Albanien, Makedonien
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Albanien, Makedonien
Religion & Gesellschaft RGOW 4 / 2012 40. Jahrgang in Ost Albanien, Makedonien Das Verhältnis von Religion und Nation in Albanien 10 Menschenhandel in Albanien 13 Makedonien im 20. Jahrhundert 16 und West 2| e d i tor i a l Nr. 4 2012 RGOW I N H A LT 3 I M F O K US Jasmina Opardija Bessere Perspektiven für junge Sozialwissenschaftler schaffen 4 R U N D S C H AU ALBANIEN Hans Lempert 10Das Verhältnis von Religion und Nation in Albanien 13 Eglantina Gjermeni Menschenhandel in Albanien Liebe Leserin Lieber Leser Von den südosteuropäischen Ländern macht gegenwärtig vor allem Griechenland Schlagzeilen. Die anderen Länder der Region verschwinden dagegen im Windschatten der griechischen Krise. Dies gilt nicht zuletzt für die beiden unmittelbaren Nachbarn von Griechenland: Albanien und Makedonien. Mit Albanien werden in der öffentlichen Wahrnehmung zumeist diffuse Vorstellungen und Schlagworte wie «Armenhaus Europas» und «Blutrache» verbunden. Im Falle Makedonien ist am ehesten der epische Streit mit Griechenland um den Staatsnamen be- 16 MAKEDONIEN kannt, über dessen jeweiligen Wendungen die Tagespresse in regel- Nada Boškovska Makedonien im 20. Jahrhundert mäßigen Abständen berichtet. Jüngster Akt in dem nicht enden wollenden Drama war im Dezember 2011 die Verurteilung Griechenlands durch den Internationalen Gerichtshof in Den Haag, da Griechenland Nenad Markovikj u. a. 19Die Rolle der EU beim Konfliktmanagement in Makedonien 2008 unrechtmäßig den NATO-Beitritt Makedoniens verhindert habe. Ljupco S. Risteski 22Die Torbeschen in Makedonien eine stürmische Entwicklung genommen: Albanien wurde 1990 als letz- Hristina Cipusheva u. a. 25Arbeitsmigration aus Albanien und Makedonien Albanien und Makedonien, die beide eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union anstreben, haben in den letzten beiden Jahrzehnten tes Land im östlichen Europa von der Wende erfasst, nach jahrzehnterlanger Isolation unter dem Regime von Enver Hoxha öffnete sich das Land schrittweise Richtung Westen. Politisch und wirtschaftlich hat das Land in den letzten Jahren zweifellos große Fortschritte gemacht, doch leidet es an einer scharfen Polarisierung der beiden großen politischen Parteien, was immer wieder zu Blockaden im Reformprozess P R O J E K TA R B E I T Franziska Rich, Priester Leonid Zapok 28Aufbau eines orthodoxen Gemeindelebens in Fernost führt. Schwache staatliche Institutionen, Armut und Perspektivlosigkeit sind die Ursachen für eines der gravierendsten Probleme Albaniens – dem Menschenhandel, über den Eglantina Gjermeni berichtet. Mit der politischen Entwicklung Makedoniens im 20. Jahrhundert macht der Beitrag von Nada Boškovska vertraut. Makedonien konnte sich 1991 friedlich von Jugoslawien lösen, allerdings kam es im Jahr 2001 zu BUCHANZEIGEN Sabrina P. Ramet 30Die drei Jugoslawien bewaffneten Zusammenstößen zwischen makedonischen Sicherheitskräften und einer albanischen Guerilla, die für eine Verbesserung der Minderheitenrechte der albanischen Bevölkerung kämpfte. Der Konflikt konnte jedoch rasch beigelegt werden, wie der Artikel zur Rolle der EU 31 Oliver Schmitt (Hg.) Religion und Kultur im albanischsprachigen Südosteuropa beim Konfliktmanagement in Makedonien veranschaulicht. Karl Kaser Balkan und Naher Osten gramme in the Western Balkans» (RRPP) entstanden. An dieser Stelle Die vorliegende Ausgabe zu Albanien und Makedonien ist in Kooperation mit dem Forschungsnetzwerk «Regional Research Promotion Promöchten wir den Koordinatoren des Netzwerks bei der Auswahl der Autorinnen und Autoren – unter anderem mehrere Nachwuchswissenschaftler aus Albanien und Makedonien – und für die großzügige fi- Die Zeitschrift RGOW wird vom Institut G2W, Ökumenisches Forum für Glauben, Religion und Gesellschaft herausgegeben, das vom gleichnamigen Verein getragen wird. © N achdruck von Texten und Übernahme von Bildern nur mit Genehmigung der Redaktion. nanzielle Unterstützung danken. Stefan Kube, Chefredakteur Nr. 4 2012 RGOW im fokus Jasmina Opardija Bessere Perspektiven für junge Sozialwissenschaftler schaffen Der Westliche Balkan ist nach wie vor eine Region, die durch ethnische Konflikte, unvollendete Staatsbildungsprozesse (vor allem in Bosnien-Herzegowina und Kosovo), beträchtliche soziale Ungleichheiten und Armut gekennzeichnet ist. Vor dem Hintergrund der jahrzehntelangen politischen Instabilität dieser Region vollzieht sich der politische und sozio-ökonomische Wandel nur sehr langsam. Die Ungleichheiten sind dabei nicht nur eine Folge der ethnischen Konflikte und Kriege der 1990er Jahre, sondern auch ein Vermächtnis der sozialistischen Vergangenheit. Aufbau eines Forschungsnetzwerks Strukturelle Reformen sind besonders im Bereich der Hochschulbildung und Forschung vonnöten. Die notwendigen Reformen auf diesem Gebiet werden vor allem von der Europäischen Union (EU) vorgegeben, deren Mitgliedschaft alle Länder des sog. Westlichen Balkans anstreben: Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Makedonien, Montenegro und Serbien. Auf ein konkretes Beitrittsdatum kann sich zurzeit aber nur Kroatien freuen, das neben Slowenien als zweites Land des ehemaligen Jugoslawiens im Juli 2013 als 28. Mitgliedstaat in die EU aufgenommen werden soll. Alle anderen Länder müssen noch warten und sich vor allem noch stärker um Staatsreformen und regionale Zusammenarbeit bemühen. Für die Sozialwissenschaften bleibt die Region, die sich immer noch im Wandel befindet, nach wie vor ein spannendes Forschungsgebiet. Seit 2008 unterstützt die Schweizer «Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit» (DEZA) den Aufbau sozialwissenschaftlicher Kapazitäten im Westlichen Balkan (ohne Kroatien). Den Auftrag, dieses Regional Research Promotion Programme in the Western Balkans umzusetzen, hat die Universität Fribourg erhalten. Seit nun mehr als vier Jahren ist es dem Team in Fribourg gelungen, ein großes internationales und regionales Netzwerk von Institutionen und Personen aufzubauen, die sich mit transformationsrelevanten Themen beschäftigen. Ein zentrales Anliegen ist zudem die Förderung von Forschung an den öffentlichen Universitäten in der Region, wo empirische Forschung häufig immer noch in den Kinderschuhen steckt. Gerade für jüngere Forschende ist es schwierig, sich in diesem Bereich zu etablieren, da sie oft als unerwünschte Konkurrenz betrachtet werden oder gar nicht zu Doktorandenstellen kommen, weil diese intransparent vergeben werden. Ihre akademische Entwicklung und Förderung wird oftmals durch veraltete und patriarchale Strukturen, mangelnde Methodenausbildung und schlechten Zugang zu internationalen Netzwerken und internationalem Wissen verhindert. Regionale Forschungsteams Langfristig gesehen sollten gerade die Resultate der sozialwissenschaftlichen Forschung zum Verstehen der oft sehr komplexen Transformationsprozesse und zur Entwicklung von möglichen Lösungsansätzen verhelfen. Deshalb werden im Rahmen des RRPP vor allem Projekte unterstützt, die sich mit folgenden, auf die Region bezogenen Themen beschäftigen: 1) Rechtsstaat und Demokratie 2) Sozialer und wirtschaftlicher Wandel sowie die Herausforderungen der (neuen) sozialen Ungleichheiten 3) «Managing Diversity» (nationale, ethnische und religiöse Identitäten, Gender, Jugendliche und Minderheiten, inkl. Roma) 4) Staaten, Netzwerke und Informalität Bis 2013 wird das RRPP ca. 3 Millionen Schweizer Franken in die Forschungsprojekte im Westlichen Balkan investieren. Bisher wurden fast 40 Projekte bewilligt. Derzeit laufen zehn regionale und acht auf Serbien fokussierte Projekte (http://www. rrpp-westernbalkans.net/en/research/Current-Projects.html). Dadurch werden insbesondere regionale Forschungsteams gestärkt. Diese setzen sich aus einer neuen Generation von Forscherinnen zusammen, der Vernetzungsmöglichkeiten in einer von Krieg gekennzeichneten Region oftmals fehlen. Es sind Forscherinnen, die gemeinsam an Projekten arbeiten möchten und deren Anliegen es ist, die Transformationsprozesse kritisch und offen zu diskutieren – auch über die ethnischen Grenzen hinweg. Seminare für Nachwuchswissenschaftler Neben den Forschungsprojekten unterstützt und organisiert das RRPP auch Seminare zu Forschungsmethoden, vor allem für Doktorierende und junge Forschende. Da neuere sozialwissenschaftliche Methoden an den hiesigen Universitäten kaum unterrichtet werden, versucht das Programm unter Einbeziehung internationaler Experten diese Kluft zu überbrücken. Die Methodenseminare werden für mehr als 100 Teilnehmende jährlich angeboten und finden immer in regionaler Zusammensetzung im Westlichen Balkan statt. Zur Vernetzung und zum Austausch der Forschungsideen und -resultate dienen die Jahreskonferenzen, bei denen Forscher aus der Region mit Forschenden aus aller Welt, die sich mit der Region befassen, zusammentreffen. Doch was wird passieren, wenn es dieses von der Schweiz aus finanzierte Programm nicht mehr gibt? Derzeit arbeiten die RRPP-Koordinatorinnen mit den zuständigen Behörden und Entscheidungsträgern vor Ort in einem «Policy Dialogue» zusammen. Ziel ist es, Lösungsansätze zu finden, um den Status der Sozialwissenschaften in den jeweiligen Ländern längerfristig und innerhalb der bestehenden Strukturen zu verbessern. Durch die Unterstützung einer neuen Generation von Sozialwissenschaftlern, die zum Teil in wichtige Entscheidungspositionen gelangen, möchte das Programm somit einen längerfristigen und nachhaltigen Beitrag zu den politischen und sozial-ökonomischen Reformen im Westlichen Balkan leisten. Jasmina Opardija, Programm-Managerin des von der Schweizer «Direktion für Entwicklung und Zusammmenarbeit» (DEZA) geförderten «Regional Research Promotion Programme in the Western Balkans» (RRPP) an der Universität Freiburg Schweiz; www.rrpp-westernbalkans.net. |3 4| rundschau Nr. 4 2012 RGOW Albanien Albanische Orthodoxe Kirche weiht zwei neue Bischöfe Die Orthodoxe Kirche von Albanien hat ihre bisher aus sechs Bischöfen bestehende Hierarchie um zwei Bischöfe erweitert. Zum 20. Jahrestag des Wiedererstehens der orthodoxen Kirche nach ihrer völligen Unterdrückung durch das kommunistische Regime von Enver Hoxha weihte das Oberhaupt der Orthodoxen Kirche von Albanien, Erzbischof Anastasios (Yannoulatos) von Tirana, Archimandrit Nathaneil (Lavriotis) und Archimandrit Asti (Bakalbashi) Ende Januar zu Bischöfen. Beide Hierarchen waren am 19. Januar auf Vorschlag des aus Geistlichen und Laien bestehenden Konzils der Kirche einstimmig gewählt worden. Der 54-jährige Bischof Nathaneil wurde in jungen Jahren Mönch der Großen Lavra auf dem Berg Athos, absolvierte zunächst die Athonitische Hochschule und anschließend die Theologische Fakultät an der Universität Thessaloniki. 1991, noch vor dem offiziellen Wiedererstehen der orthodoxen Kirche wurde er nach Albanien entsandt und wirkte dort in der Metropolie Gjirokastër. Neben seinen bischöflichen Aufgaben übernimmt er die Supervision über die Klöster. Bischof Nathaneil ist gebürtiger Grieche und spricht fließend Albanisch. Bischof Asti ist gebürtiger Albaner und stammt aus einer orthodoxen Familie, die ihren Glauben jedoch nur im Geheimen ausüben konnte. Er studierte zunächst an der Theologischen Akademie von Vlash und dann an der Theologischen Fakultät der Universität Thessaloniki. Zusätzlich zu seiner Funktion als Vikar des Erzbischofs übernimmt er die Leitung der orthodoxen Hilfsorganisation «Diakonia Agapes» (Diakonie der Liebe). www.orthodoxalbania.org, 23. Januar; KNA-ÖKI, 31. Januar 2012 – O.S. Bulgarien Bulgarische Orthodoxe Kirche will alle Geistlichen überprüfen lassen Der Hl. Synod der Bulgarischen Orthodoxen Kirche verzichtet auf eine offizielle Stellungnahme zum Bericht der «Kommission für die Öffnung der Akten der Staatssicherheit», wonach elf seiner 15 Mitglieder während der kommunistischen Zeit als Informelle Mitarbeiter mit der Staatssicherheit zusammengearbeitet haben (s. RGOW 3/2012, S. 4f.). Patriarch Maksim hatte die Metropoliten zwar zu einer einstimmigen Erklärung aufgefordert, doch darauf konnten sich die Hierarchen nicht einigen. Die Metropoliten Gavriil (Dinev) von Loveč und Amvrosij (Paraškenov) von Dorostol – laut der «Kommission für die Öffnung der Akten der Staatssicherheit» waren beide keine Informellen Mitarbeiter – erklärten, jeder ihrer Amtsbrüder, der kollaboriert hätte, müsse sich persönlich entschuldigen und Verantwortung auf sich nehmen. Einige hätten über Jahre aktiv mit den Geheimdiensten zusammengearbeitet, während andere lediglich Berichte über ihre Auslandsreisen verfasst hätten. Der Hl. Synod beschloss allerdings, der «Kommission für die Öffnung der Akten der Staatssicherheit» die Daten aller Kleriker zur Verfügung zu stellen, um diese auf mögliche Kontakte zu den kommunistischen Geheimdiensten überprüfen zu lassen. Da die Kommission jedoch eine solche Untersuchung nicht ohne das schriftliche Einverständnis der betreffenden Person durchführen darf, stellen die von der Kirche vorgelegten Daten für sich genommen jedoch keine juristische Grundlage einer Überprüfung dar. Die Metropoliten Neofit (Dimitrov) von Ruse und Kirill (Kovačev) von VarnaPreslav haben bereits gegen den Syno- dalbeschluss protestiert und erklärt, sie würden der Kommission keine Daten weiterleiten: Das bulgarische Gesetz sehe nicht vor, dass Geistliche – im Gegensatz zu anderen Amtsträgern – einer Überprüfung als Informelle Mitarbeiter unterliegen würden. In der Eparchie Plovdiv wurden die meisten Geistlichen bereits einer Prüfung durch die Kommission unterzogen. Metropolit Nikolaj (Sevastianov) hatte seine Priester gleich nach der Veröffentlichung des Berichts der Untersuchungskommission aufgefordert, der Übergabe ihrer Daten an die Kommission zuzustimmen. Das Resultat dieser Überprüfung wurde nicht veröffentlicht, sondern lediglich Metropolit Nikolaj mitgeteilt. www.portal-credo.ru, 24. Januar; 1., 18. Februar 2012 – O.S. Polen Streit um TV-Lizenz für katholischen Sender Der Nationale Rundfunkrat Polens hat dem Sender des umstrittenen Paters und Radio Maryja-Gründers Tadeusz Rydzyk die Lizenz für digitales terrestrisches Fernsehen verweigert. Polens größter katholischer TV-Sender Trwam droht somit aus dem Kabelnetz des Landes zu fliegen. Ohne die Lizenz ist das Programm ab August nicht mehr über Kabel zu empfangen, sondern nur noch per Satellit und Internet. Die Ablehnung der Digitalfrequenz für Trwam belastet seit Wochen das Verhältnis zwischen der katholischen Kirche und der liberal-konservativen Regierung unter Donald Tusk. Rydzyk hat im Rundfunksender und in der ebenfalls von ihm gegründeten Tageszeitung Nasz Dziennik zu Protesten gegen die Entscheidung aufgerufen. Alle Menschen, denen «Freiheit, Pluralismus und Demokratie» wichtig seien, sollten Unterschriften sammeln und an den Rundfunkrat schicken. Nach Anga- RGOW Rundschau Mittlerweile machen sich Abgeordnete der rechtskonservativen Opposition für eine Anklage des Rundfunkratschefs, Jan Dworak, vor dem Staatsgerichtshof stark. Dworak hatte die Ablehnung einer Digital-Frequenz für TV Trwam mit fehlenden finanziellen Sicherheiten des Senders begründet. Die Mitglieder des Rundfunkrats werden von beiden Parlamentskammern und dem Staatspräsidenten berufen. Sie dürfen laut Verfassung keiner politischen Partei oder Gewerkschaft angehören. Der Pressesprecher der Polnischen Bischofskonferenz, Józef Kloch, bezeichnete die Entscheidung der Behörde als «überraschend». Die Angelegenheit müsse aufgeklärt werden. Die Polnische Bischofskonferenz hatte massiv auf eine Sendelizenz gedrängt. Ihr Vorsitzender, Erzbischof Józef Michalik von Przemyśl, kritisierte die Begründung für die Ablehnung als «unsauber» und schrieb in seinem Fastenhirtenbrief, die Sendegruppe werde von einer «Regierungs- institution» diskriminiert. Laut dem Erzbischof werde die katholische Kirche durch die häufigen Attacken «aus libertären, atheistischen und freimaurerischen Kreisen» in die Enge getrieben. Sorge bereiteten ihm zudem die «Spaltungen innerhalb der Kirche». Der 2003 gegründete TV-Sender Trwam überträgt u. a. zahlreiche Gottesdienste und die Auslandsreisen von Papst Benedikt XVI. live. In den Nachrichtensendungen wird die Regierung häufig kritisiert. Er strahlt sein Programm bisher nicht terrestrisch aus, sondern nur über Satellit, Kabel und Internet. An das polnische Kabelnetz sind etwa 4,5 Millionen Haushalte angeschlossen, somit gehört es zu den größten in der EU. Im Sommer 2013 wird in Polen das terrestrische Fernsehen von analog auf digital umgestellt. Neben Trwam sind auch vier weitere TVSender mit Lizenzanträgen gescheitert. Nr. 4 2012 ben des TV-Senders seien mehr als eine Million Menschen dem Aufruf nachgekommen. Eine Sprecherin des Rundfunkrats erklärte hingegen in der Ausgabe der Zeitung Gazeta Wyborcza vom 22. Februar, bei ihr seien «nicht mehr als 200 000 Unterschriften» eingegangen. Rydzyk will vor dem Verwaltungsgericht in Warschau gegen die Lizenzverweigerung klagen. In der von ihm gegründeten Tageszeitung Nasz Dziennik warf Rydzyk der Regierung vor, Katholiken zu diskriminieren. Der Senderchef macht die Regierung von Ministerpräsident Donald Tusk dafür verantwortlich, dass der nationale Rundfunkrat TV Trwam keine Lizenz für das digitale terrestrische Fernsehen erteilt hat. Das Gremium werde von der Regierungspartei Bürgerplattform kontrolliert. Die Entscheidung des Rundfunkrats sei rechtswidrig und stelle einen Angriff auf die Katholiken dar, hatte Rydzyk bereits zuvor bei einer Anhörung im Oberhaus des polnischen Parlaments, dem Senat, erklärt. Kathpress, 6., 20. Januar, 6., 21., 22. Februar 2012 – R.Z. Regierung will Zahl der Militärgeistlichen halbieren Polens Regierung will bei der Militärseelsorge sparen: Die Zahl der Militärgeistlichen soll bis zum Jahresende halbiert werden, hat Ministerpräsident Donald Tusk nach einer Unterredung mit Verteidigungsminister Tomasz Siemoniak mitgeteilt. Zur Begründung verwies er darauf, dass es immer weni- ger Soldaten gebe und trotzdem in den vergangenen Jahren zusätzliche Seelsorger eingestellt worden seien. Bislang waren für das polnische Militär etwa 180 katholische Priester tätig. Zudem gibt es in Polen 30 orthodoxe und protestantische Geistliche. Rund 100 0 00 Soldaten stehen derzeit im Dienst der an mehreren Auslandseinsätzen beteiligten polnischen Berufsarmee. Das 1991 wiedererrichtete katholische Militärordinariat zählt fast 100 Pfarreien. Kathpress 26. Februar 2012. Regierung bemängelt überzogene Restitution an Kirche Die katholische Kirche in Polen hat laut einem Regierungsgutachten zu viel Entschädigung für ihr im Kommunismus beschlagnahmtes Eigentum erhalten. Prüfer stellten nach Angaben der Tageszeitung Gazeta Wyborcza mehrere hundert Fälle fest, in denen die staatliche Restitutionskommission der Kirche seit 1989 zu Unrecht Grundstücke oder Geld zugesprochen habe. Pfarreien und Ordensgemeinschaften hätten eine Entschädigung erhalten, obwohl ihre Restitutionsanträge bereits erfüllt gewesen seien. Das Blatt berichtet weiter, Mitarbeiter der Staatskanzlei prüften im Auftrag von Ministerpräsident Donald Tusk nach zahlreichen Betrugs- und Korruptionsvorwürfen die Akten der Kommission. Sie hätten bei der Kirchenentschädigung ein «einmaliges Durcheinander» festgestellt. So habe der Zisterzienserorden in Krakau 2004 15 Mio. Euro erhalten, obwohl er 1994 bereits durch ein Grund- stück entschädigt worden sei. Wie hoch der Schaden für den Staat insgesamt sein soll, steht dem Bericht zufolge nicht in dem Gutachten. Der vor einem Jahr aufgelösten Restitutionskommission gehörten je sechs Vertreter der Regierung und der Bischofskonferenz an. Gegen sechs ehemalige Kommissionsmitglieder erhob die Staatsanwaltschaft Anklage wegen Bestechlichkeit und Untreue. Statt dem Gremium sind seit März 2011 Gerichte für die wenigen übrigen Restitutionsanträge zuständig. Die kommunistischen Machthaber hatten der Kirche 1950 einen Großteil ihres Besitzes genommen. Beschlagnahmt wurden unter anderem rund 100 000 Hektar Land. Laut dem Regierungsgutachten sprach die Kommission der Kirche insgesamt 66 500 Hektar Land und umgerechnet knapp 34 Mio. Euro als Entschädigung zu. Von mehr als 30 000 Anträgen blieben lediglich 142 offen. Kirchliche Einrichtun- gen erhielten meist andere als die einst verstaatlichten Grundstücke und Immobilien, weil häufig eine anderweitige Nutzung des einstigen Kircheneigentums eine Rückgabe ausschloss. Kathpress, 17. Februar 2012. An andere denken – RGOW schenken! Geht es nicht auch Ihnen oft so: Sie lesen Artikel, die besonders interessant sind. Dabei denken Sie: Das sollte die oder der in meinem Verwandtenund Freundesk reis auch lesen. Gedacht – getan: Ein RGOW-Geschenkabonnement für CHF 80.–, oder ¤ 65.– jährlich. Bestellen Sie es bei G2W, Postfach 9329, CH-8036 Zürich Tel. 0041 (0)43 322 22 44, Fax 0041 (0)43 322 22 40, E-Mail: [email protected] |5 6| rundschau Nr. 4 2012 RGOW Lutheraner und Reformierte vereinbaren engere Zusammenarbeit Am Aschermittwoch haben die lutherische und die reformierte Kirche in Warschau ein Abkommen unterzeichnet, das die Mitwirkungsmöglichkeiten reformierter Christen in den lutherischen Gemeinden – und umgekehrt – erhöht. Den Gliedern der jeweils anderen Kirche wird ab sofort das aktive wie passive Wahlrecht auf Gemeindeebene gewährt, ohne dass sie ihre konfessionelle Identität aufgeben müssen. Demnach dürfen sie den Pfarrer und den Gemeindevorstand mitwählen und auch diesem Gremium angehören. Zudem können sie in den Gemeindeversammlungen etwa über den Haushalt mitentscheiden. Der Zugang zur Leitung der Diözese bleibt ihnen allerdings verwehrt. Mit dem Vertrag wollen beide Kirchen ihren Gliedern das religiöse Leben in der Diaspora erleichtern. Wenn es in ihrer Umgebung keine Gemeinde ihrer Kirche gibt, können sie sich voll in die Gemeinde der anderen protestantischen Konfession integrieren. Die Evangelisch-Augsburgische Kirche in Polen zählt rund 75 0 00 Glieder in 134 Gemeinden, die Evangelisch-Refor- mierte Kirche 3000 Glieder in acht Gemeinden. Beide Kirchen gehören zur Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE, Leuenberger Kirchengemeinschaft) und arbeiten auf mehreren Gebieten gut zusammen, wie z. B. in der Diakonie. Außerdem dürfen bereits seit einiger Zeit Pfarrer in der jeweils anderen Kirche aushelfen. Eine Fusion beider Kirchen ist allerdings nicht geplant. www.protestantnews.eu/poland/14794, 22. Februar; KNA-ÖKI, 27. Februar 2012 – S.K. Rumänien Reorganisation der evangelisch-theologischen Fakultät in Sibiu Seit Herbst 2011 ist das Studium der evangelischen Theologie im neu gegründeten «Departement für Geschichte, Patrimonium und Protestantische Theologie» innerhalb der Fakultät für soziale und Geisteswissenschaften an der Lucian-Blaga-Universität in Sibiu / Hermannstadt möglich. Diese Neugründung ist ein erneuter Versuch, die theologische Ausbildung der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien zu erhalten. Die erste eigene Fakultät wurde 1949 in Cluj / Klausenburg gegründet, weil unter dem kommunistischem Regime die Pfarrer nicht mehr wie bisher im Ausland studieren konnten. 1955 erfolgte der Umzug nach Sibiu; 2006 gelang nach längeren Verhandlungen die Integration in die staatliche Lucian-Blaga-Universität (s. G2W 11/2010, S. 14-15). Das Interesse an dem vom Departement angebotenen Fächern hält sich allerdings bisher in Grenzen: Bei den Einschreibungen im September 2011 fanden sich keine Kandidaten für die angebotenen Studienfächer. Die Evangelische Kirche A. B. ist damit zunehmend gezwungen, neue Wege in der Pfarrerausbildung zu gehen. Im Gespräch sind beispielsweise Stipendien für ein Studium im Ausland. Grundsätzlich besteht jedoch der Wunsch, die Ausbildungsstätte in Sibiu nicht aufzugeben. Die Evangelische Kirche A. B. zählt gegenwärtig 45 Pfarrerinnen und Pfarrer, von denen 39 im Gemeindedienst sind. Unter den 247 Gemeinden der Kirche befinden sich zahlreiche Kleinstgemeinden mit nur wenigen Mitgliedern. Gustav-Adolf-Blatt 1/2012, S. 15. russland Putin trifft Vertreter aller traditionellen Religionsgemeinschaften Vertreter der traditionellen Religionsgemeinschaften haben sich am 8. Februar auf Einladung von Patriarch Kirill mit Vladimir Putin, Ministerpräsident und Präsidentschaftskandidat, im Moskauer Daniilkloster zu einem Austausch über sozial-politische Themen getroffen. Die Forderungen der Opposition oder die sozialen Probleme des Landes wurden nicht thematisiert, vielmehr gestaltete sich das Gespräch als eine Unterstützung für die Kandidatur Putins. Patriarch Kirill begrüßte Putin als den Kandidaten mit den besten Chancen für die Präsidentschaft und dankte ihm für dessen «Rolle bei der Begradigung der Schieflage der Nation» und für das Herausführen des Landes aus der Krise der 1990er Jahre. Was damals gesche- hen sei, ließe sich nur «mit der Zeit der Wirren im 17. Jahrhundert, dem Krieg gegen Napoleon, dem Bürgerkrieg oder der Hitlerschen Aggression» vergleichen, denn es sei um die schiere Existenz des Landes gegangen. «Durch das Wunder Gottes und die Mitwirkung der Staatsmacht und ihrer Führung» sei es gelungen, «der schrecklichen, gefährlichen Zone zu entrinnen. […] Ich als Patriarch muss die Wahrheit sprechen, und ich sage ohne jede Rücksicht auf politische Konjunktur: Die wichtigste Rolle haben Sie persönlich dabei gespielt, Vladimir Vladimirovitsch». Das bedeute allerdings nicht, dass die Religionsgemeinschaften nicht manches an seinem Tun oder den Vorgängen im Land kritisch sähen. Der Leiter des Kirchlichen Außenamtes des Moskauer Patriarchats, Metropolit Ilarion (Alfejev), dankte Putin für dessen Sorge um die Auslandsrussen, für welche die Gemeinden der Russischen Orthodoxen Kirche zu neuen Heimstätten geworden seien. Eine der wichtigsten Aufgaben «unserer Kirche ist das Sammeln der Heiligen Rus’, wie Patriarch Kirill es formuliert. Nicht zufällig besucht er so oft die Ukraine und andere Länder des nahen Auslands». Putin tue sehr viel dafür, «damit die zentrifugalen Kräfte im postsowjetischen Raum zu zentripetalen» würden und die Autorität Russlands wachse. Auch die anderen Religionsvertreter lobten Putin und seine Politik: Großmufti Talgat Tadjudtin erklärte, Putin RGOW rundschau Putin dankte den Religionsvertretern und sagte, der Staat stehe nicht zuletzt materiell «noch immer in der Schuld der Kirche und unserer traditionellen Religionen» und versprach ein ganzes Maßnahmenpaket: Für die Renovation religiöser Gebäude werde der Staat in den nächsten drei Jahren insgesamt umgerechnet 106 Mio. CHF freigeben und den Religionsgemeinschaften mehr Sendezeit am staatlichen Fernsehen zur Verfügung stellen. Zudem sollen künftig auch Geistliche das Fach «Religiöse Kultur und Ethik» an öffentlichen Schulen unterrichten dürfen, was bisher nicht gestattet war. Darüber hinaus sprach sich Putin für die Einführung von Theologie als geisteswissenschaftliches Fach an Fachhochschulen und Universitäten aus und für eine rechtliche – und damit auch finanzielle – Gleichstellung religiöser und säkularer Lehreinrichtungen. Bereits zuvor hatte Putin am 28. Januar einen Erlass über die Einführung der «Grundlagen religiöser Kultur und weltlicher Ethik» für das Schuljahr 2012/2013 in der 4. Klasse als obligatorisches Unterrichtsfach unterzeichnet (s. nachfolgende Meldung) und ein großangelegtes Ausbildungsprogramm für die Lehrer des neuen Fachs gutgeheißen. Nr. 4 2012 habe durch sein «direktes Handeln das Land vor dem Zerfall bewahrt», dank ihm wachse «das Ansehen Russlands auf der internationalen Bühne von Tag zu Tag.» Oberrabbiner Berl Lasar dankte Putin «für alles, was Sie für die Juden und die Religion im Allgemeinen getan haben» – die Zukunft werde noch besser. Pastor Sergej Rjachovskij von den Evangeliumschristen-Baptisten sagte: «Ihre Vorschläge legen sich einem geradewegs aufs Herz. […] Wir verbinden die Zukunft mit Ihnen, ohne Wenn und Aber!» Pastor Vasily Stoljar von den Adventisten erklärte: «Sie haben uns die Gegenwart gesichert und wir erwarten eine große Zukunft mit Ihnen. Wir beten für Sie, weil wir glauben, dass jede Staatsmacht von Gott ist. Gott segne Sie.» www.patriarchia.ru, 8. Februar; www.religion.ng.ru, 9. Februar; www.portal-credo.ru, 8.–15.Februar; www.interfax-reliigon.ru, 9. Februar; APD 48/2012 – O.S. Definitive Einführung des schulischen Religionsunterrichts Ende Januar 2012 hat die russische Regierung die definitive Einführung des schulischen Religionsunterrichts für die 4. Klasse des Schuljahres 2012/13 in ganz Russland bestätigt. Bis Ende März müssen sich die Schüler und ihre Eltern für eines der sechs angebotenen Module (mit den Schwerpunkten Ethik, Weltreligionen, Orthodoxe Kultur, Islam, Buddhismus oder Judentum) einschreiben. Damit soll gewährleistet werden, dass alle Schulen rechtzeitig genügend Lehrmaterial bestellen können. Ab Februar finden Weiterbildungskurse für eine bessere Qualifizierung des Lehrpersonals der Module statt. Der Mangel an Lehrbüchern und Vorbereitung der Lehrer ist in der Pilotphase des Projekts kritisiert worden (s. RGOW 1/2012, S. 9f.). Die Russische Orthodoxe Kirche unterstützt das Projekt und hat am 8. Februar im Kirchlichen Außenamt des Moskauer Patriarchats eine Pressekonferenz zum Thema veranstaltet. Die Fragen der Journalisten wurden von dessen Leiter, Metropolit Ilarion (Alfejev), von Erzbischof Sigitas Tamkevičius, dem Vorsitzenden der Litauischen Bischofskonferenz, und von G. Demidov, einem Vertreter der Abteilung für religiöse Bildung und Katechese der Russischen Orthodoxen Kirche, beantwortet. Erzbischof Tamkevičius stellte das litauische Modell des schulischen Religionsunterrichts vor, der von der 1. bis 9. Klasse einmal wöchentlich stattfindet und bei den Schülern auf viel Interesse stoße. Das Lehrpersonal werde vorwiegend an der theologischen Fakultät in Kaunas ausgebildet. Metropolit Ilarion sprach sich dafür aus, dass der Religionsunterricht auch an russischen Schulen nach dem litauischen Modell auf die ganze Schulzeit ausgedehnt wird. Der schulische Religionsunterricht diene der religiösen Begründung ethischer Normen, der Stärkung der nationalen Identität, der Überwindung religiösen Unwissens und der Bildung eines moralischen Klimas in den Schulen. Kritische Stimmen in Russland weisen dagegen darauf hin, dass die Förderung von Toleranzfähigkeit in einem einzigen, nicht einer einzelnen Religion gewidmeten Kurs wohl besser gelänge, als durch die Aufteilung der Schüler in diverse Module. Außerdem fehlen Module für katholische oder protestantische Schüler, und woher jede Schule sechs Lehrpersonen für alle Module hernehmen (und bezahlen) solle, bleibe nach wie vor unklar. www.portal-credo.ru, 3., 8. Februar; www.pravmir.ru, 3., 8. Februar; www.mospat.ru, 8. Februar 2012 – R.Z. Russische Orthodoxe Kirche weist Behauptungen über Reichtum von Patriarch Kirill zurück Die Informationsabteilung des Hl. Synods der Russischen Orthodoxen Kirche hat einen Bericht der Novaja gazeta dementiert, dass Patriarch Kirill in den 1990er Jahren ein Vermögen mit dem Handel von Zigaretten und Öl gemacht habe. Der Artikel aus der Feder von Alexander Soldatov entbehre jeglicher Grundlage und stelle «eine bewusste Verleumdung des Heiligsten Patriarchen und der gesamten Russischen Orthodoxen Kirche» dar. Sein Artikel basiere «ausschließlich auf Gerüchten und Klatsch sowie unbewiesenen und nicht nachprüfbaren Behauptungen und Vorurteilen». Soldatov wiederhole «bloß eine Reihe negativer Gerüchte und Mythen, die einige Journalisten bereits in den 1990er Jahren in die Welt gesetzt» hätten, obwohl deren «Haltlosigkeit und Verlogenheit» als wiederholt gerichtlich erwiesen gelte. Patriarch Kirill sei als damaliger Leiter des Kirchlichen Außenamtes keineswegs in den Handel mit Tabak, Erdöl oder anderem involviert gewesen. Dazu lägen keine überzeugenden Beweise vor. Da Soldatov nichts beweisen könne, sei er auf das Niveau offener Beleidigung und Klischees gesunken. Sein Beitrag stelle «eine demonstrativ grobe Missachtung der Leser» dar und sei geprägt von «Missgunst gegenüber Millionen orthodoxer Gläubiger». Er schade so dem guten Ruf der Novaja gazeta. Dass diese unbegründete Behauptungen über die Kirche publiziere, sei höchst befremdlich. Alexander Soldatov hatte Mitte Februar in der russischen Tageszeitung Novaja gazeta einen Artikel mit der Überschrift: «Wofür der Knecht Gottes Kirill dem ‹Galeerensklaven› dankbar ist» veröffentlicht. Demnach soll Patriarch Kirill in den 1990er Jahren die Grundlage für sein Vermögen als Metropolit und Leiter des Kirchlichen Außenamtes mit dem Handel von Zigaretten gelegt haben: |7 8| rundschau Nr. 4 2012 Diese seien als «humanitäre Hilfe» zollfrei nach Russland importiert und auf dem freien Markt verkauft worden. Am lukrativsten seien die Geschäfte der vom Kirchlichen Außenamt gegründeten Aktiengesellschaft MES (Meždunarodnoe Ėkonomičeskoe Sotrudničestvo / Internationale Wirt- schaftliche Zusammenarbeit) gewesen, die dank der Fürsprache von Patriarch Alexij II. steuerfrei Erdöl exportiert haben soll. Meldungen über Verstrickungen des heutigen Patriarchen in den Tabak- und Erdölhandel hatten bereits in den 1990er Jahren hohe Wellen geschlagen. Patri- R GOW arch Kirill hat dies in der Vergangenheit jedoch immer wieder bestritten. www.novayagazeta.ru/inquests, 14. Februar; www.portal-credo.ru, 20. Februar; epd-Wochenspiegel Nr. 8/2012 – O.S. Ukraine Vereinigung von UOK-KP und UAOK gescheitert In der Ukraine sind auch im dritten Anlauf die Verhandlungen über eine Vereinigung der Ukrainischen Orthodoxen Kirche – Kiewer Patriarchat (UOK-KP) und der Ukrainischen Autokephalen Orthodoxen Kirche (UAOK) gescheitert (s. RGOW 1/2012, S. 11). Patriarch Filaret (Denisenko) von der UOK-KP und der Hl. Synod brachen die Gespräche ab, weil die UAOK einen Rücktritt Filarets zur Bedingung für eine Vereinigung erklärt habe. Bereits 2001 und 2005 waren Verhandlungen über eine Fusion gescheitert. Am 9. Februar hat das Bischofskonzil der UAOK den Entschluss bekräftigt, die Kommunikation mit der Leitung der UOK-KP zu unterbrechen, solange kein neuer Patriarch gewählt werde. Auf der Ebene individueller Gespräche zwischen Bischöfen und Priestern solle der Dialog jedoch weitergehen. Durch ein Interview der Website «Autokephalia» mit Metropolit Mefodij (Kudrjakov), dem Patriarchenstatthalter der UAOK, sind zudem innere Spannungen in der UAOK publik geworden. Metropolit Mefodij kritisierte den Ungehorsam einzelner Bischöfe und bezeichnete sie als «regionale Taschenpatriarchen». Insbesondere beschuldigte er Bischof Andrij (Abramčuk) von Halytsch und Ivano-Frankivsk für das Scheitern des Vereinigungsprozesses mit der UOK-KP verantwortlich zu sein. Bischof Andrij hatte der Kommission der UAOK für die Vereinigungsverhandlungen mit der UOK-KP vorgestanden. Das Oberhaupt einer Bruderschaft der UAOK in Lviv, Taras Dmitryk, kommentierte diese Anschuldigungen mit dem Verdacht, dass Metropolit Mefodij ein alter Feind der ukrainischen Orthodoxie und ein treuer Günstling Moskaus sei, der Zwietracht säen solle. Bischof Evstratij (Zorja), Sekretär des Hl. Synods der UOK-KP, zweifelt angesichts der Spannungen innerhalb der UAOK an der Möglichkeit, über eine Vereinigung zu verhandeln. risu.org.ua, 17., 19. Februar; www.portal-credo.ru, 20. Februar 2012 – R.Z. Patriarch Filaret: Alle Bischöfe haben mit dem KGB kollaboriert Im Zusammenhang mit dem Bekanntwerden der informellen Zusammenarbeit von Hierarchen der Bulgarischen Orthodoxen Kirche mit der bulgarischen Staatssicherheit (s. in diesem Heft, S. 4) hat das Oberhaupt der Ukrainischen Orthodoxen Kirche – Kiewer Patriarchat, Patriarch Filaret (Denisenko), in einem Interview mit der Zeitschrift Weekly.ua zu Vorwürfen Stellung genommen, er selbst sei ein Informeller Mitarbeiter (IM) gewesen. Patriarch Filaret erklärte, ausnahmslos alle Hierarchen der Russischen Orthodoxen Kirche hätten als IMs fungiert und niemand habe ohne die Zustimmung des sowjetischen Geheimdienstes Bischof werden können: «Ich würde lügen, wenn ich behauptete, dass ich nicht mit dem KGB ver- knüpft gewesen wäre. Ich war es – genau wie alle anderen.» Entgegen gewissen Behauptungen habe er jedoch keinerlei Rang bekleidet, das sei «reine Erfindung. Man darf nicht vergessen, dass im sowjetischen totalitären Staat alles unter Kontrolle stand. Ich musste jede Tätigkeit mit dem Staat absprechen. Zum Beispiel hatte kein Bischof das Recht, ohne die Zustimmung des KGB einen Priester in eine Gemeinde zu entsenden». Der Geheimdienst habe ihm gegenüber Vorbehalte gehabt und Versuche, ihn zur Zusammenarbeit zu bewegen, hätten nichts gefruchtet: «Sie wussten, dass ich keinen meiner Amtsbrüder denunzieren würde.» Patriarch Filaret hat damit zum ersten Mal eine Zusammenarbeit mit dem Geheim- dienst öffentlich zugegeben. Nach der Wende in der UdSSR war bekannt geworden, dass Patriarch Filaret – von 1966 bis 1992 Metropolit von Kiew und Mitglied des Hl. Synods der Russischen Orthodoxen Kirche – unter dem Decknamen «Antonow» als IM vom KGB geführt worden war. Metropolit Filaret war im Mai 1992 auf Beschluss der Bischofssynode wegen seines skandalösen Lebenswandels sowie – unausgesprochen – wegen seiner damals in der russischen Presse ausführlich erörterten Zusammenarbeit mit dem KGB abgesetzt, im Juni 1992 laisiert und 1997 wegen der Gründung des Kiewer Patriarchats exkommuniziert worden. www.portal-credo.ru, 23. Januar 2012 – O.S. Anpassungen der Gesetzgebung für religiöse Organisationen Das Kulturministerium hat einem Vorschlag des «Allukrainischen Rates der Kirchen und religiösen Organisationen» zugestimmt, einzelne Gesetzesänderun- gen hinsichtlich religiöser Organisationen zu erarbeiten. Angepasst werden sollen u. a. die Gesetze zur staatlichen Registrierung von juristischen Personen, über Erziehung sowie über die Restitution von früherem Kircheneigentum. Die Restitution von Kircheneigentum ist gemäß dem Jahresbericht der Menschen- R GOW Rundschau bäude. Im Jahr 2011 sind 4760 Eingaben von 99 486 Personen bezüglich der Verbesserung des Gesetzes über Kultus- und Religionsfreiheit gemacht worden. Laut Karpatschova muss eine Harmonisierung des nationalen Modells der sozialen, reli- giösen und Kirche-Staat-Beziehungen mit europäischen Standards sowie die Anpassung der entsprechenden Gesetzgebung möglichst rasch erreicht werden. Nr. 4 2012 rechtsbeauftragten des ukrainischen Parlaments, Nina Karpatschova, ein dringendes Problem. Der Restitutionsprozess müsse von einem effizienten Gesetz geregelt werden; nur 69 % der religiösen Organisationen verfügten über eigene Ge- risu.org.ua, 13., 14. Februar 2012 – R.Z. weissrussland Vatikan möchte mit Lukaschenko im Dialog bleiben Der Vatikan strebt weiter ein Kooperationsabkommen mit Weißrussland an. Der neue Vatikanbotschafter in dem osteuropäischen Land, Erzbischof Claudio Gugerotti, übergab dem Außenministerium in Minsk einen Vertragsentwurf, wie er dem weißrussischen Staatsfernsehen in einem Interview sagte. Erzbischof Gugerotti äußerte sich zugleich kritisch zu den ausländischen Sanktionen gegen Weißrussland. «Wenn möglich» sollten Strafmaßnahmen vermieden und «stattdessen auf einen Dialog gesetzt» werden. Derzeit warte er auf eine Antwort des Ministeriums, berichtete der Erzbischof. Ziel des geplanten Abkommens sei eine bessere Zusammenarbeit zwischen Kirche und Staat. Einzelheiten zum Vertragsentwurf sind bislang nicht bekannt. Der weißrussische Präsident Lukaschenko hatte im November 2011 erklärt, ein Abkommen zwischen dem Vatikan und Weißrussland werde erst «auf lange Sicht» zustande kommen. An dem Vertrag werde noch gearbeitet. 2008 hatten Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone und Lukaschenko in Minsk Verhandlungen über einen Grundlagenvertrag zwischen dem mehrheitlich orthodoxen Land und dem Heiligen Stuhl vereinbart. Mit der orthodoxen Kirche hatte die weißrussische Regierung bereits 2003 ein weitreichendes Abkommen geschlossen. Derweil fordert die katholische Kirche Weißrusslands zusammen mit der nicht im Minsker Parlament vertretenen Opposition ein Moratorium für Hinrichtungen. Hintergrund ist die geplante Hinrichtung zweier wegen des U-BahnAnschlags von Minsk zum Tode verurteilten Männern, die inzwischen vollstreckt worden ist (s. RGOW 2/2012, S. 6f.). Staatspräsident Alexander Lukaschenko lehnte eine Begnadigung der beiden 25-Jährigen ab. Die EU und der Europarat haben Weißrussland vor einer Vollstreckung beider Todesurteile gewarnt. Wegen der Verfolgung von Oppositionellen in Weißrussland verschärfte die EU unterdessen ihre Sanktionen gegen Minsk. Die EU, der Europarat und die USA fordern von der weißrussischen Regierung die Freilassung von zahlreichen politischen Häftlingen. Nach den Präsidentschaftswahlen Ende 2010 hatte Lukaschenko angeordnet, mehrere Gegenkandidaten sowie Dutzende weitere Oppositionelle festnehmen und zu Gefängnisstrafen verurteilen lassen (s. G2W 2/2011, S. 11). Der Rat der EU-Außenminister verhängte am 28. Februar gegen 21 weitere Perso- nen Einreiseverbote und Vermögenssperren. Insgesamt sind nach EU-Angaben mehr als 200 Mitglieder der weißrussischen Führung von den Sanktionen betroffen. Auch die Guthaben von drei Unternehmen mit Verbindungen zum Regime bleiben eingefroren. Zudem dürfen weiter keine Waffen nach Weißrussland exportiert werden. Auch das Exportverbot für Güter, die zur Unterdrückung verwendet werden könnten, besteht fort. Kathpress, 29. Februar, 15. März 2012. |9 10 | albanien Nr. 4 2012 R GOW Hans-Ulrich Lempert Das Verhältnis von Religion und Nation in Albanien In Albanien wird gerne auf das friedliche Zusammenleben der Religionsgemeinschaften (Islam, Orthodoxie, Katholizismus) hingewiesen. Der Autor macht in seinem Beitrag deutlich, dass Debatten um die Rolle der Religionsgemeinschaften einen wichtigen Teil des Nationsbildungsprozesses darstellten. Auch in der postkommunistischen Zeit gab es mehrere Auseinandersetzungen um das Verhältnis von religiöser Zugehörigkeit und nationalem Selbstverständnis. – S. K. «Der Glaube des Albaners ist das Albanertum!»1 – Wohl kaum ein anderer Satz ist bekannter und wird, wenn es um die Beziehung von Nation und Religion geht, in Albanien häufiger zitiert, als der des romantischen Dichters Pashko Vasa. Dessen Gedicht «O Albanien, armes Albanien», zwischen 1878 und 1880 erstmals veröffentlicht, sollte nicht nur zum Leitbild der sich etablierenden Nationalbewegung Rilindja (alb. Wiedergeburt), sondern auch zum Fundament eines die Zeit überdauernden Selbstbildes der Albaner werden: Danach spiele Religion für die albanische nationale Identität keine Rolle, lebten die verschiedenen Religionen in Albanien friedlich zusammen und seien die Albaner besonders tolerant bzw. indifferent gegenüber Religiosität. Dennoch hatten und haben die Religionsgemeinschaften, entgegen diesem Bild, eine bedeutende Funktion im nationalen Selbstverständnis inne, der nach der rigorosen Verfolgung und Unterdrückung während der kommunistischen Diktatur heute wieder ein größeres Gewicht in der albanischen Gesellschaft zukommt. Der Mythos der religiösen Toleranz Vasas eingangs erwähntes Gedicht ist eine Klage über die Zerrissenheit der Albaner; Fremde würden das einst stolze und ruhmreiche Volk beherrschen und insbesondere die Religionen, deren «Priester und Hodschas» hätten es «irregeführt, um euch zu spalten und in Armut zu halten». Um sich aus dieser Herrschaft zu befreien, müssten die Albaner einen Eid leisten, «nicht auf Kirche oder Moschee zu schauen», und sich stattdessen im Bewusstsein einer gemeinsamen Nation vereinen. In dem Gedicht wird die Programmatik des albanischen Nationalismus bereits deutlich erkennbar. Die Ablehnung der Religion als identitätsstiftende Gemeinschaft ist weniger Realität als geforderter und erhoffter Idealzustand: die Religion der Albaner ist nicht das Albanertum, sondern soll eine notwendige Bedingung für das gemeinsame Ziel eines nationalen Bewusstseins sein. Diese Projektion, wie etwas wieder sein soll, ist charakteristisch für politische Mythen, die aus der Verklärung der Vergangenheit in der Gegenwart eine Vision für die Zukunft konstruieren. Der politische Mythos der religiösen Toleranz bestimmt nicht nur das Verhältnis der Nation zu den Religionsgemeinschaften, sondern dient auch als Abgrenzungsund Zuordnungsmerkmal für die Beziehungen nach außen. Die Religionen im Nationsbildungsprozess Albanien, frühzeitig christianisiert, lag im frühen Mittelalter im Grenzgebiet der beiden christlichen Reiche von Rom und Byzanz. Während im Norden Albaniens die katholische Kirche ihren Einfluss aufrechterhalten konnte, dominierte mit Byzanz im südlichen Albanien die orthodoxe Kirche. Mit der osmanischen Eroberung Südosteuropas gelangte ab dem 15. Jahrhun- dert der Islam als dritte Religion in die albanischen Siedlungsgebiete. Die Islamisierung verlief jedoch in unterschiedlichen zeitlichen Phasen mit räumlich verschiedenem Ausmaß und in vielfältigen Formen. Ende des 19. Jahrhunderts war eine deutliche Mehrheit der Albaner muslimischen Glaubens. Das Aufkommen der Nationalbewegungen bedeutete für die Gesellschaften in ganz Südosteuropa eine Veränderung der Zugehörigkeitsgefühle. Waren es bis dahin vor allem die Religionsgemeinschaften, die Zugehörigkeit definiert hatten, sollte, so das Ziel jeder Nationalbewegung, die Nation an diese Stelle treten. Für die Gesellschaften in Serbien, Griechenland und Bulgarien war die Zugehörigkeit zur orthodoxen Kirche das zentrale Mittel, Gemeinschaft herzustellen und sich gegen die osmanische Herrschaft abzugrenzen. Religion und Nation bildeten in diesen Staaten eine Einheit. Für die albanische Nationalbewegung war die religiöse Heterogenität jedoch ein Hindernis bei der Schaffung eines gemeinschaftlichen Nationalbewusstseins. Mit den expansionistischen Nationalismen Serbiens und Griechenlands konfrontiert, verbot sich einerseits eine ähnliche Instrumentalisierung der Orthodoxie, für die angestrebte Loslösung vom Osmanischen Reich war andererseits die Betonung der muslimischen Identität hinderlich. Auch bei den europäischen Großmächten galten die Albaner aufgrund ihres mehrheitlich muslimischen Glaubens nicht als eigenständige Nation, deren Unabhängigkeitsambitionen unterstützt werden sollte, wie es insbesondere der für die Albaner enttäuschende Berliner Kongress 1878 zeigte. Eine Idee des bedeutenden Vordenkers des albanischen Nationalismus, Naim Frashëri, der in dem islamischen Derwisch-Orden der Bektashi die Möglichkeit sah, eine Nationalreligion zu begründen, die eine Brücke zwischen muslimischem Osten und christlichem Westen bilden könnte, setzte sich nicht durch. Statt der Religion wurden vielmehr die gemeinsame Sprache und die angenommene Abstammung von den Illyrern zu den zentralen identitätsstiftenden Merkmalen. Nach der erfolgreich erlangten nationalen Unabhängigkeit 1912 war der sich laizistisch verstehende Staat bestrebt, äußere Einflüsse auf die Religionsgemeinschaften einzugrenzen. Vor allem die 1908 in Boston gegründete, aber erst 1937 vom Patriarchat in Istanbul anerkannte autokephale Orthodoxe Kirche von Albanien, von dem in der Diaspora lebenden Priester und 1924 kurzzeitigen Ministerpräsidenten Fan Noli vorangetrieben, sollte den griechischen Einfluss auf die orthodoxen Gemeinden in Albanien begrenzen. Atheistische Religionspolitik Mit der Machtergreifung der Kommunisten 1944 erfuhr die Stellung der Religionsgemeinschaften in Albanien eine dramatische Wende. Wie in anderen kommunistischen Staaten auch, Nr. 4 2012 Photo: Hans Lempert Das Partisanendenkmal der fünf Helden in Shkodra, im Hintergrund die Große Moschee und die Franziskanerkirche. Mittlerweile wurde das Denkmal der fünf Partisanen entfernt und steht am Stadtrand. Der Platz wurde von «Platz der fünf Helden» in «Platz der Demokratie» umbenannt. sah das albanische Regime unter Enver Hoxha in der Religion seinen ideologischen Gegner und versuchte die religiösen Institutionen unter seine vollständige Kontrolle zu bringen. Berüchtigt wurde Enver Hoxhas Politik 1967 durch die Ausrufung Albaniens zum ersten atheistischen Staat der Welt. Dem war eine von der Partei der Arbeit Albaniens (PAA) koordinierte Protestbewegung gegen religiöse Einrichtungen vorausgegangen. Eine Rede Enver Hoxhas am 6. Februar 1967, in der er «rückständige religiöse Bräuche» anklagte – unter Berufung auf einen Ikonen malenden Hafenarbeiter in Durrës und auf die Verheiratung bzw. den Verkauf junger Mädchen zur Heirat in nördlichen Landregionen –, soll, so die Darstellung der PAA, Jugendliche in Durrës dazu gebracht haben, Kirchen und Moscheen zu stürmen und zu zerstören. Innerhalb weniger Wochen wurden bis Mai 1967 landesweit alle 2160 religiösen Einrichtungen geschlossen, zerstört oder umfunktioniert. 2 Die Ausübung der Religion, durch die Verfassungen von 1946 und in ihrer novellierten Form von 1950 noch als Grundrecht garantiert, wurde jedoch erst 1976 mit der Verabschiedung einer neuen Verfassung auch offiziell verboten und alle Bezüge zu Religion und Glauben daraus entfernt. Besonders Artikel 37 und 55 verdeutlichten diese Politik: §37: «Der Staat erkennt keine Religion an und unterstützt und entwickelt atheistische Propaganda, um in den Menschen die wissenschaftliche materialistische Weltanschauung zu verwurzeln.» §55: «Verboten ist die Schaffung jeglicher Organisation faschistischen, antidemokratischen, religiösen und antisozialistischen Charakters. Verboten ist faschistische, antidemokratische, religiöse, kriegshetzerische und antisozialistische Propaganda sowie Aufhetzung zu nationalem und Rassenhass.»3 Mit dem vollständigen Auslöschen des religiösen Lebens in der Öffentlichkeit setzte Enver Hoxha den eingangs zitierten Grundsatz der Rilindja in seiner extremsten Form um. An die Stelle der Religion traten neben einem übersteigerten Personenkult um Enver Hoxha die Mythisierung nationaler Helden wie Skanderbeg und die Betonung der illyrischen Abstammung. War die Religion aus der Öffentlichkeit verschwunden, so bestanden ihre Traditionen und Bräuche jedoch trotz umfassender Repressionen und Bespitzelungen im Privaten insgeheim weiter.4 Erst mit dem Tod Enver Hoxhas 1985 und einer vorsichtigen Öffnung des Landes nach Westen unter Ramiz Alia lockerten sich die Restriktionen gegen die Religionsausübung. Bereits 1989 besuchte die in den Folgejahren zur Nationalheiligen erkorene Mutter Teresa Albanien. Zu dem im Mai 1990 beschlossenen 25-Punkte-Reformplan, der das marode System stabilisieren und letztendlich nur dessen Zerfall beschleunigen sollte, zählte auch, dass die Ausübung der Religion zur Privatsache erklärt wurde und somit, wenn schon nicht offiziell erlaubt, im- RGOW albanien merhin toleriert wurde. In den folgenden Wochen und Monaten wurden erste öffentliche Messen abgehalten sowie Kirchen und Moscheen, die zuvor als Kinosäle, Viehställe und Lagerhallen gedient hatten, wiedereröffnet. Aber nicht nur die traditionell etablierten Religionsgemeinschaften lebten wieder auf, auch zahlreiche neue Gruppierungen entsandten Missionare nach Albanien, um einen angenommenen Bedarf an Religiosität mit neuen Angeboten abzudecken. Neben protestantischen Gemeinden fassten so auch die Zeugen Jehovas, Scientology und konservative islamische Gruppierungen, wie wahabitische und salafitische Gruppen, in Albanien Fuß. Wirkliche gesellschaftliche Bedeutung erlangten jedoch nur die bereits vor dem Kommunismus etablierten Religionsgemeinschaften. Religion und Nation im Postkommunismus Mit dem Wiederaufleben religiöser Institutionen in Albanien verstärkte sich auch wieder deren Einfluss und Stellung im nationalen Diskurs. Der politische Mythos der religiösen Toleranz bleibt jedoch insofern identitätstragend, dass fortwährend gerade die unpolitische Stellung der Religionen in Albanien betont und der Anschein einer Bevorzugung oder Benachteiligung einer der drei Gemeinschaften vermieden werden muss. Das Verhältnis von religiöser Zugehörigkeit und nationalem Selbstverständnis galt es nicht nur nach innen, sondern mit der angestrebten Rückkehr in internationale Strukturen auch nach außen neu auszuhandeln. Vor allem der Islam und die orthodoxe Kirche, weniger die römisch-katholische Kirche müssen sich dem Generalverdacht stellen, für ausländische Einflüsse empfänglich zu sein. So weckte 1992 der Beitritt Albaniens zur Organisation der Islamischen Konferenz IOC (jetzt Organisation der Islamischen Zusammenarbeit) in Teilen der albanischen Gesellschaft die Befürchtung, Albanien könne sich stärker dem islamischen als dem westlichen Raum zuwenden bzw. von Europa diesem zugerechnet werden. Auch der zunehmende finanzielle Einfluss salafitischer und wahabitischer Gruppen auf neugegründete Koranschulen wurde kritisch beobachtet. Ein Teil der albanischen Elite, zu der der international bekannte Schriftsteller Ismail Kadare als prominentester Sprecher zählt, sieht im Erstarken des Islam eine Gefahr für die europäische Identität der Albaner. In einem Essay mit dem Titel «Die europäische Identität der Albaner» veröffentlichte Ismail Kadare 2006 seine Thesen einer nicht nur geographisch, sondern auch kulturell untrennbaren Einheit der Albaner mit Europa.5 Albaniens kulturelle Herkunft und Zugehörigkeit sei das christliche Europa. Der Islam ist in dieser Argumentation ein historischer Unfall bzw. fremdverschuldeter Irrweg. Jede Betonung und Förderung des Islam würde Albanien nur weiter von seinen kulturellen Wurzeln entfernen. Der kosovo-albanische Linguist Rexhep Qosja veröffentlichte eine Replik auf die Thesen von Kadare unter dem Titel «Die vernachlässigte Realität. Kritische Betrachtung der Ansichten Ismail Kadares über die albanische Identität.»6 In dieser weist Qosja darauf hin, dass der Islam integraler Bestandteil der albanischen Kultur sei und betont die Brückenfunktion, welche die Albaner zwischen Ost und West einnehmen können. Jede Abwertung einer der drei Religionen würde gegen das Prinzip der religiösen Toleranz verstoßen und sei somit gegen die Nation gerichtet. Infolge der beiden Essays entspann sich 2006 in Albanien eine teilweise sehr polemisch geführte Debatte, in die zahlreiche albanische Intellektuelle involviert waren. In dieser erstmals so intensiv diskutierten Auseinandersetzung um die nationale Identität stand nicht nur das Verhältnis zu den Religionsgemeinschaften, sondern auch die nationale Historiographie, insbesondere die Bewertung der Epoche der osmanischen Herrschaft, auf dem Prüfstand. Die bereits in den 1970er Jahren durch den Orientalisten Hasan Kaleshi aufgestellte These, die Islamisie- | 11 12 | albanien Nr. 4 2012 R GOW rung hätte das ethnische Überleben der Albaner gesichert, indem es vor einer Gräzisierung bzw. Slawisierung geschützt hätte7, dient nationalistischen Autoren wie Abdi Baleta dazu, die traditionellen Feindbilder der Serben und Griechen zu aktualisieren und eine stärkere Hinwendung zum Islam zu fordern. Der rasch erhobene Vorwurf, jegliche Bewertung einer der Religionsgemeinschaften sei ein Angriff auf die nationale Einheit, basiert auf dem Imperativ des Mythos der religiösen Toleranz. Dabei betrachten sich die Religionsgemeinschaften gegenseitig mit Argwohn. Die jeweilige andere Religion steht unter dem Verdacht, das schwache Glied in der Verteidigung nationaler Interessen und fremden, äußeren Einflüssen gegenüber empfänglich zu sein. 8 Besonders deutlich wird dies im Verhältnis der orthodoxen Kirche zur griechischen Minderheit im Süden Albaniens. Während der Diskurs über die islamische Religionsgemeinschaft vor allem historische und kulturelle Aspekte umfasst, sind mit der Stellung der orthodoxen Kirche wesentlich stärker politische Fragen verknüpft. Zwar ist die Orthodoxe Kirche von Albanien seit 1937 als autokephale Kirche anerkannt, doch wird ein Einfluss Griechenlands auf religiöse und ethnische Fragen nach wie vor als bedrohlich wahrgenommen. Die im Süden Albaniens lebende griechische Minderheit ist eines der Kernthemen, das die Beziehungen zwischen Albanien und Griechenland immer wieder bestimmt. Der Umfang der griechischen Minderheit ist zudem umstritten und liegt zwischen 350 0 00 nach griechischer und nur 60 0 00 nach albanischer Sichtweise. Da in Griechenland die Orthodoxie maßgeblich die nationale Identität bestimmt, ist deren Rolle immer ein kritischer Punkt. Mangels eines albanischen Kandidaten wurde 1991 dem griechisch-stämmigen Anastasios (Yannoulatos) temporär und seit 1993 als Erzbischof offiziell die Führung der Orthodoxen Kirche von Albanien übertragen. Der Umstand, dass er kein albanischer Staatsbürger war, führte kontinuierlich zu Angriffen und Befürchtungen, Griechenland führe mit Hilfe von Yannoulatos und der orthodoxen Kirche in Südalbanien eine Hellenisierungskampagne durch, um so griechische Ansprüche auf das von ihnen als Vorio-Epiro (Nordepirus) bezeichnete Gebiet zu stärken. nizität zu machen, um einfachere Einreiseregelungen nach Griechenland zu erhalten oder um von den von Griechenland finanzierten Pensionen für Griechen in Albanien zu profitieren. Vor allem Kreshnik Spahiu, bis Anfang Februar noch stellvertretender Leiter des Obersten Gerichtshofs in Albanien, führte mit der von ihm gegründeten Bewegung Aleanca kuq e zi (nach den Farben der albanischen Fahne: rot-schwarze Allianz) eine in der Bevölkerung zunehmend erfolgreiche nationalistische Kampagne gegen die Volkszählung durch und forderte die Menschen auf, die freiwilligen Fragen zu Religion und Ethnizität unbeantwortet zu lassen bzw. diesen Teil des Fragebogens abzureißen. Selbst Vertreter der Religionsgemeinschaften kritisierten, die Angabe von Religion würde nicht nur die nationale Identität, sondern auch das friedliche Zusammenleben der Religionen in Albanien gefährden. So schnell das Wiederaufleben der Religionsgemeinschaften auch erscheinen mag, es darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die über 40 Jahre währende kommunistische Diktatur mit extremer Repression gegenüber den Religionen in der überdurchschnittlich jungen Bevölkerung Albaniens bleibende Spuren hinterlassen hat. Dass die Ergebnisse des Zensus jedoch ein genaues Bild der Realität zeichnen werden, ist zu bezweifeln. Das Bekenntnis zu einer Religion muss nicht zwingend mit einem tatsächlichen Glauben verbunden sein. Oft gilt es als Merkmal kultureller Herkunft, auch für die junge, zumeist atheistische Bevölkerung. Wie viele Menschen in Albanien tatsächlich religiös sind, lässt sich deshalb nur vermuten. Eine interessante, wenn auch nicht repräsentative Studie im Zusammenhang der Parlamentswahlen aus dem Jahr 2005 zeigt auf, dass von den 1148 Befragten sich 70% als Muslime verstehen, jedoch nur 7,5% wissen, ob sie zu der Glaubensgemeinschaft der Sunniten oder der Bektashi zählen. Nur 1,9% gaben an, keiner Religion anzugehören. Zugleich gaben 46,4% an, noch niemals in eine Moschee, Kirche oder Teqe gegangen zu sein.9 Letztendlich kann davon ausgegangen werden, dass, ähnlich wie in den Gesellschaften Westeuropas, ein Großteil der Bevölkerung nicht sonderlich religiös ist. Anmerkungen Umstrittene Volkszählung Genaue Zahlenangaben über ethnische Minderheiten oder religiöse Gruppierungen sind mit äußerster Vorsicht zu betrachten. Die immer wieder präsentierte religiöse Aufteilung in 70% Muslime, 20% Orthodoxe und 10% Katholiken beruht auf den Ergebnissen der Volkszählung von 1942, bei der bis 2011 letztmalig Angaben zur Religionszugehörigkeit erhoben wurden. In den dazwischen liegenden Jahrzehnten hat eine 45-jährige kommunistische Herrschaft die Bedeutung der Religion stark zurückgedrängt, hat sich die Bevölkerung verdreifacht, und haben sich die Gesellschaft und die Lebensentwürfe stark gewandelt. Aktuelle Angaben zu den einzelnen Religionsgemeinschaften könnte der im vergangenen Jahr durchgeführte Zensus bringen. Erstmals seit 1942 wurden in die allgemeine Volkszählung auch wieder Fragen nach der Religionszugehörigkeit und der ethnisch-kulturellen Zugehörigkeit aufgenommen. Im Vorfeld dieses Zensus wurde über diese beiden (freiwillig zu beantwortenden) Fragen eine Debatte geführt, die in aller Deutlichkeit das Verhältnis von Religion und Nation in einem sich laizistisch verstehenden Albanien aufzeigte: Die Regierung begründet ihr Vorgehen mit dem Argument, einen Zensus nach EU-Vorgaben durchzuführen. Kritiker des Zensus befürchten, die Angabe der Religionszugehörigkeit würde die griechische Minderheit stärken und Forderungen nach mehr Rechten nach sich ziehen. Albanische Bürger könnten motiviert sein, falsche Angaben bezüglich Religion und Eth- 1) Deutsche Übersetzung von Elsie, Robert: Einem Adler gleich. Anthologie albanischer Lyrik vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Stuttgart 1988 (http://www.elsie.de/ pdf/B1988Adler.pdf, S.30f.). 2)Ceka, Egin: Atheismus und Religionspolitik im kommunistischen Albanien. In: Schmitt, Oliver Jens (Hg.): Religion und Kultur im albanischsprachigen Südosteuropa. Frankfurt/M. 2010, S. 215-231, hier S. 223. 3)Schmidt-Neke, Michael: Die Verfassungen Albaniens. Wiesbaden 2009, S. 205, 207. 4) Ceka, Atheismus und Religionspolitik (Anm. 2), S. 227-230. 5) Kadare, Ismail: Identiteti evropian i shqiptarëve. Tirana 2006. 6) Qosja, Rexhep: Realiteti i shpërfillur. Tirana 2006. 7)Schmitt, Oliver Jens: Die Albaner. Eine Geschichte zwischen Orient und Okzident. München 2012, S. 61. 8)Endresen, Cecilie: «Do not look to church and mosque?» Albania’s post-communist clergy on nation and religion. In: Schmitt, Religion und Kultur (Anm. 2), S. 233-258, hier S. 244. 9)Ilirjani, Altin: Political Choice in Albania. The 2005 Albanian Parliamentary Election. In: Albanian Journal of Politics 1 (2005), S. 75-86, hier S. 84f. Hans-Ulrich Lempert, Dipl. Sozialwissenschaftler, Assistent am Institut für Osteuropäische Geschichte der Universität Wien. Nr. 4 2012 RGOW albanien Eglantina Gjermeni Menschenhandel in Albanien Die massive Zunahme des Handels mit Mädchen und Frauen in den 1990er Jahren ist eine negative Folge des Systemwechsels in Ost- und Südosteuropa. Seit einem Jahrzehnt bemüht sich die albanische Regierung in Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen vermehrt um die Bekämpfung des Menschenhandels. Die erfolgreichste Prävention ist laut der Autorin der Zugang von Frauen und marginalisierten Bevölkerungsgruppen zu Bildung und die Förderung ihrer eigenständigen ökonomischen Handlungskompetenz. – R. Z. Menschenhandel ist eine weltweite Verletzung der Menschenrechte und gleichzeitig ein äußerst profitables Unternehmen für Menschenhändler. Die betroffenen Menschen werden durch Bedrohung, Gewalt und Betrug zu einer Arbeit rekrutiert, von deren Ertrag andere profitieren. Seit 1990 haben in Albanien bedeutende politische und soziale Veränderungen stattgefunden. Das Land befindet sich in einem schwierigen Transitionsprozess in Richtung Demokratie, Rechtsstaat und Marktwirtschaft. Von den vielen Problemen, die noch einer Lösung harren, ist der Frauen- und Mädchenhandel aus Südosteuropa eines der dringendsten. Dabei ist hervorzuheben, dass Frauen- und Mädchenhandel kein isoliertes und auch keine spezifisch albanisches Phänomen darstellt. Menschenhandel zwecks Prostitution ist in Albanien eine Folge von vielerlei Faktoren, die vor allem mit der schwierigen ökonomischen Situation zusammenhängen. Albanien war zuerst als Ursprungs- und Transitland für Menschenhandel betroffen und wurde erst später vor allem zu einem Ursprungsland. Transit- und Ursprungsland von Frauenhandel Das UN-Zusatzprotokoll vom 15. November 2000 zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung von Menschenhandel, insbesondere von Frauen- und Kinderhandel, bezeichnet diesen als eine Form von Sklaverei und Zwangsarbeit, die auf Zwang, Betrug und Entführung beruhen. Menschenhandel wird hier definiert als «die Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder Aufnahme von Personen durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt oder anderen Formen der Nötigung, durch Entführung, Betrug, Täuschung, Missbrauch von Macht oder Ausnutzung besonderer Hilflosigkeit oder durch Gewährung oder Entgegennahme von Zahlungen oder Vorteilen zur Erlangung des Einverständnisses einer Person, die Gewalt über eine andere Person hat, zum Zweck der Ausbeutung. Ausbeutung umfasst mindestens die Ausnutzung der Prostitution anderer oder andere Formen sexueller Ausbeutung, Zwangsarbeit oder Zwangsdienstbarkeit, Sklaverei oder sklavereiähnliche Praktiken, Leibeigenschaft oder die Entnahme von Organen.» Illegale Migration und Prostitution sind Erscheinungen, die eng mit dem Frauenhandel verbunden sind. Gemäß internationalen Definitionen und Standards ist Frauenhandel eine tiefgreifende Menschenrechtsverletzung, und die Mehrheit der Opfer (vor allem Frauen und Kinder) endet in der Zwangsprostitution. Die drei Phänomene – Migration, Prostitution und Frauenhandel – überschneiden sich jedoch nicht zwangsläufig, und es ist sehr wichtig ihre Unterschiede präzis zu definieren. Die Ursprungsländer sind vor allem unterentwickelte ost- und südosteuropäische Länder, während die Destinationen häufig wirtschaftlich gut entwickelte Länder in West- und Nordeuropa sind. Im kommunistischen Regime vor 1990 war der Handel mit und die Prostitution von Frauen und Kindern verboten, und aufgrund der Abschottung gegenüber der Außenwelt gab es nicht viele Möglichkeiten, den Handel auf diesem Gebiet zu entwickeln. Der Systemwechsel zog viele negative Folgen für die soziale, politische und ökonomische Entwicklung des Landes nach sich, darunter den Frauen- und Mädchenhandel seit den 1990er Jahren. Albanien wurde sowohl zu einem Transitland für den Frauenhandel aus Rumänien, Moldova, Bulgarien und der Ukraine als auch zu einem Ursprungsland für den Verkauf von albanischen Frauen in westeuropäische Länder. Das begann nach 1992, als kriminelle Elemente in Albanien mit ihren Parallelorganisationen in anderen Ländern Kontakt aufnahmen. Am intensivsten florierte der Frauen handel zwischen 1992 und 1998, weil die staatlichen Institutionen während dieser Periode nur minimale Gegenmaßnahmen ergriffen. Als «Rechtfertigung» wurde angeführt, dass die Frauen das Land aus freiem Willen verließen. Das Phänomen wurde nicht als Ausbeutung wahrgenommen, und es gab keine lokalen oder internationalen Instrumente, den Menschenhandel ins Visier zu nehmen und systematisch zu bekämpfen. Für die Periode zwischen 1990 und 1998 gibt es deshalb kaum Informationen und Daten über den Menschenhandel in Albanien. Zwischen 1999 und 2001 hat die Nichtregierungsorganisation Vatra (Herd) 831 Frauen interviewt, die über die südalbanische Hafenstadt Vlora nach Italien gelangt sind oder von dort zurückkehrten (1999: 136; 2000: 267; 2001: 428), wobei die Gesamtzahl von verschleppten Frauen natürlich größer ist. Laut Vatra hat deren Zahl seit 2002 jährlich abgenommen, weil die albanische Regierung ihre Anstrengungen zur Bekämpfung des Menschenhandels intensiviert und regionale Anti-Menschenhandel-Polizeieinheiten eingesetzt hat. 2009 musste Vatra nur noch 36 Frauen unterstützen. Ursachen des Menschenhandels Die Ursachen von Menschenhandel sind vor allem Armut, Arbeitslosigkeit, fehlende Bildung und fehlender Zugang zu Ressourcen. Frauen sind davon besonders betroffen. Armut und Arbeitslosigkeit sind Folgen der drastischen wirtschaftlichen Veränderungen in Albanien nach dem Systemumbruch. Frauen und Mädchen waren die ersten, die isoliert zu Hause blieben. Der Zusammenbruch der Landwirtschaftskooperativen, die auf dem Land die größten Arbeitgeber gewesen waren, hatte eine massive Arbeitslosigkeit zur Folge. Die Frauen in ländlichen Gebieten waren nicht nur arbeitslos, sondern auch isoliert vom Arbeitsmarkt und dem Sozialleben, was sie von allen realen Möglichkeiten abschnitt, sich als ökonomische Kräfte und Einkommensquelle für sich selbst und ihre Familien einzubringen. | 13 albanien Nr. 4 2012 R GOW Mehrere psychologische und kulturelle Faktoren stehen mit dem Menschenhandel in einem Zusammenhang. Viele junge Frauen wollten ein anderes Leben als ihre Eltern führen und aus der Isolation und patriarchalen Mentalität der Dorfgemeinschaft ausbrechen. Besonders in den ländlichen Gebieten fehlten ihnen Informationen über legale Möglichkeiten der Emigration wie auch über die Tatsache des Menschenhandels. Eine weitere Ursache ist die Schwäche der Regierung und fehlende Maßnahmen angesichts der Herausforderungen der Transitionsperiode. Gleichzeitig zeigte sich die Regierung anfangs gegenüber dem neuen Phänomen gleichgültig, als die illegale Migration als Ventil für Armut und Arbeitslosigkeit geduldet wurde. Erst unter dem Druck der Zielländer ergriff die Regierung allmählich Maßnahmen gegen die illegale Migration, wobei die Reduktion des Menschenhandels nur ein Nebenprodukt dieser Aktionen und kein primäres Ziel war. Eine unangemessene Gesetzgebung und/oder Schwierigkeiten bei deren Umsetzung sind ebenfalls direkt mit dem Problem des Menschenhandels verbunden. Die Grenzen wurden schlecht überwacht, das Polizeisystem war nicht sehr effektiv. Der Glaube an ein besseres Leben wurde durch unrealistische Bilder verstärkt, welche die Medien sowie ausgewanderte Verwandte und ehemalige Nachbarn vom Leben im Ausland vermittelten. Die massive Emigration von Männern in den 1990er Jahren ließ viele Familien ohne Väter, Brüder und Ehemänner zurück. Dies machte viele, vor allem junge Frauen zu Opfern der Zwangsprostitution. Die Beziehungen zwischen den Geschlechtern sind vor allem in den ländlichen Regionen im Norden Albaniens noch immer stark traditionell geprägt, insbesondere durch diverse Versionen des Kanun, einer Sammlung von Verhaltensregeln aus dem Mittelalter. Enge Familienbande, Ehre, Rache und männliche Kontrolle über Frauen und Kinder legitimieren zwar nicht deren Verkauf oder Ausbeutung, erlauben jedoch die Bestrafung der Frauen und Racheaktionen für die Entehrung der Familie, was die Betroffenen in einen Opferkreislauf zwängt und ihren Zugang zum Justizsystem schwächt. Auch häusliche Gewalt ist mit dem Frauenhandel verbunden. In vielen Fällen waren die Opfer von Frauenhandel bereits Opfer von häuslicher Gewalt in ihren Familien. Durch das Geschäft mit dem Frauen- und Mädchenhandel kamen die Zuhälter in kurzer Zeit zu riesigen Geldsummen. Das ist einer der Faktoren, welche die Kontinuität und die Zunahme des Phänomens garantieren. Die albanische Mafia und die Zuhälter arbeiten sehr eng mit den Netzwerken organisierter Kriminalität in den Nachbarländern wie auch in Westeuropa zusammen. Ein wichtiger Faktor, der bei der Analyse des Phänomens oft vergessen wird, ist, dass in den Zielländern eine hohe Nachfrage nach Opfern des Menschenhandels besteht. Gleichzeitig steigt die Nachfrage in Albanien selbst, so dass zusammen mit der verbesserten Grenzkontrolle ein Zuwachs des internen Menschenhandels festgestellt werden kann. Profil und Situation der Opfer Viele, vor allem junge unverheiratete Frauen sind durch falsche Heiratsversprechungen, vorgetäuschte Arbeits- und Studienplätze, Zwang oder Entführung Opfer des Frauenhandels zwecks Prostitution geworden. Eine große Zahl von ihnen landet in Italien oder Griechenland. Einzelne Frauen wurden von Familienmitgliedern oder einem vermeintlichen Verlobten zur Hochzeit dorthin gelockt. Die Opfer sind zwischen 15 und 35 Jahre alt – jünger als Opfer des Frauenhandels aus anderen Ländern; gewisse offizielle Daten besagen, dass bis zu 80 % der Opfer Mädchen unter 18 Jahren sind. Viele Frauen und Mäd- chen, die bei ihrer Rückkehr von der Organisation Vatra betreut wurden, gaben an, bereits als 13- bis 14-Jährige rekrutiert worden zu sein. Die meisten von ihnen kommen vom Land. Fast alle von Vatra interviewten Frauen stammten aus armen Familien mit einem niedrigen Bildungsniveau. Einzelne von ihnen gaben an, den Zuhältern aus diversen Gründen «freiwillig» gefolgt zu sein, obwohl sie von diesen gleichzeitig ständig physisch und sexuell missbraucht und bedroht wurden. Gewalt ist im Menschenhandel ständig gegenwärtig: Drohungen, Freiheitseinschränkungen, Schläge, Vergewaltigung, Folter bis zu Mord sind die Methoden, vor denen die Schlepper und deren Komplizen nicht zurückschrecken, um maximalen Profit aus den Frauen zu schlagen. Zudem sind gemäß einer Studie von Vatra 80 % der Opfer von ihren Zuhältern zu Abtreibungen gezwungen worden, um weiter arbeiten zu können. Der Kontakt zur Familie wurde zumeist abgebrochen oder nur unter Aufsicht der Zuhälter erlaubt. Unter diesen Bedingungen leiden die Opfer von Frauenhandel während, aber auch schon vor und nach dem Menschenhandel oft unter diversen psychologischen Problemen und Traumata: Persönlichkeits-, Emotions-, Angst- und Gemütsstörungen, Depressionen, Hoffnungsverlust und Pessimismus usw. Den Sozialarbeitern von Vatra, die sich vor allem um zurückkehrende Frauen kümmern, fällt es oft sehr schwer, deren Vertrauen zu gewinnen, weil diese grundsätzlich das Vertrauen zu Menschen verloren haben. Im Zielland angekommen, merken die betroffenen Frauen, wie feindlich ihre Umgebung ist und wie wenig sie darüber wissen. Sie beherrschen die Sprache nicht und finden sich unter dem «Schutz» und in völliger Abhängigkeit von ihren Zuhältern wieder. Ihre Gefühle sind verwirrt, weil sie von diesen einerseits Kleider geschenkt bekommen, andererseits geschlagen und vergewaltigt werden. Der Gang zur Polizei ist schwierig, weil sie meistens falsche Papiere besitzen, und weil sie auch vor der Polizei Angst haben. Es ist ihnen kaum möglich, Alternativen zu finden. Maßnahmen der albanischen Regierung Gemäß der albanischen Verfassung von 1998 genießen Frauen dieselben politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Rechte wie Männer. Albanien hat die meisten internationalen Konventionen über Menschen- und Frauenrechte ratifiziert und sie in die nationale Gesetzgebung übernommen: Ein neues Familiengesetz, das Gesetz gegen häusliche Gewalt, das Gesetz zur Gleichberechtigung der Geschlechter und das Gesetz gegen Diskriminierung sind die wichtigsten gesetzlichen Schritte, Wikimedia Commons / Dori 14 | Über die südalbanische Hafenstadt Vlora werden viele Opfer des Menschenhandels – häufig nach Italien oder Griechenland – verschleppt. Nr. 4 2012 welche die albanische Gesellschaft in Richtung einer gleichberechtigten und integrierten Gesellschaft unternommen hat. Das Hauptproblem bleibt aber die Kluft zwischen der de iureund der de-facto-Situation der Frauen in Albanien. Was den Frauen- und Mädchenhandel betrifft, hat es die albanische Regierung zuerst abgelehnt, die Ernsthaftigkeit des Problems anzuerkennen. Doch der Druck durch albanische Nichtregierungsorganisationen wie auch durch die internationale Gemeinschaft hat vermehrt zu Maßnahmen geführt, um den Menschenhandel einzuschränken und auf die Bedürfnisse der Opfer einzugehen. Am 24. Januar 2001 hat das albanische Parlament das Gesetz Nr. 8733 gutgeheißen, das im Strafgesetzbuch erstmals Sanktionen vorsah für die strafbaren Handlungen, die mit Menschenhandel zu tun haben. Im Juni 2001 hat der Premierminister das Ministerium für öffentliche Ordnung autorisiert, eine inter-ministerielle Arbeitsgruppe zu schaffen, die eine nationale Strategie zur Bekämpfung von Menschenhandel ausarbeiten sollte. Die Gruppe wurde von einem nationalen Koordinator geleitet und bestand aus Vertretern der Ministerien für öffentliche Ordnung, Arbeit und soziale Angelegenheiten, Auswärtige Angelegenheiten, Erziehung und Wissenschaft, Justiz, Kultur, Jugend und Sport, dem Büro des Generalstaatsanwalts und dem nationalen Nachrichtendienst. In Konsultation mit internationalen Organisationen und lokalen Nichtregierungsorganisationen wurde eine Strategie erarbeitet, die im Dezember 2001 vom Parlament angenommen wurde. Sie enthält konkrete Maßnahmen gegen Menschenhandel, bezeichnet die verantwortlichen Institutionen und präsentiert ein Budget für alle Aktivitäten. In den darauffolgenden Jahren ist die Gesetzgebung laufend an westliche Standards und internationale Konventionen angepasst worden (z. B. Ratifizierung des Palermo-Protokolls im Jahr 2002). Albanien gehört auch zu den Ländern des Europarats, welche die Europarat-Konvention über die Aktion gegen Menschenhandel (Warschau 2005) unterzeichnet und ratifiziert haben. Im März 2004 wurde vom Justizministerium ein Zeugenschutzgesetz eingeführt, was bei der Verfolgung und Bestrafung der Zuhälter und dem Opferschutz einen Schritt vorwärts ermöglichte. 2005 ist ein Nationales Zuweisungssystem etabliert worden, das die Koordination zwischen diversen Akteuren verbessert, die für den Schutz potentieller Opfer und für zurückkehrende Opfer in Albanien zuständig sind. Das Zuweisungssystem sieht Maßnahmen für jede Stufe des Prozesses von der ursprünglichen Identifikation bis zur Unterbringung, Repatriierung und Reintegration der Opfer vor. 2006 verfügte die albanische Regierung ein Moratorium mit einem Verbot von Motorbooten, mit denen die Menschenhändler ihre Opfer oft auf dem Seeweg in die EU-Länder schmuggeln; dies hatte eine große Auswirkung auf die Prävention und Reduktion des Menschenhandels. Die Unterstützung der Opfer von Menschenhandel in Albanien wird von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen gewährleistet. Ihre Hilfeleistungen umfassen: eine geschützte Unterkunft, medizinische Hilfe, Rechtsberatung, psycho-soziale Unterstützung, Mediation mit den Familien, Besuche und Beratung der Familien, Hilfe für die Kinder der Opfer, Erziehung und Berufsberatung, Lese- und Schreibkurse, Schulregistrierung, sozio-kulturelle Aktivitäten, ökonomische Starthilfe für Kleinunternehmen, Monitoring und weitere Begleitungsleistungen. Das Büro des nationalen Anti-Menschenhandel-Koordinators ist für die Implementierung der Strategien und Aktionspläne zuständig und fördert ein gesteigertes öffentliches Bewusstsein für die Problematik. R GOW albanien 2011 hat der Ministerrat zudem Standardvorgehensrichtlinien anerkannt, welche die opferzentrierte Vorgehensweise verbessern, für eine erhöhte Verantwortlichkeit und Haftung der staatlichen Strukturen hinsichtlich Identifikation und Schutz der Opfer sorgen und die Verwendung von nationalen Ressourcen für den Opferschutz erleichtern. Menschenhandel heute... Als Resultat all dieser Maßnahmen hat der Menschenhandel in Albanien substantiell abgenommen. Doch obwohl die Opferzahlen abnehmen, bleibt Albanien ein Ursprungsland für Menschenhandel zwecks sexueller Ausbeutung und Zwangsarbeit. Ein ernsthaftes Problem ist der landesinterne Menschenhandel. Um dieser Tatsache zu begegnen, ist eine verbesserte Koordination zwischen den verantwortlichen Behörden und eine noch intensivere Kooperation mit Nichtregierungsorganisationen, regionalen und internationalen Partnern in den Ursprungs-, Transit- und Zielländern notwendig. Die Verfolgung der Straftäter muss durch proaktive Ermittlungsmethoden und Sicherheitsgarantien für die Opfer, welche vor Gericht aussagen, verbessert werden. Notwendig sind auch spezifische medizinische Behandlungszentren für die Opfer von sexueller Gewalt: Viele von ihnen leben unbehandelt wieder bei ihren Familien mit dem Risiko, sexuell übertragbare Krankheiten (Hepatitis A, B und C) zu verbreiten. Viele leiden auch unter Drogensucht und mentalen Problemen. Im Fokus aller Programme und Projekte sollte auch die Förderung der ökonomischen Handlungskompetenz der Bevölkerung stehen: Investitionsstrategien, Arbeitsmöglichkeiten, gleichberechtigte Ausbildungsmöglichkeiten, Kleinkredite und Darlehen, die ein normales Leben ermöglichen können. Für einen umfassenden Umgang mit dem Problem des Menschenhandels in Albanien sind in der Praxis vor allem zwei Aspekte wichtig: Erstens muss ein stärkerer Fokus auf den Handel mit Männern gelegt werden. Zweitens muss das Problem des landesinternen Menschenhandels angegangen werden, da die bisherigen Anstrengungen sich vor allem auf den transnationalen Menschenhandel konzentriert haben. Besondere Aufmerksamkeit verdienen Maßnahmen, die den am stärksten betroffenen Gruppen – vor allem Frauen, Roma und den sog. Balkan-Ägyptern, die ihre ethnische Herkunft aus Ägypten herleiten – Zugang zu Bildungs- und Arbeitsplätzen verschaffen. Die albanischen Regierungsinstitutionen sollten das Bewusstsein der Öffentlichkeit weiterhin für Fragen der Gleichberechtigung und Nicht-Diskriminierung schärfen, um die Marginalisierung der betroffenen Gruppen zu bekämpfen. Übersetzung aus dem Englischen: Regula Zwahlen. Literaturauswahl Ekonomi, Milva; Gjermeni, Eglantina; Danaj, Ermira; Lula, Elvana; Beci, Ledia: Creating economic opportunities for women in Albania: A stragegy for the prevention of human trafficking. Tirana 2006; http://www.unifem.sk. Report by Hearth (Vatra): The evolution of trafficking in human beings 2002-2009. Vlorë 2010. Meshi, Marjana; Picari, Blerta; Pinderi, Reta: Study on the social economic reintegration of victims of trafficking in Albania. Tirana 2009; www. differentandequal.org. Eglantina Gjermeni, Ph. D. in Sozialarbeit, Dozentin an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Tirana, seit 2009 Abgeordnete der Sozialistischen Partei im albanischen Parlament. | 15 16 | Makedonien Nr. 4 2012 R GOW Nada Boškovska Makedonien im 20. Jahrhundert Die heutige Republik Makedonien ist ein Teil des geographischen Gebiets Makedonien, das während Jahrhunderten zum Osmanischen Reich gehörte. In seiner bewegten Geschichte im 20. Jahrhundert hat das Land als Teil des Königreichs bzw. als Republik des sozialistischen Jugoslawien einen klassischen Nationsbildungsprozess durchlaufen. Die gegenwärtigen Streitigkeiten mit Griechenland um den Staatsnamen haben zu einer Verschärfung der außen- und innenpolitischen Probleme geführt. – R. Z. Wer in Makedonien kurz nach 1900 zur Welt kam, begann sein Leben als Untertan des Osmanischen Reichs, lebte von 1913 bis 1915 im Königreich Serbien, anschließend in Bulgarien und fand sich Ende 1918 im Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen wieder. Im Zweiten Weltkrieg kam er wieder unter bulgarische Herrschaft, um sein Leben nach dessen Ende im sozialistischen Jugoslawien fortzusetzen. Langlebige konnten, ohne ihr Dorf je verlassen zu haben, die letzten Jahre in einem siebten Staat, der 1991 unabhängig gewordenen Republik Makedonien, verbringen. Das war ein rasanter Wechsel, vor allem im Vergleich zum halben Jahrtausend davor, während dem Makedonien konstant zum Osmanischen Reich gehört hatte. Salade macédoine oder die makedonische Völkervielfalt Die heutige Republik Makedonien ist ein Teil des geographischen Makedonien, das seit den 1370er Jahren bis 1912 osmanisch war und über dessen Grenzen unter den Geographen im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts weitgehend Konsens bestand: Sie bezeichneten als Makedonien das Gebiet, das im Norden vom Šar-Gebirge, im Süden von Olymp und Pindus, im Osten von den Rhodopen und im Westen vom Ohrid-See begrenzt wird. Insgesamt handelt es sich um ein Territorium von etwa 63 000 km 2 , auf dem zu Beginn des 20. Jahrhunderts rund zwei Millionen Menschen gelebt haben dürften.1 Ausländische Diplomaten, Journalisten und Abenteuerreisende, die Makedonien in der Endphase des Osmanischen Reiches besuchten, waren immer wieder von der Vielfalt der «Rassen» beeindruckt, der sie dort begegneten. Die kulinarischen Begriffe salade macédoine (Gemüsesalat) oder Macedonia di frutta sind Resultate dieses Eindrucks. Woraus diese Macedonia bestand, insbesondere auch welcher Anteil daran wie groß war, wurde damals leidenschaftlich diskutiert, auf dem Balkan wie anderswo. Wenn man die Auseinandersetzung über die Zahlen außer Acht lässt, so herrschte weitgehend Konsens darüber, dass im osmanischen Makedonien Türken, Albaner, Juden, Vlachen, Griechen, Roma und andere, kleinere Volksgruppen lebten. Die Differenzen betrafen die größte Bevölkerungsgruppe, die christlichen Slawen, welche je nach Standpunkt als Bulgaren, Serben, Slawen, makedonische Slawen oder Makedonier bezeichnet wurden. Der deutsche Geograph Theobald Fischer hatte einen pragmatischen, aber nicht konsensfähigen Vorschlag: Es sei schwer zu entscheiden, ob die Slawen Makedoniens Serben oder Bulgaren seien, deshalb solle man sie «heute am besten als Makedonen» bezeichnen. 2 Um die nationale Zugehörigkeit dieser Menschen entbrannte im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts ein erbitterter Kampf. Ein nationales Bewusstsein war den meisten von ihnen noch fremd; für ihre Selbstidentifikation, aber auch für die Zuordnung aus obrigkeitlicher Sicht war in erster Linie maßgeblich, dass sie Christen waren; an zweiter Stelle folgte die Zugehörigkeit zum griechischen Patriarchat oder bulgarischen Exarchat. Davon abhängig wurde der slawische Christ Makedoniens als Grieche oder Bulgare gesehen und bezeichnete sich in der Regel auch selbst so. Es handelte sich dabei um eine kirchliche, nicht um eine ethnische Kategorie. Genauso galten alle Muslime als Türken, ob sie nun ethnisch tatsächlich Türken waren oder Slawen, Albaner, Tataren oder Tscherkessen. Die Schwäche des Osmanischen Reiches, sein absehbarer Zerfall und die strategische Bedeutung Makedoniens weckten die Begehrlichkeiten der kleinen Balkanstaaten, die ihren Anspruch auf mehr Territorium und Bevölkerung einerseits historisch zu legitimieren versuchten, andererseits ethnisch, indem sie die slawischen christlichen Untertanen der Pforte je zu ihren Ko-Nationalen erklärten. Im Ersten Balkankrieg von 1912 vertrieben Montenegro, Serbien, Bulgarien und Griechenland die Osmanen mit vereinten Kräften fast gänzlich von der Balkanhalbinsel. Nach einem weiteren Krieg, nunmehr zwischen den Bündnispartnern um die eroberten Gebiete, wurde im Vertrag von Bukarest am 10. August 1913 die Aufteilung Makedoniens besiegelt. Etwa die Hälfte (das sog. Ägäisch-Makedonien) fiel an Griechenland, rund 40 % (Vardar-Makedonien) an Serbien und ein kleines Stück (Pirin-Makedonien) ging an Bulgarien. Die damaligen Grenzen sind im Wesentlichen die gleichen wie heute. In der Folge hatten die drei Länder freie Hand, in den ihnen zugefallenen Teilen ihr nationales Programm umzusetzen und zu versuchen, aus der dort ansässigen slawischen Bevölkerung Griechen, Serben oder Bulgaren zu formen. In Griechenland und Bulgarien wird seitdem im Wesentlichen durchgehend eine strikte Assimilierungspolitik verfolgt, welche keine makedonische Minderheit anerkennt. Aus diesem Grund sind auch keine Zahlen verfügbar. «Südserbien» im Königreich Jugoslawien Einen anderen Verlauf nahm die Entwicklung im Teil, der an Serbien fiel und aus dem die heutige Republik Makedonien entstanden ist. Als Teil des Königreichs Serbien ging Makedonien 1918 in das neu entstandene Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen ein, das 1929 in Königreich Jugoslawien umbenannt wurde. Die Politik gegenüber Makedonien wurde von serbischen Politikern bestimmt, welche ein serbisches nationales Programm umzusetzen versuchten. 3 Makedonien, das nunmehr als «Südserbien» bezeichnet werden musste, wurde mit serbischen Beamten und Lehrern überzogen. Durch einen entsprechenden Unterricht sollte der Jugend eine «korrekte» nationale Gesinnung anerzogen werden. Serbische Kolonisten wurden angesiedelt, um das serbische «Element» zu stärken. Darüber hinaus waren in den 1920er Jahren 35 0 00 Mann Sicherheitskräfte damit beauftragt, in Makedonien für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Grund dafür waren die Aktivitäten der Inneren Makedonischen Revolutionären Organisation (IMRO), die von Bulgarien aus aktiv war und durch Einfälle und Anschläge eine Destabilisierung des jugoslawischen Staates und eine neue Lösung für Makedonien erreichen wollte. Schon bei den Pariser Friedensverträgen hatten makedonische Organisationen für Nr. 4 2012 Photo: maknews.com eine Autonomie lobbyiert, allerdings vergeblich. Danach waren immer noch verschiedene Szenarien über eine alternative Zukunft in Umlauf. Ein Teil der großen makedonischen Diaspora in Bulgarien war für einen Anschluss an Bulgarien. Andere wünschten ein unabhängiges Makedonien als Protektorat des Völkerbundes oder Englands und Frankreichs. Was in Makedonien selbst darüber gedacht wurde, ist schwer festzustellen, da sich wegen der Repression niemand offen äußern konnte. Hermann Wendel, ein deutscher Sozialist, der Makedonien 1920 bereiste, berichtete z. B. von einem jungen Mann aus Bitola, der «ein autonomes Makedonien mit Landesregierung und Landesparlament zu Skopje im Gefüge eines südslawischen Bundesstaates» forderte. 4 Auch Studenten aus Ohrid, die in Graz und Wien studierten, träumten von einem autonomen Makedonien. Davon war auch ein serbischer nationalistischer Gymnasiallehrer in Prilep überzeugt, der 1926 dem Innenministerium hinterbrachte, dass die jungen Studenten aus Makedonien (sic!) in Wien, Graz, Berlin, Paris und Montpellier über ein autonomes Makedonien, über die Theorie der makedonischen Nationalität und über eine eigene makedonische Sprache diskutierten: «In letzter Zeit spürt man sowohl hier als auch in diesen Studentengrüppchen im Ausland eine lebhafte Freude, die aus der Hoffnung kommt, dass eine baldige Möglichkeit für die Abspaltung eines eigenständigen Makedonien besteht und dass das Makedonische Komitee in dieser Frage erfolgreich sein wird.»5 Für die serbischen Machthaber kam aber eine Autonomie nicht in Frage. 1924 erklärte Außenminister Momčilo Ninčić dem britischen Botschafter, dieses Gebiet sei die Wiege des Serbentums. Laut Ideologie war «Südserbien» für Belgrad ein zurückgewonnenes Kerngebiet Serbiens, die dortigen Brüder endlich aus türkischer Knechtschaft befreit und mit dem Norden wiedervereint. Praktisch wurde Makedonien aber wie Feindesland behandelt, der Bevölkerung schlugen Misstrauen und Verachtung entgegen. Politische oder kulturelle Vereinigungen auf regionaler Basis wurden nicht geduldet. Die Folge war, dass sich an den Schaltstellen der Macht niemand für die Interessen Makedoniens einsetzen konnte. Dabei war der Handlungsbedarf enorm. Makedonien war in jeder Beziehung unterentwickelt und hatte zudem als Schauplatz der Balkankriege und des Ersten Weltkriegs große Zerstörungen erlitten. Die Analphabetenrate war 1921 mit 84 % die höchste im Land, ein Gesundheitswesen kaum vorhanden. Erst kurz vor dem Zweiten Weltkrieg wurden wirtschaftliche Fördermaßnahmen für Makedonien ernsthaft ins Auge gefasst, meistens aber nicht umgesetzt, denn sobald die staatlichen Mittel konkret zugeteilt wurden, konnten sich Regionen mit mehr politischem Einfluss durchsetzen. Die 2011 wurde im Zentrum Skopjes, der Hauptstadt Makedoniens, eine 22 m hohe Statue Alexander des Großen errichtet. RGOW Makedonien fortgesetzt stiefmütterliche Behandlung durch Belgrad war einer der Faktoren, die dazu beitrugen, dass die makedonische Identität zunehmend an Boden gewann und sich in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre, als die Repression nachließ, auch vermehrt äußerte. Es war eine junge Elite herangewachsen, die, da sie sich dem Serbentum weitgehend verweigerte, am politischen Leben nicht partizipieren konnte und nun zunehmend die alte Idee einer Autonomie für Makedonien aufnahm. Makedonien im sozialistischen Jugoslawien Die politischen Umwälzungen in Europa seit 1938 und insbesondere die Revision von Grenzen vor und nach Beginn des Zweiten Weltkriegs ließen es erstmals seit den Pariser Friedenskonferenzen als realistisch erscheinen, dass sich auch in Makedonien etwas am Status quo ändern könnte. Während die einen erwarteten, dass Deutschland und Italien Makedonien von der serbischen Herrschaft befreien würden, setzten die Kommunisten ihre Hoffnungen auf die Sowjetunion. Jugoslawien, das im April 1941 kapitulierte, trauerte kaum jemand nach. Die Hoffnungen auf «Befreiung» wurden allerdings enttäuscht. Während des Krieges wurde der größte Teil des jugoslawischen Makedoniens von Bulgarien besetzt, das umgehend ein Bulgarisierungsprogramm einleitete. Der westliche Teil wurde dem von Italien kontrollierten Großalbanien zugeschlagen. Unmittelbar nach dem Krieg sah es zunächst so aus, als könnte sich der Wunsch nach Autonomie und Wiedervereinigung der drei makedonischen Teile im Rahmen einer Balkanföderation erfüllen. Mit dem Bruch zwischen Hitler und Stalin 1948 wurde dieser ohnehin schwer umzusetzende Plan jedoch vollends Makulatur. Allerdings eröffneten sich für Vardar-Makedonien neue Perspektiven, denn Jugoslawien wurde nach dem Krieg neu als föderalistischer Staat konzipiert, um seinem multiethnischen Charakter Rechnung zu tragen. Makedonien erhielt im August 1944 den Status einer Republik mit allen dazugehörigen Institutionen wie Verfassung, Regierung, Parlament, Gerichtsbarkeit, einem eigenen Bildungswesen, wissenschaftlichen und kulturellen Einrichtungen usw. Im November 1944 wurde die Standardisierung der makedonischen Sprache in Angriff genommen und war im Mai 1945 vollendet. Erstmals war es möglich, sich zur makedonischen Nation zu bekennen und die eigene Sprache frei in allen Lebensbereichen zu verwenden. Die Quasistaatlichkeit der Republik ermöglichte eine Förderung des nation-building, inklusive einer eigenen Geschichtsschreibung. Damit wurde eine Entwicklung zu Ende geführt, die ihre frühen Vertreter im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts hatte, sich in der Zwischenkriegszeit in weitere Kreise verbreitete und nach dem Krieg, auch aufgrund der Alphabetisierung, die Massen erreichte. Es handelte sich um einen klassischen Nationswerdungsprozess, wie ihn etwa Miroslav Hroch mittels seines Drei-Phasen-Modells beschrieben hat. 6 Teil dieses Prozesses war die Abspaltung von der Serbischen Orthodoxen Kirche, der die orthodoxen Gläubigen VardarMakedoniens seit 1919 unterstanden. Der Wunsch nach einer unabhängigen Kirche war schon in der Zwischenkriegszeit vorhanden und wurde während des Zweiten Weltkriegs und danach wieder vorgetragen, stieß aber auf Ablehnung seitens des Belgrader Patriarchats, das zwar Autonomie, aber keine Unabhängigkeit gewährte, obwohl es von den jugoslawischen wie den serbischen Behörden dazu gedrängt wurde. Im Juli 1967 erfolgte die einseitige Erklärung der Autokephalie durch die makedonische Kirche. Bis heute wurde dieser Akt weder von der serbischen noch von einer anderen kanonischen orthodoxen Kirchen anerkannt, obwohl es in der Geschichte der Orthodoxie immer wieder einseitige Abspaltungen gegeben hat, die jeweils nach einer gewissen Zeit des Grolls akzeptiert wurden. | 17 18 | Makedonien Nr. 4 2012 RGOW Die Gründe für die Nichtanerkennung sind somit in erster Linie politischer Natur. Die sozialistische Phase brachte Makedonien in mancher Hinsicht einen großen Entwicklungsschub. Es wurde in Bildung, Gesundheitswesen und Infrastruktur investiert und eine Industrie aufgebaut, wobei die Republik von Ausgleichszahlungen des jugoslawischen Entwicklungsfonds profitieren konnte. Gleichzeitig wurde aber der Abstand zu den reicheren Republiken des Nordens nicht kleiner, sondern größer. Makedonien blieb zudem, wie im ersten Jugoslawien, politisch ein Leichtgewicht. In den hohen Rängen von Partei- und Staatsführung sowie in Titos innerem Kreis waren keine Makedonier zu finden. Aber angesichts der eigenen Schwäche, der von den Nachbarstaaten negierten Nationsbildung und der multiethnischen Zusammensetzung sah sich Makedonien in Jugoslawien gut aufgehoben und war eine loyale Republik, die zusammen mit Bosnien-Herzegowina bis zuletzt versuchte, den Zerfall des Landes zu verhindern. Als dies nicht möglich war, schlug es mit einem Referendum am 8. November 1991 notgedrungen ebenfalls den Weg in die Unabhängigkeit ein. Die unabhängige Republik Makedonien Für die erste Phase war es von entscheidender Bedeutung, dass Makedonien im Präsidenten Kiro Gligorov einen umsichtigen und sehr erfahrenen, auf inneren und äußeren Ausgleich bedachten «Landesvater» fand, der von breitesten Kreisen der Bevölkerung als solcher empfunden wurde und auch das Vertrauen der Minderheiten genoss. Nachdem sich die Republik ohne militärische Zwischenfälle aus Jugoslawien hatte lösen können, schien sie auf einem guten Weg zu sein. Sie hatte allerdings von Anfang an mit drei Problemfeldern zu kämpfen, die mehr als 20 Jahre nach der Unabhängigkeit immer noch aktuell sind: Zu erwarten waren angesichts der ökonomischen Schwäche erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten, die durch die Transformation und die gegen Jugoslawien verhängten Sanktionen an Schärfe gewannen. Auch mit ethnischen Spannungen war angesichts der Zusammensetzung der Bevölkerung (laut Volkszählung von 1994: 66,5 % Makedonier, 23 % Albaner, 10 % andere Minderheiten) und der Situation im Kosovo zu rechnen. Was das Land aber ziemlich unvorbereitet traf, war die massive Feindschaft Griechenlands, das einen Staat namens Makedonien unter allen Umständen verhindern wollte. Ein griechischer Politiker erklärte im Januar 1992 sogar, der Gebrauch des Namens Makedonien sei ein casus belli, und forderte «eine aktive Vernichtungspolitik gegen diesen Zwergstaat».7 Infolge seiner Mitgliedschaft in EU und NATO verfügt Griechenland über erhebliche Druckmittel und sabotiert seit 1991 Makedoniens internationale Beziehungen in jeder erdenklichen Weise. Um nur die wichtigsten Fälle zu nennen: Bis 1993 konnte es die internationale Anerkennung verhindern, wodurch Makedonien von Finanzorganisationen wie der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds keine Finanzhilfe erhalten konnte. 2008 verhinderte Griechenland den Beitritt zur NATO, wozu es gemäß einem Urteil des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag vom 5. Dezember 2011 kein Recht hatte. Das Verdikt wird aber nichts daran ändern, dass an eine EU-Mitgliedschaft Makedoniens unter diesen Umständen nicht zu denken ist. Bulgarien hat seinerzeit als erster Staat Makedonien anerkannt und damit ein versöhnliches Zeichen gesetzt. Gleichzeitig weigert es sich, eine makedonische Nation und Sprache anzuerkennen, es betrachtet Makedonien faktisch als einen zweiten bulgarischen Staat. Die wirtschaftlichen Probleme und die ausweglose außenpolitische Lage verschärften von Anfang an die ethnischen Spannungen im Innern. Zwar führte Makedonien, in der Tradition des sozialistischen Jugoslawiens, einen im internationalen Vergleich sehr guten Minderheitenschutz ein und beteiligte die albanische Minderheit stets an der Regierung. Allerdings waren die ethnischen Albaner in vielen Bereichen von Staat, Bildung und Kultur untervertreten. Insbesondere forderten sie aber, nicht als Minderheit betrachtet und behandelt zu werden, sondern als zweites Staatsvolk. Seit den Zusammenstößen zwischen einer albanischer Guerilla und makedonischen Sicherheitskräften im Jahr 2001, die unter internationaler Vermittlung mit dem sog. Rahmenabkommen von Ohrid beendet werden konnten, werden die Forderungen der makedonischen Albaner allmählich umgesetzt. Der Streit mit Griechenland um den Namen erschwert auch die Beziehungen zwischen Mehrheits- und Minderheitsbevölkerung. Für die Makedonier ist der Name von existentieller Bedeutung, weil er untrennbar mit ihrer Nation verknüpft ist. Die anderen Volksgruppen, insbesondere die größte, die Albaner, hängen nicht daran und sind unzufrieden, dass die Regierung keine Konzessionen in dieser Frage macht, um die außenpolitische Lage und damit auch die wirtschaftlichen Chancen des Landes zu verbessern. Griechenlands jahrzehntelange Veto- und Bulgariens Negierungspolitik sowie die Gleichgültigkeit der internationalen Gemeinschaft haben dazu geführt, dass die in die Ecke gedrängten Makedonier ebenfalls ihre Nation in prestigereichen historischen Tiefen zu verorten versuchen: bei den alten Makedonen, die zwar keine Griechen waren, aber auch nicht die Vorfahren der heutigen slawischen Makedonier sind. Seit einigen Jahren lassen die Behörden die Städte, insbesondere die Hauptstadt, mit Alexander- und Philipp-Statuen vollstellen und pseudoantike Gebäude errichten. Das und vieles andere wäre dem Land erspart geblieben, hätte es nach 1991 unbehelligt seinen Weg gehen können. Anmerkungen 1)Schultze, Leonhard: Makedonien. Landschafts- und Kulturbilder, Jena 1927, S. 1-4. 2)Fischer, Theobald: Die südeuropäische (Balkan-) Halbinsel. In: Kirchhoff, Alfred (Hg.): Länderkunde von Europa. Leipzig 1893, S. 151. 3) Vgl. Boškovska, Nada: Das jugoslawische Makedonien 1918–1941. Eine Randregion zwischen Repression und Integration. Wien 2009. 4)Wendel, Hermann: Kreuz und quer durch den slawischen Süden. Von Marburg bis Monastir – Von Belgrad bis Buccari – Krainer Tage. Frankfurt/M. 1922, S. 101f. 5)Državen arhiv na Republika Makedonija, 1.1038.8.21/1. Vl. Nešković, Prilep, 18.12.1926. 6)Hroch, Miroslav: Nationales Bewusstsein zwischen Nationalismustheorie und der Realität der nationalen Bewegungen. In: Schmidt-Hartmann, Eva (Hg.): Formen des nationalen Bewusstseins im Lichte zeitgenössischer Nationalismustheorien. Vorträge der Tagung des Collegium Carolinum in Bad Wiessee vom 31. Oktober bis 3. November 1991. München 1994, S. 39-52. 7)Zit. nach Tsakiris, Dimitris: Griechenland und die Makedonische Frage. In: Eggert Hardten u. a. (Hg.): Der Balkan in Europa, Frankfurt/M. 1996, S. 50. Nada Boškovska, Dr. phil., Professorin für Osteuropäische Geschichte am Historischen Seminar der Universität Zürich; forscht und lehrt insbesondere zur russischen und zur Geschichte des Balkans. Nr. 4 2012 RGOW Makedonien Nenad Markovikj, Zoran Ilievski, Ivan Damjanovski, Vladimir Bozinovski Die Rolle der EU beim Konfliktmanagement in Makedonien Mit dem Rahmenabkommen von Ohrid konnte im Jahr 2001 der gewalttätige Konflikt zwischen einer albanischen Guerilla und makedonischen Sicherheitskräften beigelegt werden. Die entscheidende Rolle bei der Konfliktlösung spielte gemäß der vorliegenden Studie die USA, während die EU in der Folge maßgeblich zur politischen Stabilisierung im Land beigetragen hat. Das Rahmenabkommen, das vor allem der Integration der albanischen Minderheit dient, genießt heute immer stärker auch den Rückhalt der ethnisch makedonischen Bevölkerung. – R. Z. Im letzten Jahrzehnt hat sich Makedonien zum Lieblingsbeispiel der Europäischen Union für erfolgreiches Konfliktmanagement entwickelt – insbesondere aufgrund der entscheidenden Rolle, welche die EU 2001 bei den Verhandlungen über das Rahmenabkommen von Ohrid und dessen Implementierung in der Periode nach dem Konflikt zwischen einer albanischen Guerilla und makedonischen Sicherheitskräften gespielt hat. Deshalb wird Makedonien als seltenes Beispiel für friedliche interethnische Koexistenz im «balkanischen Pulverfass» gelobt.1 Neben dem Konflikt von 2001 haben jedoch zwei weitere politische Ereignisse die Stabilität der interethnischen Beziehungen in der Republik Makedonien erschüttert: das Territorialverwaltungsgesetz von 2004 und das sog. Mai-Abkommen von 2007. Auf die Probe gestellt hat dies auch die Fähigkeit der internationalen Gemeinschaft, insbesondere die EU und die USA als die wichtigsten Akteure, mit adäquatem Konfliktmanagement darauf zu reagieren. Für diesen Beitrag wurde die Rolle der EU bei der Konfliktlösung und der demokratischen Konsolidierung der Republik Makedonien untersucht. Die Ergebnisse beruhen auf bisherigen Forschungsergebnissen, einer öffentlichen Meinungsumfrage und Interviews mit beteiligten Akteuren der drei in der Folge beschriebenen politischen Prozesse. Das Rahmenabkommen von Ohrid (2001) Im Jahr 2001 kam es zu gewalttätigen Konflikten zwischen der «Nationalen Befreiungsarmee», die für eine Verbesserung der Minderheitenrechte der albanischen Bevölkerung in Makedonien kämpfte, und den makedonischen Sicherheitskräften, denen vornehmlich ethnische Makedonier angehören. Deshalb hatte der Konflikt eine starke interethnische Dimension. Der Konflikt hatte einerseits innerstaatliche, aber auch externe Ursachen, zum Beispiel Nachwirkungen des Kosovo-Konflikts. 2 Der hart erkämpfte Kompromiss enthält folgende Punkte: 1. Grundprinzipien: Verzicht auf Gewaltanwendung zu politischen Zwecken, Anerkennung der Souveränität des makedonischen Staates, Erhalt des multiethnischen Charakters des öffentlichen Lebens und Stärkung der lokalen Selbstverwaltung. 2.Angriffsstopp und freiwillige Entwaffnung der «ethnischen albanischen bewaffneten Gruppen» unter Supervision der NATO. 3.Entwicklung einer dezentralisierten Regierung. 4.Keine Diskriminierung und gleichberechtigte Vertretung. 5.Besondere parlamentarische Prozeduren bezüglich der Gesetze, welche die lokale Selbstverwaltung betreffen – die sog. «Badinter-Mehrheit». 6.Erziehung und Sprachgebrauch: Jede Sprache, die von mindestens 20 % der Bevölkerung gesprochen wird, gilt als offi- zielle Sprache der Republik Makedonien, kann in der lokalen Selbstverwaltung der Region, in der mindestens 20 % der Bevölkerung diese Sprache spricht, sowie in der Kommunikation mit der zentralen Regierung verwendet werden; zudem wird der Besuch von Schulen bis und mit Universitätslevel in dieser Sprache gewährleistet. 7.Ausdruck der Identität: An lokale öffentliche Gebäude dürfen Embleme der mehrheitlichen Bevölkerungsgruppe neben dem Emblem der Republik Makedonien angebracht werden. Diese Punkte sind inzwischen alle in das gesetzliche und politische System Makedoniens zum Schutz der Rechte von ethnischen Gemeinschaften aufgenommen worden. Das Territorialverwaltungsgesetz (2004) Im Zuge der Dezentralisierungsbestimmungen des Ohrid-Rahmenabkommens sind in der ersten Jahreshälfte 2004 die Gemeindegrenzen revidiert worden, was die Zahl der Gemeinden von 120 auf 84 reduzierte. Das bedeutete, dass es nun mehr Gemeinden mit einer ethnischen Mehrheit von Albanern gab. Dagegen opponierte eine überwältigende Mehrheit von ethnischen Makedoniern sowie eine große Zahl von renommierten ethnisch makedonischen Intellektuellen und Akteuren der Zivilgesellschaft. Sie gründeten die «Bürgerbewegung für Makedonien» und mobilisierten Geschäftsleute und Prominente für ein Referendum gegen die «ethnische Wahlkreisschiebung». Unterstützt von der internationalen Gemeinschaft hielt die makedonische Regierung hingegen die Bürger dazu an, das Referendum zu boykottieren, da ein Referendum in Makedonien nur mit der Stimmbeteiligung von über 50% der Bevölkerung gültig ist. Die Regierung befürchtete, dass die Mehrheit der ethnischen Makedonier gegen die neuen Gemeindegrenzen stimmen und damit die Implementierung des Rahmenabkommens gefährden könnte. Auch die EU betrachtete die Möglichkeit eines erfolgreichen Referendums mit Sorge, und die USA bezeichneten sie als «klaren Schritt zurück».3 Organisiert vom «Makedonischen Weltkongress» der makedonischen Diaspora und der inländischen Opposition kam das Referendum am 23. August 2004 mit 180 454 Unterschriften zustande, die Abstimmung wurde für den 7. November anberaumt. In Opposition zur Regierungskoalition argumentierten die Gesetzesgegner, dass das Referendum weder das OhridRahmenabkommen noch die europäisch-atlantische Integration in Frage stelle, sondern nur die Art und Weise dessen Umsetzung. Meinungsumfragen zeigten, dass das Referendum höchst wahrscheinlich erfolgreich sein würde. 4 Drei Tage vor dem Referendum überraschte die USA mit der Anerkennung Makedoniens unter seinem verfassungsgemäßen Namen und nicht unter der Bezeichnung «Former Yugoslav Republic of Macedonia» (FYROM), unter der das Land auf griechi- | 19 Makedonien Nr. 4 2012 R GOW schen Druck 1992 in die Vereinten Nationen aufgenommen worden war. Das Referendum vom 7. November scheiterte an der niedrigen Wahlbeteiligung von 26,58 %, obwohl 94 % davon gegen die neuen Gemeindegrenzen stimmten; das Scheitern des Referendums brachten viele mit der Geste der USA in Verbindung. Javier Solana, von 1999 bis 2009 Hoher Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU, erklärte hingegen, dass das Referendum schon zuvor gescheitert sei, weil die Bürger «den Kurs auf Europa gewählt» hätten.5 Der EU zufolge war die Dezentralisierung ein wichtiger Baustein für die Implementierung des Ohrid-Rahmenabkommens. Zu diesem Zeitpunkt änderte die EU ihre Rolle von der Konfliktmanagerin zur Begleiterin allgemeiner Reformen hinsichtlich des Integrationsprozesses in die EU. Das Mai-Abkommen (2007) Ein weiterer interethnischer Parteienkonflikt ereignete sich im Januar 2007, als die größte albanische Partei DUI (Demokratische Union für Integration) das Parlament verließ: Sie protestierte dagegen, dass Gesetze, welche die sog. «Badinter-Mehrheit» erforderten, ohne DUI-Stimmen verabschiedet wurden. Die Partei verlangte Neuverhandlungen über eine Reihe von interethnischen Angelegenheiten, und auch die EU und die Nato machten den politischen Dialog und die Rückkehr der DUI ins Parlament zur Bedingung für eine Einladung des Staates zu Nato- und EU-Beitrittsverhandlungen. Die EU und die USA spielten daraufhin eine Schlüsselrolle zur Lösung des Parteienkonflikts. 6 Die öffentliche Meinung Im Sommer 2010 wurde eine öffentliche Meinungsumfrage zur Rolle der internationalen Gemeinschaft im Konfliktmanagement bei der interethnischen Krise in Makedonien durchgeführt. Die 1110 befragten erwachsenen Personen entsprachen der soziodemographischen Struktur der makedonischen Bevölkerung (mit Rücksicht auf Geschlecht, Alter, Erziehung, Beruf, Ethnie, Region, Stadt-Land). Beziehungen als schlecht bezeichneten, während dies nur von 16 % der ethnischen Albaner ähnlich empfunden wird. Die Frage, welcher Staat oder welche Organisation den positivsten Einfluss auf die Demokratiebildung in Makedonien gehabt hätte, beantworteten 22,7 % gar nicht, 23,6 % wählten die EU, 25,6 % die USA – die Rolle weiterer internationale Akteure wurde als marginal erachtet. Dabei stellte sich heraus, dass vor allem ethnische Albaner die Rolle der USA als konstruktiver bezeichneten, während die ethnischen Makedonier der EU den Vorzug gaben, weil letztere kollektive, auf der Ethnie basierte Rechte an weitere Bedingungen knüpfe. Zum Ohrid-Rahmenabkommen Die Frage, ob das Ohrid-Rahmenabkommen eine gute Lösung für den makedonischen Staat sei, beantworteten 55 % der Befragten positiv und ca. 35 % negativ. Vor allem ethnische Makedonier standen dem Abkommen von 2001 ursprünglich negativ gegenüber, weil sie es als eine von der internationalen Gemeinschaft aufgezwungene Lösung betrachteten. Seit 2008 ist aber ein positiver Trend bezüglich der Akzeptanz des Abkommens spürbar, da in der Befragung bereits 44 % der ethnischen Makedonier dieses positiv bewerten (gegenüber 24 % im Jahr 2008). Die Frage, ob das Ohrid-Rahmenabkommen die Gleichberechtigung aller ethnischen Gemeinschaften garantiere, beantworteten 30 % der Befragten positiv, für 30 % wird diese nur in wenigen Regionen umgesetzt und 25 % – hauptsächlich ethnische Makedonier oder Angehörige anderer nicht-albanischer Ethnien – verneinen die Frage. Auch andere Untersuchungen zeigen, dass die Mehrheit der ethnischen Gruppen Makedoniens das Abkommen als primär auf die Bedürfnisse der Albaner abgestimmt wahrnimmt, während die ethnischen Albaner der Meinung sind, dass alle ethnischen Gruppen im Land davon profitieren.8 Die Rolle der EU bei der Vorbereitung des Ohrid-Rahmenabkommens wird von der Hälfte der Befragten positiv bewertet, 16 % hatten keine Meinung und weniger als ein Drittel bezeichneten diese als negativ, was die allgemeine Haltung zum Engagement der EU bezüglich der interethnischen Beziehungen in Makedonien widerspiegelt. Zur Rolle der EU Es stellte sich heraus, dass 90,9 % der Befragten, sowohl ethnische Makedonier als auch Albaner, die Integration in die EU unterstützen. Zudem bewerteten zwei Drittel von ihnen die Rolle der EU im Prozess der demokratischen Transformation Makedonien positiv. Auffallend war die positive Bewertung durch gut ausgebildete Albaner, die «Demokratisierung» meist mit «mehr Rechten für ethnische Minderheiten» assoziierten. Viele ethnische Makedonier hingegen befürchteten, dass ein breiteres Spektrum an kollektiven, auf Ethnizität basierenden Rechten den nationalen Zusammenhalt und die politische Einheit gefährden.7 Damit kann erklärt werden, dass – trotz der positiven Bewertung durch die Mehrheit der Befragten – ein Drittel der ethnischen und über 50-jährigen Makedonier die Rolle der EU hinsichtlich der interethnischen Der Sitz der Delegation der Europäischen Union in Skopje. Photo: Wikimedia Commons 20 | Zum Territorialverwaltungsgesetz Obwohl das Territorialverwaltungsgesetz als Schlüsselkomponente des Ohrid-Rahmenabkommens galt und zum Ziel hatte, die ethnischen Spannungen zu beruhigen,9 provozierte es ernsthafte Debatten und Uneinigkeit zwischen den ethnischen und politischen Akteuren in Makedonien, was zu dem erwähnten Referendum führte. Nach dem gescheiterten Referendum wurde das Gesetz eingeführt, doch die Debatten um dessen Umsetzung laufen weiter. Dies widerspiegelt sich in der öffentlichen Meinung: 30 % befürworten das Gesetz, 15 % wünschen gewisse Änderungen, 26 % eine grundsätzliche Revision und 22 % waren unentschlossen. Die Rolle der USA und der EU bei der Erarbeitung des Gesetzes wurde von 30 % positiv, von 25 % negativ bewertet, wobei die Mehrheit der Gegner ethnische Makedonier waren. Aus der Tatsache, dass die Befragten die Rollen der EU und der USA kaum auseinanderhalten können, kann man schließen, dass deren Engagement in Makedonien auf enger wechselseitiger Koordination beruhte. Die Mehrheit der Albaner neigt zu einer positiven Bewertung der USA, weil diese ethnischen Gemeinschaften mehr Rechte zugestehe, während die Rolle der internationalen Gemeinschaft von ethnischen Makedoniern aus demselben Grund eher negativ eingeschätzt wird. Gleichzeitig bevorzugen letztere eher die «soft power» der EU. Mehr als 60 % der Befragten gehen von einem positiven Einfluss der EU auf die Zukunft Makedoniens aus, während 30 % (davon 32 % ethnische Makedonier und 10 % ethnische Albaner) einen negativen Einfluss der EU erwarten. Photo: Wikimedia Commons Nr. 4 2012 US-Präsident George Bush 2008 mit dem makedonischen Ministerpräsident Nikola Gruevski, Präsident Branko Crvenkovski (2004–2009) und dem Außenminister Antonio Milošovski. Interviews mit wichtigen Akteuren Um die drei entscheidenden politischen Prozesse in der Republik Makedonien nach 2001 noch besser zu verstehen, wurden 2011 zwölf Interviews mit Angehörigen der makedonischen Sicherheitskräfte, mit Kommandanten der «Nationalen Befreiungsarmee», Politikern und Akademikern, politischen Analysten und Beratern geführt.10 Bezüglich des Ohrid-Rahmenabkommens können aus den Interviews folgende Schlussfolgerungen gezogen werden: Die US-Administration spielte im Konfliktlösungsprozess eine sichtbarere Rolle als die EU-Vertreter. Ein Gesprächspartner kommentierte, die Rolle der EU sei es gewesen, «Botschaften hin und her zu tragen, während in Wirklichkeit die USA sämtliche Verhandlungen führte». Dies hängt mit der Kontrolle zusammen, welche die USA über die rebellischen albanischen Anführer in Makedonien und im Kosovo ausübten, und weil sie deren militärische Operationen stärker beeinflussen konnten. Insgesamt haben die USA und der EU eine politische Strategie von «Zuckerbrot und Peitsche» angewandt, wobei die finanziellen Versprechen der EU als Zuckerbrot galten, der direkte politische Druck der USA als Peitsche. Im Gegensatz zu den USA legte die EU mehr Gewicht auf Mediation und eine eher passive politische Strategie bei der Konfliktlösung. Ein direkt beteiligter Politiker erklärte, bei der Konfliktlösung seien «die USA die Sonne, die EU der Mond» gewesen. Deshalb wurde die Rolle der EU in der Konsolidierungsperiode nach dem Konflikt viel wichtiger als während der konkreten Konfliktlösung, indem sie laut einem Befragten «ein normales politisches Ambiente im Land schuf». Auch das Engagement der internationalen Gemeinschaft bezüglich des Referendums über das Territorialverwaltungsgesetz von 2004 ist ein gutes Beispiel für eine erfolgreich koordinierte Konfliktlösungsstrategie mit mehreren Akteuren. Dennoch wurde auch hier den USA mehr Bedeutung zugemessen. Die EU wurde weniger als politischer «Vollstrecker», denn als Quelle für Expertise wahrgenommen. Insbesondere berieten EU-Vertreter die Führer von vor allem kleinen politischen Parteien bei der Kampagne gegen das Referendum. Obwohl die US-Akteure weit weniger häufig mit der politischen Elite in Makedonien kommunizierten, wurde ihr Einfluss und ihre Mediation als überzeugender und effizienter eingeschätzt als das Engagement der EU-Vertreter. Letztere spielten zwar durch die nachdrückliche Einforderung und Organisation von offenen Dialogmöglichkeiten eine wichtige Rolle im politischen Verhandlungsprozess, handelten aber immer in Koordination mit anderen internationalen Akteuren, vor allem mit den USA. Das Mai-Abkommen von 2007 kann als Wendepunkt für das EU-Engagement im Management des ethnischen Konflikts in Makedonien betrachtet werden, da die EU dabei eine überzeugendere und sichtbarere Rolle gespielt hat als bisher. Laut einem Parteiführer «ist die Rolle der EU mit dem Ziel, die politische Situation zu stabilisieren, in dieser Periode aufgewertet worden». RGOW Makedonien Dennoch zeigt die Analyse auf überzeugende Weise, dass die USA in allen drei kritischen Momenten des interethnischen Konfliktmanagements und bei der demokratischen Konsolidierung der jungen makedonischen Republik die tragende Rolle gespielt hat. Die EU nahm aufgrund ihrer ökonomischen Anreize und Bedingungen jedoch eine entscheidende unterstützende Rolle wahr. Dass Makedonien zum Vorzeigebeispiel einer «Erfolgsstory» auf dem Balkan geworden ist, liegt aber vor allem an der starken Koordination zwischen beiden internationalen Akteuren und am Zusammenspiel ihrer politischen Ziele. Im Gegensatz zu den Fällen Bosnien-Herzegowina und Kosovo gab es bezüglich der Strategie in Makedonien keine Differenzen zwischen den USA und der EU. Ebenfalls spielte hier auch der «russische Faktor» keine Rolle. Deshalb ist fraglich, ob es sich im Fall Makedoniens wirklich um eine gesteigerte «Lernkurve» der internationalen Gemeinschaft handelt, die aus den Fehlern in Bosnien-Herzegowina und Kosovo gelernt hätte, daher gemeinsam agierte und die Irrtümer im komplexen ethnopolitischen Prozess in Makedonien nicht wiederholte. Aus dem Englischen übersetzt und gekürzt von Regula Zwahlen. Die Originalversion des Beitrags The role of the European Union in the democratic consolidation and ethnic conflict management in the Republic of Macedonia entstand im Rahmen des «Regional Research Promotion Programme in the Western Balkans» (RRPP) der Universität Fribourg. Anmerkungen 1)Ilievski, Zoran; Taleski, Dane: Was the EU's Role in Conflict Management in Macedonia a Success?. In: Ethnopolitics 8, 3-4 (2009), S.355-367. 2)Balalovska, Kristina u. a.: Crisis in Macedonia. Rom 2003, S. 9-43. 3)Europeans believe more in Macedonia than we do. In: Dnevnik 2584 (10.10.2004), S. 2; Rumsfeld: Forward with us or back with the referendum. In: Dnevnik 2584 (10.10.2004), S. 1. 4)UNDP: Early Warning Report FYR Macedonia». Skopje 2004; www.undp.org.mk/datacenter/publications/documents/ ewr.pdf, S. 14, 47. 5)From OFA Macedonia to European Macedonia. In: Dnevnik 2606 (10.11.2004), S. 1. 6)Das entsprechende Dokument wurde am 31. Mai 2007 im Dnevnik veröffentlicht. 7)Vgl. Engstrom, Jenny: Democratisation and the Prevention of Violent Conflict. Farnham 2009, S. 142. 8)Ohrid Framework Agreement Research 2008, conducted by IDSCS for the Secretariat for implementation of the Ohrid Framework Agreement (SIOFA). 9)Report of the OSCE/ODIHR Expert Visit 13-16. September 2004: Former Yugoslav Republic of Macedonia. 7 November 2004 Referendum; www.osce.org/odihr/elections/fyrom/37790. 10)Die Interviews und die Umfrageresultate befinden sich in der Bibliothek der Politikwissenschaften an der St. Cyril und Methodius-Universität in Skopje. Nenad Markovikj, Zoran Ilievski, Ivan Damjanovski, Vladimir Bozinovski, Wissenschaftliche Mitarbeiter am Departement für Politikwissenschaften an der juristischen Iustinianus PrimusFakultät der St. Cyril und Methodius-Universität in Skopje. | 21 22 | Makedonien Nr. 4 2012 R GOW Ljupco S. Risteski Die Torbeschen in Makedonien Mit dem Begriff «Torbeschen» werden die makedonisch-sprachigen Muslime in Makedonien bezeichnet, die vor allem im Westen des Landes beheimatet sind. Der Begriff «Torbeschen» ist allerdings nicht unumstritten, da andere Eigen- und Fremdbezeichnungen mit ihm konkurrieren. In jüngster Zeit setzt sich die «Partei für eine Europäische Zukunft» für eine Anerkennung der makedonisch-sprachigen, muslimischen Bevölkerungsgruppe als eigene ethnische Gruppe in der Verfassung ein. – S. K. In Makedonien konnte man in den letzten Jahren sowohl auf der Ebene kollektiver wie individueller Identitäten eine intensive Dynamik beobachten. Als Beispiel für die Dynamik kollektiver Identitäten lässt sich vor allem die Bevölkerungsgruppe anführen, die vornehmlich im westlichen Teil des Landes beheimatet ist, die makedonische Sprache spricht und dem Islam angehört. Diese Gruppe bezeichnet man als Torbeschen (Torbeši), bzw. viele Gruppenangehörige bezeichnen sich auch selbst so; andere nennen sie Makedonen islamischen Glaubens, bzw. sie nennen sich selbst so. Einige identifizieren sich jedoch selbst als Türken, andere als Albaner. Häufig gebrauchen die Angehörigen der Gruppe im Austausch untereinander wie im Kontakt mit anderen Gemeinschaften auch einfach das Wort «Unsrige» – sie haben so eine Identität der «Unsrigen» aufgebaut und dementsprechend sprechen sie «unsrige» Sprache oder «torbesisch». Die Dynamik der Terminologie Angesichts der Vielzahl von Bezeichnungen ist die Frage nach einer angemessenen Terminologie für diese Bevölkerungsgruppe also keine leichte Sache. Bis heute gibt es weder unter den Angehörigen dieser Bevölkerungsgruppe noch in der breiteren Gesellschaft in Makedonien einen Konsens darüber, wie diese Gruppe genannt werden soll. Jeder der eingangs angeführten Begriffe kann Einzelne oder ganze lokale Gemeinschaften beleidigen oder verletzen. In der vielgestaltigen Terminologie spiegeln sich dabei unterschiedliche gesellschaftliche und politische Konstellationen wider, die immer wieder dazu geführt haben, dass sich die Gruppe selbst oder aber andere von außen ihr bestimmte Begrifflichkeiten übergestülpt haben. Während der osmanischen Herrschaft identifizierten sich die Gruppenangehörigen aufgrund ihres muslimischen Glaubens als Türken, in Abgrenzung zu der christlichen Bevölkerung – der Raja, der Herde der Nichtmuslimen. Dieses Identifikationsmodell ist teilweise noch immer aktuell: Zum einen aufgrund der erwähnten Identifikation entlang der Religionszugehörigkeit, so wird diese Bevölkerung vor Ort von Seiten der benachbarten makedonischen, orthodoxen Dörfer noch immer teilweise als Türken bezeichnet. Zum anderen wird unter dem Einfluss ethnisch türkischer politischer Parteien in Makedonien die Forderung laut, sie als ethnische Türken einzuordnen und zu bezeichnen. Beispielsweise wurde Mitte der 1990er Jahre in der Gegend von Župa bei Debar (Kleinstadt an der Grenze zu Albanien) die Frage aufgeworfen, wieso die dortigen Kinder nicht entsprechend der Identifikation der Eltern in türkischer Sprache unterrichtet werden – auch wenn niemand von ihnen türkisch sprach. Ein neues Identifikationsmodell kam mit dem Entstehen von Nationalstaaten in Südosteuropa am Ende des 19. Jahrhunderts auf: Dessen entscheidendes Merkmal bestand in der Beifügung des Adjektivs islamisiert – entsprechend den nationalstaatlichen Strategien sprach man nun von islamisierten (Süd-)Serben, islamisierte Bulgaren u. ä. Diese Bezeichnungsmethode herrschte lange Zeit auch in Jugoslawien und Bulgarien vor, worin deutlich die Strategie zu erkennen ist, die christliche Vergangenheit dieser Bevölkerungsgruppe vor der Annahme des Islams herauszustellen. In tagespolitischen wie auch fachwissenschaftlichen Diskussionen wurden identitätscharakterisierende Begriffe wie Islamisierung, islamisiert, konvertiert und Konvertiten verwendet, womit auf die christlichen Wurzen bzw. die erst vor kurzem erfolgte «Islamisierung» angespielt werden sollte.1 Dies trägt bei vielen zur Illusion bei, dass es sich um einen noch nicht (vollständig) abgeschlossenen und daher ergebnisoffenen Prozess handelt. Gleichzeitig käme jedoch niemand auf den Gedanken, über Christiansierte zu schreiben, wodurch der Zugehörigkeit zum Christentum im Gegensatz zum Islam gleichsam ein ontologischer, autochtoner Charakter verliehen wird. Häufig trifft man auch auf eine Gegenüberstellung «alte christliche Traditionen» versus «die neuen islamischen».2 Während der sozialistischen Zeit gab es Bestrebungen, die Identität dieser Gemeinschaft endgültig festzulegen. In der politischen Terminologie wurden sie nun islamisierte Makedonen und / oder muslimische Makedonen, mohammedanische Makedonen3 bezeichnet, was sie in denselben ethnischen und nationalen Rahmen mit den orthodoxen Makedonen stellen sollte. Im Statut der Kulturwissenschaftlichen Manifestationen der muslimischen Makedonen hieß es dazu: «die ethnogeschichtliche Vergangenheit, die ursprünglichen ethnosozialen Werte und Charakteristika (die makedonische Sprache, Folklore, Sitten und die gesamte materielle und geistige Kultur) zu erforschen, und bei den islamisierten Makedonen als untrennbarem Teil der Gesamtheit des makedonischen Volkes das nationale Gefühl als Makedonen zu entwickeln».4 Einer der vermutlich meistverwendeten Begriffe ist Torbeschen, der mit Blick auf die Etymologie jedoch oftmals als pejorativ und beleidigend empfunden wurde und wird. Etymologisch leitet sich Torbeschen von denjenigen ab, die den den Glauben für eine torba (Beutel, Sack) voll Mehl, Reis, Kartoffeln o. ä. gewechselt haben. In der Vergangenheit wurde er als umgangssprachliche Fremdbezeichnung von Seiten der übrigen lokalen Gemeinschaften verwendet. In den letzten Jahren wird der Begriff Torbeschen allerdings auch von den Vertretern einer politischen Plattform gefördert, die sich eine Anerkennung der ethnischen und kulturellen Eigenständigkeit dieser Bevölkerungsgruppe in Makedonien zum Ziel gesetzt hat. Nr. 4 2012 Emigration ins Ausland Über die Situation der Torbeschen in Westmakedonien schreiben einige in politischen Foren im Internet: «Bis 1990 wurden wir vom Staat abgelehnt, danach von den Parteien in Zahlen transformiert, um ihren Kalkulationen zu dienen.»5 So ist in den Dörfern der Region von Reka festzustellen, dass politische Parteien die aktuelle Lage vor Ort ausnutzen, indem sie ihre eigenen religiösen und ethnischen Karten ausspielen, um die Bevölkerung bei den Wahlen zu gewinnen. Als Ergebnis der schlechten wirtschaftlichen Situation hat in den letzten Jahren ein Prozess der Emigration ins Ausland begonnen. Schon früher war die Gegend Reka für seine Tradion der Fremdarbeit bekannt, bei der die männlichen Familienmitglieder saisonal ihr Dorf verließen, um Geld für das (Über-)Leben zu verdienen. Heutzutage tritt die neue Tendenz einer massenhaften Emigration ganzer Familien ins Ausland auf. In einem Blog schreibt einer der Diskutanten über diese Zustände Folgendes: 6 «Dolna Reka wandert massenhaft aus, Italien ist die neue Heimat. Zur Arbeit ins Ausland gehen nicht nur die Männer, wie es in der Vergangenheit der Fall war. Die ganze Familie geht mit dem Hausherrn. […] Die Menschen von Dolna Reka sind bescheiden, arbeitsam, Hilfe haben sie mehr als nötig, sie wollen daheim arbeiten, um nicht die Heimat verlassen zu müssen, um die Tradition fortzuführen, so wie es ihre Vorfahren getan haben. […] ‹Makpetrol› hat das Unternehmen in Bituše geschlossen, die Textilunternehmen ‹Edinstvo› aus Skudrinje und ‹Bratstvo› aus Rostuše arbeiten schon lange nicht mehr. ‹Die einstigen Textilarbeiter sind ohne Existenzgrundlage geblieben›, sagt Fuad Durmiši, Bürgermeister der Gemeinde MavrovoRostuše, der im Dorf Velebrdo lebt. In den letzten zehn Jahren hat eine starke Auswanderungswelle die Region erfasst. Jetzt gehen nicht nur die Männer, sondern ganze Familien versuchen zusammen mit dem Hausherrn ihr Glück im Ausland. […] Aufgrund Schülermangels wurde vor einigen Jahren die Schule in Bituše geschlossen. Im Dorf Trebište wurden vor Jahren noch 270 Schüler unterrichtet, jetzt sind es weniger als 100. Auch in den Schulen in Rostuše, Žirovnica, Skudrinje und anderen Dörfern verringert sich ihre Zahl. In nur zwei bis drei Jahren hat sich das Dorf Trebište halbiert. ‹Von 1500 Bewohnern sind nur etwa 700 geblieben›, sagte uns Raut Durmiši, Eigentümer einer Baufirma in Trebište. Auf die Arbeit im Ausland bereiten sich weitere Familien vor. Ihre Verwandten, die sich bereits in Italien befinden, suchen ihnen Arbeit. Vielleicht bringen sie ihnen bei ihrem Besuch die Garantiepapiere mit, und eine neue Welle der Auswanderung wird stattfinden. ‹Diese Gegend ist leer, es gibt keine Menschen, in dem Café, das ich im Dorf betreibe, haben die Leute früher auf einen Platz gewartet, jetzt ist dort niemand mehr›, klagt Mitat Hodža, der Eigentümer des Cafés Centar.» Gründung einer neuen Partei In den letzten Jahren hörte ich bei Besuchen in Westmakedonien, dass einige Intellektuelle aus der Mitte der Torbeschen politisch aktiv werden wollen, um ein politisches Programm zur Konsolidierung dieses Bevölkerungsteils in Makedonien und zur Förderung ihres Selbstbewusstseins als eigene Gemeinschaft oder gar als eigene ethnische Gemeinschaft unter dem Namen Torbeschen aufzustellen. Als Grund für diese Aktivitäten wurde zumeist eine große Unzufriedenheit über die eigene Situation angeführt, insbesondere über die politischen Manipulationen mit ihrer Identität, die stets in Vorwahlperioden am stärksten seien. Im Frühjahr 2006 wurde die «Partei für eine Europäische Zukunft» (PEI) unter der Leitung Fijat Canoskis gegründet. Canoski ist ein bekannter Geschäftsmann aus Oktisi in der Gegend um Struga und war der makedonischen Öffentlichkeit bis dahin RGOW Makedonien vor allem als einer der Eigentümer der ersten privaten Universitäten des Landes, der Europäischen Universität, bekannt. Im Wahlprogramm der PEI von 2008 werden im Einführungsteil Gründe und Ziele der Partei angeführt: «Die Partei für eine Europäische Zukunft entstand als Resultat der komplizierten sozialen Umstände, in denen sich die Republik Makedonien seit längerer Zeit befindet. […] Die Partei für eine Europäische Zukunft hat sich entschlossen, ihren Teil zur Definierung des zivilisatorischen Profils der Republik Makedonien beizutragen. […] Die makedonische Gesellschaft ist der eigenen Struktur und Definition nach eine multiethnische und multikulturelle Gesellschaft. […] Diese Partei konstituiert sich und handelt als multiethnische und multikulturelle Partei. Für diese parteipolitischen Verpflichtungen setzt die Partei eine Mitgliedschaft aller ethnischen Gruppen und kulturellen Systeme der makedonischen Gesellschaft voraus, ungeachtet aller Unterschiede (rassische, nationale, religiöse, geschlechtliche und andere Zugehörigkeit der Bürger).»7 Die PEI wurde als «Bürgerpartei» gegründet, ohne dass in dem Statut spezifische Aktivitäten in Verbindung mit den Torbeschen genannt wurden. Auf die Frage eines Journalisten im Mai 2006 «Sind die Zielgruppe ihrer Partei allein die Torbeschen?» lautet die Antwort Canoskis: «Nein. Wir sind eine multiethnische und multikulturelle Partei. Wir bieten allen Bürgern in 75 Ortschaften Hoffnung auf Entwicklung, in denen Makedonen, Albaner, Türken, Torbeschen und andere ethnische Gruppen leben. Diese Gegend zählt eine Bevölkerung von etwa 180 0 00 Menschen. […] Unser Programm haben wir in drei Sprachen gedruckt. Auf Versammlungen hissen wir die makedonische, albanische und türkische Flagge. Die Glaubenszugehörigkeit geht uns nichts an. Das ist Privatsache.»8 Aus der Aussage des Vorsitzenden der PEI kann dennoch herausgelesen werden, dass der Fokus ihres Handelns regional verortet ist, vor allem im westlichen Teil Makedoniens. Es werden dezidiert 75 Ortschaften angeführt, in denen – nach Einschätzungen Canoskis – eine torbesische Bevölkerung von etwa 180 0 00 Menschen lebt. Bei den Parlamentswahlen von 2006 errang die PEI ein Mandat, so dass ihr Vorsitzender Fijat Canoski ins makedonische Parlament einzog. Im Parlament begann er – das kann man gut anhand der stenographischen Mitschriften der Parlamentssitzungen und anhand anderer öffentlicher Äußerungen Canoskis verfolgen – immer offener die These einer kulturellen und ethnischen Eigenheit der torbesischen Gemeinschaft aufzustellen. Am 22. Februar 2007 wies Canoski im Parlament daraufhin, dass «... in diesen Regionen im südwestlichen Teil Makedoniens viele Gemeinschaften wie albanische, türkische u. a. existieren. Aber ebenso besteht in dieser Gegend auch eine eigene ethnische oder ich kann sie auch kulturelle Gemeinschaft nennen, die die makedonische Sprache spricht, dem Glauben nach muslimisch ist, und die manche Torbeschen nennen, was uns nicht stört.»9 Damit eröffnet er schüchtern, aber etappenweise seine Strategie, die Anerkennung der Torbeschen als eigene Gemeinschaft in Makedonien auf die Agenda zu setzen. Später verfolgte er diese noch offener, indem er verlangte, dass auch die Torbeschen – zusammen mit anderen Gemeinschaften – in die Verfassung der Republik Makedonien aufgenommen werden. Verfassungsmäßige Anerkennung als eigene Gemeinschaft? Wie aus dem Programm der Partei und noch expliziter aus den öffentlichen Äußerungen des Vorsitzenden Canoski ersichtlich, versucht die PEI die Bevölkerung dieser Gegend Makedoniens mit dem Versprechen einer Wirtschaftsreform zu mobilisieren, die ihren ökonomischen und gesellschaftli- | 23 Makedonien Nr. 4 2012 R GOW chen Status verbessern und damit auch den intensiven Auswanderungsprozess stoppen soll. «Die Partei für eine Europäische Zukunft wurde aus dem einzigen Ziel geschaffen, die Auswanderung aus diesen Regionen zu stoppen», erklärte Canoski. Um die gesellschaftliche Situation zu verbessern, zielen die PEI und Canoski auch auf eine Verfassungsänderung: Die Torbeschen sollten im Vierten (Verfassungs-)Zusatz als eigene ethnische Gemeinschaft ergänzt werden und zudem sollte aus ihren Reihen auch ein Mitglied ins Komitee für die Beziehungen zwischen den Gemeinschaften der Republik Makedonien entsandt werden.10 Im September 2007 trug Canoski im makedonischen Parlament auch zum ersten Mal seine Ansichten über die Eigenheit der Torbeschen als Gemeinschaft vor – oder besser: über die Notwendigkeit ihrer Anerkennung als eigene Gemeinschaft: «Wer sind die Torbeschen? Eine kurze Erklärung. Sie sind Menschen, die sich bisher unterschiedlich deklariert haben. In der Vergangenheit, in den 1960er, 1970er bis in die 1980er Jahre bezeichneten sie sich als Makedonen. Sie wurden muslimische Makedonen genannt. Ich behaupte hier, dass es keine muslimischen Makedonen gibt. […] In der letzten Volkszählung wurden meinen Unterlagen nach etwa 70%, 65% als Türken deklariert und etwa 25% als Albaner, 10% verblieben als Makedonen. Und das ist gut so, das ist ihr Recht. Diese Menschen sind unzufrieden mit dem makedonischen Volk, auch wenn sie Teil von ihm waren, und ich behaupte erneut, dass die Torbeschen Teil Makedoniens sind und keinen Ersatzstaat haben. Dies ist ihr einziger Staat und sie werden mit aller Macht darum kämpfen, Teil dieses Staates zu sein, aber auch darum, alle Rechte zu besitzen. […] Die Torbeschen leben in mehreren Regionen. Sie sind konzentriert in der Region Struga, der Region Debar, Reka, in Župa, in Plasnica, in Dolneni und anderen Orten. Wie ich sagte, es ist eine Bevölkerung von 120 0 00 bis 150 000 Menschen.»11 Weiterhin führte Canoski in seiner Rede Beispiele für den politischen Missbrauch dieser Bevölkerungsgruppe seitens anderer politischer Parteien an, in den letzten Jahren insbesondere durch albanische Parteien an. Er beendet seine Ausführungen damit, dass dies hauptsächlich auf einen Aspekt im Sechsten Zusatz der Verfassung der Republik Makedonien zurück zu führen sei. In diesem wird auf «eine gerechte Vertretung der ethnischen Gemeinschaften in allen öffentlichen Institutionen und der staatlichen Administration» hingewiesen; so sind für die albanische Gemeinschaft als zweitgrößte ethnische Gruppe Blick auf Debar, einer Kleinstadt im Westen Makedoniens. In der Region leben viele Torbeschen. in Makedonien, besonders nach dem Rahmenabkommen von Ohrid, besondere Maßnahmen vorgesehen, um Ungleichheiten bei der Vertretung der Gemeinschaften in den staatlichen Institutionen und der öffentlichen Administration auszugleichen. Demgegenüber habe – laut Canoski – die Nichtanerkennung als eigene Gemeinschaft für die Torbeschen zur Folge, dass sie in den staatlichen Institutionen unterrepräsentiert seien, dabei hätten sie Anrecht auf etwa 7000 neue Beschäftigungsverhältnisse.12 Die Ergebnisse der Parlamentswahlen von 2006 und der vorgezogenen Parlamentswahlen von 2008 können ebenfalls als Indiz für die Dynamik des Einflusses der PEI als politischem und gesellschaftlichem Faktor dienen. Bei den Parlamentswahlen 2006 trat die PEI in vier Wahlbezirken, im westlichen und südwestlichen Teil Makedoniens gelegen, mit eigenen Kandidaten an. Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen 2008 trat die PEI dagegen auch im Wahlbezirk 2 (Skopje) mit einer eigenen Kandidatenliste an, wo sie bei den vorherigen Wahlen keine hatte. Insgesamt ist im Vergleich zu 2006 in fast allen Wahlbezirken ein Anstieg der Wähler der PEI festzustellen. Anmerkungen 1) Limanoski, Nijazi: Islamizacijata i etničkite promeni vo Makedonija [Die Islamisierung und die ethnischen Veränderungen in Makedonien]. Skopje 1993, S. 128. 2)Ebd., S. 137. 3)Ebd., S. 230. 4) Statut der Kulturwissenschaftlichen Manifestationen der muslimischen Makedonen, zit. nach: Limanoski, Islamizacijata (Anm. 1), S. 379. 5)http://forums.vmacedonia.com/f11/vo-strushko-se-plashatda-kajat-deka-se-makedontsi-2146. 6)http:torbesi.blog.com.mk. 7)Programm der Partei für eine Europäische Zukunft von 2008; abrufbar unter: http://www.pei.org.mk/programa. pdf. 8) I nterview mit Fijat Canosk; vgl. http://torbesi.blog.com. mk/. 9)Stenographische Mitschrift der 32. Sitzung des Parlamentes der Republik Makedonien, gehalten am 22. Februar 2007, S. 6; abrufbar unter: http://www.sobranie.mk/stenogrami1/ StenDocs06/032%20sednica%2022-02-2007.doc. 10)Stenographische Mitschrift der 60. Sitzung des Parlamentes der Republik Makedonien, gehalten am 23. Juli 2007, S. 53; abrufbar unter: http://www.sobranie.mk/stenogrami1/ StenDocs06/032%20sednica%2022-02-2007.doc. 11)Stenographische Mitschrift der elften Fortsetzung der 69. Sitzung des Parlamentes der Republik Makedonien, gehalten am 24. September 2007, S. 30; abrufbar unter: http:// www.sobranie.mk/stenogrami1/StenDocs06/032%20sednica%2022-02-2007.doc. 12)Ebd. Übersetzung aus dem Makedonischen: Vlatko Stojanov. Photo: Wikimedia Commons 24 | Gekürzt und überarbeitet: Stefan Kube. Ljupco S. Risteski, Dr., apl. Prof., Institut für Ethnologie und Anthropologie an der Universität «Sv. Kiril i Metodij» in Skopje. Nr. 4 2012 RGOW Makedonien Hristina Cipusheva, Abdul Sejdini, Abdul Ghaffar Mughal, Luljeta Sadiku, Esmeralda Shehaj, Fatmir Memaj Arbeitsmigration aus Makedonien und Albanien Albanien und Makedonien leiden seit zwei Jahrzehnten unter einer massiven Auswanderung gut ausge bildeter Arbeitskräfte. Obwohl diese durch Heimatüberweisungen das Bruttoinlandprodukt wesentlich aufbessern, fehlt ihr Innovationspotential beim Transformationsprozess zu einem demokratischen Rechtsstaat und einer produktiven Marktwirtschaft. Die Erforschung der Einflussfaktoren der Arbeitsmigration soll Möglichkeiten aufzeigen, wie die Heimatländer Rückkehranreize schaffen können, um vom geistigen Kapital zu profitieren, das die Migranten im Ausland erworben haben. – R. Z. Das Forschungsprojekt «Der brain drain und die Rolle der Diaspora bei der Förderung von Veränderungen im westlichen Balkan», an dem die Südosteuropäische Universität von Tetovo in Makedonien, die Universität von Tirana in Albanien und das Riinvest Institut in Kosovo teilnehmen, umfasst die drei Länder Makedonien, Albanien und Kosovo. Das Forschungsprojekt hat sich zum Ziel gesetzt, den Umfang und die Charakteristika der hoch qualifizierten Diaspora aus den drei Ländern zu erforschen, Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen den Diasporen der verschiedenen Länder zu erfassen und Strategieempfehlungen zu formulieren, wie die Regierungen das fachliche Potential ihrer jeweiligen Diaspora zur Förderung von politischen, sozialen und ökonomischen Reformen in ihren Ländern gewinnbringend nutzen können. Ökonomische Ursachen der Emigration Nach Adam Smith ist die Arbeitsteilung durch die Größe des jeweiligen Marktes beschränkt. Kleine Volkswirtschaften haben beschränkte Binnenmärkte und sind typischerweise offene Volkswirtschaften. Obwohl der technologische Fortschritt im Bereich der Telekommunikation und des Transportwesens die strukturellen Einschränkungen von kleinen Ländern minimiert hat, grenzen andere ökonomische, ganz zu schweigen von geopolitischen Faktoren die Handlungsoptionen kleiner Länder immer noch stark ein.1 Angesichts des begrenzten Markts und der Schwierigkeiten bei der Realisierung von wirtschaftlicher Massenproduktion ist internationale Migration zu einem strukturellen Charakterzug von kleinen Binnenwirtschaften geworden, die nur über einen begrenzten Zugang zu Außenmärkten verfügen. Obwohl Geographie kein Schicksal ist, und obwohl es Beispiele für kleine Länder gibt, die ohne ausländische Direktinvestitionen und andere ausgleichende Faktoren zu großem Wirtschaftswachstum fähig sind, sind kleine Volkswirtschaften doch typischerweise Wirtschaften mit hohem Arbeitskraftexport. Interne Konflikte, Bürgerunruhen, hohe Arbeitslosigkeits- und Armutsraten haben den Migrationsdruck in Makedonien und Albanien seit der Transition zur Marktwirtschaft weiter verstärkt (s. Tabelle). Migration und Heimatüberweisungen in Makedonien und Albanien, 2010 AlbanienMakedonien Geschätzte Größe der Diaspora 1 438 300 447 100 Heimatüberweisungen als Anteil am Bruttoinlandsprodukt Arbeitslosenrate 11 % 11,8 % – 33,8 % Fachkräftemigration, die man üblicherweise als brain drain (Kompetenz-Abwanderung, auch: «brain circulation», «brain mobility», «circulation des élites») bezeichnet, ist ein häufiges Charakteristikum von grenzüberschreitenden Migrationsströmen. In den Fällen, in denen die Migranten in ihrem Gastland bleiben und nicht in ihre Heimat zurückkehren, muss der Gewinn allerdings nicht zwingend nur in eine Richtung fließen: Indem die Migranten die Bande zu ihrem Land aufrecht erhalten, können sie als «Brücken» zwischen dem Gast- und dem Heimatland fungieren. Angesichts der zunehmenden Mobilität von gut ausgebildeten Diaspora-Mitgliedern sollte das Konzept des brain drain (im Sinne einer Kompetenz-Abwanderung) in Frage gestellt werden; als alternative Metapher ist die Bezeichnung brain circulation (Kompetenz-Zirkulation) vorgeschlagen worden, um das sich ständig verändernde Mobilitätsmuster der Fachkräfte besser beschreiben zu können. Integration der Diaspora? Der Ökonom Jagdish Bhagwati hat vorgeschlagen, mit einem neuen «Diaspora-Modell» aus der Not eine Tugend zu machen: Die Entwicklungsländer müssten erkennen, dass sie die Emigrationsflut von hochqualifizierten Arbeitskräften in entwickelte Länder nicht aufhalten, aber mit entsprechenden Maßnahmen dennoch von ihrer Diaspora profitieren können. Ein solches «Diaspora-Modell […] integriert gegenwärtige und bisherige Bürger in ein Netzwerk von Rechten und Pflichten innerhalb einer erweiterten Gemeinschaft, die durch das Heimatland im Zentrum definiert ist. [...] Der Diaspora-Ansatz ist auch aus menschenrechtlicher Sicht wertvoll, weil er auf einem Emigrations-Recht basiert und diese nicht zu verhindern versucht.»2 Andere Experten sprechen gar von einem brain gain durch brain drain (Kompetenzgewinn durch Kompetenzabwanderung). Dieser Ansatz legt nahe, dass das Heimatland zwar von der Rückkehr von hoch qualifizierten Berufsleuten profitiert, aber nicht nur – die brain gain-These lautet vielmehr folgendermaßen: Die Emigration von hoch qualifizierten Arbeitskräften schaffe einen zunehmenden Bedarf an – und Erwerb von – Hochschulbildung in den Arbeitskraftexportländern; sie generiere eine positive Wahrscheinlichkeit, durch Migration ein höheres Einkommen zu verdienen, was wiederum dazu führe, dass der Zugewinn an Humankapital durch gesteigerte Investitionen in die Ausbildung von Möchtegern-Migranten größer ist als der Verlust an Humankapital durch Emigration – mit positiven Konsequenzen für die Wohlfahrt und das Wachstum im Land selbst. Der Ökonom Maurice Schiff hat die brain gain-These jedoch sorgfältig geprüft und ist zum Schluss gekommen, dass sie stark übertrieben sei. 3 | 25 Makedonien Nr. 4 2012 R GOW Photo: Wikimedia Commons / Raso mk 26 | Die South East European Universität (SEE Universität) wurde 2001 als Privatuniversität in Tetovo gegründet. Im Jahr 2008 wurde sie von der makedonischen Regierung als Universität akkreditiert. Brain drain aus Makedonien und Albanien Die beiden untersuchten Länder, Albanien und Makedonien, haben gemeinsame historische Altlasten, gehören zu den ärmsten Ländern Europas, und ihre Struktur wird stark von internationaler Migration geprägt. Die Entwicklungsaussichten der westlichen Balkanländer sind abhängig von ihrer Innovationsfähigkeit. Die Produktivität ihrer Innovatoren wiederum hängt von deren Zugang zu neuester Technologie und Wissensnetzwerken ab. Doch während einerseits der finanzielle Profit durch die Heimatüberweisungen von Migranten weitgehend anerkannt ist, so hat andererseits der Exodus einer großen, hoch qualifizierten Bevölkerungsgruppe aus Makedonien und Albanien die lokalen Wissensnetzwerke stark geschwächt und die Institutionenbildung, die für eine soziale Transformation zentral ist, nachteilig beeinflusst. Der Massenexodus der intelligentesten und innovativsten Personen einer Gesellschaft hemmt die Förderung von Demokratie, verantwortungsvoller Regierungsführung (good governance), Respektierung der Menschenrechte und des Rechtsstaates, weil gerade diese Bevölkerungsgruppe Katalysator einer sozio-ökonomischen Transformation wäre. Makedonien sieht sich seit seiner Unabhängigkeit nach dem Zerfall Jugoslawiens mit dramatischen strukturellen Veränderungen konfrontiert. Die Transformation von einer Plan- zu einer freien Marktwirtschaft wie auch die Transformation von einem zentralisierten zu einem demokratischen politischen System dient der Modernisierung, um die Entwicklung von offenen Märkten, höherer Effizienz und Arbeitsmarktfähigkeit zu unterstützen. Der Migrationsstrom hat in den letzten beiden Jahrzehnten jedoch nicht ab-, sondern im Gegenteil zugenommen, dabei aber sein Profil verändert. Bezüglich aktuellen Migrantenzahlen herrscht große Uneinigkeit. Es gibt zwar mehrere Quellen mit entsprechenden Daten, doch sind sie problematisch, weil deren Zahlen differieren, sogar wenn sie scheinbar dieselbe Quelle zitieren. Die offiziellen Zahlen des Statistikamtes beispielsweise unterschätzen die Anzahl der Migranten, weil nur wenige Migranten, die mehr als drei Monate im Ausland bleiben wollen, dies dem Innenministerium auch mitteilen. Die Transition spiegelt sich auch im Erziehungssystem wider: Die Anzahl tertiärer (öffentlicher und privater) Bildungseinrichtungen ist gestiegen, wie auch die Anzahl immatrikulierter Studierender. Doch obwohl «das Angebot» in einem solch kleinen Land wie Makedonien mit einer Bevölkerung von zwei Millionen Menschen die Nachfrage scheinbar übersteigt, gehen immer mehr Studierende ins Ausland, um eine qualifizierte Bildung zu erhalten. Albanien hat in den letzten beiden Jahrzehnten ebenfalls einen ernsthaften brain drain erlebt, dabei lassen sich zwei Phasen unterscheiden. Die Zeitspanne von 1989 bis 1998 gilt als erste Phase: Die erste Massenemigrationswelle in den frühen 1990er Jahren beinhaltete eine massive Migration von hoch qualifizierten Personen: 38,5% der Akademiker und Forscher verließen das Land. Am meisten litten darunter die öffentlichen Universitäten, die ein Drittel ihrer Lehrkräfte verloren. Gleichzeitig emigrierten etwa 35% der hoch qualifizierten Arbeiter. 4 Die zweite Phase des brain drain ist auch als «Das Kanada Phänomen» bekannt, weil ab 1997/8 und in den Folgejahren zahlreiche junge Menschen in die USA (ca. 100 0 00 Anträge pro Jahr) und nach Kanada (ca. 10 0 00 Anträge pro Jahr) auswanderten. Forschungserkenntnisse aus Umfragen Zur Erforschung der Problematik des brain drain aus Makedonien und Albanien sind in beiden Ländern Umfragen durchgeführt worden; dabei wurden sowohl Studierende an Universitäten als potentielle Migranten als auch Rückkehrer befragt. Studierende als potentielle Migranten In Makedonien stellen die Studierenden eine wichtige demographische Gruppe dar, die bei der Erforschung des brain drain in Betracht gezogen werden muss. Vor allem die ökonomischen, aber auch sozialen und politischen Bedingungen in Makedonien beeinflussen deren Entscheid, in ein anderes Land auszuwandern. Studierende, die aus minder bemittelten Haushalten kommen, sind besonders darum bemüht, ihr weiteres Leben im Ausland zu verbringen. Diejenigen, die aus besseren Lebensverhältnissen stammen, gehen meistens zur Ausbildung ins Ausland und kehren danach wieder zurück. Die Mehrheit der Studierenden sucht im Ausland einen besseren Lebensstandard, finanzielle Perspektiven und gute Anstellungsmöglichkeiten. Als Studienorte wählen sie meist westeuropäische Länder (Schweiz, Deutschland und Italien) und die USA. In Albanien sind die häufigsten Beweggründe für die Migration von Studierenden analog zu diejenigen anderer Migrationsgruppen: Auswandernde Studierende sind typischerweise jung, männlich, verfügen über ein hohes Einkommen und gute Netzwerke und werden von andern dazu ermutigt. Die Migration von Studierenden ist ein selektiver Prozess: Die Migration der Besten wird positiv beeinflusst von Migrationsnetzwerken, Einkommen und Unterstützung durch Professoren und Freunde. Hinzu kommen weitere unpersönliche Faktoren, die bisweilen überhaupt nicht messbar sind, wie z. B. die Reputation von akademischen Institutionen in den Gastländern und deren Bemühungen, internationale Studierende anzuziehen und im Land zu behalten. 5 Zurückkehrende Migranten In Makedonien wurde zwischen März und September 2011 eine Umfrage unter zurückgekehrten Migranten durchgeführt. Der Fragebogen enthielt Fragen über soziale und demographische Charakteristika, über die Ausbildung, die Migrationsgeschichte, die Rückkehrerfahrung und die zukünftigen Migrationsvorhaben der Rückkehrenden. Ziel war vor allem die Beantwortung der Frage, warum ausgebildete und qualifizierte Migranten sich für eine Rückkehr in ihr Heimatland entscheiden. Befragt wurden Forscher, Akademiker, Unternehmer und andere hoch qualifizierte Migranten, die nach der Ausbildung oder einer Arbeitserfahrung im Ausland zurückgekehrt sind. Von 72 Rückkehrenden verfügten 66 über Hoch- Nr. 4 2012 Photo: Wikimedia Commons / Dori schulbildung, sechs von ihnen waren sehr erfolgreiche Unternehmer. Aus den vorläufigen Resultaten der Umfragen geht hervor, dass die Rückkehrenden stärker von internationalen Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen profitiert haben als von nationalen Regierungsprogrammen. Die Mehrheit der Befragten ging ins Ausland, um dort zu studieren, bzw. ihr Studium fortzusetzen; das ist aufschlussreich für die Wahrnehmung der niedrigen Qualität der Hochschulbildung im Heimatland oder aber der höheren Qualität der ausländischen Bildung. Was die gegenwärtigen Anstellungsbedingungen der befragten makedonischen Rückkehrer betrifft, so haben fast alle eine Arbeitsstelle gefunden, nur zwei von ihnen sind momentan arbeitslos. Als Hauptanreize zur Migration nannten die Befragten das Fehlen von Karrieremöglichkeiten und die niedrige Qualität der Ausbildung im Heimatland. Dementsprechend betonen sie die Anziehungskraft eines besseren Lebens, höheren Einkommens, besserer Bildung und Karriereaussichten in den Gastländern. Die Wahl eines jeweiligen Ziellandes hängt ab von der Qualität der Ausbildung, der geographischen Nähe, vergangenen Erfahrungen wie auch von den dortigen ökonomischen, sozialen und politischen Faktoren. Viele Rückkehrende klagen darüber, dass die Regierung Makedoniens die brain drain-Problematik bisher kaum erfolgreich angehe, da sie weder bei der Ausreise noch bei der Rückkehr von irgendeinem Regierungsprogramm unterstützt worden seien. Rückkehrende und Experten sind sich einig, dass die Regierung zwar auf dem Papier Konzepte entwickelt hat, diese aber abgesehen von einem Stipendienprogramm nicht in die Praxis umgesetzt worden sind. Migranten, die nach ihrer Rückkehr in die Heimat erfolgreiche Unternehmen aufgebaut haben, betonten, dass sie von keinerlei Erleichterungen durch die Regierung profitiert haben. Die Resultate aus Albanien zeigen ähnliche Anreizfaktoren zur Migration der gut Ausgebildeten wie in Makedonien: eine relativ schlechte Qualität der Hochschulbildung, Pessimismus in Bezug auf die politische und ökonomische Entwicklung des Landes, die Hoffnung auf ein besseres Einkommen und Karrieremöglichkeiten durch ein ausländisches Diplom oder Arbeitserfahrung im Ausland. Die engen Verbindungen und häufiger Kontakt zu den Familien im Heimatland scheinen wichtige ausschlaggebende Faktoren für die Rückkehr zu sein. Wichtigster Anreiz zur Rückkehr in die Heimat scheint allerdings die Tatsache zu sein, dass die durchschnittliche Zeit, nach der Rückkehr eine Arbeitsstelle zu finden, sehr kurz ist. Die Universität Tirana wurde 1957 als erste staatliche Universität in Albanien gegründet. Sie verfügt über acht Fakultäten und ein Institut für Europäische Studien. Das Gebäude wurde anfangs der 1940er als Casa di Fascio von der italienischen Besatzung erbaut. R GOW Makedonien Die albanische Regierung hat vor wenigen Jahren eine brain gain-Strategie eingeführt, die bisher jedoch noch kaum Früchte getragen hat. Eine Möglichkeit, die Strategie besser umzusetzen und von ihr zu profitieren, wäre eine intensivere Zusammenarbeit mit den Migranten, indem man sie in Module und Projekte integriert, die Kurzzeitaufenthalte im Heimatland verlangen. Eine weitere, sowohl in Makedonien als auch in Albanien bereits praktizierte Möglichkeit ist, Studierende, die an ausländischen Universitäten studieren, finanziell zu unterstützen und dafür nach Abschluss des Studiums für eine gewisse Zeit einen Beitrag im Heimatland zu fordern. «Ein Stein wiegt in seinem eigenen Land schwerer als anderswo!» – Mit diesem Sprichwort vor Augen sollten beide Regierungen effiziente brain gain-Strategien entwickeln, um stärker vom Potential der Rückkehrenden zu profitieren, und Anreize dafür schaffen, dass diese in ihrem Heimatland anwenden, was sie im Ausland gelernt haben. Anmerkungen 1)Demas, William Gilbert: The economics of development in small countries. Montreal 1965; Salvatore, Dominick et al.: Small countries in a global economy: New challenges and opportunities. London 2011. 2)Bhagwati, Jagdish: Borders beyond Control: In: Foreign Affairs, January/February 2003. 3)Schiff, Maurice; Wang, Yanling: Brain Drain and Productivity Growth: Are Small States Different? World Bank – Development Research Group (DECRG); Institute for the Study of Labor (IZA), Working Paper No. 3378. 4)Schmidt, Christoph M.: The impact of EU enlargement on migration flows. (Home Office Online Report 25/03/2003); Gjonça, Arjan: Emigration of Albanians in the nineties – a new era in the demographic developments in Albania. In: Kaser, Karl et al. (Hg.): Die weite Welt und das Dorf. Albanische Emigration am Ende des 20. Jahrhunderts. Wien 2002, S. 15-38. 5)Lowell, Lindsay; Bump, Micah; Martin, Susan F.: Foreign Students Coming to America: The Impact of Policy, Procedures, and Economic Competition, Institute for the Study of International Migration. Washington 2007. Übersetzung aus dem Englischen: Regula Zwahlen. Die Originalversion des Beitrags A stone weighs more on its own land than elsewhere: The Brain Drain and the Role of the Diaspora in promoting Changes in the Western Balkans entstand im Rahmen des «Regional Research Promotion Programme in the Western Balkans» (RRPP) der Universität Fribourg. Hristina Cipusheva, Abdulmenaf Sejdini, Lehrbeauftragte, Prof. Abdul Ghaffar Mughal, Gastwissenschaftler, und Luljeta Sadiku, Studentin an der Südosteuropäischen Universität in Tetovo, Makedonien. Esmeralda Shehaj, Lehrbeauftragte, und Fatmir Memaj, Professor an der Universität Tirana, Albanien. | 27 28 | projektarbeit Nr. 4 2012 R GOW Franziska Rich im Gespräch mit Priester Leonid Zapok Aufbau eines orthodoxen Gemeindelebens in Fernost Priester Leonid Zapok betreut orthodoxe Gemeinden in Tschukotka, der ärmsten Region Russlands im äußersten Nordosten des Landes an der Beringstraße. G2W unterstützt Vater Leonid bei seiner Arbeit. In seiner ersten Gemeinde in Lavrentia schuf er Arbeitsplätze für ausstiegswillige Alkoholabhängige und etablierte eine Nothilfe für Hungrige in der Winterzeit. Im Jahr 2009 beorderte der Bischof seinen erfahrenen Priester in die Hauptstadt Anadyr, um die Missions- und Sozialarbeit in der Eparchie insgesamt zu koordinieren. G2W: Vor kurzem haben Sie Ihre alte Gemeinde in Lavrentia besucht, wo Sie bis 2009 tätig waren. Wie waren Ihre Eindrücke? Leonid Zapok: Von der Gemeinde bin ich sehr herzlich empfangen worden, und wir haben viele gemeinsame Erinnerungen ausgetauscht. Die Zusammensetzung der Gemeinde hat sich verändert: Einige der mir bekannten aktiven Gemeindeglieder sind bereits zu meiner Zeit oder kurz danach weggezogen, dafür sind jedoch andere neu hinzugekommen, so dass ich eine ganze Reihe neuer Gemeindemitglieder kennenlernen durfte. Die meisten Weggezogenen sind ins russische Kernland zurückgekehrt, aufs «Festland», wie man hier in Tschukotka sagt, andere leben heute in Anadyr. Ein paar neue Gemeindeglieder kannte ich schon früher, als sie noch nicht zur Gemeinde in Lavrentia gehörten. Meinem Nachfolger, Priestermönch Seraphim Nosyrev, ist es nun gelungen, sie zu integrieren. Auffällig ist, dass die einheimischen Tschuktschen zahlreicher in der Gemeinde vertreten sind. So ist beispielsweise eine weitere Familie hinzugekommen, die sich aktiv ins Gemeindeleben einbringt. Besonders gefreut habe ich mich über die Entwicklung einer tschukotkischen Familie: Zu meiner Zeit begannen 2003 zwei Kinder mit dem Besuch der Sonntagsschule, später zogen sie ihre Eltern nach. Diese gaben durch den Kontakt mit der Kirchgemeinde das Trinken auf und wurden zu Gemeindemitgliedern. Inzwischen hat der Familienvater eine recht gut bezahlte und verantwortungsvolle Arbeit als Kranführer im Hafen von Lavrentia gefunden. Von den beiden älteren Töchtern half die eine aus eigener Initiative Vater Seraphim solange bei der Sonntagsschule, bis sie in ein weiterführendes College in Anadyr aufgenommen wurde. Es ist für Eltern in Lavrentia äußerst schwierig, ihren Kindern im Ort eine gute Zukunft zu ermöglichen. Lavrentia liegt schon sehr abgelegen und einsam. Vater Seraphim setzt also Ihr Aufbauwerk in Lavrentia fort? Vater Seraphim hat vielleicht sogar einen noch besseren «Draht» zur einheimischen Bevölkerung gefunden als ich. Vielleicht ist er daher noch effizienter darin, die Tschuktschen für eine Arbeit zu motivieren, die sie vom Trinken abhält. Meine Mutter und ich Was benötigt die lokale Bevölkerung derzeit am meisten? Am dringlichsten sind sicherlich Güter für die Kinder. Da die Geburtenzahlen hoch sind, die finanzielle Situation in den Familien sich aber verschlechtert hat, fehlt es besonders in kinderreichen Familien häufig an Kinderkleidung, Kindernahrung, Seife und guten Milchprodukten, die in dieser Region sehr teuer sind. Darum wird immer am meisten gebeten, doch fehlt es an vielem mehr. Am wichtigsten sind natürlich Arbeitsmöglichkeiten für die Menschen. Aber Arbeitsplätze fehlen in Tschukotka nach wie vor. Dies erschwert das Leben der Menschen hier ungemein. Die Bevölkerung sieht also einer eher schwierigen Zukunft entgegen? Ja, denn fast niemand will in die Entwicklung dieses Teils der Russländischen Föderation investieren. Nur ein einziges großes chinesisches Unternehmen scheint eine Niederlassung in Anadyr eröffnen zu wollen, um den Süden Tschukotkas an der Grenze zu Kamtschatka zu erschließen. In der Umgebung der Ortschaft Beringovskij gibt es große Steinkohlevorräte. Die Chinesen planen, dort eine ganze Stadt zu errichten. Es gibt zudem andere Gesellschaften, die Golderz abbauen. Aber alle diese wirtschaftlichen Aktivitäten haben keinen Einfluss auf die Entwicklung Tschukotkas, da die erzielten Gewinne nicht in der Region bleiben. Der Nachfolger von Vater Leonid in Lavrentia, Vater Serafim Nosyrev, hilft den Tschuktschen beim Fischen. Photos: Leonid Zapok Vater Leonid Zapok zusammen mit einer Familie in Lavrentia; die Eltern haben das Trinken aufgegeben. haben dazu früher das verlassene Gewächshaus bei den heißen Quellen in rund 30 km Entfernung wieder in Betrieb genommen. Vater Seraphim hingegen errichtete einige kleinere Gewächshäuser in der Nähe, kaufte Netze und Boote und fährt mit den arbeitslosen Tschuktschen zum Fischen. Zusammen mit diesen Leuten verarbeitet er dann die gefangenen Fische für den Verkauf. Er wirkt auf die Einheimischen mehr in dieser Richtung ein, wofür sie ihm dankbar sind und sich zu ihm hingezogen fühlen. Vater Seraphim ist ein sehr begabter Mann in praktischen Angelegenheiten. Seine goldenen Hände schaffen alles. Er kann sogar Autos reparieren, so dass die lokale Bevölkerung auch in solchen Fällen zu ihm kommt, wenn sie Hilfe braucht. Und natürlich ist er immer bereit, einen Hungernden zu verköstigen. Anlässlich des Kirchweihfests findet im kleinen Dorf Krasneno eine Prozession statt. Nr. 4 2012 Die Eparchie von Tschukotka hat jüngst den 10. Jahrestag ihres Bestehens gefeiert. Welche Bedeutung hat der Dienst der Russischen Orthodoxen Kirche in dieser entlegenen Region? Zunächst gilt es festzuhalten, dass sich in den letzten zehn Jahren vieles verbessert hat. Die Einwohnerzahl in Tschukotka nimmt zwar weiterhin ab, weil vor allem viele Russen die Region aus wirtschaftlichen Gründen verlassen. Dennoch haben sich die Gemeinden im Vergleich zur Situation vor zehn Jahren positiv entwickelt. Sie wachsen zwar nur langsam, doch sind mehr Gläubige neu hinzugekommen, als weggezogen sind. Zudem sind die Geistlichen heute bedeutend besser ausgebildet als vor zehn Jahren. In den letzten beiden Jahren haben einige jüngere, gut ausgebildete Priester ihren Dienst in der Eparchie angetreten. Auch in den Augen der Tschuktschen ist die Russische Orthodoxe Kirche zu einem Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens geworden. Niemand ist mehr erstaunt, einem Priester zu begegnen. Deshalb ist es für uns auch einfacher geworden, am Leben der Gesellschaft teilzunehmen und beispielsweise öffentliche Veranstaltungen durchzuführen. Eine positive Entwicklung ist somit durchaus erkennbar. Was die Mission unter den Tschuktschen betrifft, so steht uns zweifellos noch eine riesige Arbeit bevor. Die Mission der Kirche richtet sich allerdings nicht an jene einheimische Minderheit, die in ihrer Kultur, Religion und Lebensweise noch verwurzelt ist und diese weiterhin pflegt. Diese Tschuktschen brauchen uns nicht. Unsere Mission ist ein Angebot an jene Mehrheit, die im 20. Jahrhundert umgesiedelt und entwurzelt worden ist. Diese Menschen leiden häufig an Alkoholismus und an der Perspektivlosigkeit ihres Lebens. Die Kirche ist heute noch nicht in der Lage, ihnen in größerem Umfang adäquate Hilfe anzubieten. Aber wir verfügen – so darf ich nach zehnjähriger Erfahrung behaupten – über gute Ansätze und eine vernünftige Vision von der Missionsarbeit, die uns in die Zukunft führen können. Das ist sehr wichtig, weil die russischen Familien und Gastarbeiter, die hierher kommen, um Geld zu verdienen, üblicherweise überhaupt nicht wissen, wie sie mit der einheimischen Bevölkerung umgehen sollen. In unseren Kirchgemeinden lernen sie dieses Verständnis. Wie stellt sich die Lage in anderen Gemeinden neben Lavrentia dar? Die interessanteste Gemeinde ist wohl die von Bilibino im äußersten Westen Tschukotkas. In dieser für Tschukotka großen Stadt befindet sich ein Atomkraftwerk. Hier wohnen viele gebildete Leute – Physiker, Ingenieure, Energie- und Atomwissenschaftler. Und diese Intelligenzija gehört in großer Zahl auch der Kirchgemeinde an. Während die Hauptstadt Anadyr die Stadt der Beamten ist, ist Bilibino die Stadt der Wissenschaftler und Goldgräber. Dank des recht aktiven Priesters vor Ort gibt es dort eine funktionierende Sonntagsschule und ein lebendiges orthodoxes Gemeindeleben. In Lavrentia hat Vater Leonid eine Sonntagsschule aufgebaut, wo er Katechese erteilte. projektarbeit R GOW | 29 Die Gemeinde von Enmelen ist die Gemeinde mit den meisten Einheimischen. Obwohl es in Enmelen keinen ständigen Priester gibt, kommen die Mitglieder seit Jahren regelmäßig zu Gebetsgottesdiensten zusammen. Die Tschuktschen von Enmelen sind sehr selbständige Leute und am ehesten mit den priesterlosen Altgläubigen vergleichbar. Geistliche kommen selten zu ihnen zu Besuch. Ich war das letzte Mal vor einem Jahr in Enmelen. Sofort versammelte sich die ganze Gemeinde – Erwachsene und Kinder, unter anderem jene Kinder, die ich vor zehn Jahren getauft hatte. Einige der von mir in Enmelen getauften Kinder gehen heute in Anadyr zur Schule und besuchen die Gottesdienste in meiner Kirche, was mich natürlich sehr freut. Welches Fazit ziehen Sie nach zehn Jahren Arbeit in Tschukotka? Um ehrlich zu sein, muss ich sagen, dass sich im Verlauf der Jahre bei mir zwei Gefühle eingestellt haben: Anfangs war da freudiges Erstaunen, als sich die ersten Gläubigen in den Gemeinden zusammenfanden. Vor diesem Hintergrund schienen auch die weiteren Perspektiven rosig zu sein. Nach einer gewissen Zeit reifte dann aber die ernüchternde Erkenntnis, dass alles sehr viel langsamer voranging, als zu Beginn erhofft: der Kirchenbau ging schleppend voran, die Gemeinde wuchs nur langsam, keiner der Gläubigen wollte große christliche Heldentaten vollbringen, da der beschwerliche Alltag alle Kräfte in Anspruch nahm. So tauchte das Gefühl einer gewissen Enttäuschung auf. Jetzt aber, nach zehn Jahren, muss ich sagen, dass wir das wichtigste Ziel wohl doch erreicht haben: Die Kinder, die beispielsweise meine nicht sehr professionell geführte Sonntagsschule besucht haben, sind der Kirche treu geblieben. Einige von ihnen besuchen meine Gottesdienste in Anadyr und sind mit mir und anderen Gläubigen im Gebet. Von daher kann ich persönlich nur ein positives Fazit ziehen. Und dennoch ist es für mich schwierig, Ihre Frage eindeutig zu beantworten. Es bleiben gemischte Gefühle: Wir haben unseren Dienst in Tschukotka vor zehn Jahren angetreten mit der Vorstellung, hier zahlenmäßig starke und geistig lebendige Gemeinden aufzubauen, wie wir sie vom russischen Kernland her kennen. Dies ist zwar nach wie vor unser Ziel, das uns zumindest jedoch solange nicht gelingen kann, wie die ständige Fluktuation in den Gemeinden andauert. Wir müssen, bedingt durch Klima, Abgelegenheit, Armut und Bevölkerungsrotation in Tschukotka, von einem anderen, flexibleren Gemeindemodell ausgehen – eine Erkenntnis, zu der uns Jahre der mühsamen täglichen Arbeit geführt haben, und die die Grundlage geschaffen hat für das Vertrauen, das die Bevölkerung uns heute entgegenbringt. * * * Sie können Leonid Zapok beim Gemeindeaufbau mit einer Spende auf das Konto des Instituts G2W (IBAN CH22 0900 0000 8001 51780) mit dem Vermerk «Tschukotka» unterstützen. Die Kirche in Bilibino, einer der größeren Städte Tschukotkas. Dort arbeiten viele Wissenschaftler. Die Gespräche mit den Tschuktschen sind immer mit längerem Teetrinken verbunden wie hier in Utjosiki. 30 | buchanz eigen Nr. 4 2012 RGOW Die drei Jugoslawien Sabrina P. Ramet Die drei Jugoslawien Eine Geschichte der Staatsbildungen und ihrer Probleme (= Südosteuropäische Arbeiten, Bd. 136) München: R. Oldenbourg Verlag 2011, 907 S. ISBN 978-3-486-58349-6. € 94.80; CHF 129.–. Zu Einzelaspekten der jugoslawischen Geschichte und vor allem zum Zerfall Jugoslawiens in den 1990er Jahren gibt es mittlerweile eine kaum mehr zu überschauende Fülle von Literatur, dagegen sind Gesamtdarstellungen zur Geschichte Jugoslawiens – noch dazu in deutscher Sprache – eher eine Seltenheit. Umso dankbarer muss man dem Südost-Institut in Regensburg sein, dass es die deutsche Übersetzung von Sabrina P. Ramets Opus magnum «The three Yugoslavias» ermöglicht hat. Die Autorin, die seit drei Jahrzehnten zur Geschichte Jugoslawiens forscht, zählt zu den profiliertesten Kennern des untergegangen Landes. Grundlage ihres Buchs stellen denn auch zahlreiche ältere Veröffentlichungen in überarbeiteter Form dar. Ramet lässt sich bei ihrer Darstellung von der Frage leiten, wie ein legitimes politisches System beschaffen sein muss, damit es von der Bevölkerung akzeptiert wird. Politisch legitim kann dabei langfristig gesehen nur ein System sein, dass die Menschenrechte und das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit respektiert. Vor diesem Hintergrund wird ersichtlich, dass alle drei jugoslawischen Staaten – das Königreich Jugoslawien (1918–1941), das sozialistische Jugoslawien (1945–1991) und die Bundesrepublik Jugoslawien (1992–2003), häufig auch als Rest-Jugoslawien bezeichnet – seit ihrer Gründung mit erheblichen Legitimitätsdefiziten zu kämpfen hatten, die immer wieder zu Krisen führten, und die letztlich in einem Versagen der jeweiligen Staatsbildungen mündeten. Ramet warnt allerdings davor, von einer deterministischen Geschichtssicht auszugehen, als ob das jugoslawische Experiment zwangsläufig zum Scheitern verurteilt gewesen wäre. Gegen die populäre Ansicht, Jugoslawien sei am vermeintlichen «uralten Hass» seiner Völker gescheitert, weist Ramet auf eine Vielzahl kontextspezifischer Faktoren und das Handeln bestimmter Akteure hin, die erst zu einem Anwachsen des Nationalismus führten. Vor der Gründung des ersten jugoslawischen Staates 1918 hat es vermutlich sogar «mehr Bindungs- als Abstoßungskräfte» in der Region gegeben (S. 31). Das erste Jugoslawien – das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, ab 1929 das Königreich Jugoslawien – behandelt Ramet in zwei Kapiteln. Ausführlich geht sie auf das Entstehen der «VidovdanVerfassung» ein, mit der das neue Königreich gleich von Beginn an «einen schlechten Start erwischte» (S. 823), da die Verfassung sich vor allem an den serbischen nationalen Interessen orientierte und zu einer zunehmenden Unzufriedenheit unter den anderen südslawischen Völkern, insbesondere unter den Kroaten, führte. Im Mittelpunkt von Ramets Darstellung steht daher auch die sog. kroatische Frage und die Auseinandersetzungen zwischen serbischen und kroatischen Politikern; die politische Situation in anderen Regionen des Königreichs, etwa in Makedonien oder Montenegro, wird dagegen nur am Rande erwähnt. Trotz der schlechten Startbedingungen des ersten Jugoslawien wehrt sich Ramet jedoch gegen «fatalistische Darstellungen der Zwischenkriegsepoche» (S. 77), denn erst die Unfähigkeit der führenden Politiker des Landes zu einer Kompromissfindung und die sich verschlechternde internationale Situation, bei der sich Jugoslawien zwischen zwei kriegsführenden Blöcken wiederfand, führten letztendlich zum Zusammenbruch des ersten jugoslawischen Staates 1941. Insgesamt, so bilanziert Ramet, war nicht «die nationale Frage der Grund der Dysfunktionalität des Systems; im Gegenteil war es die Dysfuntionalität des Systems, die die nationale Frage hervorbrachte» (S. 118). Auf den Zweiten Weltkrieg und den Partisanenkampf geht Ramet in einem umfangreichen Kapitel ein, in dem die Errichtung des faschistischen kroatischen Satellitenstaates, die Politik der Achsenmächte in den Besatzungszonen sowie der Widerstand gegen die Besatzungsmächte im Mittelpunkt stehen. Aus dem Widerstand gegen die deutsche Besatzungsmacht gingen schließlich die Partisanen unter der Führung von Josip Broz Tito als Sieger hervor, die die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien (SFRJ) gründeten. In sieben Kapiteln beschreibt Ramet Leistungen und Grenzen des titoistischen Systems: Auf der einen Seite hatten die Kommunisten zwar aus den negativen Erfahrungen des ersten Jugoslawien gelernt und setzten sich für eine Gleichberechtigung der jugoslawischen Völker ein, auf der anderen Seite blieben jedoch bedeutsame Legitimitätsprobleme bestehen, da die Kommunisten nicht bereit waren, ihre politische Monopolstellung aufzugeben und ein pluralistisches politisches System einzuführen. Erschwerend kam noch hinzu, dass die Kommunisten keine offene und ehrliche Diskussion über die Ereignisse im Zweiten Weltkrieg zuließen. Ramet betont zwar, dass «die SRFJ als ein politisches Experiment durch ihren Mangel an Legitimität zum Scheitern verurteilt war», dennoch «war es trotz allem nicht vorherbestimmt, dass der Staat zerfallen oder im Krieg untergehen würde. Es brauchte die Kombination aus der mangelnden Legitimität des Systems, dem funktionsgestörten Föderalismus, wirtschaftlicher Rezession und der Mobilisierung des serbischen Nationalismus durch Milošević und seine Entourage, um das Land in den Krieg zu führen» (S. 509). Ramet beschließt ihre Darstellung zum sozialistischen Jugoslawien daher mit zwei Kapiteln zum Aufstieg von Slobodan Milošević und zum Abgleiten in den Krieg, dem eine zunehmende diskursive Verfeindung unter den einzelnen Bevölkerungsgruppen voranging. Den jugoslawischen Nachfolgekrieg von 1991 bis 1995 behandelt Ramet in zwei Kapiteln; in weiteren vier Kapiteln geht sie auf die Situation der jugoslawischen Nachfolgestaaten ein. Prominent vertreten sind dabei Bosnien-Herzegowina, mit dessen Nachkriegsordnung sich Ramet intensiv auseinandersetzt, sowie das dritte Jugoslawien, die Bundesrepublik Jugoslawien (1992–2003), dessen Wesen Ramet «als kriminelle Oligarchie» charakterisiert, «aufgebaut auf einem Fundament aus institutionellem und gesetzlichem Chaos» (S. 827). Eine aktualisierte Einleitung zur deutschen Ausgabe fasst die Entwicklung der jugoslawischen Nachfolgestaaten bis zum Jahr 2010 zusammen. Ramets Buch ist eine fundierte Gesamtdarstellung, die jedem empfohlen werden kann, der sich mit dem dreimaligen Aufbau und Scheitern eines jugoslawischen Staates auseinandersetzen möchte. Stefan Kube Nr. 4 2012 RGOW buchanzeigen Religion und Kultur im albanischsprachigen Südosteuropa Oliver Jens Schmitt (Hg.) Religion und Kultur im albanischsprachigen Südosteuropa (= Pro Oriente. Schriftenreihe der Kommission für südosteuropäische Geschichte, Bd. 4) Frankfurt/M.: Peter Lang 2010, 260 S. ISBN 978-3-631-60295-9. € 51.80; CHF 68.–. Religionsgeschichtlich nehmen die Albaner in mehrfacher Hinsicht eine Sonderstellung in Südosteuropa ein: Im Vergleich zu anderen südosteuropäischen Bevölkerungsgruppen, bei denen jeweils eine Religion bzw. Konfession vorherrschend ist und diese als ein wichtiges nationales Unterscheidungsmerkmal fungiert (z. B. bei Griechen, Serben und Kroaten), ist im Falle der Albaner die religiöse und konfessionelle Vielgestal- tigkeit augenfällig. So hat sich über Jahrhunderte eine Koexistenz von sunnitischem Islam, dem muslimischen Derwischorden der Bektashi, orthodoxer und katholischer Kirche herausgebildet. Dem korrespondiert als weiteres Spezifikum das Autostereotyp von der religiösen Toleranz, gar Indifferenz der albanischen Bevölkerung – gipfelnd in dem häufig zitierten Satz aus der Nationalbewegung: «Der Glaube des Albaners ist das Albanertum!» Eine weitere historische Besonderheit stellt schließlich der staatlich verordnete Atheismus in der Volksrepublik Albanien dar. Der Titel des von Oliver Jens Schmitt, Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität Wien, herausgegebenen Sammelbandes macht allerdings deutlich, dass es nicht nur um das Verhältnis von Religion und Kultur auf dem Gebiet der heutigen Republik Albanien geht, sondern vielmehr unterschiedliche albanischsprachige Gesellschaften in der Region in den Blick genommen werden, so beschäftigt sich ein Beitrag mit «Religiös geprägten Lebenswelten im spätosmanischen Kosovo». Insgesamt weisen die fünf Beiträge zur vor- und osmanischen Zeit darauf hin, dass sich das Entstehen der vielfältigen albanischen Religionslandschaft mit einer nationalhistoriographischen Perspektive nicht angemessen verstehen lässt, denn die komplexen soziokulturellen Entwicklungen, etwa im Hinblick auf die regionalen Verschiedenheiten und unterschiedlichen Geschwindigkeiten beim Islamisierungsprozess, vermag eine solche Perspektive kaum zu erklären. Weitere fünf Beiträge gehen auf die Geschichte der Religionsgemeinschaften im 20. Jahrhundert ein, im Mittelpunkt steht dabei vor allem die Religionspolitik des sozialistischen Regimes in der Volksrepublik Albanien. Trotz zahlreicher Repressionsmaßnahmen und der Verdrängung in die Privatsphäre hörte das religiöse Leben jedoch auch im atheistischen Albanien nicht auf zu existieren, allerdings warnt Egin Ceka in seinem Beitrag davor, dessen Bedeutung zu überschätzen: «23 Jahre Staatsatheismus hatten dazu geführt, dass die öffentliche Weitergabe religiöser Traditionen unterbrochen worden war» (S. 229). Ostens bringt Kaser Ereignisse zusammen, die sonst getrennt voneinander behandelt werden. In den ersten beiden Kapiteln zeigt der Autor auf, wie sich zwischen Tigris und Donau mit der ersten menschlichen Sesshaftigkeit erste politische Herrschaftsstrukturen herausbilden konnten, und erläutert, welche Rolle die unterschiedlichen Herrschaftslogiken speziell des Römischen und Osmanischen Reichs für die Entwicklung der Region gespielt haben. Auf diese einleitenden Kapitel folgt die Auseinandersetzung mit spezifischen Themenbereichen, deren Entwicklung jeweils über eine lange Zeitspanne hinweg bis in die Gegenwart verfolgt wird. Dies hat den Vorteil, dass auch aktuelle Entwicklungen aufgegriffen und nachvollziehbar gemacht werden. Der Autor betrachtet die Zusammenhänge von Naturraum und Wirtschaftsentwicklung, die Bedeutung von demographischen Entwicklungen, Städtegründungen und Völkerwanderungen, die regionale Geschichte der Technik und Wissenschaft, er bezieht Religionen, Geschlechterbeziehungen, Körperbewusstsein und Familienstrukturen mit ein und beleuchtet Fragestellungen rund um Nation und Nationalismus ebenso wie das Verhältnis der Region zum Westen. Diese Vielfalt birgt den Nachteil in sich, dass die einzelnen Themen vereinfachend dargestellt werden. Allerdings werden stets Querverbindungen aufgezeigt, so dass der Blick aufs Ganze nicht verloren geht. Dank der zu jedem Kapitel angegebenen Literatur zur Vertiefung kann das Buch gut als Einstieg für eine intensivere Auseinandersetzung bzw. als Nachschlagewerk verwendet werden. Der Anspruch, wenig beachtete Zusammenhänge aufzuzeigen und so zum Verständnis für aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen beizutragen, wird erfüllt. Hilfreich ist dabei, dass das Lehrbuch komplexe Zusammenhänge in einfacher Sprache darstellt und einordnet. Auch aus diesem Grund sei es Studierenden nicht nur fiktiver Studienrichtungen wie auch einem nicht akademischen Publikum wärmstens empfohlen. Mirjam Zbinden, Fribourg Stefan Kube Balkan und Naher Osten Karl Kaser Balkan und Naher Osten Einführung in eine gemeinsame Geschichte Wien: Böhlau Verlag 2011. 462 S. ISBN 978-3-205-78624-5. € 29.90; CHF 43.50. Die Monographie von Karl Kaser, Professor für Südosteuropäische Geschichte an der Universität Graz, richtet sich an «fiktive Studierende eines nicht bestehenden Studienfaches» (S. 14). Gerade darum ist sie interessant für Studierende (und Lehrende) unterschiedlichster Fachrichtungen, von Geschichte, über Politikwissenschaft, Sozialanthropologie, Slawistik, Orientalistik bis zur Turkologie. Mit der gemeinsamen Geschichte des Balkans und des Nahen | 31 Nr. 4 2012 RGOW Einladung zur G2W-Jahrestagung 2012 Montag, 23. April 2012 Theologisches Seminar der Universität Zürich Kirchgasse 9, 8001 Zürich 16.00 Uhr 17.30 Uhr 18.30 Uhr Öffentliche Mitgliederversammlung Apéro und Dank an Franziska Rich Abendveranstaltung zum Thema: Ökumene vor neuen Herausforderungen Einführungsreferat von Dr. Dagmar Heller, Referentin für Glauben und Kirchenverfassung beim Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf Fels oder Sand? Was sind die derzeitigen Herausforderungen an die ökumenische Bewegung? Podiumsdiskussion mit: Dr. Dagmar Heller; Prof. Dr. Guido Vergauwen, Präsident der Ökumenekommission der Schweizer Bischofskonferenz; Dr. Evgeny Pilipenko, Dozent an der Gesamtkirchlichen Aspirantur in Moskau 20:30 Uhr Schlusswort des Präsidenten IMPRESSUM Verein G2W – Ökumenisches Forum für Glauben, Religion und Gesellschaft in Ost und West Herausgeber Institut G2W. Ökumenisches Forum für Glauben, Präsident Prof. Dr. Georg Rich, Aarau Aktuarin Eva Gysel, Wilchingen Religion und Gesellschaft in Ost und West Jahresbeiträge, Mitgliedschaften: Kollektiv-A CHF 400.–, einschließlich 3 Birmensdorferstrasse 52, Postfach 9329, CH-8036 Zürich Abo, Kollektiv-B CHF 200.–, einschließlich 1 Abo; Einzelmitglieder (ohne Abo) Tel.: 0041 (0)43 322 22 44, Fax 0041 (0)43 322 22 40 CHF 50.– In den meisten Kantonen können freie Zuwendungen an G2W bis [email protected] | www.g2w.eu Redaktion Stefan Kube, dipl.theol. (Chefredakteur), Dr. phil. Regula Zwahlen Guth, Olga Stieger MA zu 70 % in Abzug gebracht werden (bei zweckgebundenen Spenden für die Projektarbeit zu 100 %) [email protected] Die Meinung der namentlich zeichnenden Verfasser braucht nicht mit der Meinung der Redaktion übereinzustimmen. Erscheinungsweise monatlich ISSN 2253-2465 Bezugspreis Jahresabonnement CHF 80.–/€ 65.–; Abonnement für Studierende CHF 40.–/€ 32.–; Einzelheft CHF 10.–/€ 7.– Bezugsbedingungen Bestellungen sind an das Institut G2W zu richten. Das G2W – Ökumenisches Forum für Glauben, Religion und Gesellschaft in Ost und West – Deutsche Sektion e. V. Präsident Bischof em. Dr. h.c. Rolf Koppe, Am Papenberg 5c, DE – 37075 Göttingen Geschäftsführer Heiner Hesse, Max-Josef-Metzger-Strasse 1, Abo gilt für ein Jahr und verlängert sich, wenn es nicht bis zum 15. November DE – 39104 Magdeburg schriftlich beim Institut G2W gekündigt wird. 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