Kim Hee-jin
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Kim Hee-jin
AUF DER WELTBÜHNE Kim Hee-jin Eine Tänzerin mit Gesten, die für unaufhaltsamen Aufstieg stehen Kim Hee-jin gehört zu der Generation der modernen koreanischen Tänzer, die als Pioniere auf die Bühnen der Welt traten. Kim, die in Korea bereits eine anerkannte Tänzerin war, wagte es, im Alter von über 30 ins Ausland vorzustoßen und feierte große Erfolge in Japan und Frankreich. Doch nicht genug: jetzt hat sie sich noch einmal gewandelt und macht als Choreographin auf den internationalen Bühnen von sich reden. Jang Seung-heon Kunstdirektor der Kunstagentur MCT (Management of Culture & Theatre); Dozent an der School of Performing Arts, Kookmin University Fotos: M anagement of Culture & Theatre 64 Koreana | Herbst 2008 „S innliche und explosive Jugendlichkeit. Die Rivalität und Herrschaft der Liebe, die die schöne Tänzerin Kim Hee-jin (42) zum Ausdruck bringt, stechen hervor.“ - Le Figaro . „Die Mitglieder des Centre Chorégraphique National de Grenoble sind hervorragende Tänzer mit Energie, Technik und poetischer Ausdrucksfähigkeit. Unter ihnen fällt die koreanische Tänzerin Kim Hee-jin besonders auf, die einem Traum entstiegen zu sein scheint.“ - Le Nouvel Observateur . Es ist nicht besonders schwer, lobende Kommentare von Kritikern, Choreographen und Zuschauern über die Tänzerin Kim zu finden. Die mehr als zehn Jahre, die sie in Japan und auf den Bühnen Europas, darunter auch in Frankreich, verbrachte, haben sie in die Reihen der internationalen Tänzer befördert. Das Lob, das sie während dieser Zeit erhielt, enthält Wahrheiten, die sie am genauesten beschreiben: „Sie ist eine Tänzerin, die hervorragende körperliche Voraussetzungen aufweist und über die notwendige Technik verfügt, jede Bewegung perfekt auszuführen.“ „Die Bewegungen ihres ganzen Körpers sind scharf und empfindlich wie ein Hobelmesser.“ „Mit der Kraft und Geschwindigkeit, die, unterstützt von ihrer Größe, aus ihrem Körper herausbricht und sich in Techniken niederschlägt, die an Zirkusakrobatik erinneren, beherrscht sie die Bühne.“ Pioniere des modernen Tanzes Eine Szene aus Der Weg zurück (1993), getanzt und choreographiert von Kim Hee-jin. Das Stück handelt von Schock und Angst einer Frau, die nach langer Zeit ihr Gedächtnis wiedererlangt. Frankreich ist der Mittelpunkt des europäischen Tanzes. Nicht nur in Paris sondern auch in Lyon gibt es ein Tanztheater namens „Haus des Tanzes“, und jeden Sommer lockt das Montpellier Festival , ein Tanzfestival von internationalem Ruf, Tanzbegeisterte aus aller Welt an. Die französische Bühne, die für alle Tänzer ein Traum ist, ist Kims Hauptbühne. Doch es ist ein Irrtum, wenn man denkt, dass Kim Hee-jin schon als Kind in diesem fortgeschrittenen Mekka des Tanzes ausgebildet worden sei. Sie ging erst im Jahr 2002 nach Frankreich, damals war sie schon über 30 Jahre alt. Bis dahin hatte sie in Korea trainiert, ihr Talent entfaltet und sich so auf ihre Zukunft vorbereitet. Mit ihren Auftritten als Haupttänzerin des Korean Contemporary Dance Theater konnte sie sich allmählich in Tanzkreisen profilieren. Sie ist die einzige Frau, die in Jesus Christ Super Star unter der Choreographie von Yuk Wan-sun, der Mutter des modernen koreanischen Tanzes, die Rolle des Judas spielte. Diese Rolle machte sie zu einem Star in Korea. Für Jesus Christ Super Star wurde Kim beim Dong-A Tanzwettbewerb mit einem Preis ausgezeichnet und vom Koreanischen Verband für Modernen Tanz als beste Nachwuchstänzerin gekrönt. 1992 gewann sie beim MBC-Wettbewerb für kreativen Tanz den ersten Platz. Kim präsentierte auf diese Weise schon früh ihr Talent und Potential als Star auf der koreanischen Bühne. Gerade darin liegt der Unterschied zwischen Kim Hee-jin und den anderen koreanischen Tänzern, die im Ausland tätig sind. Während die meisten erfolgreichen Tänzer durch Früherziehung oder frühzeitige Aktivitäten im Ausland Starruhm sammelten, entfaltete Kim bis Anfang 30 auf koreanischen Bühnen verschiedene Aktivitäten, stellte ihr Talent unter Beweis, steigerte Schritt für Schritt ihren Bekanntheitsgrad, erhöhte ihr Potential und machte dann erst den großen Schritt in die weite Welt, der sie ihrem Traum näher brachte. Treffen mit dem Großmeister Ihr Debüt im Ausland begann mit dem Treffen mit Jean-Claude Gallotta, dem Leiter des Centre Chorégraphique National de Grenoble . Im Jahr 1997 nahm Gallotta, der in Korea von ihrer Vorführung fasziniert gewesen war, Kim als Mitglied der Tanztruppe des Shizuoka Performing Arts Center (SPAC ) auf, bei der er derzeit als Kunstdirektor tätig war. Ihr Vertrag lief über zweieinhalb Jahre. Falls sie in dieser Zeit ihr Talent auf der japanischen Bühne nicht hinreichend zur Entfaltung hätte bringen können, hätte sie nach einem kurzen Auslandsaufenthalt wieder nach Korea zurückkehren müssen. Doch ihr herausragendes Talent, das sie auf der einheimischen Bühne konsolidiert hatte, führte zu weiteren Verträgen. Danach folgte sie Gallotta nach Frankreich, wo sie fünf Jahre lang als Haupttänzerin des Centre Chorégraphique National de Grenoble auf der Bühne stand. Herbst 2008 | Koreana 65 1 Der mit Poesie und Romantik gefüllte elegante Tanz von Kim faszinierte mit einem Schlag viele Choreographen und die anspruchsvollen europäischen Zuschauer. Mutig verzichtete sie auf ihr Label „begabte Tänzerin“ und präsentiert jetzt den Zuschauern Choreographien, die den spezifischen Farbton und Duft von Kim Hee-jin tragen. Während dieser Zeit besuchte Kim mit der Tanzgruppe Korea und gab im Rahmen des Seouler Internationalen Tanzfestivals zwei Vorführungen von Gallottas repräsentativem Werk Mammame . Mammame ist Gallottas Meisterwerk, das nach seiner Premiere im Jahr 1985 bereits seit über zwanzig Jahren aufgeführt wird. Nachdem Gallotta Kim zum ersten Mal tanzen gesehen hatte, äußerte er: „Von dir strahlt ein gewisses Etwas aus, etwas deutlich Außergewöhnliches. Es ist nicht mit Worten zu beschreiben, aber es ist etwas, das anders ist als bei den unzähligen anderen Tänzern auf den europäischen Bühnen. Deine Bewegungen sind wirklich voller Reiz.“ Ihr wurde es erst im Laufe der Zeit klar, was Gallottas Worte bedeuteten. Sie verkörperte die Gefühle des Ostens, die mit einem Male zusammen mit ihrem tiefen Atem, der sich in ihrer Kindheit durch den koreanischen Tanz von selbst entwickelt hatte, aus ihr herausbrachen, und verfügte über eigentümliche Armbewegungen. Der mit Poesie und Romantik gefüllte elegante Tanz von Kim faszinierte mit einem Schlag 66 Koreana | Herbst 2008 2 viele Choreographen und die anspruchsvollen europäischen Zuschauer. Choreographie – eine neue Herausforderung Kim Hee-jin selbst beschreibt die letzten zehn Jahre als „eine Zeit des Tanzens ohne jeden weiteren Wunsch.“ Doch sie ließ die Zeit des wunschlos glücklichen Tanzens und des weiteren Ruhms hinter sich und verließ 2005 Galottas Tanzensemble. Damals war sie 38. „Ich habe eine Weile Pause gemacht. Es war eine Zeit zur Heilung meiner körperlichen Schmerzen, das Resultat von acht Jahren Tanz in Japan und Frankreich.“ Doch ihre Pause war nur kurz. Bald tanzte sie wieder als freiberufliche Tänzerin, trat mit der Tanztruppe Centre Chorégraphique National de Grenoble und dem Ensemble von Angelin Preljocaj auf die Bühne, erwarb eine Tanzlehrerlizenz und unterrichtete an der Universität Grenoble. Aber ihr größter neuer Versuch war natürlich ihre Verwandlung zur Choreographin, womit sie ihren Tätigkeitsbereich auf die kreative Arbeit erweiterte. Im Jahr 2007 gründete Kim ihre eigene Tanztruppe: MOM . „In Frankreich stößt man als Tänzer auf Grenzen, wenn man nicht als Mitglied einer Vereinigung oder Gruppe, sondern als Einzelperson tätig sein will. Ich gründete mit meinen französischen Freunden eine Tanztruppe, um im offiziellen Rahmen meinen Werk-Aktivitäten nachgehen zu können. Es ist zwar ein bescheidener Anfang, aber ich wollte ein Werk auf die Bühne bringen, mit dem man sich den Zuschauern noch weiter annähern kann.“ Kim feierte ihr Debüt als Choreographin in Korea. Im November 2007 präsentierte sie in Seoul ihr Werk Dongban (A Journey of Absence ), das sie mit dem französischen Tänzer Ludovic Galvan gemeinsam choreographierte. In diesem Stück, das aus drei Episoden besteht, thematisierte sie unter dem Titel Dongban (wörtliche Bedeutung: die Begleitung) die Unvollständigkeit oder mangelnde Ganzheit, die in unserem Leben existiert. „Von den drei Episoden erzählt Die Speicherzelle über die Erinnerung an die 4 1 Kim Hee-jins Vorführung von Angst (1963), einem Stück unter der Choreographie von Yuk Wan-sun, die von vielen als die Mutter des zeitgenössischen koreanischen Tanzes angesehen wird. 2 Die anonyme Gesellschaft (1996), getanzt und choreographiert von Kim Hee-jin, thematisiert die Isolation und Entfremdung des modernen Menschen in einer Welt, in der die zwischenmenschliche Kommunikation unterbrochen ist. 3 Die Speicherzelle (2006), getanzt und choreographiert von Kim Hee-jin und Ludovic Galvan, wurde von Kritikern v.a. wegen des leidenschaftlischen und poetischen Ausdrucks gelobt. 4 Traum , getanzt und choreographiert von Kim Hee-jin, wurde erstmals 1992 aufgeführt. Das Stück erzählt die Geschichte, wie der Mensch versucht seinen Traum einer machinisierten Zivilisation zu verwirklichen, der schließlich zum Alptraum der Zerstörung der Menschlichkeit wird. 3 vergangene Liebe eines Mannes. Das Stück wurde auf der europäischen Bühne positiv bewertet, die Leidenschaft und der poetische Ausdruck, die die beiden Choreographen zeigten, seien beeindruckend. Die Worte einer Zuschauerin im mittleren Alter waren für mich unvergesslich: Es war wie ein Blick in meine eigene Vergangenheit.“ Seinen Traum verfolgen Auf die Frage, ob es nicht zu spät war, erst in den 30ern die internationale Bühne betreten zu haben und ob sie nicht bereut habe, nicht früher ins Ausland vorgestoßen zu sein, antwortet Kim: „Weil ich in meinen frühen Jahren in Korea war, konnte ich viele unterschiedliche Dinge machen und diese wertvollen Erfahrungen waren der Nährboden für meine künstlerischen Aktivitäten im Ausland.“ Kims Lebensweg führte dazu, dass zahl- reiche koreanische Nachwuchstänzer nach Europa drängten und sie gilt heute als Vorbild für viele junge koreanische Tänzer, die von internationalem Erfolg träumen. Ihnen rät Kim Hee-jin: „Ein schneller Vorstoß ins Ausland ist zwar wichtig, doch noch viel wichtiger ist, sich vorher selbst zu prüfen und zu stärken. Die koreanische Bühne ist ein Ort, an dem man sein Talent entfalten und auf den Prüfstand stellen kann, bevor man sich ins Ausland wagt. Die Erfahrungen in der Heimat bilden die Grundlage für den Erfolg im Ausland. Deswegen empfehle ich, unabhängig von der Größe der Bühne sich an möglichst vielen unterschiedlichen Werken zu versuchen.“ Kim verzichtete mutig auf ihr Label „begabte Tänzerin“ und präsentiert jetzt den Zuschauern Choreographien, die den spezifischen Farbton und Duft von Kim Hee-jin tragen. Es ist nicht schwer, sie heutzutage auf Bühnen in Frankreich, Korea und der weiten Welt zu treffen. Zum Beispiel ist sie auch zur Dance Triennale Tokyo eingeladen, die im Herbst 2009 in der japanischen Hauptstadt stattfindet. Mittlerweise hat Kim Hee-jin die 40 längst überschritten, doch sie könnte sich selbst ohne Tanz gar nicht vorstellen und so wird es auch in Zukunft sein, sagt sie. „Hat man die 40 erst mal überschritten, stellen sich viele Fragen über das Leben neu. Ich möchte in meinen Werken natürliche Geschichten über das Leben erzählen und den Zuschauern so verstärkt ein Mitfühlen ermöglichen.“ Kim Hee-jin, eine moderne Tänzerin, die selbst mit kleinen Handgesten die reife Schönheit, die eine lange Zeit ertrug, zum Ausdruck bringt. Wir dürfen gespannt sein, mit welchen Werken sie in Zukunft unsere erschöpften und verletzten Seelen zum Tanzen bringen wird. Herbst 2008 | Koreana 67