PDF laden - Gute Geschichten
Transcrição
PDF laden - Gute Geschichten
Druckvorschau SZ-Landkreisausgaben Wirtschaft Samstag, 21. September 2013 Made in Bayern München City Seite R20, München West Seite R20, München Süd Seite R20, München Nord Seite R20, Wolfratshausen Seite R22, Starnberg Seite R22, Freising Seite R22, Fürstenfeldbruck Seite R20, Erding Seite R22, Ebersberg Seite R20, Dachau Seite R20, Bayern Region Seite 52 Bild, Porträt Mit Laib und Seele Im Inntal will Christian Schäfer eine fast verloren gegangene Tradition wiederbeleben und aus Bergbauernmilch Unverwechselbares produzieren. In seiner Käserei folgt er der Magie vom „Geschmack des Bodens“. Das Ergebnis ist eine Fülle an Aromen VON GEORG ETSCHEIT Oberaudorf – „Jeder Käse ist anders“, sagt Christian Schäfer. Der 44-Jährige steht mit weißer Schürze, weißen Stiefeln und weißem Haarnetz im Reifekeller der nagelneuen Oberaudorfer Käserei und nimmt einen goldgelben Laib vom Brett, um ihn zu begutachten. Schäfer hat sich, wie viele anspruchsvolle Winzer, der Magie des „terroir“ verschrieben, frei übersetzt dem „Geschmack des Bodens“. Nur sind es hier im Inntal zwischen Rosenheim und Kiefersfelden natürlich keine Weinberge, sondern Bergbauernwiesen und Hochalmen. Von dort kommt die Milch, die Schäfer zu „Audorfer Kas“ verarbeitet. Jede Charge, die die Bauern liefern, wird in dem chromblitzenden Kessel der kleinen Käserei im Dorfzentrum separat, sozusagen sortenrein, verarbeitet. „Wir machen Käse wie früher“, lautet der simple Wahlspruch der Audorfer Käserei. „Früher wurde hier auf jeder Alm gekäst, doch nach dem Krieg ist diese Tradition weitgehend verloren gegangen“, sagt Schäfer. Heute liefern die Bauern ihre Milch an wenige Großmolkereien wie Danone in Rosenheim oder die Andechser Biomolkerei Scheitz. Aus der besonders inhaltsreichen und wertvollen Bergbauernmilch werde ein Standardprodukt. „Wir machen daraus wieder etwas Unverwechselbares.“ Eine fast untergegangene bäuerliche Tradition file:///C|/Dokumente%20und%20Einstellungen/svra058/Desktop/SZ_21_09_2013_.htm (1 von 6)24.09.2013 13:20:12 Druckvorschau wiederzubeleben, gegen den Trend zu immer mehr Konzentration und immer mehr Effizienz, ist eine schwierige Angelegenheit. Drei Jahre brauchte Schäfer, um alle bürokratischen Hürden zu überwinden und die Bauern des Inntals davon zu überzeugen, dass ihre kostbare Milch zu mehr taugt als zu „Dany plus Sahne“. Dabei kam ihm die Erfahrung eines durchaus bewegten Lebens zugute. Schäfer ist evangelischer Theologe und arbeitete einen Zeitlang in der interreligiösen Friedenserziehung in Ägypten, wo er mit dem Ende der Neunzigerjahre aufkommenden Islamismus konfrontiert wurde und zweimal, wie er sich erinnert, um sein Leben fürchten musste. Zurück in Deutschland, wollte er sich mit seiner Frau eine Existenz als Schaf- und Ziegenhalter im Bayerischen Wald aufbauen und absolvierte eine Ausbildung zum Landwirt und Käser. Doch der von der Familie seiner Frau, einer promovierten Ärztin, geerbte Hof wurde für ein Straßenbauprojekt enteignet. „Da waren wir erst einmal total frustriert.“ In Oberaudorf fing das Paar, das zwischenzeitlich vier Töchter bekam, noch einmal von vorne an. Nach einer Phase als Hausmann – die Frau arbeitet zwischenzeitlich in einer Psychiatrischen Klinik in Agatharied – steht Schäfer nun seit sieben Monaten fast jeden Tag in seiner Käserei. Von morgens bis nachmittags wird gekäst, spätabends steht die Käsepflege, das regelmäßige Abbürsten der Laibe, auf dem Programm. „Alles Handarbeit, ein Knochenjob“, sagt Schäfer. Zwei Drittel der Zeit gehen fürs Putzen drauf. Die hygienischen Anforderungen für einen von der EU offiziell registrierten Betrieb sind hoch. „Da gibt es prinzipiell keinen Unterschied zwischen uns und einer Großmolkerei.“ Den Kern des Projektes bilden vier Landwirte mit Schäfer als Geschäftsführer der Erzeugergemeinschaft Inntaler Käse GbR. Zwölf Betriebe beliefern die Käserei in den Räumen einer früheren Weißbierbrauerei derzeit mit Milch, unter anderem von den Hochalmen des Sudelfeldes. Den größten Teil des Käses holen die Bauern wieder ab, um ihn ab Hof oder Alm zu verkaufen. Mit dem Rest werden Lebensmittelgeschäfte, Metzgereien und die Gastronomie im Dorf beliefert. Rund 3000 Liter Milch lässt die Familie Astl vom Bergbauernhof Hohe Asten oberhalb von Flintsbach jedes Jahr zu Käse verarbeiten, der als regionale Spezialität an Wanderer und Gäste verkauft wird. Bislang hatte eine Lohnkäserei nördlich von Rosenheim diesen Job übernommen. „Doch jetzt sind wir froh, dass es wieder eine Käserei bei uns in der Nähe gibt“, sagt die Bäuerin. Die Wiederentdeckung lokaler Käsereitraditionen sei durchaus ein Trend, sagt Claudia Eberl von der Landesvereinigung der Bayerischen Milchwirtschaft. „Kleine Molkereien und Hofkäsereien schießen zwar nicht wie Pilze aus dem Boden, doch einige Betriebe file:///C|/Dokumente%20und%20Einstellungen/svra058/Desktop/SZ_21_09_2013_.htm (2 von 6)24.09.2013 13:20:12 Druckvorschau haben es geschafft, sich zu etablieren.“ Einfach sei es nicht, sich neben den Großen durchzusetzen. „Lieferanten, Absatz, Ausstattung, Hygiene, alles muss passen.“ Paradebeispiele sind die Naturkäserei Tegernseer Land und die Schaukäserei Ammergauer Alpen in Ettal. In Österreich spielen die kleinen Sennereien noch eine viel größere Rolle. Wenn man von Oberaudorf den Inn überquert, stößt man in wenigen Kilometern Umkreis auf mehrere Betriebe. Der größte ist die Biomolkerei Plangger in Walchsee. „Die Österreicher haben früh erkannt, dass man Bergwiesen und Almen nicht nur aus Gründen der Landschaftspflege und des Tourismus erhalten muss, sondern auch als Produktionsstandort hervorragender Lebensmittel“, sagt Schäfer. Der theologisch engagierte Käser und seine Mitstreiter setzen weniger auf die Biokarte, als auf streng traditionelle Produktion und Geschmacksvielfalt, den „gout de terroir“ eben. Dafür wird der Milch im zweistufigen Prozess der Käsebereitung für die sogenannte süße Gerinnung kein bio- oder gentechnisch hergestelltes Lab als Gerinnungsenzym zugesetzt, sondern echtes Kälbermägen-Lab. Und die Hauptarbeit bei der sauren Gerinnung übernehmen jene Bakterien, die im Futter der Kühe und im Stall von Natur aus vorkommen, sie werden nur von zugekauften Starterkulturen unterstützt. Bei den Winzern heißt das Spontanvergärung. Sie ist schwer zu kontrollieren und bringt manchmal überraschende Ergebnisse. In seinem Reifekeller präsentiert Schäfer zwei Käselaibe, die nach dem gleichen Verfahren hergestellt wurden, nur eben mit Milch von verschiedenen Weiden. Das Ergebnis verblüfft: Einmal hat der Käse große Löcher und schmeckt süßlich-nussig wie ein holländischer Edamer, einmal hat er kleine Löcher und schmeckt wie ein rassiger Allgäuer Bergkäse. Für die Kunden bedeute das, den Käse vor dem Kaufen am besten zu probieren. „Wie gesagt, jeder Käse, sogar jeder Laib schmeckt anders.“ Bislang verlassen pro Woche etwa 100•Kilogramm des mittelalten, rotgeschmierten Hartkäses, ein kleiner Teil auch aus Schafsmilch als oberbayerischer Pecorino, die wieder erstandene Oberaudorfer Dorfmolkerei. Absatzprobleme gibt es nicht, im Gegenteil. „Die Leute reißen uns den Käse fast aus der Hand“, sagt Schäfer. Um die große Nachfrage befriedigen zu können, wäre eigentlich ein zweiter Kessel nötig, meint Schäfer, vielleicht sogar ein Neubau oben im Sudelfeld. Dort würde dann im Sommer gekäst, wenn die Kühe auf den Almwiesen die beste Milch liefern. Im Winter ginge es unten im Tal weiter. Doch das ist noch Zukunftsmusik. MADE IN BAYERN Familienbetriebe, deren file:///C|/Dokumente%20und%20Einstellungen/svra058/Desktop/SZ_21_09_2013_.htm (3 von 6)24.09.2013 13:20:12