"Der Eurovision Song Contest ist der Heilige Gral des Fernsehens"
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"Der Eurovision Song Contest ist der Heilige Gral des Fernsehens"
Interview mit Fredrik Jönsson, Lichtdesigner für den Eurovision Song Contest 2016 Vom 10. bis 14. Mai findet der Eurovision Song Contest (ESC) 2016 in Stockholm statt. Auch in diesem Jahr zeichnen OSRAM und sein Tochterunternehmen Clay Paky für die außergewöhnlichen Lichteffekte der Bühnenshows verantwortlich. Rund 80 Prozent der 1.000 Moving Heads, die in der Globe Arena in Stockholm eingesetzt werden, stammen von Clay Paky. Mit modernster Lichttechnik werden sie die Auftritte der Teilnehmer aus 42 Ländern bei den Vorentscheiden und dem Finale in Szene zu setzen. Die Hauptakteure sind dabei die preisgekrönten Clay-Paky-Leuchten Sharpy und Mythos, die weltweit standardmäßig als Scheinwerfer bei Live-Konzerten und in TV-Studios eingesetzt werden. Ergänzt wird das Portfolio durch den Spot Scenius, einen neuen, sehr hellen Scheinwerfer der Spitzenklasse mit einer außergewöhnlich breiten Farbpalette. Wie man diese technischen Möglichkeiten in eine stimmige Beleuchtung für das Megaspektakel umsetzt, darüber hat Osram mit Frederik Jönsson, dem schwedischen Lichtdesigner des diesjährigen Wettbewerbs, gesprochen. Das Interview kann von Medien in Teilen oder als Ganzes frei verwendet werden. "Der Eurovision Song Contest ist der Heilige Gral des Fernsehens" Interview mit Fredrik Jönsson, Lichtdesigner für den Eurovision Song Contest 2016 Fredrik Jönsson Bildquelle: Johan Paulin / SVT Herr Jönsson, es ist nicht mehr lange hin bis zum ESC – sind Sie im Stress? Jönsson: Ja, in der Tat. Kaffee ist derzeit mein Hauptnahrungsmittel – Unmengen davon. Zwar ist es etwas besser als 2013, als ich am ESC in Malmö mitgearbeitet habe, aber man merkt deutlich, dass es dieses Jahr mehr Lieder gibt – alles in allem 42. Viele Auftritte benötigen Extras – besondere Projektionen, Videoclips, zusätzliche Lichter und so weiter. All das erhöht natürlich die Komplexität für mich, denn ich muss mir unkonventionelle Lösungen einfallen lassen. Mai 2016 Sie haben für Fernsehproduktionen, Live-Veranstaltungen und Messen gearbeitet. Ist die Beleuchtung für den ESC etwas Besonderes in der Laufbahn eines Lichtdesigners? Jönsson: Der Eurovision Song Contest ist sozusagen der Heilige Gral des Fernsehens. Er erzielt weltweit enorme Einschaltquoten und ist damit eine riesige Herausforderung: Den ESC überhaupt umzusetzen ist das eine, es auch noch richtig gut zu machen das andere! Das erzeugt schon einigen Druck. Gleichzeitig gibt es nichts, das mehr Spaß macht: Nirgends sonst arbeitet man in einem so kompetenten und starken Produktionsteam wie beim ESC. Und wenn man wie ich das Glück hat, sogar mehr als einmal dabei zu sein, ist das ein echtes Privileg. Welche Fähigkeiten und persönliche Stärken brauchen Sie als Lichtdesigner bei so einer Show? Jönsson: Wir arbeiten nicht nur mit den Künstlern zusammen, sondern auch mit riesigen Delegationen aus allen teilnehmenden Ländern. Da reicht es nicht nur, ein guter Lichtdesigner zu sein, es sind fast psychologische Fähigkeiten gefragt. Man muss in der Lage sein, mit Menschen zu reden und zuzuhören – und das insbesondere bei komplexen Produktionen. Kommunikation ist das Wichtigste. 42 Lichtshows in einem Event – woher nehmen Sie Ihre Inspiration? Jönsson: Die Verantwortlichen für die einzelnen Auftritte legen zunächst ein „Look and Feel“-Dokument vor. Darin nennen sie Gestaltungswünsche für die Produktion und erläutern, was für eine Atmosphäre sie erzeugen wollen und sogar, ob bestimmte Farben nicht verwendet werden sollen. Für die meisten Auftritte gibt es zudem sogenannte "Mood Boards". Das kann ein einzelnes Blatt Papier mit einem Foto sein oder aber 36 Seiten mit Detailinformationen zu Themen wie Beleuchtung, Videoeinspielungen und gewünschten Kamerawinkeln. Wir versuchen all diese Informationen zu berücksichtigen und überlegen, wie wir sie technisch umsetzen können, um die Wünsche der Teilnehmer bestmöglich zu erfüllen. Aber auch die Abwechslung ist ein wichtiger Aspekt, den wir berücksichtigen müssen. Es würde schnell langweilig, wenn alle Länder beispielsweise blaue Lichter oder Konfetti bei ihren Auftritten verwenden würden. Jedes Jahr erleben wir Trends. Die Herausforderung liegt darin, zu gewährleisten, dass sich die einzelnen Auftritte voneinander unterscheiden und die jeweilige Anmutung dennoch den Wünschen gerecht wird. Bei 42 Songs plus drei Auftritten zur Eröffnung und weiteren drei Zwischenakten braucht man eine ganze "Wundertüte" an Leuchten, um ausreichend Variationsmöglichkeiten zu haben. Haben einzelne Länder bestimmte Vorlieben im Hinblick auf Lichtdesign oder Farben? Jönsson: Dieses Jahr haben sich deutlich mehr Länder für kalte Farben entschieden: Blautöne, Eisfarben, Polarlichter und so weiter. Wir werden jedoch versuchen, die Teilnehmer zu überzeugen, dass wir mehr Abwechslung bieten müssen. Jede Show sollte ein eigenständiger visueller Auftritt sein. Wenn wir mit der Arbeit fertig sind, präsentieren sich am Ende hoffentlich alle Songs ganz individuell. Wie sieht das Gesamtkonzept für das Lichtdesign beim diesjährigen ESC aus? Jönsson: Ich habe mich an einer traditionelleren Rock'n'Roll-Beleuchtung versucht. Das hängt mit den Gesamtaufbau zusammen, der dieses Jahr sehr geradlinig ist. Eine riesige Perspektive, festgelegte Linien und Winkel – alles sehr symmetrisch. Ein sehr "maskulines" Design. Es fühlt sich gewaltig an. Somit war es wichtig, dass alle meine Mai 2016 Beleuchtungskonzepte souverän, beziehungsweise "maskulin" herüberkommen. Ich habe mich von den großen Rock'n'Roll-Tourneen in den 90er Jahren inspirieren lassen, als alle Rock Bands riesige, symmetrische Lichtanlagen verwendeten. Hoffentlich wird es uns gelingen, dieses Ambiente nachzubilden. Die Lichter sind in Linien und Gruppen zu viert, zu sechst oder zu acht angeordnet – es gibt sogar einmal 56 Lichter in schnurgerader Reihe. Auch innerhalb der Bühne haben wir eine große Anzahl an Lichtern verbaut. Hoffentlich harmoniert all das auch vor der Kamera. Würden Sie uns einige technische Details des Events verraten? Jönsson: Die Globe-Arena ist weltweit eines der größten sphärischen Gebäude. Die Kuppel über der Veranstaltungshalle hat dieselbe Größe wie die Arena selbst. Wir werden die Kuppel mit 200 LED-Deckenleuchten ausleuchten – das gab es noch nie. So können die Zuschauer die riesige Höhe erfassen – vom Boden bis zur Spitze der Kuppel sind es immerhin beeindruckende 90 Meter! Für die Bühne installieren wir rund 1.000 schwenkbare Leuchten. Für die Steuerung der Leuchten verwenden wir 25.000 Kanäle, zudem haben wir 900 Quadratmeter hochauflösender LED-Videowände aufgebaut. Der Beleuchtungsaufbau unter dem Dach wiegt 109 Tonnen. 10 Stromgeneratoren und 15 Kilometer Hochspannungskabel sind für die Stromversorgung erforderlich. Alles in allem werden beim Event 143 Kilometer Kabel verlegt – und 220 Leute arbeiten zusammen, damit die Show am Ende reibungslos über die Fernsehbildschirme läuft. Wieviel Zeit haben Planung und Vorbereitung in Anspruch genommen? Jönsson: Ein erstes Set-Design war im Oktober fertig. Anschließend habe ich mich auf die Suche nach der erforderlichen Ausrüstung gemacht. In den Weihnachtsferien habe ich mich mit dem Lichtdesign und den Konzepten beschäftigt – und schließlich die verrücktesten verworfen. Ich hatte eine ziemlich genaue Vorstellung davon, was ich tun wollte. Anfang Februar hatte ich das Konzept fast fertig und kümmerte mich um den Technikteil. Als die Teilnehmer aus den einzelnen Ländern feststanden, begannen dann die Kreativ-Meetings und ich beschäftigte mich mit den Songs. Bevor wir in die Veranstaltungshalle gingen, standen vier Wochen mit Vorproduktionen beim schwedischen Fernsehen auf dem Terminplan. Dort haben wir ein virtuelles Studio mit allen Lichtdesigns errichtet. Da wir während dieser vier Wochen alle Songs vorprogrammiert haben, verfügen wir bereits über ein gespeichertes Design für jeden Song im System. Was ist neu an der Beleuchtung für den ESC 2016? Jönsson: Wir arbeiten mit einigen ziemlich coolen Tracking-Systemen. Die Systeme an sich sind nicht neu, aber in diesem Jahr haben wir eine große Anzahl solcher Spielereien auf eine bisher wohl einmalige Weise kombiniert. Außerdem haben wir sehr viele bewegliche Elemente im Dach installiert, sodass wir das Bühnendesign quasi unterbrechen und wechseln können. Ich würde nicht sagen, dass wir eine revolutionäre neue Technik haben, aber wir haben bewährte Technologien auf nie dagewesene Weise kombiniert. Auf welche Lichtshow dürfen sich die Zuschauer besonders freuen? Haben Sie da einen Favoriten unter den Ländern? Jönsson: Georgien präsentiert eine Rock'n'Roll-Nummer mit zahlreichen dramatischen Wechseln. Wir Lichtdesigner lieben Songs mit dramatischen Wendungen, die wir dann in der Beleuchtung nachbilden können. Wir haben noch drei oder vier weitere Rock-Songs, wo wir entsprechend alles aufbieten können. Mai 2016 Wie viele Personen arbeiten am Aufbau der Lichtshow für den ESC mit? Jönsson: Emma Landare assistiert mir als Lichtdesignerin. Sie kümmert sich um die Eröffnungen und Überleitungen. In unserem Team arbeiten vier Beleuchter und drei VideoOperators mit, die alle visuellen Effekte auf der Bühne steuern, sowie vier weitere Techniker, die fortwährend visuelle Inhalte für unseren Content-Designer Mikki Kuntto erstellen. Ich beschäftige etwa 30 Licht- und Videotechniker, die all dies umsetzen. Und außerdem 14 Beleuchter für die Nachverfolgung mittels Spots. Was wäre Ihrer Ansicht nach das Schlimmste, was bei der Show passieren könnte? Jönsson: Ein Stromausfall. Beim ESC sind aber sämtliche Steuerkomponenten doppelt vorhanden. Doppelte Lichtkonsolen, doppelte Rechner, alles ist zweifach vorhanden. Auch alle Verbindungen sind redundant aufgebaut. Und wir sind auch nicht einmal vom normalen Stromnetz abhängig, sondern verwenden eigene Generatoren. Selbst wenn die gesamte Stadt Stockholm wegen eines Stromausfalls in Dunkelheit versänke, können wir immer noch senden. Es ist noch gar nicht lange her, dass Lichtdesigner zögerten, LED-basierte Produkte für Shows einzusetzen, da sie sich über deren Zuverlässigkeit nicht sicher waren. Hat sich das nun geändert? Jönsson: Absolut. Wir verwenden sehr viel LED-Technik. So leuchten wir zum Beispiel die gesamte Kuppel mittels LED-Strahlern aus. Für die Beleuchtung der Arena und des Zuschauerraums verwenden wir ebenfalls teilweise LED. Und auch auf der Bühne kommen mehr LED zum Einsatz. Die Leuchtdioden werden von Jahr zu Jahr besser, sie können nun in richtigem Weiß strahlen, ohne rosa-Stich. In Zukunft werden wir mehr und mehr LEDs einsetzen. Was ist Ihrer Ansicht nach die neueste und bedeutendste Innovation in der Entertainment-Beleuchtung? Jönsson: Wie erwähnt, sind LED heutzutage weißer denn je. Das hilft mir ungemein, weil ich die meiste Zeit für das Fernsehen arbeite, wo Farbkonsistenz und die Fähigkeit, weißes Licht zu erzeugen, sehr wichtig sind. Weißes Licht ohne Grün- oder Pink-Anteile ist schlicht genial. Die LED-Technologie entwickelt sich rapide, und das kommt mir sehr entgegen. Es gibt da eine Unmenge an High-Tech-Komponenten und die Grenzen verschieben sich immer weiter. Jedes Jahr erscheinen innovative Produkte am Markt, die auf völlig neuen Ansätzen und Technologien basieren. Der Fortschritt ist riesig. Wohin geht Ihrer Meinung nach der Trend bei der Entertainment-Beleuchtung? Jönsson: Ich denke, Licht- und Videotechnik werden immer mehr miteinander verschmelzen. Effekt-Videos und ähnliche Dinge sind bereits heute ein wichtiges Thema in der Lichtszene. Mit den aktuellen Medienservern und Steuersystemen ist es sehr leicht, Videos für unsere Zwecke zu programmieren. Deshalb bin ich überzeugt, dass Licht und Video sich immer weiter annähern werden. Dank immer leistungsstärkeren Rechnern werden wir uns zunehmend in diese Richtung entwickeln. Ich begrüße diese Entwicklung sehr, weil sie der Kreativität aller Beteiligten Flügel verleiht. Mai 2016 Das klingt, als ob Sie als Licht-Designer gleichzeitig ein IT-Fachmann sein müssen, um all dies programmieren zu können. Jönsson: Ich versuche, mich nicht zu sehr damit zu beschäftigen, weil ich mich auf die Abläufe auf der Bühne konzentrieren muss. Mein Job ist es, dass Lichter exakt im richtigen Moment an- und ausgehen oder von Blau auf Rot wechseln. Insofern kommt es darauf an, mich mit kompetenten Technikern zu umgeben. Man braucht Spezialisten, die sich um diese Dinge kümmern. Als Einzelperson ist es unmöglich, mit allen Neuentwicklungen Schritt zu halten. Wenn Sie einen Wunsch frei hätten und über alle Produkte oder Technologien verfügen könnten, von denen Sie jemals geträumt haben – was käme Ihnen spontan in den Sinn? Jönsson: Das ist eine gute Frage. Wie wäre es mit Licht, dass ich mitten in der Luft stoppen kann? Das wäre eine coole Sache. Wer immer das entwickelt, würde den Nobelpreis gewinnen. Mai 2016