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Januar 2012_Juli 2010 23.01.12 11:43 Seite 8 Assale Ibrahim Assale Ibrahim Halima 8 Januar 2012_Juli 2010 23.01.12 11:43 Seite 9 Assale Ibrahim Wael Mansour Assale Ibrahim Wael Mansour und Assale Ibrahim Halima 9 Wie ein Burgfräulein schaut Andrea aus dem Raum des Großmeisters im Südturm Das Interview vor der Show Liebe Assale, ich habe dich vor Jahren während der Orientale in Düsseldorf kennengelernt und war durch die intensive Ausstrahlung deines Tanzes fasziniert. Nun hast du ein neues Tanzprojekt entwickelt, „El Khalil“, der Begleiter. Kannst du dich und dein Projekt den Leserinnen vorstellen. Gerne möchte ich dich und die Leserinnen auf ein ganz besonderes Tanzevent aufmerksam machen. Es verbindet orientalischen Tanz, Livemusik und Poesie auf einmalige Art und Weise und heißt „El Khalil - Der Begleiter". Den Namen und die Inspiration für mein neues Tanzprojekt erhielt ich durch die Werke des orientalischen Philosophen und Dichter Khalil Gibran, der auch im Westen bekannt ist. El Khalil ist arabisch und hat als Begriff eine Reihe von Bedeutungen. Es kann ein inniger Freund oder ein treuer Begleiter sein. Das erste Teil ist den Liebesbriefen von Khalil Gibran an die libanesisch-palästinensische Poetin May Ziadeh (18861941) gewidmet. Diese veröffentlichten Briefe sind einzigartige literarische Zeugnisse einer bezaubernden Seelenverwandtschaft zweier Schriftsteller, die zwanzig Jahre lang miteinander korrespondierten, sich aber nie persönlich begegneten. Im ersten Teil werden diese tänzerisch interpretiert. Nach Khalil Gibrans Tod beendete May Ziadeh ihre Schreibkunst. Im zweiten Teil steht das Buch „Der Prophet“ von Khalil Gibran. Wir haben verschiedene Lebensbereiche zwischen Leidenschaft und Vernunft getanzt, gespielt und rezitiert. Es werden Themen aufgegriffen, die viele Menschen gleichermaßen beschäftigen und bewegen. Die Performance ist durch Bilder von Khalil Gibran bereichert. Seine Malerei, Gemälde in Öl und Aquarell, ist hierzulande kaum bekannt. Oft haben diese einen symbolisch-philosophischen Aspekt. Bevor wir auf deine Tanzperformance kommen, erzähl uns mal ein bisschen über dich selbst. Du bist im Irak geboren. Wann und wie kamst du in die Schweiz? Ich bin in einer großen Familie im Irak aufgewachsen. Als Kind war ich immer die Träumerin und das liebe Mädchen, das bei jedem Anlass singt und tanzt. Später wurde ich das schwarze Schaf, nicht absichtlich. Tief in mir drin war ein großer Freiheitsdrang und ich hatte das Bedürfnis, weit weg zu gehen. Fürs Studium habe ich mir ein Fach ausgesucht, das es in meiner Stadt nicht gab, Sprachen und Literatur, damit ich fortgehen konnte. Später schockierte ich meine Familie, indem ich das Land verließ, um meiner großen Liebe in die Schweiz zu folgen. Gibran sagt: „Wenn die Liebe dir winkt, dann folge ihr.“ Leider haben wir uns in der Realität, als wir wirklich zusammen waren, verloren und gingen dann getrennte Wege. Wie bist du mit dem orientalischen Tanz in Berührung gekommen? Als kleines Mädchen begleitete ich meine Mutter, wenn sie als Kosmetikerin Frauen für die Hennanacht (die Nacht vor der Hochzeit) und für Hochzeiten schminkte. Die schönen Frauen, die kostbaren Stoffe, die glitzernden Kleider hinterließen einen tiefen und bleibenden Eindruck bei mir. Und natürlich faszinierte mich der Tanz, ohne den eine orientalische Hochzeit undenkbar ist. Die Faszination für das Thema Tanz hat mich bis heute nicht mehr losgelassen. Was ist für dich die wichtigste Botschaft deines Tanzes? Der orientalische Tanz verfügt über eine reiche Quelle an Bewegungsrepertoire und Ausdrucksmöglichkeiten. Nicht zu vergessen auch die mystische Tanztradition der Sufis, sowie zahlreiche ländliche Tanzstile. Überall gibt es ein ideales Umfeld, um daraus zu schöpfen und den orientalischen Tanz mit neunen und innovativen Tanzstilen anzureichern. Mir ist eine moderne Richtung in meiner Arbeit genauso wichtig, wie die starken Wurzeln und die Verankerung des Tanzes in der Tradition zu zeigen. Dies kann dem Tanz zu mehr Anerkennung und Respekt verhelfen, sowohl in der arabischen als auch in der westlichen Halima 10 Welt. Ich will den orientalischen Tanz in seinem zeitlosen und universellen Charakter zeigen. War es für dich als Orientalin schwer oder problematisch zum Tanz auf professioneller Ebene zu kommen? Die Bauchtänzerinnen haben ja im Orient immer noch einen zweideutigen Ruf. Ich konnte mich durch meinen Tanzstil durchsetzen. Ich erinnere mich an einen meiner ersten Auftritte. Als ich in einem schlichten Kleid auf die Bühne kam, hörte ich schon, wie das Publikum am Reden war. Als ich begann zu tanzen, wurde es still und sah mit großer Aufmerksamkeit zu und applaudiert gelegentlich. Als ich meinen Tanz beendete, haben die Zuschauer meinen Namen im Programmheft gesucht. Da habe ich mir gesagt: „Kunst kann sich durchsetzen, ich werde diesen Weg weitergehen.“ Tanz und Literatur sind im Orient eng verbunden. Gerade die Liedtexte sind ja oft sehr poetisch. Hat dich dies zu dem neuen Projekt inspiriert? Eines Tages wachte ich auf und sagte mir: „Ich will tanzen, ich will ein Tanzprojekt machen, das Tradition und Moderne und Frau und Mann verbindet. Ich war zwar jedes Jahr mit dem Gypsy Festival auf Tour in der ganzen Schweiz. Dies ist ein großes Ereignis, wo viele internationale und bekannte GypsyKünstler wie Esma Redzepova, Dhoad und Flamenco en Route teilnehmen. Ich war dort Teil eines Ganzen und könnte nicht meine Visionen über den Tanz richtig verwirklichen. Aber ich wusste nicht, wo ich anfangen und was ich tanzen sollte. Vertieft in meine Gedanken an diesem Morgen, wollte ich die Uhr, die auf meinem Nachttisch steht, anschauen und da sah ich das Buch, das schon lange auf meinem Nachttisch lag: Der Prophet von Khalil Gibran. Intuitiv wusste ich, ich hatte das Thema für mein Tanzprojekt gefunden. Durch meine Recherchen danach entdeckte ich noch die Briefe zwischen May Ziadeh und Khalil Gibran sowie die Malerei von Khalil Gibran. Wie du weißt, haben Tanz und Literatur in der arabischen Kultur eine lange Tradition und einen universalen Charakter. Die heutigen Umbruchzeiten in der arabischen Welt verpflichten auch Künstler, diesen Aspekt und diese Denkweise bekannt zu machen. Wir möchten durch Musik, Tanz und Poesie teilnehmen am Geschehen in unseren arabischen Ländern und so eine Brücke zwischen Ost und West aufbauen. Hier ist die Verbindung mit den berühmten Schriften Kha- Januar 2012_Juli 2010 23.01.12 11:43 Seite 11 Khalil Gibran lil Gibrans. Was bedeutet dir Khalil Gibran und wie siehst du seine Botschaft? Mich fasziniert nicht nur seine Weisheit, sondern seine Sinnlichkeit im Schreiben. Sein Mut, seine Schwächen in seinen Briefen an May Preis zu geben. Sein Glauben schon damals an die Frauen ist berührend. In einem seiner Briefe schrieb er May: „Eine begabte Frau hatte und hat den gleichen Wert wie tausend begabte Männer, und das wird immer so bleiben. Es war die Frau, die mir die Fenster meiner Blicke und die Tore meines Geistes öffnete“. „El Khalil der Begleiter? Welches sind deine wichtigsten Begleiter im Leben? Uns begleiten Worte, Träume, Wünsche … und vor allem Menschen, Menschen, die mit uns ein Stück unseres Weges gehen. Weit entfernte Menschen, die uns trotzdem innig begleiten. Auch Begleiter, die unsere Welt verlassen haben, sind in unserem Leben durch Erinnerungen und Gefühlen präsent, sind unsere Begleiter, unser El Khalil. Wer im Speziellen waren oder sind deine Begleiter? Mein verstorbener Mann, der 2010 an Krebs starb, begleitet mich immer noch und natürlich meine Tochter. Ich habe ein paar gute Freunde, die sind auch meine innigsten Begleiter. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie nah oder fern von mir sind, sie begleiten mich sehr innig und liebevoll! Magst du über die Künstler, die dein Tanzprojekt mit dir umsetzen, etwas sagen? Für dieses aufwendige Tanzprojekt brauchte ich einen Tanzpartner, der sowohl die arabische als auch die westliche Kultur kennt. Auch sollte er in seiner Tanzarbeit eine moderne Tanzrichtung vermitteln. Ich habe dem ägyptischen und international bekannten Tänzer Wael Mansour meine Ideen zum Tanzprojekt erzählt. Er war sofort begeistert. Der charismatische Tänzer Wael Mansour studierte und praktizierte den ägyptischen orientalischen Tanz und das klassische Ballett an der Nationalakademie für Folklore und Theater in Kairo. Er lebt und arbeitet heute in Italien. In dem syrischen Musiker Zaher Assaf fand ich einen vielseitigen und weltoffenen Musiker, der dem Projekt mit seinem intensiven Oud-, Geigen– und Tablaspiel und seinem Gesang eine zau- berhafte Note verleiht. Er hat an der syrischen Musikhochschule in Damaskus klassische und orientalische Musik bei den renommiertesten Lehrern studiert. Während des Studiums war er Mitglied des syrischen Nationalen Philharmonieorchesters und anderer Ensembles. Zudem hat er sich als Musiklehrer für Geige, Oud (arabische Kurzhalslaute) und Perkussion einen Namen gemacht. Nicht zuletzt haben ihn diese Erfahrungen zu einem außergewöhnlichen Musiker, Sänger und Komponisten gemacht. Seine Leidenschaft für die Musik treibt ihn ständig an, immer wieder Neues auszuprobieren und neue Musikkompositionen zu erschaffen. Für die Rolle des Khalil Gibran und des Propheten konnte ich den bekannten und beliebten österreichischen Schauspieler, Regisseur und Sprecher Otto Edelmann gewinnen. Otto Edelmann erhielt seine Ausbildung am Max Reinhardt Seminar in Wien. Er war u. a. an den Stadttheatern in Graz und Klagenfurt, an der Freien Volksbühne Berlin und am Staatstheater Stuttgart engagiert und arbeitete mit Regisseuren wie Martin Kusej und George Tabori. Seit 2007 gehört er zum Ensemble des Stadttheaters Konstanz. Otto Edelmann ist eine Persönlichkeit, die uns den Propheten mit Leidenschaft und Hingabe nahebringen wird. Wie ist die Zusammenarbeit mit ihnen und teilen sie deine Gedanken und Meinungen? Dieses Projekt hat uns stärker zusammengeschweißt und unser Potential rausgeholt. Otto war unsere große Stütze im Projekt, seine Erfahrung im Theater als Regisseur hat das ganze lebendiger gemacht, Zahers Flexibilität und sein großes Repertoire an Musik und Gesang hat mir eine große Freiheit in der Auswahl der Musik gegeben, Wael hat sich unheimlich Mühe gegeben, dass unsere beide Stile sich zusammenfügen und harmonieren, da jeder Tänzer im Lauf der Jahre seinen eigenen Tanzstil entwickelt. Ihm war es genauso wichtig wie mir, dass wir wie eine Einheit auf der Bühne wirken. Halima 11 May Ziadeh Otto Edelmann Januar 2012_Juli 2010 23.01.12 11:43 Seite 12 Wir haben alle unsere Rollen in diesem Projekt geliebt. Malerein von Khalil Gibran Du hast mir mal folgendes gesagt: „Glaub mir, ich arbeite seit 15 Jahren hier in der Schweiz und bis heute habe ich keine Journalistin und keinen Journalisten getroffen, die oder der über Tanz und arabische Kultur schreiben kann. SSASSA-Chef Christian hat mir mal gesagt: ‚Was Brigitte über uns geschrieben hat, war das Beste was man je über uns geschrieben hat.‘“ Was möchtest du den Leserinnen über den orientalischen Tanz und die arabische Kultur näher bringen? Die meisten Journalisten in der Schweiz interessieren sich nicht für orientalischen Tanz. Wenn wir dann mal Glück hatten und jemand zu einer Aufführung kam, dann betrachten sie das Ganze als Bild und beschreiben das Geschehen wie einen Gegenstand. Nichts von kulturellem Hintergrunde wird erwähnt oder was der Tanz bei dem Zuschauer bewirkt und bewegt hat. Als die GypsyFestival-Tour sich näherte, fragte mich Christian Fotsch, der das Ganze organisierte: „Assale weißt du noch, wer diese Frau war, die über uns im Tanzhaus Düsseldorf geschrieben hat. Sie ist die einzige, die mal eine gute Kritik geschrieben hat.“ Wie siehst du die rasante Entwicklung in den arabischen Staaten und welche Auswirkungen haben sie auf Poesie und Tanz? Unsere Länder sind jahrelang von ihren Herrschern bevormundet und unterdrückt worden. Ihr Öl wirkt fast wie ein Fluch statt wie ein Segen, wie der Fall in meiner Heimat Irak zeigt. Es ist Zeit für eine Änderung und dafür, Teil dieser Welt zu werden. Ich kann es kaum glauben, dass ich diesen Tag erleben darf, wo ich die Menschen mit so viel Mut und Entschlossenheit auf die Straße gehen sah, um „Nein!“ zu sagen und nach neuen Wegen zu suchen. Obwohl sie ganz genau wissen, welche Härte ihre Herrscher anwenden und was für Methoden sie haben, um die Stimme des Volkes leise zu halten. Es ist lange genug eine dicke Mauer zwischen der arabische Welt und der Außenwelt gestanden. Sie wollen Teil dieser Welt sein und es ist gut so. Welche Wirkungen erhoffst du dir von deinem Tanzprojekt? Herzen zu berühren und auch ein Stück Stein, um diese Mauern niederzureißen. Sicher auch noch, dem Tanz zu mehr Anerkennung und Respekt zu verhelfen. Brigitte Baldinger Die Show Wael Mansour Zaher Zaher Mansour Assaf Es gibt Dinge oder Vorgänge, die relativ einfach zu beschreiben sind, und solche, bei denen es eher schwierig ist. Das Tanzprojekt von Assale gehört zur zweiten Kategorie. Es ist etwas, das man fast gesehen haben muss, um es zu verstehen. Mit Einverständnis der Produzentin verwende ich daher auch gerne Zitate und greife teilweise auf Texte der Produktion zurück. EL KHALIL ist arabisch und bedeutet "der Begleiter". Tanz und Literatur haben in der arabischen Kultur eine lange Tradition und einen universalen Charakter. Die heutigen Umbruchzeiten in der arabischen Welt verpflichten Künstler, diesen Aspekt und diese Denkweise bekannt zu machen. Literatur, Musik und Tanz in zeitloser Vereinigung, zauberhafte Bilder mit ausdrucksvollem Tanz, wunderschöne poetische Literatur und Musik vereinigen sich zeitlos und geheimnisvoll in der Tanzperformance EL KHALIL. Die Initiantin Assale Ibrahim geht in Halima 12 ihrem Projekt EL KHALIL über traditionelle Kunstformen hinaus und schafft eine moderne Verbindung von bildender Kunst, Literatur und Musik. Als Grundlage und Inspiration dienten die Texte aus dem Buch „Der Prophet" des libanesisch-amerikanischen Dichters Khalil Gibran (1883-1931) und aus seinem jahrelangen Briefwechsel mit der libanesisch-palästinensischen Poetin May Ziadeh (1886-1941). In der Verbindung mit den berühmten Schriften Khalil Gibrans wurden verschiedene Lebensbereiche zwischen Leidenschaft und Vernunft getanzt, gespielt und rezitiert. Es wurden Themen aufgegriffen, die viele Menschen gleichermaßen beschäftigen und bewegen. Im ersten Akt geht es um die briefliche Verbindung zwischen Khalil Gibran und May Ziadeh. Khalil Gibran wurde 1883 im Libanon geboren. 1895 wanderte er mit seiner Mutter und seinen Geschwistern in die USA, nach Boston, aus. Schon in seiner Schulzeit beschäftigte er sich mit Dich- tung und Malerei. Später studierte er Kunst, Sprachen und arabische Literatur. Sein berühmtestes Werk „Der Prophet“ erschien 1923. Familiäre Tragödien, innere Zerrissenheit sowie sein ruheloser, rebellischer Geist ließen Khalil Gibran zunehmend dem Alkohol verfallen. 1931 starb er an Leberzirrhose. May Ziadeh, die großartige Dichterin und Gelehrte, wurde 1886 in Palästina geboren. Sie studierte Geschichte und Philosophie und sprach acht Sprachen. 1912 eröffnete sie in Kairo den ersten literarischen Salon, in dem Frauen und Männer gemeinsam literarische, philosophische sowie wissenschaftliche Ideen propagierten. In den wöchentlichen Veranstaltungen förderte die feministische Poetin die weibliche intellektuelle Entwicklung und bewies der arabischen Gesellschaft, dass dies nicht auf Kosten der Weiblichkeit geschehen musste. Von 1914 bis 1931 unterhielt May Ziadeh eine innige Freundschaft mit dem libanesisch-amerikanischen Maler, Philosophen und Dichter Khalil Gibran. Obwohl sich die beiden Liebenden nie persönlich begegneten, zeugen die Briefe von einer tiefen Vertrautheit und Seelenverwandtschaft. Die Bühne war für eine orientalische Darbietung eher klein und vor allem bestechend schlicht gehalten. Ohne die sonst gerne verwendeten Dekorationen wie Stoffe, orientalische Ornamente oder Ähnliches. Es gab nicht einmal einen Vorhang. Als erstes betrat Zaher Assaf, ein wirklich begnadeter Musiker, die Bühne und eröffnete den Abend mit einem sehnsüchtigen und trotzdem leichten Geigenstück. Es folgten Assale und Wael Mansour in blauen Gewändern sowie Otto Edelmann, ein Schauspieler und Regisseur, der seine Ausbildung am namhaften Max Reinhardt Seminar absolviert hat. Während Otto Edelmann aus einem Brief von Khalil Gibran an May Ziadeh rezitierte, wurden Gemälde des Dichters Khalil Gibran auf eine Leinwand projiziert und Assale und Wael setzten das gesprochene Wort wunderbar in ihrem gemeinsamen Tanz um. Als wohltuend empfand ich auch, dass es beim Tanzen einmal nicht um die perfekte Pose ging und die Priorität nicht immer auf Schönheit im üblichen Sinne lag, sondern auf dem Ausdruck. Das Hauptaugenmerk lag auf der Darstellung der tiefen Sehnsucht nach dem Vollkommenen und der Zerrissenheit zwischen dem Wunsch danach und dem Wissen, es doch nie errei- Assale beim Derwischtanz chen zu können. Beeindruckend war auch die hohe Schauspielkunst von Otto Edelmann, der das Gelesene auf der Bühne durchlebte und sehr eindrücklich dem Publikum näher brachte. Nach der Pause ging es weiter mit Texten aus dem Buch „Der Prophet“ von Khalil Gibran. Den Anfang machte die Erzählung über die Liebe. Zitat: „Wenn die Liebe dir winkt, folge ihr, sind ihre Wege auch schwer und steil. Und wenn ihre Flügel dich umhüllen, gib dich ihr hin, auch wenn das unterm Gefieder versteckte Schwert dich verwunden kann. Und wenn sie zu dir spricht, glaube an sie, auch wenn ihre Stimme deine Träume zerschmettern kann wie der Nordwind den Garten verwüstet. Denn so, wie die Liebe dich krönt, kreuzigt sie dich. So wie sie dich wachsen lässt, beschneidet sie dich. So wie sie emporsteigt zu deinen Höhen und die zartesten Zweige liebkost, die in der Sonne zittern, steigt sie hinab zu deinen Wurzeln und erschüttert sie in ihrer Erdgebundenheit. Wie Korngarben sammelt sie dich um sich. Sie drischt dich, um dich nackt zu machen. Sie siebt dich, um dich von deiner Spreu zu befreien. Sie mahlt dich, bis du weiß bist. Sie knetet dich, bis du ge- Halima 13 schmeidig bist, und dann weiht sie dich ihrem heiligen Feuer, damit du heiliges Brot wirst für Gottes heiliges Mal. All dies wird die Liebe mit dir machen, damit du die Geheimnisse deines Herzens kennen lernst und in diesem Wissen ein Teil vom Herzen des Lebens wirst. Aber wenn du in deiner Angst nur die Ruhe und die Lust der Liebe suchst, dann ist es besser für dich, deine Nacktheit zu bedecken und vom Dreschboden der Liebe zu gehen in die Welt ohne Jahreszeiten, wo du lachen wirst, aber nicht dein ganzes Lachen und Weinen, aber nicht all deine Tränen. Liebe gibt nichts als sich selbst und nimmt nichts als von sich selbst. Liebe besitzt nicht, noch lässt sie sich besitzen, denn die Liebe genügt der Liebe. Und glaube nicht, du kannst den Lauf der Liebe lenken, denn die Liebe, wenn sie dich für würdig hält, lenkt deinen Lauf. Liebe hat keinen anderen Wunsch, als sich zu erfüllen. Aber wenn du liebst und Wünsche haben musst, sollst du dir dies wünschen: zu schmelzen und wie ein plätschernder Bach zu sein, der seine Melodie der Nacht singt. Den Schmerz allzu vieler Zärtlichkeit zu kennen. Vom eigenen Verstehen der Liebe verwundet zu sein und willig und freudig zu bluten. Bei der Morgenröte mit beflügeltem Herzen zu erwachen und für einen weiteren Tag des Liebens dankzusagen. Zur Mittagszeit zu ruhen und über die Verzückung der Liebe nachzusinnen. Am Abend mit Dankbarkeit heimzukehren und dann einzuschlafen mit einem Gebet für den Geliebten im Herzen und einem Lobgesang auf den Lippen.“ Dem wunderschönen Text folgt ein Lied von Zaher Assaf, der sich auf der Oud begleitete und auch wenn man den Text nicht verstehen konnte, war mit dem Herzen genau zu fühlen, wovon es handelte. Der Tanz, der dem Text über die Ehe folgte, hinterließ bei mir den größten Eindruck. Zitat: „Ihr wurdet zusammen geboren und ihr werdet auf immer zusammen sein. Ihr werdet zusammen sein, wenn die weißen Flügel des Todes eure Tage scheiden. Ja, ihr werdet selbst im stummen Gedenken Gottes zusammen sein. Aber lasst Raum zwischen euch und lasst die Winde des Himmels zwischen euch tanzen. Liebt einander, aber macht die Liebe nicht zur Fessel: Lasst sie eher ein wogendes Meer zwischen den Ufern eurer Seelen sein. Füllt einander den Becher, aber trinkt nicht aus einem Becher. Gebt einander von eurem Brot, aber esst nicht vom selben Laib. Singt und tanzt zusammen und seid fröhlich, aber lasst jeden von euch allein sein, so wie die Saiten einer Laute allein sind und doch von derselben Musik erzittern. Gebt eure Herzen, aber nicht in des anderen Obhut. Denn nur die Hand des Lebens kann eure Herzen umfassen. Und steht zusammen, doch nicht zu nah, denn die Säulen des Tempels stehen für sich und die Eiche und die Zypresse wachsen nicht im Schatten der anderen.“ Assale und Wael betraten jetzt mit einem sehr langen Tuch, das sich jeder der beiden um die Hüften band, die Bühne. Die Darbietung drückte auf wunderbare Weise aus, wie wichtig die richtige Balance zwischen Nähe und Abstand in einer Ehe ist. Wenn sie zu nahe beieinander waren, fehlte es an der nötigen Frei- Leidenschaft eine Flamme, die bis zur Selbstzerstörung brennt. Daher lasst die Seele eure Vernunft auf den Gipfel der Leidenschaft heben, damit sie singt und lasst sie eure Leidenschaft mit Vernunft lenken damit eure Leidenschaft ihre tägDas nächste Thema war Vernunft und liche Auferstehung erlebt und sich wie Leidenschaft der Phönix aus der Asche erhebt. Ich wollte, ihr betrachtetet euren Verstand Zitat: „Eure Seele ist oft ein Schlachtfeld, und eure Gelüste wie zwei geliebte Gäauf dem eure Vernunft und euer Verstand Krieg gegen eure Leidenschaft und ste in eurem Haus. Sicher würdet ihr einen Gast nicht mehr ehren als den anderen, denn wer den einen mehr beachtet, Assale beim Schleiertanz verliert die Liebe und das Vertrauen beider. Wenn ihr zwischen den Hügeln im kühlen Schatten der weißen Pappeln sitzt und am Frieden und der Heiterkeit der Felder und Wiesen teilhabt, dann lasst euer Herz schweigend sagen: ‚Gott ruht in der Vernunft‘. Und wenn der Sturm kommt und der mächtige Wind den Wald erschüttert und Donner und Blitz die Erhabenheit des Himmels verkünden, dann lasst euer Herz in Ehrfurcht sagen: ‚Gott bewegt sich in der Leidenschaft.‘ Und da ihr ein Atemzug in Gottes Sphäre seid und ein Blatt in Gottes Wald, sollt auch ihr in der Vernunft ruhen und in der Leidenschaft euch regen.“ heit, sich im Tanz auszudrücken, und wenn sie zu weit voneinander weg waren, fehlte irgendwie trotz dem Band zwischen Ihnen die Verbindung. Gefolgt wurde das Zitat von einem das Herz berührenden Geigenspiel und einem zwischen Vernunft und Leidenschaft hin- und hergerissenen Tanz mit Fächerschleiern von Assale. eure Gelüste führen. Könnte ich der Friedensstifter in eurer Seele sein und den Missklang und die Zwietracht eurer Wesen in Einklang und Harmonie verwandeln! Aber wie kann ich das sein, wenn ihr nicht selber auch Friedensstifter seid, nein, mehr noch, euer ganzes Wesen liebt? Eure Vernunft und eure Leidenschaft sind das Ruder und die Segel eurer seefahrenden Seele. Wenn eure Segel oder Ruder brechen, könnt ihr nur noch schlingern und treiben oder auf hoher See festgehalten werden. Denn Vernunft ist, wenn allein sie waltet, eine einengende Kraft und unbewacht ist die Halima 14 Nach der Lesung über Freud und Leid zeigte die Tänzerin einen modernen Tanz im Gypsy-Stil gefolgt von einem Trommelsolo. Zitat: „Eure Freude ist euer Leid ohne Maske. Und derselbe Brunnen, aus dem euer Lachen aufsteigt, war oft von euren Tränen erfüllt. Und wie könnte es anders sein? Je tiefer sich das Leid in euer Sein eingräbt, desto mehr Freude könnt ihr erfassen. Ist nicht der Becher, der euren Wein enthält, dasselbe Gefäß, das im Ofen des Töpfers gebrannt wurde? Und ist nicht die Laute, die euren Geist besänftigt, dasselbe Holz, das mit Messern ausgehöhlt wurde? Wenn ihr fröhlich seid, schaut tief in eure Herzen und ihr werdet finden, dass nur das, was euch Leid bereitet hat, euch auch Freude gibt. Wenn ihr traurig seid, schaut wieder in eure Herzen und ihr werdet sehen, dass die Wahrheit um das weint, was euch Vergnügen bereitet hat. Einige von euch sagen: ‚Freude ist größer als Leid‘, und andere sagen: ‚Nein, Leid ist größer.‘ Aber ich sage euch, sie sind untrennbar. Sie kommen zusammen und wenn einer alleine mit euch am Tisch sitzt, denkt daran, dass der andere auf eurem Bett schläft. Wahrhaftig, wie die Schalen einer Waage hängt ihr zwischen eurem Leid und eurer Freude. Nur wenn ihr leer seid, steht ihr still und im Gleichgewicht. Wenn der Schatzhalter euch hochhebt, um sein Gold und sein Silber zu wiegen, muss entweder eure Freude oder euer Leid steigen oder fallen.“ Otto Edelmann trug als vorletzte Darbietung den Text über Gut und Böse vor: Zitat: „Vom Guten in euch kann ich sprechen, nicht aber vom Bösen. Denn was ist das Böse denn anderes als das Gute, das von seinem eigenen Hunger und Durst gequält wird? Wahrlich, wenn das Gute hungert, sucht es sogar in finsteren Höhlen nach Nahrung und wenn es durstig ist, trinkt es selbst fauliges Wasser. Ihr seid gut, wenn ihr eins mit euch seid. Doch seid ihr nicht eins mit euch selbst, seid ihr deshalb nicht böse. Denn ein entzweites Haus ist keine Räuberhöhle, es ist nur ein entzweites Haus und ein Schiff ohne Runder kann ziellos zwischen gefährlichen Klippen treiben ohne unterzugehen. Ihr seid gut, wenn ihr danach strebt, etwas von euch zu geben. Dennoch seid ihr nicht böse, wenn ihr euren Vorteil erstrebt. Denn sucht ihr euren Vorteil, seid ihr nur eine Wurzel, die sich an die Erde klammert und an deren Brust saugt. Die Frucht kann schließlich nicht zur Wurzel sagen: ‚Sei wie ich, reif und voll und immer bereit, vom eigenen Überfluss zu geben!‘ Der Frucht ist Geben ein Bedürfnis, so wie der Wurzel Empfangen ein Bedürfnis ist. Ihr seid gut, wenn ihr in eurem Reden vollkommen wach seid. Dennoch seid ihr nicht böse, wenn ihr schlaft, während eure Zunge absichtslos stammelt und selbst stockende Rede kann eine schwache Zunge kräftigen. Ihr seid gut, wenn ihr entschlossen und festen Schritts auf euer Ziel zuwandert. Dennoch seid ihr nicht böse, wenn ihr es hinkend anstrebt. Selbst der Hinkende schreitet nicht zurück. Aber ihr, die ihr kräftig und schnell seid, hütet euch, aus vermeintlicher Freundlichkeit vor dem Lahmen zu hinken. Auf zahllose Weise seid ihr gut, und seid ihr nicht gut, seid ihr deswegen nicht böse, sondern nur träge und unentschlossen. Wie schade, dass der Hirsch die Schildkröte nicht laufen lehren kann! In eurer Sehnsucht nach eurem übermenschlichen Selbst liegt euer Gutsein - und diese Sehnsucht lebt in jedem von euch. Aber in manchen von euch ist diese Sehnsucht ein Wildwasser, das mit Ungestüm auf den Ozean zueilt und die Geheimnisse der Berghänge und die Lieder des Waldes mit sich führt und in anderen ist sie ein seichter Bach, der sich in Schleifen und Windungen verliert und immer wieder innehält, ehe er die Küste erreicht. Aber wessen Sehnsucht stark ist, der sage nicht zu dem, dessen Sehnsucht schwach ist: ‚Was gehst du so langsam und zögernd?‘, denn der wahrhaft Gute fragt nicht den Nackten: ‚Wo ist dein Mantel?‘, noch den Obdachlosen: ‚Was ist mit deinem Haus geschehen?‘” Gut und Böse umzusetzen ist mit Sicherheit eine Herausforderung und dieser hat sich Wael meisterlich gestellt. Sein Tanz mit zwei Stöcken war mitnichten unentschlossen und träge, sondern ausdrucksstark, virtuos und strahlte von unglaublicher Leichtigkeit. Den Abschluss des Abends bildete die Niederschrift über die Freiheit, die wiederum von Herrn Edelmann gekonnt deklamiert wurde: Zitat: „Am Stadttor und an eurem Herd habe ich euch unterwürfig und in Anbetung eurer Freiheit gesehen. Wie Sklaven sich vor einem Tyrannen erniedrigen und ihn preisen, obwohl er sie tötet. Ja, im Hain des Tempels und im Schatten der Zitadelle habe ich die Freiesten unter euch ihre Freiheit als Joch und Handschellen tragen sehen und das Herz blutete mir, denn ihr könnt nur frei sein, wenn selbst der Wunsch, die Freiheit zu suchen, euch zum Zügel wird und wenn ihr aufhört, von Freiheit als Ziel und Erfüllung zu reden. Wirklich frei werdet ihr nicht sein, wenn eure Tage ohne Sorge sind und eure Nächte ohne jeden Wunsch und Kummer, sondern erst dann, wenn sie euer Leben umfassen und ihr euch dennoch nackt und ungebunden über sie erhebt und wie wollt ihr euch über eure Tage und Nächte erheben, wenn ihr nicht die Ketten brecht, die ihr im Morgengrauen eures Verstehens eurer Mittagsstunde angelegt habt? In Wahrheit ist das, was ihr Freiheit nennt, die stärkste dieser Ketten, wenn auch ihre Glieder in der Sonne glitzern und eure Augen blenden und was sind Halima 15 sie anderes als Teile eures eigenen Ichs, die ihr ablegen wollt, um frei zu werden? Wenn es ungerechtes Gesetz ist, das ihr abschaffen wollt, dann habt ihr es mit eigener Hand auf eure Stirn geschrieben. Ihr könnt es nicht auslöschen, indem ihr eure Gesetzesbücher verbrennt oder die Stirn eurer Richter wascht und wenn ihr das Meer darauf gießt. Wenn es ein Despot ist, den ihr vom Thron stürzen wollt, seht zu, dass sein Thron zerstört wird, den ihr in euch errichtet habt. Denn wie kann ein Tyrann die Freien und Stolzen regieren, außer durch eine Tyrannei ihrer eigenen Freiheit und eine Scham über ihren eigenen Stolz? Wenn es eine Sorge ist, die ihr ablegen wollt, ist sie eher von euch gewählt als euch auferlegt. Und wenn es eine Angst ist, die ihr verjagen wollt, ist der Sitz dieser Furcht in eurem Herzen und nicht in der Hand des Gefürchteten. Wahrhaftig, all das umarmt sich ständig in euch, das Ersehnte und das Gefürchtete, das Abstoßende und das Geschätzte, das Erstrebte und das, dem ihr ausweichen wollt. All das bewegt sich paarweise in euch wie Licht und Schatten, die einander verhaftet sind. Und wenn der Schatten verblasst und nicht mehr da ist, wird das Licht, das verweilt, zum Schatten eines anderen Lichts. Und so wird eure Freiheit, wenn sie ihre Fesseln ablegt, selbst zur Fessel einer größeren Freiheit.“ Was könnte Freiheit besser ausdrücken als ein Derwischtanz? Meisterlich getanzt von Assale zu einer Art orientalischen Version von Dave Brubecks Jazzstück „Take five“. Es war deutlich, dass sich hier 4 Akteure zusammen getan haben die sich gegenseitig an Professionalität in ihrer jeweiligen Sparte in Nichts nachstanden. Angefangen bei Zaher Assaf, der auch ohne Worte bzw. ohne, dass man diese verstehen konnte, die Musik und Lyrik hingebungsvoll und einfühlsam herüberbrachte, über Otto Edelmann, der die tiefsinnigen Texte sowohl über die Stimme und Intonierung als auch über die Körpersprache gekonnt zum Besten gab, bis zu Assale und Wael mit ihren substanziellen Darbietungen. Das Publikum bedankte sich mit einem nicht enden wollenden Applaus, der die Beteiligten immer wieder auf die Bühne „zwang“. Iris Lang Roschel Quellen: Werbeprospekt der Show „Der Prophet“ von Khalil Gibran Internetbiografien von May Zia Internetbiografien von Khalil Gibran