Die Blockflöte im Deutschen Barock Xueying HUANG
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Die Blockflöte im Deutschen Barock Xueying HUANG
Die Blockflöte im Deutschen Barock Xueying HUANG Masterarbeit Universität für Musik und darstellende Kunst Graz Institut 1 Komposition, Musiktheorie, Musikgeschichte und Dirigieren Betreuer: Ao.Univ.Prof. Mag.phil. Dr.phil. Ernst Hötzl Juni 2013 1 Inhaltsverzeichnis Inhalt Einleitung ...................................................................................................................... 3 1. Die Entwicklungsgeschichte der Blockflöte..................................................... 6 1.1. Die allgemeine Vorgeschichte und die Hintergründe ............................. 7 1.2. Die Renaissance und die weitere Entwicklungen bis zum Barock ........ 15 2. Die Blockflöte in der Zeitepoche Barock ....................................................... 28 2.1. Die Blockflöte im Wandel ............................................................................. 28 2.2. Die historischen und kulturellen Hintergründe und Merkmale ............... 32 2.3. Die barocke Blockflöte in Europa ................................................................ 39 2.3.1. Frankreich................................................................................................ 41 2.3.2. England .................................................................................................... 46 3. Die Barockflöte in Deutschland .......................................................................... 52 3.1. Die Ausgangssituationen in Deutschland .................................................. 52 3.2. Die deutschen Komponisten und die Blockflöte ....................................... 62 3.2.1. Johann Joseph Fux (um 1660 - 1741) ................................................ 63 3.2.2. Georg Philipp Telemann (1681 - 1767) .............................................. 66 3.2.3. Johann Christian Schickhardt (1682 - ca. 1762) ............................... 72 3.2.4. Johann Christoph Graupner (1683 - 1760) ........................................ 75 3.2.4. Johann Sebastian Bach (1685 - 1750) ............................................... 77 Schlusswort ................................................................................................................ 82 Literaturverzeichnis ................................................................................................... 83 2 Einleitung In keiner anderen Epoche wurde so viel für und mit Blockflöte komponiert wie im Barock. Jedoch hat die Blockflöte ihre Blütezeit spätestens bis zum Ende des Barock hinter sich, sie wurde im Laufe der Zeit verdrängt durch die Traversflöte, die als Vorläufer der heutigen Querflöte betrachtet wird. Dank der zahlreichen Bemühungen in Zentraleuropa insbesondere im Bereich Alte Musik seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert erlebt die Blockflöte heute wieder eine Renaissance. Für mich als Quer- und Blockflötistin stellt die vorliegende Arbeit eine wertvolle Gelegenheit dar, mich mit den Hintergründen der Blockflöte zu beschäftigen. Dabei habe ich mich auf die Entwicklungen in Deutschland konzentriert; natürlich darf man zur Betrachtung der deutschen Barockflöte die Situationen in anderen abendländischen Ländern keineswegs ausschalten, da die instrumentale und musikalische Entwicklungen einander beeinflussten. Meine Diplomarbeit wurde eine Art Annährungsversuch, die Blockflöte im Zusammenhang mit historischen Fakten besser kennen lernen zu dürfen. Die Arbeit gliedert sich in drei Kapitel. Das erste gibt einen groben Überblick über die ersten Anfänge der längst gespielten Flöte in verschiedenen Kulturkreisen. Mein Hauptaugenmerk liegt darauf, welche Stadien die Blockflöte in der abendländischen Musikgeschichte erlebt hat. Im Vordergrund stehen weniger rein instrumententechnische Detailfragen, sondern es geht vorwiegend um den Einsatz in der Musizierpraxis und die Stellung des Instruments in der Gesellschaft. Darüber hinaus werden die 3 sozial-historischen Entwicklungen in abendländischen Ländern beleuchtet, die für die Einsatzbereiche der Blockflöte relevant sind. Der Schwerpunkt liegt v.a. in der Stellung der Blockflöte in der Renaissance. Das zweite Kapitel stellt sich die Frage, wie sich die Situation für die Blockflöte in verschiedenen Ländern Europas weiterentwickelt hat. Die Zeitepoche Renaissance geht zu Ende, welche Ereignisse führen nun zum Paradigmawechsel? Was ist Barock? Die wichtigsten Merkmale in den anderen Kunstbereichen wie Malerei und Architektur und die Eigenschaften des neuen „barocken Lebensgefühls“ werden zusammengefasst und die Situationen in einigen abendländischen Ländern beschrieben – insbesondere hebe ich das „Blockflötenland“ England hervor, das einen wesentlichen Beitrag zur Blüte der Blockflötenmusik geleistet hat – noch heute ist die Blockflöte ein beliebtes und hochangesehenes Musikinstrument in England. Auch Frankreich spielt in dieser Hinsicht eine wichtige Rolle, da es die wichtigsten Flötenbauer in der Musikgeschichte hervorgebracht hat, die die Entwicklung sowohl des Instrumentenbaus als auch des Musikrepertoires maßgeblich geprägt haben. Die Franzosen und Engländer waren wichtige Vorbilder für ihre Musikkollegen in Deutschland. Das letzte Kapitel geht auf Deutschland im barocken Zeitalter ein, hier konzentriere ich auf die landesspezifische Entwicklung (Stichwort: 30-jähriger Krieg) und die Bedeutung der Blockflöte in dem deutschen Barock. Ich habe auch eine kleine Auswahl an Komponisten getroffen, die wichtige Werke für und mit Blockflöte hinterlassen hat: Johann Joseph Fux (um 1660-1741), Georg Philipp Telemann (1681-1767), Johann Christian Schickhardt (1682-ca. 1762), Johann Christoph Graupner (1683-1760) und Johann Sebastian Bach 4 (1685-1750). Ihr Leben, musikalischer Wedegang und Werke für und mit Blockflöte werden dargestellt. An dieser Stelle möchte ich bei meinem Betreuer Ao.Univ.Prof. Mag.phil. Dr.phil. Ernst Hötzl, der mir mit viel Geduld zur Seite stand. Meinem Hauptfachprofessor in Blockflöte, Herrn Uni.Prof. Robert Finster, möchte ich an dieser Stelle auch einen großen Dank aussprechen. Graz, im Frühjahr 2013 Xueying Huang 5 1. Die Entwicklungsgeschichte der Blockflöte Welche Stadien hat die Blockflöte in der abendländischen Musikgeschichte erlebt? Im Folgenden wird die geschichtliche Entwicklung der Blockflöte näher beschrieben. Im Vordergrund stehen dabei weniger rein instrumentenbauerische Detailfragen, sondern es geht vorwiegend um den Einsatz in der Musizierpraxis und die Stellung des Instruments in der Gesellschaft. Die moderne Blockflöte mit den Bezeichnungen der einzelnen Teile. Bildnachweis: Hans-Martin Linde, Handbuch des Blockflötenspiels, 2. erw. Ausgabe, Mainz 1984, S. 11. 6 1.1. Die allgemeine Vorgeschichte und die Hintergründe Die Flöten lassen sich geschichtlich weiter als viele andere Musikinstrumente verfolgen, sie zählen zu den allerersten Musikinstrumenten, die von Menschen gebaut wurden. Die Urform bildet meist das Rohr oder der hohle Knochen. Man kann ein Rohr sowohl offen wie gedackt abblasen. Flöten, bei denen der Ton durch eine Kernspalte erzeugt wird, kommen und kamen in der ganzen Welt in unterschiedlichsten Formen vor. Altchinesische Flöten verschiedener Art. Bildnachweis: A History Of Chinese Flutes, 1998 Beijing, S. 05. Die Völker mit langen Traditionen wie Ägypter und Chinesen hatten verschiedene Flöten gekannt und gebaut, die in volkstümlichen und religiösfeierlichen Ritualen eingesetzt wurden. Die vertikal gehaltene Blockflöte, bei der das Rohr mit Grifflöchern ausgestattet war, wurde als Musikinstrument nach Europa gleichzeitig aus Afrika durch die Mauren nach Spanien sowie durch Slawen aus Asien eingeführt. Die Griechen und Römer kannten ebenfalls Flöten verschiedener Art und haben sie gewiss auch weiter „vererbt“ und entwickelt. Sie waren in unterschiedlichsten Formen verbreitet: Blockflöten, die mit beiden Händen zu spielen waren, sind in Europa seit dem 7 11. Jahrhundert belegt. Daneben existierten Einhandflöten, zu denen mit der anderen Hand die Trommel geschlagen wurde, und Doppelflöten (siehe auch Abbildung auf S. 11) Tänzerin mit Schellentrommel, Spielmann mit Einhandflöte und Trommel. Bildnachweis: VEB DVfM Leipzig 175 Doppelflöte. Bildnachweis: s.O. Als ein Musikinstrument alter Herkunft ist die Blockflöte in verschiedenen Stilepochen beheimatet. Jede Zeit verwendet die Blockflöte wieder auf eigene Art und macht sie ihrem ästhetischen und aufführungspraxisbezogenen Klangideal dienstbar. Das lässt sich verfolgen bis in die Feinheiten bautechnischer Eigenheiten und Abänderungen.1 Das Mittelalter kennt sie in der Hand des Minstrels. Im 15. und 16. Jahrhundert ist sie das Instrument aller Schichten, am fürstlichen und königlichen Hofe ebenso im Gebrauch im 1 Hildemarie Peter, Die Blockflöte und ihre Spielweise in Vergangenheit und Gegenwart, 1953 Berlin, S. 38. 8 Bürgerhause und in der Volksmusik. Im 17. und 18. Jahrhundert wird sie einerseits chorisch (Diskantus, Altus, Tenor und Bass) einbezogen, zusammen mit anderen Musikinstrumenten oder auch kontrastierend zu diesen, andererseits findet an sie als Soloinstrument, gespielt von professionellen Musikern sowie amateurhaften Musikliebhaben.2 Als früheste gesicherte Darstellung der Blockflöte gilt eine Abbildung in einem Psalm des 12. Jahrhunderts, die nun in der Universitätsbibliothek Glasgow in Schottland aufbewahrt wird. Die Instrumente scheinen in verschiedenen Größen gebaut worden zu sein. Sie hat eine ungeteilte Form, glatte Röhre mit zylindrischer oder leicht konischer Innenbohrung. 3 Dass trotzdem die frühmittelalterlichen Abhandlungen wenig Aufschluss darüber geben, ist begründet in der Verbannung der Instrumentalmusik aus dem Gottesdienst. Da sie als weltlich galt, war sie samt den zugehörigen Instrumenten der Betrachtung der Kleriker meist nicht wirklich würdig. Es lässt sich anhand zahleichen Abhandlungen, die bis heute überliefert sind, feststellen, dass in den Klöstern, wenn auch in bescheidenem Maße, doch immerhin die Instrumentalmusik getrieben wurde.4 Im Abendland erlebte die (Block-)Flöte ihre eigentliche Entwicklung großteils außerhalb des kirchlichen Rahmens. Allmählich wurde sie aber auch in diesem geduldet und mit der Zeit gar so geschätzt, dass Erasmus von 2 Hildemarie Peter, S. 38. 3 Alexa Eicken, Die Blockflöte: Vom Mittelalter bis zur Renaissance im 20. Jahrhundert, http://www.les-joyeux.de/downloads/blockfloete.pdf, 01. 08. 2012 4 Dietz Degen, Zur Geschichte der Blockflöte in den germanischen Ländern, Kassel 1936, S. 83f. 9 Rotterdam schließlich im Jahre 1526 klagte, der Gesang in der Kirche werde vom Instrumentalen überdeckt und immer mehr verdrängt.5 Belege über die Existenz der Flöte in anderen europäischen Ländern wie Norwegen, England, Italien, Frankreich und deutschsprachigen Ländern gibt es etwa seit dem 12. Jahrhunderts. Auch die Vorläufer der Querflöte tauchten nun auf. Die Geschichte der Flöteninstrumente in Mittel- und Nordeuropa kann man also mit dem 12. Jahrhundert begingen lassen. Während nun die Querflöte sich von Anfang an bis heute trotz aller Verbesserung und Veränderungen doch an einem Grundprinzip und einer Grundform festhielt, hat die Blockflöte sich in mehrere Typen aufgegliedert. Der Zeitraum, den die bildende Kunst als romanische Epoche 6 zu bezeichnen pflegt, liefert uns zur Geschichte der Blockflöte zwar die Erstbelege für den mittel- und nordeuropäischen Raum, gestattet aber nicht das Verfolgen der Entwicklung bis in die Einzelheiten. Die höfische Kultur, Blütezeit des Kaisertums und der Ritter, benützte zur Musikausübung das Saiteninstrument des Minnesängers. Flöten und Schalmeien waren meistens nur bei den fahrenden Spielleuten zu finden, die einer niedrigen Sozialschicht angehörten. Noch lange Zeit, auch nach ihrem Aufstieg in die vornehmeren Bereiche der Kunst- und Gesellschaftsmusik, gehört die Flöte wie alle Pfeiffeninstrumente 5 zu den Attributen des Spielmannes und Vgl. Dietz Degen, S. 85 und Manfred H. Harras,: Art. Blockflöte. In: Musik und Geschichte und Gegenwart, hrsg. von Ludwig Finscher, 2., neubearb. Ausgabe, Sachteil I, Stuttgart 1994, Sp. 1590. 6 Der Begriff wurde gewählt als Hinweis auf die Verwandtschaft zur römischen Architektur, von welcher der Rundbogen, Pfeiler, die Säulen und der Gewölbebau übernommen waren. 10 Tausendkünstlers. 7 Die Darbietungen der Spielmänner waren selten rein musikalische, die Hauptsache dabei bildete meist der Vortrag von Gauklerkunststückchen und dressierten Tieren. Es ist verständlich, dass die dabei entstandene Musik keinen besonderen angesehenen Ruf genoss, sondern mehr oder minder als eine Art unterhaltender Lärm wahrgenommen wurde. Zum Bereich der (fahrenden) Spielleute gehört in erster Linie die Tanzmusik. Auch der bäuerliche Tanz verlangte nach Musik, und sicherlich findet sich neben der mehr durch das höfische Leben bedingten Praxis des fahrenden Spielmanns auch da und dort der Ansatz zu einer im Leben des einfachen Volkes verwurzelten Musizierform. Hans Burgkmair: Wagen mit Musikanten aus Kayser Macimillans I. Trimph (Schwegel mit Trommel, Pommern, Lauten, Viola da braccio und da gamba, Harfe). Bildnachweis: HansMartin Linde,: Handbuch des Blockflötenspiels. 2. erw. Ausgabe, Mainz 1984, S. 57. 7 Vgl. Dietz Degen, S. 87, Hans-Martin Linde, Handbuch des Blockflötenspiels, 2. erw. Ausgabe, Mainz 1984, S. 54f und Alexa Eicken, S. 2. 11 Bei den in den Städten üblichen Platzmusiken, Aufzügen, Hochzeits- und Tanzfesten, in den Badestuben und bei Weihnachts- und Passionsspielen werden die Flöten gespielt worden sein, im späten Mittelalter nicht nur ausschließlich von wandelnden Musikern und Stadtpfeifern, sondern auch von bürgerlichen Musikliebhabern. Trotz ihrer niederen sozialen Zugehörigkeit waren die Spielleute auch wichtige Mitwirkende bei der Aufführung geistlicher Spiele. Sowohl im privaten Bereich als auch an fürstlichen Höfen fand man oft die Mischung eines Flöteninstrumentes mit einer Singstimme und einem Zupfinstrument. Auf dem Land verwendeten die Hirten und Dorfmusikanten, die zur Hof- und Feldarbeit und bei Festen aufspielten, auch Flöten.8 Aus dem Mittelalter sind keine Blockflöteninstrumente erhalten. Die heutige Forschung ist auf bildliche und textliche Überlieferungen angewiesen. Man weiß, dass es keine einheitliche Größen gab, also es gab Blockflöten in verschiedenen Bauarten. Auch die Anzahl der Grifflöcher ist nicht eindeutig feststellbar. Oft handelt es um ungeteilte, glatte Röhren mit zylindrischer oder leicht konischer Innenbohrung. Oft kam die Flöte in Kombination mit dem Schwegel9 und kleiner Trommel vor.10 8 Manfred H. Harras, Art. Blockflöte. In: MGG, Sp. 1583f. 9 Schwegel ist eine zylindrische Einhand-Kernspaltflöte mit drei Grifflöchern für Daumen, Zeige- und Mittelfinger. 10 Manfred H. Harras, Art. Blockflöte. In: MGG, Sp. 1582f. 12 Schwegel, Trommel und Doppelflöte mit einem mittelalterlichen fahrenden Spielmann in einer englischen Zeichnung. Dargestellt wird eine Vorführung eines unterhaltsamen und akrobatischen Auftritts, der von den Musikern begleite wird. Bildnachweis: Manfred H. Harras, Art. Blockflöte, in: MGG, Sp. 1583. Man muss sich vergewissern, dass die Kirche in damaliger Zeit über allem stand. Mit dem Sinken der Macht des Kaisertums begann die große Zeit der Kirche. Nicht mehr der Ritter ist Träger der Kultur, sondern der Priester – überspitzt formuliert. Die Baukunst lieferte in dieser sog. Gotischen Epoche die großen Meilensteine, wie sie uns heute noch in mehreren Orten Europas als Ausdruck des Strebens nach einem Jenseits entgegentreten. Gleichzeitig Städtebünde ihr entwickelten reges und die abendländischen eigenes Kulturleben. Städte und Prachtvolle die und ehrfurchterregende Rathäuser und eigene Stadtpfeifer in mehreren deutschen 13 Städten und anderen Metropolen Europas dienten dem Representationsbedürfnis. Aber noch war der Mensch als Individuum nicht entdeckt, noch ist das edelgeformte Gesicht, der vollendete menschliche Körperbau – das was wir spätestens seit der Renaissance kennen – war noch nicht eigenberechtigter Gegenstand der Darstellung in der Kunst. Die bildende Kunst konnte zwar der äußeren Erscheinung der menschlichen Gestalt nicht entbehren, sondern musste sie zur Darstellung ihrer Heiligen- und Engelsfiguren heranziehen, aber sie betrachtete ihre lebenden Modelle gewissermaßen mit jenseitigen Augen und nur insofern, als sie „Ebenbilder Gottes“ sind. Die tatsächlichen Darstellungen von Privatpersonen beschränkten sich, abgesehen von hohen Vertretern der weltlichen Macht, sehr auf die sog. Stifter-Bilder. Die Maler schufen also die Wiedergabe eines biblischen Stoffes und setzten in eine untere Ecke den Gönner, in dessen Auftrag er das Werk hergestellt hatte. Der dargestellte Gönner befindet sich indessen meistens in einer im Gebet knienden Pose. Diese demütige Stellung bedeutet aber bereits einen Vorstoß von zunächst kaum überschaubarer Wirkung. Das Geld des Bürgers zeigte im Laufe der Zeit unaufhörlich seine Kraft und begann, die bisher als unangefochten angesehene Vormachtstellung des Klerikers vom Grund auf zu erschüttern. Dieses zunächst fast unbedeutende Bewusstsein führte allmählich zu einem wirklichen Schwanken des ganzen gesellschaftlichen Gerüsts, als der Mensch mit der Renaissance das Diesseits entdeckte. Die Risse liefen schließlich zu einem Spalt zusammen, in den sich wie ein Keil die Lehre Martin Luthers hineindrängen konnte. 14 1.2. Die Renaissance und die weitere Entwicklungen bis zum Barock Die Renaissance, bezogen auf seinen Ursprung, der so viel wie „kulturelle Wiedergeburt der Antike“ bedeutet, kann man gegenüber der Epoche Gotik, in der die Verbildlichung der christlichen Ideen im Vordergrund stand, als den Zeitraum der geistigen Befreiung von mystischer Jenseitigkeit, der Ablösung der Scholastik durch den Humanismus. Die Bevormundung durch die Vertreter der Kirche wurde von Intellektuellen abgelehnt. Man hatte für die Werte des Diesseits andere Verwendung gefunden, als sie der Kirche zu weihen. Der verbesserte Buchdruck hatte zudem die rasche Verbreitung der neuen Ideen erheblich beschleunigt.11 Auch hier zerriss im 16. Jahrhundert das geschlossene Lebensgefüge des Mittelalters. Nicht nur auf der musikalischen Ebenen wurde Neues geund erfunden. Um die Wende des abendländischen 16. Jahrhundert hatte Columbus die wirtschaftliche, Kopernikus die astronomische und Luther die religiöse Dimension erweitert. Die Renaissance hatte Deutschland ebenfalls ergriffen. Hier richteten sie sich ein solides Fundament ein, auf dem sie dem Angriff der Querflöte bis weit in das 18. Jahrhundert hinein standhalten konnten. Allerdings erringen sie nicht von Anfang an die volle Selbständigkeit, sondern standen zunächst in engster Verbindung mit der vokalen Musik, der sie ebenso wie alle anderen Instrumente angeschlossen waren.12 Damit war die verhältnismäßig kurze, aber umso intensivere Blütezeit der Blockflöte 11 Vgl. Dietz Degen, S. 86 und die Homepage des deutschen Blockflöten Museums, http://www.blockfloeten-museum.de, 01.08. 2012. 12 Gustav Scheck, Die Flöte und ihre Musik, Mainz 1975, S. 26f 15 angebrochen. Die verfeinerte städtische Kultur begnügte sich nun nicht mehr mit dem Tag- und Signalhorn des Wächters; Stadtpfeifer gaben den Aufzügen den nötigen Prunk. Da wurden fast ausschließlich Blasinstrumente herangezogen, während für das Musizieren in geschlossenen Räumen die verschiedenen Streich- oder Zupfinstrumente benützt wurden. Wie sehr die Blasinstrumente allgemein und unter ihnen die Blockflöte im Besonderen im Instrumentarium des 16. Jahrhunderts bevorzugt wurden, geht aus den Inventarverzeichnissen diverser fürstlicher Kapellen hervor. In der Renaissance begann das Blockflötenspiel allmählich zu wirklicher Bedeutung zu kommen. Man findet oft im Nachlass der Adeligen mehrere hunderte Blasinstrumente bzw. Flöten und lediglich ein paar dutzende Streichinstrumente. 13 Das Musizieren auf geblasenen Instrumenten galt in jener Zeit offensichtlich noch als vornehmer als das Spiel auf Streichinstrumenten. Letztere setzten sich erst im Verlaufe des 16. und vor allem im. 17. Jahrhundert durch. Die Befreiung von kirchlicher Verpflichtung und Gebundenheit führte schließlich auch zu einem gesteigerten Interesse an der Instrumentalmusik. Besonders in Deutschland, aber auch in Italien, Frankreich, den Niederlanden und Spanien etc., wurde die Blockflöte im Rahmen der Musizierpraxis hoch geschätzt. Eine außergewöhnlich bevorzugte Stellung nahm sie in England, dem Blockflötenland schlechthin, ein. Für unsere Betrachtung ist von Bedeutung, dass die Blockflöte, die heute allgemein zu den Volksinstrumenten gezählt und als DAS Einstiegsinstrument unzähliger eifrigen Eltern für die musikalische Ausbildung ihrer Sprösslinge angesehen 13 Vgl. Hans-Martin Linde, S. 62 und Dietz Degen, S. 119ff. 16 wird, in der Renaissance in die Gruppe der bevorzugten und hochangesehenen Musikinstrumente gehörte, ja geradezu deren Führer war. Zu dieser Sonderstellung befähigte sie auch die große Ähnlichkeit ihres Klanges mit dem der menschlichen Stimme - Wie fast alle überlieferten musiktheoretischen Schriften und musikalischen Schulen betonen, galt die menschliche Stimme als der edelste Klangträger. Die Vokal- und Instrumentalmusik war eng miteinander verwoben, dass eine ausdrückliche Trennung zwischen beiden nicht bestand. Die der menschlichen Stimme ähnlich klingenden Instrumente wurden bevorzugt eingesetzt und standen dem Rang nach deutlich höher als die anderen.14 Da nur der Klang der tiefen Flöten wirkliche Verwandtschaft zum vokalen Klang zeigt, ist hiermit erwiesen, dass damals die größeren Flöten nicht nur gelegentlich vorhanden, sondern im allgemeinen Gebrauch gewesen sein müssen. Sowohl im höfischen als auch häuslichen Bereich fand man dann auch häufig die Kombination eines Flöteninstruments mit einer Singstimme und einem Zupfinstrument wie etwa Harfe oder Laute. Eine spezifische Musik, die den Flöteninstrumenten zugeordnet werden könnte, ist aus dieser Epoche nicht überliefert. Also für die Musik des 15. Und 16. Jahrhundert ist das Fehlen der eindeutigen Besetzungsvorschläge kennzeichnend. Hintergrund ist die mittelalterliche Musikpraxis, die in der Hauptsache auf lebendiger Überlieferung beruhte und wo unterschiedlichste Spielregeln wie beim Handwerk mündlich weitergeben wurden. Die praktische Musikausübung war Teil des Lebens selbst und wie dieses beweglich und freizügig. Eine 14 Vgl. Dietz Degen, S. 88, Hildemarie Peter, S. 38f und Eicken, S. 3. 17 gegebene Vorlage konnte von den Musikern je nach Situationen sowohl frei diminuiert, erweitert und instrumentiert werden. Blockflötenquartett aus M. Agricola, Musica instrumentals (1529). BIldnachweis: Manfred H. Harras, Art. Blockflöte. In Musik und Geschichte und Gegenwart, Sp. 1583. In Bezug auf Form, melodischen Verlauf und Bau bilden Vokal- und Instrumentalmusik in der überwiegenden Zahl der Kompositionen eine Einheit. Die Musikinstrumente können in diesem Zusammenhang als Geschwister der menschlichen Gesangsstimme angesehen werden und können auch jederzeit für sie eintreten. Entsprechend den vokalen Stimmlagen sind sie nach Möglichkeit chorisch gebaut, das bedeutet, dass viele Instrumente in einem Diskant- Alt- Tenor- und Basstypus vorhanden waren – analog zu den vierstimmigen Lagen. So entstand auch die Blockflöte in verschiedenen Stimmlagen. Die Blockflöten haben eine Entwicklung, die in einzelnen Phasen der z.B. der Streichinstrumente entgegengesetzt verläuft. Die Flöten treten zunächst 18 als kleine Instrumente mit verhältnismäßig hohem Ton auf. Das spiegelt z.B. die klangmalerische Bezeichnung „pipa“ oder Ähnliches wieder. Auch die englische Bezeichnung für die Blockflöte, „recorder“ (englisch für Zwitscherer), sagt deutlich, dass damit ein Instrument mit hohen Tönen gemeint ist. Diese Kleinform wurde im Laufe der Zeit vergrößert und hat bereits zu Beginn des 16, Jahrhunderts eine wirklich ordentliche Ausdehnung erreicht. In der 1636 erschienene „Harmonie universelle“ schreibt Marin Mersenne folgendes über die Blockflöte: „Wegen des Anmuts ihres Klanges werden diese Flöten ‘douces’ genannt. Sie vermitteln den Charme und den Anmut der menschlichen Stimme.“ 15 Das dem Menschen von Natur (und somit von Gott) verliehene „organon“ ist am besten in der Lage, die verborgenen Affekte auszudrücken. Die Blockflöte entsprach mit ihrem zurückhaltenden Klangspektrum dem Ideal der maßvollen Ausgewogenheit. In verschiedenen Instrumentensammlungen haben sich solche Blockflötenkonsorts erhalten, die sowohl klanglich wie tonal sorgsam aufeinander abgestimmt sind. Die Verzierungspraxis führte zur Virtuosität auch auf dem Instrument, eine Virtuosität, die ein gleichberechtigtes Einordnen in den homogenen Klangkörper eines solchen Blockflötenkonsorts unmöglich machte. Interessant ist, dass Mersenne auf eine besondere Spieltechnik hinweist, die heutzutage in moderner Blockflötenliteratur immer wieder Anwendung findet: „Es ist bemerkenswert, dass man eine Air oder eine Chanson auf der ‘Flute douce’ spielen kann und zur selben Zeit eine Bassstimme singt, ohne dabei die Stimme zu artikulieren, denn die Luft, die beim 15 Wiedergegeben bei Hans-Martin Linde, S. 65. 19 Singen dem Mund entströmt, ist fähig, die Flöte erklingen zu lassen, derart, daß ein einzelner Mensch mit sich ein Duo vollführen kann.“16 Insgesamt ist die Renaissance die Zeit des einsetzenden steilen Aufstiegs der Instrumentalmusik. Initiatoren dieser Entwicklung waren die Hof- und Adelskapellen, die es so zahlreich gab, wie die dazugehörigen Kleinstaaten. Die Instrumentalmusik erlangte im Laufe der Zeit immer mehr an der Selbständigkeit, bis für sie die Vokalmusik immer mehr zur Nebensache war. Es wurden Blockflöten in vielen Größen und Stimmlagen gebaut. So war es dann für die allmählich weit verbreiteten Consorts auch möglich, Vokalmusik instrumental vorzutragen: Nicht selten wurden Vokalkompositionen von Instrumenten aus den Stimmbüchern gespielt, viele Werke wurden sogar ausdrücklich senza voci geschrieben.17 Wie bereits im Mittelalter wurden in der Renaissance nur sehr wenige Stücke speziell für Holzblasinstrumente geschrieben. Häufig verdoppelten oder ersetzten die Holzblasinstrumente Vokalstimmen in Musik aller Art wie Chansons, Frottolen, Madrigalen und einzelner Formen geistlicher Musik. Beim gemeinsamen Musizieren von Singstimmen und Instrumenten in geistlicher oder weltlicher Musik ergeben sich folgende Einsatzmöglichkeiten für die Blockflöte: a) das Mitspielen einer Singstimme, ev. oktavierend, b) das Mitspielen mehrerer verschiedener Singstimmen, 16 Wiedergegeben bei Eicken, S. 7. 17 Vgl. Dietz Degen S. 89ff. und Vera Böhlik, Die Blockflöte - Teil 1: Mittelalter, Renaissance und Barock, http://www.music-a-vera.de/content/view/92/92/, 01. 08. 2012. 20 c) Ausführung einer oder mehrerer Stimmen durch Blockflöten ohne Singstimme, d) gleichzeitige Besetzung aller Stimmen eines Vokalchors durch Blockflötenensemble.18 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass es in dieser Zeit bereits, wenn nicht durchgehend und oft nur sporadisch, zwischen Quer- und Blockflöte unterschieden wurde. Mit Flöte war auch häufig speziell die Blockflöte gemeint. Insgesamt herrschte auch in der Renaissance noch eine regelrechte Sprachverwirrung, was die Bezeichnung von Block- und Querflöte angeht. Beide Typen traten nebeneinander auf. Von Anfang an ist unter der Bezeichnung „Flöte“ ohne näheren Zusatz die Kernspaltflöte zu verstehen. Da die Querflöte im Mittelalter besonders in Deutschland gern gespielt wurde, war sie in der Renaissance auch unter dem französischen Namen flûte d’Allemaigne bekannt. Aufgrund ihrer dolce-Klangfarbe wurde die Blockflöte auch flûte douce genannt. Der französische Dichter und Musiker Guillaume de Machaut (um 1300-1377) unterscheidet die „flaustes traversaines“ (Querflöten) von den „flaustes dont droit joues quand tu flaustes“ (Flöten, die du gerade hältst, wenn du bläst). Flöten waren außerordentlich beliebt, und es gab sie vom einfachen Bauerninstrument bis zu denen der höchst anspruchsvollen höfischen Gesellschaft. Es gab eine Vielzahl von verschiedenen Flötentypen, wobei jede Region zusätzlich eigene Varianten aufzuweisen hatte. 18 Vgl. Hans-Martin Linde, S. 60 und Alexa Eicken, S. 4f. 21 Der französische Komponist Philibert Jambe de Fer, zetgenössischer Kollege Mauchauts, veröffentlichte seinerseits die musiktheoretische Schrift über Klang- und Harmonielehre, menschliche Stimme, verschiedene Flöten und Streichinstrumente : „Epitome musical des tons, sons et accords, des voix humaines, Fleustes d’alleman, Fleustes à neuf trous, Violes et Violons“. Der Verfasser geht übrigens in diesem Werk auch auf die Unterschiede zwischen der Block- und Traversflöte ein. Ein äußerlicher Unterschied ist bereits im Titel untergebracht: Blockflöte hat 9 Grifflöcher (Fleustes à neuf trous), während die Fleustes d’allemants meistens lediglich 6 Grifflöcher besaß.19 Hier werden sowohl die Grifftabellen als auch die Tongeschlechter und deren Transposition auf der Traversflöte erklärt, darunter findet sich die als älteste bekannte Querflötenunterweisung mit einer Grifftabelle für die Bassflöte. Als Tonumfang gibt er G-g1 für Bassflöte und d-g2 bzw. bis a2 für Tenorflöte an; 20 sorgfältig schildert Philibert Jambe de Fer die Lehre vom Ansatz, von der Klangerzeugung und der Qualität der Klangfarbe auf der Flöte. Während der Renaissance vollzog sich im Bereich der Holzblasinstrumente eine enorme Entwicklung. Eine andere Instrumentengattung brachte eine vergleichbare Vielfalt an Typen hervor und entwickelte bei den einzelnen Typen eine ähnliche Vielzahl an Größen vom Sopran bis zum Bass. Aufgrund der Vielzahl von Größen wurde die spätmittelalterliche Blockflöte zudem für 19 Hans-Peter Schmitz, Querflöte und Querflötenspiel in Deutschland während des Barockzeitalters, Kassel 1952, S. 6f, Smith, S. 18f und Scheck, S. 26f. 20 Vgl. Hans-Peter Schmitz, S. 6f, Anna Smith, S. 18f und Gustav Scheck, Die Flöte und ihre Musik, Mainz 1975, S. 26f. 22 das Ensemblespiel der geeignetste Flötentyp. In besonderem Maße wurden Kombinationen von diversen Instrumenten, die sog. barocken consorts, bevorzugt, d.h. eine Mischung aus geblasenen, gestrichenen und gezupften Musikinstrumenten. 21 In Deutschland war speziell die Stadt Nürnberg ein wichtiges Zentrum für die Herstellung von Holz und Blechblasinstrumenten, einige Instrumente aus dieser Zeit sind erhalten. Bereits während der Renaissance wurde die Röhre erstmalig am Fußende geteilt, denn durch die Verwendung eines drehbaren Fußstücks war nur noch ein Kleinfingerloch notwendig. Lange S-förmige Anblasrohre dienten bei großen Blockflöten dazu, das Mundstück in Reichweite des Spielers zu bringen. Blockflötensatz vom deutschen Instrumentenbauer Hieronymus Franciscus Kinsecker, Nürnberg um 1670 (Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, MI 98-104). Bildnachweis: Manfred H. Harras, Art. Blockflöte. In Musik und Geschichte und Gegenwart, Sp. 1586. Die Erziehung im Instrumentalspiel war mit der allgemein geübten praktischen Musikpflege so eng verbunden, dass man sich auf die mündliche 21 Vgl. Alexa Eicken, S. 5 und Anne Smith, The Renaissance flute, als Extrakapitel in John Solums The Early Flute, Oxford 1992, S. 16f 23 Überlieferung stützen konnte. In den musikalischen Schulwerken des 16. Jahrhunderts werden Anweisungen für die Blockflöte neben allgemeinen Richtlinien für das Spiel auf anderen Instrumenten gegeben. Der Blockflöte wurde als einzigem Blasinstrument in der Renaissance ein eigenes gedrucktes Lehrwerk gewidmet, das gleichzeitig das älteste umfassendste Schulwerk für Blockflöte ist: Die „Opera Intitulata Fontegara“ von Silvestro Ganassi, erschienen im Jahre 1535 in Venedig. Ganassi (geb. 1492) war Hofmusikant beim Dogen von Venedig, Instrumentalspieler an der Basilika von San Marco und ein von Musikkollegen und -schülern geachteter Lehrer für Blockflöte und Viola da Gamba. Die Titelseite, die ein Holzschnitt aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhundert ist, bildet eine lebendige Darstellung musizierender Menschen. Sie zeigt fünf musizierende Personen, drei davon blasen Blockflöte, einer singt, ein fünfter klopft mit der einen Hand den Takt, in der anderen hält er eine kleine Blockflöte. Auf dem Tisch liegen drei Stimmbücher, in die alle Musizierenden konzentriert blicken. Aus dem einen bläst ein Knabe mit einer Diskantflöte, vermutlich lässt der neben dem Knabe stehenden Musiker, der den Takt angibt, seine kleine Flöte oktavierend mitgehen. Möglicherweise dient die kleine Flöte auch als Ergänzungsinstrument für den Fall, wenn die Melodie den Umfang der tieferen Blockflöte des Knaben überschreitet. Der sitzende Mann in der Mitte bläst auf einer Alt-Tenor-Blockflöte aus einem vor ihm aufgeschlagenen Stimmbuch. Der dritte Blockflötenspieler sieht mit dem Sänger in das dritte Stimmbruch ein und spielt auf einer Alt-Tenor-Blockflöte offensichtlich die Stimme des Sängers mit, der seinem blasenden Mitspieler die Hand auf die Schulter legt und ihm den Takt mit dem Finger schlägt. An den Wänden hängen Gamben in verschiedenen Größen sowie eine Laute. 24 Vorn in der Randleiste des Titelblattes sieht man zwei gerade Zinken liegen. Das kammermusikalische Zusammenspiel muss für Ganassi und seine Zeit eine Art völlige Selbstverständlichkeit gewesen sein, dass er in seiner Schrift, die ausführlich und eingehend die Spieltechnik des Instrumentes behandelt, darauf gar nicht eingeht. Auch in seiner Schule, in der er wiederholt auf seine Blockflötenschule verweis, findet man keinerlei Hinweise für das Zusammenspiel. Umso wichtiger ist dieses überlieferte Titelbild, das ein so gewissenhafter Autor wie Ganassi sicherlich nicht gebracht hätte, wenn es nicht der Musizierpraxis der Zeit entsprochen hätte.22 Silvestro Ganassi del Fontego: La Fontegara (1535), Titelblatt. Bildnachweis: Ganassi, Silvestro: Œuvres complètes, volume I. Christine Vossart (Hrsg), Mardaga 2002 22 Hildemarie Peter, S. 45f. 25 Das Vorbild Fontegaras für Ausdruck und Tongestaltung ist die menschliche Stimme. Laut der Fontegara hatte das Blockflötenspiel zu Ganassis Zeiten eine hohe Masse an technischer Vollendung erreicht. Die Sorgfalt, mit der unterschiedliche Artikulationsarten, alternative Fingersätze und die anspruchsvolle Kunst der improvisierten Verzierungen erklärt werden, ist ebenso beeindruckend wie der Umfang von Ganassis Grifftabelle, nach der die Blockflöte einen im Verhältnis zu anderen Angaben bei anderen Autoren erstaunlich großen Umfang von zwei Oktaven und einer Sexte hatte. Ganassi kennt dabei drei unterschiedliche Blockflötengrößen in der g-, c- und fStimmung.23 Die klangstärkeren Blas- und Saiteninstrumente gewannen zwar im 17. Jahrhundert stark an Bedeutung, doch behauptete die Blockflöte weiterhin ihre Position und fand in den Orchestern der Oper und des Intermediums 24 ihren Platz. Auch im Bereich der Bühnenmusik v.a. in England fand sie Anwendung. So wurde der Auftritt von Engeln von einem Blockflötenkonsort untermalt, und in Hirtenszenen, beim Erscheinen von göttlichen Wesen, bei Darstellung von Wundern und von Zeichen überirdischer Freude wurden Blockflöten in der Bühnenmusik eingesetzt. Innerhalb der Instrumentalmusik, die sich nun immer mehr eigenständig entwickelte, gibt es für die Diskantformen der frühbarocken Blockflöte eine vielfältige Literatur, wobei die Charaktereigenschaften jedes einzelnen Instruments nun bei der Komposition berücksichtigt werden. Eine wichtige holländische Sammlung dafür stellt „Der fluyten lust-hof“ aus dem Jahre 1646 von Jakob van Eyck dar. Der Komponist, Musiker und Lehrer wurde im Jahre 1624 als Glockenspielmeister des Utrechter Doms angestellt und hat 23 24 Vgl. Alexa Eicken, S. 5ff. und Hans-Martin Linde, S. 50f. Beim Intermedium, auch Intermezzo, handelt es sich um ein eingeschobenes musikalisches, tänzerisches oder szenisches Zwischenspiel, das im 15.-17. Jh. zwischen den einzelnen Akten der italienischen Schauspiele eingesetzt wurde und sich in der Folge gelegentlich auch zur selbständigen Oper entwickelte. 26 die Flötengeschichte in Niederlanden maßgeblich geprägt. 1648 erhielt der blinde Musiker eine Gehaltserhöhung unter der Bedingung, dass er die Spaziergänger auf dem Friedhofe mit dem Klang seines Flötchens erfreuen müsse. Erhalten sind rund 150 Stücke: Variationen über Psalm-Melodien, Volkslieder und Tanzweisen, aber auch einige freie Improvisationen (Fantasien, Praeludien).25 Diese virtuose Musik wird heute noch von vielen Blockflötenspielern ausgeübt und gehört als fester Bestandteil zum Repertoire für die Blockflöte. 25 Alexa Eicken, S. 5ff. 27 2. Die Blockflöte in der Zeitepoche Barock Wie entwickelt sich die Situation für die Blockflöte in verschiedenen Ländern Europas weiter? Welche Ereignisse führen nun zum Paradigmawechsel? 2.1. Die Blockflöte im Wandel Zwei wichtige Eigenschaften bestimmten die Musik der Renaissance: Die Entwicklung der Polyphonie und die Bevorzugung wortgebundener, vokalbetonter Musik. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts traten frühbarocke Eigenarten hin zu: das Erlebnis des Klanges und die Kristallisierung spezieller Spieltechnik der einzelnen Musikinstrumente. Beide Richtungen durchdrangen sich zuerst, und auch die deutliche Trennung von wortgebundener und rein instrumentaler Musik zeichnete sich nur allmählich ab. Durch enge Verbindung von Singstimmen und Instrumente nach wie vor lag eine fast gesangliche Spielweise der Blockflöte besonders in vokalinstrumental gemischt besetzten Werken nahe. Die mit dem Flötenspiel befassenden Musiker und Lehrenden der Zeit sahen deshalb im menschlichen Gesang stets ein richtungsgebendes Vorbild. Die Möglichkeit der Blockflöte, eine singende Spieltechnik zu erreichen, wurde immer wieder als ihr besonderer Vorzug empfunden. Dabei ist das Attribut „singend“ nicht als einförmiges und ständig breit artikuliertes Spiel zu verstehen, sondern die Deutlichkeit und Verständlichkeit war das oberste Prinzip. 26 26 Hans-Marin Linde, S. 78f. 28 Die Blockflöte war eines der vielen Musikinstrumente, die von allen Stadtpfeifern, Spielmännern und musizierenden Gauklern des 16. Und 17. Jahrhunderts beherrscht wurden und daher wurde sie gar nicht in jedem einzelnen Falle erwähnt. Zum Leben des Bürgers gehörte die Musikausübung als Selbstverständlichkeit. In enger Verbindung mit dem Lebenslauf wurde die Musik bei Hochzeiten, Begräbnissen, Prozessionen, in der Kirche und bei der Tafel, zu feierlichen Anlässen herangezogen. Für solche Mitwirkung war die Blockflöte vorzüglich geeignet. Nach und nach wurde sie jedoch zu der Form mutiert, in der sie uns der Hochbarock zeigt: Ein Instrument, das für gewissen pastoral Effekte gern benutzt wird, im Übrigen aber fast nur noch seine obere(n) Oktave(n) betätigen darf. Dass sie sich aus dem Gebiet der ruhenden Fülle und eleganten Gesanglichkeit ihres unteren Registers weglocken ließ, wurde der Blockflöte zum Verhängnis. „Die Wende zum Barock bedeutet auch die Wende zum Untergang“, behauptet der deutsche Musikwissenschaftler und Blockflötist Dietz Degen provokant. Diese überspitzte Formulierung „sei mit bewusster Einseitigkeit der immer wieder auftauchenden Meinung, erst im Barock habe die Blockflöte sich zu einem richtigen Instrument entwickelt, entgegengestellt.“27 Was passiert in Musik? Die Linie, der Umriss, die Grenze – alles überschneidet sich. Nebenlinien werden verziert und ihrer allzu scharfen Prägung beraubt, so dass der Blick das Ganze umschließen kann. Dabei geht das Gefühl für die großen Linien keineswegs unter, wie in der Musik das Streben nach möglichst linienmäßiger Führung des Basses kundtut. Es bleibt auch dann noch bestehen, als das Mittelstimmengeflecht – wie es die Gotik und Renaissance zeigt – zur Bassbezifferung zusammen geschrumpft war. 27 Dietz Degen, S. 92. 29 Das Kolossalische gewinnt an Bedeutung, es schiebt sich die verschnörkelte Ornamentik dazwischen. Das erstarkende Bewusstsein einer des einzelnen Tons der Linie angehörige Harmonik leitete eine neuartige musikalische Sphäre ein. Die Einzelstimme, Oberstimme, Melodie werden endgültigem über dem stützendem Fundament eines Generalbasses gebaut. Das neugefundene harmonische Gerüst steht in den polyphonem Führungen, „je nach den Umständen und der Augenblicksstimmung durften und sollten lange Noten zerlegt, gerade Linien durch krumme umschreiben, straffe Rhythmen gelöst, strenge Taktmäßigkeiten gemildert werden, und wir wissen, dass derart die ursprünglich vorgeschriebene Melodie oft bis zur Unkenntlichkeit entstellt wurde.“, so Dietz Degen28 Seit dem ersten Auftreten der Blockflöte im abendländischen Mittelalter hat das Blasinstrument im Großen und Ganzen bis zur zweiten Hälfte des 17. Jahrhundert keine großen äußeren Änderungen mehr erfahren. Bemerkenswert ist jedoch die Erweiterung der Blockflötenfamilie in den hohen und tiefen Registern für unterschiedlichen Einsatz in der Aufführungspraxis. Das sich neu entwickelnde Klangideal forderte ganz allgemein vom Instrumentarium der Zeit eine Verstärkung, Verschärfung und vor allem Aufhellung des erzeugten Tons. Ab ca. 1700 setzt bautechnisch ein beachtenswerter Wandel für Blockflöte ein.29 Trotz dieser Verbesserungen reagierten die Flöten nicht gänzlich unempfindlich auf die Spieltechnik des Spielers. Das Loch für den kleinen Finger wurde nur noch einfach gebohrt, da man den Fuß drehen konnte und sich außerdem die heute übliche Spielweise mehr und mehr durchsetzte. 28 29 Ebd., S. 93. Vgl. Manfred H. Harras, Art. Blockflöte, in: MGG, Sp. 1587f. und Alexa Eicken, S7f 30 Zudem verlangte ein neues, affektorientiertes Ausdrucksideal von den Instrumenten eine größere Fähigkeit der persönlichen Aussage. Durch bautechnische Erneuerungen30 vergrößerte sich die dynamische Bandbreite bei nur minimaler Tonhöhenveränderung. Die Stimmtonhöhe war vielfältig: Sie schwankte zwischen einem Ganz- und einem Halbton unter der heutigen Normalstimmung. Der Umfang der Blockflöte umfasste nun deutlich mehr als zwei Oktaven, und der Klang war offener, kerniger und lieblicher geworden. Auch äußerlich hatte sich die Blockflöte verändert: Sie wurde nun reich verziert, um dem Geschmack der damaligen Zeit gerecht zu werden. Kopfstück, Schnabel, Verbindungsstellen bei den Zapfen sowie Schallbecher wurden aufwendig gestaltet. Mit kostbarem Material wie Elfenbein, Edelmetall und kunstvollen Schnitzereien wurden die Einzelstücke dekoriert.31 Altblockflöte, Nürnberg um 1710 (Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, MI 138) Sopranblockflöte mit Silberdekorationen, vermutlich Amsterdamm um 1700 (Den Haag, Gemeentemuseum, inv. Nr. EA-374-1933) 30 Wie engere Mensur, stärker konische Bohrung, Verbreiterung des Labiums, Verkleinerung des Schneidenabstands, enger, leicht gewölbter Windkanal etc. 31 Vgl. Manfred H. Harras, Art. Blockflöte, in: MGG, Sp. 1588f und Alexa Eicken, S. 7ff. 31 Bassblockflöte, Nürnberg um 1725 (Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, MI 96). Bildnachweis: Manfred H. Harras,: Art. Blockflöte, in: MGG, Sp. 1587 2.2. Die historischen und kulturellen Hintergründe und Merkmale Der festeingebürgerte Begriff Barock stammt aus der Architektur und bildenden Kunst und wurde dann auf die weitere Kunstbereiche wie Musik und Literatur übertragen. Auch wenn sich das sog. Barockzeitalter zeitlich keineswegs leicht abzugrenzen ist, erstreckt sich der musikalische Barock ganz pauschal und verallgemeinert vom Beginn des 17. bis etwa zur Mitte des 18. Jahrhunderts. An dieser Stelle eine kleine etymologische Spurensuche: port. Barueco (seltem geformte Perle) und berrueco (unregelmäßig), span. barocco (Felsbrocken, unregelmäßig) und ital. barocco (wuchern, verrückt, falsch). Tischlersprache: fr. baroqué (verschnörkelt, bizarr, uneben). Entstehungsgeschichtlich bezieht sich der Terminus auf das Schiefrunde der Perlmuschel und beinhaltet eine Abgrenzung von dem als ebenmäßig empfundenen klassizistischen Stil. 32 Für die rückschauende klassizistische Ästhetik des 18. Jahrhunderts wurde der Begriff als Epochenbezeichnung und Adjektiv meistens abwertend 32 Karl H. Wörner, Geschichte der Musik. Ein Studien- und Nachschlagebuch, Göttingen 1975, S. 124f und Wolfgang Pohl, Barock, http://www.pohlw.de/literatur/epochen/barock.htm. 12. 12. 2012. 32 benützt. Das Adjektiv barock für eher missratene Stilarten, in allen Fällen haftet dem Wort ein durchaus negativer Beigeschmack an, der sich bis ins 19. Jahrhundert erhalten hat. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wandelte sich allmählich das Bild: Barocke Kunstwerke wurden wiederentdeckt und in den Opernhäusern wurden wieder die Werke der Barockkünstler aufgeführt. Erst Anfang des 20. Musikwissenschaft Jahrhunderts als wurde wertneutrale der Begriff Stilrichtung Barock etabliert. in der Die Kunstwissenschaftler einigten sich, die Zeit zwischen Renaissance und Klassik einheitlich als Barock zu bezeichnen und ihr damit den Status einer kunstgeschichtlichen Epoche zu geben. Unklarheit besteht jedoch nach wie vor über Beginn und Ende. Je nach Kunstbereich reicht die Zeitspanne etwa von 1580-1600 bis 1750-1770. Doch gerade dieses Überladene, Pracht- und Prunkvolle war es, das die Menschen damals am Barockstil so faszinierte. Die Musiker sogen in Scharen diesen Zeitgeist auf und befriedigten ihr Publikum mit pompösen Opern. Man hat schon fast den Eindruck, es gelte zu zeigen, wie viel Gefühl man auf ein Notenblatt zusammenfassen kann. Mit allen musikalischen Mitteln versuchten Komponisten und Musizierende sog. „Affekte“, also menschliche Gefühle und Stimmungen, auszudrücken. Melodien, Rhythmen und Klangfarben dienten diesem Ziel. Die Streich- und Blasinstrumente dieser Zeit waren nicht auf einen lauten und Raum füllenden Klang ausgelegt, sondern darauf, ein möglichst breites Klangspektrum darstellen zu können. Der Klang der Instrumente sollte zu dieser Zeit an die menschliche Stimme mit all ihren Nuancen erinnern. Zusammenfassend wurde das Zeitalter des Barock von den folgenden drei Grundpfeilern geprägt: Dem Absolutismus, der (katholischen) Kirche und 33 der Tradition der Antike. Sichtbarer Ausdruck des Absolutismus ist das Schloss. Ein barockes Schloss ist groß, ausladend, geschmückt mit imposanten Marmorsäulen, breiten Treppen, raffinierten Wand- und Deckenmalereien. Viele wissenschaftliche Entdeckungen beeinflussten die Kunst wie z.B. Galileos Untersuchungen der Planeten. Der aktive Handel und die Kolonialisierung führten zu zahlreichen Portraits von vorher unbekannten Orten und Völkern. Vor allem die katholische Kirche bestimmte viele Aspekte der Entwicklung barocker Kunst. Geschickt nutzte sie die emotionale, realistische und dramatische Kunst als ein Mittel zur Verherrlichung und Verbreitung des christlichen Glaubens. Alles wird hier sorgfältig überdacht und soll überwältigend wirken um dem Besucher die Macht und Bedeutung des Besitzers zu veranschaulichen. Denn ein barockes Schloss (die bekanntesten Beispiele dafür sind Versailles bei Paris, Schönbrunn in Wien oder Nymphenburg in München) trug weit mehr als eine Wohnsitz Funktion; es kennzeichnete das Zentrum der fürstlichen Macht, die sich als Gegenspieler der kirchlichen Macht sah. Parallel setzte die römisch-katholische Kirche zahllose Maßnahmen in Bewegung, um sich gegen die von Martin Luther ausgelöste Reformation zu wehren und ihre gefährdete Machtposition weiter zu befestigen („Gegenreformation“). Dazu gehörte auch der neue Baustil des Barock, der sich allmählich im Laufe des 17. Jahrhunderts durchsetzte. Der barocke Baustil der Kirche entsprach äußerlich dem eines prachtvollen Schlosses und erfüllte inhaltlich eine erstaunlich ähnliche Aufgabe. Säulen, Malereien, viel Gold, Engel- und Heiligenfiguren, klare und bunte Farben und raffinierte Lichteffekte, die durch die Gestaltung der Fenster erzeugt wurden, sollten die 34 Sinne des gläubigen Volkes betören und sie von der Größe der katholischen Kirche überzeugen. 33 Die dritte aussagenkräftige Kraft des Barock war die Tradition der Antike. In einer Weise, die heute kaum nachvollziehbar ist, galten antike Schriftsteller (u. A.: Homer, Aristoteles, Seneca, Ovid etc.) und ihre Werke als die großen Vorbilder. Anweisungen und Vorschriften über die Literatur, die die antiken Schriften enthielten, versuchte man zu erfüllen. Man strebte außerdem danach, Werke zu schaffen, die mit denen aus der Antike vergleichbar waren. Viele antike Stoffe wurden für Opernkompositionen herangezogen. Auf die zwei zeitgeschichtlichen Bewegungen, die im obigen Abschnitt erwähnt wurden, möchte ich hier noch etwas näher eingehen: Gegenreformation und Absolutismus. In der Gegenreformation entwickelte es sich ein neues Selbstbewusstsein der römisch-katholischen Kirche, damit verbunden war eine gestiegene Bedeutung des Papsttums. Die Päpste förderten - wie schon in der Renaissance - die Kunst durch wichtige Aufträge. Rom wurde zu einem bedeutenden Kunstzentrum, das andere Länder Europas stark beeinflusste. In ganz Europa folgten die Bischöfe und Klöster, die überwiegend reich und mächtig waren, dem neuen repräsentativen Stil, der die Bedeutung und Macht der katholischen Kirche in ihren Bauten zeigen sollte. Dies führt zu einer Reihe von neuen Bauten. Bereits bestehende Kirchen wurden sehr oft umgestaltet, ja geradezu „barockisiert“. Alle Kirchenbauten mussten im Sinne der Gegenreformation besonders prunkvoll ausgestattet sein. Gleichzeitig kam es in der katholischen Bevölkerung zu einer neuen Betonung der Frömmigkeit, einem neuen Glaubensgefühl, das 33 Wolfgang Pohl, Barock, http://www.pohlw.de/literatur/epochen/barock.htm. 12. 12. 2012. 35 sich vor allem in vielen Wallfahrten und einer großen Heiligenverehrung zeigte.34 Wie in der Architektur zeigt sich auch in der Malerei zeigt sich die Bedeutung der Kirche und des Glaubens. In den katholischen Ländern wurden zahlreiche Künstler mit der Ausgestaltung von Kirchen beschäftigt, dazu gehören Bildhauerei (Statuen, Wandschmuck) und Malerei an Wänden und Decken sowie die Gestaltung von Altargemälden. Hier herrschten zudem die Adeligen, die sich als Mäzene der schönen Künste sahen und für seine Schlösser große Gemälde und Wandbemalungen in Auftrag gaben. Im Gegensatz dazu wurden in den protestantischen Ländern wie in den Niederlanden vor allem kleinere Formate in Auftrag gegeben, diese allerdings in großer Zahl. Das Geschlecht Habsburg aus Österreich spielte in der barocken Zeitepoche architektonisch eine wesentliche Rolle: In den habsburgisch regierten Ländern Europas, vor allem Österreich, Süddeutschland, Ungarn, Spanien, und auch in ihren Kolonien z. B. in Mittel- und Südamerika setzte sich dabei ein einheitlicher Stil durch. Dagegen bevorzugt das von Rom unabhängigere Frankreich einen kühleren und weniger prunkvollen Stil im Kirchenbau. Die protestantische Kirche ist seinerseits extrem bilderfeindlich, ihre Kirchenbauten sind deshalb sehr zurückhaltend in der Ausstattung und zeigen klare und schlichte Linien. Auch die Gesellschaftsordnung prägt die Kunst: Der Absolutismus als das in Europa vorherrschende System übertrug dem Fürsten, der von Gottes Gnaden regiert, alle Macht im Staat. Dies wird durch die Betonung eines 34 Vgl. Gustav Scheck, Die Flöte und ihre Musik, Mainz 1975, S. 41 und Wolfgang Pohl, Barock, http://www.pohlw.de/literatur/epochen/barock.htm. 12. 12. 2012. 36 Zentrums und die geometrisch klare Ordnung auch im Bau symbolisiert. Das Schloss hatte eine klare Aufgabe: es hatte allein und einzig die Macht des Hausherrn zu repräsentieren. Das Schloss von Versailles, vor die Tore von Paris in eine gigantisch weite Fläche gesetzt, wurde zum Vorbild für alle Schlossbauten in Europa, so wie sich Ludwig XIV als Herrscher Vorbild aller europäischer Fürsten sah. Der absolutistisch regierende Herrscher entfaltete seine prachtvolle Hofhaltung in dem Schloss und in der großräumigen Parkanlage, die zum aufwendig gestalteten Schloss gehörte. Damit wurde seine Macht demonstriert. Gesamtplan von Versailles. „Plan de Versailles, du petit parc, et de ses dependances où sont marqués les emplacemens de chaque maison de cette ville, les plans du Château, et des hôtels, et les distributions des jardins et bosquets" par Mr l'abbé Delagrive, 1746. 37 Die fürstlichen Höfe entwickelten sich zu zentralen Schauspielplätzen für Musik und darstellende Kunst. Menschendarstellung statt Textdarstellung rückt ins Zentrum. Übergang von der Dominanz der Vokalmusik (bis Renaissance) zur Dominanz der Instrumentalmusik (Klassik). Im Frühbarock (circa 1590 bis 1620) entstand die Oper als neue Kunstform, die damals zur populärsten Unterhaltung gezählt wurde.35 Nicht nur für die Oper, sondern für viele Formen des musikalischen Zusammenspiels im Barock bildete der Generalbass (basso continuo) den Orientierungspunkt für die Solisten. Der Dirigent hatte zu bestimmen, welches Instrument diese zentrale Stimme spielen sollte. Den anderen Musikern stand es frei, im Rahmen des harmonischen Gerüsts des Generalbasses, ihren Part zu gestalten. Der Einzug sinnlicher Aspekte in die Musik(-ästhetik) kann als Barocktypisches Merkmal bezeichnet werden: So gilt in der Affektenlehre, dass Tempo, Klangfarben, Tonhöhe, Rhythmik, Melodik, Dynamik, Stilistik und nicht zuletzt die Wahl bestimmter Musikinstrumente in der Musik der Nachahmung von Affekten dienen. Folgende musikalische Eigenheiten treten überdies im Zeitalter des Barock erstmalig in Erscheinung: Die Grundlage des musikalischen Satzes bildet der Generalbass, der als stützendes Element eine kontinuierliche Akkordbegleitung möglich macht. Die Dur-Moll-Harmonik setzt sich an die Stelle der bis dato vorherrschenden Kirchentonarten – der Dreiklang tritt in Erscheinung. Das Taktsystem und die Entstehung des Akzentstufentaktes beherrschen von nun als regelmäßige metrische Einheit die Musik; Im Bereich der gängigen Notation kommen allmählich Bindebögen, 35 Wolfgang Pohl, Barock, http://www.pohlw.de/literatur/epochen/barock.htm. 12. 12. 2012. 38 Verlängerungspunkte, Ziffern etc. hinzu.36 Die Musik nahm im Barock eine so große Rolle ein, dass der Frühbarock auch gern als „Generalbasszeit" bezeichnet wird. Doch nicht nur der musikalische Stil veränderte sich, auch die Darbietung der Musik entsprach dem Zeitgeist: Königshäuser unterhielten große Orchester, Chöre und eigene Kapellmeister. Besonders am Hof sollte die Musik nicht nur unterhalten, sondern ihre imposante Darbietung auch die Machtstellung ihres Gönners, des Königs, unterstreichen – in dieser Hinsicht kommt der Musik die gleiche Funktion zu wie dem barocken Baustil. Damit die Musik bombastischer wirkte, wurde das Orchester getrennt im Saal aufgestellt, so dass der Klang räumlicher wurde. Auch die Stimmen der Chöre wurden getrennt im Raum positioniert. 37 Nicht nur am Hof wurde die Musik als Repräsentation von Macht und Reichtum genutzt, auch der Klerus stellte große Chöre auf, perfektionierte die Orgelmusik zu einem musikalischen Erlebnis und engagierte hochkarätige Organisten. Kapellmeister am Hof wurden nicht nur für viel Geld engagiert, weil sie ein Orchester leiten konnten. Ihre Aufgabe war es auch, die Musik zu komponieren. 2.3. Die barocke Blockflöte in Europa Typische Instrumente für einen Generalbass sind Orgel, Cello, Laute, Kontrabass, Fagott und Cembalo, eine Weiterentwicklung des Spinetts. Die in 36 37 Karl. H. Wörner, S. 241f. Hans-Peter Schmitz, Querflöte und Querflötenspiel in Deutschland während des Barockzeitalters. Kassel 1952, S. 15f. 39 der Barockmusik verwendeten Instrumente waren teils aus der Renaissance übernommene, wie Pauke, Harfe und Posaune und teils solche, die sich aus Renaissanceinstrumenten entwickelten, wie die Violine, die die Fidel ersetzte, die Mandoline, die eine Verbesserung der Laute war, sowie die Querflöte und das Fagott, die eine Weiterentwicklung von Instrumenten wie Blockflöte oder Sackpfeife sind. Einige Instrumente der Renaissance verschwanden in der Barockmusik ganz. Blockflöte wurde vorwiegend in der Kammermusik eingesetzt. Ursprünglich entsprang der Begriff Kammermusik der abendländischen Musiktradition und bezeichnete Musikaufführungen, die – als Gegensatz zur Kirchenmusik – in der höfischen, aristokratischen „Kammer“ stattfanden und daher für den weltlich-repräsentativen Gebrauch bestimmt waren. Zur Hofkammer zählen die für Hofgesellschaft sowie Gäste offenen Bereiche der Mahlzeiten und Bankette, des Tanzes und sonstiger gemeinschaftlicher Unterhaltung und zeremonieller Akte. An den italienischen Höfen des 16. Jahrhunderts gab es beispielsweise bereits die typischen kammermusikalischen Aufführungen, solche Kammermusik war jedoch in erster Linie vokal (Madrigale), erst in zweiter Linie instrumental. 38 Diese Aufführungen, die als Tafelmusik, als musikalische Untermalung für eine Zeremonie etc. dienten, wurden von den am Hof tätigen Musikern, und nicht selten auch von den musizierenden Fürsten, getragen. Das Phänomen musikinteressierter und musizierender Adeliger kann man bis ins 19. Jahrhundert hinein an den europäischen Höfen beobachten. 38 Vgl. Nicole Schwindt, Art. Kammermusik, in: MGG, Sachteil 4, Sp. 1619ff und Arnold Werner-Jensen (Hrsg.), Reclams Kammermusikführer, 12. Aufl., Stuttgart 1997, S. 17ff. 40 2.3.1. Frankreich In Frankreich war die Blockflöte um als Flûte à neuf Trous (Flöte mit 9 Grifflöchern) bekannt. Vermutlich brachte Lady Mary, die jüngere Schwester des englischen Königs Heinrich VIII., welche 1514 Ludwig XII. Heiratete, den englischen Recorder nach Frankreich. Es handelt sich um die achtlöcherige Blockflöte, als neuntes Loch wird die Doppelbohrung für den kleinen Finger mitgezählt.39 Die älteste überlieferte Flötenschule aus Frankreich stammt von Philibert Jambe de Fer aus dem Jahre 1546 und trägt den Titel „Epitomé musical des tons, sons et accords, des voix humaines, Fleustes d’alleman, Fleustes à neuf trous, Violes et Violons“, das bereits im ersten Kapitel vorgestellt wurde. Die Musiker an den Höfen Frankreichs musizierten auf Dudelsack, Trompete, Zink, Harfe, Laute, Blockflöte, Viola, Trommel und Oboe. Die Fortschritte in der Entwicklung vom Instrumentenbau, große Anzahl an Flötenvirtuosen und zahlreiche Kompositionen griffen ineinander: Bessere, bequemer zu spielende Flöten ermöglichten ein besseres Spiel, was die Komponisten veranlasste, mehr und attraktivere Stücke für die Flöte zu schreiben - dieses wiederum führte zu weiteren Verbesserungen an den Instrumenten. Der Lautenist Ernst Gottlieb Baron schildert 1727 die französische Musik als als „freyes und lebhaftes Wesen“, „scherzend und […] gleichsam negligent und tendelhaft […] deswegen sie auch mehr Dames als ernsthafte und reele Gemüther afficiert.“ 40 Man schrieb den französischen Musikern die Bemühung der Komponisten zu, beim Publikum Bewunderung zu erregen. 39 Hildemarie Peter, S. 41f. 40 Wiedergegeben bei Ernst Kubitschek, Die Rolle der Querflöte vor 1700, in: Handbuch Querflöte, hrsg. von G. Busch-Salmen, Kassel 1999, S. S. 202. 41 „In Italien ruft man: was für eine rührende Musik! im in Frankreich dagegen: Ah, was für ein amüsanter Musiker!“41 Der Jesuitenpater Marin Mersenne veröffentlichte 1636/37 in Paris „Harmonie unverselle“, in dem ein Abschnitt der „Flute d’Allemand“ gewidmet wurde. Mersenne führt außerdem zwei Grifftabellen an, eine für G- und eine für d’-Flöte.42 Mersenne bietet uns dazu einen Blick in die Materialauswahl für die Traversflöte aus damaliger Zeit: „Ihr Material kann vom Pflaumenbaum, vom Kirschbaum und von anderen Holzarten sein, die sich leicht bohren lassen; aber gewöhnlich wählt man Holz mit einer schönen Farbe und solches, das eine schöne Politur annimmt, damit die Schönheit die Güte des Instruments begleite und die Augen in gewisser Weise die Teilhaber des Vergnügen der Ohren sind: gewöhnlich stellt man sie aus Buchsbaum er; sehr gut sind auch die aus Kristall oder aus Glas oder aus Ebenholz.“43 Die wichtigsten Komponisten und Vertreter der französischen Flötenschule in dem frühen Barock bis um 1750 seien hier aufgelistet: Marin Marais, Michel de la Barre, Pierre Danican Phildor und Anne Danican Philidor, Jean Marie Leclair, Michel Pignolet de Monteclair, Joseph Bodin de Boismortier, François Couperin, Antoine Dornel, Pierre-Caix d’Hervelois, Pierre-Gabriel Buffardin, Joseph Bodin de Boismortier, Michel Corrette. Ihre 41 Hubert le Blanc, „Verteidigung der Viola da Gamba gegen die Angriffe der Violine“, 1740 Amsterdam, wiedergegeben bei Ernst Kubitschek, S. 202. 42 , S. 17f. Hans-Peter Schmitz 43 Mersenne, Harmonie universelle, Paris 1636/37, S. 241. Die deutsche Übersetzung dieser Passage abgedruckt in Hans-Peter Schmitz, S. 14. 42 Einflüsse auf die Flötisten beschränkten sich keineswegs nur in Frankreich, sondern reichten bis Deutschland, Italien u.a. Scharen von außerfranzösischen Flötisten orientierten sich an der französischen Tradition. In diesem Zusammenhang möchte ich insbesondere auf zwei französische Flötisten eingehen: Jacques-Martin Hotteterre, der wohl der „Urvater“ der nachkommenden Flötisten war und an dessen Mustern die meisten Flötisten seiner Zeit orientierten und Michel Corrette. Bernard Picart, Jacques Hotteterre, Kupferstich, Frontispiz zu. Hotteterres „Principes“, Paris 1707. Bildquelle: J. Galway, Die Flöte, S. 38 43 Die „Flötenmacher-Dynastie“ Haulteterre, Hauteterre) aus Hotteterre Frankreich (auch war Obterre, bedeutungsvoll Hauterre, für die Entwicklung der Flöte, deren Mitglieder auch als Flötisten, Flötenbauer und Hofmusiker einen angesehenen Ruf genossen. Sie beherrschten die französische Holzbläser-Szene (ihnen wird ebenfalls die Erfindung der Oboe zugeschrieben44) und begründeten die französische Herrschaft in Europa. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein stand die Familie mit den meisten Holzblasinstrumentenmacher-Familien Frankreichs in verwandtschaftlicher Verbindung.45 In einem Kupferstich von Bernard Picart stellte sich JacquesMartin Hotteterre als vornehmer und eleganter Höfling vor und gab ein Beispiel perfekter französischer Hofmanier. Jacques-Martin Hotteterre war der bedeutendste aus der seiner der Hotteterre-Familie, er hieß eigentlich nur Jacques, wie sein Großvater, um nicht mit dem bekannten Großvater verwechselt zu werden, fügte er sich einen Zweitnamen Martin, den Namen seines Vaters, zu. Er trug außerdem den Beinamen „le Romain“. Ludwig XIV. stellte ihn ursprünglich als Bassviolinsten und Fagottisten in der Königlichen Kapelle an. Hotteterre veränderte den gesellschaftlichen Stellenwert der Flöte, indem er vorschlug, dass es notwendig sei, die Geschicklichkeit sowie wie irgend möglich mit feinem Anstand zu verbinden, um die erstrebte Vollendung der Studien zu erreichen. 46 Scharen von Adligen nahmen folglich bei Hotteterre Unterricht und die Traversflöte erlebte eine davor nicht gewesene Popularität. 44 Gallway, S. 36ff. Gabriel Busch-Salmen/Jörg Fiedler, S. 74ff. 46 Galway, S. 36ff und Gabriel Busch-Salmen/Manfred Zimmermann, Lehrwerke des 18. Jahrhunderts, in: Handbuch Querflöte, S. 125ff. 44 45 Da die Flöte eines der angenehmsten Instrument („instruments plus agréable“) sei, so begründet er das Erscheinen seines Lehrwerkes im Vorwort, „glaube ich diese kleine Schrift den Liebhabern der Flöte schuldig zu sein“. Das kleine Werk mit 44 Seiten unter dem Titel „Les principes de la flûte traversière, ou flute d’Allemagne, de la flute a bec, ou flute douce, et du hautbois“, Paris 1707, erfreute sich großer Beliebtheit und im Laufe der Zeit mehreren Neuauflagen und Übersetzungen. 47 In dem Buch finden sich Hotteterres umfangreiche Kenntnisse über Blockflöte, Oboe und Traversflöte. Er entwickelte ein knappes Anweisungskonzept, das u. a. auch mehrere Griffbzw. Trillertabellen und Musikbeispiele für die hier erwähnten Blasinstrumente beinhaltet. Grifftabelle aus Hotteterres „Les principes de la flûte traversière, ou flute d’Allemagne, de la flute a bec, ou flute douce, et du haut-bois“, 47 Wiedergegeben bei Gabriel Busch-Salmen/Manfred Zimmermann, Lehrwerke des 18. Jahrhunderts, in: Handbuch Querflöte, S. 125. 45 Etwa 35 Jahre später veröffentlichte Michel Corrette um etwa 1742 in Paris „Méthode Raisonnée pour apprendre aisément à jouër de la Flûte Traversiere avec des principes de musiques et les brunettes, chez Madame Boivin & le Clerc“, in der er knappe und praxisorientierte Anweisungen über die Spieltechnik und Stilelemente gibt. 48 Er wies damit auf das galante Duospiel als einer bevorzugten Form musikalischen Zeitvertreibs hin. Hervorzuheben sei das Kapitel, das Corrette dem Auswärmen widmet. Das Kapitel beinhaltet 29 Aufwärmübungen für Flöte; es ist zugleich ein Beweis dafür, dass das Aufwärmen vor dem eigentlichen Spielen durchaus wichtig war. Wie schon der Titel („pour apprendre aisément à jouër“) besagt, scheint Corrette an einer leicht zugänglichen Lernmethode für Flötenliebhaber gelegen zu sein. Corrette verspricht den Lernenden, sie in einem Minimum an Zeit über das Wesentliche zu informieren. Aus diesem Grund vermeidet er zu schwierige Artikulationstechnik, die übliche Verwendung zweier verschiedenen Silben tu und ru, wie sein Vorgänger Hotteterre vorgeschlagen hat, stattdessen rät Corrette, immer nur eine Silbe für alle Artikulationen zu verwenden. 2.3.2. England Besondere Pflege erfährt die Blockflöte in England, das als DAS Blockflötenland gilt, wo das Instrument heute noch immer großer Beliebheit freut. Schon am Hofe Heinrichs VII. Wurde musiziert auf Clavichord, Laute und Blockflöte. Heinrich VIII. war ein großer Liebhaber des Blockflötenspieles 48 John Solum, The Early Flute / with a chapter on the Renaissance flute by Anne Smith. Oxford 1992 [Early Music Series 15]. S. 100f. 46 und er besaß 154 Blockflöten.49 Im elisabethanischen England (1558-1603) waren die gemischten, aus verschiedenen Instrumenten gebildeten „Consorts“ beliebt. Die gängigen Zusammgensetzungen waren TenorBlockflöte, Cither, Diskant-Viole, Laute, Bassviole und Pandora, wie sie Thomas Morley in seinen „Consort Lessons“ von 1599, der ältesten gedruckten Musik für Blockflöten in England, fordert. Ebenso wie gemischte Chöre wurden auch Blockflötenchöre gebraucht. In England erlebt die Blockflöte um die Mitte des 17. Jahrhunderts eine neue Blütezeit. Zahlreiche Unterrichtswerke und Werke geben Zeugnis davon. Unter dem Titel „The Genteel Companion“ erschien im Jahre 1683 eine Blockflötenschule für die Altflöte von Humphry Salter, die neben den Lehranweisungen für das Blockflötenspiel eine Auswahl „of the Best and Newst Tunes and Grounds“ bringt. Humphry Salter war ein geachteter Komponist, Musiker, Musikschriftsteller und Verleger. Interessant ist, dass die Flötenschule nicht nur Lernenden sondern auch Lehrenden anspricht, indem sie verschiedene Unterrichtsmethoden aufzeigt. Das Titelblatt zeigt einen Flötenunterricht: eine noble Dame sitzt auf der rechten Seite, ihr Gegenüber ist offensichtlich ihr Flötenlehrer. Er spielt ihr ein Stück vor und sie hört ihm konzentriert zu, während sie ihr Instrument auf dem Tisch liegen hat. In seinem Vorwort preist Salter die Musik als die Tätigkeit der Engel und als höchste aller irdischen Freuden. Der Blockflöte räumt er den ersten Platz unter allen Musikinstrumenten ein, da sie seiner Meinung nach der unvergleichlichen Anmut der menschlichen Singstimme am ähnlichsten käme. Und die menschliche Stimme galt in dieser Zeit als das absolute Ideal der Musik. 49 Hildemarie Peter, S. 41. 47 Titelbild aus Humphry Salter, The Genteel Companion, 1683 Der Zeitgenosse und Kollege Salters John Hudgebut brachte 1693 die Opernmelodien mit einem Basso Continuo für Blockflöte mit Cembalo, Theorbe oder Bass-Viola, dazu einige Arien von verschiedenen Komponisten für zwei Blockflöten heraus. Es war eine um diese Zeit gebräuchliche Praxis, die bekanntesten und beliebtesten Stücke aus Opern für die Blockflöte umzuarbeiten. Die (Laien-)Musiker konnten also das im Theater Gehörte selbst zu Hause nachspielen. 50 Solche Bearbeitungen waren unter den Blockflötenspielern sehr beliebt, und auf diese Art und Weise konnten viele Opern, die im Laufe der Zeit verloren gegangen sind, in Form von bearbeiteten Arien überliefert werden. Diese populäre Sammlung von Hudgebut trägt den Namen „Thesaurus Musicus“. Das Titelbild der Sammlung stammt aus dem Jahre 1683 und war ursprünglich für den Genteel Companion Salters gedacht: es stellt ein Blockflötenquartett dar. Vier Engel sitzen um einen Tisch und musizieren unbeschwert und fröhlich aus 50 Vgl. Dietz Degen, S. 151 und Katrin Preiß, Die Rolle der Blöckflöte im Musikleben Londons von 1673 bis 1750. Masterarbeit an der Kunstuniversität Graz. Graz 2009, S. 1. 48 unterschiedlichen Stimmbüchern. Ein Engel spielt Bass-Blockflöte, zwei andere spielen auf Alt-Blockflöten, der letzte singt und gibt mit der Hand den Takt vor, vermutlich gehört ihm die Tenor-Blockflöte, die auf dem Tisch liegt. Die Szene entspricht auch der gängigen Musizierpraxis, dass ein Musiker der gesamten Gruppe den Takt vorgibt. Titelseite von John Hudgebuts Thesaurus Musicus: Being a collection of the newest songs [...] A collection of Aires, composed for two flutes by several masters. 5 vols, London 1693-96 49 Ebenso bringt „The delightful Companion“ von 1684 Lehren für das Blockflötenspiel, verbunden mit verschiedenen Beispielen für das Zusammenspiel mehrerer Blockflöten. Im Vorwort erklärt der Verfasser, dass die Blockflöte jetzt lange Zeit nicht gebraucht worden sei, nun aber im Begriff stehe, ein größeres Ansehen zu erlangen als je zuvor. Er lobt ihren schönen Klang und preist die Anmut der zwei- und dreistimmigen Blockflötenkonsorts. „The most pleasant Companion“ von John Banister aus dem Jahre 1681 enthält ebenfalls kostbare Spielanweisungen für Blockflöte. An den zahlreichen Sammlungen und Flötenschulen lässt sich sehr gut erkennen, welchen großen Stellenwert ein Zusammenspiel aus mehreren Blockflöten in der englischen Musizierpraxis hatte. Die Spielstücke sind sowohl in der sog. „dot-Notation“, einer Punktnotation für die jeweils zu deckenden Grifflöcher der Blockflöte, als auch in der gebräuchlichen Notenschrift aufgezeichnet. Auch die anderen englischen Flötenschulen arbeiten auf ähnliche Weise. 51 Zahlreiche Duette für zwei Alt-Flöten von William Croft, John Banister, Jacques (auch James) Paisible, Gottfried Finger und anderen, ebenso die Solo-Sonaten für Blockflöte und basso continuo von Finger, Daniel Purcell (vermutlich der jüngere Bruder oder Cousin Henry Purcells) und L. Mercy stammen aus dieser Zeit. In mehreren Opernwerken Henry Purcells finden sich einige Stellen, an denen Blockflöten in f‘ und c‘ genötigt werden, z.B. in der Einleitung zum dritten Akt der Oper „Diokletian“ findet man eine schöne Chaconne für zwei Blockflöten und basso continuo. In den Opern hatte Blockflöte noch lange eine tonmalerische Aufgabe zu erfüllen. Auch als begleitendes Instrument zur Singstimme wurde sie gern 51 Vgl. Dietz Degen, S. 151f., Karin Preiß, S. 15 und Hildemarie Peter, S. 55f. 50 eingesetzt. Die Alt-Blockflöte in f‘ war, wie aus vielen Schulen und Kompositionen deutlich hervorgeht, das bevorzugte Instrument der Blockflötenfamilie. Dass dennoch die Blockflöten auch noch in Chören gespielt wurden, zeigen die aus dieser Zeit erhaltenen Instrumente. 52 Bezeichnend für die englische Blockflötenmusik ist, dass sie sich im Wesentlichen auf den dem Instrument gut erreichbaren Tonumfang beschränkt. Dass die Blockflöte gerade in England eine derartige Beliebtheit erlangen konnte, ist sicher auch den vielen Flötenschulen, von denen hier eine kleine Auswahl vorgestellt wurde, zu verdanken. Die Schulen enthalten meistens Kapitel über die Grundlagen des Flötenspiels, wie Haltung, Atmung, Grifftechnik und Verzierungen, die in der Musizierpraxis der damaligen Zeit eine wichtige Rolle spielten. Danach wird in sog. Lections erlernt und gelehrt – mithilfe kleiner Stücke.53 Wegen der großen Bevorzugung des Instrumentes in Laienkreisen richteten sich die Komponisten nach den spieltechnischen Ansprüchen der Musikliebhaber und vermieden daher die nur mühsam erreichbaren Lagen, ohne an den musikalischen Ansprüchen zu mangeln. Das mag auch ein Grund sein, warum gerade die englische Barockmusik für Blockflöte bis heute sowohl von den professionellen Musikern als auch von Amateuren so beliebt ist. 52 53 Hildemarie Peter, S. 56. Karin Preiß, S. 1f. 51 3. Die Barockflöte in Deutschland Des Klanges süßigkeit zeigt schon der Flötennahme. Die dienet zur Courtoisie bei Sternen voller Nacht. Sie ist’s die oft bewegt, manch angenehme Dame Wann ihr ein Ständigen wird bei stiller ruh gebracht Das sie des Sanften Betts, Sich oft wohl gar entziehet Und zu dem Süßen thon, hin an das Fenster fliehet.54 Eine bevorzugte Stellung genoss die Blockflöte aufgrund des „Süßen thones“ auch in Deutschland. Aus Inventarverzeichnissen und zeitgenössischen Berichten von Feierlichkeiten geht hervor, dass die Spielmänner, ebenso wie die Aristokraten, bürgerlichen Kreise und die Hofkapellen das Instrument stark beanspruchten. Bis in das 17. Jahrhundert hinein galt das Spiel auf Flöten, Oboen, Schalmeien, Zinken und Fagotten vornehmer als die Streichmusik in Deutschland. 3.1. Die Ausgangssituationen in Deutschland Die Kunstrichtung des Barock entwickelte sich in Italien und breitete sich danach in Süd- und Westeuropa aus. In den deutschsprachigen Ländern verzögerte sich seine Ausbreitung, weil der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) Deutschland verwüstet hatte und Österreich sich gegen die Angriffe der Türken verteidigen musste. Deutschland war in viele Fürstentümer zersplittert, 54 Johann Christoph Weigel, Musikalisches Theratrum [...] Nürnberg 8m 1740. Neudruck Kassel 1961. 52 die Mündungen seiner Ströme wurden meistens von fremden Seemächten besetzt. Nach 30 Jahren Krieg, der das Land verwüstet und in den politischen und wirtschaftlichen Ruin gestürzt hatte, bot der Barock den Deutschen die Voraussetzungen das neu erwachte Lebensgefühl kräftig auszuleben, zumal er dem Individualismus der Menschen entgegenkam. In den Gemälden und auf Stichen aus dieser Zeit findet sich die Blockflöte häufig auf Darstellungen häuslichen und bürgerlichen Musizierens, aber auch in der Hand musizierender Bauern und Spielleute zusammen mit Sängern und Streichern. Im Allgemeinen ist der allmähliche Wandel des Instrumentes zum Volksinstrument an den Bildzeugnissen schon hier ablesbar. 55 Der Frühbarock in Deutschland (etwa 1600–1650) stand stark unter italienischen bzw. venezianischen Einflüssen, während der Hochbarock (etwa 1650–1710) vor allem von französischer Musik dominiert wurde. In diesen Phasen waren größere regionale Unterschiede erkennbar. So dominierte in Frankreich die Tanzbegeisterung am Hof Ludwig XIV. die Musik, während Deutschland vor allem durch Orgelmusik geprägt war. Die verschiedenen Stile der Länder näherten sich dann im Spätbarock immer weiter aneinander an. Die Blockflöte erlebte im Barock ihre Blütezeit, aber auch ihren Niedergang durch das Vorrücken der Querflöte. Michael Praetorius (1571-1621), deutscher Komponist, Organist, Hofkapellmeister und Gelehrter im Übergang von der Renaissance- zur Barockzeit, bespricht in seinem Syntagma Musicum umfassend und genau die Musikinstrumente der damaligen Zeit, außerdem werden die zahlreichen Verwendungsmöglichkeiten die Instrumente aufgezeigt. Das dreiteilige Syntagma Musicum zwischen 1615 und 1619 (also zum Beginn des 55 Hildemarie Peter, S.53. 53 Dreißigjährigen Kriegs) bildet eine der wichtigsten Quellen für die Musik der Epochenwende vom 16. zum 17. Jahrhundert. Das Werk enthält in seinem lateinischen ersten Teil eine theologische Grundlegung und Rechtfertigung der Musik. Die beiden folgenden Teile sind – größtenteils in deutscher Sprache – der musikalischen Praxis gewidmet: der Beschreibung alter und neuer Instrumente und der Erläuterung von Problemen der musikalischen Terminologie sowie der Kompositions- und Aufführungspraxis der Zeit Praetorius‘. Hendrik ter Brugghen (1587-1629): Der Blockflötenspieler (Stattliche Gemäldegalerie, Kassel/Deutschland). Bildquelle: Dietz Degen, Zur Geschichte der Blockflöte in den germanischen Ländern. Kassel 1936, S. 80 54 In diesem musiktheoretischen Werk reihte Praetorius die Blockflöten nach den Posaunen und Trompeten an die erste Stelle der Blasinstrumente mit Grifflöchern. Sie zählt zu den sog. Ornamentinstrumenten, deren Aufgabe darin liegt, in einem „Gesang mit schertzen und kontrapunktieren die Harmony lieblicher und wohlklingender zu machen“, zudem sollen sie den Gesang ausschmücken. Darunter findet man Posaunen, Trompeten, Blockflöten, Querpfeifen, Zinken, Pommern, Fagotte, Sordunen, Raketen, Krummhörner, Sackpfeifen u.a. Diesen Instrumente stehe sog. Fundamentinstrumenten gegenüber, die „alle voces oder Stimmen eines jeden Gesangs führen und begreifen können“. Also sie sind in der Lage, vollständige Harmonien zu spielen. Dazu gehören Orgel, Regal, Cembalo, Harfe u.a., das sind jene Instrumente, die man als Generalbass-Instrumente kennt. Einer dritten Gruppe, deren Instrumente zur Zier und Füllung der Mittelstimmen dienen, wenn sie nicht als Fundamentinstrumente gebraucht werden, gehören Spinett, Laufe, Theorbe, Doppelharfe, große Cither, Lyra und Chitaronne an.56 Die Blockflöte behandelt Praetorius ihrem damaligen Rang nach eingehend. Den Gebrauch der hohen Flöten empfiehlt er in erster Linie für das Zusammenspiel mit anderen Instrumenten, nicht für den Blockflötenchor allein, da sie „gar zu starck und laut schreien“. Dagegen liebt er die „anmütige, stille, liebliche Harmonian“, die ein reiner Blockflötenchor von sich gibt, wenn er in „einer Canzon, Motet, oder an in einem Concert per Choros“ gebraucht wird. Besonders wohlklingend findet er sie in „Stuben und Gemächern“. Über die Tatsache, dass der Blockflötenchor eine Oktave höher 56 Vgl. Hildemarie Peter, S. 49f. und Eitelfriedrich Thom, Stil- und Interpretationsebenen der Barockmusik, in: Alte Musik und Musikpädagogik, Bd. 1, hrg.v. Hartmut Krones, Wien 1997, S. 270. 55 klingt, als er notiert wird, schreibt er ebenfalls ausführlich. Er berichtet, dass z.B. die Tenorflöte in c‘ im Allgemeinen für einen rechten Tenor in c „an laut und sono“ gehalten würde. Auch er selbst habe das anfangs gedacht, „weil es gar schwer im Gehör zu erkennen und zu unterscheiden“ sei. Er schlägt vor, den tiefsten Ton der Tenorflöte gegen das c der Orgel sorgfältig abzuhören, so könne man feststellen, dass die Flöte eine Oktave höher klingt als der Orgelton. In gleicher Weise verhalte es sich auch mit den anderen Flötengrößen. Praetorius selbst verwendet nicht den Ausdruck „Blockflötenchor“ sondern sog. Blockflöten-Accorts auf, wobei er unter „Accort“ ein ganzes Stimmwerk gleicher Instrumente verschiedener Größen versteht.57 Das Stimmwerk enthält acht Flöten in folgender Reihenfolge: 1. Klein Flötlein g‘‘ 2. Discant Flöt d‘‘‘ 3. Discant Flöt c‘‘ 4. Alt Flöt g‘ 5. Tenor Flöt c‘ 6. Basset Flöt f 7. Baß Flöt B 8. Groß Baß Flöt F Aus dem Wunsch nach mehr Klangpracht und aus gegebenen Raumverhältnissen entstand um Anfang des 17. Jahrhunderts die Musizierpraxis, Instrumente und/oder Vokalchöre gegeneinander musizieren zu lassen. Diese Wechselchörigkeit ist bereits aus dem 15. Jahrhundert 57 Vgl. Hildemarie Peter, S. 50f. und Hans-Martin Linde, S. 80f. 56 belegt und bei vielen Komponisten benutzt. Auch die Besetzung einzelner Stimmen des Vokalchores durch Instrumente wird von verschiedenen Autoren Deutschlands als Möglichkeit angeführt. Bei Praetorius spürt man die lebendige und flexible Musikpraxis damaliger Zeit, der Variationsreichtum scheint unerschöpflich. Die Blockflöte erscheint chorisch und einzeln zur Begleitung von Solostimmen, zusammen mit anderen Instrumenten oder mit Vokalstimmen immer so, dass sie dazu beiträgt, das musikalische Geschehen mehr Farbe zu verleihen. Barockflöten im Praetorius‘ Syntagma Musicum II. Im dritten Band vom Syntagma Musicum äußert sich Praetorius ausgiebig über Besetzungsfragen. Zwar stellt er keine festen Regeln auf und gibt keine bindenden Lehrsätze, jedoch bespricht er alle Aufstellungs- und 57 Besetzungsmöglichkeiten so eingehend, dass der Leser ein lebendiges Bild der konzertierenden Spielpraxis der damaligen Zeit erhält. Für das chorische Spiel der Blockflöte und ihren Gebrauch als Einzelinstrument im Zusammenhang mit anderen Instrumenten zeigt er viele Varianten auf. So lassen sich beispielweise Tricinien, dreistimmige Musik, ganz unterschiedlich besetzen: 1. Ausschließlich vokal. 2. Zwei Singstimmen, der Bass instrumental auf Bassgeige, Posaune oder Fagott. 3. Der Bass wird fort gelassen, und man lässt die beiden Oberstimmen von Orgel oder Regal spielen. 4. Beide Oberstimmen werden ersetzt durch zwei Cornet oder zwei Violinen oder zwei Blockflöten oder auch durch Violine und eine Blockflöte, den Bass aber lässt man je nach Situation singen. Wie schon erwähnt verwendete man die Blockflöte seit dem Ende des 16. Jahrhundert bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts auf verschiedene Weise, hier seien einige Kombinationsmöglichkeiten aufgelistet: Erstens in der großchörigen Besetzungsart konzertanter Werke nach venezianischem Vorbild, welche die vielen Möglichkeiten des AlternatimMusizierens mit anderen Instrumentenchören sowie das gemeinsame Musizieren mit Kombinationen Blockflötenchor diesen in für sich die und den schließt. Haus- Singstimmen Zweitens und als und reinen, Kammermusik. alle möglichen ungemischten Drittens als Einzelinstrument, um Stimmen in Vokalchören klanglich zu unterstützen, oder 58 zum Musizieren mit anderen Musikinstrumenten. Viertens als Instrument für das volkstümliche und dörfliche Musizieren zu Lied und Tanz. Neu ist die erste Art, bei der man die Instrumente wie die Register der Orgel kontrastierend gegeneinander absetzt oder auch miteinander koppelt. Die anderen Verwendungsweisen stammen noch vom 15. bzw. 16. Jahrhundert, jedoch ist gegen Ende des 16. Jahrhunderts der Umfang der Instrumentenfamilie zur Höhe und zur Tiefe erweitert, so dass mehr Variationen ermöglicht wurden.58 Nicht immer war ein großer Besetzungsapparat von Musikinstrumenten und Singstimmen nach venezianischer Manier vorhanden. Besonders im Deutschland des Dreißigjährigen Krieges waren die Meister in den Kriegsnöten gezwungen, neben der vielstimmigen auch die geringstimmige Musik zu berücksichtigen. Wenn Heinrich Schütz in seinen geistlichen Konzerten neben Geigen, Vokalchor und Generalbass noch einen Instrumentalchor fordert, ohne für diesen bestimmte Instrumente anzugeben, so kann man der Praxis der Zeit entsprechend mit Blockflöten besetzen. Nach Schütz soll der Instrumentenchor nicht nur bei der Symphonie mitspielen, sondern auch den Chor unterstützten. Da der Klang der Blockflöte bekannterweise sich mit der menschlichen Singstimme mischt und auf diese Art dem Streicherchor und den Solostimmen ein farbiges Gegenstück geboten wird, ist diese Besetzung besonders günstig. In seiner Weihnachtshistorie fordert Schütz für die Hirtenszene im Intermedium III zu den drei Altstimmen und Generalbass ausdrücklich zwei Blockflöten und ein Fagott für die konzertierenden Instrumentalstimmen. 58 Hildemarie Peter, S. 53f. 59 Die Angaben über Besetzung wurden mit dem Beginn des 17. Jahrhunderts immer genauer als früher. Die Trennung nach Chören hat sich durchgesetzt und während man früher ohne Berücksichtigung der Gattung jedes Instrument zur Begleitung benutzte, wenn es nur den nötigen Tonumfang aufwies, verschärfte sich das Gespür für die Klangunterschiede zwischen Streichern und Blasinstrumenten allmählich. Die deutsche Instrumentalmusik wurde immer selbständiger, bis für sie der Gesang fast nur mehr Nebensache wurde.59 Es liegt etwas Aufgeregtes über dieser Zeit, die Fülle der Erfindungen, Entdeckungen. Wie auch in jedem anderen Falle einer durchgreifenden Stiländerung behielt am überlieferten Formen bei und bemühte sich, die neuen Inhalte in sie hineinzuzwängen. Das sich neu entwickelnde Klangideal forderte ganz allgemein von der Blockflöte eine Aufhellung, Schärfung und Verstärkung der Tongebung. Das neues, affektorientiertes Ausdrucksideal von den Instrumenten auch eine größere Fähigkeit der persönlichen Aussage. 60 Wie im 2. Kapitel erwähnt sind die „Affekte“ ein wesentliches Stilmittel der Barockmusik; alles, was das ruhende Gleichmaß aufheben und die Stimmung affekthafter machen kann, wird herangezogen. Für das Orgelspiel bilden sich freie Formen wie Toccata und Fantasia heraus. Der gebrochene Akkord und das Arpeggio verdeutlichen den harmonischen Kern. Diesen in der Vielfalt der Stimmen zu stützten, ist die Aufgabe des Generalbasses. Der reine Flächigkeit in der Kunst der Renaissance tritt im Barock ein Tiefengefühl gegenüber. In der Musik sind Spaltklang, Terrassendynamik und Echowirkung Ausdrücke des perspektiven Hörens. Die Renaissance brachte 59 60 Vgl. Dietz Degen, S. 90f. und Eitelfriedrich Thom M. Harras, Ark. Blockflöte, in: MGG, Sp. 1587f. 60 die Blockflöte in die führende Position, mit dem Wandel des Stils traten die Streichinstrumente nach und nach in den Vordergrund. Die zur AffektDarstellung besser als jedes Instrument geeignete menschliche Gesangsstimme wird durch das Vordringen der Instrumentalmusik nicht beiseitegeschoben, sondern erhielt zu den alten noch neue Aufgaben, wie etwas das vom Generalbass gestützte Rezitativ und das Lied. Johann Christoph Steudner: Musizierende Gesellschaft der Barockzeit. Bevorzugt wurden allmählich die Seiteninstrumente wie Laute, Theorbe, Harfe und die Violine. Ehe diese Entwicklung Deutschland erobern konnte, verging noch ein großer Teil des 17. Jahrhunderts, so ist die Satzweise noch ganz auf Blasinstrumente zugeschnitten. Die norddeutsche Oper verlangte viele Blockflöten, auch die Stadtpeifereien der Nord- und Ostseestädte hatten durchschnittlich mehr Bläser als 61 etwas gleichbedeutende Städte Süddeutschlands.61 In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts findet sich in Deutschland die Blockflöte in der Opernmusik meist bei der Darstellung idyllischer Szenen. Blockflötenklang untermalt oft das Auftreten der Nymphen in anmutiger und lieblicher Stimmung. Auch für die Erscheinung von Engeln oder göttlichen Wesen, bei der Darstellung von Wundern und zum Zeichen überirdischer Freude wurde der Blockflötenklang herangezogen. Auch das Säuseln des Windes oder das Murmeln des Baches wird gern von der Blockflöte akustisch dargestellt. 62 Zur Mitwirkung in Gesangssätzen wurde noch bis weit in das 17. Jahrhundert hinein im Allgemeinen das Blasinstrument bevorzugt. Bis etwas 1600 war die Blockflöte sich durchaus gleichmäßig über den deutschsprachigen Raum verteilt, dann begann sie, von Süddeutschland aus, dem Vordringen des italienischen Geschmacks folgend, zahlen- und bedeutungsmäßig sich zu reduzieren. Es ist verständlich, dass unter den Opfern des neuen affektvollen Stiles die Blockflöte sein musste. Es verstrichen noch mehrere Jahrzehnte, bis dieses Phänomen ganz Deutschland erreichte. 3.2. Die deutschen Komponisten und die Blockflöte Zu keiner anderen Zeit schrieben Komponisten so viele Stücke dafür wie im Barock, so gut wie jeder Komponist der barocken Epoche hat Werke für und mit Blockflöte geschrieben. Während die Kompositionen der englischen, französischen und italienischen Meister, soweit sie für die Solo-Blockflöte geschrieben sind, sich im Allgemeinen an den Tonumfang halten, der auf der Blockflöte gut zu erreichen ist, schreiten die deutschen Komponisten des 61 62 Dietz Degen, S. 98ff. Vgl. Hans-Martin Linde S. 86 unf Hildemarie Peter, S. 54. 62 Hochbarock darüber hinaus und fordern die höchsten Lagen. Der Komponist wandte sich an den kleinen Kreis technisch gut ausgebildeter Spieler und stellte dementsprechende Anforderungen. Damit ist die letzte Phase des Blockflötenspiels erreicht.63 In diesem Ausschnitt werden chronologisch einige barocken Komponisten, die sich viel mit dem Instrument Blockflöte auseinandergesetzt haben, vorgestellt: Johann Joseph Fux, Georg Philipp Telemann, Johann Christian Schickhardt, Johann Christoph Graupner und Johann Sebastian Bach. 3.2.1. Johann Joseph Fux (um 1660 - 1741) Johann Joseph Fux gilt als der bedeutendste Barockkomponist Österreichs und als universaler Komponist seiner Zeit. Von Wien aus beeinflusste Fux als kaiserlicher Hofkapellmeister, als Kapellmeister am Stephansdom und als publizierender Theoretiker die lokale, die österreichische und die zentraleuropäische Musikgeschichte. Auf dem Territorium des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation galt Fux durch sein Amt als Orientierungspunkt und musikalische Instanz ersten Ranges.64 Fux wurde ungefähr im Jahre 1660 in Hirtenfeld geboren, das damals zur Pfarre St. Marein gehörte, heute jedoch zur Gemeinde Langegg bei Graz zugehörig ist. Die Tatsache, dass er in kleinbäuerlichen Verhältnissen geboren wurde und aufgewachsen ist, erklärt, warum aus seinen frühen Lebensjahren keine schriftlichen Dokumente überliefert sind. In den 1670er 63 Heidemarie Peter, S. 58f. Johann-Joseph-Fux-Gesamtausgabe, http://www.oeaw.ac.at/kmf/projekte/fux/, 03. 03. 2013. 63 64 Jahren wurde er zum Priesterstudium nach Graz geschickt. Dies war damals eine der wenigen Möglichkeiten, einem begabten Kind vom Lande höhere Bildung angedeihen zu lassen. In Graz trat der junge Fux 1681 in das Ferdinandeum ein. 65 1683 verließ er Graz und wechselte an die JesuitenUniversität Ingolstadt. Da warf er den Plan, Priester zu werden, über Bord. In Ingolstadt hat er sich als Organist in der Kirche St. Moritz durchgebracht, hier begann er zu komponieren. In den 1690er Jahren war er Organist am Schottenstift in Wien, in seiner ersten Wiener Zeit erarbeitete Fux dann neben der Kirchenmusik, die er Zeit seines Lebens weiter pflegen sollte, schrittweise auch die anderen Kompositionsgattungen: zunächst die Instrumentalmusik, dann die Oper. Dadurch wurde der kaiserliche Hof auf ihn aufmerksam, Fux wurde daraufhin zum „Hofcompositeur“ ernannt. Um 1701 wurde er Kapellmeister am Stephansdom in Wien, seine musikalischen Leistungen wurden offensichtlich hoch geschätzt, denn 1711 wurde er Hofkapellmeister, eines der wichtigsten und renommiertesten Ämter im europäischen Musikleben. 66 Seine bekannteste Oper Costanza e Fortezza wurde 1723 in Prag anlässlich der Krönung von Kaiser Karl VI. zum König von Böhmen aufgeführt. In seinem späteren Lebensabschnitt, nach dem Tod seiner Frau im Jahre 1731, mit der er seit 1696 verheiratet war, komponierte er vor allem geistliche Musik. Er starb 81-jährig am 13. Februar 1741 in Wien. Weitaus bedeutender und nachhaltiger als Fux‘ Kompositionen ist dessen theoretisches Werk; seine umfangreiche Kompositionslehre „Gradus ad 65 Eine Institution, die jungen Musikern als Gegenleistung für ihre Dienste in der Kirche Kost und Quartier sowie den Zutritt zum Gymnasium bot. 66 Vgl. Carl Ferdinand Pohl: Fux, Johann Joseph. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 8, Leipzig 1878, S. 272f und Rudolf Flotziger, Johann Joseph Fux, Concentus MusicoInstrumentalis http://www.armonicotributo.com/deutsch/Texte/ fux_concentus_deutsch.pdf, 05.04. 2013. 64 Parnassum“ 67 wurde 1725 veröffentlicht und gilt als das musiktheoretische Hauptwerk von Johann Joseph Fux. Dieses elementare, auf Latein verfasste Werk dient als Lehrbuch über die Grundlagen der Komposition, das 1742 von Lorenz Christoph Mizler, einem Schüler Bachs, ins Deutsche übersetzt wurde. Es hatte maßgeblichen Einfluss auf die Wiener Schule und diente bis ins 20. Jahrhundert hinein als das Lehrbuch des Kontrapunkts schlechthin. Der Titel „Gradus ad Parnassum“ bedeutet wörtlich Stufe bzw. Stufen zum Parnass, dem Berg in Zentralgriechenland, der als Sitz der Musen gilt. Von Johann Joseph Fux sind etwa 500 Werke, darunter Messen und Requien, Litaneien, Hymnen, Motetten, Opern, Oratorien, Vespern, Partiten, Instrumental- und Theoriewerke überliefert. In fast allen seinen geistlichen Werken werden verschiedene Blockflötemodelle eingesetzt, in seinen anspruchsvollen Kompositionen entwickelte er den Ausdrucksbereich und die technischen Anforderungen beträchtlich. Die Blockflöte kommt bei Fux als hochrangig konzertantes Instrument zur Geltung. Im Gegensatz zu seinem erfolgreichen und hochgeschätzten Gradus ad Parnassum gerieten seine musikalischen Werke jedoch recht schnell in Vergessenheit. Nicht zuletzt aber hat Fuxens Buch auch die Rezeption seiner Musik bislang stark beeinträchtigt: man hat sie lange Zeit als die eines komponierenden Theoretikers abgetan. Das ist natürlich ein Vorurteil, entweder überhaupt ohne genauere Kenntnis der Werke oder nur aufgrund weniger gewonnen. 67 Der vollständige TItel lautet Gradus ad parnassum sive manuductio ad compositionem musicae regularem, methodo nova, ac certa, nondum ante tam exacto ordine in lucem edita. 65 Aus Anlass der 350. Wiederkehr des Geburtstages von Fux brachte die österreichische Post eine Sondermarke heraus. Erst Ludwig von Köchel entdeckte Johann Joseph Fux wieder und gab eine Biographie sowie ein Werkverzeichnis des alten Meisters heraus. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts wurden einige von Fux’ Werken in der Reihe Denkmäler der Tonkunst in Österreich herausgegeben. In Graz wurde das Johann Joseph Fux-Konservatorium nach dem Komponisten benannt. 1955 wurde die Johann-Joseph-Fux-Gesellschaft gegründet, die 1959 die FuxGesamtausgabe initiierte; bis 2010 erschienen 37 Bände mit insgesamt 143 Werken. 3.2.2. Georg Philipp Telemann (1681 - 1767) Georg Philipp Telemann wurde am 1681 in Magdeburg geboren. Autodidaktisch unternahm er als Jugendlicher seine ersten Schritte auf Flöte, Geige und Zither, bevor er ab 1691 am Altstädtischen Gymnasium und der 66 Domschule gezielten Musikunterricht erhielt. Aus dieser Zeit stammen auch seine frühesten kompositorischen Versuche. Telemann wirkte als Kapellmeister in Leipzig, Sorau, Eisenach und Frankfurt am Main, bevor er 1721 in Hamburg zum Musikdirektor der fünf Hauptkirchen ernannt wurde. Ab 1722 leitete er darüber hinaus für 15 Jahre die Oper am Gänsemarkt. Telemann beherrschte virtuos die wichtigsten musikalischen Stile seiner Zeit und verschmolz italienische, französische sowie folkloristische Elemente zu einer eigenständigen kompositorischen Sprache, die durch rhythmische Prägnanz und Melodienreichtum gekennzeichnet ist. Sein gewaltiges, mehr als 3000 Werke umfassendes Œuvre enthält Vokalwerke, Kirchenmusik, Orchesterwerke, Konzerte und Kammermusik. Daneben hinterließ Telemann musiktheoretische Schriften sowie drei Autobiografien, die sich allerdings zum Teil widersprechen. Der Komponist starb am 1767 in Hamburg. Als Wertschätzung brachte die deutsche Bundespost 1981 eine Telemann-Briefmarke zum 300. Geburtstag des Komponisten heraus. 67 Telemann hat in seinen Werken stets den musikalischen Nerv seiner Zeit getroffen und war zu Lebzeiten ungleich bekannter, erfolgreicher und auch international anerkannter als Johann Sebastian Bach. Unmittelbar nach ihrem Tod teilten jedoch beide Komponisten das gleiche Schicksal, indem ihre Werke im musikgeschichtlichen Umfeld der Klassik in Vergessenheit gerieten. Und obwohl er auf vielfache Weise zu einem Wegbereiter der Klassik geworden ist, überwiegen für die neue (Komponisten-)Generation vor allem die trennenden musikalischen Stilelemente. Erlebten Bach und seine Musik bereits im 19. Jahrhundert mit der Wiederentdeckung seiner „MatthäusPassion“ im Jahr 1829 durch Felix Mendelssohn Bartholdy eine Renaissance, so musste Telemann bis weit ins 20. Jahrhundert hinein warten, bevor seine Werke wiederentdeckt und geschätzt wurden68. Der Vielschreiber Telemann galt lange als musikalischer Dilettant. Und dies, obwohl – Ironie der Geschichte – er ein Wegbereiter der Klassik war und bedeutende Spuren in der Geschichte der Musik hinterlassen hat. Nicht zuletzt bedingt durch sein vor allem autodidaktisches Arbeiten, das nicht von kontrapunktischen Fesseln eingeengt wurde, kommt in seinen Werken ein eigener Stil zum Klingen, bei dem die Melodie zur wichtigsten Protagonistin avanciert und der die zeitgenössischen, vor allem französischen, musikalischen Einflüsse verarbeitet. Seine Kompositionen spiegeln nicht nur die musikalischen Strömungen seiner Zeit, sondern auch die gesellschaftliche Situation wider. Sie lassen sich nicht auf einen durchgehenden gemeinsamen musikalischen Nenner bringen und sind sowohl für diletante Musikliebhaber 68 Vgl. Raymond Maylan, S. 25f. und Christian Moritz-Bauer, Georg Philipp Telemann, Orchestersuiten, in: CD-Booklet “Orchestra Suites of Telemann”, cpo 777 218-2, Georgsmarienhütte 2008, S. 6. 68 als auch für virtuose Berufsmusiker geschrieben. Telemann war und blieb bis zuletzt am musikalischen Puls seiner Zeit und entwickelte sich kompositorisch ständig weiter.69 Telemanns Werke für und mit Blockflöte(n) zeugen seine außerordentliche Vertrautheit mit diesem Instrument. In einem Brief gesteht Teleman, „die Musik habe ich zeitig getrieben [...], wie ich auch nicht weniger die Flöte à bec, Violine, nebst Clavier ergriffen.“ Die genaue Kenntnis der spieltechnischen und klanglichen Eigenarten der Blockflöte sowie weiteren Instrumenten, auf denen sich Telemann seit Kindheit bildete, war eine wichtige Basis für Telemanns Instrumentalschaffen.70 Eine der zahlreichen Qualitäten Telemanns als Komponist, welcher beinahe zweihundert Jahre der Geringschätzung über sich ergehen lassen musste, bis sich die Geschichtsschreibung dazu entschloss, ihm die Stellung einer absoluten Größe des musikalischen Spätbarocks zuzusprechen, bestand darin, die Instrumente ausgesprochen idiomatisch zu behandeln. Kaum ein anderer Komponist seiner Zeit war fähig, solche idiomatische Partien für die Blockflöte zu schreiben. Die darin gestellten technischen Anforderungen gehören zum Anspruchsvollsten, das je für die Blockflöte geschrieben wurde. 69 Telemanns Werk, http://www.wissen.de/thema/georg-philipp-telemann?chunk=telemannswerk, 05. 03. 2013. 70 M. Harras, Art. Blockflöte, in: MGG, Sp. 1589. 69 Manuskript aus Suite a-moll für Blockflöte, Streicher und Basso Continuo, Ouvertüre. Sonaten für 1-2 Blockflöten mit und ohne Basso Continuo, Triosonaten und Quartette in allen erdenklichen Besetzungen sowie Kantaten mit obligater Blockflöte zeigen Telemanns überaus profilierte Handschrift. Dabei kommt es zu raffinierten Instrumentationen, z.B. die Kombination von Blockflöte, Oboe, Violine, Gamben im Pizzicato und Basso Continuo. Die Suite a-Moll für 70 Blockflöte, Streicher und Basso Continuo gehört zum Pflichtprogramm eines guten Blockflötisten. Das Konzert C-Dur und die Doppelkonzerte für Querund Blockflöte sowie für Blockflöte und Viola da Gamba zeichnen sich durch die lebhafte Spielfreunde und elegante Empfindung aus. Mit außerordentlicher Meisterschaft behandelt Telemann die seltene Kombination von Travers- und Blockflöte im e-Moll-Konzert, wobei man bemerken muss, dass die zwei Instrumententypen in ihren historischen Ausprägungen sich allerdings näher stehen als vom modernen Klangbild her geläufig ist. 71 Johann Michael Böhm, der Hessen-Darmstädtischer Kammermusikus von 1711-1729 war und sich auf Oboe, Traversflöte und Blockflöte verstand, spielte eine wesentliche Rolle bei Blockflötenwerken Telemanns. Denn einen wichtigen Teil davon hat Telemann offenbar für Böhm geschrieben. Er gehört zu den wenigen uns namentlich bekannten Blockflötenvirtuosen seiner Zeit.72 Als Orchesterinstrument wird Blockflöte von Telemann in Suiten und Vokalwerken wie Opern und Oratorien eingesetzt, Dabei war es keine Seltenheit in dieser Zeit, dass die Traversflötenspieler häufig innerhalb eines gleichen Stückes zur Blockflöte überwechselten. 73 Dementsprechend setzt Telemann die zwei Instrumente ein: Block- und Traversflöten treten so gut wie nie gleichzeitig, sondern satzweise abwechselnd auf. Ein gutes Beispiel dafür biete die Suite in C-Dur (Hamburger Ebbe und Fluth). Für die vorwiegend gesanglichen Sätze (Der verliebte Thetis) verlangt Telemann Traversflöte, für spritzige, schnelle Stücke (Der erwachsene Thetis) Blockflöte. Im Zufriedenen Zephyr werden Blockflöte f‘‘ und Blockflöte f‘ in Oktaven und Dezimen 71 Wolfgang Hirschmann, S. 9. M. Harras, Sp. 1589. 73 In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wird vom Flötisten noch die Beherrschung von Quer- und Blockflöte erwartet. Hauptinstrument wird aber immer mehr und mehr die Querflöte. 71 72 miteinander gekoppelt. In nur fünf der insgesamt zehn Sätze dieser Suite werden Flöten vom Komponisten eigens gefordert. Dem Brauch der Zeit entsprechend können sie aber selbstverständlich auch in den übrigen Sätzen verwendet werden.74 3.2.3. Johann Christian Schickhardt (1682 - ca. 1762) Schickhardt (auch Schickhard) wurde um 1682 in Braunschweig geboren. Seine musikalische Ausbildung erhielt er am Braunschweiger Hof, das zu damaliger Zeit aufgrund regem musikalischen Austausch und hervorragender Mitwirkenden ein hohes Ansehen genoss. Er war als Blockflötist, Traversflötist, Oboist und Komponist tätig und zu seinen Lebzeiten in mehreren Ländern Europas erfolgreich. Er arbeitete u.a. am niederländischen Hof als Musiker und Komponist, weitere Stationen wie Darmstadt und Hamburg, später auch in Skandinavien und London folgten, wo er ebenfalls entweder als Hof- oder Opernmusiker angestellt und geschätzt wurde. Er lebte jedoch überwiegend in den Niederlanden, wo er als Hofmusiker seine größten Erfolge feierte.75 Etwa 1762 starb er in Leiden, Niederlande, Schickhardt war ein produktiver Komponist, Er hinterließ v.a. zahlreiche Kammermusikwerke. Zu Lebzeiten gelang es ihm auch, beim Amsterdamer Verleger Estienne Roger etwa 30 Opern zu veröffentlichen, die sich teilweise solcher Beliebtheit erfreuten, dass in London Raubdrucke davon vertrieben wurden. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts sind zahlreiche meist kammermusikalische Werke von ihm im Druck erschienen. Die Zahl seiner 74 Hans-Martin Linde, S. 94f. Michael Schneider und Stefan Voss, Virtuose Blockflötenkonzerte des Barock, in: CDBooklet„The Virtuoso Recorder: Fasch – Schickhardt – Graupner – Stuilick“, cpo 777 534-2, Georgsmarienhütte 2010, S. 8. 72 75 gedruckten Werke übersteigt sogar die von großen Zeitgenossen wie Vivaldi oder J.S. Bach.76 Mit der Revitalisierung und Wiederaufwertung der Blockflöte ab 1900 entstand ein großer Bedarf an geeigneter Literatur, so dass etliche Werke Schickhardts im Neudruck vorliegen und heute auch gern gespielt werden. Da Schickhardt selber ein hervorragender Bläser war, war es naheliegend, dass er sich als Komponist diesen Instrumenten widmete. Seine op. 30 „L'Alphabeth de la musique“ enthält zum Beispiel Blockflötensonaten in allen Tonarten, er schrieb mehrere Kammermusikwerke mit Blockflöte – insbesondere Altflöte – als Hauptinstrumente, die große technische Ansprüche aufzeigen. Sein 6-sätziges Konzert in g-moll für Blockflöte, 2 Oboen, Fagott, Streicher und Basso Continuo ist eines von zwei ähnlich konzipierten Werken, die als Autograph in der Universitätsbibliothek Uppsola, Schweden, aufbewahrt werden. Das g-moll-Concerto und sein Schwesterwerk sind vermutlich die zwei einzigen Kompositionen Schickhardts mit Orchesterbeteiligung. Ansonsten kennt man von ihm nur Kammermusikwerke in verschiedenen Holzbläserbesetzungen. Die Widmungsträger waren der schwedische König Friedrich I. und seine Gemahlin Ulrike Eleonore. 76 Eduard Mutschelknauss, Art. Johann Christian Schikhardt, in: MGG, Sp. 1324f. 73 Johann Christian Schickhardt Bei dem Werk handelt es sich nicht im eigentlichen Sinne um ein reines Blockflötenkonzert, sondern eine Mischung aus Solo-Concerto, Concerto Grosso und Sonata da Camara und gehört damit einer Werkgattung an, für die die deutsche Musikwissenschaft den Begriff „Gruppenkonzert“ geprägt hat. Der zweite Satz ist ein Quintett für Flöte, Violine, 2 Oboen und Basso Continuo, die darauf folgenden 2 Sätze sind hingegen nur mit Flöte und Basso Continuo besetzt), wobei die Soloflöte gegenüber den übrigen Concertino-Instrumenten die Funktion eines Primus inter pares übernimmt. 74 3.2.4. Johann Christoph Graupner (1683 - 1760) Graupner wurde 1683 in Kirchberg im Zwickauer Land geboren. Sein musikalischer Lebensweg führte ihn über die Thomasschule und Universität in Leipzig und die Hamburger Oper schließlich an die Residenz der HessenDarmstädtischen Landgrafen: Der Landgraf Ernst Ludwig von HessenDarmstadt hörte seine Werke und bot ihm 1709 einen Posten an seinem Hof an. Dort hatte er bis zu seinem Lebensende die Hofkapellmeisterstelle inne. Bereits 1711 stieg er zum Hofkapellmeister auf. 1722 bewarb er sich auf Empfehlung Telemanns um die bereits durch diesen abgelehnte Stelle des Thomaskantors in Leipzig. Auf Wunsch seines Dienstherrn musste Graupner die Berufung als Nachfolger von Johann Kuhlau ablehnen, allerdings unter Aufbesserung seines ohnehin bereits hohen Gehalts. So konnte Johann Sebastian Bach die Stelle erhalten. Im Laufe der Zeit holte er eine Reihe von namenhaften Musikern nach Darmstadt, die er aus seiner Zeit als Leipziger Thomasschüler kannte: den Vizekapellmeister Gottfried Grünewald, seinen späteren Nachfolger Johann Samuel Endler sowie den Kammermusikus Michael Böhm, für den Telemann und Graupner viele Blockflötenwerke verfassten. Somit hat Graupner das Musikleben um Darmstadt maßgeblich geprägt und mitgestaltet. Als Darmstädter Kapellmeister und musikalischer „Agent“ war Graupner zweifellos eine der geachtetsten Komponistenpersönlichkeiten seiner Zeit. Erblindet starb er am 10. Mai 1760 in Darmstadt. Angetreten in Darmstadt war Graupner als Opernkomponist. Da sich das landgräfliche Opernunternehmen jedoch nicht lange finanzieren ließ, konzentrierte er sich sehr bald auf die bei Hofe erforderliche Instrumental- und Kirchenmusik. Er schrieb Konzerte, Ouvertüren, Sinfonien, Sonaten und 75 Klaviermusik und schuf eine kaum überschaubare Menge an Kirchenkantaten. Seine bisher nur wenig bekannte Musik stellt im Klangspektrum des Spätbarock eine ganz eigene Facette dar. Das Erstaunliche aus heutiger Sicht an Graupner ist, dass man die lieb gewonnene Vorstellung darüber, was allgemein verbindliche „Typen“ hochbarocker Musik ausmacht, weitgehend außen vor lassen muss. Graupners Musik entspricht so keinem der gängigen Muster seiner Zeit: Weder das formal glasklar disponierte Vivaldi’sche Concerto noch die thematische und satztechnische Ökonomie Telemanns sind seine Sache. Sein Stil verweigert grundsätzlich Erwartungen hinsichtlich Melodik, Rhythmik, Harmonik und formaler Anlage, wie sie aus der Musik seiner Zeitgenossen zu gewinnen wären. Seine Domäne ist das Spiel mit Klangfarben, wie er es möglicherweise aus den Opern gelernt haben könnte, schließlich war er Cembalist an der Hamburger Oper gewesen, bevor er nach Darmstadt ging. Dies setzt er auch in seinem dreisätzigen Konzert für Flöte, Streichorchester und Basso Continuo ein. Er spielt auch gern mit kleinen veränderlichen Mustern sowie gänzlich unerwarteten Blockflötenstimme des klanglichen Konzerts Verschränkungen. ergibt ihren Sinn erst Die aus Solodem Zusammenspiel mit anderen, ebenfalls für sich eher zusammenhanglos erscheinenden Stimmen. 77 Graupners umfangreiches, fast vollständig erhaltenes Werk befindet sich zum größten Teil in der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt. Vieles ist noch unveröffentlicht und harrt der Entdeckung durch Musiker und Musikwissenschaftler. 77 Michael Schneider und Stefan Voss, S. 9. 76 3.2.4. Johann Sebastian Bach (1685 - 1750) Bach stammte aus einer weit verzweigten Musikerfamilie in Eisenach, Thüringen. Er war das achte Kind von Johann Ambrosius Bach, herzoglicher Hofmusicus, und seiner Frau Elisabeth. Die Bachs waren eine Familie angesehener städtischer Spielleute und Hofmusiker. Nach dem Tod der beiden Elternteile wurden die Kinder unter Verwandtschaft verteilt; Johann Sebastian kam zu seinem 13 Jahre älteren Bruder Johann Christoph, der schon verheiratet und in Ohrdruf bei Erfurt als Organist der Michaeliskirche tätig war. Dort besuchte Bach die Lateinschule Hier wurde der Musikunterricht, den ihm bis dahin sein Vater erteilt hatte, fortgesetzt. Mit 14 Jahren schnitt er die Schule als zweitbester Schüler ab. An der Michaelisschule in Lüneburg/Niedersachsen war er ab 1700 Chorknabe. Bachs Tätigkeit als Chorsänger endete, als er 1702 in den Stimmbruch kam. Im Jahr darauf trat er seine erste Stelle als Organist an, und zwar in der Neuen Kirche in Arnstadt. Als Organist und Chorleiter in Arnstadt komponierte er zwischen1702 und 1707 zahlreiche Stücke für die Orgel und das Cembalo. Bach war u.a. auch Organist in Mühlhausen, wo er seine Cousine Maria Barbara Bach heiratete. Bachs erste bedeutende Werke stammen aus seiner Zeit in Weimar, wo er von 1708 bis 1717 Organist, Geiger am Hof der Herzöge Wilhelm Ernst und Ernst August von SachsenWeimar war. Die Karriereleiter klettert er ebenfalls weiter nach oben: Bach wird Konzertmeister der Weimarer Hofkapelle, ein sehr angesehener Posten. In einen Orgelwerken verwirklichte er eine eigenständige, neuartige Kompositionstechnik. Als Kapellmeister am Hof des Fürsten Leopold von Anhalt-Köthen schuf Bach zwischen 1717 und 1722 auch weltliche Kammermusik. Hier entstanden 77 seine bekannten Brandenburgischen Konzerte78, die für die Nachwelt mit ihrer Spielfreude und Fantasie die Barockmusik beispielhaft repräsentieren. Die sechs Konzerte weisen eine hohe stilistische und strukturelle Vielfalt auf. In ihrer Mischung verschiedenster historischer und zukunftsweisender Elemente entwickelte sich Bach eine ganz persönliche Ausdrucksform. Überschattet wurde die glückliche und einträgliche Zeit von dem plötzlichen Tod Maria Barbaras im Jahre 1720. Ein Jahr später heiratete Bach Anna Magdalena Wilcken, eine 20-jährige Sängern aus einer Musikerfamilie. Anna Magdalena war für Bach ein Glücksgriff. Nur sieben Jahre älter als Bachs ältestes Kind aus erster Ehe, führte sie Bach nicht nur den Haushalt, sie war weiterhin als Sängerin tätig, versorgte seine Kinder aus erster Ehe und brachte selbst in den folgenden Jahren 13 Kinder zur Welt, von denen jedoch sechs früh sterben. In die Zeit seiner zweiten Ehe fällt auch sein größter beruflicher Erfolg: Im Jahre 1723 erhielt Bach die Stelle des Kantors an der Leipziger Thomaskirche und –schule sowie das Amt des Musikdirektors der Leipziger Kirchen. Neben der Ausbildung des ThomasChores hatte er für die musikalische Gestaltung der Gottesdienste an der Thomas- und an der Nikolaikirche zu sorgen. Außerdem übernahm er die Leitung verschiedener Musikvereinigungen. Dem Kantor boten sich Gelegenheiten, vor großer Hörerschaft und mit großem Ensemble Werke religiösen Charakters aufzuführen. Hier lebte er bis zu seinem Lebensende. In Leipzig entstanden seine großen religiösen Werke: die Johannes- und die Matthäuspassion, das Weihnachts- und das Osteroratorium, die majestätische h-moll-Messe sowie fast 300 Kantaten. 78 Der Titel Brandenburgische Konzerte wurde von Philipp Spitta in seiner 1873–1879 entstandenen Bach-Biografie geprägt und hat sich heute allgemein durchgesetzt. Bachs Originaltitel lautet „Six Concerts Avec plusieurs Instruments“. 78 Bach starb im Sommer 1750 an einem Schlaganfall und seine Musik geriet danach sehr bald in Vergessenheit. Einige wenige Komponisten, wie Wolfgang Amadeus Mozart oder Ludwig van Beethoven, verehrten ihn und studierten seine Werke. Aber erst Felix Mendelssohn Bartholdy – als junger Kapellmeister des Leipziger Gewandhausorchesters – schaffte es mit seinen Bachaufführungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts das öffentliche Interesse an Bach erneut zu wecken. Bach fordert die Blockflöte als obligates Instrument in den Arien seiner Kantaten, als konzertierendes Instrument in den Konzerten und auch als TuttiInstrument. Außerdem zieht er sie als begleitendes und verstärkendes Instrument zu den Chorsätzen seiner Kantaten heran. 79 Hier seien die wichtigsten Werke, die Bach für die Flöte komponiert hat, aufgelistet: 6 Sonaten für Flöte mit Cembalo und Basso continuo, die heutzutage sowohl für Block- als auch Querflötistin zum Pflichtprogramm zählen, werden Bach zugeschrieben. Mehrsätzige Partiten und Suiten, Triosonate aus dem Musikalischen Opfer; Brandenburgisches Konzert Nr. 2 und Nr. 4; Konzert FDur für zwei Blockflöten und konzertierendes Cembalo (Umarbeitung des 4. Brandenburgischen Matthäuspassion Konzertes); „O, Chor-Rezitativ aus Schmerz, hier zittert“; dem Tenor-Arie 1. Teil aus der dem Osteroratorium „Sanfte soll mein Todeskummer“ und 20 Kantaten („Schauet doch und sehet, ob irgendein Schmerz“, „Lobe den Herrn, meine Seele“, „Schmücke dich, o liebe Seele“ etc.) . Insgesamt stellt Bach an die Blockflöte hohe Ansprüche, sowohl spieltechnisch als auch musikalisch-interpretatorisch. Im Brandenburgischen Konzert Nr. 2 konzertiert die Blockflöte innerhalb eines Concertinos bzw. 79 Heidemarie Peter, S. 58f. 79 Solo-Quartetts von Trompete, Oboe, Violine gegen das Ripieno, also die große Tutti-Besetzung. Diese erstaunliche Kombination, die wegen der Klangsstärke, der bisher verwendeten hohen F-Trompete immer wieder Schwierigkeiten bereitete, fand eine denkbare Lösung. Hier zeigt Bach seine geniale Instrumentierungstechnik: Die Flötenstimme ist so gesetzt, dass die klangschwache Tiefe des Instrumentes nur dann gebraucht wird, wenn es allein oder gemeinsam mit der Violine und dem Generalbass spielt oder im Tutti. Im vollen Concertino werden die höchsten Lagen der Blockflöte ausgenützt, so dass sie klanglich auch in Einzelbesetzung ausreicht – unter der Voraussetzung, dass als Trompete die Kopie eines alten Instrumentes eingesetzt wird, dessen Höhe leicht, hell und von geringerer Lautstärke ist. Man kann die Flötenstimme(n) auch doppelt besetzen, es widerspricht keineswegs der Aufführungspraxis der damaligen Zeit – Bach selbst lässt in seinen Werken die Blockflöten oft „a due“ blasen. 80 Ebenso wie das Brandenburgische Konzert Nr. 4, das die Möglichkeiten der barocken Blockflöte ausschöpft, enthält es originale Phrasierungs- und Artikulationszeichen in den Blockflötenstimmenm die für den Spieler von großer Wichtigkeit sind. Es ist auch ein Gruppenkonzert, Solisten sind hier ein Blockflötenpaar, von Bach wohl wegen ihrer besonderen Aufgabe Flauti d’Echi genannt, von dem sich eine äußerst virtuos behandelte Geigenpartie abhebt.81 Das Konzert von 1729/36 für Cembalo und zwei Blockflöten ist eine Transposition des ganzen Brandenburgischen Konzertes Nr. 4 nach F-Dur, wobei der Violinpart für Cembalo umgearbeitet ist. In den Kantaten Bachs 80 Die beiden Blockflötenstimmen sollen hier jeweils paarweise besetzt werden. Hierfür wechselten die Spieler der Oboi da caccia kurzzeitig zur Blockflöte, was aus dem zeitgenössischen Aufführungsmaterial ersichtlich ist. 81 Hans-Martin Linde, S. 92. 80 erscheint die Blockflöte meist zu zweit oder zu dreit, fast ausschließlich im Ensemble mit anderen Instrumenten, seltener als obligates Instrument zu einer Singstimme, dann und wann als Einzelinstrument. Die Flötenpartien in den Kantaten sind für die Altblockflöte f‘ geschriegen, ihr Umfang bewegt sich zwischen f‘ und g‘‘‘‘. In frühen Kantaten auftretende Umfangsdifferenzen sind wohl kein Beweis für die Verwendung anderer Blockflötengattungen, wie man längere Zeit angenommen hat. Eher haben sie ihren Grund in den durch Chortondifferenzen notwendig gewordenen Transpositionen des Instrumentariums. Das Problem der Darstellung dieser Kantaten ist heute nur durch die Verwendung von in Spezialstimmungen angefertigten Blockflöten oder durch Transposition des gesamten Instrumentariums zu lösen. 82 Nach dem Brauch der Zeit können auch bei Bach Choralsätze (in Kantaten, Motetten und Oratorien) von Bläsern mitgespielt werden. Er hat dazu mehrfach Hinweise, die sich allerdings in erster Linie auf Zinken und Posaunen beziehen, gegeben. Wenn Blockflöten in einer Kantate beschäftigt sind, sollte man sie, wie von Bach gelegentlich angegeben, in Schlusschorälen den cantus firmus mitspielen lassen. Die Werke, die Bach für und mit Blockflöte schrieb, gehören zu den Kostbarkeiten der Blockflötenliteratur. Für uns heutige Blockflötisten sind sie ein nicht wegdenkbarer Bestandteil unseres Repertoires. 82 Ebd., S. 89f. 81 Schlusswort Die Blockflöte erlebte in der Barockepoche viele spannende Stadien, die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Kunstrichtungen und die gesellschaftlichen Ordnungen spielen dabei eine nicht unwesentliche Rolle. Für mich ist das Verfassen dieser Arbeit eine abenteuerliche Reise, und am Ende dieser Reise habe ich „mein“ Instrument besser kennengelernt. Außerdem habe ich nun dank mehr Hintergrundwissen ein besseres Verständnis und einen innigeren Zugang zu der Barockmusik. Mit einem Spruch vom altgriechischen Schriftsteller Plutarch möchte ich meine Masterarbeit beenden: „Die Flöte zähmt den Geist und dringt mit einem so anmutigen Ton in die Ohren ein, dass sie Befriedung und Ruhe in alle Regungen trägt bis in die Seele hinein.“ 82 Literaturverzeichnis Adoján, András und Meierott, Lenz (Hrsg.): Lexikon der Flöte – Flöteninstrumente und ihre Baugeschichte – Spielpraxix – Komponisten und ihre Werje – Interpreten. 2009 Laaber. Bautz, Traugott (Hrsg.): Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon, Band V, Herzberg 1993. Betz, Marianne u.a.: Art. Flöten. In: Musik und Geschichte und Gegenwart, hrsg. von Ludwig Finscher, Sachteil 3. Sp. 559-594, 2., neubearb. Ausgabe, Stuttgart 1995. Busch-Salmen, Gabriele (Hrsg.): Handbuch Querflöte: Instrument – Lehrwerke Ausführungspraxis – Musik – Ausbildung – Beruf. Kassel 1999 [zweiter Hrsg.: Adelheid Krause-Pichler]. Degen, Dietz: Zur Geschichte der Blockflöte in den germanischen Ländern. Kassel 1936. 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