Der Mord an Alfred Herrhausen
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Der Mord an Alfred Herrhausen
HINTERGRUND Donnerstag, 26. November 2009 Seite 3 Der Mord an Alfred Herrhausen Der gepanzerte Mercedes war ein Wrack. Die Bombe hatte den Wagen hinten rechts getroffen, wo Alfred Herrhausen saß. Foto: dpa Er war der mächtigste Bankier der Republik, gefragter Berater der Politik, enger Freund von Bundeskanzler Helmut Kohl: Alfred Herrhausen, Chef der Deutschen Bank, wohnhaft in Bad Homburg. Vor 20 Jahren Von Sven Weidlich E s verspricht, ein sonniger Tag in Bad Homburg zu werden. Es ist der 30. November 1989, drei Wochen nach dem Fall der Mauer. Alfred Herrhausen verlässt gegen 8.30 Uhr seine Villa im Ellerhöhweg, um zur Arbeit nach Frankfurt Bank habe „ihr netz über ganz zu fahren. Er steigt in seinen gepan- westeuropa geworfen und steht an zerten Dienst-Mercedes. Als Chef der spitze der faschistischen kapitalder Deutschen Bank gilt der 59 Jah- struktur, gegen die sich jeder widerre alte Herrhausen als besonders stand durchsetzen muss“. gefährdet. Die ErmittVier Leiblungen ergewächter beben, dass die gleiten ihn. Terroristen Zwei fahren für den Anin einer schlag auf ebenfalls geHerrhausen panzerten Li- Alfred Herrhausen † 30.11.1989 eine techmousine vo- Serie Teil 1 nisch ausgeraus, die anklügelte deren beiden folgen in einem wei- Mord-Maschine konstruiert hatten. teren Wagen. Für diesen Tag wäh- Die Attentäter hatten im Seedammlen die Personenschützer die Stre- weg eine Infrarot-Lichtschranke cke aus, die über den Seedammweg montiert. Ein Draht führte zu eiführt. Dort, nur ein paar Hundert nem Zünder, der eine Sieben-KiloMeter von Herrhausens Villa entfernt, zerfetzt eine Bombe die Limousine des Managers. Herrhausen ist sofort tot. Das Attentat Gewaltige Explosion Der Knall der Detonation ist weit über Bad Homburg hinaus zu vernehmen, und jeder, der ihn hört, ahnt, dass etwas Schreckliches passiert ist. Der Donnerschlag schreckt auch Herrhausens Frau Traudl auf. Sie versucht, ihren Mann auf dem Handy zu erreichen, bekommt aber nur die Ansage, dass der Teilnehmer nicht zu erreichen sei. Sie setzt sich ins Auto, fährt zur Unglücksstelle und sieht den völlig demolierten Wagen ihres Mannes, der quer auf der Fahrbahn steht. Sie will hin, aber Einsatzkräfte halten sie zurück. Herrhausens Fahrer Jakob Nix lebt, aber er ist verletzt. Metallsplitter haben ihn im Gesicht getroffen. Er blutet im Gesicht, als ihn Passanten aus dem Fahrzeug-Wrack ziehen. Die Polizei sperrt den Tatort ab. Die Ermittler haben zuerst Sorge, dass sich im Gebüsch eine weitere Bombe befinden könnte, aber dem ist nicht so. Bald treffen Fahnder des Bundeskriminalamtes ein. Bei allen sitzt der Schock tief. Von den Tätern fehlt jede Spur. Lediglich das leere Fluchtfahrzeug, ein weißer Lancia mit gestohlenen Kennzeichen, findet die Polizei am Nachmittag am Ben-Gurion-Ring im Frankfurter Stadtteil Bonames. wurde er unweit seines Wohnhauses Opfer eines feigen Verbrechens: Terroristen sprengten seinen gepanzerten Mercedes in die Luft. In einer neuen großen Serie erinnern wir an Alfred Herrhausen. Bombe scharfmachte. Der Sprengsatz lag auf einem silberfarbenen Jugendfahrrad der Marke „Globus 2000“, das die Terroristen am Straßenrand abgestellt hatten. Bei der Vorbereitung zu ihrer Mordtat hatten die Terroristen sich als Bauarbeiter getarnt und sogar den Bürgersteig aufgemeißelt, um den Draht zu verlegen. Als der Herrhausen-Konvoi dann am Unglückstag durch den Seedammweg fuhr, warteten die Terroristen ab, bis das erste Begleitfahrzeug die Lichtschranke durchfahren hatte. Dann legte einer der Attentäter einen Schalter um. Die Bombe war scharf. Herrhausens Dienstwagen passierte die Lichtschranke und löste den Sprengsatz Täter sind unbekannt Herrhausens Tod ist bis heute ungesühnt, und mit jedem Tag sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Täter für den Anschlag verantworten müssen. Wer zu dem TerrorTrupp gehörte, haben die Fahnder bis heute nicht herausfinden können, es gibt nicht einmal einen konkreten Verdacht. Augenzeugen sagten aus, sie hätten vor dem Anschlag insgesamt fünf verdächtige Personen in der Nähe des Tatorts gesehen. Zwei von ihnen sollen als Jogger unterwegs gewesen sein und trugen angeblich Kopfhörer, was darauf hindeutet, dass die Täter per Funk in Kontakt gestanden haben. Immer mal wieder wurde im Zusammenhang mit dem HerrhausenMord der Name des RAF-Terroristen Wolfgang Grams genannt. In dem preisgekrönten Dokumentarfilm „Black Box BRD“ stellte der Regisseur Andres Veiel im Jahr 2001 die Lebensläufe von Herrhausen und Grams gegenüber. Grams, der beim tödlichen Anschlag auf den Bankmanager 36 Jahre alt war, gehörte Ende der 80er Jahre zum militanten Kern der RAF, die sich auf ihre Gründer Andreas Baader und Ulrike Meinhof beriefen. Im Gegensatz zu den sogenannten ersten beiden Generationen der Linksterroristen verstand es die späte RAF, sich zu tarnen. Bis heute ist noch nicht mal genau bekannt, wie viel Personen ihr überhaupt angehörten und sich an dem Amoklauf gegen die Bundesrepublik beteiligten. Die meisten RAF-Verbrechen seit 1985 – Morde, Sprengstoffanschläge, Raubüberfälle – sind nie aufgeklärt worden. Einige Täter leben wohl bis heute unbehelligt. Insgesamt 34 Morde RAF-Terroristen töteten in 28 Jahren insgesamt 34 Menschen. Die Extremisten verstanden sich als Revolutionäre und wollten mit ihrem bewaffneten Kampf den Sturz der Bundesrepublik herbeiführen, die sie für faschistisch hielten. Herrhausen war nicht das letzte Opfer der RAF. Anderthalb Jahre später erschoss ein Scharfschütze den Treuhand-Chef Detlev Karsten Rohwedder, und im Juni 1993 starb der GSG-9-Beamte Michael Newrzella bei einem Schusswechsel mit zwei RAF-Terroristen auf dem Bahnhof von Bad Kleinen. Den tödlichen Schuss feuerte RAF-Mann Grams ab, bevor er sich selbst erschoss. Im April 1998 erklärte sich die Terrorgruppe für aufgelöst. Sieben Monate nach dem tragischen 30. November 1989, an dem RAF-Terroristen Alfred Herrhausen ermordeten, detonierte eine ähnliche Sprengfalle in Bonn. Damit wollte die Rote Armee Fraktion den Staatssekretär im Bonner Innenministerium, Hans Neusel, umbringen. Neusel hatte Glück. Weil sein Fahrer Urlaub hatte, saß er selbst am Steuer seines Dienstwagens und nicht wie gewohnt auf dem rechten Rücksitz. Das rettete ihm das Leben. Er war der mächtigste Bankier der Republik Er brach mit Tabus, er hatte Ideale, er bekannte sich zu Macht und Verantwortung Von Hans Liedel Die RAF bekennt sich Polizisten finden unter dem Zünder der Bombe einen DIN-A4-Zettel. Auf ihm bekennt sich die Rote Armee Fraktion (RAF) zu dem Anschlag. Auf dem Blatt prangt das Erkennungszeichen der linksextremen Terroristen, ein roter Stern mit Maschinenpistole. Außerdem stehen dort die Worte „kommando wolfgang beer“. Er war der Bruder des RAF-Terroristen Henning Beer und neun Jahre zuvor bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Einige Tage später gibt es ein weiteres Bekennerschreiben der RAF, in dem steht, die Deutsche aus. Eine Art Trichter lenkte den Explosionsdruck direkt auf die rechte Hintertür der Limousine – hinter der Herrhausen saß. Selbst die Panzerung des Wagens konnte ihn nicht retten. Polizisten, Feuerwehrmänner, Nachbarn, Journalisten und Fotografen, die damals vor Ort waren, schildern ihre Eindrücke von dem Tag, der das ganze Land erschütterte. Alfred Herrhausen war zu Hause auf dem internationalen Parkett, hier bei einer Vertragsunterzeichnung in Moskau im Oktober 1988, im Beisein von Kanzler Helmut Kohl und Staatschef Michail Gorbatschow. Foto: AP Bad Homburg. Als die mächtigen Glocken über die Stadt hinweg dröhnten, war in der Bad Homburger Erlöserkirche Totenstille. Gut 1000 Menschen hatten sich von ihren Plätzen erhoben, um schweigend ihres Mitbürgers Dr. Alfred Herrhausen zu gedenken. Der Chor der Erlöserkirche und Mitglieder des Frankfurter Opernorchesters hatten voller Inbrunst „Ein deutsches Requiem“ von Johannes Brahms aufgeführt, das dieser zum Tode seiner Mutter geschrieben hatte. Der damalige Bad Homburger Oberbürgermeister Wolfgang R. Assmann suchte in seiner Ansprache die Betroffenheit, den Schock der Menschen in Worte zu fassen: „Voll sprachlosen Entsetzens suchen die Menschen nach einer Möglichkeit, ihre innere Verbundenheit und ihr Mitgefühl mit dem Toten und seiner Familie zum Ausdruck zu bringen.“ Nach dem Mord hatte sich – wie Mehltau – noch Tage lang eine bedrückte Stimmung nicht nur über Bad Homburg gelegt, den Wohnort Alfred Herrhausens. In der gesamten Republik nahm man wahr, dass da ein ganz extremer Mensch aus dem Leben gebombt worden war, einer der ganz groß denken konnte und an dem sich die Geister schieden, den Assmann so beschrieb: „Der Mensch Alfred Herrhausen war anders als das Klischee vom angeblichen Konzernschmied und Beherrscher der Politik, der die Macht der Banken in die Omnipotenz steigerte. Ganz im Gegenteil war Herrhausen ein Mann, der nicht nur Ideale hatte, sondern auch sein Leben danach ausrichtete, für den das Wort ,Ge- wissen‘ nicht nur abstrakter Begriff, sondern Handlungsauftrag war.“ Herrhausen war vom damaligen Vorstandssprecher Friedrich Wilhelm Christians zur Deutschen Bank geholt worden. Vier Tage vor seinem 40. Geburtstag wurde er zum Vorstandsmitglied berufen. Als er sich von seiner ersten Frau Ulla scheiden ließ, geriet er im damals noch durchgängig katholischen Vorstand in die Isolation, aus der ihn Christians später wieder heraus holte. Als „Stahlmoderator“ entwarf Herrhausen für die Bundesregierung eine Neuordnung der StahlIndustrie. Er schrieb Geschichte 1988 wurde er alleiniger Vorstandssprecher der Deutschen Bank, die er konsequent internationalisierte. Er machte sie zum „global player“ auf dem internationalen Markt. Unter ihm übernahm die Bank das britische Bankhaus Morgan Grenfell und lud dessen Chef John Craven ein, Mitglied im Vorstand der Deutschen Bank zu werden. Craven war der erste Ausländer im Führungsgremium einer deutschen Großbank. Mit ihm stieß die Deutsche Bank in die Londoner City vor. Mit diesem Deal schrieb Herrhausen Bankgeschichte. In Deutschland schrieb Herrhausen Industriegeschichte. Herrhausen war der Regisseur der Fusion des größten deutschen Industriekonzerns Daimler Benz mit dem größten deutsche Wehr- und Raumfahrtkonzern MBB. In seine Zeit fiel der Verkauf des Flick‘schen Industrie-Imperiums, das für die Deutsche Bank ein Jahrhundertgeschäft war. Unter seiner Führung wurde das Handelshaus Klöckner gerettet. Herrhausen war Berater und Freund von Bundeskanzler Helmut Kohl und rechtfertigte die Macht der Banken: „Natürlich haben wir Macht. Es ist nicht die Frage, ob wir Macht haben oder nicht, sondern die Frage ist, wie wir damit umgehen, ob wir sie verantwortungsbewusst einsetzen oder nicht.“ Der „Spiegel“ sah in Herrhausens Deutscher Bank schon eine Art „Nebenregierung: Mit 300 Milliarden Mark übersteigt die Bilanzsumme der Bank den Umfang des Bundeshaushalts. Ein Viertel des Außenhandels läuft über die Konten des Instituts. Kein wirklich großes Geschäft, keine Entscheidung von Gewicht in der Wirtschaft, bei denen die Spitzen der Deutschen Bank nicht beteiligt wären.“ Dem „Herrn des Geldes“ und seiner Macht widmete der „Spiegel“ eine Titelgeschichte. Nicht in deren Klischee passte Herrhausens Rolle als Vordenker in der damaligen, weltweiten „Schuldenkrise“. In der Gilde der Banken und nicht nur da löste er blankes Entsetzen aus, als er verlangte, den Entwicklungsländern bis zu 50 Prozent ihrer Schulden zu erlassen. Herrhausen wollte, wie er ein halbes Jahr vor seiner Ermordung unserer Zeitung sagte, „Einsichten in die Welt hineintragen“. Er nahm sich Zeit und empfing damals in Frankfurt, in den gläsernen Türmen an der Taunusanlage, den Abiturienten Nils Genzmer zum Interview. Genzmer war Redakteur der Schülerzeitung des Kaiserin-Friedrich-Gymnasiums. Mit ihm sprach Herrhausen über Studium oder Banklehre, über Ziele, Fleiß, den Nutzen einer Lebensplanung: „Es kommt immer anders als man denkt.“ Herrhausen sinnierte über Macht, Einfluss, Dritte Welt, Steuern, Umverteilung, die Konkurrenz der Banken, über Eli- ten. Und er gab den Schülern, ja der gesamten jungen Generation mit auf den Weg: „Ich habe mir nicht das Rückgrat rausoperieren lassen. Wir brauchen keine Anpasser.“ Herrhausen war auf seine Art Aufklärer und Reformer. Er wollte „Einsichten in die Gesellschaft hineintragen“. Der Bankier vertrat die zutiefst katholische Ansicht: „Wir leben im Kontext der Einen Welt. Was irgendwo auf der Welt passiert, hat Folgen überall auf der Welt, also auch für uns.“ Herrhausen brach mit Tabus. Er focht damals mit dem behäbigen Vorstand der Deutschen Bank, in dem er zwar Sprecher war, aber nur gleichberechtigt neben vielen weiteren Vorständen, deren gemeinsame Entscheidung immer einstimmig erfolgen musste. So wollte es das Statut. Er war seiner Zeit voraus Alfred Herrhausen empfand als Last für die Deutsche Bank, dass damit das langsamste Vorstandmitglied das Tempo der Bank bestimmte. Erst Josef Ackermann wurde die Macht eines Vorstandsvorsitzenden zuerkannt. Der Vorstand wurde gestrafft. Der frühere Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Bank, Wilfried Guth, formulierte in einem Nachruf auf den Ermordeten: „Alfred Herrhausen war in vielem den Erkenntnissen und Entschlüssen seiner Zeitgenossen, nicht zuletzt auch der Politiker, ein gutes Stück voraus.“ Morgen lesen Sie: Der Schrecken am Tatort HINTERGRUND Freitag, 27. November 2009 Seite 3 Abgeriegelt: Ein großes Polizeiaufgebot sicherte den Tatort und musste vor allem die Journalisten in den Griff bekommen. Foto: Günther Von Matthias Kliem „Wir haben eine Schlacht verloren“ H arald Hollstein tritt seinen Dienst um 6.30 Uhr an. Der Polizeikommissar erledigt routinemäßig die ersten Geschäfte, wertet aus, plant den Tag, verteilt Aufträge. Knapp zwei Stunden später ist fürs Erste alles geregelt, Zeit für einen Kaffee. „Man hat dann eine gewisse Ruhephase“, erzählt der Polizeikommissar. Doch die Ruhe an diesem Morgen ist trügerisch. Mitten in die Entspannung platzt der Anruf: „Die Taunus Therme ist in die Luft geflogen.“ Von einer Sekunde auf die andere stehen die Bad Homburger Polizisten unter Strom. „Da gehen alle Antennen hoch. Da wird sofort alles, was da ist, auf die Beine gestellt“, schildert Hollstein die dramatischen Augenblicke und auch das instinktive Gefühl: „Irgendetwas stimmt da nicht, da muss mehr sein.“ Über Funk schickt er die Meldung heraus: „Eventuell Gas-Explosion in der Taunus Therme“. +++ Sie hatten schon mal die Esso-Tankstelle am Hessenring geplündert und sich auch ansonsten nicht gerade als Musterschüler gezeigt – man war also gewarnt vor den Anhängern der Offenbacher Kickers. Am Samstag würden sie wieder kommen. Zum Derby gegen die SpVgg 05 Bad Homburg, den Spitzenreiter der Fußball-Oberliga. 6000 Besucher werden erwartet, und deshalb darf am Sportplatz Sandelmühle nichts herumliegen, was nicht niet- und nagelfest ist. Erwin Paske hat sich auf den Weg gemacht, um den Ort zu inspizieren und der gerade erst montierten Tribüne und der dortigen Baustelle die Unbedenklichkeit zu bescheinigen. Der Routine-Job auf dem Sportgelände ist schnell erledigt. Und da 05-Geschäftsführer Klaus Beckerling den gleichen Rückweg hat, nimmt der Polizist den Sportfunktionär im Streifenwagen mit. Die beiden sind gerade vor der Pizzeria „Desirée“ in der Obergasse, als Paske am Funk die Stimme seines früheren Studienkollegen Hollstein hört. +++ Beim Landeskriminalamt ist für diesen Morgen eine Tagung der Führungskräfte angesetzt. Robert Philippi setzt sich in Kronberg in seinen Privatwagen und fährt nach Das feige Attentat auf Alfred Herrhausen vor genau 20 Jahren hat nicht nur die vornehme Kurstadt Bad Homburg von einer Sekunde auf die andere verändert. Es hat sich auch in das Gedächtnis vieler Menschen unauslöschlich eingebrannt. Angehörige, Freunde, Kollegen, Nachbarn, Einsatzkräfte und Politiker haben die dramatischen Ereignisse des 30. November 1989 noch heute in fester Erinnerung. Wir haben mit Wiesbaden. Der stellvertretende und den Blick freigibt. Paske sieht Einsatzleiter des Regierungspräsidi- das anthrazitfarbene Auto von Alums Darmstadt parkt das Auto, fred Herrhausen quer auf der Strageht zum LKA – und wird dort mit ße stehen, und da ist für ihn klar, den Worten empfangen: „Herr Phi- „was Sache ist“. lippi, Sie müssen sofort los. In Bad „Ein Riesendurcheinander. MenHomburg ist etwas passiert, könnte schen laufen hin und her. Autos ein Attentat sein.“ In solchen Situa- fahren in das Parkhaus rein und tionen gibt es nicht viel zu fragen. raus. Es ist das absolute Chaos.“ „Ich hab’ auf der Sohle kehrtgemacht.“ Zur selben Zeit startet mit dem selben Auftrag ein Team des Landeskriminalamts, rast mit Blaulicht und Martinshorn Richtung Autobahn. Philippi wählt den Weg über den TauAlfred Herrhausen † 30.11.1989 nus, fährt über die B 455. „Fragen Sie mich nicht, wie! Das Serie Teil 2 hätte gereicht für 100 Punkte in Flensburg und fünf Jahre Führer- Der Polizeibeamte setzt sich in den scheinentzug.“ Lange bevor die Streifenwagen, stößt zurück, bloKollegen des LKA eintreffen, steht ckiert die Ausfahrt, damit niemand der Kronberger mit seinem Wagen mehr über den Tatort fährt. Als er aus dem Wagen springt, holen Pasvor der Absperrung der Polizei. santen gerade den völlig verstörten +++ Fahrer von Herrhausen aus dem Um 8.34 Uhr durchfuhr der gepanzer- Autowrack, bringen ihn zur Bushalte Mercedes 500 die getarnte Infrarot- testelle am Straßenrand. Die PersoLichtschranke im Seedammweg und nenschützer der Deutschen Bank löste den Zünder für eine Bombe der rennen wild umher. „Die waren toRAF aus. Der Sprengsatz trifft die Li- tal irre, schockiert. Ich rief: ,Steckt mousine mit voller Wucht an der rech- eure Waffen weg, steckt die Dinger ten hinteren Seite, auf dem Rücksitz weg, bevor hier irgendwas passiert.’“ stirbt Alfred Herrhausen, VorstandsErwin Paske hechtet in seinen sprecher der Deutschen Bank. Streifenwagen, setzt einen Funkspruch ab, den er nie wieder verges+++ sen wird: „Hier Limes 11 23, hier Erwin Paske hat den Knall nicht ge- Limes 11 23, Ring 20, Ring 20, hört, seinen Fahrgast aber sofort hi- Schutzperson 2, Exitus.“ Zu dieser nauskomplimentiert. Er biegt mit Zeit ist der Römerwall Namensgeseinem Streifenwagen in den See- ber sämtlicher Einsatzwagen, „Ring dammweg. Er blickt zur Taunus 20“ legt die Raumtiefe für die RingTherme, sieht eine Rauchsäule, fahndung fest, und es gab keinen denkt sich: „Das ist es! Nein, das ist Polizeibeamten im ganzen Hoches doch nicht, das ist nur der auf- taunuskreis, der nicht wusste, wer steigende Wasserdampf in der kal- Schutzperson 2 ist. „Das war Herrten Luft.“ Er hat das Auto kaum ge- hausen.“ parkt, da sieht er, wie die +++ Menschentraube, die In der Polizeizentrale hören Hasich auf dem Seerald Hollstein und seine Kolledammweg gebilgen den Funkspruch. „Da geht det hatte, auseinatürlich Adrenalin hoch, da nander geht muss man funktionieren und alles rausholen, was man gelernt hat“, sagt der Dienstgruppenleiter. Und so läuft die Maschinerie an: Aus dem ganzen Haus werden die Kräfte zusammengetrommelt, es wird Kontakt mit der DRKLeitstelle hergestellt, Straßensperren werden aufgebaut, Autos überprüft und ein Kollege allein für die minutiöse Dokumentation der Befehle und Abläufe bestellt. Das Attentat Das Einsatzprotokoll der Bad Homburger Feuerwehr zeigt minutengenau, wie der dramatische Tag verlaufen ist – Peter Dietz wird ihn aber auch so niemals vergessen. Foto: Reichwein +++ Am Unglücksort Zeitzeugen aus den verschiedensten Bereichen des gesellschaftlichen Lebens über den Tag gesprochen, der die Republik erschütterte. In bewegenden Beiträgen schildern sie, was sie in den Stunden des jagt Erwin Paske die Schaulustigen weg, geht zum zertrümmerten Mercedes, sieht den regungslos im Fond liegenden Alfred Herrhausen. „Ich habe dann noch den Puls gesucht, aber da war nichts mehr.“ +++ Peter Dietz steht gerade mit einem Kameraden an der Werkbank der Feuerwache in der Schwalbacher Straße („Wir haben irgendetwas repariert, ich kann nicht mehr sagen, was das war“), als er den Knall hört. Sekunden später geht der Notruf ein: „Brennender Pkw, Taunus Therme, Parkdeck“. Um 8.43 Uhr trifft er am Unglücksort ein. Zu löschen gibt es für den Bad Homburger Feuerwehrmann und seine Kameraden nichts. Die Motorhaube der 2,8 Tonnen schweren Limousine ist weg, die Scheiben sind draußen, aber das Auto hat kein Feuer gefangen. Und trotz der immensen Wucht der Explosion läuft der Motor noch, die Aggregate brodeln. „Wir haben dann die Batterie abgeklemmt und der Polizei geholfen, den Tatort abzuriegeln.“ +++ In der Kaiser-Friedrich-Promenade denkt Jürgen Schickling zuerst an einen Flugzeugabsturz, als er den „fürchterlichen Schlag“ hört. Mit einem Kollegen nutzte der Rettungsassistent gerade die einsatzfreie Zeit, um in der Rotkreuz-Zentrale ein Reservefahrzeug zu reinigen – die Arbeit sollte er an diesem Tag nicht mehr vollenden. Kurz nach dem Knall kommt der Alarm über den Funkmelde-Empfänger. Wie bei der Feuerwehr ist von einem brennenden Auto auf dem Parkdeck die Rede, die Wirklichkeit sieht anders aus. „Ich konnte mir erst gar keinen Reim darauf machen“, beschreibt Schickling den Moment, als er im Seedammweg eintrifft. Die Sanitäter gehen zum Wrack des quer stehenden Wagens und müssen erkennen, dass für Alfred Herrhausen jede Hilfe zu spät kommt. Kurz darauf kommen weitere DRK-Kräfte, versorgen den Fahrer des Deutsche-Bank-Chefs und bringen ihn mit vergleichsweise leichten Verletzungen ins Bad Homburger Krankenhaus. Noch ist nicht klar, ob es vielleicht noch eine weitere Bombe gibt. Jürgen Schickling parkt seinen Rettungswagen in einer Seitenstraße und bleibt den Rest des Tages in unmittelbarer Nähe des Tatorts in Bereitschaft. +++ Es ist dieses Grün-Grau, mit dem alles überpudert ist. „Das wirkte auf mich geisterhaft, irgendwie unreal.“ Robert Philippi sollte die tris- Schreckens, der Trauer und der Fassungslosigkeit erlebt, gedacht und gefühlt haben. In der heutigen Folge unserer großen Serie kommen die Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr und Rotem Kreuz zu Wort. te Szenerie, die der Sprengsatz (von 7 kg ist die Rede) im Seedammweg hinterlassen hat, noch zwei Jahrzehnte später genau vor Augen haben. Er macht einen Bogen um den Tatort, will keine Spuren verwischen. Er trifft Erwin Paske, stellt sich vor, „und dann haben wir gemeinsam überlegt, was wir an Kräften brauchen, wo die Absperrung stehen muss, wer noch zu alarmieren ist“. Das Chaos muss beherrscht, der Job gemacht werden, für Emotionen ist da kein Raum. „Man funktioniert. Zumindest für mich kann ich das so sagen. Man muss sich von dem Ereignis lösen und versuchen, das Geschehen in den Griff zu bekommen“, erzählt Philippi. In den Griff bekommen müssen die Einsatzkräfte vor allem die Journalisten, die innerhalb kürzester Zeit in Scharen am Unglücksort eintreffen. Jeder will das Bild des Tages, ein Interview, eine Stellungnahme. „Es gab Pressevertreter, die sind sogar durch den Kanal gekrochen, um näher an den Tatort zu kommen“, hat Paske kopfschüttelnd beobachtet. Andere dringen auf das Herrhausen-Grundstück im Ellerhöhweg vor und drücken ihre Nasen an die Scheiben der Villa. Und eine Illustrierte schickt gar einen Hubschrauber über die Unglücksstelle, der Spuren verwirbelt und von Helikoptern der Polizei abgedrängt werden muss. Als er am Unglücksort eintrifft, ist auch Karl Weidinger schon dort. „Ich sehe das noch wie heute. Der Fahrer des Küchenwagens steigt aus, wird gefragt, ob er die Einsatzkräfte verpflegen kann, und sagt: ,Ich kann Kaffee kochen’“ – so beschreibt der damalige Rettungsdienstleiter für den Hochtaunuskreis die Situation. In den nächsten Stunden werden Weidinger und zahlreiche weitere DRK-Helfer das Essen für die Polizisten besorgen. Die Rotkreuzler nutzen ihren guten Draht zur Krankenhaus-Küche („Die hatten immer einen Kessel frei“), holen dort mehrere hundert Portionen ab und bahnen sich ihren Weg – teilweise mit Blaulicht und Polizei-Eskorte – zu den Beamten an der Einsatzstelle, den Straßensperren und im Kommissariat. +++ „Du lieber Gott. Ich kleiner Oberkommissar, jetzt mitten in einer so großen Lage. Was ist, wenn du jetzt falsch atmest oder den kleinsten Fehler machst?“, denkt Paske zwischendurch. Für lange Gedanken ist an diesem Tag keine Zeit, doch später wird man ins Grübeln geraten. „Es wird immer ein Ereignis +++ Der Einsatzleitwagen der Homburger Wehr wird für diesen Tag zur zentralen Anlaufstelle der Helfer und Ermittler. „Irgendwann gucke ich aus dem Wagen und denke: ,Was ist denn das jetzt?’ Das war RTL mit einem 20 Meter langen Teleskop-Ausleger, an dem eine große Satellitenschüssel hing.“ Jeder telefoniert, schon bald ist das Netz zusammengebrochen. Selbst die Geräte der Polizei funktionieren nicht mehr. Zum Glück gibt es bei der Gonzenheimer Feuerwehr einen Kameraden, der als Fernmelder bei der Post arbeitet. Es ist 10.32 Uhr, als Udo Schmidt alarmiert wird und dem Krisenstab über einen Verteilerkasten am Straßenrand und Anschlüsse in Nachbarhäusern eine stabile Verbindung herstellt. Später wird die Feuerwehr dem Bundeskriminalamt (BKA) sogar noch Funkgeräte aus eigenen Lagerbeständen besorgen, weil die BKA-Geräte ihren Dienst versagen. +++ Inzwischen sind mehrere Hundertschaften an Polizisten im Einsatz, und das schafft ein weiteres Problem: Sie müssen verpflegt werden. Auf die Schnelle wird aus Wiesbaden ein Küchenwagen geschickt. Amtsgerichts arbeiteten, sollen sogar noch gefragt haben, warum sie da so rummeißeln, ob sie kein ordentliches Werkzeug hätten. Und nicht zuletzt das silberfarbene Jugendfahrrad Marke „Globus 2000“, auf dem die tödliche Bombe – versteckt in einer weißen Plastiktasche – montiert war. Es stand an einem Begrenzungspfahl, und keiner dachte sich etwas dabei. Auch nicht die Personenschützer, die im Auto vor Herrhausen saßen und zuerst daran vorbeigefahren waren. Die Definition „Verkettung unglücklicher Umstände“ wird bemüht, soll aber keine Entschuldigung sein. Hinzu kam eine bis dahin nicht dagewesene Perfektion. „So präzise vorzugehen – da kann man nur sagen: Das sind GuerillaErfahrungen“, ist Harald Hollstein überzeugt. Dass die dritte RAF-Generation über internationale Kontakte verfügte, gilt inzwischen als sicher. Schon ein Jahr vor dem Anschlag sollen die deutschen Terroristen sich bei den italienischen Brigate Rosse nach panzerbrechenden Waffen erkundigt haben. +++ Paske und Philippi bleiben bis in die Abendstunden am Unglücksort. „Der Tag hatte für mich kein Ende, Zeit spielte keine Rolle“, sagt Paske, und dann wird er nachdenklich: „Das war mein Tatort. Das war mein Tatort. Ich habe das damals als persönliche berufliche Niederlage empfunden. Wir haben da eine Schlacht gegen den Terrorismus verloren. Das ist heute noch meine Ansicht. Wir wussten ja um die Gefährdung von Herrhausen. Wir wussten es ja.“ Die Hoffnung, den berühmten Fingerabdruck auf dem hinteren Kennzeichen zu finden (RAF-Terrorist hatten sich eine Zeitlang auf diese Art zu Anschlägen bekannt), erfüllte sich nicht. „Ich wüsste gerne und kann mir vorstellen, die Familie Herrhausen wüsste es noch lieber, wer das getan hat. Wer die feigen Täter sind. Für mich war das feige“, sagt Paske. +++ Wegen der massiven Polizeikontrollen (hier am Hessenring) ging in Bad Homburg stundenlang gar nichts. Am Nachmittag wurden sogar Staus bis Mainz und Aschaffenburg gemeldet. Foto: Bender geben, das es noch nicht gab. Ein Ereignis, wo die Umstände so sind, dass eine Lücke entsteht, und es passieren kann. Es gibt keine absolute Sicherheit“, analysiert Phillipi. Im Fall Herrhausen weiß man später, dass der Hausmeister der Taunus Therme Wochen vor dem Anschlag einen Klingeldraht im Gebüsch entdeckte und sich nichts weiter dabei gedacht hat. Man wird erfahren, dass Männer, die als Bauarbeiter verkleidet waren, den Gehweg aufstemmten, um ein Kabel zu verlegen. Handwerker, die gerade am Neubau des benachbarten Erwin Paske ist heute Leiter der Polizeistation Königstein. Den Unglücksort und die 1996 im Seedammweg aufgestellten Steinsäulen, die an Alfred Herrhausen und das feige Attentat erinnern, sieht er noch häufig – immer, wenn er zum Schwimmen geht. An jedem Jahrestag des Verbrechens liegt dort ein Kranz von Helmut Kohl, der Herrhausen duzte und freundschaftlich „Don Alfredo“ nannte. Den Polizisten lässt das stille Gedenken am Ort des grausamen Geschehens nicht unberührt: „Ich gehe dann schon mal hin und ziehe die Schleifen glatt.“ Morgen lesen Sie: Journalisten, die zuerst am Tatort waren, berichten Zum Reinhören: Die Interviews mit den Einsatzkräften unter www.fnp.de/einsatzkraefte/ HINTERGRUND Samstag, 28. November 2009 Seite 3 Bis hierhin und nicht weiter: Die Journalisten wurden von der Polizei hinter die Absperrung geschickt. Foto: Jochen Günther Die Jagd nach dem Bild des Tages Von Matthias Kliem D as Bild ist um die Welt gegangen. Das Wrack des anthrazitfarbenen Mercedes 500, in dem Alfred Herrhausen starb, wird am 30. November von sämtlichen Nachrichtagenturen verbreitet und auf allen Sendern gezeigt. So groß die Schar der Journalisten ist, die zum Unglücksort geeilt sind, so stereotyp muten die Bilder an: stets das gleiche Motiv, stets die gleiche Perspektive. Der Grund ist schnell erzählt: Die Polizei hat den Ort des Verbrechens innerhalb kürzester Zeit abgeriegelt, Fotografen und Kamerateams werden nur noch blockweise bis zur Absperrung vorgelassen und dann wieder ins Glied zurückgeschickt. Zwei Journalisten allerdings machen an diesem Tag Aufnahmen, die kein anderer hat: Joachim Storch und Dr. Hans Liedel. Knirschen unter den Füßen „Als ich in den Seedammweg kam, war die Feuerwehr schon da, aber es war noch alles offen“, erinnert sich Joachim Storch. Der Bad Homburger fotografiert die Unglücksstelle aus den unterschiedlichsten Perspektiven, hat das Gefühl, auf knirschendem Kies zu laufen, aber das sind die Glassplitter. „Es hat auch keiner etwas gesagt. Ich habe dann meine Bilder gemacht, bis jemand vom Landeskriminalamt kam und sagte: ,Hier läuft keiner mehr rum’. Dann musste ich hinter die Sperrgitter, konnte nur noch aus der Ferne fotografieren.“ Dass es sich bei dem Opfer, das sich zu diesem Joachim Storch mit seiner alten Kamera (eine Nikon F 3), mit der er damals die Aufnahmen von dem HerrhausenAttentat machte. Foto: Rhode Schlagzeilen nach dem Anschlag auf Herrhausen Der Anschlag der RAF-Terroristen auf den Deutsche-Bank-Chef war in den Medien natürlich das allein beherrschende Thema in den Tagen nach dem 30. November 1989. Alle Tageszeitungen und Magazine widmeten dem heimtückischen Mord an Alfred Herrhausen eine große Aufmachung. Hier eine Auswahl der Titelseiten. Es war ein Tag, der Polizei und Helfern alles abverlangte. Dem Anschlag auf Alfred Herrhausen vor genau 20 Jahren folgte ein Großeinsatz, bei dem alles auf den Beinen war, was auf die Schnelle mobilisiert werden konnte. Doch auch eine andere Berufsgruppe hatte am 30. November 1989 einen Einsatz, für den alle verfügbaren Kräfte zusammengetrommelt wurden und den die Beteiligten nicht mehr vergessen sollten: Zeitpunkt noch in dem Wagen be- seine Bilder zusammen. „Ich bin findet, um den Vorstandssprecher dann in meine Wohnung in Gonder Deutschen Bank und mithin ei- zenheim gefahren und habe in meinen der mächtigsten Wirtschafts- nem kleinen Labor die Negativführer der Republik handelt, er- streifen entwickelt“ – und schon fährt Storch erst jetzt. „Das ist dann dabei ist er nicht mehr allein. „Unirgendwann durchgesickert.“ terwegs hatten mich Leute von der Als freier Mitarbeiter für die lokale Presse ist der damalige Jura-Student auf Berichte über die Einsätze der Feuerwehr spezialisiert. „Damit hatte ich mir im Laufe der Jahre einen Namen gemacht. Und dann kennt man natürlich Einsatzkräfte, die BeAlfred Herrhausen † 30.11.1989 scheid sagen, wenn irgendwo etwas los ist. Und so war das auch Serie Teil 3 an diesem Tag.“ Die Meldung, die Storch am ,Bunte’ angesprochen und gefragt, Morgen nach der Zeitungslektüre ob sie Bildmaterial haben könnund dem lauten Explosions- ten.“ Einem Geistesblitz folgend knall erreicht, lautet kurz und ruft Storch seinerseits noch die Reknapp: Vor dem Seedamm- daktion des „Stern“ an – und schon bad ist der Tank eines Autos ist er mittendrin im schonungsloexplodiert. „Da war nichts sen Bieterkampf der Medien um von Attentat oder Terror die brisanteste Nachricht und das oder wer da im Auto beste Foto. Später wird er einmal saß.“ Doch so sagen, dass er alles „wie in Trance“ vermeintlich erlebt hat. harmlos „Da saß dann der ,Bunte’-Reporsich die ers- ter in meinem kleinen Wohnzimten Infor- mer, wo der Ölofen, den ich mit der mationen Kanne befüllen musste, vor sich hin anhören, bullerte, während ich mit dem so dra- ,Stern’ telefonierte“, schildert Joamatisch chim Storch die Situation, die für verläuft ihn etwas Surreales hat. „Die haben der wei- mir für meine drei Filme mit je tere Tag des 36 Schwarz-Weiß-Aufnahmen Preise jungen Repor- um die Ohren gehauen, die für ters. mich unvorstellbar waren. Ich habe Noch drei, das null forciert, ich habe nur dagevier Stunden sessen und wusste nicht, wie mir bleibt Joa- geschah.“ chim Storch Irgendwann im fünfstelligen Beam Un- reich steigt die „Bunte“ aus, doch glücksort, der Journalist der großen Illustrierdann hat er ten gibt dem unerfahrenen Lokalre- Das Attentat die Journalisten. Aus der ganzen Republik und sogar aus dem Ausland eilten Medienvertreter nach Bad Homburg, ganze Straßenzüge waren von Pressefahrzeugen und Übertragungswagen zugeparkt. Im porter ein Zeichen und sagt leise: „Mach weiter!“ Wenig später ist man sich handelseinig. Therme-Chef als Türöffner dritten Teil unserer Serie berichten der Fotograf Joachim Storch und der damalige Redaktionsleiter der Taunus Zeitung, Dr. Hans Liedel, wie sie diesen dramatischen und unvergessenen Tag erlebten. Erst da blickt der Lokaljournalist hinter sich und sieht die rund 50 Medienvertreter, die mit ihren Foto-Apparaten und Kameras frustriert hinter der Absperrung verharren. „Ich bin von der Taunus Zeitung, ich bin von der Taunus Zeitung“, ruft Liedel – „aber das hat die Polizisten überhaupt nicht interessiert.“ Und hätte nicht der Geschäftsführer der Taunus Therme das vertraute Gesicht des jungen Mannes entdeckt – es wäre Hans Liedel wohl nicht anderes übriggeblieben, als sich hinter dem Flatterband zu den wartenden Kollegen zu gesellen. So aber bietet sich ihm eine einmalige Chance: Durch die Katakomben der Therme gelangt er Als Hans Liedel an diesem Tag nach Bad Homburg kommt, ist irgendetwas anders. Auf einer Brücke über der Autobahn hat der damalige Redaktionsleiter der Taunus Zeitung schon einen Polizisten mit Maschinenpistole gesehen und eine Großfahndung vermutet. Kurz darauf fährt er über die Pappelallee in die Stadt und nimmt erst gar nicht so recht wahr, dass ihm nur wenige Autos entgegen kommen. Sekunden später weiß er, warum: Die Polizei hat die Ausfallstraßen abgeriegelt. Während er sich noch wundert, kommt im Autoradio die Nachricht: „Attentat auf Herrhausen in Bad Homburg“. „Als Lokalreporter läuft man in einem solchen Moment heiß. Ich bin in die Redaktion geeilt, hab’ Dem damaligen Redaktionsleiter der Taunus Zeidie Kamera geholt, bin die Kaiser-Fried- tung, Hans Liedel, gelang es, den Zündmechanisrich-Promenade ent- mus der Bombe zu fotografieren. lang gerast und bekam doch tatsächlich kurz vor dem zum Seufzerpfad, der den Kurpark Seedammweg noch einen Park- mit dem Seedammweg verbindet. platz.“ Hans Liedel rennt um die „Dort war der Zünder in die Erde Kurve, sieht das rot-weiße Flatter- eingegraben“, erinnert sich Liedel. band, springt mit einem Satz drü- „Ich durfte ihn fotografieren, und ber und sieht das schockierende so hatte die Frankfurter Neue PresBild der zertrümmerten Limousine. se ein Foto, das sonst niemand in Er muss nicht überlegen, was als der ganzen Republik hatte.“ Erst Nächstes zu tun ist – die Polizei später sollte es auch in „Stern“ und nimmt ihm die Entscheidung ab: „Spiegel“ zu sehen sein – sie be„Stehen bleiben! Zurück! Was glau- sorgten sich die Aufnahme von ben Sie, warum hier abgesperrt ist!“ dem forschen Bad Homburger Lo- kaljournalisten, der heute stellvertretender Chefredakteur der Frankfurter Neuen Presse ist. Hans Liedel befragt noch einige Augenzeugen, macht sich dann wieder auf den Weg in die Redaktion und greift zum Telefon. „Wir wollten natürlich wissen, was macht Frau Herrhausen, was ist mit den Kindern? Nur mit Mühe konnten wir in Erfahrung bringen, dass sie die Tochter aus der Schule abgeholt hatte. Dann gingen im übertragenen Sinne die Vorhänge runter, und es war für uns auch eine Frage des Respekts gegenüber den Angehörigen, dass man in seinem Informations-Beschaffungs-Eifer zurücksteckt und es gut sein lässt.“ Kein Lachen in der Stadt Am späten Nachmittag geht Hans Liedel über die Louisenstraße. Die Stimmung, die er dabei verspürt, ist ihm noch heute gegenwärtig: „Ich hatte den Eindruck, es ist viel leiser in der Stadt. Man hat gar kein Lachen vernommen. Die Leute haben nicht viel geredet. Es war bedrückend. Ich bin mir sicher, dass ich mir das nicht nur eingebildet habe – es war so.“ Der Journalist trifft Ernst Schneidereit, den Vorsitzenden der örtlichen Aktionsgemeinschaft. Ein Mann, mit dem er schon oft und gern geredet hat – aber an diesem Tag ist beiden nicht nach Reden zumute. „Wir haben uns die Hände gegeben, als würden wir uns gegenseitig Beileid wünschen. Aber wir haben quasi nichts gesagt und sind dann weitergegangen.“ Im Flieger nach Hamburg Was im großen Nachrichten-Geschäft zum Alltag gehört, macht Joachim Storch noch heute zu schaffen: „Ich habe nach wie vor Probleme damit. Ich finde es irgendwie makaber, mit einem so schrecklichen Ereignis Geld zu verdienen – aber so eiskalt geht es manchmal im Journalismus zu.“ Die „Stern“-Redaktion hat sich nicht nur die Foto-Rechte für ein Sonderheft gesichert, sie will auch die Negative haben – noch am gleichen Tag. „Die sagten zu mir, ich soll mich jetzt sofort in die nächste Maschine setzen und nach Hamburg fliegen“, erinnert sich Storch. Ganz Bad Homburg ist abgeriegelt, auf den Straßen geht nichts mehr. „Zum Glück hatte ich durch meine Spaziergänge mit meinem Hund gute Ortskenntnis und bin dann mit meinem kleinen SuzukiGeländewagen völlig unbehelligt über einen Feldweg auf die Autobahn gekommen.“ Storch fliegt nach Hamburg, liefert seine Negative ab und fährt – weil es keine Flüge mehr gibt – noch in der gleichen Nacht mit einem Sixt-Mietwagen wieder zurück. „Ich war tief beeindruckt“ Nur wenige Wochen nach dem Attentat trifft sich Hans Liedel zu einem Gespräch mit Traudl Herrhausen. „Diesen Tag werde ich nie vergessen“, sagt der Journalist. Die beiden sitzen an einem Tisch, Liedel hat den Notizblock gezückt, macht Notizen, stellt Fragen – und dann kommt der Fotograf. Blitzlicht flackert auf, und plötzlich stoppt Traudl Herrhausen die Aufnahmen. Sie hat Tränen in den Augen: „Bitte lassen Sie uns einfach so reden und machen Sie nichts für die Zeitung.“ „Es war zu früh“, muss der Redakteur erkennen. „Ich habe das natürlich akzeptiert und durfte noch eine gute Stunde mit ihr reden, über Alfred Herrhausen, seine Pläne, seine Ziele, seine Visionen, über die Deutsche Bank. Ich war tief beeindruckt.“ Montag lesen Sie: Wie die Nachbarn das Attentat erlebten Zum Reinhören: Was Journalisten erlebt haben unter www.fnp.de/presse/ SERIE Seite 16 Montag, 30. November 2009 Dramatische Stunden im Sperrgebiet Der Ort, an dem Alfred Herrhausen stirbt, ist kein einsamer Fleck: Taunus Therme, Seedammbad, Amtsgericht, Kaiser-Friedrich-Gymnasium und zahlreiche Wohnhäuser befinden sich in unmittelbarer Nähe. Am 30. November 1989 halten sich dort viele Menschen auf. Sie sind die ersten Zeugen des schrecklichen Verbrechens. Im vierten Teil unserer Serie schildern sie ihre Erlebnisse. Von Marc Kolbe und Anke Hillebrecht W as wäre, wenn? Diese Frage hat sich Dirk Langbecker oft gestellt. Was wäre, wenn er an diesem Tag nur einen Hauch später über die Straße gegangen wäre? Wenn er sich beim Ablesen des Zählerstands im Parkhaus etwas mehr Zeit genommen hätte? Wenn er noch einen Augenblick vor der Tür verharrt hätte, bevor er durch den Personaleingang wieder die Taunus Therme betrat? Am heutigen Montag hat er Geburtstag, seinen „46.“. Seit dem 30. November 1989 hat er doppelten Grund, diesen Tag zu feiern: Dirk Langbecker war nur wenige Meter entfernt, als die Bombe in die Limousine von Alfred Herrhausen einschlug. „Nein, diesen Tag werde ich niemals vergessen. Ich war ja hautnah dabei, wäre fast selbst in die Luft geflogen. Das hat einen unheimlichen Schlag getan.“ Am Morgen trinkt er mit seiner damaligen Freundin (und heutigen Frau) noch schnell einen Kaffee und macht sich gegen 6 Uhr auf den Weg zur Therme, wo er seit fünf Jahren als Techniker arbeitet. Ein verdächtiger Mann „Ich war bester Stimmung – und das nicht nur, weil ich Geburtstag hatte, sondern auch, weil ich deswegen schon um 14 statt um 16 Uhr Schichtende haben sollte.“ Um kurz vor halb 9 Uhr geht er ins Parkhaus auf der gegenüberliegenden Straßenseite des Seedammwegs. Im Technikraum stellt er den Zähler, der die ein- und ausfahrenden Autos registriert, auf null. Reine Routine. Anschließend geht er zurück zur Therme. „Gerade als ich durch den Personaleingang das Gebäude betreten wollte, fiel mir oben auf dem Seufzerpfad ein Mann auf. Dieser Pfad führt vom Seedammweg über die Augusta-Allee in den Kurpark. Der Legende nach heißt der Pfad so, weil Zocker, die in der Spielbank Geld verloren hatten, dort seufzend entlanggelaufen sind. Und von diesem Pfad führt auch eine Treppe zum Gelände der Taunus Therme, und genau an dieser Stelle stand nun dieser Mann. Er trug einen grauen Jogginganzug, eine Daunenweste und eine dunkle Pudelmütze. Irgendwie machte er aufgrund sei- nes Körperbaus einen militärischen Eindruck auf mich.“ Dirk Langbecker wundert sich für einen Moment, warum diese ominöse Person da nur rumsteht und nicht weiter joggt oder läuft. Er betritt die Taunus Therme über den Personaleingang – und dann macht es einen Riesenschlag. Eine gigantische Druckwelle reißt die vier schweren Eisentüren an der Gebäudefront zum Seedammweg aus der Verankerung, etliche Scheiben zerspringen. Angst vor Schießerei „Mein Auto, ein Peugeot 205, sah aus wie durchlöchert. Unzählige Steine waren in die Karosserie eingeschlagen. Ich bin dann sofort mit meinem Vater, der damals Technischer Leiter der Therme war, rausgerannt. Dabei sah ich auch, wie der merkwürdige Jogger Richtung Augusta-Allee wegrannte.“ Zuerst denken die beiden an eine Gas-Explosion, weil ein Kollege kurz zuvor noch gesagt hatte, dass er eine Gas-Leitung im Kino der Therme überprüfen wolle. Aber: Fehlanzeige. Vater und Sohn vermuten dann einen Unfall und rennen die Zufahrt hinauf auf den Seedammweg. „Da stand eine völlig zerstörte naleingang gewesen, hätte das für Mercedes-Limousine, und ich mich schlimm ausgehen können“, konnte auch Dr. Herrhausen auf weiß Langbecker. „Dann hätte ich dem Rücksitz sehen. In diesem Mo- die herumfliegenden Steine in den ment stieg der Fahrer, mit einer Rücken bekommen. Ich hatte ja an Waffe in der Hand, aus dem Fahr- meinem Auto gesehen, mit welcher zeug aus. Auch die Leibwächter – Wucht die Steine das Blech durchebenfalls bewaffnet – hatten die Be- schlagen hatten.“ gleitfahrzeuge verlassen. Sofort Innerhalb weniger Minuten brach ein riewimmelt es siges Chaos vor Polizisten, aus.“ wenig später Jetzt ist den kreisen HubTherme-Beschrauber schäftigten über dem Tatklar: Es kann ort. Das Persosich nur um nal und die ein Bomben- Alfred Herrhausen † 30.11.1989 rund 100 GäsAttentat han- Serie Teil 4 te dürfen die deln. Um Therme nicht nicht selbst in die Schusslinie zu verlassen. Immer wieder werden geraten („Irgendwie war ich über- Mitarbeiter und Besucher von der zeugt, dass hier gleich eine Schieße- Polizei befragt. An Feierabend um rei losgeht“), ziehen sich die beiden 14 Uhr ist für Dirk Langbecker in die Therme zurück. Dort wird längst nicht mehr zu denken – Dirk Langbecker so langsam be- überhaupt ist das Interesse an seiwusst, was für ein Glück er gerade ner Person immens. hatte. „Ich war Luftlinie gerade mal Vor der Therme hatten sich un100 Meter von der Explosion ent- zählige Pressevertreter versammelt. fernt. Wäre ich nur ein paar Sekun- „Einige boten mir für ein Stateden später an der Tür zum Perso- ment sogar Geld an. Da standen dann plötzlich viele Leute, Trittbrettfahrer, die behaupteten, irgendwas gesehen zu haben. Ich selbst habe aber nur kurz mit einem Fernsehsender gesprochen.“ Am frühen Abend darf Dirk Langbecker gehen, zu Hause warten bereits die ersten Gäste der Geburtstagsparty. Die Polizei lotst den jungen Mann um die Pressemeute herum und bringt ihn zu einem Taxi. „Zu Hause wollten dann alle wissen, was passiert war – die Stimmung war schon komisch.“ Das Attentat Scheiben zerbersten Die Detonation war so stark, dass die große Glaswand im Seedammbad zerbarst. Fred Winkler (77) hat das Bild noch vor Augen. Foto: Reichwein Auch Fred Winkler (77) erinnert sich noch heute an die ohrenbetäubende Detonation. „Ich saß in meinem Büro“, erzählt der damalige Leiter des Seedammbads. Zuerst Es dauerte nur kurz, dann war der Tatort hermetisch abgeriegelt. Selbst Anwohner kamen nur noch durch die Sperren, wenn sie ihren Ausweis vorzeigten. Foto: Bender denkt er, dass etwas auf der Baustelle passiert ist (zu der Zeit wird gerade das Seedammbad umgebaut). „Als ich aus meinem Büro rauskam und ins Schwimmbad laufen wollte, sah ich, dass von der neuen abgehängten Decke Paneele herausgebrochen waren.“ Als er rüber zur Taunus Therme schaut, sieht Winkler eine Qualmwolke. „Da war mir klar, dass dort was Schlimmes passiert sein musste.“ Zunächst denkt er an die Therme selbst – sie hatte ja schon mal gebrannt. Winkler läuft hinaus, und auch seine Frau eilt aus der im Seedammbad gelegenen Dienstwohnung herbei. Zur gleichen Zeit, so erinnert sich der heute 77-Jährige, kommt der Leiter der Baustelle am Amtsgericht angerannt (das ebenfalls gerade umgebaut wird). „Der Bauleiter – ein großer, starker Mann – lief mit meiner Frau sofort zum Seedammweg. Sie waren bei den Ersten, die am Tatort eintrafen.“ Winkler selbst bleibt etwas weiter entfernt stehen. Von dort sieht er Herrhausens völlig demolierten Wagen schräg vor der Einfahrt der Taunus Therme stehen. „Hinter dem Fahrzeug stand noch ein Mercedes, den seh’ ich noch genau vor mir“, berichtet der Pensionär. „Der hatte die Kofferraum-Klappe auf, und es lag eine Maschinenpistole drin.“ Die Waffe gehört ganz offensichtlich dem Sicherheitspersonal. Die Detonation war so gewaltig, dass die Tore der Garagen am Seedammbad aufgedrückt sind. „An der einen Seite zu den Umkleiden hin haben wir eine große Glasfront – die Scheiben waren alle zerstört“, sagt Winkler. Dass im Schwimmbad niemandem etwas passiert ist, ist ein Glücksfall – gewöhnlich halten sich um diese Zeit Schulklassen im Bad auf. Noch am Vormittag sieht Winkler, wie ein Hubschrauber auf dem Freibad-Gelände landet. Darin sitzt der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU). „Er kam mit einer Gefolgschaft und lief an mir vorbei“, erinnert sich der Rentner. „Es war alles so grausam“ Hertha Liebel kann es bis heute nicht verstehen. Warum bloß, fragt sich die 74-Jährige noch immer, warum bloß haben die Personenschützer im vorausfahrenden Auto das Fahrrad am Straßenrand nicht bemerkt? Die gleiche Frage wird in den Tagen, Wochen und Monaten nach dem 30. November 1989 noch oft und von vielen Menschen gestellt werden, und stets klingt in ihr etwas vergeblich Flehendes mit – ein fast schon beschwörender Unterton, der ausdrücken soll: Es wäre doch so einfach gewesen, die Tragödie zu verhindern. Hertha Liebel wohnt im Seedammweg. Und dort ist sie auch, als an dem kalten Novembermorgen ein lauter Knall die morgendliche Stille durchbricht. „Nichts wie raus“, ist das Erste, was der Anwohnerin in den Kopf schießt. Sie eilt vom Keller des Gebäudes ins Freie, weil sie eine Explosion in ihrem eigenen Haus vermutet. Doch draußen fällt der Blick schnell auf eine dichte Nebelwand, die sich in Richtung Seedammbad gebildet hat. Als sich der Dunst auflöst, ist der Schrecken groß: „Ich sah die Umrisse eines Autos und kurz darauf das grauenhafte Ausmaß des Anschlags“, berichtet Hertha Liebel. Die Ungewissheit, was genau sich an diesem Morgen vor der eigenen Haustür ereignet hat, dauert nicht lange. „Frau Herrhausen kam an die Unglücksstelle – da wusste jeder, dass der furchtbare Anschlag Herrn Herrhausen gegolten hatte.“ In den folgenden Stunden und Tagen ist die ganze Gegend von Polizisten abgeriegelt. Die heimi- schen Beamten werden durch wei- Fahrrad wegzuräumen . . .“, erinnert tere Einsatzkräfte verstärkt. „Und sich Langbecker. Das Interesse der Polizei an den da diese jungen Männer auch in der Nacht nach Beweisstücken Beobachtungen des Therme-Technisuchten und die Nächte sehr kalt kers hält noch bis nach der Wende waren, habe ich sie mit heißem Tee an. Inzwischen sind die Terroristen, die in der DDR untergetaucht waund Stollen versorgt.“ ren, festgenomInzwischen men – und desgeht die Nachhalb muss Dirk richt über alle Langbecker soSender. „Vergar einmal zu wandte und einer GegenFreunde riefen überstellung an, sorgten sich, nach Stammweil unser Haus heim. „Da wurja in unmittelde mir dann der barer Nähe des RAF-Terrorist Tatorts war“, erinnert sich Her- Am Tatort wurden die Polizisten Henning Beer gezeigt, aber das tha Liebel und von Anwohnern versorgt. war nicht der sagt noch heute: „Es war alles so grauenhaft. Mann, den ich auf dem Seufzerpfad Auch heute noch und gerade am gesehen hatte.“ Auch die Medien melden sich 20. Todestag von Herrn Herrhausen fragt man sich immer wieder, wa- wieder und wieder bei ihm. Einmal rum musste das geschehen und wer wird Langbecker von einem Privatsender interviewt. Dessen Reporter hat das getan?“ verfolgen die Theorie, dass HerrKabel einfach aufgerollt hausen nicht von der RAF ermorFragen, die auch in den Tagen nach det wurde, sondern von den Ameridem Anschlag die Ermittler be- kanern – unter anderem wegen des schäftigen. Immer wieder muss von ihm vorgeschlagenen SchulDirk Langbecker zur Polizei, im- denerlasses für die Dritte Welt. Der mer wieder wird er von der Sonder- Beitrag wird aber kurzfristig abgekommission verhört. Dabei interes- setzt. „Wir hatten schon vor dem sieren sich die Beamten vor allem Fernseher gesessen.“ für einen Zwischenfall, der sich Auch 20 Jahre nach dem Attentat drei Wochen vor dem eigentlichen denkt Dirk Langbecker noch oft Attentat abgespielt hatte. Der da- über den 30. November 1989 nach. malige Therme-Hausmeister hatte „Vor allem, wenn ich Geburtstag beim Schneiden der Hecke zum habe, den feiere ich seitdem als Seufzerpfad einen grün-weißen doppelten Geburtstag.“ Klingeldraht entdeckt. „Er hatte bei uns nachgefragt, wofür der verlegt worden sei. Da Morgen lesen Sie: wir mit dem Kabel nichts anfangen konnten, haben wir es aufgerollt. Wie Lehrer und Schüler Uns war auch das angekettete Fahr- den Tag erlebten rad aufgefallen, an dem später die Sprengladung befestigt wurde. Das stand da irgendwie doof rum. Wir Zum Reinhören: Interviews mit Zeitzeugen finhatten noch überlegt, auch das den Sie unter www.fnp.de/herrhausen . . . und plötzlich stand der Kanzler da Karin Volhard (75) eilte am Tag des Attentats zu Traudl Herrhausen und begegnete dort auch Helmut Kohl Ein liebgewonnener Mensch ist ermordet worden – Karin Volhard hat das am 30. November 1989 erlebt. An alles Mögliche denkt die FDP-Politikerin an diesem Tag, aber ganz sicher nicht an die Parlamentssitzung am Abend. Von Anke Hillebrecht Die Heinrich-von-Kleist-Straße ist eine ruhige Straße im Bad Homburger Hardtwald. Dort wohnt das Ehepaar Volhard, enge Freunde der Familie Herrhausen. Ein Anruf ihres Mannes reißt Karin Volhard am 30. November 1989 jäh aus ihrem Alltag: Rüdiger Volhard hat soeben in einer Sitzung in Frankfurt von dem Unfassbaren erfahren – dem Mord an Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen. Dem Schock folgt die Unsicherheit – wie kann man helfen, was kann man tun? Der Ehemann rät seiner Frau, nicht sofort zu Traudl Herrhausen zu fahren. Wie gelähmt sitzt Karin Volhard mit ihrem Sohn Robert in der Küche – er hat heute später Schule. Vom Tisch kann sie auf die Straße schauen. Ein Auto nach dem anderen Karin Volhard schiebt sich vorbei – diese Erinnerung ist bei der heute 75-Jährigen ganz stark. „Überm Hardtwald kreisten Hubschrauber im blauen Himmel, und draußen auf der Straße war diese Schlange von schweigenden Autos.“ Nach dem Attentat sind sämtliche Ausgänge der Stadt blockiert. „Ganz langsam bewegten sich die Autos eine ganze Zeitlang an unserem Haus vorbei. Es war erstaunlich und eine große Ruhe.“ Am frühen Nachmittag hält Karin Volhard nichts mehr in ihrem Haus. „Ich ging an meine Tiefkühltruhe und holte eine selbstgemachte Pastete heraus. Die hab’ ich eingepackt und bin ich mit dem Fahrrad zu Traudl Herrhausen gefahren. Ich wusste ja, mit dem Auto zu fahren, hatte überhaupt keinen Sinn.“ Karin Volhard hält Traudl Herrhausen im Arm. „Plötzlich ging die Tür auf, und herein kam Helmut Kohl – groß, breit und in einem blauen Anzug.“ Der Bundeskanzler ist kurz zuvor mit einem Hubschrauber in Homburg gelandet. „Er nahm Traudl Herrhausen in den Arm und sagte zu ihr: ,Nun wein’ doch mal.“ Es hat mich sehr bewegt, weil sich dieser Mann aus seinem Bonn so schnell zu diesen Freunden aufgemacht hatte – und dass er so ein treuer Freund war.“ Ein weiteres Bild ist Karin Volhard noch präsent: „Auf dem Frühstückstisch lag noch die Serviette von Alfred Herrhausen, mit silbernem Ring. Drei Servietten, für Mutter, Vater, Tochter. Das war furchtbar. Zu wissen, dass in dieser Sekunde sein ganzes Leben schon vorbei ist.“ Volhard stellt das mitgebrachte Essen in der Küche ab und fährt wieder. „Ich wollte nicht lange da rumstehen.“ Wieder zu Hause, ist nichts wie vorher. „Man hatte ja seinen Alltag, aber der war unterbrochen.“ Es ist Donnerstag, abends muss die FDPStadtverordnete zur Parlamentssitzung. Dass die zweite Haushaltslesung auf der Tagesordnung steht, weiß sie später nur noch, weil sie ihren Kalender von damals aufbewahrt hat. „Was besprochen wurde, war damals für mich völlig unwichtig“, sagt Karin Volhard. „In der Pause fragten wir uns: Wer bringt so einen Mann um, der gerade Vorschläge für die Entschuldung der Dritten Welt gemacht hatte? Was sind das für Leute?“ Trauer im Blick: Bundeskanzler Helmut Kohl kam nach dem Attentat nach Bad Homburg und sprach der Familie sein Mitgefühl aus. Foto: Markus Bender SERIE Seite 14 Dienstag, 1. Dezember 2009 So haben Schüler und Lehrer den Tatort gesehen Der Anblick hat Einsatzkräfte, Anwohner und Passanten schockiert. Die völlig zerstörte Limousine, in der Alfred Herrhausen am 30. November 1989 starb, ist ein Bild, das alle, die es gesehen haben, wohl nie mehr vergessen werden. Aber es waren nicht nur Erwachsene, denen sich dieser Anblick bot – auch viele junge Menschen sind kurz nach dem Anschlag an dieser Stelle vorbeigekommen. Immerhin befindet sich das Kaiserin-Friedrich-Gymnasium (KFG) in direkter Nähe. „Schüler, die erst zur zweiten Stunde Unterricht hatten, kamen unmittelbar nach dem Attentat am Ort des Geschehens im Seedammweg vorbei und stürmten anschließend voller Panik in die Schule. In ihrer Klasse und auch gegenüber mir persönlich berichteten sie darüber, was sie da gesehen hatten. Sie mussten erst einmal beruhigt werden“, erinnert sich der damalige Schulleiter Gerfried Stein (siehe auch Interview unten) an den dramatischen Tag vor 20 Jahren. Während der Großteil der Fotos und Filmaufnahmen, die anschließend um die ganze Welt gingen, den zertrümmerten Mercedes aus Sicht der Kaiser-Friedrich-Promenade zeigen, ist im nebenstehenden Bild die Perspektive aus Richtung des Gymnasiums und der Homburger Villengegend zu sehen. Foto: Markus Bender „Wir haben zusammen gebetet“ Von Alexander Wächtershäuser und Matthias Kliem E Das Bad Homburger Kaiserin-FriedrichGymnasium ist eine der renommiertesten Schulen der ganzen Region – und es grenzt direkt an den Seedammweg. Zum Zeitpunkt des Attentats auf den Chef der Deutschen Bank halten sich in dem s war die Zeit, als das Kaiserin-Friedrich-Gymnasium noch Kaiserin-FriedrichSchule hieß und die fünften und sechsten Klassen in einer Dependance in der Gymnasiumstraße untergebracht waren. Dort – ein, zwei Kilometer vom eigentlichen Schul- Pause waren auch die Kollegen vergebäude entfernt – unterrichtete unsichert, keiner konnte etwas zu Margret Nebo (72) am 30. Novem- dem Ereignis sagen. Daher ging der ber 1989 katholische Religion. Unterricht normal weiter. Was pas„An diesem Morgen stand ein siert war, habe ich erst erfahren, als Thema aus dem Alten Testament ich gegen 9.45 Uhr zur KFS zurückauf dem Plan“, erinnert sich die frü- fuhr. Und da war natürlich die Aufhere Lehrerin noch ganz genau – regung sehr, sehr groß.“ und auch daran, dass es plötzlich eiEin Kollege von Margret Nebo nen lauten Knall gibt und die Schü- wirkt besonders mitgenommen. Er ler vor Schreck von ihren Sitzen hat in der ersten Stunde in einem aufspringen. „Was ist denn das, Frau Nebo? Was ist das?“ – „Tja, das weiß ich nicht“, kann die Pädagogin nur sagen. „Aber mir war sofort klar, da muss etwas außergewöhnlich Gefährliches geschehen sein, es war beunruhigend.“ Alfred Herrhausen † 30.11.1989 In wenigen Minuten, um 8.40 Uhr, wäre die Stunde zu Serie Teil 5 Ende gewesen. Margret Nebo sieht und spürt, dass die Kinder un- Pavillon der Schule unterrichtet. glaublich aufgewühlt sind und vie- „Im Lehrerzimmer berichtete er le Fragen im Raum stehen, die jetzt später, dass die Fensterscheiben des nicht beantwortet werden können. Klassenraums von der Druckwelle „In dieser Situation sah ich nur ei- fünf Zentimeter nach innen gene Möglichkeit, uns alle ein wenig drückt wurden. Und er war erzu beruhigen. Ich schlug meinen staunt, dass die Fenster diesen Schülerinnen und Schülern noch Druck überhaupt ausgehalten hatkurz vor dem Unterrichtsende vor: ten. Wie sich später herausstellte, erWir wollen für diejenigen beten, litt der Kollege einen erheblichen die an dem Ereignis – oder Unfall – Hörschaden. Das Trommelfell war beteiligt sind. Für die Kinder war gerissen. Er hatte genau in der das Gebet in diesem Moment eine Schalllinie gestanden, die den SeeMöglichkeit, ihre Aufgeregtheit dammweg hoch an dieses Gebäude und ihre Angst ein bisschen zu be- geschlagen war.“ sänftigen. Ich habe ein freies Gebet Normaler Unterricht ist danach gesprochen für die Menschen, die natürlich nicht mehr möglich. Man bei diesem Geschehen Leiden er- geht in die Klassen, redet über das, fahren hatten, und beendete die was sich als Gerücht herumspricht, Stunde“, berichtet Margret Nebo. und dann ist auch sehr schnell beIn dieser Klasse sitzt auch die kannt: Es ist ein Attentat auf HerrTochter Herrhausens – nicht ah- hausen verübt worden. Genauere nend, was gerade geschehen ist. Informationen bringen Kollegen „In der anschließenden kurzen mit, deren Unterricht an diesem Tag später beginnen sollte. „Die Absperrungen waren ja nicht so massiv, wie sie heute gewesen wären. Nein, man konnte noch als Lehrer den Tatort passieren“, weiß Nebo noch heute ganz genau. Der Tod von Alfred Herrhausen hat die Lehrerin in den folgenden Jahren noch häufig beschäftigt. „Durch meine eigene familiäre Situation bin ich stark mit dem Thema Entwicklungshilfe befasst. Mein Mann stammt ja aus einem Entwicklungsland. Wir haben bis heute das Thema bei jeder entsprechenden Fernsehsendung wieder auf dem Tisch. Wir haben immer gehofft, dass sich beson- Das Attentat Margret Nebo (72), damals Lehrerin an der KaiserinFriedrichSchule. Gebäude rund 1500 Schüler und 100 Lehrer auf – sie alle hören die laute Explosion am 30. November 1989 um 8.34 Uhr. Schulleiter Gerfried Stein berichtet in der heutigen Folge unserer Serie über die große Verunsicherung und ders in Afrika etwas ändert. Den gewaltsamen Tod von Herrn Herrhausen habe ich außer wegen seines persönlichen Schicksals aus einem anderen Grund besonders bedauert: Er war derjenige, der am stärksten und am weitsichtigsten das Problem der Armut und vor allem der Schulden der Entwicklungsländer im Blick gehabt hat. Er hatte Vorschläge gemacht, wie man dieser Verschuldung entgegenwirken kann. Später habe ich immer wieder Meinungen gehört, dass das Attentat in diesem Zusammenhang gesehen werden könnte und dass es vielleicht gar nicht RAF-Terroristen gewesen seien, die das Attentat verübt hätten. Herrhausen hätte sich zu weit vorgewagt, den Banken eine Vision vorgestellt, die sie viel Geld gekostet hätte. Seine Vision, die ja später durch Entwicklungshilfe-Organisationen und die Kirche geteilt wurde, war: Schulden erlassen ist wichtig, damit die Entwicklungsländer wieder für ihre eigene Wirtschaft arbeiten können. Die Schulden, die diese Länder zurückzahlen müssten, sollen nicht an die Banken, sondern in die eigene Wirtschaft, in ihre Schule und Bildung fließen. In einigen Ländern hat dieser Plan ja später auch funktioniert. Das war Herrhausens Programm, und dafür habe ich ihn sehr, sehr bewundert. Für mich war er einer der Wirtschaftsfachleute, die nicht nur auf den Gewinn geschaut haben. Das muss in Bankkreisen so außergewöhnlich gewesen sein und so kontraproduktiv, dass er – ich habe das immer wieder gehört – sich sehr viele Feinde gemacht hat.“ „Der Terror war plötzlich in unserer Welt“ Zum Zeitpunkt des Attentats sind viele hundert Schülerinnen und Schüler im Kaiserin-Friedrich-Gymnasium – Anne Ameri-Siemens ist eine davon. Auch sie erinnert sich noch genau an diesen dramatischen Tag. „Ich habe den 30. November 1989 erlebt wie wohl die meisten Schüler, die damals das KaiserinFriedrich-Gymnasium besuchten. Ich kann rückblickend nicht mehr sagen, welches Fach wir an diesem Tag in der ersten Unterrichtsstunde hatten. Aber ich habe noch ein sehr klares Bild, wie die Fensterscheiben im Klassenzimmer plötzlich bebten, es draußen einen unglaublich lauten Schlag gegeben hatte. Es gab diesen einen Moment, in dem man diese Explosion hörte und das Gefühl hatte, dass die ganze Gegend davon erschüttert wird, und das war eben auch physisch spürbar. Wir haben zunächst unbeholfen reagiert. Ein paar in der Klasse haben gelacht, und irgendjemand machte einen Scherz, dass die Taunus Therme wahrscheinlich wieder abbrennt. In meiner Erinnerung wurde der Unterricht dann bald darauf unterbrochen. Ich kann nicht mehr sagen, wann wir das Klassenzimmer verlassen haben, ich weiß auch nicht mehr, wie lange wir auf dem Schulhof herumstanden, ich weiß nur, dass wir irgendwann alle nach Hause gegangen sind. Zu diesem Zeitpunkt war schon in Umlauf, dass Alfred Herrhausen etwas zugestoßen war. Und ich weiß, dass der Weg für mich zurück zu meinem Elternhaus plötzlich ein ganz anderer war. Es war verstörend und ließ einen zugleich nicht die Ängste in den Stunden danach. Auch ein paar Straßenzüge weiter war der Knall nicht zu überhören: Dort unterrichtet Lehrerin Margret Nebo gerade katholische Religion – eine ihrer Schülerinnen ist die Tochter von Alfred Herrhausen. mehr los, dass ein Verbrechen so unmittelbar in unserer Nähe vorbereitet und begangen worden war. Nur ein paar Stunden zuvor war es nur darum gegangen, pünktlich in die Schule zu kommen. Daran hatte ich gedacht und vielleicht auch daran, ob ich es noch schaffe, mir noch einen Tee zu holen, bevor ich in den Unterricht gehe – banale, ganz normale Dinge eben. Nach der Explosion war der Weg von der Schule nach Hause düster und bedrohlich. Ich weiß auch noch, dass meine beiden Brüder und ich an diesem Tag sehr intensiv mit meinen Eltern über die RAF gesprochen ha- ben. Es hatte sich etwas verändert an dem Morgen. Wir hatten auch davor immer mal über die RAF gesprochen. Die Gruppe und die Morde, die sie begingen, waren ja in der Zeit, in der ich aufgewachsen bin, schon ein sehr präsentes Thema. Nach dem Attentat auf Alfred Herrhausen hatte man das Gefühl, da ist etwas eingebrochen in unsere Welt, und das war vorher nicht so. Die Taten der Terroristen hatten wir auch vorher wahrgenommen, man sprach darüber, aber die ganze Dimension des Terrors wurde an diesem Morgen für mich real – wie gesagt, ich war damals 15 –, war jetzt plötzlich nah, in unserer Welt. Wenn ich heute meine Familie besuche, führt mein Weg durch den Seedammweg. Die Erinnerung an Alfred Herrhausen und an den Tag des Attentats ist unweigerlich mit dieser Straße verbunden; ich denke jedes Mal daran.“ 18 Jahre nach dem Attentat bringt der Piper-Verlag ein Buch von Anne Ameri-Siemens heraus, für das die Autorin unter anderem mit dem internationalen Buchpreis „Corine“ ausgezeichnet wird. Die ehemalige KFS-Schülerin hatte nach ihrer Schulzeit Politische Wissenschaft studiert, promoviert und sich im Studium intensiv mit dem deutschen Terrorismus beschäftigt. In dem Buch öffnen sich die Angehörigen von RAF-Opfern und Überlebende des Terrors – viele von ihnen zum ersten Mal – und erzählen von den schrecklichen Ereignissen, die ihr Leben für immer verändert haben. Der Titel des Buches lautet: „Für die RAF war er das System, für mich war er der Vater“. Angst vor einer zweiten Bombe Gerfried Stein war erst wenige Wochen Schuldirektor, da stand er vor einer riesigen Bewährungsprobe Er trug die Verantwortung für 1500 Schüler, und in unmittelbarer Nähe seiner Schule explodierte eine Bombe der RAF. Wie der Direktor der Bad Homburger Kaiserin-FriedrichSchule darauf reagierte, was er dachte und fühlte – das schildert er im Interview mit FNP-Redakteurin Sabine Münstermann. Herr Stein, welche Erinnerungen haben Sie an den 30. November 1989? STEIN: Ich war in der ersten Stunde an einem Unterrichtsbesuch beteiligt, der im Turmgebäude stattfand. Dann – das muss gegen Ende der Stunde gewesen sein – gab es plötzlich einen ungewöhnlich lauten Knall. Ich glaubte zunächst, es hätte eine Sprengung am Seedammbad stattgefunden, wo damals gerade Bauarbeiten durchgeführt wurden. Ich sah daher keine Veranlassung, die Lehrprobe zu unterbrechen und den Klassenraum zu verlassen, bis ein paar Minuten später unser Hausmeister erschien und mir berichtete, dass ein Attentat auf Herrn Dr. Herrhausen stattgefunden habe, dass Alfred Herrhausen tödlich getroffen, der Fahrer am Leben und möglicherweise noch eine zweite Bombe unterwegs sei. Denkbar sei der Weinbergsweg, weil dieser die Alternativstrecke für den Fahrer gewesen wäre, um das Steinkaut-Gebiet zu verlassen. Was ging Ihnen da durch den Kopf? STEIN. Ich hatte einige Wochen vorher gerade die Schulleitung übernommen, und das war sozusagen meine erste größere Herausforderung, mit einer schwierigen Situation umzugehen. Da war die erste Frage: Wie wird die Tochter von Herrn Dr. Herrhausen, Anna, die bei uns die sechste Klasse besuchte, informiert? Meine zweite Frage war: Wie gehen wir mit den Schülern um, die natürlich durch den Knall ebenfalls aufgeschreckt waGerfried ren? Ich erStein läuterte mit einer Durchsage über die Lautsprecheranlage kurz den mir mitgeteilten Sachverhalt und bat die Schüler, das Schulgebäude nicht zu verlassen, es sei denn, sie würden von den Eltern abgeholt, um zu vermeiden, dass sie möglicherweise durch die eventuell vorhandene zweite Bombe gefährdet oder durch Panik in einen Unfall verwickelt würden. Ich sagte alle Klassenarbeiten ab, die für diesen Tag vorgesehen waren. Ich stand den Schülern den ganzen Vormittag zur Verfügung, bis ich sie dann um 13 Uhr nach Hause entließ. Etliche Eltern hatten ihre Kinder im Laufe des Vormittags abgeholt. Welche Empfindungen hatten Sie? STEIN: Meine Sorge war: Waren die Täter möglicherweise im Schulgebäude und konnten von den eintreffenden Eltern nicht unterschieden werden? Ferner fragte ich mich, ob ich die richtige Entscheidung für die vielen irritierten Schüler getroffen hatte. Mein Mitgefühl galt natürlich vor allem Anna, die auf so tragische Weise ihren Vater verloren hatte, und der ganzen Familie Herrhausen. Ich weiß nicht, wie viele Tage sie anschließend nicht am Unterricht teilgenommen hat. Auf jeden Fall hat sie sich bei ihrer Rückkehr mit großer Gefasstheit wieder am Unterrichtsgeschehen beteiligt, und ihre Klasse hat sich sehr sensibel verhalten. In einem der darauf folgenden Schuljahre wurde sie zur Schulsprecherin gewählt. Dachten Sie einen Moment lang darüber nach, dass auch Anna Herrhausen in Gefahr sein könnte, die zum Zeitpunkt des Anschlags in der Gymnasiumsstraße unterrichtet wurde? STEIN: Es ist unwahrscheinlich, dass ein Täter gleich zwei Mal dieselbe Familie angreift. Wir hatten ja schon einmal einen vergleichbaren Fall erlebt – das Attentat auf Jürgen Ponto. Seine Tochter Corinna war meine Schülerin gewesen, ehe die Familie nach Oberursel zog, wo Jürgen Ponto später Opfer eines Attentats wurde. Wie hatten die Schüler in dieser Situation reagiert? STEIN: Die Schüler wollten wissen, ob sie selbst in Gefahr seien. Sie wollten Einzelheiten über den Hergang erfahren, die wir natürlich nur partiell vermitteln konnten. Ich selbst hatte nur einmal kurz die Schule verlassen und von der Kreuzung Seedammweg/Steinkaut aus das quergestellte Auto auf dem Seedammweg gesehen. Es wurden dann Spekulationen angestellt, wie die Tat hätte vorbereitet gewesen sein können. Es wurde gefragt, ob die Bauarbeiter, die im Seedammweg eine Leitung verlegt hatten, echte Bauarbeiter waren oder zu den Attentätern hätten gehören können. Es wurde viel darüber gesprochen, in welcher Gefahr man selber gewesen wäre, wenn man beispielsweise erst später Unterrichtsbeginn gehabt hätte. Kamen viele Eltern, um ihre Kinder abzuholen? STEIN: Ja, aber der weitaus größere Teil der Schüler verblieb in der Schule. Man musste auch davon ausgehen, dass viele Mütter berufstätig waren und das Geschehen vielleicht erst im Laufe des Vormittags über die Meldungen in den Medien erfuhren. Wie ging es in den folgenden Wochen weiter? STEIN: Wir hatten gelegentlich Bombendrohungen, offenbar von Trittbrettfahrern. In der Schule habe ich das nicht mehr bekannt gegeben, weil sonst die Gefahr bestanden hätte, dass einerseits eine totale Panik entsteht, und dass andererseits Nachahmer vor Klassenarbeiten dann eine solche Drohung aussprechen könnten, um die Arbeit zu sabotieren. Bombendrohungen an der KFS – wie muss man sich das vorstellen . . . STEIN: Das Telefon klingelte, und es sagte jemand, die Schule werde in die Luft gesprengt werden. Da stellt sich schon die Frage: Wie verhält man sich? Lässt man die Schule räumen? Oder führt dies zu einem schon erwähnten Missbrauch einer solchen Maßnahme? . . .und dann kam die Polizei und hat die Schule abgesucht? STEIN: Ja, soweit ich mich erinnere, hat die Polizei wiederholt die Schule abgesucht. Morgen lesen Sie: Wie Justus Frantz und OB Wolfgang R. Assmann den Tag erlebten Zum Reinhören: Interviews mit Zeitzeugen finden Sie unter www.fnp.de/herrhausen SERIE Seite 12 Mittwoch, 2. Dezember 2009 Wir haben mit den Tränen gekämpft Der Dirigent Justus Frantz, ein guter Freund von Alfred Herrhausen, tritt am Abend des Attentats in Bad Homburg auf. Er erinnert sich: „Es war ein Konzert voller Emotionen.“ H err Frantz, am Tag des Anschlags auf Alfred Herrhausen waren Sie in Bad Homburg und haben im Kurtheater ein Konzert gegeben . .. Vor drei Wochen ist die Mauer gefallen – welch eine Chance für politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Wandel. Deutschland steht vor vollkommen neuen Möglichkeiten und Herausforderungen. Justus Frantz und Alfred Herrhausen FRANTZ: Ja, und ich habe ihm auch den langsamen Satz aus Beethovens 4. Klavierkonzert gewidmet. Da ich Herrhausen kannte, da er mir auch ein paar Mal mit dem und in Gedanken noch mit dem Schleswig-Holstein-Musikfestival schrecklichen Ereignis beschäftigt ist? sehr geholfen hatte und da wir uns sehr schätzten, war ich zutiefst er- FRANTZ: Das will ich Ihnen saschüttert über seinen Tod. Zumal gen: Ich nehme Musik immer als der Mann meiner Cousine Jürgen „Auch“-Teil von etwas BiografiPonto ist, und insofern erlebte ich schem – und so ist das da auch gedas nun schon zum zweiten Mal in wesen. Das Ereignis wurde natürunserem Rechtsstaat, dass jemand lich durch diese Musik noch viel umgebracht wurde. Das waren ei- stärker und emotional erlebbar, gentlich immer die Besten, die um- und wir kämpften alle, als wir das gebracht vierte Klawurden. Das vierkonzert waren ja keispielten, mit ne Banker, unseren Trädie versuchnen – natürten, nur Gelich. Ich meiwinn zu mane, er war ja chen auf ein – ich Alfred Herrhausen † 30.11.1989 Kosten von weiß nicht, anderen und ob das Wort Serie Teil 6 SchwächeFreund jetzt ren, sondern sie versuchten wirk- zu hoch gegriffen ist – aber ich halich, ihre Banken mit hohem be ihn wirklich als einen Freund Rechtsempfinden und einem deut- kennengelernt, der, wenn man Prolich ausgeprägten Sinn für Soziales bleme hatte, auch in den stressigszu leiten. Dadurch setzten sie einen ten Zeiten immer Zeit hatte für eiAnspruch, der heute leider von sehr nen. Herrhausen gab einem immer vielen nicht mehr erfüllt werden das Gefühl, er hätte unendlich viel kann. Zeit. Die hatte er natürlich überWie war das für Sie gewesen, als Sie haupt nicht. Aber mit seiner Ruhe die Nachricht hörten? Waren Sie da und Überlegenheit konnte er sofort Probleme erkennen und – was das schon in Bad Homburg? Schöne war – er konnte nicht nur FRANTZ: Ich weiß nicht, ob ich Probleme beschreiben und analyschon in Bad Homburg war, aber sieren, sondern er fand vor allem ich erinnere mich daran. Für mich auch Lösungen. Und deswegen war war das unfassbar – unfassbar, dass sein Rat so wichtig. so etwas wieder geschehen konnte. Und deswegen habe ich spontan zu In welchen Situationen hatten Sie diediesem Geschehnis am Abend auch sen Rat angenommen? ein paar Worte gesagt und eben verFRANTZ: Ich war ja Intendant in sucht, irgendwie durch die Musik der Zeit des Schleswig-Holsteindas Unsagbare fühlbar zu machen. Musikfestivals. Ein neues Festival Wie ist das in so einem Moment, wenn hat natürlich viele Sorgen, und dass man selbst ein Konzert geben muss es uns finanziell gut ging, das ver- Das Attentat Eine Art kollektives Trauern Michael Dellith wird am Morgen des 30. November 1989 unsanft von einem lauten Knall aus dem Bett geworfen. Der Konzert-Kritiker der Taunus Zeitung, der in unmittelbarer Nähe des Tatorts wohnt, wollte eigentlich zur Uni fahren – doch sein Weg führt über den Seedammweg, und dort ist alles dicht. Er geht zur Unglücksstelle, erfährt von dem tragischen Ereignis und wird an diesem Tag nicht mehr studieren. Durch den Kurpark gelangt er am Abend immerhin ins Kurtheater und wird Zeuge einer besonderen Aufführung: Justus Frantz, der Herrhausen freundschaftlich verbunden war, gibt keine zwölf Stunden nach dem Attentat ein Konzert. Der Maestro kommt spät, hält eine Ansprache, bittet das Publikum, sich für eine Schweigeminute zu erheben – und lässt dann die Musik sprechen. „Es war eine besondere Ergriffenheit bei Publikum und Musikern zu spüren – eine Art kollektives Trauern“, erinnert sich Dellith, heute Feuilleton-Redakteur der Frankfurter Neuen Presse. „Musik wirkt in solchen Momenten wie ein Katalysator, sie befördert die Emotion der Trauer und spendet im selben Moment Trost. Das ist ja das Wundervolle an der Musik.“ In seiner Konzertkritik schreibt er später: „Justus Frantz formte seinen Part mit großem Einfühlungsvermögen und im besten Einvernehmen mit den Instrumentalisten. Dass vor allem von den langsamen Sätzen an diesem Abend eine besonders eindringliche Wirkung ausging, mag angesichts der bitteren Ereignisse kaum verwundern.“ haben Ende November 1989 darüber gesprochen und Ideen entwickelt. Kurz danach setzt die RAF einen teuflischen Plan um: Der herausragende Wirtschaftsführer stirbt am 30. November 1989 in Bad Homburg bei einem Bomben-Attentat. danke ich auch dem Netzwerk von Herrhausen. Wir machten sehr viel neue Musik, förderten sehr viele junge Komponisten und sehr viele junge Musiker. Und wir versuchten, die jetzt gerade sich geöffnet habenden Grenzen durchlässig zu machen, indem wir Leute aus dem Osten holten – nicht nur solche, deren politische Zuverlässigkeit von irgendwelchen Parteiorganisationen festgestellt worden war, sondern Musiker mit großer Begabung. Das alles, das hat ihn, glaube ich, auch begeistert und das fand er unterstützenswert. Stimmt es, dass Sie am Tag zuvor oder zwei Tage zuvor mit ihm persönlich noch zusammengetroffen waren? FRANTZ: Ich hatte ihn besucht und ihm erzählt, was für Chancen sich jetzt durch den Fall der Mauer boten und dass wir planten, ein Festival zu machen, in dem wir im nächsten Jahr in Schleswig-Holstein 100 DDR-Kompositionen aufführen wollten. Darunter auch 30 Uraufführungen von weitgehend unbekannten Komponisten, die wir noch gar nicht kennenlernen konnten, weil sie eben vielleicht nicht in die politische Linie passten. Sie wissen, dass damals in erster Linie die politische Zuverlässigkeit eine Rolle spielte und nicht die musikalische Qualität. Wir wollten die unbekannten Komponisten unterstützen, wollten sie integrieren und waren neugierig: Was ist in der DDR passiert, was kennen wir noch nicht, welche Entwicklungen gibt es dort – das alles, darüber haben wir gesprochen, und ich glaube, dass er das begeisternd fand. Und Herrhausen hatte Sie in diesem Projekt unterstützen wollen? FRANTZ: Ja, natürlich. Er hatte sich ja sehr konzentriert, glaube ich, auf diesen Initiativkreis Ruhrgebiet. Aber er hatte Freunde, denen er sagen konnte: ,Mensch, macht das, helft da, der Frantz macht das richtig’. Was mir wichtig war: Wir planten sofort nach dem Fall der Mauer auch umgekehrt die Erweiterung des Festivals nach Mecklenburg, das ist mir später von den schleswig-holsteinischen Politikern ja so überaus übel genommen worden. Aber wir haben mit dem Bundespräsidenten in Greifswald auch ein Mecklenburg-Vorpommern-Festival gemacht. Und da haben wir genau umgekehrt den Mecklenburgern alle wichtigen Komponisten und Stücke gespielt, die sie vielleicht noch nicht gehört hatten, die mittlerweile in der Bundesrepublik entstanden waren. Herrhausen war natürlich genauso begeistert und von einer Freude über die Deutsche Einheit und dachte, genauso wie ich, was können wir tun, wie können wir durch die Musik, die ja so viele erreicht, wie können wir dadurch auch geistig die Einheit fördern? Indem wir uns kennenlernen, indem wir uns begegnen, indem wir miteinander und nicht gegeneinander ein Festival organisieren. Wann waren Sie Herrhausen erstmals begegnet? FRANTZ: Sicherlich so um 1984/ 85, vielleicht auch schon früher. Keine zwölf Stunden später muss der Maestro ein Konzert geben – ausgerechnet im Bad Homburger Kurtheater. Im Interview mit der Frankfurter Neuen Presse schildert Justus Frantz seine Erlebnisse, Eindrücke und Gefühle. Das weiß ich jetzt nicht. Manchmal sind eben Menschen ein Teil des Lebens – und das war er, ohne dass ich mich genau erinnern kann, wie lange das war. Vielleicht war das auch schon viel früher, vielleicht war das zur Beerdigung von Jürgen Ponto – ich weiß es nicht mehr. Haben Sie noch weitere Erinnerungen an den 30. November? FRANTZ: Ich habe versucht, aber das hat natürlich nicht funktioniert, Frau Herrhausen anzurufen, und hatte mir auch überlegt, ob ich zu ihr hinfahren sollte. Aber ich habe das nicht gemacht, weil ich dachte, sie würde überschwemmt werden, und in solchen Momenten muss man ja auch so viel Taktgefühl haben, dass man Menschen in ihrer Trauer und in der Aufarbeitung eines so schweren und einzigartigen Erlebnisses nicht stört. Ich hatte mir gedacht, dass ihr vielleicht die Begegnung mit Musik guttun könnte, irgendwie. Aber das ist so eine Sache, die jeder Mensch auch für sich entscheiden muss. Ich glaube, ich kann Ihnen dazu nicht mehr sagen. Es ist einfach zu lange her. Ich habe kein Tagebuch geführt. Ich kann nur sagen, dass ich das Gefühl hatte, einen großartigen Freund verloren zu haben – einen Freund, der nicht aufgrund seiner Stellung und seiner Macht von oben herab, sondern immer auf Augenhöhe mit seinem Gegenüber sprach, der immer einen menschlichen und fast bescheidenen Ton anschlug, und insofern war das etwas ganz Einzigartiges. Wie ist der Tag für Sie zu Ende gegangen? FRANTZ: Ohne große Feierlichkeiten, das können Sie sich vorstellen. Ich bin, glaube ich, nachts noch irgendwo in ein Hotel gefahren und war dann auch sehr, sehr betroffen und fühlte mich irgendwie auch sehr einsam. Daran erinnere ich mich sehr genau. mak Am Montag, 7. Dezember, liest Justus Frantz in der Oberurseler Buchhandlung Bollinger (Hohemarkstr.) aus seinem Buch „50 einfache Dinge, die Sie über Musik wissen sollten“. Eintritt: 18,50 Euro. Tickets: Tel.(0 61 71) 28 46 64. „Ich war verstört, fühlte mich hilflos“ Wie Alt-OB Wolfgang R. Assmann den schlimmsten Tag seiner Amtszeit erlebte Es war der Tag, an dem ein vertrauter Mensch starb; der Tag, an dem die Geborgenheit der Stadt zerstört wurde; der Tag, an dem sich Wolfgang R. Assmann hilflos fühlte. Im sechsten Teil unserer Serie schildert Bad Homburgs Alt-OB, wie er den 30. November 1989 erlebte und wie er die innere Balance wiederfand. „Mein Fahrer holte mich zu Hause ab und wir fuhren durch den Kurpark in Richtung Stadthaus. Es war ein klarer, sonniger Morgen. Als wir die goldglänzende Thai Sala passierten, zerriss plötzlich ein infernalischer Knall das friedliche Bild. Erschreckt fragten wir uns: ,Was ist da passiert? War es die Explosion eines Gas-Tanks oder eines Flugzeugs?’ Und einen Moment später war es totenstill. Als wir im Büro eintrafen, war meine erste Frage: „Haben Sie diesen entsetzlichen Knall auch gehört? Was war das?“ Die Vorzimmerdamen bejahten es und sagten: „Anfangs wusste es niemand; eben haben wir gehört, dass im Seedammweg ein Attentat auf Herr- hausen verübt worden ist.“ Kurz entschlossen holte ich meinen Kollegen, den Ordnungsdezernenten Heinrich Gerhold, ab, und gemeinsam fuhren wir zum Seedammweg. Zu Recht war die Attentatsstelle schon weiträumig abgeriegelt. An der Kreuzung Elisabethenbrunnen/Seedammweg wurden wir gestoppt. Die Polizisten wussten noch nichts Näheres. Wir baten sie, dem Einsatzleiter mitzuteilen, dass er auf Kräfte der Stadt jederzeit zurückgreifen könne, die Stadt wäre zu jeder nur denkbaren Hilfe bereit. Wir fuhren ins Büro zurück und besprachen mit den leitenden Mitarbeitern der Ämter, dass die Hilfeleistungen im Attentatsfall höchste Priorität hätten und jede gewünschte Unterstützung unbürokratisch erfolgen sollte. In der Zwischenzeit war ganz Bad Homburg vom Lärm der Hubschrauberstaffeln erfüllt. Ich habe nie mehr so viele Hubschrauber in der Luft gesehen. Und jedes Mal, wenn ich heute mehre Hubschrauber höre oder sehe, bekomme ich innere Beklemmungen und denke an den 30. November 1989. Im Rathaus ging inzwischen der normale Alltag weiter. Es gab wie immer seit langem verabredete Termine mit Besuchern oder Mitarbeitern, die Entscheidungen brauchten oder Unterschriften wollten. Für den Nachmittag war eine Stadtverordnetensitzung zur 2. Lesung des Haushalts 1990 anberaumt. Wie vormittags mit der Stadtverordnetenvorsteherin Maria Scholz besprochen, hielt ich zu Beginn der Wolfgang R. Assmann, ehemaliger Oberbürgermeister von Bad Homburg. Sitzung eine kurze Rede, um die Stadtverordneten zu unterrichten, Alfred Herrhausen zu würdigen und der Familie im Namen der Stadt das Beileid auszusprechen. An die auf diese Rede folgenden Haushaltsberatungen kann ich mich kaum erinnern. Der Mord an Alfred Herrhausen war für mich persönlich ein fürchterlicher Schock, ich fühlte mich innerlich gelähmt, war verstört, verwirrt, fühlte mich hilflos. Die Geborgenheit, die wir in unserer überschaubaren Stadt schätzten, wurde durch diesen Mord nachhaltig zerstört. Aus der Rückschau betrachtet ist interessant, dass man trotzdem agiert und funktioniert. Es gibt eine professionelle Automatik, die einem sagt: „Jetzt musst du das machen, tu jetzt dies, veranlasse jenes!“ Und so scheint man nach außen „ganz normal“ weiter zu arbeiten. In Wirklichkeit grübelte ich während der Stadtverordnetensitzung vor mich hin: „Wie konnte so etwas passieren? Haben wir etwas übersehen, haben wir etwas falsch gemacht?“ Mich bedrückte dieser Mord besonders, weil ich Alfred Herrhausen seit 15 Jahren kannte und ihn sehr schätzte. Wir hatten uns kennengelernt in meiner Zeit als Grundsatzreferent für Bankenfragen im Bonner Bundesministerium der Finanzen. Ich war Sekretär der Banken-Struktur-Kommission, in der Herrhausen das private Kreditgewerbe vertrat. Er war der Beste in dieser Runde, hochintelligent, umfassend gebildet, rhetorisch brillant, ein Mann mit Überblick, Weitsicht und politischem Gespür. An ihn hatte ich in den Wochen nach dem Mauerfall oft gedacht. Ich war sicher, dass er sich für das Zusammenwachsen der beiden deutschen Staaten engagieren und Konzepte zur Umgestaltung des Wirtschaftssystems in der DDR entwickeln würde. Und diesen Menschen hatte man nun in unserer Stadt ermordet, in der Stadt, die ich ihm nahegebracht hatte und in der er sich wohl fühlte. Aus Gesprächen weiß ich, dass viele Menschen in Bad Homburg ähnlich wie ich empfanden und hofften, in angemessener Weise der Familie ein Zeichen ihres Mitgefühls ausdrücken zu können. Hier half uns der Chor der Erlöserkirche mit seinem damaligen Leiter Hayko Siemens, die bereit waren, am 8. Dezember 1989 das Deutsche Requiem von Brahms zu singen. Weit über tausend Menschen nahmen an dieser Gedächtnisfeier in und vor der Erlöserkirche teil. Wenn ich in der Rückschau überlege, wodurch sich bei mir die Erstarrung gelöst hat und wie ich meine innere Balance wiedererlangte, so waren dies das MozartRequiem mit dem Trauergottesdienst im Frankfurter Dom am 6. Dezember und die Bad Homburger Gedächtnisfeier mit dem Brahms-Requiem. Hier zeigte sich, welch stützende und helfende Kraft von einem in Jahrhunderten gestalteten kirchlichen Ritus ausgeht und wie Musik die Seele heilen kann.“ Morgen lesen Sie: Ungewöhnliche Begegnungen mit Alfred Herrhausen Zum Reinhören: Die Interviews mit den Zeitzeugen unter www.fnp.de/frantz SERIE Seite 14 Donnerstag, 3. Dezember 2009 Der Chef war auch für Spaß zu haben Es gibt unzählige Bilder von Alfred Herrhausen, die ihn als eleganten und stets akkurat gekleideten Mann zeigen. Aber es gibt vergleichsweise wenige Aufnahmen, auf denen er von seiner privaten Seite zu sehen ist. Ein Foto mit Seltenheitswert hütet sein ehemaliger Mitarbeiter Nader Maleki wie einen Schatz. Der Deutsche-Bank-Chef war in den 80er Jahren für seine Mitarbeiter einmal ins Kostüm geschlüpft und gab auf einer Feier den Weihnachtsmann. Durch die Küche war er in den Saal geleitet worden und wurde von niemandem erkannt – bis er die Kapuze abnahm. „Er hatte an diesem Tag auch ein wichtiges Abendessen zu Hause, kam aber trotzdem noch zu unserer Weihnachtsfeier“, erinnert sich Maleki. Sein „Assistent“ war bei diesem Auftritt der Deutsche-Bank-Mitarbeiter Dieter Loyo (links), gemeinsam überreichten sie Dr. Frank Heintzeler (später Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken) ein „Guinness Buch der Rekorde“. „Wir haben unseren besten Mann verloren“ Von Sophia Bernhardt, Marc Kolbe und Matthias Kliem D ie Nachricht verbreitet sich in Windeseile in den Fluren der Deutschen Bank. Was zunächst nur ein Gerücht ist, wird kurz darauf zur schockierenden Gewissheit: Der charismatische Vorstandssprecher des führenden Kreditinstituts ist in Bad Homburg einem heimtückischen Anschlag zum Opfer gefallen. Alfred Herrhausen ist tot. Dass der „Herr des Geldes“, wie ihn der „Spiegel“ noch kurz vor dem Attentat in einer Titelgeschichte bezeichnete, als eine der am stärksten gefährdeten Personen der Republik galt, war jedem klar. Dennoch erschüttert die Nachricht über den feigen Mord der RAF die Deutsche Bank in ihren Grundfesten. „Wir haben unseren besten Mann verloren“, wird sein Vorstandskollege Dr. Horst Burgard später sagen, und der Aufsichtsratsvorsitzende Dr. Wilfried Guth wird traurig feststellen: „Wir sind alle ein großes Stück ärmer ohne ihn.“ Nader Maleki kann sich noch gut an die dramatischen Stunden erinnern. Der damalige Prokurist der Abteilung „Sekretariat“ hat die traurige Gewissheit über den Tod des Vorstandssprechers in der Presse-Abteilung der Bank erfahren. „Ich bin in das Zimmer Im Jahr des Attentats hat die Deutsche Bank rund 55 000 Beschäftigte und wird doch maßgeblich von einem Mann gelenkt: Alfred Herrhausen. Der Vorstandssprecher ist nicht unumstritten. Er will das Unternehmen als „Global Player“ positionieren, pflegt einen neuen Stil, sucht verstärkt den Kontakt zu seinen Beschäftigten, zu jungen Leuten und zu Personen außerhalb der Wirtschaft. Im des damaligen Pressesprechers manden, der so komplett, so auHans Dettmar gelaufen, und der thentisch war“, sagt Cleve über seihat bestätigt: ,Ja, es ist wahr’“, schil- nen damaligen Chef und gesteht dert Maleki den Moment, in dem freimütig ein: „Er hat mich gefür ihn eine prägt.“ Welt zusamEinen menbricht. bleibenden „Für mich Eindruck war es, als wähat Herrre gerade hausen mein Vater auch bei gestorben. Nie Michael Alfred Herrhausen † 30.11.1989 zuvor habe Rempel ich so viel hinterlasSerie Teil 7 sen. Er war Schmerz und Trauer empfunden“, sagt der gebür- zum Zeitpunkt des Attentats stelltige Iraner, der seinen leiblichen Va- vertretender Leiter der Deutschenter verlor, als er gerade zehn Jahre Bank-Filiale in Bad Homburg. alt war, und in Alfred Herrhausen „Auch ich war damals stolz, dass Dr. Herrhausen unser Chef war. einen Mentor hatte. Das ging vielen bei uns im Haus so. „Er hat mich geprägt“ Ich war fasziniert von seinem Stil „Man hatte damals doch den Ein- und seinen Ideen. Er war so elegant druck, dass die RAF fast am Ende und so locker. Sein Aussehen, seine war. Wir haben überhaupt nicht da- Aura, seine Ausrichtung – er warf mit gerechnet“, gibt Christoph Cle- einen gewissen Glanz auf unsere ve, ehemaliger Assistent Herrhau- Bank, die früher doch eher verknösens, Einblicke in das Innenleben chert wirkte. Um so größer war der der Deutschen Bank. Der Vor- Schock nach dem Attentat.“ standssprecher galt als Macher, als Mann mit brillantem Nachricht kam über Ticker Intellekt und Rempel selbst war zum Zeitpunkt ausgeprägtem des Anschlags mit seinem Opal KaMachtund dett auf dem Weg zu seinem ArLeistungswilbeitsplatz in der Homburger City. len. „Ich habe „Es tat plötzlich einen fürchterliseitdem keine chen Schlag. Das hat man im ganFührungsperzen Auto gespürt. Ich dachte erst, ich hätte meinen Auspuff verlosönlichkeit mehr getrof- ren.“ Kurz darauf kommt Rempel fen, die ihm an der Bank an, parkt den Wagen, im Gesamt- geht zu seinem Schreibtisch. Noch bild nahe weiß niemand, dass etwas Schreckkommt, nie- liches passiert ist. „Erst als ich auf den Nachrichten-Ticker blickte, sah ich, was passiert war. ,Anschlag auf Herrhausen in Bad Homburg‘ lief da durch. Ich war total aufgeregt, und mein erster Gedanke war: Da musst du hin. Warum, weiß ich nicht mehr. Es war zumindest keine Sensationslust. Also bin ich wieder ins Auto gestiegen und Richtung Taunus Therme gefahren.“ Rempel stellt sein Auto ab und geht die letzten Meter bis zum Tatort zu Fuß. Er stellt sich hinter die Absperrbänder, sieht das völlig zerstörte Auto und darin eine Person, die mit einer Decke bedeckt ist. „Mit der Zeit wurde es immer voller, ich erkannte auch einige unserer Kunden. Es war unfassbar. Plötzlich wurde ich mir der Ohnmacht bewusst, mit der wir solchen Ereignissen gegenüberstehen.“ Das Attentat Stille im Büro Viele Tausend Menschen beteiligten sich am Tag nach dem Attentat an dem Schweigemarsch durch die Frankfurter Innenstadt. Foto: Günther Später sieht der Deutsche-BankMitarbeiter mehrere Limousinen, in denen die anderen Vorstände sitzen. „Sie waren offensichtlich auf dem Weg zum Haus von Herrhausen. Aus irgendeinem Grund hatte ich den Gedanken, auch dorthin zu fahren. Allerdings waren die Straßen mittlerweile dicht. Ich bin dann sogar noch ganz leicht auf einen Transporter aufgefahren, aber das interessierte dessen Fahrer an diesem Tag überhaupt nicht.“ Rempel fährt zurück zur Filiale, das dauert an diesem Tag eine halbe Ewigkeit. „Sofort kamen sämtliche Mitarbeiter auf mich zu, wollten wissen, was passiert ist. Auch viele Kollegen von anderen Banken riefen bei mir an. Dabei war mir überhaupt nicht nach Reden zumute.“ Doch trotz des schrecklichen Ereignisses muss auch an diesem Tag gearbeitet werden. „Ich erinnere mich noch an diese unheimliche Stille, die im Büro herrschte. Da siebten Teil unserer Serie erinnern sich Menschen an den Moment, als die schockierende Nachricht die Deutsche Bank erreicht – und an Begegnungen mit Herrhausen, die sie nicht vergessen werden. gab es den ganzen Tag kein Gelächter. Wir haben routinemäßig funktioniert, haben bearbeitet, was getan werden musste. Wir befanden uns in einer Art Schockstarre.“ Am Tag nach dem Anschlag ziehen Tausende von Mitarbeitern, Bürgern und Kollegen aus anderen Banken in einem großen Schweigemarsch durch die Frankfurter Innenstadt. „Wir trauern um Alfred Herrhausen“, steht auf einem großen Transparent, das Beschäftigte der Deutschen Bank tragen – auch Michael Rempel ist dabei und kann sich noch gut an diesen Tag erinnern. „Der Zug führte an den Türmen der Deutschen Bank vorbei in die Taunusanlage. Die Stimmung war sehr deprimierend. Die Men- schen waren still, wollten aber dennoch ihre Solidarität ausdrücken. Aber viele – auch ich – haben auch eine gewisse Wut verspürt.“ „Eine mittlere Sensation“ Nader Maleki ist heute nicht nur Chef der 1995 entstandenen Maleki Group, sondern auch Präsident des International Bankers Forum, das er 1987 selbst gegründet hatte und das inzwischen als größter privat organisierter Berufsverband für Banker in Deutschland gilt. „Ohne Alfred Herrhausen wäre dieser Verband nicht gegründet worden – zumindest nicht zum damaligen Zeitpunkt“, ist Maleki überzeugt. Der Deutsche-Bank-Chef war es nämlich, der dem damaligen Prokuris- ten 1986 grünes Licht gab, die Gründung des ersten institutsübergreifenden Berufsverbandes unterstützte und sogar zusagte, als Redner aufzutreten. „Das war damals eine mittlere Sensation“, schwärmt Nader Maleki und spricht noch heute von einer großen Verbundenheit und Begeisterung für Herrhausen. In den 80er Jahren hatte er oft Gelegenheit, nicht nur das Denkvermögen und die rhetorischen Fähigkeiten seines obersten Bosses zu bewundern – er lernte ihn auch von seiner menschlichen Seite kennen. „Er war unglaublich nett“, sagt Maleki, und dann erzählt er die Geschichte, als Alfred Herrhausen sich nicht zu schade war, auf einer Weihnachtsfeier des Sekretariats als Weihnachtsmann aufzutreten. Maleki sollte die Feier für die Abteilung organisieren und fragte seinen obersten Dienstherrn kurzerhand, ob er sich verkleiden und vor den Mitarbeitern auftreten würde. Mit einem „Ja“ hatte er nicht gerechnet – aber genau so kam es. Termin gleich nach Thatcher Ein Schüler nimmt allen Mut zusammen und wird mit einem Interview belohnt Er fragt den mächtigsten Banker der Republik nach einem Interview-Termin – und bekommt ihn. Das ist dem Bad Homburger Schüler Niels Genzmer passiert. Von Marc Kolbe Es gibt Begegnungen, aus denen erwachsen Beziehungen oder Freundschaften. Es gibt Begegnungen, die sind so flüchtig, dass man sie bald wieder vergessen hat. Und es gibt Begegnungen, bei denen man später nicht mehr viel mit dem Menschen zu tun hat, auf den man getroffen ist, die aber dennoch den folgenden Lebensweg prägen. Das Zusammentreffen mit dem damaligen Chef der Deutschen Bank, Dr. Alfred Herrhausen, war für Niels Genzmer eine Begegnung der letztgenannten Kategorie. Genzmer kannte Herrhausen aus den Medien – speziell durch einen Artikel aus dem „Spiegel“. „Den Mann musst du dir merken, hatte mir mein Vater damals geraten“, erinnert sich der heute 40-Jährige. Zum Zeitpunkt des Attentats ist er Schüler am Kaiserin-FriedrichGymnasium in Bad Homburg, steht kurz vor seinem Abitur und ist sozusagen Chef der Schülerzeitung „New Wave“. Daher weiß Genzmer auch, dass eine von Herrhausens Töchtern eine Mitschülerin von ihm ist. „1988 habe ich ihn auf dem Weihnachtsbasar an unserer Schule gesehen. Ich habe all meinen Mut zusammengenommen und ihn gefragt, ob er unserer Schülerzeitung ein Interview geben würde.“ Was für eine Vorstellung: Der mächtigste Banker Deutschlands stellt sich den Fragen einer Schülerzeitung . .. Aber: „Herrhausen überlegte kurz und sagte dann zu meiner Verwunderung zu.“ Ab Mitte Januar versucht der „kleine“ Nachwuchs-Journalist also den „großen“ Bank-Chef zu erreichen – „telefonisch, er stand ja im Telefonbuch“. Vier, fünf Mal ruft Genzmer bei den Herrhausens an, spricht mit dessen Frau Traudl („Frau Herrhausen war unheimlich nett“) und hat endlich Glück. „Er fragte mich, wo wir das Interview machen wollten – in der Bank oder bei ihm zu Hause? Wir einigten uns auf sein Büro und vereinbarten, dass auch Fotos gemacht würden. Ich hatte während des ganzen Telefonats einen dicken Kloß im Hals.“ „Er kam sofort zum Punkt“ Im Februar 1989 erklimmt Genzmer dann tatsächlich den 30. Stock im rechten Turm des DeutscheBank-Gebäudes in Frankfurt. „Ich war gut vorbereitet, hatte das Diktiergerät von meinem Vater dabei. Herr Herrhausen kam gerade von einem Treffen mit Maggie Thatcher aus der Alten Oper. Er war von Anfang an sehr sachlich, kam gleich zum Punkt. Nach einer halben Stunde war alles vorbei.“ Es wird verabredet, dass Herrhausen das Interview autorisiert, aber erst mal muss Genzmer fürs Abitur lernen. „Zwischenzeitlich hatte die Taunus Zeitung erfahren, dass ich das Interview geführt hatte, und Redaktionsleiter Hans Liedel wollte den Text ebenfalls abdrucken. Da hatte ich natürlich nichts dagegen, bestand aber darauf, dass er erst in der ,New Wave’ zu lesen ist.“ Zehn Seiten spuckt der Nadeldrucker später aus, die Genzmer per Post an seinen Interview-Partner schickt. Wenig später kommt die Antwort. „Es war irre, Herrhausen hatte das gesamte Interview von vorne bis hinten gelesen, zwei kleine Fehler angemerkt, aber den Rest durchgewunken.“ Kurz darauf erscheint der Text in der „New Wave“ und in der Taunus Zeitung Damit hätten die Verstrickungen der Lebenswege des Bankers und des angehenden Journalisten beendet sein können – doch dann kommt der 30. November Niels 1989, ein halbes Genzmer Jahr ist seit der Veröffentlichung des Interviews vergangen. „Ich war zu dieser Zeit Zivildienstleistender bei den Maltesern und befand mich auf einem Erste-Hilfe-Lehrgang in Königswinter. Plötzlich wurde ich wegen eines Anrufs aus dem Seminarraum gerufen.“ Am anderen Ende der Leitung ist ein Redakteur der Bildagentur „Action Press“. „Er fragte mich, ob ich kürzlich das Interview mit Herrhausen geführt und ob ich damals auch Fotos geschossen hätte. Ich sagte zu, die Bilder am kommenden Wochenende rauszusuchen. Doch der Journalist drängte, er bräuchte die Bilder sofort, ob ich nicht wüsste, was geschehen sei. Da dämmerte mir, dass etwas Schreckliches passiert sein musste. Er bot mir Geld für Bilder von Alfred Herrhausen. Ich überlegte, ob das moralisch in Ordnung ist. ,Action Press’ war vor allem an privaten Bil- dern interessiert. Das war eklig. Aber da ich ein offizielles Interview geführt und auch nur Bilder aus der Bank hatte, willigte ich ein.“ Genzmer versucht über das Sekretariat des Kaiserin-FriedrichGymnasiums Kontakt mit seinen alten „New-Wave“-Kollegen aufzunehmen. „Es herrschte eine sehr aufgeregte und aufgelöste Stimmung. Dennoch gelang es mir, jemanden zu finden, der die Bilder per Kurier an ,Action Press’ verschickte. Erschienen sind die Fotos am Ende aber nicht.“ Rede vor dem Kurhaus Genzmer arbeitet bereits als freier Journalist für die Taunus Zeitung, als Herrhausen erneut eine Rolle in seinem Leben spielen sollte. Zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober organisierte die CDU Hochtaunus eine Veranstaltung auf dem Kurhausvorplatz. Unter anderem sollte der hessische Ministerpräsident Walter Wallmann auftreten. „Und die CDU suchte auch noch einen Redner, der für die Jugend sprechen sollte. Wieder erinnerte man sich an mein Interview mit Herrhausen und fragte, ob ich ans Rednerpult treten würde. Nie zuvor in meinem Leben hatte ich solche Angst.“ Aber erneut nimmt Niels Genzmer allen Mut zusammen. Morgen lesen Sie: Der Kanzler verneigt sich vor einem Freund und Ratgeber Zum Reinhören: Interviews mit den Zeitzeugen unter www.fnp.de/herrhausen SERIE Seite 12 Freitag, 4. Dezember 2009 Mein Freund und Ratgeber Worte, die Aussagen von wir nicht Alfred vergessen Herrhausen „ Die Frage ist nicht, ob wir Macht haben. Die Frage ist, ob wir mit dieser Macht verantwortungsbewusst umgehen . “ „ Wir müssen das, was wir denken, sagen. Wir müssen das, was wir sagen, tun. Wir müssen das, was wir tun, dann auch sein. “ „ Unsere Welt ist ungemein komplex, vernetzt und schwierig geworden. Und es bedarf oftmals großer intellektueller Anstrengungen, um sie zu begreifen, was ja die Voraussetzung dafür ist, sie zu gestalten. Zu dieser Anstrengung sind viele nicht bereit, auch unter denen, die durchaus dazu fähig wären. “ „ Die Inszenierung von Wirklichkeit, die den Alltag der Medienwelt ausmacht, zwingt jedermann zur Selbstdarstellung. Es sind Rollen, die da gespielt werden, weil eine zuschauende und zuhörende Öffentlichkeit dies verlangt. “ „ Die meiste Zeit geht dadurch verloren, dass man nicht zu Ende denkt. “ „ Wenn Kompetenz von Können kommt und Prominenz von Beifall, dann fühle ich mich dem Letzteren weniger verpflichtet. “ „ Die ökologischen Probleme werden die Probleme der nächsten Jahrzehnte sein. Und wenn wir hier nicht verantwortungsbewusst vorgehen, werden wir diesen Erdball unbewohnbar machen. “ „ 50 Prozent der Wirtschaft sind Psychologie. Wirtschaft ist eine Veranstaltung von Menschen, nicht von Computern. “ „ Es ist kein Luxus, große Begabungen zu fördern. Es ist Luxus, und zwar sträflicher Luxus, dies nicht zu tun. “ „ An dem Tag, an dem die Manager vergessen, dass eine Unternehmung nicht weiter bestehen kann, wenn die Gesellschaft ihre Nützlichkeit nicht mehr empfindet oder ihr Gebaren als unmoralisch betrachtet, wird die Unternehmung zu sterben beginnen. “ „ Die meisten Fehler machen Unternehmen, wenn es ihnen gutgeht, nicht wenn es schlechtgeht. “ Alle Zitate stammen aus Interviews und Reden von Alfred Herrhausen. Bundeskanzler Helmut Kohl verneigt sich im Frankfurter Kaiserdom vor dem verstorbenen Alfred Herrhausen. Von Matthias Kliem E s ist 14 Uhr, als der Bundeskanzler am 30. November 1989 in Bad Homburg eintrifft. Helmut Kohl hatte morgens auf dem Weg zu einer Tagung der Arbeitgeberverbände in Düsseldorf von dem schrecklichen Ereignis erfahren. Am Nachmittag kommt er – ebenso wie zuvor Innenminister Wolfgang Schäuble – in die Kurstadt und spricht Traudl Herrhausen und ihrer Tochter sein Mitgefühl aus. „Mein Freund und Ratgeber war tot – menschlich wie politisch war das ein schwerer Schlag für mich“, schreibt Kohl später in seinen „Erinnerungen 1982–1990“. Der Chef der Deutschen Bank sei ihm ebenso ein guter Freund gewesen wie Hanns-Martin Schleyer. „Er war ein aufrechter Patriot, auf dessen klugen Rat ich im Wiedervereinigungsprozess gesetzt hatte. Mit einem enormen persönlichen Einsatz hatte er das Beste für unser Land gewollt“, lobt der Kanzler a.D. den Mann, den er freundschaftlich „Don Alfredo“ nannte. Die enge Verbundenheit mit Alfred Herrhausen wird schon in der Alfred Herrhausen ist am 30. November 1989 in Bad Homburg durch eine Bombe der RAF ermordet worden – eine heimtückische Tat, die bis heute nicht gesühnt wurde. In den Tagen nach dem Attentat versuchen Freunde und Wegbegleiter die unsagbare Trauer in Worte zu fassen. Eine große Trauerfeier im Frankfurter Kaiserdom und ein Requiem in der Bad Homburger Erlöserkirche sind dem Gedenken an den verstorbenen Chef der viel beachteten Rede deutlich, die eher weiche Seite beschrieben. „Er Helmut Kohl am 6. Dezember 1989 hatte große Erfolge, und er wusste bei der Trauerfeier im Frankfurter dies. Aber er war überhaupt kein Dom hält. „Er liebte das Leben, das ,Erfolgsmensch‘,Er litt unter Anganze Legriffen. Er ben. Er war im Innekonnte herzren verletzlich lachen, lich“, hebt sich mit eiHelmut nem jungenKohl hervor. haften Ähnlich Charme äußert sich freuen. Viele VorstandsAlfred Herrhausen † 30.11.1989 von uns erkollege Letzter Teil innern sich Dr. Horst mit Dankbarkeit an solche Stun- Burgard, der Herrhausen fast 20 den“, sagt der Kanzler. Jahre kannte: „Ich weiß, wie fröhWährend die meisten Alfred lich, manchmal burschikos-jungenHerrhausen nur als großen und er- haft und zugleich nachdenklichfolgverwöhnten Macher der deut- sensibel er war.“ Der damalige Aufschen Wirtschaft kannten, wird bei sichtsratsvorsitzende, Dr. Wilfried der Trauerfeier auch eine andere, Guth, erinnert noch im gleichen Das Attentat Deutschen Bank gewidmet. In der letzten Folge unserer Serie berichten wir, wie Angehörige, Kollegen, Politiker und einfache Bürger Abschied nehmen von einem der größten Wirtschaftsführer, die das Land je hatte. Jahr in einem Beitrag für die Mitarbeiter-Zeitung „db-aktuell“ an den Schwung und die Herzenswärme, die bei Alfred Herrhausen zum Ausdruck kamen, wenn er an Universitäten und in der Bank mit jungen Menschen sprach. „Er hat sie mitgerissen und begeistert. Zu ihnen fühlte er sich hingezogen.“ Bei der Trauerfeier im Dom, zu der auch Bundespräsident Richard von Weizsäcker gekommen ist, hält Pater Augustinus Graf Henckel von Donnersmarck die Predigt. Er war ein enger Freund des Verstorbenen, kannte ihn aus unzähligen Gesprächen, und auch er spricht über den Menschen Alfred Herrhausen in einer sehr emotionalen Form: „Er hatte ein Herz, er war sanft, er hat die Kunst geliebt, er war voller Heiterkeit und konnte, wenn es die Stunde erlaubte, voll unschuldiger, ausgelassener Fröhlichkeit sein. Warmherzig war er und voller Bereitschaft, den in Not Geratenen zu helfen. Er wusste auch, dass die Dinge ihre Tränen haben, aber er war voller Zuversicht.“ In der Öffentlichkeit freilich wurde der Deutsche-Bank-Chef vor allem ob seines hellwachen Verstands und seiner klaren Gedanken geachtet. „Er war von einer Klarheit des Denkens und Wollens ohnegleichen. Ich habe in meinem Leben keinen anderen Menschen kennengelernt, bei dem Kühnheit der Gedanken und visionärer Ideenreichtum so mit Realitätssinn und Entschlusskraft gepaart waren wie bei ihm. Der Kraft seiner Persönlichkeit konnte sich niemand entziehen“, schreibt Guth. „Sie wollten ein Symbol zerstören und töteten einen Menschen“ Bad Homburgs Alt-OB Wolfgang R. Assmann erinnerte beim Requiem an einen Mann mit Idealen und Optimismus Am 8. Dezember 1989 wurde des verstorbenen Alfred Herrhausen in der Bad Homburger Erlöserkirche gedacht. Rund 1000 Menschen nehmen daran teil. Oberbürgermeister Wolfgang R. Assmann (CDU) hielt eine bewegende Rede. Auszüge: „Wir erinnern uns an unseren Mitbürger Alfred Herrhausen, der 1984 voll Hoffnung mit seiner Familie nach Bad Homburg gezogen war. Voll Hoffnung in der Überschaubarkeit unserer Stadt, als Bürger unter Bürgern friedlich leben zu können und hier Geborgenheit für seine Familie zu finden. Er machte kein Aufsehen von seiner Person. Wer ihn in Bad Homburg traf, traf nicht den Chef der Deutschen Bank, sondern den stolzen Vater, den freundlichen Nachbarn – einen Menschen, der gerade weil er so im Licht der Öffentlichkeit stand, Privatheit genießen konnte. Er fühlte sich wohl in dieser Stadt, die ihm schnell zu einem neuen Zuhause wurde. Seine Frau lebte und arbeitete hier, wie viele Bad Homburger Frauen dies tun. Seine Tochter war ein Kind unter Kindern, beliebt und geachtet bei den Schulkameraden wegen der eigenen Leistungen, nicht wegen der Position des Vaters.“ $ „Der Politik wird ein weitsichtiger Berater fehlen, der unabhängig, mit geistiger Disziplin, das Dickicht widerstreitender gesellschaftlicher Vorstellungen durchforstete und ordnete. Aber während ich dies ausspreche, weiß ich, dass ich der Gefahr erliege, dem Menschen Alfred Herrhausen Unrecht zu tun, indem ich ihm ein Klischee überstülpe, ein Klischee, das – wie wir heute wissen – mörderische Folgen hatte. Gar zu gern wurde Alfred Herrhausen als der kühle Stratege dargestellt, als Mann, der die Macht der Banken in die Omnipotenz steigerte, und als Beherrscher der Politik. Augenscheinlich braucht eine Gesellschaft, die ihr Wissen weitgehend aus Schlagzeilen bezieht, Symbolfiguren, die wie Piktogramme eine Botschaft signalisieren sollen. Alfred Herrhausen war sich der Gefahr einer solch schrecklichen Vereinfachung bewusst. In einer Rede auf das Jahr 1989 wies er darauf hin, dass der Grund vieler Fehlentwicklungen das fehlerhafte Denken sei. Als solches bezeichnete er „ein Denken, das im Widerspruch steht zur jeweiligen Realität, und dies hat mit einem elementaren psychologischen Sachverhalt zu tun, der mit der ständig größer werdenden Ausdifferenzierung unserer Lebensverhältnisse immer mehr an schädlicher Bedeutung gewinnt. Mit der Tatsache, dass die meisten Menschen es sich gleichsam als Überlebensmethode einfach machen wollen. Sie flüchten sich in Vorurteile, vorgefasste Meinungen und egoistische Interessen, weil sie so der Komplexität der Wirklichkeit entgehen. Alfred Herrhausen wurde das Opfer solch entsetzlicher Vereinfa- cher, die ein Symbol zerstören wollten und die einen Menschen töteten.“ $ „Der Mensch Alfred Herrhausen war anders als das Klischee, das wir kennen. Ein unbestechlicher Analytiker zwar, aber nicht kaltherzig, sondern erfüllt von der Verpflichtung des Starken, gerade den Schwächeren zu helfen, wie zum Beispiel seine Initiativen zur Tilgung der Schulden in der Dritten Welt beweisen. Er war ein Mann, der nur das von anderen forderte, was er sich selbst auch abzuverlangen bereit war, pflichtbewusst und verlässlich. Selbstbewusst zwar, aber auch philosophisch nachdenklich, ohne dabei trübsinnig oder grübelnd zu sein. Angehöriger des konservativen Kreditgewerbes, aber im Denken unkonventioneller als viele sich progressiv empfindende Berufsgruppen. Ein Mann, der nicht nur Ideale hatte, sondern sein Leben an ihnen ausrichtete. Für den zum Beispiel der Begriff Gewissen nicht ein abstrakter Begriff christlicher Ethik war, sondern ein täglicher Handlungsauftrag. Wie sagte er zu Beginn dieses Jahres in der bereits zitierten Rede: ,In dem Wort Gewissen aber steckt zweierlei – Wissen und Verantwortung, Denken und Gestalten, wichtiges, fehlerfreies Denken und daraus abgeleitetes, das heißt, damit übereinstimmendes, verantwortungsbewusstes Handeln’.“ $ „In Stunden wie diesen laufen wir Gefahr, den Glauben an die Menschheit zu verlieren. Das wäre aber nicht im Sinne von Alfred Herrhausen. Seinen Toast auf 1989 schloss er damit, dass er dem resignierenden Wort von Johann Peter Hebel ,Das Fortrücken in der Kalenderzahl macht wohl den Menschen, nicht aber die Menschheit reifer’ die optimistische These von Teilhard de Chardin entgegensetzte: ,Die Menschheit entwickelt sich aufwärts’.“ Die Rede gibt es auch als Audio-Beitrag im Internet: www.fnp.de/herrhausen In der Tat besticht Herrhausen durch hohe Präzision beim Formulieren. Seine oft brillanten Reden soll er alle selbst geschrieben haben, allenfalls Entwürfe dazu von Mitarbeitern stammen. „Ich habe einmal versucht, eine Rede für ihn zu schreiben – aber sie hatte einfach nicht sein Niveau“, bekennt ein ehemaliger Assistent. „Wenn er vortrug, diskutierte, dominierten sein analytischer Verstand, die kühle Präzision des Denkens und die Sachlichkeit. Gerade diese Mischung war es, die uns Kollegen faszinierte“, sagt Burgard und nennt Herrhausen „ein Vorbild an Fleiß, Selbstdisziplin und Noblesse“. Die Hände eines Sämanns Und es war gerade diese herausragende Rolle, die Herrhausen zu einem der am stärksten gefährdeten Personen der Republik machte. „Dem Mord geht der Rufmord voraus – die Verhöhnung, die Verächtlichmachung, die Diffamierung. Hervorragende Menschen werden zu ,Symbolfiguren‘ erniedrigt. Sie werden zum Objekt eines gnadenlosen Hasses gemacht“, sagt ein sichtlich bewegter Helmut Kohl im Frankfurter Dom und fragt: „Was ist los mit den Deutschen hier in der Bundesrepublik? Wir genießen in nie gekanntem Maße Freiheit, Frieden und Wohlstand – und dennoch stehen wir immer wieder an Särgen von Menschen, die von den Feinden unserer Republik brutal ermordet wurden.“ Dass Alfred Herrhausen Bleibendes geschaffen hat, darauf wies Pater Augustinus in der Trauerfeier hin: „Sollte ich ihn beschreiben, so dächte ich an seine Hände, die Hände eines Sämanns, der die Saat ausgeworfen hat und von dessen Aussaat wir alle noch werden lange ernten können.“ ENDE Zwei schlichte Basaltsäulen erinnern im Bad Homburger Seedammweg an das schreckliche Verbrechen. Zu jedem Jahrestag liegt dort ein Kranz von Alt-Kanzler Helmut Kohl – auch in diesen Tagen wieder. Foto: Storch