I. Einleitung Tod und Tabu - Der Tote und die Leiche im kulturellen
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I. Einleitung Tod und Tabu - Der Tote und die Leiche im kulturellen
9 I. Einleitung Martin Fitzenreiter Tod und Tabu - Der Tote und die Leiche im kulturellen Kontext Altägyptens und Europas (Wortlaut des Vortrages) I. Einleitung Der Workshop zur Mumifizierung wie auch ein damit verbundenes Seminar der Ägyptologie der Humboldt-Universität haben einen gemeinsamen Auslöser: die Mumien-Ausstellung in Berlin, besser gesagt: "Das Geheimnis der Mumien - Ewiges Leben am Nil". Für Ägyptologen ist eine solche Ausstellung Grund genug, dem Thema größere Aufmerksamkeit zu widmen. Es werden eine Reihe hochinteressanter Objekte in ansprechender Weise ausgestellt, es gibt ein zugrundeliegendes Konzept und begleitende Publikationen, die es zu diskutieren gilt. Es gibt aber noch mehr als nur die Ausstellung und ihre Objekte: Es gibt das bemerkenswert große Interesse, das gerade dieses Segment der altägyptischen Kultur - Mumien, Mumifizierung - in der Öffentlichkeit findet. Dieses Interesse demonstrieren die Besucher, aber auch die Fachleute bzw. Wissenschaftler. Und es äußert sich in verschiedener Form: als Begeisterung, als kühle Indifferenz und als dezidierte Ablehnung. Diese beiden Aspekte ließen auch die Idee zu einem solchen Workshop entstehen: die Möglichkeit, sich mit den Objekten zu beschäftigen, und die Möglichkeit, sich ebenso mit den Reaktionen zu beschäftigen. Im Rahmen dieser Einleitung möchte ich einige der sich mir ergebenden Gedanken in thesenartiger Form voranstellen. Es sind drei Punkte, die m.E. in diesem Zusammenhang von Interesse sind: Erstens die Frage, warum das pharaonische Ägypten dem (west)europäischen Betrachter so fern und doch nah ist, wo die kulturellen Barrieren liegen, die wir bei der Auseinandersetzung mit der pharaonischen Kultur berücksichtigen müssen - denn überwinden können (und sollten) wir sie nicht. Daraus ergibt sich zweitens die Frage, warum der Kult der Toten in der pharaonischen Kultur überhaupt eine solche enorme Bedeutung hat. Und Drittens stellt sich die Frage, wie wir, die wir vor einem so anderen kulturellen Hintergrund agieren, unseren Umgang mit dem Tod und den Toten der Ägypter in unser Verständnis vom Tod und den Toten einordnen können. Der erste Gedanke betrifft vor allem uns Ägyptologen und Ägyptomanen selbst. Wir sind ja beides: wir sind die, die die Objekte zusammenstellen, präsentieren und interpretieren; und wir sind es, die sie betrachten, bestaunen, uns ihrer Wirkung nicht entziehen können. Die Reaktionen von Besuchern sind auch unsere Reaktionen, auch wenn wir sie durch die Brille des Fachwissens vielfach zu brechen versuchen. 10 Die Ägyptologie als Wissenschaft, wie sie an den Universitäten Europas und Amerikas betrieben wird, ist die Auseinandersetzung von Vertretern der westeuropäischen Kultur mit der altägyptischen Kultur 1 . Sie ist geboren aus dem Staunen der alten Griechen über das fremdartige und beeindruckende alte Land am Nil und aus der Abneigung der Kirchenväter gegen tierköpfige Götter, aus der Sehnsucht der Mystiker und Freimauerer nach tieferer Weisheit, aus der Faszination der Aufklärer über die unbegrenzten Möglichkeiten des eigenen Scharfsinns und dem Drang des 19. Jahrhunderts, die exotische Welt zu ordnen. Wie sehr unsere Ägyptologie von den Bedingungen und Zwecken unserer Kultur geprägt ist, zeigt die andauernde Sprachlosigkeit zwischen europäischen und afrikanischen Ägyptologen 2 . Man kann in diese Sprachlosigkeit sogar die ägyptische Ägyptologie einbeziehen, die sich zwar als Abkömmling der westeuropäischen sieht, mit deren Sinn und Zielen aber oft genug nicht viel anfangen kann - sowenig, wie Abendländer Ziel und Sinn ägyptischer Ägyptologie oft nachvollziehen können oder wollen. Kaum ein Aspekt der altägyptischen Kultur macht dieses Dilemma von andauerndem Interesse und andauerndem Verständnisproblem deutlicher, als die Beschäftigung mit der Mumifizierung. Kaum ein Thema scheint seit den alten Griechen faszinierender und doch immer fremdartig. An kaum einem kulturellen Aspekt wird uns - Be-Suchern und genauso Unter-Suchern - deutlicher vor Augen geführt, daß wir von weit her kommen. II. Der kulturelle Kontext Was ist so anders und fremd an der pharaonischen Kultur? Warum können wir manches so einfach nachvollziehen und warum bleibt uns so vieles - auch wenn wir eine Erklärung haben - so seltsam? Nehmen wir also den Tod. Der Tod ist ein Phänomen, das wir so gut kennen wie die alten Ägypter. Wir müssen es hinnehmen, wie sie es taten. Daß es erklärt wird, ist für uns nachvollziehbar, auch wenn es anders erklärt wird; Erklärung - Konzeptualisierung - ist ein Grund, warum auf die Erkenntnis der Unabdingbarkeit des biologischen Todes nicht mit kollektivem Selbstmord reagiert wird. Daß beim Tod eine Leiche anfällt, ist ebenfalls geläufig und daß man sie bestatten muß, auch. Bis hier gehen unsere kulturellen Erfahrungen einigermaßen parallel. Nun aber die Leiche - sie wird mumifiziert! Sie wird in einer langen und nicht gerade appetitlichen Art und Weise konserviert und zu einer Mumie “umgebaut“. 1 Siehe die Aufstellung der Mitglieder des Internationalen Ägyptologen-Verbandes im neuesten Rundbrief vom 26.4.1998: 8f., die zeigt, daß der Schwerpunkt des Faches eindeutig nicht in der Region des alten Ägypten liegt. Von 825 Mitgliedern leben gerade 66 in Ägypten, zwei in Saudi-Arabien, einer im Sudan. 18 Mitglieder in Israel und zwei in Südafrika sind eher der westeuropäisch-"abendländischen" Schule zuzurechnen. Die übrigen Mitglieder kommen aus Staaten Europas, Nordamerikas, Südamerikas, Australien und Neuseeland sowie ein Mitglied aus Taiwan (China). 2 Der m.E. bisher einzige größere Versuch, afrikanische und "abendländische" Ägyptologie als Konzept zu diskutieren, fand im Vorfeld der Herausgabe der UNESCO General History of Africa statt und endete mehr oder weniger unbefriedigend; siehe die Dokumente im zweiten Band der UNESCO General History of Africa, Mokhtar 1981: 58-82. In den USA ist die Diskussion zwischen Vertretern afrikanischer ägyptologischer Konzepte und denen westlicher ägyptologischer Konzepte inzwischen bedeutend weiter gediehen, siehe z.B. Celenko 1996, und auch in der französischsprachigen Ägyptologie gibt es seit längeren eine intensive Auseinandersetzung mit afrikanistischen und afrikanischen Ansätzen. 11 Hier scheiden sich die Geister: Daß der Körper nach dem Tod einer Person erhalten wird, steht unseren Konzepten und Erfahrungen vom Tod diametral entgegen: Tod ist für uns der Verfall des Körpers, dem möglicherweise durch künstliches Einwirken - Verbrennen z.B. - nachgeholfen wird, um diesen entsetzlichen Prozeß schnell zu seinem "guten Ende" zu führen; ein "gutes Ende", das im vollständigen Verlöschen des Körpers, wenigstens des Fleisches, besteht. Diese Erkenntnis ist tief in unserem kulturellen Bewußtsein verankert. Sie ist, je nach Bekenntnis, in verschiedener Form kulturell formuliert, in ein Konzept gefaßt und eventuell zu einer Erklärung von Tod und Verheißung elaboriert: Was aus Staub geschaffen wurde, muß zu Staub vergehen. Was ist, wenn Körper dennoch erhalten bleiben? Es gibt genug Beispiele in Kirchengrüften, in den Gängen des Kapuzinerklosters von Palermo und in diversen Reliquienschreinen, in denen sich Leichen oder Leichenteile in dieser oder jener Form erhalten haben 3 . Z.T., dort wo es seit langem bekannt ist, nimmt man die natürlichen Ursachen als gegeben hin. Aber es sind ungewöhnliche Ursachen und die Erhaltung ist ein ungewöhnliches Ereignis. Wert, in Beschreibungen und auf Postkarten festgehalten zu werden. Wert, von Touristen besichtigt zu werden. Interessanter sind andere Fälle des Erhalts des Körpers: Es sind Wunder. Der Erhalt eines Körpers ist der Beleg eines Wunders; bei der Heiligen Bernadette war die unglaubliche, unerklärliche Konservation ihres Leibes ein wichtiger Beweis ihrer Heiligkeit. Oder es ist ein Fluch. Der Ritter Kalbutz war ein Sünder, ein Meineidiger, der schwor, sein Körper solle nicht vergehen, wenn er die Maid tatsächlich genötigt und entehrt hätte. Und wie sein falsches Zeugnis gegen ihn stand, kann heute jeder sehen: die getrocknete Leiche - zugegeben sehr viel anders erhalten als die der Bernadette - zeugt als wunderbares Zeichen gegen ihn 4 . Über die Heiligkeit der Bernadette möchte ich nicht urteilen; die Geschichte des Kalbutz aber hat sehr den Charakter einer sekundären Elaboration. Nachdem man den nichtverwesten Leichnam fand, suchte man den Grund für den außergewöhnlichen Zustand. Ein Heiliger war er wohl nicht - die gibt es im wenig enthusiastischen Norden nicht so häufig - so muß er wohl ein übler Sünder gewesen sein. Der Erhalt des Körpers wird als Strafe, Beweis für Sünde, mahnendes und entsetzliches Zeichen thematisiert. Der erhaltene Leichnam ist der "Untote", der nicht "richtige", "gute" Tote. In Ägypten scheint seit der frühesten Zeit ein völlig anderes Konzept vorzuliegen: Normal (="gut") ist der Erhalt des Körpers nach dem Tod, unnormal (="schlecht") ist dessen Zerfall und Zerstörung. Dem guten Mensch wird im Totengericht Existenz, Körperlichkeit und das Recht zum Herausgehen am Tage zuerkannt, der Sünder wird vernichtet, vom Monster gefressen, in Feuerseen versenkt5 . Woraus resultiert diese Vorstellung vom Todeszustand eines Individuums? Woraus resultiert die maßlose Angst davor, den Körper zu verlieren? "Seelen" oder wirksame Erscheinungsformen 3 Zum folgenden siehe die Beispiele in Racek 1985, Tarnowski 1988. 4 Ausgestellt in der Kirche von Kampehl, Ortsteil von Neustadt / Dosse, Brandenburg. 5 Noch in den koptischen Märtyrerlegenden ist die Unzerstörbarkeit des Körpers der christlichen Märtyrer ein Topos, siehe Fischhaber 1997: 47, 258. Hier trifft sich die ägyptische Vorstellung des "guten" Körpers der erhalten bleibt, mit der gemein-christlichen Vorstellung des außergewöhnlich-heiligen Körpers, der erhalten bleibt. 12 außerhalb des Körpers hatten die Ägypter doch genug - Ka und Ba, Ach und Schut und wie sie alle heißen6 . Die Vorstellung vom Toten als erhaltener und vollständiger Körper ist gewiß nicht als ein religiöses Konzept entstanden, als eine plötzliche oder allmählich gewachsene Idee, der Körper solle besser erhalten bleiben, weil er zu diesem und jenem zu gebrauchen wäre. Es ist ja sogar eine charakteristische Inkonsequenz - jedenfalls für jeden aufgeweckten Schüler, den man durch ein ägyptisches Museum führt - daß einerseits der Körper aufwendig erhalten wird, mit einigem, aber nicht einmal allem Gedärm in separaten Töpfen, und dann nutzlos im Grab liegt, während der Tote als Ba umherflattert. Die Mumifizierung wurde nicht erfunden, um diesen verschiedenen Vorstellungen eine gemeinsame Basis zu schaffen. Vielmehr sind alle Vorstellungen, wie, warum und wo Aspekte des Toten weiterexistieren, als Elaboration einer grundsätzlichen Vorstellung vom Tod anzusehen: der Vorstellung, daß die Leiche erhalten bleibt und deshalb erhalten bleiben muß. Es ist eine alte These, der auch nie ernsthaft widersprochen wurde, daß die ökologischen Besonderheiten einer Wüstenbestattung diese Vorstellung geformt haben 7 . Unter den trockenen und wohl durch den Salzgehalt der Wüste auch dehydrierenden Bedingungen bleiben die bestatteten Toten auf lange Zeit in ihrer grundsätzlichen Form erhalten. Dieser Zustand wird nur dann beeinträchtigt, wenn des Grab von Feinden menschlicher oder nicht-menschlicher Art zerstört wird. Die Gründe der Zerstörung können vielfältig sein und werden auch vom Lebenswandel beeinflußt: einem bösen Mensch wird das Grab zerstört und die nicht-menschlichen Mächte werden hoffentlich nur die unwürdigen Toten aus ihrer Grube wühlen. Daß ein Schakal der Wächter der Nekropole und Geleiter der Toten ist, entspricht dem "haltet-den-Dieb"-Prinzip. Der streunende Räuber am Wüstenrand wird mit dem Schutz seiner Beute bedacht8 , wie die Skorpiongöttin Selket die Atemluft geben soll, die der Skorpionstich nimmt. Die wahrscheinliche Erklärung mutet simpel an, zu simpel, betrachtet man die kulturelle Wucht, die diese kleine klimatische Besonderheit gegenüber unseren ökologischen Bedingungen hat. Aber diese Besonderheit ist erstens fundamental - sie betrifft den sensiblen kulturellen Punkt des Todes und sie ist zweitens relativ selten auf der uns bekannten kulturellen Landkarte. In den allermeisten Regionen der Erde leben seßhafte Menschen in Gegenden, in denen die Voraussetzungen der Seßhaftigkeit dieselben sind, die den schnelle Zerfall der Leiche bewirken: hinglängliche Feuchtigkeit9 . Nur in einigen Zonen bringen andere klimatische Faktoren ebenfalls die systematische Konservierung von Leichen mit sich. So sind m. E. Trockenheit und Kälte die Ursachen der kulturellsystematischen Mumifizierung im Hochland Südamerikas. 6 Zur schnellen Orientierung siehe Koch 1993: 174-193 , bzw. die entsprechenden Stichworte im Lexikon der Ägyptologie. 7 Smith u. Dawson 1924: 23; Sethe 1934: 211; Germer 1991: 27-29 8 Griffith 1980: 61 9 Das Phänomen nichtseßhafter Bevölkerungsgruppen möchte ich hier nicht diskutieren, da die nichtseßhafte Wirtschafts- und Lebensweise einige kulturelle Besonderheiten bedingt, u.a. den gelegentlichen Verzicht auf Friedhöfe in unserem - seßhaften - Sinne. 13 Leichenkonservierung kann aber auch als kulturelle Elaboration ganz anderer Voraussetzungen entstehen: Die Präparierung von Ahnen in südostasiatisch-ozeanischen Kulturen geht m.E. auf die in derselben Region weit verbreitete Aufbewahrung von Leichenteilen (z.B. Schädeln) zurück, die in diesem besonderen Fall praktisch zu ganzen Körpern geworden sind. Die Ursache für Mumifizierung ist hier also nicht in klimatischen Besonderheiten zu sehen, sondern als Vervollkommnung einer Praxis, Leichenteile aus religiösen Gründen aufzubewahren - ähnlich der Aufbewahrung von menschlichen Reliquien in der westeuropäischen Kultur. Es sei davor gewarnt, universelle kulturelle Phänomene stets mit denselben Ursachen erklären zu wollen, dann endet man bei dem Außerirdischen als ersten Beweger! Was festzuhalten ist: Im Ägypten der pharaonischen Kultur ist der Erhalt des Körpers in seiner äußeren Form, und zwar einschließlich der Fleischteile und der Gesichtszüge, seit geschichtlicher Zeit die normale Vorstellung vom Toten. Alle Bemühungen, die wir als "Mumifizierung" bezeichnen - also die Entfernung von Organen und Gewebe, die äußere Wiederherstellung der Körper- und besonders der Gesichtsform, die künstliche Beschleunigung des konservierenden Austrocknungsprozesses dienen dem Ziel, diesen normalen Zustand der Leiche zu bewirken 10 . Theologisierende Elaborationen (Sakramentale Ausdeutungen als Osiris etc.) sind Begleitumstände dieses Prozesses, nicht deren Ursache. Das für uns grundsätzliche Phänomen, daß der Erhalt der Leiche das Normale ist, wird in ägyptischen Texten nicht weiter thematisiert! Wieso ein Körper erhalten bleiben soll, ist für die ägyptische Totenliteratur kaum ein Thema, es geht darum, daß er erhalten bleiben soll. Thematisiert wird alles, was diesen Zustand beeinträchtigen könnte - und mit magischen Mitteln bekämpft. Gut ist der Erhalt der Leiche, schlecht, ein Zeichen von Sünde, ein Unerhörtes, ist der Zerfall und die Vernichtung. Die kulturelle Konzeptualisierung deutet in Ägypten den nicht-verwesten Leichnam als Osiris; in Brandenburg als einen Sünder. So verschieden können kulturelle Konzepte sein. III. Der soziale Hintergund Man kann die große Bedeutung der Mumifizierung jedoch nicht auf die einfache Deutung eines ökologisch-biologischen Phänomens reduzieren. Daß die Vorstellung vom Tod auch den zeitweisen Erhalt des Körpers beinhalten kann, mag aus diesem Grund einleuchten - warum aber dieser unglaubliche materielle Aufwand in und an der Grabstätte, diese fortwährende Bemühung, die Technik der Mumifizierung zu verbessern, diese intellektuellen Anstrengungen auf dem Gebiet der Konzeptualisierung? Auch hier zeigt sich eine kulturelle Eigenart des alten Ägypten, die von unseren kulturellen Gewohnheiten sehr verschieden ist: Es ist die große soziale Bedeutung der Toten. Über die Toten, über mit dem Tod und dem Verbleib der Toten zusammenhängende Konstrukte, wird die altägyptische Gesellschaft in außerordentlicher Weise dargestellt und strukturiert. Die Rituale der funerären Kultur sind die zentralen sozialen Rituale. Die Dynamik sozialer Positionen innerhalb einer Gruppe - insbesondere Zuordnung der Gruppe zur Person und die Nachfolge im Amt der Person 10 Seidlmayer 1990: 426f 14 wird in der altägyptischen Kultur über funeräre Rituale der (toten) Person realisiert. Die Gattin ist die Witwe, die Isis, die Trauernde und die Reintegrierende, die Gebärerin des Nachfolgers. Die Nachkommen sind der Haushalt des Toten, ihre Positionen untereinander wird über ihre Rolle im Kult des Ahnen verwirklicht. Erbe ist der Sohn, der Horus, der Schützer des Vaters. Auch das Individuum erfährt in der funerären Kultur das Mittel zur kulturellen Umsetzung seiner sozialen Position. Privater funerärer Aufwand ist die symbolische Ausdrucksform des pharaonischen Ägypten, in der eine soziale Position faßbar wird: durch monumentalen Grabbau, durch den Erwerb einer Ausstattung (oft als Auszeichnung durch Höhergestellte verliehen und entsprechend vorgezeigt), durch intellektuelle Höchstleistung bei der textuellen und kontextuellen Dekoration. Jan Assmann charakterisierte das mit dem griffigen Terminus der "sepulkralen Selbsthematisierung"11 . Wie zentral die funeräre Kultur im Gesamtbild der pharaonischen Kultur ist, zeigt insbesondere die Herausbildung des Staatswesens im Alten Reich und seiner charakteristischen kulturellen Ausdrucksformen: Symbole des Staates werden in monumentaler Form im Bereich funerärer Anlagen entwickelt (Pyramiden), nicht etwa im Umfeld von Göttertempeln. Mit dem Ende des Alten Reiches gewinnt die staatliche Symbolisierung über Ausdrucksformen des Götterkultes an Bedeutung, wird in diesem Moment aber auch zu einem extrem sozial limitierten System, das sich in der fast völligen Unzugänglichkeit der Königsgötter für normale Menschen äußert. Funeräre Kultur bleibt eine der wichtigsten kulturellen Ausdrucksformen der Ägypter; selbst noch in der persönlichen Frömmigkeit der Ramessidenzeit wird der Weg zu den Göttern besonders auch über die Kultstelle am Grab gesucht12 . Diese außerordentliche Bedeutung der funerären Kultur, konkret der funerären Rituale, verbindet die pharaonische Kultur mit anderen afrikanischen Kulturen und unterscheidet sie etwa von Vorderasien oder Griechenland, wo der funeräre Aspekt der Kultur wenig bedeutend für Struktur und Bewegung der Gesellschaft ist. Strukturell verwandt scheinen Aspekte der pharaonischen Kultur denen der chinesischen Hochkultur, die wiederum einem kulturellen Umfeld mit großer Bedeutung des Ahnenkultes entstammt. Hier befinden wir Europäer uns auf einmal in der kulturellen Minderheit. Die Vorstellung, daß die Leiche vergeht, teilen wir mit der Mehrheit der Kulturen. Die Mißachtung der Ahnen, die für unsere Kultur charakteristisch ist, ist weit weniger verbreitet. Viel geläufiger ist deren absolute Hochachtung und daß sie eine existenzielle Funktion in der Gesellschaft haben13 . Indem auch die Behandlung der Leiche als eine Form kultureller Elaboration entdeckt wurde, boten sich den Ägyptern ganz neue Möglichkeiten, die Rolle des Toten mittels der Mumie auch praktisch umzusetzen. Die Leiche, gut hergerichtet und stabilisiert, gewinnt den Charakter eines Abbildes, das immer mehr auch in den praktischen Ahnenkult einbezogen wird. Seit dem Neuen Reich haben mumienförmige Särge Standflächen, spätestens in griechisch-römischer 11 Assmann 1987; Assmann 1991 12 Assmann 1995 13 Fallbeispiele der sozialen Dimension der funerären Kultur in Newell 1976. Zeit kann eine 15 längerdauernde Verwendung von Mumien in Rahmen von Ahnenfesten angenommen werden 14 . Der Körper des Toten - die Mumie - ist etwas Herzeigbares. Eine teure Mumie ist ein Mittel, die Position eines Toten faßlich zu realisieren; und die der Nachkommen, die möglichst viele "teure" Toten um sich versammeln. IV. Tabu Damit sind wir bei einem weiteren Aspekt, der höchst bemerkenswerte Differenzen zwischen unseren kulturellen Konzepten und denen der alten Ägypter aufzeigt: der praktische Umgang mit den Leichen. Zwei Seelen schlagen in unserer Brust, übernehmen wir Ägyptologen die Verantwortung für die Beschäftigung mit den Toten, sei es durch ihre Präsentation in einer Ausstellung, sei es durch das Herauswühlen aus einem Grab, sei es schon die schlichte Befragung des Gegenstandes. Es interessiert uns brennend, was sich dort verbirgt; das Zeugnis einer alten und interessanten Kultur, das Leben von Menschen tausende von Jahren vor uns ... und der Leichnam, der dort so unwahrscheinlich und für uns so ungewöhnlich erhalten ist. Seien es die Wachstumsanomalien, Tätowierungen oder Parasiten. Und auf der anderen Seite beschleicht uns ein schlechtes Gewissen, denn wir reißen Menschen aus ihrer sie schützenden Umgebung, wir dringen in die intimsten Bereiche vor und wir zerstören dabei. Außerdem dämmert uns, daß wir einer gewissen Geilheit nach Grusel und Spektakulärem nachgeben. Wenn wir es in uns selbst vielleicht noch zügeln können, dann müssen wir aber erleben, daß es in der Art einer Psychose durchaus andere erfaßt oder - fast noch öfter - um des Effektes der Schaustellung und deren Einträge willen eine solche Psychose erzeugt wird. Während der Drang nach Wissen uns kein Problem bereitet und auch öffentlich immer applaudiert wird, hat die Tätigkeit des Leichenfledderers einen höchst anrüchigen Aspekt, über den nicht nur die Laien die Nase rümpfen, sondern die Fachkollegen noch viel öfter. Gehen wir also den von unserer Mentalität akzeptierten Weg: den der reinen Wissenschaftlichkeit. Was erforscht die Ägyptologie? Die Kultur des pharaonischen Ägypten - Sprache, Geschichte, Hinterlassenschaften etc. Wenn man sich dem Studium der kulturellen Ausdrucksformen der Ägypter widmet, ist es jedoch unmöglich, diese aus der funerären Sphäre "herauszufiltern". Man wird zur Beschäftigung mit den Toten und den um sie kreisenden Konzepten und Ritualen geradezu gezwungen, so sehr man die Toten tot sein lassen und sich den kulturellen Ausdrucksformen "an sich" widmen möchte. Der Versuch, von ägyptologischer Seite oft unternommen, die Ägypter von dem Hauch des Todes zu befreien, sie als "ganz normale Menschen" hinzustellen - was in unserem Sinne heißen soll: nur wenig am Tod interessierte Menschen - , ist eine fatale Folge der Tabuisierung des Todes in unserer westeuropäischen Kultur. Wir halten Verdrängung des Todes und der Toten (sogar des Alters und der Alten) für normal. Mehr noch: kulturell wird dieses Tabu als "Pietät" normiert: wir lassen den Toten (oft genug schon den Alten) "ihre Ruhe", wir meiden sie. Den immensen 14 Borg 1997 16 kulturellen Aufwand der Ägypter als primär um die Toten kreisende Objekte in den Museen zur Schau zu stellen, hat für uns den Geschmack von Pietätlosigkeit. Besser, man nennt es Kunst und entfernt es aus dem Zusammenhang des Grabes. Die Toten selbst und was sie betrifft, sollten "in der Ruhe der Gräber" verbleiben. "In der Ruhe des Grabes" - eine Vorstellung, die unägyptischer nicht sein könnte: Bewegungslose Ruhe, Gestalt- und Namenlosigkeit und Verbleiben im Grab sind genau die Dinge, die ein Ägypter fürchtet und die er mit allen Mitteln seiner Kultur zu verhindern suchte 15 . Der Nachkomme in Ägypten hat die Aufgabe, ein sein, "sein Sohn, der seinen Namen leben läßt". Das tut der Ägyptologe, pietätlos und roh nach unseren Maßstäben - aber auch nach denen der Ägypter? Selim Hassan, einer der ersten und bedeutendsten ägyptischen Ägyptologen, hat darauf eine bemerkenswerte Antwort: der Archäologe ist "the angel of resurrection" der alten Ägypter16 . Nun ist das eben gesagte natürlich eine Simplifizierung. Zwischen "den Namen leben lassen" und der Präsentation eines abgehackten Mumienkopfes liegt wohl doch ein feiner Unterschied. Es geht aber um etwas ganz anderes. Es ist nicht die Frage, was die alten Ägypter von dieser Art der Zurschaustellung gehalten hätten. Das Problem der Zurschausstellung von Mumien liegt ganz allein in der Frage, wie wir mit Toten umgehen und meinen, wie man mit Toten umzugehen hat. Was als ein kulturelles Konzept soweit inkorporiert ist, daß ein Verstoß dagegen körperliches Unwohlsein erzeugt, kann als Tabu bezeichnet werden: Tabu ist ein im Sinne eines Pawlowschen Reflexes anerzogenes Meidungsverhalten. Intellektuell wird dieses Unwohlsein als kulturelle Norm z.B. als Vorstellung von Pietät - konzeptualisiert und im Zuge der sozialen Kommunikation weitergegeben. Dabei äußert sich das kognitive Tabu, ähnlich wie beim haptischen Tabubruch, im Gefühl des Unwohlseins, wenn man es bricht. Ein Tabubruch erregt, was als unangenehm, aber auch als Nervenkitzel erfahren wird. Kognitive Tabus regulieren sich meist so, daß sie Bereiche betreffen, die man nicht einmal "denkt", geschweige denn sagt, Bereiche, für die es nicht einmal ein Wort gibt. Der Tod und die Leiche sind mit solchen tabuisierenden Vorstellungen verbunden - und war es in dieser oder jener Form auch für den Ägypter. - das "abgeschnittene, ausgegrenzte, tabuisierte Land" ist der Bereich der Toten, genauer der, an dem die toten Körper aufbewahrt werden. Wie sehr sich Pietät und tabuisiertes Verhalten aber auf unser kulturelles Wertesystem beschränken kann, zeigen andere Tabubrüche, die wir begehen, ohne im geringsten eine körperliche Unwohlheit zu verspüren: Wir fühlen kein Unwohlsein wenn wir das Allerheiligste eines ägyptischen Tempels betreten (unrein dazu), Götterbilder betrachten, Menschen-Bilder in Stücken und Splittern herzeigen, geheime Schriften veröffentlichen, Götternamen aussprechen - aber gerade das sind die größten Tabubrüche für die Ägypter! Diese Tabus können wir nur rekonstruieren; wir können sie aber nicht wirklich realisieren. 15 Hornung 1983 16 Hassan 1944: 28 "So even if the archaeologist is sometimes called a scientific grave robber, he may, with as much justice be called the Angel of Resurrection, so that balances it!" 17 So fremd uns die Ägypter sind, im Tabu des Todes sind wir auf erstaunliche Weise doch mit ihnen vereint. Etwas unheimliches, erklärungsbedürftigs ist er uns so sehr, wie er es den alten Ägyptern war. Um die Integrität der Leiche zu bewahren, wird von den Ägyptern großer magischer und technischer Aufwand betrieben; das, was wir als den "Fluch der Pharaonen" noch heute als tabuisierte Angstvorstellung herumtragen. Doch das Gefühl des Tabubruches und der Vorwurf von Pietätlosigkeit wird im Ganzen gesehen von dem großen Interesse an den präsentierten Mumien übertönt. Dieses permanente Interesse für Mumien und Leichen / Leichenteile bewegt sich m. E. aber auf einer ganz anderen Ebene als der des Interesses am alten Ägypten. Es ist eine Form der Auseinandersetzung mit dem Tod überhaupt, typisch für das Faszinierende einer Frage, die nie endgültig beantwortet werden kann. Wer will behaupten, das permanente Interesse der Schüler an den Mumien sei illegitim oder bloß Ausdruck der Perversion unserer Zeit? Wer will das von dem andauernden öffentlichen Interesse sagen, das derartige Präsentationen widerfährt? Pervers - nach den Normen unserer Kultur - mag der Umgang Einzelner mit Leichen sein, deren Präsentation auf den Jahrmarkt-Effekt baut. Das allgemeine Interesse daran ist m. E. aber die natürliche Auseinandersetzung mit der Frage, was der Tod ist und was die Toten sind. Es ist keine Auseinandersetzung primär mit dem alten Ägypten und seinen Toten, es ist eine Auseinandersetzung mit uns und unseren Vorstellungen vom Tod und den Toten. Diese Auseinandersetzung kann, wie jede, flach und ohne tiefere Erkenntnis sein, kann aber durchaus sehr viel Tiefsinn und kulturellen Wert produzieren - nicht umsonst ist der Totenschädel im Schrank ein Attribut des Gelehrten. Lassen Sie mich das Paradoxe unseres Umganges mit den Mumien in einen Gedanken fassen: Die mumifizierte Leiche in Europa ist etweder ein Wunder (Reliquie) oder ein Fluch (Kalbutz). Wo Leichen erhalten bleiben, ist es etwas Ungewöhnliches, meist extrem Häßliches, Beängstigendes, und dadurch, daß es unser Tabu-Gefühl berührt, Irritierendes und in gewissem Sinne Erregendes - es ist Horror. Die ägyptische Mumie ist schön in jeder Beziehung, sie der "gute", der "gerechtfertigte" Tote; sie ist ein Ausstellungsstück, das uns oft genug vergessen macht, daß man es hier mit einem Toten einer anderen Kultur zu tun hat. Die Mumie muß ausgepackt, sie muß zerstört werden um gruslig zu sein, um eine Leiche "nach unserem Bilde" zu werden. Literatur: Assmann, J. (1987): Sepulchrale Selbstthematisierung, in: Hahn, A. u. V. Kapp (Hgg.): Selbstthematisierung und Selbstzeugnis, Frankfurt, 1987 Assmann, J. (1991): Schrift, Tod und Identität: Das Grab als Vorschule der Literatur, in: Assmann, J.: Stein und Zeit, München: 169-199 Assmann, J. (1995): Geheimnis, Gedächtnis und Gottesnähe, in: Assmann, J.; E. Dziobek, H. Guksch, F. Kampp (Hgg.): Thebanische Beamtennekropolen, SAGA 12, Heidelberg: 281-293 18 Borg, B. (1997): The Death as a Guest at Table? Continuity and Change in the Egyptian Cult of the Dead, in: Bierbrier, M. L. (Hg.): Portraits and Masks. Burial Customs in Roman Egypt, London: 26-32 Celenko, Th. (1996): Egypt in Africa, Indianapolis Fischhaber, G. (1997): Mumifizierung im koptischen Ägypten. Eine Untersuchung zur Körperlichkeit im 1. Jahrtausend n.Chr., ÄAT 34, Wiesbaden Germer, R. (1991): Mumien. Zeugen des Pharaonenreiches, Zürich / München Griffith, J. G. 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(1988): Mumien, Was ist Was 84, Nürnberg Martin Fitzenreiter, M.A. c/o Seminar für Sudanarchäologie und Ägyptologie Humboldt-Universität zu Berlin Unter den Linden 6 D - 10099 Berlin