Andrea Mayr

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Andrea Mayr
Open Source oder MS-Mainstream für Jugendarbeit?
Perspektiven und Grenzen der Nutzung von LINUX in der
Jugendarbeit
Im November 2004 wurde die selbststartende Linux CD „JUX2“ von netbridge, einer
österreichischen Koordinationsstelle für IKT in der Jugendarbeit in Kooperation mit
deutschen und anderen österreichischen Partnerinstitutionen veröffentlicht. Es war
dies die zweite erweiterte Produktion dieses Produkttyps, der im Jahr zuvor entwickelt wurde und innerhalb kurzer Zeit vergriffen war.
Bei der selbststartenden Linux CD handelt es sich um ein vollständig funktionsfähiges Linux-Betriebssystem, das von Personen ohne spezielle Linux Kenntnisse auf
durchschnittlichen Heimcomputern gestartet und erkundet werden kann. Wesentlich hier ist, dass auf dem Rechner keinerlei Installationen vorgenommen werden
müssen und damit auch kein Risiko besteht, irgendetwas kaputt machen zu können.
Sie sind damit das ideale Werkzeug, um risikolos und ohne Vorarbeit neue Software
ausprobieren zu können.
Netbridge aus Wien hat 2001 gezielt begonnen, Einsatzmöglichkeiten von Linux in
der Jugendarbeit auszuloten. Vorangegangen war diesem Projektschwerpunkt eine
Umfrage in Wiens Jugendzentren, die belegte, dass Mitarbeiter/innen der Einrichtungen durchweg Interesse an Linux-basierten Lösungen für die Jugendarbeit hatten,
aber im hektischen Alltag keine Kapazitäten, solche zu entwickeln oder sich in komplexe Installationen einzuarbeiten.
Die Auseinandersetzung mit diesem indirekten Auftrag zur Erarbeitung exemplarischer Einsatzmöglichkeiten hat aufgezeigt, dass die Ausgangssituationen in den einzelnen Jugendzentren äußerst heterogen waren. Die Qualifikation der Mitarbeiter/innen, deren Fluktuation und die technische Ausstattung waren sehr unterschiedlich
und erschwerten unsere Lösungsfindung. Als Klaus Knopper – ein IT-Unternehmer
aus Kaiserslautern – 2002 seine erste selbststartende KNOPPIX CD mit umfangreicher
Dokumentation zur Erstellung von Derivaten zum Download zur Verfügung stellte,
sahen wir darin eine Chance, eine den spezifischen Bedingungen angepasste Lösung
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MaC* - Reloaded: Perspektiven aus der Skepsis
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zu entwickeln. Die Entwicklung eines auf Jugendliche ausgerichteten Knoppix-Derivats verlangt in technischer Hinsicht komplexe Programmierfähigkeiten, auf inhaltlicher Ebene ist ein breites Wissen um die Existenz und Spezifika zielgruppenrelevanter
Programme zentral. Als Strategie zur Erfüllung dieser Herausforderung wurde eine
JUX Community, bestehend aus freiwilligen Programmier/inne/n und interessierten
Jugendarbeiter/inne/n aufgebaut. Dies ist im Bereich der Freien bzw. Open Source
Software Entwicklung durchaus üblich, ein Punkt, auf den ich später noch zurückkommen werde.
Während JUX_1 von netbridge im Alleingang produziert wurde und als technologieorientierte Testanwendung für einzelne Jugendeinrichtungen diente, wurde JUX2 als
Kooperationsprojekt zwischen mehreren Partnerinstitutionen (u. a. der Bundeszentrale
für politische Bildung, der Initiative Jugend ans Netz sowie der österreichischen Gewerkschaft der Privatangestellten) angelegt. Ging es uns in Version 1 um die grundsätzliche Feststellung, ob diese Anwendung in technischer Hinsicht im Jugendarbeitskontext überhaupt einsetzbar ist, konnten wir uns – nach positiven Erfahrungen diesbezüglich – in Version 2 vermehrt um zielgruppengerechte Inhalte bemühen.
Die ausgewählte Software ist eine Schnittmenge aus Standardanwendungen und
Programmen speziell für Kinder und Jugendliche im Alter von acht bis 14 Jahren. Das
Alterssegment ist offensichtlich sehr breit, jedoch schien es wenig sinnvoll, hier mehr
einzugrenzen. Rein technisch war das auch nicht notwendig, denn dank Komprimierung ließen sich eine Menge an Programmen auf die CD-ROM packen und es
schien uns angebracht diese Möglichkeiten voll auszunutzen. Weiter haben unsere
praktischen Erfahrungen mit Kindern und Jugendlichen auch gezeigt, dass das Wissen um den Umgang mit Computern in diesem Alter extrem unterschiedlich ist. In
erster Linie wird dies beeinflusst davon, ob die Kids im privaten Bereich auch Zugang
zu einem Computer haben. Genderspezifisch – so haben wir festgestellt – wirkt sich
die Möglichkeit der privaten Nutzung von Computern vor allem bei Mädchen sehr
positiv aus. Auch sahen wir die Möglichkeit der gemeinsamen Erkundung der Linux
CD-ROM von Erwachsenen und Kindern. All das waren Gründe, die altersmäßige
Eingrenzung eher breit zu halten und die Auswahl an Programmen großzügig zu
gestalten.
Unter den Standardanwendungen finden sich u. a. das professionelle Grafik Programm „Gimp“, das Office-Paket „OpenOffice“, die Internet-Browser „Mozilla Firefox“
und „Konqueror“ und das eMail-Programm „Kmail“. Unter den zielguppenspezifischen
Programmen findet sich „Tuxpaint“, ein Malprogramm für Kinder, eine große Menge
an Lernprogrammen, z. B.: Gcompris (Lernmodule für Kinder unterschiedlichen Alters), OpenWebSchool (Browser basierende Tests für verschiedene Gegenstände), Tipp-
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trainer, Tuxmath und Squeak (Programmieren lernen). Mit mehr als 40 Spielen und
deren Erklärung verdeutlicht sich hier ein inhaltlicher Schwerpunkt. Zusätzlich findet sich noch der Politik-Comic „Hanisauland“ der Bundeszentrale für politische Bildung, mit ca. 20 Folgen auf der CD-ROM.
Diese Inhalte sind natürlich nicht „nur“ für Jugendeinrichtungen interessant und
so kam es, dass, obwohl wir bei der Erstellung unserer CD-ROM in erster Linie die
außerschulische Jugendarbeit anvisiert haben, das endgültige Produkt weit über dieses Feld hinaus Anwendung gefunden hat. Sowohl Schulen als auch Privatpersonen
haben Interesse an JUX2 gezeigt und verwenden es nun in diversen Kontexten.
Viele der medienpädagogischen Konzepte, die in den vergangenen 20 Jahren entwickelt und erprobt wurden, basieren auf Anwendungen wie Bild- oder Soundbearbeitungsprogrammen und können somit grundsätzlich plattformübergreifend umgesetzt werden. Voraussetzung ist die Beherrschung der entsprechenden Programme. Auf JUX2 haben wir versucht Hilfestellungen für solche Anwendungen erweitert
und leicht verständlich anzubieten. In dieser Hinsicht entspricht JUX2 durchaus einem traditionellen Konzept von Medienpädagogik (im Computerbereich), die in erster
Linie auf die kompetente Anwendung von Medientechnologien zielt.
Das Potenzial von Linux in der Jugendarbeit liegt unserer Ansicht nach aber nicht
ausschließlich in der Vermittlung von Anwendungskompetenzen bezüglich der Benutzung der Programme. Wir folgen einem erweiterten Verständnis von Medienkompetenz. Im Vordergrund steht die Beispielhaftigkeit für einen anderen Umgang
mit Medien und die Bildung eines kritischen Bewusstseins für die gesellschaftliche
Konstruktion von Medien und deren Konsequenzen.
Linux ist so genannte „Freie und Open-Source Software“ (FOSS). Das spezielle an
dieser Software ist es, dass sie einer Lizenz, der GNU General Public License (GPL),
unterliegt. Diese Lizenz ermöglicht einen grundsätzlich neuen Umgang mit der Software. So ist etwa die die kostenfreie Weitergabe des Programms nicht nur möglich,
sondern erwünscht. Das wohl wichtigste Kriterium von Programmen, die dieser Lizenz unterliegen, ist deren Quelloffenheit, die jedem mit den notwendigen Kompetenzen das Verändern dieser Programme ermöglicht. Der Schwierigkeitsgrad einer
Veränderung ist variabel. Beginnend von der relativ einfachen Änderung der Einbindung einer Grafik kann man sich je nach Lust bis in komplexe programmiertechnische Tiefen vorarbeiten. Die Vervielfältigung und Weitergabe des veränderten Programms steht dem/der Benutzer/in wiederum frei. Jede/r kann, muss aber nicht, hier
aktiv werden. Viele der Programmier/innen in unserer JUX Community beispielsweise
haben ihr Wissen autodidaktisch erworben. Dieses Know-how ist für einige die Grund-
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lage ihrer professionellen Tätigkeit geworden und auch in unser gemeinschaftlich
erstelltes Produkt, die JUX2-CD, eingeflossen.
In den Jahren der Verbreitung des Heimcomputers (seit den frühen 1980er Jahren)
war und ist die primäre Herausforderung an Menschen mit erweiterter Computererfahrung, mit mehr oder weniger pädagogischem Geschick, die Vermittlung von
Medienkompetenzen an Computerneulinge. Nach annähernd 20 Jahren dieser Entwicklung kann man in unserer Gesellschaft von einer hohen Entwicklung der Computer-Literarität sprechen. Textverarbeitungsprogramme ersetzen Schreibmaschinen,
die wichtigsten Internet-Dienste wie eMail oder das Surfen im World Wide Web werden vor allem von den Jugendlichen wie selbstverständlich benutzt.
Die weite Verbreitung der Computer-Technolgie im Endbenutzer/innenbereich wirft
jedoch Fragestellungen auf, die vor einigen Jahren in ihrer heutigen Brisanz nicht
absehbar waren. Die Technologisierung der Gesellschaft hat dazu geführt, dass die
Technologien selbst zum Feld gesellschaftlicher Auseinandersetzungen geworden sind.
Anders als etwa bei der Kontroverse über die Atomenergie der 1970er Jahre, die im
wesentlichen Expert/inn/en vorbehalten war, betreffen die Auseinandersetzungen rund
um die neuen Medientechnologien den Handlungsraum von Individuen. Was oftmals
fehlt, ist das Problembewusstsein und das Wissen um die real verfügbaren Alternativen. Dies ist aber im Wachsen, denn vieles, das vor 20 Jahren im universitären, wirtschaftlichen und auch privaten Bereich Teil einer Alltagspraxis war, ist heute entweder schon gar nicht mehr möglich oder ins Zentrum von Großkonflikten gerückt.
Man denke hier nur an den unkontrollierten Austausch von Musik.
Kern der Auseinandersetzungen bildet der Begriff des „geistigen Eigentums“. Dessen Zuschreibung und Verwertung ist ein aktueller Streitpunkt. Es zeichnen sich primär zwei Positionen ab: die zugunsten von so genannter „proprietärer Software“ und
eine andere zugunsten von „Freier und Open Source Software“ (FOSS). Sie unterscheiden sich von der Produktion bis hin zur Verteilung grundsätzlich. Während
proprietäre Software meist in isolierten Gruppen und an einem bestimmten Ort entsteht, wird die Entwicklung von Freier Software üblicherweise über das Internet nach
außen hin transparent gehalten. Bei FOSS darf prinzipiell jede/r Änderungen einbringen. Ein Versionierungssystem, dessen Benutzung einigen wenigen vorbehalten ist,
trägt dazu bei, dass nur ausgewählte Veränderungen tatsächlich in den jeweils endgültigen Programmcode einfließen. Proprietäre Software zeichnet sich weiter durch
restriktive Endbenutzer-Lizenzen aus. Üblicherweise kauft man Voll-Lizenzen, verwendet Demo-Versionen oder arbeitet in Ausbildungsstätten (noch) unbedacht an
Gratis-Versionen. FOSS kann man kostenfrei vom Internet laden, man kann sie auch
kaufen, um sich Support zu sichern. In jeden Fall hat man die Möglichkeit, von den
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Programmen bzw. dem ganzen System legal kostenfreie Kopien anzufertigen. Der
Unterschied ist somit nicht nur relevant für Programmierer/innen, die sich an der
Entwicklung eines Programmes, aus welcher Motivation auch immer, beteiligen wollen, sondern ganz klar auch für die Endbenutzer/innen. In Bezug auf unsere JUX-CDs
wirkt sich das in der Möglichkeit des kostenfreien Downloads und ihrer freien
Kopierbarkeit aus. Der Vermerk auf der CD „Vervielfältigung ausdrücklich erwünscht“
löst oftmals Verwunderung aus, was auf die Dominanz von proprietären Produkten
und deren Medienpräsenz in Bezug auf die so genannte Produktpiraterie zurückzuführen ist. Dies ist oftmals der erste, unkomplizierte Einstieg in die Reflektion dieser
Fragestellungen.
Für diejenigen Nutzer/innen, die weitergehen, ist die Begegnung mit der Community,
die oftmals mit Tipps und Hinweisen über Probleme hinweghilft, die nächste Entdeckung. In den FOSS Communities wird ein ganz anderes Verständnis von Technologie
gelebt. Programme sind nicht fertige Applikationen, denen sich der Anwender anpassen muss, sondern es sind offene Konfigurationen, die permanent verändert werden
können. Zentral ist nicht das Besitzen der „coolsten“ Programme (diese sind ohnehin
allen frei zugänglich), sondern das gemeinsame Entwickeln des Wissens, was mit
diesen Programmen alles gemacht werden kann. Selbstverständlich werden hier hohe
Ansprüche an die Eigenmotivation der Nutzer/innen gestellt, aber der wesentliche
Punkt ist es, dass die Motivation geweckt und danach nicht künstlich eingegrenzt
wird.
Wir hoffen, dass das Angebot der JUX2 nicht nur von den Jugendlichen aufgenommen wird, sondern auch von anderen Institutionen, die sich mit Freier Software im
Jugend- und Schulbereich beschäftigen. Ihnen steht die CD, die ebenfalls unter einer
Freien Lizenz veröffentlicht wurde (mit Ausnahme weniger Programme), als Ausgangspunkt für neue, eigene Projekte zur Verfügung.
Das Bereitstellen von Technologie ist natürlich nur ein Element eines komplexen
medienpädagogischen Prozesses und entscheidet alleine nicht über Erfolg oder Misserfolg eines Ansatzes. Wir sind aber überzeugt, dass mit der Bereitstellung von Freien
Software Angeboten wie den JUX-CDs sich neue und wichtige Fragen der Medienkompetenz auf anschauliche Weise aufbereiten lassen. „Vervielfältigung ausdrücklich erwünscht“.
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