Fragen und Antworten

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Fragen und Antworten
Ö1 macht Schule.
Ein Projekt von
Der Künstler als Seelendoktor
Arthur Schnitzler, Chronist seiner Zeit
Ö1 Radiokolleg / Teil 1–4
Gestaltung: Sabrina Adlbrecht
Sendedatum: 20.- 23.08.2012
Länge: je ca. 13.20
Fragen und Antworten
Teil 1
1. Wie lässt sich Wien um 1900 charakterisieren?
Wien war um 1900 eine europäische Metropole mit ca. 2 Millionen Einwohnern, von denen viele aus den
Ostgebieten der Monarchie – aus Böhmen, Mähren, Ungarn und Galizien – eingewandert waren.
Dieser „brain drain“ ließ ein dichtes Milieu im Bereich der intellektuellen und künstlerischen Berufe wie
im Großbürgertum entstehen.
2. Welche Bedeutung hatte das Café Griensteidl?
a.
b.
Es war Treffpunkt von Intellektuellen, Künstlern und Literaten, wo man sich zu Debattier- und
Selbstdarstellungsrunden traf.
Seine Bedeutung als „Literaturcafé“ erhielt es durch die Gruppe „Jung Wien“, die sich um 1890
etablierte.
3. Wer gehörte zur Gruppe „Jung Wien“?
Felix Salten, Richard Beer-Hofmann, Hermann Bahr, Hugo von Hofmannsthal, Peter Altenberg, Arthur
Schnitzler, u.a.
4. Warum gilt „Anatol“ als Repräsentant seiner Zeit?
In diesem Einakterzyklus verkörpert der Protagonist Anatol das Selbstbild vieler junger Autoren und
Söhne aus großbürgerlichem oder adeligem Haus, die trotz zahlreicher amouröser Affären zu keiner
erfüllten Beziehung fähig sind.
5. Unter welcher Zerrissenheit leidet Arthur Schnitzler in seinen jungen Jahren?
Arthur Schnitzler leidet unter dem äußeren Druck, sich als Sohn einer erfolgreichen großbürgerlichen
Generation beweisen zu müssen. Es ist eine Zerrissenheit zwischen Beruf (Medizin) und Berufung
(Poesie), aber auch der ständige Konflikt mit der gesellschaftlichen Doppelmoral seiner Zeit belastet
ihn sehr.
© Diese Zusammenstellung: Ö1 macht Schule / Mag Jutta Kleedorfer
Ausschließlich zur nicht-kommerziellen Nutzung zu Unterrichtszwecken im Sinne des § 42 Abs 6 UrhG bereitgestellt.
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Ö1 macht Schule.
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6. Warum wird Schnitzler aus Sicht der Germanistik auch als Chronist seiner Zeit geschätzt?
In seinen akribisch geführten Tagebüchern wie in seiner Autobiographie hält er seine Beobachtungen der
gesellschaftlichen und politischen Strömungen fest, um dem individuellen wie kollektivem Gedächtnisverlust seiner Zeit entgegenzuwirken.
7. Wann fällt Schnitzlers Entscheidung, sich als Autor zu etablieren?
Mit dem Tod des Vaters 1893 entscheidet sich Schnitzler für die Literatur, ohne jedoch den Arztberuf
aufzugeben.
Teil 2
8.Wer ließ sich in herausfordernder Pose auf einer Prater Schnellfotographie ablichten?
Es zeigt ein Gruppenbild in der Pose moderner Autoren mit Richard Beer-Hofmann und Hermann Bahr
stehend, Hugo von Hofmannsthal und Arthur Schnitzler sitzend.
9. Welche neuen Wege wollen die „modernen“ Autoren gehen?
Die Darstellung inneren Erlebens galt den „modernen“ Autoren als neue Erzählform.
10. In welcher Weise hatte Schnitzler dazu einen besonderen Zugang?
Durch seine psychiatrische Ausbildung und die Beobachtung von Hysterie- und Nervenkrankheiten hatte
Schnitzler Einsichten in unbewusste Vorgänge gewonnen.
11. Worin liegt die literarische Innovation in Schnitzlers Arbeit?
Im sogenannten Phänomen des „Krankheitsgewinns“ und im Bereich der seelischen Darstellung von
Befindlichkeiten.
12. Inwiefern verursachte Schnitzlers Novelle „Leutnant Gustl“ einen Skandal?
Die Novelle „Leutnant Gustl“ gibt ein vollständiges Bild der damaligen Realität wieder. Vor allem die
Entlarvung des militärischen Ehrbegriffs und die scharfe Sozialdiagnose einer ständisch organisierten
Gesellschaft am Rand des Abgrunds führten zu einer presseinitiierten Skandalisierung, die mit einer
Aberkennung des Offiziersrangs für Schnitzler endete.
13. Was versteht man unter Schnitzlers „Bauchrede“?
Es ist dies der von Schnitzler entwickelte „innere Monolog“ und den gleichzeitig damit verbundenen freien
Assoziationen. Hier ist eine Orientierung an Freuds „Traumdeutung“ zu beobachten, der seine Patienten
aufforderte, „alles zu sagen, was ihnen durch ihren Kopf geht“.
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14. Was unterscheidet Schnitzler von Freud und umgekehrt?
Schnitzler ist kein Freund der Psychoanalyse, denn diese ist ihm zu systematisch.
Im Gegensatz zu Freud systematisiert und interpretiert Schnitzler nicht, sondern beobachtet und bietet
Einsichten an.
15. Welchen Hinweis gibt Torbergs Pony-Anekdote?
Sie macht Schnitzlers ironische Distanz zu Freud deutlich, wenn Schnitzler nach der Erstversorgung
den Dienern den Auftrag gibt, den Pony-Reiter in die Unfall-Ambulanz, das Pony aber zu
Dr. Freud zu bringen.
16. Was ist unter dem Begriff „Doppelgängerscheu“ zu verstehen?
Darunter versteht man das Verhalten, das auch Schnitzlers Beziehung zu Freud bestimmt hat, indem
man vermeidet, sich zu nahe an jemanden heranzuwagen, der einem sehr ähnlich ist. Diese „Scheu“
legten Schnitzler und Freud erst im Alter ab, als sie sich einander im Jahr 1926 annäherten, indem sie
gemeinsame Spaziergänge unternahmen oder einander zum Essen einluden.
Teil 3
17. Woran ist zu erkennen, dass Schnitzlers Werke durchgehend auch politisch sind?
Politisch sind Schnitzlers Werke bezogen auf die jeweilige Zeit und die ihnen innewohnenden Konflikte.
18. Welche Texte im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts zeigen Schnitzlers systemkritische
Haltung?
Die Stücke „Der Weg ins Freie“ und „Professor Bernhardi“ beschäftigen sich mit dem ausgeprägten
Antisemitismus seiner Zeit.
19. Mit welchem Schauspiel erreichte Schnitzler seinen künstlerischen Höhepunkt?
Lösungshinweis.
Ein großer Erfolg war das 1911 im Wiener Burgtheater und in Berlin aufgeführte Stück „Das weite Land“,
von dem Schnitzler selbst überzeugt war, dass „es bleiben, ja kommen wird“.
20. Was ist die tiefste Wahrheit, die im „Weiten Land“ zur Sprache kommt?
Diese ist enthalten im dem ironischen Apercu des Südtiroler Hoteldirektors: „Wir versuchen wohl,
Ordnung in uns zu schaffen, aber das Natürliche ist das Chaos und die Seele ist ein weites Land.“
21. Welche persönlichen Schwierigkeiten bestimmen Schnitzlers Leben nach dem Untergang
der Monarchie?
Die Scheidung von Olga, der Mutter seiner beiden Kinder Heinrich und Lili; die öffentliche Eskalation
verursacht durch die Aufführung von „Der Reigen“ und wirtschaftliche Schwierigkeiten.
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22. In welchem Werk der späten Prosa werden die Bedingungen der Moderne, die nur
auf schnellen Kommerz aus ist und in der die Orientierungslosigkeit der Nachkriegsgeneration sichtbar wird, in einer akribisch gearbeiteten Kunstsprache analysiert?
In „Fräulein Else“ liefert Schnitzler das Bild einer von Inflation geprägten Zeit, in der die Geldentwertung
mit der Entwertung des Körpers gleichgesetzt wird.
23. Welchen Zeitraum umfasst Schnitzlers epochenumspannendes literarisches Werk?
Es ist dies der Zeitraum von 1879, von der Silberhochzeit des Kaisers, bis zur ständig wachsenden
Vormachtstellung der Nationalsozialisten zu Beginn des 3. Jahrzehnts im 20. Jahrhundert.
Teil 4
24. Nach welchen Überlegungen wurde „Das weite Land“ im Jubiläumsjahr 2012 im Stil
des „Film noir“ am Burgtheater inszeniert?
Die Nähe von Schnitzlers Texten zur Filmsprache bewog den lettischen Regisseur Alvis Hermanis das
„Weite Land“ in Hollywoodmanier zu inszenieren. Seinen Überlegungen liegen die Tatsachen zugrunde,
dass viele jüdische Emigranten in Hollywood Filme im Stil des Expressionismus drehten und mit LichtSchatten-Kontrasten sowie mit der Symbolik des Unbewussten experimentierten. Schließlich interessierte
sich Schnitzler selbst für das neue Medium Film und war von einer cineastischen Leidenschaft erfasst.
25. An welchen Drehbüchern hat Schnitzlers selbst mitgearbeitet?
Es waren dies die Drehbücher zu den Streifen „Der junge Medardus“ (1923), „Fräulein Else“ (1928) und
der 1933 posthum fertiggestellte Film „Liebelei“.
26. Auf welcher Novelle Schnitzlers basiert Stanley Kubricks 1999 viel beachteter Film
„Eyes Wide Shut“?
Auf Schnitzlers „Traumnovelle“ von 1925.
27. Welche Kriterien lassen Schnitzlers Stücke, wie z.B. „Professor Berhardi“, zeitlos
erscheinen?
Die Zeitlosigkeit der von Schnitzler beschriebenen psychologischen und gesellschaftlichen
Konstellationen – Rufmord, Mobbing, Machtgefälle, Sterbehilfe, Fremdenfeindlichkeit, politische
Hetzkampagnen -, um nur einige Themen zu nennen, die heute noch genauso aktuell sind und rezipiert
werden können.
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28. Was braucht ein Schauspieler nach Ansicht von Michael Heltau, um Schnitzler spielen zu
können?
Es braucht eine spezielle Sensibilität für die feinen Nuancen der Sprache und Gesten, eine große
Achtsamkeit im Umgang mit Worten, eine nervliche Musikalität und eine Präzision in der Darstellung von
Situationen, vor allem aber die Beachtung der richtig gesetzten Pausen.
29. Wann ist eine Theatervorstellung von Schnitzlers Werken aktuell?
Eine Vorstellung ist nach Ansicht Michael Heltaus dann aktuell, wenn möglichst wenig manipuliert und
spekuliert wird und wenn der Zuschauer bzw. die Zuschauerin etwas für sich entdeckt, was mit
seiner/ihrer Lebenswirklichkeit übereinstimmt.
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