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JAN W EIL ER M EIN LE BEN AL S M EN SCH FOL GE 35 9 Trennungsschmerz W as haben die Schweiz, meine Tochter, Kasachstan und ich miteinander gemein? Ganz einfach. Wir wollen uns alle trennen. Die Schweiz will ihre Deutschen loswerden, Kasachstan will sein „Stan“ loswerden, ich will eine Dornwarze loswerden und meine Tochter Carla will ihren Freund loswerden. Die Vorgehensweise von uns Vieren und die Erfolgsaussichten bei unseren Plänen stellen sich höchst unterschiedlich dar. Am schwersten hat es sicher die Schweiz. Das Land hat damit begonnen, die auf ihrem Staatsgebiet lebenden Ausländer per Volksentscheid zu vergraulen. Fast ein Viertel ihrer Einwohner stammen von irgendwo Anders. Wenn man sie freundlich winkend heraus–, aber keine neuen mehr reinlässt, löst sich das Problem von selber, aber man muss ungefähr zwei Generationen lang Geduld haben, die Grenzen sichern und den Publizisten Roger Köppel unablässig in deutsche Talkshows schicken. Nachdem diese rhetorische Abrissbirne eine Stunde lang durch den Fernseher gependelt ist, will man gar nicht mehr in die Schweiz. Dabei steht seine äußerliche Bubihaftigkeit im krassen Gegensatz zu seinen Thesen, für die sich in Deutschland kaum ein nichtvorbestrafter Protagonist finden würde. Diese scheinbare Harmlosigkeit der Schweizer ist überhaupt ihr schärfstes Schwert. Das habe ich selber schon spüren müssen, und zwar am Grenzübergang Sankt Margarethen. Dort musste ich einmal die Einfuhr von drei Pfund Grillgut rechtfertigen. Ich nahm den Schweizer Zoll aber nicht ernst, schon wegen des ulkigen Akzents. Als die Beamten das bemerkten, wurden sie furchtbar sauer. Ich erhielt eine Anzeige wegen des verbotenen Imports von Rindfleisch und musste eine unbarmherzige Strafzahlung sowie Einfuhrzoll blechen. Auf jeden Fall habe ich keinen Zweifel, dass es der Schweiz, wenn auch erst in ein paar Jahrzehnten gelingt, jeden und alles loszuwerden, was ihren Eingeborenen nicht passt. Für Kasachstan ist es einfacher, sich zu trennen. Ihnen gefällt das „Stan“ an ihrem Hinterteil nicht mehr, weil es klingt wie das „Stan“ in Turkmenistan, Afghanistan und in Stan Laurel. Das Land möchte sich gerne von diesen ständig unter Schurkenverdacht stehenden Nachbarländern abheben. Das ist leichter als alle Ausländer zu verscheuchen aber auch wieder nicht ganz so einfach wie man denkt. Es gibt bis heute Menschen, die sich nie an „Twix“ gewöhnt haben und den Schokoriegel erst wieder kauften, als er zwischendurch noch einmal „Raider“ hieß. Kasachstan könnte es ähnlich ergehen, es sei denn das Land wählt einen griffigen und auch für Europäer leicht merkbaren Namen wie zum Beispiel „Borat“ oder „Anti Oxi Action“ oder „Schweiz“. Letzteres würde mir besonders gut gefallen. Gut gefallen würde mir außerdem, wenn sich die Dornwarze vom Acker meiner linken Fußsohle machen könnte. Ich weiß nicht, wo das Ding herkommt. Mein Hautarzt sagt, es handele sich um ein Virus und er fragte ob ich häufig in Hotels übernachten würde. Ich bejahte und er sagte, da finge man sich mit den Füßen allerhand ein. Das ist keine Vorstellung, die mir behagt. Ich möchte lieber ein „Stan“ im Nachnamen haben als eine Dornwarze von einem schweizerischen Publizisten auf Talkshowtour. Die Behandlung sei unangenehm und erfordere mehrere Sitzungen, sagte der Hautarzt. Die erste habe ich bereits hinter mir und ich denke immerzu daran, wie schön mein Leben ohne Warze sein wird. Ähnliches hat sich wohl auch unsere Tochter gedacht. Das Pubertier hat zum ersten Mal mit einem Jungen Schluss gemacht. Ruckzuck und ohne langes Palaver oder Volksentscheid. Es tat weh. Besonders mir, denn ich mochte den Burschen aufrichtig. Normalerweise schaute er zwei Mal bei Sara und mir herein. Einmal wenn er abends zu Besuch kam und noch einmal, wenn er wieder ging. Vor ein paar Tagen wurde er von Carla einbestellt und sie schlug ihm vor, in Zukunft einfach so Freunde zu bleiben. Der Klassiker. Das Entlassungsgespräch dauerte gerade mal zwanzig Minuten, dann stieg der traurige Junge die Treppe hinunter und verließ das Haus. Ohne noch bei uns vorbei zu schauen. Sara und ich saßen im Wohnzimmer und fühlten uns verlassen wie ein schweizerisches Bergdorf, dem der letzte Deutsche den Rücken gekehrt hat. • 17. FEBRUAR 2014