmonoxid (NO) nur mit- erreichen wir mit der LICONOX®-Anlage spielend“, sagt Ritter. Zudem hilfe von Ozon entfernen, indem es zu Stickstoffdioxid (NO₂) oxidiert übertrifft die Technologie die vom Gesetzgeber vorgeschriebenen wird. Diese Verbindung lässt sich dann durch eine Wasserwäsche aus Abgaswerte – und bleibt rund 50 Prozent unter dem Grenzwert. Und dem Rauchgas abtrennen. Der Nachteil: Ozon ist teuer. Ritter und damit ist man bei Linde sogar für künftige, noch strengere Abgasseine Kollegen entwickelten eine effizientere Strategie, die ohne werte gewappnet. teure Katalysatoren und Ozon funktioniert. Dabei helfen ihnen die Bedingungen, die für die CCS-Technologie notwendig sind: Das CO₂ soll künftig bei einem Druck von rund 100 bar in den Untergrund LINK: gepresst werden. Bei hohem Druck laufen chemische Reaktionen oft www.vattenfall.de/de/klimaschutz-ccs.htm viel besser ab – und das gilt auch für die Stickoxide. Schon bei 10 Bar DeutschLand Titelthema: Energien aus der erde LINDE TECHNOLOGY #1.12 // Synthetisches Erdgas 26 S ynthetisches Erdgas aus Kohle Die Industrie der asiatischen Schwellenländer wächst – und der Import von Energierohstoffen wie Erdgas wird immer teurer. Jetzt setzt Südkorea verstärkt auf günstigere Kohle, die sich dank Kohlevergasungstechnologie in synthetisches Erdgas (SNG) umwandeln lässt. Linde arbeitet zusammen mit dem dänischen Unternehmen Haldor Topsøe an einer ersten Anlage dieser Art. Sie soll ab 2013 unter anderem eines der größten Stahlwerke im Land mit SNG versorgen. Stahl ist unverzichtbar für die Industriegesellschaft: Der Werkstoff Erdgas pro Jahr versorgen. Der Kernprozess der Synthesegasaufbereibildet das tragende Skelett von Hochhäusern, aus Stahlblechen ent- tung basiert auf Technologien von Linde und dem dänischen Unterstehen Autos, und jedes Jahr transportieren stählerne Ozeanriesen nehmen Haldor Topsøe. Für Claude Keller, Projektleiter bei der Linde eine Milliarde Tonnen Fracht über die Meere. Doch die Stahlerzeu- Engineering Division, ist das Vorhaben einzigartig: „Die Anfordegung benötigt enorme Mengen Energie. Südkorea zum Beispiel – rungen an die Reinheit des Gases sind besonders hoch.“ Und das eine der großen Schiffbaunationen – muss für die Befeuerung seiner Projekt verlangte aufgrund der hohen Komplexität eine sehr enge Stahlschmelzen jedes Jahr hunderttausende Tonnen Erdgas importie- Kooperation mit den Dänen. „In dieser Technologiepartnerschaft ren. Um die Kosten für Energierohstoffe zu senken, besinnt sich die haben wir von Anfang an gemeinsam geplant und so einen effiziIndustrie Südkoreas auf einen fossilen Energieträenten und zuverlässigen Produktionsprozess entger, der deutlich günstiger aus China oder Austrawickeln können“, sagt Keller. lien importiert werden kann: Kohle. Das Unternehmen Haldor Topsøe ist verantLange blieb der schwarze Brennstoff für die wortlich für die Methanisierung anhand des so 500.000 Tonnen Erdgas alternative Erdgaserzeugung unbeachtet. Bisher genannten TREMP™-Prozesses (Topsøe Recycle jährlich soll die existiert weltweit nur eine Anlage dieser Art. Doch Methanation Process). In diesem Verfahren wird Kohlevergasungsanlage Kohle lässt sich mittlerweile dank moderner Techdas zuvor aufbereitete Gas (Synthesegas), das künftig erzeugen. nik auf umweltfreundlichem Wege in hochreines aus der Kohle gewonnen wird, an einem Katasynthetisches Erdgas umwandeln – in so genanntes Synthetic Natural lysator in den Erdgasbrennstoff Methan umgewandelt. Linde liefert Gas (SNG). Die Anforderungen der Koreaner sind hoch: Das Gas aus für die SNG-Anlage die Aufbereitung und Reinigung des schmutzigen Kohle soll „Pipeline-ready“ sein, sich also direkt ins Versorgungsnetz Gasgemischs, das hauptsächlich aus den Prozesseinheiten Wassereinspeisen lassen. Entsprechend darf es keine Verunreinigungen gas-Shift, Rectisol® und Schwefelrückgewinnung besteht. Das Gasenthalten und muss einen ebenso hohen Brennwert einhalten wie gemisch entsteht im ersten Schritt – der Vergasung der Kohle – und natürliches Erdgas. Zusammen mit dem dänischen Unternehmen Hal- enthält Wasserdampf, eine Mischung aus Wasserstoff, Kohlenmodor Topsøe haben Verfahrenstechniker von Linde diese Herausfor- noxid, Kohlendioxid und allerlei Verunreinigungen wie Schwefelderungen angenommen. Derzeit entsteht in der südkoreanischen und Kohlenstoffverbindungen. „Unser Job ist es, daraus sauberes Hafenstadt Gwangyang eine erste SNG-Anlage, die den schwarzen Synthesegas zu gewinnen und dieses in dem richtigen KonzentraRohstoff in leichtes Erdgas verwandelt. Gebaut wird die Anlage vom tionsverhältnis in die Methanisierungsstufe einzuspeisen“, erklärt Stahlproduzenten Posco. Sie soll ab Ende 2013 als alternative Erd- Keller. Eine schwierige Aufgabe: „Wir dürfen dabei im Verhältgasquelle dienen und hauptsächlich Stahlwerke mit 500.000 Tonnen nis nur minimal abweichen, um letztendlich den Brennwert des SüdKorea Autor: Tim Schröder B ildquelle: Cameron Davidson/Corbis Alternative Energiequellen: Südkorea setzt auf Kohlevergasung ↲↳ Kohle in Wartestellung: Südkorea verfügt nur über geringe Rohstoffvorkommen und Bodenschätze. Die Energiewirtschaft ist stark von Kohleimporten abhängig. Titelthema: Energien aus der erde LINDE TECHNOLOGY #1.12 // Synthetisches Erdgas 28 Kohle Vergasen – Erdgas gewinnen Synthesegas Pipeline Methanisierung SNG Stahlwerk Luftzerlegung Kohlevergasung Schwefelrückgewinnung Sauerstoff Kohle WassergasShift-Einheit Rectisol®Einheit Schwefel Hochreines CO2 Kohleförderung Schlacke SNG zu garantieren. Das ist eine besonders große Herausforderung angesichts möglicher Schwankungen beim Rohstoff Kohle“, so Keller. Wie das natürliche Erdgas soll auch das SNG später hauptsächlich Methan enthalten. Es bildet sich, wenn Kohlenmonoxid (CO) und Kohlendioxid (CO₂) mit Wasserstoff (H₂) am Katalysator der Methanisierungsstufe miteinander reagieren. Die benötigten Gase entstehen direkt bei der Kohlevergasung – jedoch in einem ungeeigneten Verhältnis. Das Verhältnis dieser drei Komponenten kann durch die Wassergas-Shift-Reaktion mit nachgeschalteter Sauergaswäsche (Rectisol®) an die Anforderungen angepasst werden. Genau das haben die LindeIngenieure in Gwangyang realisiert. Sie teilen den Gasstrom nach der Vergasung auf: Im ersten Teilstrom wird überschüssiges Kohlenmonoxid aus der Vergasung umgewandelt. Dieser Prozess heißt Wassergas-Shift-Reaktion: Dabei reagiert das CO mit Wasserdampf, und es entsteht Wasserstoff und Kohlendioxid. Der zweite Strom bleibt zunächst unbehandelt (Unshift-Teilstrom) und enthält das Rohsynthesegas entsprechend dem Verhältnis aus der Vergasung. „Durch eine intelligente Regelung der beiden Teilströme können wir die strengen Anforderungen der Methanisierung gewährleisten“, sagt Keller. Linde verfügt über technisches Wissen Die Kohle wird mit Sauerstoff vergast, sodass Synthesegas entsteht. Die Konditionierung und Reinigung des Gasstroms erfolgt anhand WassergasShift- und Rectisol®-Einheit. Mithilfe eines Katalysators bildet sich in der Methanisierungsstufe dann synthetisches Erdgas (SNG), das per Pipeline zum Stahlwerk fließt. und jahrelange Erfahrung, wie sich solche Anforderungen großtechnisch beherrschen lassen. „Wir können abschätzen, wie schnell sich Veränderungen bei der Kohlevergasung am Anfang auf die spätere Methanisierung auswirken“, sagt Keller. Entsprechend ist es notwendig, dass die SNG-Anlage mit Kohle betrieben wird, deren Zusammensetzung möglichst konstant bleibt. Neben dem korrekten Einstellen der Verhältnisse im Synthesegas und der Methanisierung spielt auch die Gasreinigung eine entscheidende Rolle, bei der Verunreinigungen wie Schwefelverbindungen und überschüssiges Kohlendioxid entfernt werden. Denn diese können den katalytischen Prozess der Methanisierung stören und die Produktqualität beeinträchtigen. Hier setzt Linde in Südkorea auf den seit vielen Jahrzehnten etablierten Rectisol®-Prozess. Dabei werden aus beiden Teilströmen separat die Schwefelkomponenten und das CO₂ mithilfe des „Waschmittels“ Methanol ausgewaschen. Das mit CO₂ und Schwefelkomponenten beladene Methanol wird anschließend einer gemeinsamen Regenerierung zugeführt – das macht die Anlage kompakt und sehr effizient. Und noch etwas zeichnet den verwendeten Rectisol®-Prozess aus: Beide im Methanol gelösten Komponenten können getrennt GAse managen: Optimaler mix für die Methanproduktion. Titelthema: Energien aus der Erde voneinander regeneriert und für weitere Prozesse verwendet werden – und das macht man sich in der Anlage zunutze: In der ersten Regenerierungsstufe wird gezielt der Druck verringert und man erhält schwefelfreies CO₂, das als Produkt oder auch für weitere Prozesse wie Enhanced Oil Recovery und zur CO₂-Sequestrierung geeignet ist. Im zweiten Schritt werden durch Erwärmen des Methanols hochkonzentrierte Schwefelkomponenten frei, die bestens für nachgeschaltete Prozesse für diverse Schwefelprodukte geeignet sind. Eine solche Rectisol®-Einheit ist also sehr flexibel und im Prozessdesign an die Kundenwünsche anpassbar. Für Projektleiter Claude Keller ist eine SNG-Anlage daher mehr als ein Prozess für die SNGProduktion. „Wir betrachten sie vielmehr als ,Polygeneration’-Anlage, in der gleich mehrere Produkte hergestellt werden können.“ Die im Rectisol®-Prozess ausgewaschenen Schwefelkomponenten lassen sich ebenfalls nutzen. Dafür setzen die Linde-Experten auf ein etabliertes Verfahren, den so genannten Claus Prozess, bei dem am Ende hochreiner elementarer Schwefel entsteht, der sich industriell weiterverarbeiten lässt. Hochreines Kohlendioxid für die Industrie und CCS Letztlich ist es die Kombination aller Schritte, die diese SNG-Anlage bislang einzigartig macht. „Wir verknüpfen die zweisträngige Synthesegasaufbereitung mit kombinierter Rectisol®-Einheit und Schwefelrückgewinnung mit der Methanisierung nach dem TREMP™-Prozess. Das funktioniert nur, weil Experten von zwei Technologieunternehmen Hand in Hand gearbeitet haben“, erklärt Keller. Hinzu kommen zahlreiche und komplexe Schnittstellen, bei denen Energie- und Stoffströme ausgetauscht und integriert werden, um einen effizienten und energieoptimierten Betrieb zu gewährleisten. So ist eine hochintegrierte und effiziente Clean-Coal-Technologie entstanden, die ihresgleichen sucht und einen Maßstab für zukünftige Projekte setzt. Für POSCO-Chairman Joon-yang Chung ist das SNG-Projekt geradezu beispielhaft für eine sichere künftige Energieversorgung – die selbst Kohle sauber zu nutzen weiß. Synthetisches Erdgas // LINDE TECHNOLOGY #1.12 29 Kurzinterview „Stahlprodukte sparen auch Energie und CO₂“ Linde Technology sprach mit Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl und Vorsitzender des Stahlinstituts VDEh, über die Bedeutung von Kohle in der Stahlbranche. ↳ Wie lässt sich die Stahlbranche zuverlässig mit Energie versorgen und zudem das Klima schützen? Für die energieintensive Stahlproduktion sind Sicherheit und Bezahlbarkeit ein zentraler Faktor im internationalen Wettbewerb. Beispielsweise wurden in der Europäischen Union die fossilen Energien stark verteuert. Der Emissionshandel hat die Energiekosten der Stahlerzeuger in den letzten Jahren drastisch erhöht. Die Energiewende sollte aber auch wirtschaftliche Kriterien berücksichtigen. Wir brauchen einen technologisch orientierten Ansatz, der die Bedingungen industrieller Produktion berücksichtigt und auch die Energie- und CO₂-Einsparungen sowie die Recyclingfähigkeit von Stahlprodukten einbezieht. Stahl trägt auch zum Klimaschutz bei: Windräder oder automobiler Leichtbau sparen sechsmal mehr CO₂ ein, als ihre Herstellung verursacht. ↳ Wieso ist Kohle wichtig für die Stahlproduktion? Hochöfen können aus verfahrenstechnischen Gründen nicht ohne Kohle oder Koks betrieben werden. Der Anteil der Hochofenkonverter-Route an der Weltrohstahl-Erzeugung liegt bei rund 70 Prozent oder 1.060 Millionen Tonnen. Diese Verfahrensroute ist zudem sehr effizient, sodass man in absehbarer Zeit nicht auf Kohle in der Stahlproduktion verzichten kann. Energie für Stahl: Die importierte Kohle (oben) wird in Methan umgewandelt. Es dient als Energierohstoff im Stahlwerk (links). LINK: www.topsoe.com ↳ Welche Clean-Coal-Lösungen bieten sich an? Der Einsatz von Kohle bei der Eisenerzreduktion führt zwangsläufig zu CO₂. Zur deutlichen Verringerung der CO₂Emissionen bietet sich Carbon Capture and Storage (CCS) an. Für die industrielle Einführung dieser Technologie sind jedoch komplizierte technische Fragen und die gesellschaftliche Akzeptanz zu klären. Zudem ist diese Technologie mit erheblichen Zusatzkosten verbunden, die aus heutiger Sicht vom Stahlerzeuger im weltweiten Wettbewerb nicht finanziert werden können. Titelthema: Energien aus der Erde LINDE TECHNOLOGY #1.12 // Pearl 30 Linde-Luftzerleger für Gas-to-Liquids-Anlage D ie KraftstoffM aschine Es ist eine Petrochemieanlage der Superlative: Mit Pearl GTL hat Shell die weltgrößte Anlage zur Umwandlung von Erdgas in flüssige Treibstoffe geschaffen. Acht Luftzerleger von Linde produzieren die enormen Sauerstoffmengen, die für den Prozess nötig sind. Die Wüste lebt. Aber nicht Wasser hat die trockene arabische Halbinsel Katar zum Erblühen gebracht, sondern Erdgas. Wo vor kurzem noch Sandstürme über Geröll und verdorrte Flächen fegten, brummt heute ein gigantischer Industriekomplex: die Pearl GTL-Anlage (Gasto-Liquids) von Shell. Sie wandelt Erdgas in flüssige Kraftstoffe um. Vor allem aus der Luft beeindrucken die gigantischen Ausmaße von Ras Laffan Industrial City am Persischen Golf – Ergebnis modernster Ingenieurskunst: kilometerlange Pipelines, Reaktoren, Destillationskolonnen und Speichertanks, und auch acht der weltweit größten Luftzerleger-Coldboxen erheben sich aus dem Wüstenboden. Das Erdgas stammt aus einem der größten Vorkommen der Welt, direkt vor der Küste Katars: 260 Milliarden Kubikmeter des Energierohstoffs lagern dort. Pipelines transportieren ihn zur etwa 30 Kilometer entfernten GTL-Anlage – „dem weltweit größten Baugelände der Öl- und Gasindustrie“, sagt Andy Brown, Executive Vice President für Shell in Katar, und Managing Director von Pearl GTL. Hinter ihm türmt sich ein Industriekomplex der Superlative: 600.000 Kubikmeter Beton wurden vergossen – das würde zum Aufbau von sieben Arenen in der Größe des Wembley Stadions reichen. „Und mit den 120.000 Tonnen Stahl hätte man 15 Eiffeltürme bauen können“, so Brown. 48.000 Mitarbeiter waren insgesamt beschäftigt, um die Anlage zu bauen. Im Juni 2011 wurden die ersten Produkte aus der GTL-Anlage bereitgestellt: Kerosin für Flugzeuge, Dieselkraftstoff für Autos und Naphtha für die petrochemische Industrie. Um das Rohgas in diese Produkte umzuwandeln, sind einige Prozessschritte nötig. Zunächst müssen die Begleitgase des Methans abgetrennt werden. Diese so genannten Kondensate lassen sich durch Abkühlen gewinnen. Jeden Tag erzeugt die Anlage in Katar 120.000 Barrel (1 Barrel = 159 Liter) dieser Nebenprodukte: Propan, Butan und Ethan sind wichtige Grundchemikalien. Und auch Schwefelwasserstoff, der im Erdgas natürlicherweise vorhanden ist, muss vor dem GTL-Prozess entfernt werden. Der daraus gewonnene Schwefel ist ebenfalls eine wichtige Basis für die Chemiebranche. Nach diesen Vorreinigungsschritten fließt schließlich hochreines Methan durch die Rohrleitungen – der Ausgangsstoff für die GTL-Anlage. Eine Schlüsselkomponente für das Titelthema: Energien aus der Erde Pearl // LINDE TECHNOLOGY #1.12 31 Verfahren ist Sauerstoff. Das benötigte O₂-Gas stammt aus acht Luft- soren, die von Dampfturbinen angetrieben werden, sorgen für die zerlegungsanlagen von Linde. „Das Pearl GTL-Projekt zog den größ- Verdichtung. „Weil beim GTL-Prozess viel Wärmeenergie freigesetzt ten Auftrag nach sich, der jemals in der Geschichte der Luftzerle- wird, gibt es für die acht Luftverdichter genügend Dampf, für den es ger vergeben wurde“, erinnert sich Dr. Gerhard Beysel, Chemiker und sonst wenig Nutzungsmöglichkeit gegeben hätte“, sagt Beysel. zuständig für die Entwicklung und Vermarktung von LuftzerlegungsZusammen mit dem Sauerstoff aus den Linde-Luftzerlegern wird anlagen bei der Linde Engineering Division. Bis dahin war es ein lan- aus dem Methan zunächst Synthesegas hergestellt: Diese Mischung ger Weg, denn es musste ein überzeugendes, technisch-wirtschaft- aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff geht dann in den GTL-Reaktor: liches Konzept gefunden werden. Erste Überlegungen dazu liegen Hier warten maßgeschneiderte Katalysatoren, die von Shell entwimehr als zehn Jahre zurück – als der Ölpreis noch bei 12 Dollar pro ckelt wurden, bei 1.350 Grad Celsius auf ihren Einsatz. „5.000 Tonnen Barrel lag. Und im Jahre 2006, dem Jahr des Vertragsabschlusses dieser Katalysatoren befinden sich in den Reaktoren“, sagt Shellmit Shell, hatte sich der Ölpreis bereits verfünffacht. Der Auftrag Direktor Brown. Diese feinen Partikel haben eine extrem große Oberwar auch das anspruchsvollste Projekt in der fläche. „Zusammengenommen ist die KataLinde-Unternehmensgeschichte in Sachen lysatoroberfläche 18-mal so groß wie die Sauerstoffproduktion. „Wir bekamen den Landesfläche von Katar“, so Brown. Die SpezialDie Erdgasvorkommen vor der Küste Zuschlag von Shell, auch weil wir das Prokatalysatoren sorgen dafür, dass sich das Synzählen zu den größten der Welt: 260 Milliarden Kubikmeter lagern dort. thesegas in langkettige Kohlenwasserstoffe jekt aus einer Hand planen wollten – schlüsselfertig und in Gesamtverantwortung“, sagt (Wachse) verwandelt. Diese werden dann in Beysel. Zudem setzt Linde auf globale Vernetzung, auch bei Einkauf einer Raffinerie weiterverarbeitet: Hier spalten so genannte Hydround Fertigung. Beysel: „Dadurch wird die Voraussetzung geschaffen, cracker die Kohlenwasserstoffketten in kürzere Einheiten, die sich neben einer Topqualität auch den bestmöglichen Preis zu erzielen.“ anschließend destillieren lassen: 140.000 Barrel flüssige Kraftstoffe produziert die Shell-Anlage täglich. Ein weiteres Produkt der GTL-ReakTäglich 140.000 Barrel flüssige Energie tion ist Wasser. „Wir gewinnen sogar mehr Wasser als Wachse“, sagt Warum die GTL-Anlage in Katar entstand, ist nachvollziehbar: Eine Brown. Die Anlage benötigt kein zusätzliches Wasser. alternative Rohstoffquelle für die Kraftstoffproduktion wird durch das Bereits die Errichtung der Luftzerleger in Katar war ein Mammutknapper und teurer werdende Erdöl immer dringlicher. Die Erdgas- projekt: Die 60 Meter hohen und 470 Tonnen schweren Coldboxen vorkommen reichen dagegen deutlich länger. „Aus Erdgas lässt sich sind das Herzstück der Luftzerleger: Sie beinhalten die Plattenwärmezudem sauberer, emissionsarmer Diesel produzieren, denn hier kann tauscher und Rektifikationskolonnen aus Aluminium. Die Schlüsselder störende Schwefel im Vergleich zu Erdöl viel leichter abgetrennt komponenten stammen aus Linde-Standorten in Deutschland und werden“, erklärt Beysel. Ein weiterer Vorteil: Hat man das Erdgas in China. Dort wurden die Coldboxen für Katar als so genannte Packaged flüssige Produkte überführt, lässt es sich effizient transportieren. Units montiert. Der Vorteil: Durch die Vormontage reduziert sich „Die maximal in einem Strang baubare Luftzerlegungskapazität ist ein aufwändiger Zusammenbau vor Ort, wo brütende Hitze, Staubdurch die Luftverdichtung begrenzt, die der Verflüssigung und -zer- einwirkung und häufige Sandstürme die Montagearbeiten extrem legung vorgelagert ist“, erklärt Beysel. Deshalb waren insgesamt erschweren. Aber nicht nur für die Menschen sind die Bedingungen acht Anlagen notwendig, um den Sauerstoffbedarf zu decken. eine Bewährungsprobe, sondern auch für Material und Maschinen: „Angefangen hat Carl von Linde 1902 mit fünf Kilogramm Sauer- Schließlich herrschen im Innern der Coldboxen minus 190 Grad Celstoff pro Stunde. Heute werden in Katar bis zu 1,25 Millionen Kilo- sius – bei Außentemperaturen von 50 Grad Celsius im Schatten. gramm O₂ pro Stunde produziert“, sagt Beysel. Das ist etwa fünfzig Die Maschinenfertigung der Dampfturbinen und Verdichter lief bei mal so viel Sauerstoff wie die gesamte Bevölkerung von Katar im MAN in Oberhausen. Dort mussten die kompletten Anlagenstränge gleichen Zeitraum als Atemsauerstoff benötigt. Dank leistungsfähiger auch einen mehrwöchigen Praxistest bestehen, um zu beweisen, Maschinen lassen sich solche Mengen heute produzieren: Kompres- dass sie die geforderte Spezifikation erfüllen. Erst dann durften sie ihre Reise nach Katar antreten. Nach schrittweiser Inbetriebsetzung des Gesamtkomplexes wurden im März 2012 die Luftzerleger offiziell Zerlegte Wüstenluft: an Shell übergeben. Und die Linde-Experten arbeiten bereits an der Herzstück der Luftnächsten, noch leistungsfähigeren Generation von Luftzerlegern. zerleger (links) sind die 60 Meter „GTL-Anlagen eignen sich auch für die Verarbeitung von Schiefergas, hohen Coldboxen. das derzeit den US-amerikanischen Markt erobert“, so Beysel. Der Hitze und Sand sind Erdgas-Boom hat also gerade erst begonnen. ↲ ↳ Autorin: Caroline Zörlein Bildquelle: Linde AG Katar nicht nur für die Menschen eine Bewährungsprobe (rechts), sondern auch für Material und Maschinen. LINK: www.shell.com LINDE TECHNOLOGY #1.12 // Lebensmittelgase 32 Bunte Schalenpracht: Kartoffeln variieren in der Farbe und auch im Geschmack – von fruchtig über würzig-kräftig bis nussigsüß. Für alle Sorten gilt: Nur keimfrei landen sie auf dem Marktstand. Lebensmittelgase // LINDE TECHNOLOGY #1.12 33 Bildquelle: Jonelle Weaver/Getty Images Autorin: Andrea Hoferichter Ethengas macht Gemüse fit für den Markt ↲↳ Knollen ohne Keime Wenn Kartoffeln keimen, gelten sie als unverkäuflich. Eine neue Technologie von Linde mit einem Gasgemisch nach natürlichem Vorbild verhindert das unerwünschte Sprießen und hält die weltweit gefragte Knolle rundum frisch. Die Methode ist besonders umweltfreundlich und deshalb sogar für die Behandlung von Biokartoffeln zulässig. Mittlerweile hat die Knolle alle Kontinente erobert: Selbst in Grönland zige gekeimte Kartoffel aus einer Lieferung fischt, wird die Ware wachsen Kartoffeln, auf dem nördlichsten Acker der Welt. Das Nacht- komplett vernichtet. Sie gilt dann als nicht mehr verkehrsfähig“, schattengewächs steht heute weltweit im Rampenlicht. Ob „Linda“, berichtet Henke. Beim Kampf gegen die Knollenkeime setzen die Linde-Experten „Bamberger Hörnchen“ oder „Blauer Schwede“, ob als Knödel, Pommes oder Pellkartoffeln: Nach Angaben der Deutschen Gesell- auf das Gasgemisch BANARG®. Der Wirkstoff darin ist das natürliche schaft für Internationale Zusammenarbeit werden heute weltweit Pflanzenhormon Ethen, ein einfaches Molekül aus zwei Kohlenstoffund vier Wasserstoffatomen. Die Verbindung versetzt die 20 Prozent mehr Kartoffeln geerntet als noch vor zwanzig JahKartoffeln in eine Art Schlafphase. „Ethen ist ein leicht ren. Insgesamt sind es im Jahr rund 320 Millionen Tonsüßlich riechendes Gas, das unter anderem bei Reifenen. Und die Tendenz ist weiter steigend, vor allem prozessen oder beim Laubabwurf von Bäumen und in Asien und in vielen Schwellenländern. Sträuchern eine Rolle spielt und zum Beispiel auch Und die Knollen könnten sogar einen wichtigen von Äpfeln freigesetzt wird“, so Henke. Gemischt Beitrag leisten, um den Hunger einer wachsenmit ungefähr der fünfundzwanzigfachen Menge den Weltbevölkerung zu stillen, denn: „Kartoffeln Stickstoff, der auch Hauptbestandteil der Luft ist enthalten viel Eiweiß, Nährstoffe und Spureneleund als Verdünner dient, ist es ohne Risiko leicht zu mente. Sie sind genauso nahrhaft wie Weizen, isst jeder Weltbürger durchhandhaben. Nur in höheren Konzentrationen von brauchen aber nur die Hälfte der Anbaufläche“, schnittlich pro Jahr. über fünf Prozent kann sich Ethen entzünden. erklärt Silvia Henke, Marktentwicklung LebensDas Gasgemisch ist keine Innovation im eigentmittel bei Linde, den Trend. Henke ist in den lichen Sinn, denn es wird schon seit Jahren letzten Jahren zu einer echten Kartoffel-Exgenutzt, um Bananen in Rekordzeit reifen zu pertin geworden. Sie hat eine neue Technolassen. Und auch die keimhemmende Wirkung logie entwickelt, mit der das Keimwachstum des Naturgases ist schon seit Jahrzehnten der Erdäpfel verhindert werden kann. Im Einzelhandel gelten die krummen Keime als Todesurteil für ganze bekannt. Bisher fehlte allerdings die Technologie, um diesen Effekt Lieferungen. Sie sind nicht nur ein ästhetisches Problem – gekeimte in großem Stil für die Lebensmittelindustrie nutzbar zu machen. Dabei hat Ethen einen großen Vorteil gegenüber konventiKartoffeln verkaufen sich nicht –, sondern sie enthalten auch das giftige Alkaloid Solanin und müssen deshalb vor dem Verzehr entfernt onellen Keimhemmern: Es ist für den Anwender gesundheitlich werden. „Wenn der Prüfer auf dem Großmarkt auch nur eine ein- unbedenklich, belastet die Umwelt nicht und ist sogar für die Behand- 31,3 kilogramm Kartoffeln LINDE TECHNOLOGY #1.12 // Lebensmittelgase 34 lung von Biokartoffeln zulässig. Die konventionellen Mittel enthalten dagegen meist den chemisch-synthetischen Wirkstoff Chlorpropham, „aber mit BANARG® können die sonst nötigen aufwendigen Arbeitsschutzmaßnahmen und kostenintensive Rückstandskontrollen entfallen“, betont Henke. Chlorpropham dagegen kann bei unsachgemäßer Verarbeitung die Augen reizen und Verdauungs- und neurologische Störungen hervorrufen. Die Substanz steht sogar im Verdacht, Krebs zu erregen. Zudem wird sie nur sehr langsam abgebaut. Deshalb müssen Kartoffeln, die mit Chlorpropham behandelt wurden, in Deutschland als „Nach der Ernte behandelt“ gekennzeichnet werden. Wegen der unerwünschten Nebenwirkungen ist sogar fraglich, ob der Wirkstoff in ein paar Jahren überhaupt noch verkehrsfähig sein wird. Die aktuelle Zulassung gilt nur noch bis Ende 2018. Von Holzscheunen bis Hightech-Hallen K artoffeln weltweit Gesamtproduktion im Jahr 2010: 324 Millionen Tonnen 33% 5,2% Die größte Herausforderung, um die umweltfreundliche Ethenkur in die Praxis umzusetzen, war technologischer Natur. „Für eine erfolgreiche Behandlung muss möglichst überall im Lager und zu jeder Zeit eine optimale konstante Ethendosis herrschen“, erklärt die Kartoffel-Expertin. Eine zu geringe Menge erzeugt nicht die gewünschte Wirkung. Bei einer Ethen-Überdosierung wiederum schrumpeln die Knollen rascher und treiben sogar wieder aus. „Für PflanzkartoffelZüchter kann das vorteilhaft sein, weil sie die Triebe schneller einsetzen können“, so Henke. Die nötige sorgsame Dosierung scheint nicht umsonst auch die Achillesferse eines Konkurrenzverfahrens zu sein, das mit dem Alkohol Ethanol arbeitet. Bei dieser Methode wird der Wirkstoff Ethen erst im Kartoffellager durch eine chemische Reaktion produziert. „Unseren Messungen zufolge ist das Verfahren aber ungenauer und die Ethenkonzentration in der Lagerluft schwankt sehr stark“, berichtet Henke. 6,9% 7,2% •• •• • Afrika Asien/Ozeanien Europa Lateinamerika Nordamerika 47,5% Quelle: FAOSTAT Das Gasgemisch von Linde hingegen lässt sich sehr genau dosieren. Henke hat dafür in Zusammenarbeit mit dem Partnerunternehmen HTK Hamburg GmbH eine Steuereinheit mit bis zu acht Sensoren entwickelt, die den Ethengehalt der Luft im Kartoffellager kontinuierlich und an verschiedenen Positionen messen. Die elektronischen Spürnasen machen selbst einzelne Ethenmoleküle unter Millionen Luftteilchen ausfindig. „Die Steuerung selbst funktioniert im Grunde sehr einfach“, berichtet Henke. „Wenn zu wenig Ethen in der Luft ist, öffnet das System ein Magnetventil und dosiert Gas nach. Ist schließlich der Sollwert erreicht, schließt das Ventil wieder.“ Auch ein Sauerstoffsensor ist fester Bestandteil des Systems. „Damit wird sichergestellt, dass das Lager auch begehbar ist“, so die Expertin. Zudem lässt sich die Überwachung mit zusätzlichen Sensoren aufrüsten, die Jährlicher Verbrauch pro Kopf in Kilogramm kg 87,8 80 60,0 60 40 20 0 23,9 20,7 13,9 Afrika Asien Europa LateinNordamerika amerika Immer der Größe nach: Sortieranlagen trennen große von kleinen Knollen. Beschädigte oder gekeimte Kartoffeln werden dann von geschultem Personal entfernt. Lebensmittelgase // LINDE TECHNOLOGY #1.12 35 turbo für Tomaten Am Saisonende ist Sonne Mangelware. Hunderte grüner Tomaten warten dann auf ihre Ernte. In Gewächshäusern sind das bis zu vier Kilogramm pro Quadratmeter – bezogen auf die Jahresernte können das zehn Prozent des Ertrags sein. Doch die unreifen Früchte sind nicht verloren: Um grüne in rote Tomaten zu verwandeln, setzt man auf einen natürlichen Trick: das Pflanzenhormon Ethen. Schon geringe Mengen des Gases lassen die Früchte nachreifen – ganz ohne Sonne. Bislang wird Ethen indirekt über den Wirkstoff Etephon erzeugt. „Dabei besteht leicht die Gefahr der Überdosierung, sodass unerwünschte Rückstände auf den Früchten verbleiben können“, sagt Christoph Andreas vom Gartenbauzentrum Straelen der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen. „Wie lange das Mittel noch appliziert werden darf, ist fraglich“, so Andreas. Eine sichere Lösung bietet das Linde-Gasgemisch BANARG®: Es enthält neben Stickstoff vier Prozent Ethen. Die Ethen-Begasung ist für Bananen oder Zwiebeln in Deutschland bereits erlaubt; die Zulassung für Tomaten steht noch aus. Im November 2011 haben Tests im Gartenbauzentrum Straelen stattgefunden. Das Ergebnis: Nach spätestens einer Woche waren die Tomaten rot. „Die Versuchsreihen zeigten, dass zehn ppm (parts per million) Ethen ausreichen, um gute Ergebnisse zu erzielen und vermarktungsreife Tomaten zu produzieren, die auch geschmackvoll sind“, sagt der Agrarexperte. weitere wichtige Lagerbedingungen wie Luftfeuchtigkeit, Kohlendioxidkonzentration oder Temperatur detektieren. „Das System kann außerdem auch mit einer Lüftungsanlage gekoppelt werden, die heute in modernen Lagerhallen Standard ist“, ergänzt Henke. Die Software easyHTK MAPAX® control, entwickelt von HTK, dokumentiert die Messergebnisse, macht sie auf einem Computermonitor sichtbar und ermöglicht so eine lückenlose Kontrolle im Lager. Eine konstante Ethen-Konzentration herzustellen, war allerdings nicht die einzige Herausforderung für die Ingenieure. Sie mussten das System auch individuell an die unterschiedlichen Bedingungen und Ansprüche der Kunden anpassen. „Zum Beispiel können die Gebäude, in denen die Kartoffeln lagern, sehr verschieden sein“, erzählt Henke. Das Spektrum reicht von einer einfachen Holzscheune bis zur Hightech-Halle. So arbeiten manche Betreiber noch mit einer Stoßlüftung über die Fenster, während andere moderne Lüftungsanlagen installiert haben. Zudem sind manche Kartoffelsorten keimfreudiger als andere. Auch darauf muss die Ethendosis gut abgestimmt sein. Und nicht zuletzt sind die Ansprüche der Handelsketten und weiterverarbeitenden Unternehmen an das Aussehen der Erdäpfel verschieden. „Wenn die Kartoffeln als Ganzes in den Supermarkt kommen sollen, müssen sie besonders gut aussehen“, sagt Ausgereift: Das Pflanzenhormon Ethen macht Gewächshaustomaten schneller rot. Henke. Werden sie nach der Lagerung weiterverarbeitet, spielt die Optik dagegen keine so große Rolle. Dass die neue Technologie funktioniert, haben schon mehrere Pilotprojekte gezeigt. Ein großes deutsches Unternehmen zum Beispiel, das die Erdäpfel unter anderem zu Fertigknödeln und Kartoffelbreipulver weiterverarbeitet, attestiert der Linde-Methode die gleiche erfolgreiche Wirkung wie die Standardbehandlung mit Chlorpropham – und das ganz ohne unerwünschte Nebenwirkungen. Für die BANARG®-Anwendung bei Kartoffeln wurde Silvia Henke im November 2011 sogar vom Verein Deutscher Ingenieure e. V. (VDI) in der Kategorie „Jungingenieure aus der Industrie“ mit dem ersten Preis ausgezeichnet. Bisher wird die neue Technologie in Deutschland angeboten. Die Linde-Expertin geht aber davon aus, dass eine weltweite Karriere, wie sie die Kartoffel längst geschafft hat, nur eine Frage der Zeit ist. LINK: www.potato2008.org LINDE TECHNOLOGY #1.12 // Stahlverarbeitung 36 Weniger Spannung im Blech Im Stahlbau fliegen die Funken: Im Schiffbau oder in der Autoindustrie werden Bleche per Schweißnaht im Sekundentakt verbunden. Doch oft verziehen sich dadurch die Bauteile. Das erfordert teure Nacharbeit. Jetzt haben Ingenieure der britischen Linde-Tochter BOC gemeinsam mit weiteren Unternehmen ein innovatives Verfahren entwickelt: Sie kühlen die Schweißnaht mit CO₂ – das erhöht die Effizienz in der Produktion. Am Anfang eines Autolebens stehen meterlange Stahlbleche. In den Fabrikationshallen der Stahlverarbeiter werden sie gestanzt, geformt und gepresst – und Schritt für Schritt in die verschiedensten Karosserieteile verwandelt. Durch die präzisen Arme dutzender Schweißroboter entsteht dann ein stabiles, metallenes Autoskelett. Im Rohzustand, wenn die Bleche aus der Presse fallen, sind die Stahltafeln absolut eben. Liegen sie auf einer waagerechten Fläche, wackelt nichts. Das ändert sich schlagartig beim Schweißen: Denn der Schweißkopf heizt das Metall blitzschnell auf 1.500 Grad Celsius – und das setzt Kräfte frei, die sich beim Walzen des Bleches in der Presse aufgestaut haben. Kühlt die Schweißnaht dann ab, bleiben oft erhebliche Spannungen zurück. Entlang der Verbindungsnaht verkürzt sich das Material sogar um etwa ein halbes Prozent. Die Folge: Das Blech verbiegt sich zum Teil so stark, dass es als Kinderwippe dienen könnte. Nachbearbeitung nach sich ziehen, wie Glühprozesse oder das Fixieren und Verspannen der Werkstücke, um innerhalb der geforderten Toleranzen zu bleiben. Aber beide Optionen sind teuer – Lösungen also dringend nötig. „Eine vielversprechende Idee ist es, mit gezielter Kühlung zu arbeiten“, sagt Walter Veldsman, Spezialist für Produktionstechnologien bei der britischen Linde-Tochter BOC. Denn der Verzug falle deutlich geringer aus, wenn die Schweißnaht unmittelbar hinter dem Schweißkopf stark abgekühlt wird. Das belegen auch mathematische Modelle, Computersimulationen und Versuche, die unter anderem im Anwendungstechnischen Zentrum der Linde Gases Division in Unterschleißheim durchgeführt wurden. Bei vielen Bauteilen stellt sich allerdings der positive Effekt nur ein, wenn die Kühlung auf der Seite des Blechs erfolgt, wo auch der Schweißkopf entlangfährt – und in möglichst geringem Abstand. Andere Versuche, bei denen die Schweißnaht beispielsweise von der Unterseite des Bleches gekühlt wurde, sind für die Produktionsabläufe von Fahrzeugkomponenten nicht praktikabel. Deshalb startete im Jahr 2006 ein Konsortium aus mehreren Unternehmen und Forschungsinstituten, um das Erfolg versprechende Konzept umzusetzen. Koordiniert wurde das Projekt MALCO (Manufacture of Lightweight Components) vom britischen The Welding Institute in Cambridge. Vom britischen Gase-Hersteller BOC, einer Tochter entspannte Stahlnähte dank Gezieltem Frostschock. Kalte Eskorte für heißen Schweißkopf Von diesem problematischen Phänomen sind die Automobilhersteller besonders betroffen. Sie führen einen nicht enden wollenden Kampf gegen den Schweißstress: Man versucht beispielsweise der entstehenden Krümmung mit zusätzlichem Material entgegenzuwirken. Der Nachteil: Das Bauteil wird schwerer und treibt so später den Spritverbrauch des Autos nach oben. Ein anderer Weg kann die aufwendige Autor: Bernd Müller B ildquelle: Thomas Ernsting/laif CO₂-Kühlung sorgt für hochwertige Schweißnähte ↲↳ Stahlverarbeitung // LINDE TECHNOLOGY #1.12 37 Edle Karossen: Stahlelemente machen Autos erst robust und sicher. Kombiniert mit Aluminiumkomponenten werden moderne Fahrzeuge leichter und damit kraftstoffsparender. LINDE TECHNOLOGY #1.12 // Stahlverarbeitung 38 Fliegende Funken: Ob Fassaden in Wolkenkratzern, Schiffsrümpfe oder Autoskelette (rechts) – Stahlkonstruktionen verleihen die notwendige Stabilität. Um die Bleche unzertrennbar miteinander zu verbinden, ist Schweißen per Hand (links) oder mithilfe hochpräziser Roboterarme unerlässlich. der Linde AG, stammten große Teile der Technologieentwicklung. Mit von der Partie waren auch Anwender wie die Gestamp-Tochter Tallent Automotive, Bentley Motors und Komatsu. Rund eine Million Pfund floss in die Entwicklung, die Hälfte kam vom Technology Strategy Board, der Innovationsagentur der britischen Regierung. „Das MALCO-Projekt lief dann über vier Jahre. In dieser Zeit haben wir viel gelernt und etliche Hürden überwunden“, so Veldsman. Die größte Herausforderung war, die Kühlung möglichst nahe an den Schweißkopf zu bringen. Denn die entspannende Wirkung des kühlenden Gases kann sich nur entfalten, wenn die Schweißnaht noch mindestens 500 Grad heiß ist. Dann ist das Metall weich wie warmes Plastik und die stressbringenden Kräfte können ausgebügelt werden. „Allerdings darf die Kühlung dem Schweißkopf auch nicht zu nahe kommen, denn sonst erlischt der Lichtbogen – wie eine Kerzenflamme in der Zugluft“, erklärt Veldsman. Zur Kühlung nutzen die Linde-Experten Kohlendioxid. Denn BOC verfügt über langjähriges Know-how und bietet die komplette Peripherie zur CO₂-Versorgung und zum Abpumpen des verbrauchten Gases aus der Zelle des Schweißroboters. Um die Kühlung exakt zu dosieren, haben die Ingenieure des Gasespezialisten eine Düse konstruiert, aus der pro Minute etwa 370 Gramm CO₂ unter hohem Druck herausschießen. Das Innere der Düse ist so gestaltet, dass es darin zu einem schlagartigen Druckabfall kommt. „Der größte Teil des flüssigen Kohlendioxids erstarrt blitzartig, und aus der Düse schießen winzige CO₂-Hagelkörner“, erklärt der Linde-Experte. Diese prasseln auf die noch heiße Schweißnaht und verdampfen sofort. „Der Sprung vom festen direkt in den gasförmigen Zustand bewirkt eine enorme Kühleffizienz und übersteigt sogar die des kälteren Flüssigstickstoffs“, so Veldsman. Aber die Ingenieure mussten noch ein weiteres Problem meistern: Das CO₂ verdampfte unkontrolliert, und es bestand die Gefahr, dass es in der Nähe des Schweißkopfes den Prozess störte. Um das zu verhindern, hat das MALCO-Team einen „Vorhang“ entwickelt, der die Kühldüse eng umschließt. Allerdings entpuppte sich die Suche nach einem geeigneten Material schwieriger als gedacht, weil der Vor- Frost trifft Hitze Hinter den Schweißkopf haben die Ingenieure eine spezielle Kühldüse konstruiert. Sie bringt das flüssige Kohlendioxid gezielt auf die heiße Naht. Durch den Druckabfall an der Düse prasseln winzige CO₂-Hagelkörner auf die Oberfläche. Schweißfunken CO₂-Kühlung Stahlverarbeitung // LINDE TECHNOLOGY #1.12 39 hang nur etwa 35 Millimeter hinter dem Schweißkopf sitzt. Versuche mit Metallfasern schlugen fehl, denn das Material verbrannte schon nach kurzer Zeit: Der Vorhang bekam dort Löcher, wo er über die glühende Schweißnaht entlangfuhr, sodass CO₂ entweichen konnte und den Lichtbogen störte. „Erst durch die Idee, Glas- und Keramikfasern statt Metall zu verwenden, konnten wir diese Hürde nehmen“, so Veldsman. Die Tests zeigten, dass die Verzerrungen und Verkrümmungen bestimmter Bauteile durch die neue Technologie um etwa 40 Prozent geringer ausfallen. Damit ist das Verfahren reif für Tests unter Fabrikbedingungen. Erste Adresse: die Automobilindustrie – und dort vor allem der Projektpartner Tallent Automotive, der Achsen, Träger, Fahrwerks- und Karosserieteile an viele europäische Automobilfirmen liefert. Tallent Automotive und BOC haben gemeinsam mit The Welding Institute den Kühlkopf und den Vorhang entwickelt und patentiert. Schweißnahtkühlung hemmt Korrosion Die Automobilindustrie ist aber nicht die einzige Branche, die von der neuen Technologie profitieren könnte. „Potenzielle Anwender gibt es überall, wo viel Metall verschweißt wird – beispielsweise auch im Schiffbau“, sagt Veldsman. Eine Studie der US-Marine kommt zu dem Ergebnis, dass beim Bau einer Fregatte rund drei Millionen Dollar zusätzliche Kosten entstehen, die direkt oder indirekt auf das Nacharbeiten verformter Metallteile infolge fehlerhafter Schweißprozesse zurückzuführen sind. Interessant ist die Schweißnahtkühlung auch, weil sie noch ein weiteres Problem löst: Sie unterbindet auch einen gefährlichen Prozess im Stahl – die so genannte interkristalline Korrosion. In einem Projekt der Universität in Birmingham gingen Studierende dieser Frage nach: Dieses als Kornzerfall bekannte Phänomen tritt in eigentlich korrosionsfesten Stählen auf, wenn sich beim Schweißen Chrom mit Kohlenstoff verbindet. Durch diese Reaktion kann das Chrom die korrosionsanfälligen Eisenatome nicht mehr schützen und das Metall rostet mit der Zeit – eine Gefahr für tragende Bauteile bei Schiffen oder im Auto. Die Studenten konnten zeigen, dass mit der CO₂-Kühlung die Reaktion von Chrom und Kohlenstoff und damit auch die Korrosionsneigung verringert wird. Diese Entdeckung ruft viele Interessenten auf den Plan: Die Betreiber von Tiefseepipelines kämpfen beispielsweise mit Rost an den Schweißnähten ihrer Rohre. Auch die Atomindustrie muss Spannungskorrosionsrisse an den Schweißnähten von Reaktorbehältern verhindern, wo das Metall unter starker innerer Spannung steht. BOC hat ein Patent angemeldet, das solche Korrosionsrisse durch die Schweißkühlung verhindert. „Die Phase der Grundlagenforschung ist zu Ende“, so Veldsman. Nun geht es für ihn darum, das Verfahren für verschiedene Branchen einsatzreif zu machen. „Die Technologie ist zu 95 Prozent fertig“, sagt der Linde-Experte, „die letzten fünf Prozent sind die Umsetzung in der Fabrik vor Ort.“ Vier Patente hat BOC bereits 2011 angemeldet – und weitere sollen folgen. LINK: ww.twi.co.uk w Kurzinterview „Die Entwicklung darf nicht stehen bleiben“ Linde Technology sprach mit Roger O’Brien, Manager für Forschung und Entwicklung bei der GestampTochter Tallent Automotive, über das MALCO-Projekt und das Potenzial der Schweißnahtkühlung. ↳ Warum hat sich Tallent Automotive beim MALCOProjekt engagiert? Es gibt im Auto jede Menge Stellen, wo man beim Schweißen mit Materialverzug rechnen muss. Schweißt man beispielsweise in ein Rohr eine Gewindebuchse, kann es leicht zu Rissen kommen. Bauteile müssen dann nachgearbeitet oder sogar umkonstruiert werden. Da heute vieles am Computer entsteht und weniger Prototypen gebaut werden, fallen solche Probleme oft erst kurz vor oder während der Serienfertigung auf. Mit der MALCO-Technologie könnten wir besser verhindern, dass es künftig zu solchen Störungen kommt. Und die Entwicklung darf nicht stehen bleiben. ↳ Wie ist der Stand der industriellen Umsetzung? Gerade arbeiten wir daran, einen Schweißroboter mit der Kühlung unter realen Fabrikbedingungen in unserer Prototyp-Anlage zu testen. In der Serienproduktion setzen wir das noch nicht ein. Es gibt aber Nischenanwendungen, wo das Verfahren bereits jetzt Vorteile bringt: Wenn es um perfekte Zentrierung und Rundheit geht – beispielsweise beim Anschweißen eines dünnen Blechs an das äußere Ende eines Rohres. ↳ Ist die SchweiSSnahtkühlung wirtschaftlich? Wenn der Kunde kleinere Toleranzen bei den Bauteilen fordert, haben wir höhere Kosten. Bei hohen Stückzahlen schlägt das merklich zu Buche. Bisher waren das Kosten für die Nachbearbeitung. Wenn wir aber schon beim Schweißen die Toleranzen einhalten können, entfällt die Nachbearbeitung. Dadurch wird der Prozess für uns automatisch profitabler – und damit auch für unsere Kunden. LINDE TECHNOLOGY #1.12 // Brennstoffzelle 40 Innovative Wasserstoffanwendung ersetzt Dieselgeneratoren Mobiler Strom – Sauber und leise Wenn abseits der Netze Strom gebraucht wird, greift man meist auf Dieselgeneratoren zurück. Jetzt hat Linde eine umweltfreundliche Alternative entwickelt. Die mobile Brennstoffzelle Hymera ist wesentlich effizienter, läuft so gut wie geräuschlos und ganz ohne Abgase – dank innovativer Wasserstofftechnologie. Elektrizität kann extrem laut sein: Ein dumpfes Wummern und eine Geruchsnote wie an einer Tankstelle verraten sofort, wenn der Strom nicht aus dem Netz, sondern aus einem Generator kommt. Denn die meisten mobilen Stromerzeuger arbeiten mit diesel- oder benzinbetriebenen Verbrennungsmotoren. Das könnte sich jetzt ändern. Ingenieure der britischen Linde-Tochter BOC haben in nur drei Jahren gemeinsam mit Horizon Fuel Cells in Schanghai die mobile Brennstoffzelle Hymera entwickelt. Sie produziert Strom aus der Reaktion von Sauerstoff mit Wasserstoff – übrig bleibt Wasser. Zudem macht die Brennstoffzelle kaum Geräusche: Mit einem Schallpegel von etwa 45 Dezibel (dB) ist es neben ihr ungefähr so leise wie in einer Energie für alle Fälle: Wenn Geräuschmessungen in U-Bahn-Tunneln (rechts) anstehen, ist die leise Brennstoffzelle ein Stromlieferant der Wahl. Auch die LEDBeleuchtung von Sportstätten (oben) lässt sich damit betreiben. Bibliothek. Der Stromgenerator und die H₂-Flasche – der Sauerstoff wird der Umgebungsluft entzogen – bringen zusammen etwa 17 Kilogramm auf die Waage. Das ist leichter als ein gepackter Reisekoffer. Nach und nach erobert die stille, mobile Stromquelle unterschiedlichste Anwendungen. „Gerade haben wir eine größere Stückzahl an einen Wasserversorger geliefert“, erzählt Stewart Dow, Energieexperte bei der Linde-Tochter BOC in Großbritannien. Hymera versorgt dort die Alarmsysteme und Geräte für die Wasserstandsüberwachung. Auch das Bauunternehmen Morgan Sindall, das zurzeit in der Londoner Region neue Bahnstrecken und Tunnel baut, setzt die mobile Stromquelle ein. „Wir müssen unter anderem Geräuschmes- Brennstoffzelle // LINDE TECHNOLOGY #1.12 41 Prognose des Globalen Brennstoffzellenmarktes im Jahr 2017 • • 43 % Stationäre Stromerzeugung Frühe Märkte (z. B. Not stromversorgung, Lager technik, Mikrobrennstoffzellen) Fahrzeuge Militärische Anwendung • • Autorin: Andrea Hoferichter Bildquellen: Andreas Hub/laif, Bally/Keystone Schweiz/laif Energiepaket: Mit einer H₂-Flasche lässt sich Energie für 40 Stunden LEDLicht produzieren. ↲↲ 38 % meint BOC-Manager Dow. Konnte vor ein paar Jahren mit 100 Watt und einer klassischen Glühbirne bestenfalls der Schreibtisch ausgeleuchtet werden, sorgt die gleiche elektrische Leistung heute für gleißendes Licht beispielsweise auf Tennisplätzen, weil moderne LED-Lampen genutzt werden. Mit einer Flasche Wasserstoff produziert Hymera bis zu drei Kilowattstunden Energie: Damit können LEDLampen bis zu 40 Stunden lang betrieben werden, oder ein modernes Laptop eine ganze Woche lang. Zuverlässig, effizient und gut fürs Klima 3 % 16 % Quelle: Freedonia, Pike research Effizienzwunder: Die Brennstoffzelle Hymera punktet mit einem Wirkungsgrad von 50 Prozent. sungen machen und ein lauter Generator kommt dafür einfach nicht in Frage“, berichtet Casey Fleming, der Umweltbeauftragte des Unternehmens. Auch bei nächtlichen Wartungsarbeiten an Bahnschienen helfen die mobilen Brennstoffzellen von Linde und liefern Strom für eine ausreichende Beleuchtung. In der Baubranche gibt es noch weitere Möglichkeiten, Hymera zu nutzen. So ist die Brennstoffzelle beispielsweise sehr gut geeignet, um Bürocontainer auf noch nicht erschlossenem Terrain mit elektrischer Energie zu versorgen. Ein drittes Geschäftsfeld, das von der Technologie bereits profitiert, sind Sicherheitsdienste. Dort versorgt Hymera entlegene Überwachungskameras, die bisher mit Batterien betrieben wurden, schon heute mit Elektrizität. Denn die klassischen Stromspeicher hatten einen großen Nachteil: Sie mussten häufig gewechselt werden, was nicht nur lästig war, sondern auch die Aufmerksamkeit auf das Überwachungsinstrument lenken konnte. „Die Batterien mussten wir alle vier bis fünf Tage wechseln. Mit der Brennstoffzelle können wir eine Überwachungskamera drei Wochen lang betreiben“, erzählt Tom Ryan, der beim Überwachungstechnik-Spezialisten Advanced Monitoring in Dublin, Irland, für die Geschäftsentwicklung zuständig ist. Auch Fans von Open-AirVeranstaltungen auf der grünen Wiese profitieren von der LindeInnovation, denn sie ersetzt lärmende, stinkende Dieselgeneratoren. Bei einem der führenden britischen Zulieferer von Eventveranstaltern White Light ist eine Kombination aus Hymera und den Wasserstoffflaschen von Linde schon fester Bestandteil der Produktpalette. Hymera erzeugt eine elektrische Leistung von bis zu 200 Watt. „Das klingt erst einmal nach nicht so viel, ist aber dank moderner effizienter Technik mittlerweile für viele Anwendungen ausreichend“, Diesel- und Benzingeneratoren liefern üblicherweise elektrische Leistung im Kilowattbereich. Klassische Generatormodelle, die auf so kleine Leistungen ausgelegt sind, gibt es schlicht nicht. „In den niedrigen Leistungsbereichen hat die mobile Brennstoffzelle deshalb deutliche Wettbewerbsvorteile“, sagt Dow. Das macht sich in den Anschaffungskosten ebenso bemerkbar wie im Unterhalt, denn Hymera punktet auch in Sachen Energieeffizienz. Konventionelle Generatoren haben für geringere elektrische Leistungen nur einen Wirkungsgrad von wenigen Prozent. Bei Hymera sind es 50 Prozent. So schont die neue Brennstoffzelle nicht nur die Ohren, unsere Gesundheit und den Geldbeutel, sondern auch das Klima. Einzig Batterien sind noch effizienter, aber dafür in anderen Punkten unterlegen – nicht nur wenn es um Videoüberwachungen geht. Bleibatterien sind um ein Vielfaches schwerer, was auf Kosten der Mobilität geht. Lithiumbatterien können zwar vom Gewicht her mithalten, sind aber deutlich teurer. Ein weiterer Konkurrent der mobilen Brennstoffzelle ist die Photovoltaik. Sie muss sich aber in Sachen Zuverlässigkeit und Flächenbedarf geschlagen geben. „Die Stromproduktion via Solaranlagen funktioniert nachts gar nicht – und in nebligen oder schattigen Gebieten nur eingeschränkt“, so Dow. Selbst bei optimalen Rahmenbedingungen hängt die Stromernte noch vom Wetter ab, sodass Solaranlagen für eine sichere Stromversorgung sehr groß ausgelegt werden müssen. „Für eine 100-WattAnwendung bräuchte man ein drei-Kilowatt-Panel. Das entspricht einer Fläche von über 20 Quadratmetern und ist für viele Anwendungen gar nicht umsetzbar“, meint der BOC-Experte. Während sich die 200-Watt-Brennstoffzelle gerade zum Verkaufsschlager mausert, haben die Ingenieure Modelle für weitere Leistungsklassen im Visier, von wenigen bis einigen hundert Watt. „Die Brennstoffzellentechnologie ist sehr ausgereift“, sagt Dow. „Wenn die Hersteller, mit denen wir zusammenarbeiten, die nötigen Komponenten verfügbar haben, könnten wir nächstes Jahr marktreife Modelle präsentieren.“ Eine Herausforderung ist die Markteinführung – wegen der enormen Anwendungsvielfalt. Dow: „Es ist ein wenig wie in den Anfängen der Computerindustrie. Schon heute gibt es bis zu hundert mögliche Anwendungen für die mobile Brennstoffzelle. Und jedes Jahr werden es mehr.“ Geräuschlose stromproduktion: Ruhe wie in einer Bibliothek. LINK: www.horizonfuelcell.com LINDE TECHNOLOGY #1.12 // Wasserstoff 42 Markus Bachmeier, Leiter Hydrogen Solutions bei der Linde AG H₂-Mobilität: Ein Interview zum Stand der Technik „Wasserstoff ist jetzt im Halbfinale“ Brennstoffzellenautos, Speichertechnologien und Infrastrukturaufbau – die Wasserstoffmobilität nimmt Gestalt an. Im Gespräch mit „Linde Technology“ erläutert Markus Bachmeier, Leiter Hydrogen Solutions bei der Linde AG, den aktuellen Stand der Technik und gibt eine Einschätzung zur Zukunft von H₂. ↳ Herr Bachmeier, Linde steht wie kein anderes Unternehmen für die Wasserstofftechnologie. Geben Sie uns einen kurzen Einblick in Ihre aktuelle Arbeit? Nun, derzeit befinden wir uns in einer intensiven Phase der Detailarbeit. Wir haben in der Vergangenheit ja bereits mit zahlreichen Pilotprojekten gezeigt, dass die Wasserstoffmobilität machbar ist. In den letzten Jahren konnten sowohl fahrzeug- als auch infrastrukturseitig große Fortschritte hin zu marktfähigen Systemen und Produkten erzielt werden. Weltweit sind aktuell 215 H₂-Tankstellen in Betrieb – und mehr als 100 in der konkreten Planung. Jetzt geht es darum, die nächste Ebene zu erreichen: Unsere Kollegen in Wien bauen beispielsweise eine Kleinserienfertigung für die ionischen Verdichter auf, und in München entwickelt unser Team die Kryopumpen-Technologie weiter. Parallel sprechen wir intensiv mit allen Marktbeteiligten – von der Autoindustrie bis zu den Energieversorgern – über weitere Entwicklungen und Projekte. So wird die Wasserstofftechnologie auch bei der Speicherung von Windstrom immer wichtiger. Es gibt hier vielversprechende Ansätze ... ↳ ... die aber alle noch weit von der Marktreife entfernt sind. Das mag sein. Der Aufbau einer Infrastruktur für neue Energieträger erfordert sehr viel Detailarbeit – und braucht eben Zeit. Aber anders als bei den Übergängen von Holz auf Kohle und dann zu Erdöl, haben wir dieses Mal keine 50 Jahre Zeit. ↳ Klimaschutz, Energiewende und auch die Initiativen in Schwellenländern drücken aufs Entwicklungstempo. Viele Studien und Programme in Sachen Mobilität Wasserstoff // LINDE TECHNOLOGY #1.12 43 Sehen das Jahr 2015 als wichtigen Meilenstein. Wie weit ist dann die Wasserstoffmobilität? Interview: Michael Kömpf Bildquelle: Linde AG Wir werden den Ausbau der H₂-Infrastruktur weiter vorantreiben, das ist klar. Und man kann beispielsweise unser 20-H₂Tankstellen-Projekt zusammen mit Daimler als einen wichtigen Impulsgeber sehen. Ich gehe davon aus, dass wir im Jahr 2015 eine weitaus größere Zahl von Wasserstofftankstellen haben. So sind in Großbritannien, Skandinavien, Frankreich und den Beneluxländern neue Initiativen entstanden. In den USA und Japan werden bestehende Projekte weiter ausgebaut. In Südamerika plant São Paulo jetzt eine Flotte von 25 Wasserstoffbussen. Für die Gesellschaft und selbst für die Medien ist ja die „einfache“ Eröffnung einer Wasserstofftankstelle schon nichts Besonderes mehr. Mittlerweile verstärken auch andere Unternehmen ihre Aktivitäten im Infrastruktur- und Fahrzeugbereich. Der Mercedes B-Klasse F-CELL ging bereits 2010 in eine Kleinserie mit fast 200 Fahrzeugen für Europa und USA; ab 2014 startet die Produktion großer Stückzahlen. Und auch Toyota, Hyundai und GM/Opel wollen im Jahr 2015 Brennstoffzellenautos in Serie bauen. Selbst die chinesischen Autobauer sind bereits auf dem Weg. Linde ist dabei ein wichtiger Schrittmacher – und das wollen wir auch über 2015 hinaus bleiben. ↲↲ ↳ Aber es hat sich ja ein regelrechtes Wettrennen zwischen Batterie- und Brennstoffzellenautos entwickelt. Wer gewinnt Ihrer Meinung nach? Ich bin kein Prophet, sondern orientiere mich an Fakten und Marktdaten. Aus meiner Sicht ist nach dem enormen Hype um die Elektromobilität – den es übrigens auch beim Wasserstoff gab – Ernüchterung eingetreten. Alle Beteiligten haben erkannt, dass noch viele entscheidende Details zu klären sind. Linde besitzt erwiesenermaßen eine große Expertise bei der Wasserstofftechnologie und wird diese erfolgreich und konsequent weiterentwickeln. Und dass die H₂-Technologie Erfolg verspricht, lässt sich ja auch am Auftauchen völlig neuer Marktteilnehmer festmachen. Der Markt ist sehr dynamisch geworden. Es kommen sogar Spieler wieder zurück aufs Feld, die sich schon verabschiedet hatten – oder zumindest auf der Ersatzbank saßen. Um im Sprachbild des Fußballs zu bleiben, würde ich sagen: Wasserstoff ist im Spiel der alternativen Kraftstoffe bereits im Halbfinale. ↳ Und bei den hohen Spritpreisen dürfte das Endspiel schon bald anstehen, oder? Nun, die unaufhörlich steigenden Benzin- und Dieselpreise zeigen uns in erster Linie wie wichtig es ist, frühzeitig Alternativen aufzubauen. Und das nicht nur aus Umweltgesichtspunkten, sondern auch aus volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aspekten. Denn die individuelle Mobilität wollen wir ja auch in 20 Jahren noch genießen – und bezahlen können. Hierfür bietet Wasserstoff eben eine umweltschonende und dauerhafte Alternative. Aus diesem Grund halte ich es für entscheidend, dass wir Grüner Wasserstoff mit Zertifikat In Leuna produziert Linde Wasserstoff aus Nebenprodukten der Biodieselherstellung. Jetzt wurde der grüne Wasserstoff vom TÜV SÜD zertifiziert. Es hat sich gezeigt, dass der von Linde entwickelte Pyroreforming-Prozess auf Basis von Rohglycerin bereits als Pilotanlage ein Treibhausgas-Reduktionspotenzial von über 50 Prozent im Vergleich zur konventionellen Wasserstofferzeugung aus Erdgas aufweist. Eine voll ausgereifte kommerzielle Produktionsanlage bietet sogar ein Einsparpotenzial von bis zu 80 Prozent. Auch zur Hannover Messe 2012 versorgte Linde Brennstoffzellenfahrzeuge von GM/Opel, Volkswagen, Honda und Toyota mithilfe seiner mobilen Betankungseinheit trailH₂-gas mit dem grünen Wasserstoff. diesen Weg gemeinsam mit Industriepartnern und Regierungsverantwortlichen intensiv weiter beschreiten. Denn der Benzinpreis könnte sehr viel schneller steigen, als man die Infrastrukturen für alternative Treibstoffe aufbauen kann. Das müssen wir unbedingt vermeiden. ↳ Mit dem Zertifikat für grünen Wasserstoff hat Linde auch einen weiteren Meilenstein erreicht. Richtig. Mit dem grünen Wasserstoff aus Leuna steht uns erstmals ein zertifizierter Kraftstoff zur Versorgung von emissionsfreien Brennstoffzellenfahrzeugen in ganz Deutschland zur Verfügung. ↳ Wagen Sie eine Prognose zu Wasserstoff im Jahr 2025? Heutzutage veralten Prognosen sehr schnell. Fest steht: Wir werden gemeinsam mit unseren Forschungs- und Industriepartnern weitere Einsatzstoffe testen und Technologien zur nachhaltigen Wasserstofferzeugung und -nutzung weiterentwickeln, um einer umweltschonenden, globalen Wasserstoffmobilität mit einem spürbaren Marktanteil im Jahr 2025 ein gutes Stück näher zu sein. LINK: w ww.cleanenergypartnership.de LINDE TECHNOLOGY #1.12 // WASSERaufbereitung 44 Durstige Felder: Die Landwirtschaft verschlingt 70 Prozent des gesamten Weltwasserverbrauchs. Die Niederschläge reichen in trockenen Regionen nicht aus – und die Meerwasserentsalzung wird immer wichtiger. WASSERaufbereitung // LINDE TECHNOLOGY #1.12 45 Bildquelle: Janet Forster/Getty Images Autorin: Caroline Zörlein Kohlendioxid sorgt für eine ausgeglichene Wasserchemie ↲↳ D urst nach Meerwasser In Wüsten ist Wasser Mangelware – und nicht nur dort: Dass Flüsse versiegen und der Grundwasserpegel sinkt, ist ein weltweites Problem. Mit Entsalzungsanlagen lässt sich Meerwasser trinkbar machen. Doch um das kostbare Nass zu nutzen, muss es speziell aufbereitet werden – dabei hilft CO₂-Technologie von Linde. ohnehin wenig Niederschlag fällt.“ Zugenommen hat die BedeuDie Wasserressourcen auf der Erde werden immer knapper. tung des Grundwassers: Es stellt heute weltweit fast die Hälfte Viele Regionen leiden bereits heute unter akutem Wassermandes gesamten Trinkwassers, heißt es im Weltwasserbericht der gel – und die Lage spitzt sich weiter zu. Die Ursachen für das Vereinten Nationen. Der Grundwasserspiegel sinkt bereits schwindende Lebenselixier sind bekannt: Der fortschreiweltweit rapide ab – teilweise bis zu einem Meter pro tende Klimawandel, die parallel dazu wachsende WeltJahr. Anlässlich des Weltwasserforums im März 2012 bevölkerung und die sich ändernden Lebensgewohnin Marseille, Frankreich, warnten Umweltschutzorheiten erhöhen den Wasserverbrauch. Vor allem ganisationen vor einer weiteren Zuspitzung der die Landwirtschaft und der steigende FleischWasser verbergen sich in einer globalen Wasserkrise. „Auch wenn in Westkonsum verschlingen viel vom wertvollen Getränkedose. europa die Situation derzeit weitgehend Nass. Und auch die Industrie benötigt Wasentspannt ist, kann das nicht darüber hinser für die Produktion von Autos, Medikawegtäuschen, dass wir uns bereits mitten in menten und Kunststoffen. Wasser stecken in einem Paar Jeans – einer globalen Wasserkrise befinden“, sagte Von außen ist es dem blauen Planet so viel wie in einem Swimmingpool. Martin Geiger, Leiter des Bereichs Süßwasnicht anzusehen, dass er unter H₂O-Mangel ser beim WWF Deutschland. Eine Analyse leidet: Immerhin sind fast zwei Drittel der der Umweltorganisation hat ergeben: Seit der Erde mit Wasser bedeckt. Doch nur 2,5 ProWasser werden zur Herstellung Jahrtausendwende kam es weltweit zu über 50 zent der 1,4 Milliarden Kubikkilometer Wasser eines Autos gebraucht. gewaltsamen Konflikten, die mit der Nutzung von entfallen auf direkt nutzbares Süßwasser. Und Wasser zusammenhängen. davon sind wiederum fast 70 Prozent in Gletschern Während in den industrialisierten Staaten sauberes eingeschlossen. Hinzu kommt: Süßwasser ist zudem extrem ungleich auf der Erde verteilt. „Vor allem die boomenden Metropol- Wasser selbstverständlich ist, haben laut den Vereinten Nationen regionen Asiens, die immer mehr Menschen beherbergen, werden weltweit etwa 900 Millionen Menschen keinen ausreichenden immer durstiger“, sagt Dr.-Ing. Stefan Dullstein, Leiter des Industrie- Zugang zu sicherem Trinkwasser. Nach ihren Schätzungen werden segments Aquakultur & Wasserbehandlung der Linde Gases Division. im Jahr 2025 zwei Drittel der Weltbevölkerung von Wasserknappheit „Zudem befinden sich diese Ballungszentren häufig in Regionen, wo betroffen sein. Ab 2070, so warnt eine aktuelle Studie, könnte aber 3 LITER 11.000 LITER 380.000 LITER LINDE TECHNOLOGY #1.12 // WASSERaufbereitung 46 auch Mitteleuropa unter Wassermangel leiden. Zudem wird häufig übersehen, so die UN-Wissenschaftsorganisation Unesco, dass viele Industriestaaten ihren steigenden Wasserbedarf mithilfe ärmerer Ländern decken. Großbritannien beispielsweise importiert 62 Prozent des genutzten Wassers als so genanntes virtuelles Wasser in Form von Reis oder Fleisch. Ausgeglichene Wasserchemie dank CO₂ Viele Regionen in Nordafrika, dem Mittleren Osten oder Australien, den USA und Mexiko sind auf die Entsalzung von Meerwasser angewiesen, um Trinkwasser bereitzustellen und Landwirtschaft betreiben zu können. Heute existieren weltweit etwa 12.000 größere Anlagen zur Meerwasserentsalzung, die insgesamt 36 Millionen Kubikmeter Trinkwasser pro Tag produzieren, so die Deutsche MeerwasserEntsalzung e. V. (DME) – Tendenz steigend. Damit hat sich die Meerwasserentsalzung zu einem weltweiten Wachstumsmarkt entwickelt. „Bei der Entsalzung entsteht jedoch reines H₂O, also Wasser ohne Mineralien. Es ist nicht zum Trinken oder für die Bewässerung von Feldern geeignet“, erklärt Dullstein. Normalerweise enthält Trinkwasser viele verschiedene Mineralien. Um es mit diesen wichtigen Inhaltsstoffen wie beispielsweise Kalzium- und Magnesiumverbindungen anzureichern, muss aber erst der pH-Wert des Wassers gesenkt werden. Dieses Ansäuern lässt sich zwar auch mit Salz- oder Schwefelsäure erreichen. Viel natürlicher und umweltfreundlicher funktioniert dieser Schritt aber mit Kohlendioxid, da so unnatürlich hohe Konzentrationen an Chlorid- und Sulfatverbindungen im Wasser vermieden werden. Der Vorteil von Kohlendioxid: „Es kommt auch natürlicherweise im Süßwasser vor“, so Dullstein. Ein geringer Teil des gasförmigen CO₂ reagiert mit Wasser zu Kohlensäure, einer so genannten schwachen Säure: Diese zeichnet sich durch ein sehr gutes Pufferverhalten aus. Das bedeutet: Der pH-Wert des Wassers ändert sich kaum, auch wenn Säuren oder Basen zugegeben werden. „Das ist wichtig für eine ausgeglichene Wasserchemie“, sagt der Linde-Ingenieur. „Wenn man das leicht saure Wasser anschließend über einen Marmorfilter rinnen lässt oder mit Kalkmilch versetzt, löst sich das darin enthalte Kalzium in Form von Kalziumbikarbonat im Wasser.“ Wenn Kalk und Kohlensäure im chemischen Gleichgewicht miteinander stehen, wird weder Kalk gelöst noch abgeschieden. Überschüssiges CO₂ würde die Leitungen angreifen und Korrosionsschäden an Beton- und Metallrohren verursachen. Enthält das Wasser hingegen zu wenig gelöstes Kohlendioxid, kommt es zu unerwünschten Kalkablagerungen in den Leitungen und an Armaturen. Um das Gas mit der richtigen Dosierung ins Wasser zu bringen, haben die LindeIngenieure das SOLVOCARB®-System entwickelt. Das Angebot reicht von der bloßen Bereitstellung des flüssigen Kohlendioxids bis hin Trinkwasser in Balance Das Rohwasser durchläuft zuerst einen Qualitätscheck (QH₂ O ). Enthält es hohe Metallkonzentrationen werden diese durch Sauerstoff in der Solvox®-Einheit entfernt. Anschließend dosiert der Solvocarb®-Reaktor Kohlendioxid hinzu und bringt den pH-Wert des Wassers ins Gleichgewicht. Wasserwerk Solvox®R-Reaktor Rohwasserbrunnen QH o 2 Solvocarb®Reaktor Reinwasserspeicher Verbraucher ph Kohlendioxid flüssig MessEinheit Bypass-Prinzip: Um größere Wassermengen mit CO₂ zu versetzen, wird ein Teil abgezweigt, und dann dem Hauptstrom wieder zugeführt. WASSERaufbereitung // LINDE TECHNOLOGY #1.12 47 Wasser in Wartestellung: Ein Techniker kontrolliert die Umkehrosmose-Einheiten, die zur Meerwasserentsalzung nötig sind (oben). Bevor das Rohwasser (links) verwendet werden kann, muss es die CO₂-Anreicherung Solvocarb® von Linde durchlaufen (rechts, vorne). zur Installation der kompletten Gasregelstrecke mit Druckminderern, Regelventilen und Eintragssystemen. Ob das Kohlendioxid per Diffusionsschlauch, Reaktor oder Düse ins Wasser eingetragen wird, hängt von den Dimensionen der Anlage und den Anforderungen vor Ort ab. Für die CO₂-Einspeisung in Druckrohrleitungen wurde beispielsweise das SOLVOCARB®-D-Verfahren entwickelt. Dabei injiziert eine Edelstahldüse das Gas direkt in den fließenden Rohwasserstrom. Bei diesem Verfahren benötigt das Kohlendioxid allerdings auch eine gewisse Verweilzeit und damit eine Reaktionsstrecke, um sich im Wasser zu lösen. Für größere Wassermengen haben die Linde-Experten deshalb eine andere Lösung entwickelt. „In diesem Fall zweigen wir einen Teilstrom ab und legen einen Bypass. Dieser wird dann über spezielle Düsen oder Druckbehälter mit CO₂ hochangereichert und wieder in den Hauptstrom zurückgeführt“, erklärt Dullstein. Simulationen für optimalen CO₂-Eintrag zungsanlagen. „Auch Wasser aus kalkarmen Regionen oder Talsperren weist meist ein zu geringes Puffervermögen auf – und benötigt daher den CO₂-Zusatz. Der Bedarf hängt stark von den geologischen Gegebenheiten ab“, sagt Dullstein. Die größte Herausforderung bei Trinkwasseranlagen ist die gleichmäßige Verteilung des Gases in den riesigen Wassermengen. Um eine effiziente Lösung für die jeweilige Anforderung zu entwickeln, setzen die Gasespezialisten auch auf Simulationen, so genannte fluiddynamische Simulationsverfahren. „Im Falle einer Trinkwasseranlage in Australien hatte der Betreiber Sorge, ob sich das Kohlendioxid gleichmäßig verteilen lässt. Denn das Wasser fließt in einem künstlichen, offenen Kanal“, erinnert sich der Ingenieur. Die Linde-Experten konnten diese Bedenken mithilfe der Simulationsverfahren ausräumen: Wenn der mit CO₂ angereicherte Bypassstrom über mehrere Düsen mit dem Hauptwasserstrom vereinigt wird, sorgen Verwirbelungen für eine optimale Durchmischung der Ströme. Über die Variation der Eintragstiefe und Düsenausrichtung konnte das Team um Dullstein die beste Konstellation finden. „Ein Erfolgsrezept ist es, gemeinsam mit dem Kunden maßgeschneiderte Lösungen zu entwickeln. Dank unserer Expertise hat er immer die Gewissheit, dass ausreichende Mengen CO₂ zur richtigen Zeit vorhanden sind“, sagt der Linde-Ingenieur. Und das Know-how der Wasser-Experten wird in Zukunft gefragt sein: Vor allem die rasant wachsenden Megastädte stehen vor großen Herausforderungen, ausreichend Trinkwasser für ihre Bewohner bereitzustellen. Die Wasserversorgung der Welt zu verbessern, ist eine Mammutaufgabe – auch die Gasespezialisten von Linde leisten hierzu einen wichtigen Beitrag. H₂O für Megacities: HErausforderung der Zukunft. Bei einer Meerwasserentsalzungsanlage in Algerien haben die Linde-Experten einen SOLVOCARB®Drucksättiger installiert: Dort sprudeln jährlich 2.000 Tonnen Kohlendioxid in das wertvolle Nass – und machen es für die Menschen und die umliegende Landwirtschaft nutzbar. Dafür stehen Tankanlagen mit flüssigem CO₂, Verdampfer, Druck- und Mengenregelung bereit – alles in doppelter Ausfertigung, um eventuell mögliche Ausfälle zu kompensieren. Denn: Ohne die Linde-Technik würde kein Wassertropfen die Aufbereitungsanlage verlassen. Auch eine australische Meerwasserentsalzungsanlage setzt auf Kohlendioxid: Die Sydney Desalination Drinking Water Plant nutzt CO₂, das bei industriellen Prozessen anfällt, um das blaue Gold nutzbar zu machen. Bis zu 6.000 Tonnen des Gases fließen dafür jährlich in die Anlage. Mithilfe des Kohlendioxids lassen sich täglich bis zu 250 Millionen Liter Wasser produzieren – das entspricht etwa 15 Prozent des Wasserbedarfs von Sydney. Aber die Linde-Ingenieure kümmern sich nicht nur um die richtige Wasserbalance von Entsal- LINK: www.waterfootprint.org LINDE TECHNOLOGY #1.12 // Intensivmedizin 48 Herz-OP: Stickstoffmonoxid erweitert verengte Lungenarterien Entspannung b ei Hochdruck Bei akutem Sauerstoffmangel leiden alle Organe. Zum Beispiel bei Lungenhochdruck, wenn dieser vor, während oder nach einer Herz-OP auftritt. Mit der INOmax®-Therapie von Linde lässt sich der Druck in den Lungengefäßen senken. Das Medizingas Stickstoffmonoxid entspannt die verengten Blutgefäße, sodass sich die Herzfunktion und Sauerstoffversorgung verbessern. Eine Herzoperation geht an die Substanz. Sowohl bei Kindern als auch Erwachsenen hängt das Leben dabei häufig am seidenen Faden. Egal ob Bypass, Herzklappe oder Organtransplantationen: Viele Eingriffe sind zwar mittlerweile Routine im medizinischen Alltag. Die OPs erfordern dennoch die volle Konzentration eines Ärzteteams. „Wäh- Geringer Blutfluss Stickstoffmonoxid (NO) Angespannte Muskelzelle Höherer Blutfluss rend einer Operation kann sich der Zustand des Patienten jederzeit schlagartig verändern“, sagt Berit Lindh von Linde Healthcare im schwedischen Lidingö. Bei einigen Patienten kann es zu einer Verengung der Blutgefäße kommen, die das Blut vom Herzen zur Lunge führen – mit gefährlichen Folgen: Bei dieser so genannten Vasokonstriktion steigt der Blutdruck in den Pulmonalarterien, also den Lungenschlagadern, immer weiter an. Das verursacht Lungenhochdruck und belastet in der Folge die rechte Herzkammer, die das Blut zur Lunge pumpt. Und nicht nur das: Von der Lunge gelangt dann weniger Sauerstoff aus der Atemluft ins Blut. Das belastet den Kreislauf zusätzlich und birgt die Gefahr eines schwerwiegenden Sauerstoffmangels im gesamten Körper. Um das zu verhindern und den Kreislauf der Patienten wieder zu stabilisieren, gibt es in der Intensivmedizin mehrere Möglichkeiten – eine davon ist INOmax®: eine Therapie mittels Stickstoffmonoxid, kurz NO. „Klinische Studien haben gezeigt, dass die Gabe von NO den erhöhten pulmonalarteriellen Druck reduziert“, erklärt Lindh. „Dadurch verbessert sich die Rechtsherzfunktion, der Blutkreislauf und damit auch die Sauerstoffzufuhr.“ NO wirkt selektiv auf den Lungenkreislauf Entspannte Muskelzelle Mehr Blutfluss dank entspannter Muskeln: Wenn sich Muskelzellen anspannen, verengen sich die Gefäße und es fließt weniger Blut. NO entspannt die Muskeln, erhöht Blutfluss und Sauerstoffversorgung. In Europa gibt es jährlich etwa 420.000 Herzoperationen. Erhalten die Patienten das medizinisch geprüfte Inhalationsgas, gelangt es mit der Atemluft bis in die Lungenbläschen und dann weiter in die Blutgefäße der Lunge. Dort setzt das Stickstoffmonoxid (NO) eine biochemische Reaktion in Gang, für deren Aufklärung die USAmerikaner Ferid Murad, Robert Furchgott und Louis J. Ignarro 1998 den Nobelpreis für Medizin und Physiologie erhielten (siehe Textkasten): Wie körpereigenes NO signalisiert INOmax® den Gefäßen, sich zu entspannen und damit zu weiten. Intravenös gegeben, erweitert Stickstoffmonoxid (Nitroglycerin) alle Arterien und verbessert Intensivmedizin // LINDE TECHNOLOGY #1.12 49 NO – Kleines Molekül, groSSe Wirkung ↲ ↳ Bildquelle: Linde AG Autorin: Clara Steffens Für die Aufklärung der Wirkungsweise des zweiatomigen Moleküls Stickstoffmonoxid (NO) gab es 1998 den Nobelpreis für Medizin und Physiologie. Gebildet wird NO in den Endothelzellen, der inneren Zellschicht der Arterien. Der Botenstoff diffundiert aber rasch zu den tiefer gelegenen glatten Muskelzellen und aktiviert dort die so genannte Guanylatcyclase (GC). Das Enzym produziert schließlich den Botenstoff zyklisches Guanosinmonophosphat (cGMP), das eigentliche Signalmolekül für die Entspannung (Relaxation) der glatten Muskelzellen. Die Folge: Je mehr cGMP zum Beispiel in den Muskelzellen der Lungenarterien vorhanden ist, desto dehnbarer sind die Gefäße – und desto eher kann der Blutdruck auf dem Weg vom Herz in die Lunge wieder sinken. den Blutfluss – und damit die Sauerstoffversorgung in allen Organen und Geweben des Körpers. Zugleich kann es aber auch einen Blutdruckabfall auslösen. Anders bei der Inhalation von Stickstoffmonoxid: Der direkte Transport über die Atemluft an den gewünschten Wirkort ist ein großer Vorteil: „Das inhalierte NO wirkt selektiv auf den Lungenkreislauf“, betont Lindh. Allein der Lungenhochdruck wird reduziert – und damit auch die Überlastung der rechten Herzkammer. Das verbessert die Sauerstoffzufuhr. Linde Healthcare vertreibt das Inhalationsgas INOmax® seit fast zwölf Jahren. Etwa 300.000 Patienten wurden weltweit bereits mit dem gasförmigen Medikament intensivmedizinisch behandelt: INOmax® ist für die Behandlung des Lungenhochdrucks bei Neugeborenen seit 2001 zugelassen und gilt seither als Standardtherapie bei der Behandlung von Lungenfehlfunktionen. Kürzlich hat die Europäische Kommission INOmax® für Patienten aller Altersklassen neu zugelassen, wenn bei ihnen im Rahmen einer Herzoperation ein Lungenhochdruck auftritt. Europaweit werden in Zukunft rund 10.000 Patienten pro Jahr von der INOmax®-Therapie profitieren. In der Regel reicht eine Behandlung über etwa 24 bis 48 Stunden aus, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Inhaliertes NO kann aber auch über mehrere Tage verabreicht werden. „Egal wie lange die NO-Zufuhr dauert – wichtig ist, dass das Absetzen danach schrittweise erfolgt“, warnt Lindh. Denn eine zu schnelle Entwöhnung von der Therapie birgt das Risiko des so genannten Rebound-Effekts: Der Druck in den Lungenarterien steigt wieder an, und der Kreislauf wird erneut instabil. Wie die Entwöhnung optimal gestaltet und mit welchen NO-Konzentrationen bei welchen Patienten am besten begonnen werden sollte, lernen Intensivmediziner, Anästhesisten und Pflegepersonal bei Schulungen, die Linde Healthcare ebenfalls anbietet. „INOmax® ist für uns mehr als nur ein Medikament: Wir bieten den Kliniken ein komplettes Thera- piesystem samt Geräten, klinischer Unterstützung und Training – das umfasst alles vom Service bis zur technischen Unterstützung“, erklärt Lindh. „Unser INOvent®-Abgabesystem lässt sich mit allen gängigen Apparaturen kombinieren und stellt die richtige Verdünnung mit dem jeweiligen Sauerstoff-/Luftgemisch sicher“, so Lindh weiter. Linde Healthcare kümmert sich auch um regelmäßigen Service und um die Wartung der Geräte. Von alldem profitieren vor allem die Patienten: „Dank der Überprüfung durch die europäische Arzneimittelagentur haben Ärzte und Krankenschwestern die Sicherheit, dass sie ihre Patienten im Fall der neuen Indikation mit dem zugelassenen Arzneimittel behandeln können“, so Roel Kellenaers, Leiter von Global Marketing, Sales and Business Development, Linde Healthcare. „Die INOmax®-Therapie ist ingesamt sehr sicher“, sagt Lindh. Wie bei allen Medikamenten sind Nebenwirkungen natürlich nicht auszuschließen. Und wenn doch, dann sind diese in der Regel abhängig von der Dosis. So wurde bei einigen Patienten zum Beispiel eine geringere Anzahl an Blutplättchen und damit verlängerte Blutungszeiten beobachtet. Neben der Gefäßerweiterung bei Lungenhochdruck wird NO in Form von Nitroglycerin-Sprays oder -Tabletten bereits seit langem in der Therapie der Herzerkrankung Angina pectoris eingesetzt. Zudem ist NO wichtig für die Signalweiterleitung im Gehirn, für den Geruchssinn und bei der Immunabwehr. Weltweit laufen Forschungsprojekte zu dem medizinischen Potenzial dieses farblosen Gases – und es ist noch lange nicht ausgeschöpft. LINK: www.nhlbi.nih.gov/health/health-topics/topics/hlw/system.html LINDE TECHNOLOGY #1.12 // Biotechnologie 50 K raftschub für Zellfabriken Die Zukunft der Industrie steckt in der Natur. Weil Erdöl knapp wird, müssen verstärkt nachwachsende Rohstoffe genutzt werden. Den Schlüssel dazu liefert die Biotechnologie mit maßgeschneiderten Mikroorganismen. Experten von Linde Gas Deutschland und Linde Engineering Dresden wollen die Zellfabriken jetzt auf Höchstleistungen trimmen – mithilfe von Sauerstoff. Sie haben weder Biologie studiert noch einen Doktortitel in Chemie. Dennoch managen lebende Zellen ein kompliziertes biochemisches Räderwerk. Menschen nutzen die Talente von Einzellern wie Bakterien, Hefen oder Pilze schon lange: Käse, Wein und Joghurt, aber auch Penicillin sind bekannte Beispiele für die Leistung der Mikroorganismen. Die optimal aufeinander abgestimmten Stoffwechselprozesse, die in den Zellen ablaufen, hätte kein Chemieingenieur besser konstruieren können. Auf Zucker gebaut Die industrielle Biotechnologie benötigt eine ausreichende Zuckerversorgung. Der süße Rohstoff stammt vor allem aus Zuckerrohr und -rübe, aber auch aus Mais, Weizen und Maniok. 160 Millionen Tonnen Kohlenhydrate werden weltweit jedes Jahr von Mikroorganismen umgesetzt. Dennoch übersteigt die globale Zuckernachfrage seit der Jahrtausendwende regelmäßig die Produktion. Spitzenreiter sind die USA und Brasilien: Sie benötigen mehr als drei Viertel der globalen Zuckerproduktion für die Fermentation, vor allem für die Bioethanol-Gewinnung. Die EU-27 benötigt für die industrielle Biotechnologie rund 5,5 Millionen Tonnen Zucker. Weltweit wird intensiv an der Umwandlung von Agrarreststoffen sowie Holz in Zucker gearbeitet, um der wachsenden Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion zu begegnen. Zahlen: ECO SYS Die Industrie hat die Qualitäten der Zellfabriken längst erkannt und nutzt den Ideenreichtum der Natur zur Herstellung von Pharmawirkstoffen, Grundchemikalien und Biokraftstoffen. „Die Biotechnologie hat das Zeug dazu, die chemische Industrie künftig völlig umzukrempeln und auf eine grüne Basis zu stellen. Denn die Mikroorganismen können Biomasse besonders effizient in nützliche Verbindungen umwandeln“, sagt Johann Kaltenegger, Anwendungstechniker in der Marktentwicklung Chemie der Linde Gases Division. Komplexe Wirkstoffmoleküle, Enzyme, aber auch Massenchemikalien wie Zitronensäure oder Futtermitteladditive wie die Aminosäure Lysin lassen sich mit maßgeschneiderten Bakterienstämmen und speziell gezüchteten tierischen Zellkulturen viel eleganter und kostengünstiger produzieren. „Ein wichtiges Verfahren in der Biotechnologie ist die Fermentation, also die großtechnische Kultivierung der Mikroorganismen, die beispielsweise Glukose oder Stärke in chemische Produkte umsetzen“, so Kaltenegger. Der Lebensraum der winzigen Chemiefabriken sind so genannte Fermentationsreaktoren: Die riesigen Behälter aus Edelstahl sind mit einer wässrigen Nährstofflösung befüllt und können beheizt, gekühlt, begast und gerührt werden. Bei 30 bis 40 Grad Celsius fühlen sich die meisten gegenwärtig kommerziell genutzten Zellen besonders wohl und vermehren sich rasch. „Neben dem zuckerhaltigen Futter brauchen die Mikroorganismen aber für viele Produkte auch Sauerstoff“, erklärt Dr. Michael Buchmann, Disziplin-Manager Industrielle Biotechnologie bei der Linde Engineering Dresden GmbH. Denn viele Fermentationen in der pharmazeutischen und der Spezialchemie-Industrie verlaufen aerob, also mithilfe von Sauerstoff. Das Lebensmolekül O₂ ist eine wichtige Substanz für alle Zellen: Es ist essentiell für die Atmung, kurbelt Autorin: Caroline Zörlein B ildquelle: Science Photo Library/Agentur Focus Sauerstoff macht biotechnologische Prozesse leistungsfähiger ↲↳ Biotechnologie // LINDE TECHNOLOGY #1.12 51 Frischluft im Fermenter: Mit der richtigen Sauerstoffversorgung wachsen Mikroorganismen schneller. Bei Biotech-Prozessen erhöht dies oft die Ausbeute des gewünschten Produkts. LINDE TECHNOLOGY #1.12 // Biotechnologie 52 Chemiedesign im Bio-Gewand: In den riesigen Edelstahl-Fermentern lassen sich die optimalen Wachstumsbedingungen für die Zellen einstellen (links und unten rechts). Die richtige Sauerstoffversorgung ist beim Kultivieren von Bakterien wichtig (unten), aber auch bei der Fermentation von tierischen Zellen, die zum Beispiel monoklonale Antikörper produzieren (unten links). etliche Stoffwechselprozesse an und trimmt sie auf Höchstleistungen. Und bei vielen Biotech-Prozessen gilt: Je mehr Biomasse erzeugt wird, desto größer ist die Ausbeute am gewünschten Produkt. Herrschen also optimale Wachstumsbedingungen im Fermenter, spiegelt sich das direkt im Ertrag wider. Ein Rührwerk sorgt für eine gute Durchmischung. „Bei steigendem Sauerstoffbedarf muss man die Rührergeschwindigkeit aufgrund des Wachstums der Zellen erhöhen. Das führt zu einer stärkeren Dispergierung der eingebrachten Luftblasen und wegen der vergrößerten Oberfläche zu einer Erhöhung des Sauerstoffeintrags“, sagt Dr. Karl-Heinz Schneider, Global Drug Discovery bei der Bayer AG. Mehr Sauerstoff, weniger Rühren „Meist ist der natürliche Sauerstoffgehalt in der Luft mit knapp 21 Prozent zu gering für eine optimale Sauerstoffversorgung der Zellen, insbesondere wenn hohe Wachstumsraten gefordert sind“, sagt Buchmann. Es besteht die Gefahr von Sauerstoffmangel und damit einem schlechteren Zellwachstum – vor allem dann, wenn die Mischung sehr viskos ist. „Damit sich unter diesen erschwerten Bedingungen genügend O₂ im Wasser löst, muss entweder sehr stark gerührt oder ein höherer Gasdruck angelegt werden“, erklärt Kaltenegger. Doch diese Strategie hat auch Nachteile: Starkes Rühren kann sensible Zellen beschädigen oder sogar zerstören. „Bei der biotechnologischen Produktion von monoklonalen Antikörpern werden nahezu ausschließlich tierische Zellen verwendet, die extrem scherempfindlich sind“, erklärt Johanna Leisling, Anwendungstechnikerin in der Marktentwicklung Chemie der Linde Gases Division. Diese Kulturen können nur leicht gerührt werden. „Um den wachsenden O₂-Bedarf dennoch zu decken, werden diese mit einem Gemisch aus Luft und Sauerstoff begast“, sagt Schneider. „Für die Fermentation von tierischen Zellen wird also immer reiner Sauerstoff benötigt“, so der Bayer-Experte. Denn die Alternative, den O₂-Gasdruck zu erhöhen, ist nicht vorteilhaft: Zwar können die Zellen dann leichter Sauerstoff aufnehmen, aber Kohlendioxid auch schwerer in das umgebende Medium abgeben. Das behindert die Atmung der Zellen und macht sie unproduktiver. Deshalb verfolgen die Experten der Linde Gases Division gemeinsam mit ihren Kollegen von Linde Engineering in Dresden eine andere Strategie gegen den O₂-Mangel: Sie wollen die Brutluft mit reinem Sauerstoff anreichern. „Teilweise haben bereits die Kunden den Wunsch, O₂-reicheres Gas einzusetzen – beispielsweise im Pharmabereich. Hier wird wegen der empfindlichen Zellkulturen häufig sogar besonders reine synthetische Luft verwendet, also eine Gasmischung von 20 Prozent Sauerstoff und 80 Prozent Stickstoff“, weiß Buchmann. Versuche im Labor haben bereits gezeigt, dass aerobe Fermentationen von mehr Sauerstoff deutlich profitieren. Um die Vorteile für Biotech auf Hochtouren: O₂ macht Prozesse wirtschaftlicher. Biotechnologie // LINDE TECHNOLOGY #1.12 53 Biotech-Prozesse im Produktionsmaßstab zu untermauern, haben die Linde-Ingenieure neben Wirtschaftlichkeitsberechnungen auch Computersimulationen durchgeführt. „Unsere Basis war das Bakterium Escherichia coli in einem 50 Kubikmeter großen Fermenter – ein gängiges System in der Biotechnologie zum Beispiel zur Insulinherstellung. Mithilfe der Simulationsmodelle konnten wir genau untersuchen, wie viel Biomasse sich bei normaler Luftbegasung und bei Sauerstoffanreicherung über die Zeit bildet“, erklärt Buchmann. Bunte Biotech-Welt Ein Farbcode erleichtert die Zuordnung der biotechnologischen Anwendungsfelder. Die Weiße Biotechnologie nutzt die Werkzeuge der Natur wie Bakterien, Hefezellen oder Enzyme zur industriellen Produktion. Vor allem in der Ernährung bereichern Produkte der Weißen Biotechnologie schon jahrtausendelang das Leben der Menschen: Wein, Brot, Bier, Käse oder Joghurt lassen sich nur mittels Mikroorganismen herstellen. Mittlerweile helfen die natürlichen Werkzeuge auch bei der Produktion von Grund- oder Spezialchemikalien. Die Rote Biotechnologie, angelehnt an die Farbe des menschlichen Blutes, macht heute den größten Bereich aus und beschäftigt sich mit der Entwicklung neuer therapeutischer und diagnostischer Verfahren. Medikamente wie Antikörper oder Hormone sind bekannte Beispiele. Die wissenschaftlichen Grundlagen bildet die moderne Genforschung. Der grüne Blattfarbstoff Chlorophyll hat der Grünen Biotechnologie ihren Namen verliehen. Dabei widmet man sich der Züchtung neuer Pflanzensorten und entwickelt anhand molekularer Methoden beispielsweise verbesserte Nutzpflanzen und ertragreichere Sorten. Die Blaue Biotechnologie konzentriert sich auf Organismen der Ozeane. Besonders interessant für die Forscher: Hitzestabile Enzyme aus Tiefseebakterien, die in der Nähe heißer, unterseeischer Vulkane leben. Zellkulturen im Sauerstoffbad Die Ergebnisse sprechen für sich: Wird der O₂-Gehalt auf 30 Prozent erhöht, haben sich durch die damit erzielbare hohe Wachstumsrate bereits nach 15 Stunden 50 Gramm Biomasse pro Liter gebildet. Zum Vergleich: Sprudelt Umgebungsluft in den Fermenter, sind nach 60 Stunden erst 30 Gramm Biomasse pro Liter entstanden. Zudem lassen sich durch mehr Sauerstoff im Reaktionsgefäß auch höhere Zelldichten, also mehr Mikroorganismen pro Volumen, kultivieren. Durch den zusätzlichen Sauerstoff wird die Apparatur zum Hochleistungsfermenter. Buchmann: „Der Biotech-Prozess läuft besser ab. Wir verzeichnen ein schnelleres Wachstum in kürzerer Zeit und damit auch mehr Ausbeute an Produkt.“ Ein weiterer Vorteil: Es bildet sich oft weniger Schaum im Bioreaktor. Dank des Sauerstoffs muss weniger Gas durch die Lösung sprudeln. Auf so genannte chemische Entschäumer, die den Biotech-Prozess stören können, lässt sich also gegebenenfalls verzichten. Aber das schnelle Wachstum der Mikroorganismen birgt auch Risiken, weiß Leisling: „Wenn der Zellstoffwechsel auf Hochtouren läuft, wird deutlich mehr Wärme produziert. Und das macht natürlich leistungsfähigere Kühlsysteme erforderlich.“ Die aufwendigere apparative Ausstattung verursacht aber nur zu Beginn Mehrkosten. Denn die Linde-Experten konnten mit ihrer Wirtschaftlichkeitsstudie zeigen, dass diese durch den schnelleren Biotech-Prozess, Einsparungen bei Energie und Nährstoffmedium sowie eine geringere Abwasserproduktion überkompensiert werden. „Eine O₂-Versorgung zu installieren, ist zudem unkompliziert, denn die Bioreaktoren besit- Wachstumsmarkt Biotechnologie Weltweite Umsätze in Milliarden Euro 2005 2010 Quelle: DIB, McKinsey 20 20 15 10 15 10 10 5 0 zen bereits die Vorrichtung zum Einsprudeln der Luft“, erklärt Leisling. Das Sauerstoffversorgungssystem von Linde, OXIMIX®, und das dazugehörige Mess- und Regelsystem FLOWTRAIN® können also einfach integriert werden. Das Turbo-Wachstum mithilfe von Sauerstoff soll in Zukunft auch von einer Forschungsgruppe am Chemisch-Biotechnologischen Prozesszentrum in Leuna (siehe Beitrag in LT #2/2011) noch genauer untersucht werden. Dort forschen Wissenschaftler der Fraunhofer Gesellschaft gemeinsam mit Linde-Mitarbeitern und anderen Industrieunternehmen sowie wissenschaftlichen Partnern u. a. an der Entwicklung neuer Biotech-Verfahren. „Denn trotz aller Vorteile ist die Biotech-Szene noch etwas skeptisch“, so Kaltenegger. „Wenn ein Bakterienstamm das richtige Produkt mit guter Ausbeute herstellt, reicht das den meisten.“ Aber der Linde-Experte ist überzeugt, dass sich die Einstellung „Never change a running system“ in den nächsten Jahren ändern wird, weil die O₂-Anreicherung großes Ertragspotenzial bietet. 5 2,5 PharmaWirkstoffe Chemikalien, Polymere Enzyme LINK: www.europabio.org LINDE TECHNOLOGY #1.12 // Insektenfalle 54 Umweltfreundlich gegen Moskitos Sommerzeit ist Mückenzeit. Bislang können nur Insektizide und UV-Lichtfallen die Blutsauger abwehren. Aber darunter leiden auch nützliche Bienen. Die Firma Biogents AG hat eine umweltfreundliche Falle gegen die Moskitos entwickelt: Sie arbeitet mit Kohlendioxid von Linde. Jährlich grüßt die Insektenplage. Kaum ist es warm genug, um die Sommerabende auf der Terrasse oder im Garten zu verbringen, schon schwirren die ersten Blutsauger – und die Stiche jucken an Beinen und Armen. Bislang half nur die chemische Keule, um sich vor den lästigen Moskitos zu schützen. Doch Mückensprays enthalten Insektengifte, die auch Nützlinge schädigen können. Eine in Deutschland neue Methode setzt auf eine völlig andere Strategie: Mit Kohlendioxid lassen sich die stechenden Plagegeister an der Nase herumführen und gezielt fangen. Im Vergleich zu Insektiziden ist die Alternative umweltfreundlich. Kohlendioxid ist für beinahe alle Mücken in Mitteleuropa einer der wichtigsten Lockstoffe. Auch Menschen atmen etwa ein Kilogramm CO₂ pro Tag aus. Das Gas führt die Insekten wie auf einer unsichtbaren Geruchsspur zur Blutmahlzeit. Die Schwäche der Mücken für Kohlendioxid wird ihnen mit der neu entwickelten Falle zum Verhängnis. Die Firma Biogents AG hat zusammen mit Forschern der Universität Regensburg eine einfache, aber effektive Lösung entwickelt: Der Mosquitaire™ Plus lockt die geflügelten Plagegeister per CO₂ in die Falle. Das Gas stammt von der Linde-Tochter Unterbichler Gase GmbH und wird unter dem Produktnamen BIOGON® C vertrieben. Dr. Stephan Schmitz, Leiter Produktmanagement bei Linde Gas Deutschland, hat die Mückenfalle bereits im eigenen Garten getestet – und ist begeistert: „Die Falle ist leicht aufzubauen, man schließt nur Strom und BIOGON® C an und sie läuft.“ Der Mosquitaire™ Plus selbst besteht aus einem Kunststoffbehälter. Aus einer Düse strömt das angeschlossene CO₂, das die Atemwolke imitiert – je nach Einstellung 200 bzw. 500 Gramm pro Tag. In der Mitte befindet sich ein Loch, in das die angelockten Moskitos über einen Lüfter angesaugt werden. Dort landen sie in einem Beutel und können nicht mehr flüchten. Nur die Mückenweibchen gehen in die Falle. Denn nur diese saugen Blut, während sich die Männchen von Pflanzennektar ernähren. Die Autorin: Ulrike Feigl Bildquellen: M. Barraud/Getty Images, Bayer AG Mückenfang mit CO₂ ↲↳ Entwickler versprechen bis zu 85 Prozent weniger Stiche durch die neue Lösung. „Und bei längerem Betrieb der Falle lässt sich auch die Mückenpopulation an sich deutlich reduzieren. Denn jedes Weibchen kann in seinem Leben etwa 200 Eier legen – aus denen dann wieder neue Stechmücken schlüpfen“, erklärt Schmitz. Die Falle imitiert aber nicht nur die menschliche Atemwolke, sondern auch den Körpergeruch – und zwar durch ein einfaches Kreislaufsystem: Der künstliche Atem wird ebenso wie die Stechinsekten in das Gerät gesogen. Darin wird die mit CO₂ angereicherte Luft umgeleitet und über einen Geruchspender mit kleinen Mengen an Substanzen versetzt, die auch im menschlichen Schweiß vorkommen. Dieser Duftmix strömt großflächig aus der Oberseite der Falle. Dadurch wird der Kohlendioxid-Lockstoff angereichert und gleichzeitig noch reizvoller gemacht. So werden die Mücken aus einer Distanz von bis zu 20 Metern angelockt. Und im Gegensatz zu Insektiziden oder UV-Lichtfallen, die alle Insektenarten, also auch Blütenbestäuber und Nützlinge anzieht, ist die CO₂-Falle tatsächlich selektiv für Stechmücken. „Denn der Mosquitaire™ Plus simuliert den Menschengeruch. Er ist deshalb nur für Blutsauger attraktiv und für Bienen, Schmetterlinge oder Marienkäfer uninteressant“, erklärt Schmitz. Ausgetrickste Mückennasen: 85 Prozent weniger stiche. LINK: www.biogents.com LINDE TECHNOLOGY #1.12 // Impressum 02 Impressum Herausgeber: Linde AG Klosterhofstraße 1, 80331 München Telefon +49.89.35757-01 Telefax +49.89.35757-1398 www.linde.com Redaktion: Verantwortlich: Dr. Thomas Hagn, Linde AG; wissen + konzepte, München #1. 12 Bildredaktion: Judith Schüller, Hamburg Layout: wissen + konzepte, München; Almut Jehn, Bremen Anfragen und Bestellungen an: Linde AG, Kommunikation Klosterhofstraße 1, 80331 München oder [email protected] Hinter jeder hervorragenden Leistung stehen Menschen mit Ambition. Diese Heftreihe sowie weitere Fachberichte stehen unter www.linde.com als Download zur Verfügung. Nachdrucke oder elektronische Verbreitung nur mit Zustimmung des Herausgebers. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle (und bei vollständiger Quellenangabe) ist die Nutzung der Berichte aus „Linde Technology“ ohne Einwilligung des Herausgebers nicht gestattet. ISSN 1612-2224, Printed in Germany – 2012 Bildquellen: Titel: Linde AG // Seite 04/05: Laurance B. Aluppy, Don Farrall, Sean Gallup/Getty Images, Roche PR // Seite 06/07: Linde AG // Seite 08/09: Frank Siemers/laif, Linde AG (2) // Seite 11: Linde AG // Seite 12/13: Linde AG (2), Novosti/SPL/Agentur Focus, BKA // Seite 14/15: picture-alliance/ dpa, Linde AG (2), Hollandse Hoogte/laif, Image Source/Getty Images // Seite 16: John Zoiner/ Getty Images // Seite 18/19: Linde AG (2), Cuthbert/SPL/Agentur Focus // Seite 21: Shuli Hallak/ Corbis // Seite 22/23: Linde AG, Roy Morsch/Corbis, Justin Sullivan/Getty Images // Seite 24/25: Linde AG // Seite 27: Cameron Davidson/Corbis // Seite 28/29: plainpicture/Design Pics, ddp images, Bloomberg/Getty Images, Linde AG // Seite 30/31: Linde AG (2) // Seite 32: Jonelle Weaver/ Getty Images // Seite 34/35: Linde AG (4), Ruiz/Treal/laif // Seite 37: Thomas Ernsting/laif // Seite 38/39: Getty Images, plainpicture/Cultura, Tallent Automotive Limited // Seite 40/41: Andreas Hub/laif, Bally/Keystone Schweiz/laif // Seite 42: Linde AG // Seite 44: Janet Forster/Getty Images // Seite 46/47: Bloomberg/Getty Images, Yu Fangping/Imaginechina/laif, Linde AG // Seite 48/ 49: Linde AG // Seite 51: Science Photo Library/Agentur Focus // Seite 52/53: Linde AG, Ingram/ Getty Images, Roche PR (2) // Seite 54: M. Barraud/Getty Images, Bayer AG Mehr Erdgas fördern: 670.000 Kubikmeter Stickstoff erzeugen die beiden Luftzerleger des Linde-ADNOCGemeinschaftsunternehmens Elixier stündlich. N₂ macht die Erdgasproduktion in Abu Dhabi effizienter. Ein außergewöhnliches Projekt: Europas größte Erdgasverflüssigungs-Anlage in Norwegen wurde mit dem Know-how der Linde Group errichtet. Ein perfektes Beispiel dafür, dass wir als eines der weltweit führenden Gase- und Engineeringunternehmen mit rund 50.500 Mitarbeitern in mehr als 100 Ländern innovative Ideen entwickeln, die den Horizont des menschlich Machbaren konsequent erweitern. Herausragende Ingenieurkunst, Exzellenz im operativen Bereich und der Antrieb, bei Technologien und Innovationen weltweit neue Maßstäbe zu setzen, unterstützen uns dabei, richtungsweisende Schritte in eine lebenswerte Zukunft zu machen. Weitere Informationen über The Linde Group finden Sie online unter www.linde.com. LINDE TECHNOLOGY #1.12 LINDE TECHNOLOGY Ausgabe # 1. 1 2 TITELTHEMA: Energien aus der Erde CO₂ abtrennen Klimafreundliche Kohlekraft Schiefergas nutzen Rohstoffe effizienter fördern Kohle Umwandeln Synthetische Erdgasproduktion Kriminaltechnik Mit Gasetechnologie auf Spurensuche METALLVERARBEITUNG Bauteile verzugsfrei schweißen Wasseraufbereitung E ntsalztes Meerwasser trinkbar machen Neue Wege für mehr Effizienz und Klimaschutz Herausgeber Linde AG Klosterhofstraße 1 80331 München Telefon +49.89.35757-01 Telefax +49.89.35757-1398 www.linde.com Energien Aus der Erde