Marianische wallfahrten in süddeutschland und österreich im 17

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Marianische wallfahrten in süddeutschland und österreich im 17
MARIANISCHE WALLFAHRTEN
IN SÜDDEUTSCHLAND UND OSTERREICH
IM 17. UND 18. JAHRHUNDERT
Professor Dr. LUDWIG HÜTTL
1) Problemstellung
«Ü wohl ein heiliges Land ist unser liebes Bayrland! . . . Alle Ort ste­
cken voller Kirchen, Gotteshauser, lGoster und Capellen, Bruder-Hauser
und Spittaler.. . Wieviel wunderthatige Kirchfahrten seinem Heiligen
Blut, seiner hochheiligen Hosty zu Ehren , seiner wehrten Mutter zu Lob,
seinem Heiligen Creutz zulieb, seinen lieben Heiligen zu Lob durch
gantz Bayren Gott aufgericht, ist fast unbeschreiblich.. . Vor allen ande­
ren [Heiligen] aber hat sich in Bayren als in ihrem eigenthümlichen Land
niedergesetzt
die
glorwürdige
Himmelskonigin
und
Mutter
des
Allerhochsten, Maria, welche allein weit über hundert Kirchen und
Kirchfahrten allda eingenommen, wo sie ihre Gaben und Gnaden allen
und jeden reichlich ertheilt, unter denen vor allen den Vorzug hat Alten­
Oettingen im unteren Bayren, Ettal und Peissenberg, Auflcirchen und
Vilgertshofen im oberen Bayren» 1•
Mit diesen W orten charakterisierte der W eilheimer Stadtpfarrer
Christoph Selhammer in einer Predigt des Jabres 1701 die geistig­
geistliche Landschaft des süddeutschen Barock, der der nachtridenti­
nischen Ecclesia triumphans sichtbare Gestalt verlieh. Die von Selham­
mer angesprochenen Marienwallfahrten sind Teil der tief verwurzelten
marianischen Frommigkeit dieser Zeit und müssen deshalb auch im über-
1 SEUIAMMER, Christoph, , Tuba rustica {170 1 ), zit, bei MosER, Hans, Bayerische
Frommigkeit, Ausstellungskatalog Bayerische Frommigkeit. 1400 Jahre christliches Bay­
ern, München, 1 960, 36.
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LUDWIG HÜTTL
geordneten Zusammenhang der historisch nachweisbaren Entwicklung
zeittypischer Frommigkeitsformen gesehen werden2•
Hinsichtlich des Begriffs der christlichen Wallfahrt gab es im deutsch­
sprachigen Raum heftige Diskussionen. Zunachst wurde die christliche
Wallfahrt zu heiligen Statten , zu Grabern von Heiligen , zu deren Reli­
quien und schlie(3lich zu Gnadenbildern in der wissenschaftlichen Litera­
tur als feststehendes , unproblematisches Nomen verwendet , dessen
inhaltliche Bedeutung jedermann schon au�grund seiner Lebenser­
fahrung bekannt sei. Eine verstarkt einsetzende wissenschaftstheoretische
Reflexion 3 ergab jedoch alsbald unterschiedliche , teils auch wider­
sprüchliche Definitionen:
Der Ingolstadter Jesuit Jakob Gretser , ein engagierter Vertreter der
Gegenreformation , hatte 1606 jede Reise als eine Kirch-bzw. Wallfahrt
bezeichnet, die aus einem religiosen 11,fotiv heraus unternommen werde4•
Im fr:ühen 19. Jahrhundert hielt der Dogmatiker Anton Joseph Binterim
«im Grunde» bereits das «Hingehen von Hause nach der Kirche» für eine
«kleine Wallfahrt». Denn der Glaubige «verlasse aus religiosen Absich­
ten» sein Haus , «um an einem anderen Gott geheiligen Ort zu beten»5•
Der Kirchenhistoriker Bemhard Kütting widersprach 1950 allen derart
2 Zur Geschichte der Marienwallfahrten vgl . z.B. : MOUE R, Aegidius u.a., Das Heilige
Deutschland. Geschichte und Beschreibung s1:imtlicher im deutschen Reiche bestehender
Wallfahrtsorte, Koln, 1888; BEIBSEL, Stephan , Geschichte der Verehrung Marias in
Deutschland wahrend des Mittelalters. Ein Beitrag zur Religionswissenschaft und Kunst­
geschichte, Freiburg i .Br. , 1909; DERS, Geschichte der Verehrung Marias im 16. und 17.
]ahrhundert. Ei'n Beitrag zur Religionswissenschaft und Kunstgeschichte, Freiburg i.Br. ,
1910; ScHRE IBER, Christian (Hrsg. ); Wallfohrten durchs deutsche Land. Bine f.ilgerfahrt
zu Deutschlands heiligen Statten, Berlín 1928; Marianische Wallfahnen in Osterreich,
Ausstellungskatalog, in: Ósterreichisches Museum für Volkskunde, hrsg. von Leopold
Schmidt, Wien 1954; KRiss, Rudolf,,Die Volkskunde der Altbayrischen Gnadenstiitten, 3
Bde . , München-Pasing 2 1953/5 6; GUG ITZ , Gustav, Die Wallfahrten OberosteTTeichs. Ver­
such einer Bestandsaufnahme mit besonderer Hinsicht auf Volksglauben und Brauchtum,
Linz 1954; AssMANN , Dietmar, Grundzüge einer Wallfahrtskunde von Tiro/, in: Mannus,
Deutsche Zeitschrift für Vor- und Frühgeschichte 42 ( 1976), 70-88; UTZ, Hans W. ,
Wallfahrten im Bistum Regensburg, München-Zürich, 198 1 ; NEUHARDT, Johannes, Wallfahrten im Erzbistum Salzburg, München-Zürich 1982 .
3 BRÜCKNER, Wolfgang, Zur Phanomeno!ogie und Nomenklatur des Wallfahrtswe­
sens und seiner Erforschung, in : Volkskultur und Geschichte, Festschrift Josef Dünninger,
hrsg. von Dieter Harmening u.a. , Berlín, 1 970, 384-424; BAUMER, Iso, Wallfohrt und
Wallfahrtsterminologie, in : Volkskunde. Fakten und Analysen, Festgabe für Leopold
Schmidt, hrsg. von Klaus Beitl, Bd. 2, Wien 1 9. 72, 304-3 1 6.
4 GRETSER, Jacob, S. J . , De sacris et religiosis peregrinationibus, Ingolstadt, 1 606, 1 7 .
s B IN TERI M , Anton Joseph, Die vorzüglichsten Denkwürdigkeiten der Christ­
Katholischen Kirche aus den ersten, mittleren und letzten Zeiten, Bd. 4, Teil 1 , Mainz
182 7 , 610.
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MARIANISCHE WALLFAHRTEN IN SÜDDEUTSCHLAND U ND OSTERREI CH. . .
weitgefa{Jten Definitiorien und wolllte den Begriff der Wallfahrt nur
dann gelten lassen , «wenn jemand aus einem in ihm selbst ruhenden reli­
giosen Motiv seine Gemeinde zum Besuch einer bestimmten heiligen
Statte verla{Jt mit der Absicht , in die Heimat zurückzukehren». Das
Verlassen der Ortsgemeinde sei notwendige Voraussetzung , ansonsten
ware jeder Kirchganger ein Wallfahrer6.
Der Kirchenhistoriker Stephan Beissel machte bereits 1913 auf den
religios-mentalen Zusammenhang aufmerksam, indem er konstatierte:
«Wallfahrten entsprechen dem Drang des Herzens. Die Menschen wollen
zuweilen hinaus aus den engen Schranken der Heimat , suchen dann und
wann der Gottheit naher zu kommen , indem sie sich dem gewohnlichen
Treiben des alltaglichen Lebens entziehen. Sie haben auch immer
geglaubt , er erhüre dort lieber und rascher die Bitten der bedrangten
Sterblichen» 7• Diese Form der Hingabe an das Güttliche , dieses Sich-auf­
den-Weg-Machen ist frei gestaltete Glaubens- und Lebensau{Jerung , die
zwar durch die Kraft der vielgestaltigen heimischen Traditionen zu gülti­
gen Formen findet, aber weder von seiten geistlicher noch von seiten
weltlicher Obrigkeit verbindlich vorgeschrieben ist. Wallfahrt an heilige Statten ist auch nicht Teil kirchlicher Liturgie, kann aber damit eng ver­
bunden werden in Form von Prozessionen, Andachten, Gottesdiensten ,
Sakramentenempfang. Der Theologe Konrad Hofmann sah deshalb in
der Wallfahrt einen «Akt der Frommigkeit , haufig zu einem besonderen
Zweck ausgeführt , zugleich ein offentliches Bekenntnis des Glaubens»8,
und der Volkskundler Rudolf Kriss betonte , Wallfahrt sei «die Wande­
rung zu einem bestimmten Kultplatz, mit einem bestimmten Kultob­
jekt , das dort eine besondere Verehrung genie{Jt. Die Sitte entspringt
einem Bedürfnis des menschlichen Herzens , der Gottheit von Zeit zu
Zeit besonders nahe zu kommen»9. ,
All diese Erklarungsversuche des Phanomens Wallfahrt stie{Jen bei
6 KúTIING, Bernhard, Peregrinatio religiosa. Wallfahrten in der Antike und das Pzl­
gerwesen in der a/ten Kirche, in: Forschungen zur Volkskunde 33-35, Münster i.W. 1950,
11.
7 BEI SSE L, Stephan, Wallfáhrten zu Unserer Lieben Frau in Legende und Geschichte,
Freiburg i . Br. 1913, 3.
8 HOFMANN, Konrad, Wallfohrt, in : Lexikon für Theologie und Kirche (LThK) X,
Freiburg i.Br. 1938, Sp . 735.
9 KR.Iss, Rudolf, Wallfohrtsorte Europas München 1950, 283.
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Hans Dünninger 10 auf heftigen Widerspruch . Aufgrund seiner volks­
kundlichen Untersuchungen der frankischen Wallfahrten verwarf er den
Begriff der Einzelwallfahrt als Tautologie1 1und hob statt dessen ihren Ge­
meinschaftscharakter hervor. Ein einzelner konne sich niemals auf Wall­
fahrt begeben, sondern nur eine Gemeinschaft. Die durch Dünninger
ausgeloste wissenschaftliche Kontroverse führte zu weiterer Vertiefung
der damit verbundenen Problematik12 und zu dem Ergebnis, da{J Wall­
fahrt zwar primar die lebendige Frommigkeitsau{Jerung einer Gemein­
schaft ist (ohne jedoch die Einrichtung einer spezifischen Gesellschafts­
schicht zu sein), da{J daneben, wie Rudolf Kriss 1 3, Lenz Kriss­
Rettenbeck14 und Dieter Harmening 1 5 gezeigt haben, stets auch indivi­
duelle Formen der Wallfahrt gepflegt und diese ungeachtet des per­
sonlichen Charakters ihrer Verwirklichung auch stets als Wallfahrt ver­
standen worden sind. Diese Auffassung wurde durch die Analyse
zahlreicher Mirakelbücher und Votivgaben t6 eindeutig bestatigt. Theolo­
gie, Geschichtsschreibung und Volkskunde konnen infolgedessen
aufgrund der überliederten Quellen und Fakten nur von der Multiper­
spktivitat dieses Phanomens ausgehein, wollen sie dem damit verbunde­
nen umfangreichen Problemkreis gerecht werden. Was speziell den
süddeutsch-osterreichischen Raum betrifft, so haben hier Kirche, Volk
1º DDNN INGER, Hans, Processio peregrinationis. Volkskundliche Untersuchungen zu
einer Geschichte des Wallfahrtswesens im Gebiete der heutigen Diozese Würzburg, 2
Teile, in: Würzburger Diozesangeschichtsblatter 23 (1961), 53-176; 24 (1962), 52-188.
11 DÜNN INGER, Hans, Processio !, 57.
12 KRiss, Rudolf, Zur Begriffibestimmttng des Ausdruckes « Wallfahrt», in Oster­
reichische Zeitschrift für Volkskunde, Neue Serie 17 (gesamte Serie 66), Wien 1963, 101107; DDNN INGER, Hans, Was ist Wallfahrt? Erneute Aufforderung zur Diskussion um
eine Begriffibestimmung, in : Zeitschrift für Volkskunde 59 (1963) 221-232.
1 3 KR.1ss, Rudol f, Die Volkskunde der Altbayrischen Gnadenstiitten, 3 Bde . ,
München-Pasing 21953-1956.
14 KRiss-RETIEN BECK, Lenz , Ex Voto. Zeichen, Bild und Abbild im christlichen Vo­
tivbrauchtum, Zürich-Freiburg i . Br. 1972.
1 5 HARMENING, Dieter, Frlinkische Mirakelbücher, Que/len und Untersuchungen zur
histonschen Volkskunde und Geschzchte der Volksfrommigkeit, in : Würzburger Dioze­
sangeschichtsblatter 28 (1966) 1-240, zum Wallfahnsbegriff besonders 91-103.
1 6 KRiss, Rudolf, Volkskundltches aus den Mirakelbüchern von Maria Eck, Traun­
walchen, Ko(Jlarn und Halbmeile, in: Oberdeutsche Zeitschrift für Volkskunde 5 (1931),
134-151; KONIG, Maria Angela, Weihegaben an U.L. Frau von Altotting vom Beginn der
Wallfahrt bis zum Abschlu(J der Sakularisation, 2 Bde . , München 1939/40; KRAMER,
Karl-Sigmund, Die Mirakelbücher der Wallfohrt Grafrath, in: Bayerisches Jahrbuch für
Volkskunde, München 1951; GIERL, Irmgard, Bauerleben und Bauernwallfahrt in Altbay­
ern. Bine kulturkundltche Studie auf Grund der Tuntenhausener Mirakelbücher, in:
Beitrage zur Altbayerischen Kirchengeschichte 21, München, 1960; HARMENING, Dieter,
Friinkische Mirakelbücher (a.a.O. 1966).
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MARIANISCHE WALLFAHRTEN IN SÜDDEUTSCHLAND U ND OSTERREICH. . .
und Dynastie die marianische Frommigkeit und damit auch die Marien­
wallfahrten der frühen Neuzeit in besonderer Weise gepragt und zu
einem weder vorher noch nachher je wieder erreichten Hohepunkt ge­
führt.
11) Kirche und Marienwallfahrt
Die oft mit Gefahren verbundenen traditionsreichen Fernwallfahrten
nach Jerusalem, Rom, St. Gilles und Santiago de Compostela verloren,
was den deutschsprachigen Raum betrifft, im Lauf des Spatmittelalters
an Attraktivitat; sie wurden überdies durch die zunehmende Ab­
schlie{Jung der frühmodernen Staaten und durch die politische Ent­
wicklung gehemmt und allmahlich durch Nahwallfahrten zu heimischen
Gnadenstatten ersetzt17• Die Wallfahrten zum steirischen Heiligtum
Mariazell18 begannen bereits im 12. nach Einsiedeln in der Schweiz19 zu
,
Beginn des 14. , nach Tschenstochau in Polen20 ebenfalls im Lauf des 14.
und nach Altütting21 im spaten 15. Jahrhundert, um nur die bekannte­
sten Beispiele zu nennen. In der Folgezeit, vor allem der nachtridenti­
nischen Epoche, entstanden allein in Osterreich oh der Enns 347 Wall­
fahrtsstatten mit 4 14 Gnadenbildern, von denen über die Halfte,
namlich 2 19 , marianisch sind22• Ferner sind für Wien und Nieder­
osterreich über 200 marianische Gnadenbilder nachweisbar23. Von den
1 7 ScHREI B ER, Georg, Strukturwandel der Wallfahrt, in : Ders . (Hrsg. ) Wallfahrt und
Volkstum in Geschichte und Leben (Forschungen zur Volkskunde 16/17), Düsseldorf,
1934, 1-183, hier 21-22.
18 WONISCH, Otmar, Mariazell, überarbeitet van Benedikt Plank, München-Zürich ,
21980; WIDDER, Erich, Mariazell. Geschichte und Kunst des Gnadenortes, 3. Aufl. Ma­
riazell o .J . [1983].
1 9 LOTHOLD-MINDER, Ida, Helvetia Mariana. Die marianischen Gnadenstiitten der
Schwei'z, Stein am Rhein, 1979, 28-47.
20 ]URGA, W. , Czenstochau, in: Lexikon der Marienkunde (LMK) , hrsg. von Konrad
Algermissen, Bd. 1, Regensburg, 1967, 1. 234-1.236.
21 KONIG, Maria Angela, Weihegaben, 2 Bde� (1939-1940); PFENNIGMANN, Josef, Die
Wallfahrt zu Unserer Lieben Frau in Aitotting, in: Unbekanntes Bay�rn , Bd . 4, München
1975, 202-220; MEINGAST, Fritz , Marienwallfahrten in Bayern und Osterreich, München,
1979, 11-37; BAUER, Roben, Bayerische Wallfohrt Altotting, Geschichte - Kunst - Volks­
brauch, München-Zürich, 21980.
22 GUGITZ, Gustav, Die Wallfohrten Ober6sterreichs. Versuch einer Bestandsaufnah­
me mit besonderer Hinsicht auf Volksglauben und Brauchtum, Linz , 1954, 3,7,8.
23 AURENHAMMER, Hans, Die Mariengnadenbilder Wiens und Nieder6sterreichs in
der Barockzeit. lJ.'!r Wandel ihrer Ikonographie und ihrer Verehrung, in: Verof­
fentlichungen des Osterreichischen Museums für Volkskunde VIII, Wien , 1956, bes. 82166.
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über 400 marianischen Wallfahrts- und Gnadenstatten in Bayern 24 be­
finden sich allein 315 in Oberbayern mit Schwerpunkt in den unmittel­
bar an das Erzstift Salzburg bzw.. an Oberosterreich angrenzenden
Gebieten25 . Die gegenseitige Beeinflussung ist evident. Überdies konnte
sich der Mittelpunkt einer
Wallfahrt durchaus andern, wie das Beispiel
von Andechs zeigt . Der «Heilige Berg» erlangte bereits seit dem 12 .
Jahrhundert für den süddeutschen Raum gro/Je Bedeutung als Christus­
wallfahrt, dann als Drei-Hostien-Wallfahrt und seit der Mitte des 15 .
Jahrhunderts unter dem Einflu{J benediktinischer Reformmonche aus Te­
gernsee au{Jerdem noch als marianische Wallfahrtsstatte. Zu Beginn des
17. Jahrhunderts betrug die Zahl der Wallfahrer jahrlich über eine halbe
Million26 . Die intensive Verbindung der Pietas Eucharistica und der
Pietas Mariana ist charakteristisch für die spezifisch gepragte Frommigkeit
der Haiiser Wittelsbach und Habsburg27• Der gemeinsame Glaube (seit
der Reformation die gemeinsame Konfession), das verwandte Volks­
und Brauchtum, eine vergleichbare Mentalitat und eine ahnliche kultu­
relle Entwicklung beider von diesen Dynastien beherrschten Territorien
gestatten es, unter Beachtung bestimmter Eigenstandigkeiten von einer
relativen Einheit des süddeutsch-osterreichischen Raumes in bezug auf
dessen Pietas Mariana und speziell die Entwicklung der Marienwallfahr­
ten zu sprechen.
«Das baierisch Volk . . . ist geistlich, schlecht und gerecht, get, lauft
gern kirchfahrten, hat auch viel lcirchfart». So charakterisierte der baye­
rische Humanist,
Geschichtsschreiber und Prinzenerzieher Johannes
Aventinus Í526/ 3328 die spatmittelalterliche Frommigkeit der süddeut­
schen Bevolkerung. Als Aventinus diese Worte niederschrieb, waren sie
24 GEBHARD,
-
Torsten, Die mananischen Gnadenbilder in Bayern. Beobachtungen zur
Chronologie und Typologie, in: Kultur und Volk. Beitrage zur Volkskunde aus Oster­
reich , Bayem und der S �hweir, Festschrift Gustav Gugitz , hrsg. von Leopold Schmidt,
Veroffentlichungen des Osterreich ischen Museums für Volkskunde 5, Wien, ·1954, 93116.
25 SPERBER, Helmut, Unsere Ltebe Frau. 800 jahre Madonnenbild und Manenver­
ehrung zwischen Lech und Salzach, Regensbur, 1980, 161.
26 BAUERREISS , Romuald, Andechs, in: LMK I, 206.
2 7 Für Osterreich : C9RErn, Anna, f.ietas Austn"aca. Ursprung und Entwicklung ba­
�'?cker Frommigkeit in Osterreich, in: Osterreich-Archiv, Schrifterueihe des Instituts für
Osterreichkunde, München, . ,1959, 21982; KAPNER, Gerhard, Barocker Heiligenkult in
Wien und seine Trager, in: Osterreich-Archiv, München, 1978.
2s Johannes Turmair's genannt Aventinus: Samtliche Werke , Bd. 4-5: «Baierische
Chronik» hrsg. von Georg Leidinger, München , 1883/86, hier Bd. 4, 42.
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MARI ANISCHE WALLFAHRTEN IN SÜDDEUTSCHLAND UND OSTERREICH. . .
mehr als Rückschau denn als Gegenwartsbeschreibung gedacht. Denn
weder Bayern noch Ósterreich blieben von der spatmittelalterlichen Krise
der Kirche, Theologie und Frommigkeit verschont. Zwischen
1520 und
1527 weitete sich die Reformation in Bayern29 wie in Ósterreich zu einer
breiten Volksbewegung aus. Das gleiche gilt für die reichsunmittelbaren
Hochstifte des süddeutsch-osterreichischen Raumes. Viele Glaubige
verlangten als au(3eres Zeichen ihrer gewandelten Frommigkeit, das
Abendmahl in beiderlei Gestalt zu empfangen; sie hielten die Fasten­
und Freitagsgebote nicht mehr ; sie verlie(3en nach der Predigt die Kirche,
lehnten teilweise auch die Kindertaufe ab und beteiligten sich kaum
noch an den einst so beliebten Kreuzzügen und Wallfahrten3°. Die 15 19
gegründete Wallfahrt zur «Schonen Maria» in Regensburg31, welche gro­
(3e Massen anzog, horte relativ rasch wieder auf, und viele Menschen be­
·
gannen unter Berufung auf den Reformator Martin Luther32 die Bilder­
verehrung, die Verehrung Mariens und die Wallfahrten zu den Heiligen
als «G6tzendienst» abzulehnen. In der Tat war im Spatmittelalter (wie
wiederum im
18. Jahrhundert) haufig im Volksglauben nicht mehr
zwischen der Sachlichkeit eines Bildes und dem durch das Bild reprasen­
tierten Heiligen unterschieden worden. Unter besonderer Berücksichti­
gung eines aktuellen Streites zwischen franzosischen Hugenotten und
Katholiken betonte deshalb das tridentinische Konzil
1563 in der Sessio
XXV, da(3 die Verehrung und Anrufung der Heiligen «gut und nützlich»
und ihre Reliquien «veneranda» (verehrungswürdig) seien. Infolgedessen
seien die Heiligen-, Reliquien- und Bilderverehrung ebenso beizu­
behalten wie die Verehrung der Bilder Christi und der Mutter Gottes,
nicht weil diesen Bildern g6ttliche Kraft innewohne, wie volkstümliche
Auffassungen falschlicherweise vermuten lie(3en, sondern weil die ihnen
29 RIEZLER, Sigmund von, Geschichte Baiems, Bd. 4, Gotha, 1899.
30 KAFF, Brigitte , Volksreligion und Landeskirche. Die evangelische Bewegung im
Bayerischen Teil der Dzozese Passau, in : Miscellanea Bavarica Monacensia 69,München,
1977, 183, 3 2 1 ,32 2 : RüSSLER, Hans , Geschichte und Strukturen der evangelischen Bewe­
gung im Bistum Freising 1520-1571, in: Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns
42 , Nürnberg, 1966 .
3 1 STAHL, Gerlinde, Die Wallfahrt zur Schonen Maria in Regensburg, in: Beitrage zur
Geschichte des Bistums Regensburg 2 {1968), 33-282 .
32 Die Haltung Martín Luthers gegenúber der Marienverehrung: «An den Christ­
lichen Adel deutscher Nation von des Christlichen Standes Besserung» (1520), in:
LUTHER, Martín, Werke , Kritische Gesamtausgabe, Bd. 6, Weimar, 1888, 404-46 9, hier
437; vgl. au/Jerdem: DDFEL, Hans, Luthers Stellung zur Marienverehrung, in : Kirche und
Konfession . Veroffentlichungen des Konfrssionskundlichen Instituts des Evangelischen
Bundes Bd. 1 3 , Gottingen , 1968.
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erwiesene Ehre «refertur ad prototypa»33. Die aufblühende Barockkunst,
die die katholischen Glaubenswahrheiten bildhaft, sinnhaft reprasentier­
te, ist deshalb von Werner Weisbach34 nicht zu Unrecht als Kunst der
Gegenreformation bezeichnet worden, nimmt man davon den profanen
Bereich, etwa die
Schlof3baukunst weltlicher Herrschaftstrager, aus.
Ziel der Katholischen Reformation bzw. Gegenreformation, um auf
diese Differenzierung von Hubert Jedin zu verweisen35, war die Erhal­
tung und Erneuerung des katholischen Glaubens in Landern, die, wie
Bayern und Ósterreich, noch teilweise katholisch waren, sowie die
Wiedergewinnung verlorengegangener Positionen36 • Für den Glauben
des sog. «gemeinen Mannes» war das auf3ere Zeichen bedeutsam. Man
unterschied, wer die hl. Kommunion oder das Abendmahl empfing, wer
Pasten- und Freitagsgecote einhielt oder nicht, wer die sieben Sakramente
oder nur zwei bzw. drei anerkannte, wer Maria verehrte oder nicht, wer
sich auf Wallfahrten begab oder diese unbeachtet lie/3 bzw. gegen sie
auftrat. Obwohl sich auch im Protestantismus eine bestimmte ma­
rianische Frommigkeit entwickelte, galten Marienverehrung, Marienwall­
fahrt und Marienweihe im Rahmen dler vehementen Auseinandersetzun­
gen um Reformation und Gegenreformation bald als signifikante Unter­
scheidungsmerkmale zwischen den Konfessionen. Die kirchliche Obrig­
keit setzte u.a. die Marienwallfahrt als Mittel der Differenzierung ein, re­
aktivierte traditionelle Wallfahrten und ergriff die Initiative zu neuen
Marienwallfahrten. Maria als Ersterloste ist Mutter der Kirche. Wer sich
zu ihr offen bekennt, bekennt sich zur Kirche und zu deren Mittlerfunk­
tion.
Bei der Setzung marianischer Kultobjekte hatte die Oberschicht einen
entscheidenden Anteil37, d.h. Kirche, Adel, Dynastie, wahrend an der
33 )EDIN, Hubert , Entstehung und Tragw,eite des Trienter Dekrets über die Bilderver­
ehrung, in: Theologische Quartalschrift 1 16 ( 1935 ) , 143-188, 404-429; DERS . , Geschichte
des Konzils von Trient, Bd. IV /2 , Freiburg-Basel-Wien, 197 5 , 1 80-183.
34 WEISBACH, Werner, Der Barock als Kunst der Gegenreformation, Berlín, 192 1 .
35 )EDIN, Hubert, Katholische Reformation oder Gegenreformati'on?, in: Zeeden,
Ernst Walter (Hrsg. ) : Gegenreformation , in: Wege der Forschung Bd. 3 1 1 , Darmstadt,
197 3 , 46-8 1 .
36 loSERlH, Johann (Hrsg.), Acten und Correspondenzen zur Geschichte der Ge­
genreformation in Innerosterreich unter Karl II. (1578-1590), in: Fontes Rerum Austriaca­
rum ( FRA) 11. Abtg. Bd. 50,, Wien, 1 898 ; DERS , Akten und Korrespondenzen zur
Geschichte der Gegenreformation in Innerosterreich unter Ferdinand JI, in: FRA 11. Abtg.
Bd . 58 und 60, Wien , 1906/07 ; BAUERREISS , Romuald , Kirchengeschichte Bayerns, Bd. 7
( 1600-1803), Augsburg, 1970.
37 SPERBER, 1 5 .
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MARIANISCHE W ALLFAHRTEN IN SÜDDEUTSCHLAND UND 0ST ERREICH ...
Auspragung und Ausgestaltung deir Marienverehrung, und damit ver­
bunden der Marienwallfahrten, die Mittel- und Unterschichten allein
schon aufgrund des Zahlenverhaltnisses innerhalb der Gesamtbevolke­
rung starker beteiligt waren . Das Kultbild selbst wurde von Angehorigen
der Oberschicht in Auftrag gegeben, wie etwa das Maria-Hilf-Bild von
Lukas Cranach d . A .
(1537) zeigt, aber auch von anonymen Künstlern
und Kunsthandwerkern geschaffen. Darüber hinaus konnten altere Kult­
objekte neue Bedeutung erlangen, ebenso zahlreiche Nachahmungen
bzw . Oríginalkopien, wie gerade die vielen Nachbildungen des Lukas­
Cranach-Bildes (z . B . in Passau, Amberg, Wien) zeigen3s. Die Bewohner
von Faulbach am Main entführten gar ein mittelalterliches Madonnenbild
aus einer wahrend der Reformation aufgehobenen und nunmehr dem
Verfall preisgegebenen Kapelle. Bei der Übertragung ereignete sich ein
Lichtwunder. Dieses legitimierte in den Augen des Volkes die Tat und
starkte es in seinem Widerstand gegen die kurmainzische Obrigkeit, die
unter Strafandrohung befahl, das Bild an seinen früheren Ort zurückzu­
stellen, was aber nicht geschah39 . Dieses und ahnliche Beispiele be­
weisen, da/3 Marienverehrung und Marienwallfahrten nicht allein von
kirchlicher und/oder weltlicher Obrigkeit ins Leben gerufen wurden, son­
dern auch Ergebnis der Eigeninitiative des Volkes sind, das sich seine
«heiligen Statten» schuf . In diesem Zusammenhang spielten auch die
Anschwemmungs-, Auffindungs-·- und Übertragungslegenden sowie
das Türken-,Pest-und Mi(3handlungsmotiv40_eine wichtige Rolle. Wo kein
«Mirakel» sich zeigte, halfen auch die Bemühungen kirchlicher und
weltlicher Obrigkeit nichts oder nur wenig . Manche Wallfahrten, die in
der Reformationsepoche untergegangen waren 31, konnten nie mehr reak­
tiviert werden . Das glaubige Volk wallfahrtete in Gemeinschaft oder ein­
zeln auch nicht an irgendwelche Statten in der Hoffnung, den Himmel
günstig zu stimmen und eines Mirakels teilhaftig zu werden, sondern die
Menschen wallfahrteten zu jenen Gnadenorten, die sich bereits durch
Mirakel als solche ausgewiesen hatten . - Das Mirakel, das Au(Jerge­
wohnliche, die Gnade, die Rettung aus Not und Bedrangnis gingen vor-
38 AURENHAMMER, 1 19- 127; SPERBER, 5 6-60.
39 STóRMER, Wilhelm, Das Faulbacher Gnadenbild Beatae Mariae Virginis, Geschich-.
te der Man"enverehrung in der Grünau und in Faulbach, in: Faulbach am Main (Heimat­
buch), hrsg. von der Gemeinde Faulbach, 1983 , 101- 105 .
4o AURENHAMMER, 36-39 .
4 1 GEBHARD, Torsten, Notizen zu erloschenen Wallfahrten in Franken, in: Jahrbuch
für frankische Landesforschung 36 ( 1976) 1 -6 .
489
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aus ; erts wenn sich die Kunde davon verbreitete, entstanden in der Folge­
zeit «ein Zulauf» des Volkes und eine mehr oder minder gut organisierte
Wallfahrtsbewegung. Diese konnte dlann von der Obrigkeit durchaus ge­
fürdert, aber nicht erzwungen werden. So gab und gibt es viele Marien­
und Heiligenbilder, die
niemals zu \X7allfahrtsstatten wurden42. Erst das
«Mirakel» legitimierte den Wallfahrtsort . Da(3 die Obrigkeit im Rahmen
der Abschlie(3ung frühmoderner Territorialbildung es lieber. sah, wenn
die Wallfahrer aus religiosen, poliúschen und okonomischen Gründen
innerhalb des Landes blieben, widerspricht dieser Feststellung keines­
wegs. Ebenso versuchte mancher Hofmarksherr eine wundertatige Gna­
denstatte innerhalb seiner Gemarkung zu fürdern, um seine Untertanen
am sog. «Auslaufen» zu hindern und nach Moglichkeit andere Nachbarn
heranzuziehen. Dies waren jedoch Begleiterscheinungen, keineswegs Ur­
sache einer Wallfahrtsbewegung . Da bestimmte alte und neue Marien­
.
wallfahrten zum Teil gro(3e Massen von Pilgern und Wallfahrern anzo­
gen,. bildeten sie natürlich auch einen nicht unbetrachtlichen okono­
mischen Faktor innerhalb eines Landes oder einer Landschaft. So wurden
z. B .
1740 im niederosterreichischen Maria Dreieichen rund 40. 000 Wall­
fahrer gezahlt . In Maria Dorfen (zwischen München und Altotting gele­
gen) nahm der Andrang im
18. Jahrhundert solche Ausma(3e an, da(3 so­
12 Filialkirchen eingerichtet wurdlen, um die Sakramente den Glaubi­
gar
gen spenden zu konnen.
Die Marienwallfahrten standen, von Seite der kirchlichen Obrigkeit
her gesehen, seit dem spaten
16. Jahrhundert unter dem Aspekt der in­
neren Reform, der Fürderung und Vertiefung des Glaubens wie auch
ihrer missionarischen Aufgabe nach au{3en. Wallfahrt war offizielle Do­
kumentation des katholischen Glaubens. Der Würzburger Bischof Julius
Echter von Mespelbrunn43 gehorte zu jenen Bischofen der katholischen
Reform, die sich dieses zweifachen .Aspekts der Marienwallfahrten wohl
bewu{3t waren . In der Geschichtswissenséhaft wurde lange Zeit die Ret­
tung des Katholizismus im süddeutsch-osterreichischen Raum gema{3
einer Aussage des papstlichen Nuntius Felician Ninguarda allzu mono­
kausal dem Wirken der weltlichen Landesfürsten zugeschrieben, doch hat
sich inzwischen eine differenziertere Auffassung durchgesetzt, die neben
der zentralen Rolle der Territorialherren und der neuen Orden auch dem
42 SPERBER, 1 5 .
43 MERZBACHER, Friedrich ( Hrsg. ), }ulius Echter und seine Zeit. Gedenkschrift,
Würzburg, 1973 .
490
MARIANISCHE WALLF AHRTEN IN SÜDDEU TSCHLAND U ND ÓSTERREI CH. . .
Wirken der Bischofe dieser Epoche die ihnen gebührende Anerkennung
zuteil werden la{3t. Als Julius Echter
·
1573 die geistliche und weltliche
Herrschaft des Hochstifts Würzburg übernahm, war dort die Lage für die
katholische Kirche katastrophal, von der Situation der auf3erhalb des
hochstiftischen Territoriums lebenden Diozesanangeharigen ganz zu
schweigen. Eine durchgreifende Bildungsreform, die Gründung der Uni­
versitat, der Marianischen Studentenkongregation: dreir Seminarien, dar­
unter des Marianischen Kollegs44, schufen die Voraussetzung dafür, die
künftige Generation von Priestern und Beamten im Geist der tridenti­
nischen Reform zu erziehen. Nach dem Brand in der Marienfeste des
Jahres
1600 unterstellte der Bischof seinen Herrschaftssitz symbolisch der
Himmelskonigin, deren vergoldetes Bild zum strahlenden Mittelpunkt
des ersten Turmes der Feste erhoben wurde45. Denn die barocke
Architekturtheorie46 besagte, da,¡'3 ein zentrales Objekt, hier der
Bischofs- und Herrschaftssitz, seine Strahlen und Krafte wie die Sonne
nach allen Seiten ins Unendliche aussendet. Untersteht der Herrschafts­
sitz dem Schutz Mariens, so damit auch das Land und seine Bewohner.
16 Jahre spater verfügte Maximilian l. von Bayern die selbe Sym­
bolhandlung für die Münchener Residenz47 • Neben der Wiederein­
führung der im Bistum Würzburg traditionsreichen Muttergottesbruder­
schaften suchte Julius Echter auf breiter Basis auch neuen Eifer für
Marien- und Heiligenwallfahrten zu wecken, indem er an tradi­
tionsreichen Wallfahrtsorten wie Maria-Buchen und Dettelbach prachtige
Wallfahrtskirchen errichten lie{3. Nach der Einweihung von Dettelbach
im Jahr
1613 durch seinen Würzburger Weihbischof Euchar Lang ludJu­
lius Echter 4.000 Arme und Bedfüftige zu einem gro{3en Essen ein48 •
Dieses Geschehen hatte Symbolcharakter. Denn die Wallfahrt zur
schmerzhaften Gottesmutter verwies unmittelbar auf ihren Sohn Jesus
Christus, der in der Eucharistie gegenwartig ist als Speise zum ewigen Le­
ben. Maria ist Mittlerin zu Christus und Urbild der Kirche. Indem die
Kirche, hier reprasentiert durch den Würzburger Bischof Julius Echter,
44 BRANDER, Vitus, julius Echter van Mespelbrunn, Fürstbischofvan Würzburg. Sein
Leben und Wirken, Würzburg, 1917, 62 .
45 BRANDER, 1 2 3 .
46 NORBERG-SCHUIZ , Christian, Architektur des Barock, in : Weltgeschichte der Archi­
tektur, hrsg. von Pier Luigi Nervi , Stuttgart-Mailand , 1975 .
47 SCHWAIGER, Georg, Maria Patrona Bavariae, in : Ders. (Hrsg.): Bavaria Sancta.
Zeugen christlichen Glaubens in Bayern, Bd. 1, Regensburg, 1970, 28-37, hier 32.
48 BRANDER, 123- 1 24 .
491
LUDWIG HÜITL
den Armen. irdische Speise gibt, verweist sie zeichenhaft durch die
Mittlerschaft Mariens auf Christus, die Speise, die ewiges Leben verbürgt .
ill) Volk und Marienwallfahrt
Der sog . barocke Mensch lebte nicht (nur) in einem «goldenen Zeital­
ter»49 . Dies lie(Jen allein schon die politischen Geschehnisse und die
zahlreichen Kriege nicht zu, unter denen der Drei(Jigjahrige der langste
und grausamste war. Die Menschen dieser Epoche waren durchaus Reali­
sten, und zu den Realitaten zahlten für sie auch Mariens Fürbitte und Hil­
fe, die sie in zahllosen Einzel- und Gemeinschaftswallfahrten zu
erflehen und zu danken wu(Jten. An den Gnaden- und Wallfahrtsstat­
ten, so in Maria-Eck, Andechs, Dorfen, Altütting, Amberg, oder im oster­
reichischen Maria Dreieichen, in Maria Feicht, Maria Laach am Jauerling,
Maria Lanzendorf, Maria Rain, Maria Saal, Maria Taferl, Maria Plain, Ma­
riazell und vielen anderen, brachten die Menschen aller gesellschaftlichen
Gruppen und Stande Verehrung, Dank und Bitte zum Ausdruck . Sie
wallfahrteten und beteten sowohl für offentliche wie private Anliegen .
Richard Andree hatte dereinst die Meinung vertreten: «Vota pro patria,
pro imperio, wie sie bei den alten Romern so vielfach vorkommen, kennt
das süddeutsche Volk nicht. Es handelt hier nur im personlichen lnteres­
se»5º . Diese Einschrankung der Wallfahrtsmotivation ist durch die Er­
schlie(Jung breiter Quellenbestande seit langerem überholt . Wallfahrten
wurden von ganzen Pfarrgemeinden, Dorfgemeinschaften, Stadten51 und
Markten mit ausdrücklicher lntention und Motivation der Erhaltung des
Gemeinwesens, des Landes und der Dynastie, der katholischen Kirche
und desw Heiligen Romischen Reiches unternommen . Die Bürger Lands­
huts z . B . begaben sich im 17. und der ersten Halfte des 18. Jahrhun­
derts jeweils in einem Turnus von drei Jahren auf Wallfahrt nach Altüt­
ting in einem oder mehreren die Stadt, das Land, das Reich, die Kirche
betreffenden Anliegen . Durch die zweimalige schwedische Besetzung der
49
5o
ScHINDI.ER, Herbert (Hrsg.), Bayerns Goldenes Zeitalter, München 1969.
ANDREE , Richard, Votive und Weihegaben des katholischen Volks in Sud­
deutschland. Ein Beitrag zur Volkskunde, Braunschweig, 1904, l.
51 Vgl. ENNEN, Edith, Stadt und Wallfohrt in Frankreich, Belgien, den Niederlanden
und Deutsc�land, in: Festschrif� Matthias Zender. Studien zu Volkskultur, Sprache und
Landesgesch1chte, hrsg. von Ed1th Ennen u. Günter Wiegelmann, Bd. 2, Bonn, 1972,
1 . 05 7-1 . 075 .
492
MARI ANISCHE WALLFAHRTEN IN SÜDDEUTSCHLAND U ND OSTERREICH . . .
Stadt, ferner durch die fehlgeschlagene Gro/3machtpolitik der baye­
rischen Kurfürsten Max Emanuel und Karl Albrecht mu/3ten allerdings
einige der versprochenen Wallfahrten entfallen52• Schlie/3ich war im 18.
Jahrhunden die Bürgerschaft durch die Politik der Landesherren so «er­
schopft, erarmbt und mit villen oneribus gravin»H, da/3 man nur noch alle
7 Jahre auf Wallfahrt gehen und manchmal überhaupt kein offizielles
Geschenk mehr aufbringen konnte 54• Wie Landshut, so unternahmen
auch die Stadte Neuotting, Scharding, Mattighoven, Kraiburg, Deggen­
dorf und die Gemeinde Ort im Innviertel offizielle Wallfahrten in poli­
tischen und sonstigen Bedrangnissen55. 1704 wurde anla/3lich der Kriegs­
politik Max Emanuels gegen Ósterreich das Ettaler Gnadenbild nach
München in Sicherheit gebracht. Mehr als 40 Gemeinden wallfahrteten
daraufhin nach München, um für den Frieden zu bitten56. An der Spitze
der Prozessionen stand die Kurfürstin Therese Kunigunde, die vergeblich
versuchte, ihren Gemahl Max Emanuel, der sich einst in den Tür­
kenkriegen bleibenden Ruhm erworben hatte, von seinen franzosischen
Bündnissen und seiner antihabsburgischen Politik abzubringen. Ange­
sichts der kaiserlichen Besatzungspolitik, die zum bayerischen Bauern­
aufstand führte57, begaben sich 1705 «statt, regierung und Burger­
schaft» von Burghausen auf Wallfahrt nach Altotting, um für den Frieden
und die Errettung aus all den von Max Emanuel verursachten Bedrang­
nissen zu bitten58• So war Wallfahrt manchmal auch stiller politischer
Protest gegen eine «unchristliche Behandlung» christlicher Untertanen
durch die Obrigkeit, so die Aussage der Betroffenen. Es wurde nachge­
wiesen, da/3 in den Jahren au/3erordentlicher Nüte die Frequentierung der
Marienwallfahrtsstatten, so z.B. im Drei/3igjahrigen Krieg, in den Tür­
kenkriegen, im spanischen und osterreichischen Erbfolgekrieg, zunahm,
wahrend gleichzeitig die Opfergaben mancherorts überproponional zu­
rückgingen. Die Friedensjahre verweisen auf mehr Konstanz in der Fre­
quentierung, aber auch auf einen.überproportionalen Anstieg der Spen­
denfreudigkeit. In den letzten Jabren des Drei/3igjahrigen Krieges
52
53
54
55
56
KONIG, Bd. 1 , 3 18-323.
KóNIG, Bd . 1, 323.
KóNIG, Bd . 1 , 323-324.
KONIG, Bd. 1 , 293.
Ettaler Wallfahns-Büchlein. Von einem Ordenspriester des dortigen Klosters ver­
fa{Jt, München, 1910, 50-62 .
57 RIEZLER, Sigmund, Geschichte Baierns, Bd . 8 ( 165 1 - 1 726), Gotha, 1 9 1 4, 3-2 1 3 .
58 KóNIG, Bd. 1 , 293 .
493
LUDWIG HÜTIL
überbrachte Landshut der Altüttinger Gnadenmutter Opfer im Wert von
100 bis 220 fl., 1684, also ein Jahr nach dem Entsatz Wiens, annahernd
700 und 1691 ziemlich genau 1.000 fl. an Geschenken59.
Der Seesieg von Lepanto 15 7 1, der Ausgang der Schlacht am Wei{Jen
Berg bei Prag 1620, der Entsatz Wiens 1683 wurden von den Zeitgenos­
sen ganz oder teilweise der Fürbitte Mariens zugeschrieben60. Maria als
Hilfe der Christen (so Papst Pius V. in der Lauretanischen Litanei) und
Maria vom Siege (so Maximilian I. und Ferdinand
11.)
wurde durch Ge­
bet, durch Wallfahrten und besondere Feiertage geehrt. Der Übertra­
gung des Gnadenbildes Maria Pütsch von Ungarn nach Wien61 schrieben
P. Marco d' Aviano62 und P. Abraham a Sancta Clara63, die Wallfahrts­
bewegung in und um die kaiserliche Haupt- und Residenzstadt we­
sentlich bednflu{Jten, den entscheidenden Sieg des Prinzen Eugen von
Savoyen bei Zenta im Jahr
169764 zu. Der folgende Friedensschlu/3 erloste
den Kaiser von der Gefahr, einen Zweifrontenkrieg gegen Frankreich und
das osmanische Reich gleichzeitig führen zu müssen. Befreit von der Tür­
kengefahr blühte Wien seit
1683 und insbesondere seit 1697 zu einem
europaischen Zentrum der Politik und der Barockkultur auf, und ein
ganzer Kranz von Marienwallfahrtsstatten65 breitete sich rings um die
Stadt aus, wobei man haufig auf alte Traditionen zurückgreifen konnte.
Was der kaiserliche Hofprediger P. Abraham a Sancta Clara über Ma­
riabrunn und die Motive der an diesen Gnadenort strebenden Wallfahrer
sagte, kann für alle marianischen Vr/allfahrten dieser Zeit gelten: «kh
Ínüste viel Zeit haben, wenn ich solte und wolte alle diejenige beibrin­
gen, welche in ihrer Krankheit ihre Zuflucht genommen zu dieser
Kirchen und Gnad erhalten haben. . . Ich kont glaubwürdige Zeugnus
vorweisen, die da ein Mangel gelitten an dem Licht ihrer Augen, an dem
Gehür, an Sprache, Geruch, Bresten ihrer Hande und Glieder, unter­
schiedlichen Fiebern, ... Gebrechen, Apostemen und Geschwulsten,
59 KONIG, Bd. 1 , 32 1-322.
60 LomL, Fran�, Menschen im Barock. llbraham a Sancta Clara über das religias-
sittliche Leben in Oste"eich in der Zeit von 1670 bis 1710, Wien, 1938, 20.
61 AURENHAMMER, 84-87.
62 CoRETII, (2 1982), 6 1 .
63 loIDL, 2 7-29.
64 BRAUBACH , Max, Prinz Eugen von S,Jvoyen. Bine Biographie, Bd. 1, München,
1963, 2 56-26 1 .
65 Maria Hilf auf der Laimgrube, Hietúng (Maria Hilfe der Notleidenden), Ma­
riabrunn (Maria Heimsuchung), Maria Am:bach im Wienerwald (Maria Mutter der
Barmherzigkeit), Loidl, 23.
494
�
MARIANISCHE WALLFAHRTEN IN SÜDDEUTSCHLAND UNO ÓSTERREICH...
Leibs-Schaden, Entzündungen, Reissen und Grimmen, Brüchen und
Beulen, Bluten und Blattern, Chyrarcha, Cholica, Ruhr, Contractur,
Gründen, Winden, Steinen, ... (Verletzungen) an Fü{3en und
Beinen...»66 Marienwallfahrten dienten keineswegs dazu, wie aufgeklarte
Kritiker des
18. Jahrhunderts vermuteten, Arztkosten zu sparen, sondern
die Kranken und Presthaften setzten, wie die Mirakelbücher und
zahlreiche Votivgaben es beweisen und Abraham a Sancta Clara es for­
mulierte, auf Maria ihr Vertrauen als «Heil der Kranken und Himmels­
Arztin», nachdem Medici, Wundarzte und Chyrurgi oftmals nicht hat­
ten helfen konnen67. So tragen die Votivgaben aller Stand e das Signum
menschlicher Kontingenzerfahrung, angefangen von der traumhaft scho­
nen Rokoko-Silberstatue des zehnjahrigen bayerischen Kurprinzen Max
III. Joseph68, dem es an arztlicher Hilfe in schwerer Krankheit gewi{3
nicht mangelte, bis zu den GliedmaP1en aus Holz, Wachs69, Silber, Gold,
die Menschen aus allen Gesellschaftsschichten als bildhaft bleibendes
Dankeszeichen für empfangene Hilfe aufopferten.
Neben diesen «denckh- und danckhzeichen»7º (Krücken, Fesseln)
und Identifikationsopfern (wie nachgebildeten Kürperteilen oder ganzen
Personen)71 bezeugen bemalte und beschriebene Votivtafeln72 und Devo­
tionalien aller Art erfahrene Hilfe und Bitte um weiteren Schutz. Da in
Bayern und Ósterreich in der Barockepoche aller Reichtum primar auf
den Ertragen der Landwirtschaft beruhte, war es selbstverstandlicher
Brauch, da{3 neben Geld auch Tiere wie Hühner, Kühe, Pferde oder Na­
turalien wie Getreide, Flachs, Ken:enwachs und dergleichen geopfert
wurden73. Brautkleider und Brautkranze opferte man nicht nur bei oder
unmittelbar nach der Hochzeit, sondern oft erst Jahre spater bei Erret­
tung aus Not und Bedrangnis, zur E.rinnerung an den verstorbenen Ehe­
partner oder als testamentarisches Vermachtnis74. Auch die Verlobung an
mehrere Gnadenorte war bekannt, insbesondere wenn es um -die Tilgung
schwerer Schuld ging. Ebenso war die Kombination einer Verlobung an
66 Abraham a Sancta Clara: Lauberhütt, Loidl, 24.
6 7 LomL, 24-25 ; Harmening, 63-64 , 72 -76.
68 KóNI G, Bd. 2, 4 16-4 1 8 .
69 NEUHARDT, Johannes, Wallfahrten· i m Erzbistum Salzburg, München-Zürich,
1982, 24, 4 1 .
70 KóNIG, B d . 1 , 34.
7 1 KONIG, Bd . 1 , 4 1 .
72 KONIG, Bd. 1 , 59-7 1 .
73 KONIG, Bg. 1 , 94- 106 .
74 KRiss-RETTENBECK, 9- 1 1 .
495
LUDWiG HÜTIL
Maria und einen oder mehrere Heilige üblich. Wahrend jedoch bestimm­
te Heilige nur für ganz bestimmte menschliche Leiden und Krankheiten
für zustandig erachtet wurden 75 , umfa(Jte das glaubige Vertrauen zu Ma­
ria alle nur denkbaren Schicksalsschlage. Denn Maria als Mutter des Got­
tessohnes ist die Gott nachst stehende Person, die Hoffnungen, Nüte
und Leiden des Menschengeschlechts nach Jesus an;i intensivsten repra­
sentiert.
Doch nicht nur Sühne- , Bitt-- und Dankopfer wurden anla(Jlich
einer Marienwallfahn gespendet , sondern auch zahlreiche Gaben mit der
Intention «ZU ehren Unser Lieben Frauen und der heyligen Capell nut­
zen:.76. Die Gaben wurden verwendet zum Schmuck des Gnadenbildes ,
zum Ruhm der Gnadenstatte , zur Zierde des Altares , zur würdigen Feier
des Gottesdienstes. Den Hohepunkt der Marienwallfahn aber bildete die
Marienweihe : «Me tibi Maria dedico». Diese Dedikation fand ihren
Ausdruck im Opfer von Weihekerzen und -wappen als «monumenta
amoris et devotionis»77. Gewichtsopfer78 symbolisienen die totale Hinga­
be an Maria. Anstelle der eigenen Person diente auch der Namenspatron ,
dessen Bild oder Statue stellvertretend geopfen wurde. Daraus erklart
sich , da(J an Marienwallfahnsonen die Statuen und Bilder von Heiligen
als Votiv- und Weihegaben 2:u finden sind , obgleich diese ,
oberflachlich betrachtet, nicht immer eine unmittelbare Beziehung zu
dem jeweiligen Marienwallfahnsort besitzen. Ein Abbild zeitgenossischer
Herrschafts- und Winschaftsformen stellte die freiwillig übernommene
Zinsbarkeit gegenüber marianischen Gnadenstatten dar79. Die Bestat­
tung des eigenen Herzens oder des ganzen Leibes bei oder innerhalb
einer marianischen Gnadenstatte als «signum et pignus intimum Mariani
amoris»80 war dagegen nur hochsten Gesellschaftskreisen - und auch
diesen nur in beschranktem Ma(Je - vorbehalten. So fanden die Habsbur­
ger ihre letzte Ruhestatte in der Gruft der Wiener Kapuzinerkirche81 ,
ihre Herzen im hl. Haus von Loreto inmitten der Augustiner75 Abraham a Sancta Clara: «lm Augenleiden St. Ottilia, an den Brüsten St. Agatha,
an Stein und Griess St. Liborius, an Grimmen und Colica St. Erasmus, an Fieber St. Ni­
kolaus von Tolentino, an Gicht St. Valentinus, an Halss-Wehe St. Blasius, im Zahnleiden
St. Apollonia>. Loidl, 4 5 .
76 KüNIG, Bd . l, 1 16-2 1 0.
77 KüNIG, Bd . l. 2 1 1-2 1 7 .
78 NEUHARDT, 24.
79 KüNIG, Bd. 1 , 242 .
80 KüNIG, Bd. 1 , 2 5 0.
8l KU SIN, Eberhard, Die Kaisergruft, Wien 1973 .
496
MARI ANISCHE W ALLFAHRTEN IN SÜDDEU TSCHLAND U ND OSTERREI CH...
Hofkirche82• Die Wittelsbacher wahlten mit wenigen Ausnahmen den
Hl. Berg Andechs sowie die Münchener Michaels- und Theatinerkirche
als Ruhestatten; ihre Herzen, kostbar gefa{Jt, zieren das Oktogon der Alt­
ottinger Gnadenkapelle83. Kardinal JFranz Wilhelm, Fürstbischof von Re­
gensburg und Osnabrück aus der wittelsbachischen Nebenlinie Warten­
berg, verfügte testamentarisch, da{J sein Herz unter jener Türschwelle,
über die alle Pilger und Wallfahrer das innerste Heiligtum der Alt0ttin­
ger Gnadenkapelle betreten84, bestattet werde als Ausdruck seiner tiefen
marianischen Frommigkeit und Ergebenheit Gott, Maria und den Men­
schen gegenüber.
IV) Dynastie und Marienwallfahrt
Der aus dem Herzogtum Krain stammende Prediger und Histo­
riograph Johann Ludwig Schonleben schrieb im 17. Jahrhundert, das
Glück des Erdkreises ruhe auf drei Saulen, namlich dem katholischen
Glaubenseifer des «Hauses Ósterreich», auf dessen Pietas Eucharistica und
auf dessen Einsatz für die Unbefleckte Empfangnis Marienss5. Die
namlichen Kriterien zeichnen auch das bayerische Haus Wittelsbach aus.
Die Entscheidung des Herzogshauses für . die Erhaltung des alten
Glaubens erfolgte bereits unter Wilhelm IV86, der durch landesherrliche
Reformen die religios-sittlichen Verhaltnisse im Lande zu bessern suchte
und die breite Reformationsbewegung zum Stillstand brachte. Sein
Nachfolger Herzog Albrecht V87 muf3te sich 1550 bis 15 70 mit den zum
gro{Jen Teil protestantischen bayerischen Landstanden auseinandersetzen.
In Altotting, so ein Zeitgenosse, wurden «bi{J auff das sibentzigiste jahr
in den alten pergamenen büchern» kaum noch Mirakel verzeichnet, «also
die andacht nacher AltenOetting erkaltet und der gnadenbrunnen der
82 BEISSEL, Stephan, Geschi'chte der Verehrung Marias in Deutschland wiihrend des
Mi'ttelalters. Ei'n Bei'trag zur Reli'gi'onswi'ssenschaft und Kunstgeschichte, Freiburg i.Br.,
1909.
83 KóNIG, Bd. 1 , 269, 275-280.
84 ScHWAIGER, Georg, Kardi'nal Franz J;.Vühe/m von Wartenberg als Bi'schof von Re­
gensburg (1649-1661), in : Münchener Theologische Studien , Hist. Abtg. Bd. 6,
München, 1954, 89.
85 CoRETH, ( 1959), 16,43.
86 RIEZLER, Bd. 4, 3-429.
87 RIEZLER, Bd. 4 , 433-62 5 .
.
497
LUDWIG HÜTTL
güttlichen wol- und wunderthaten zu fliesen aufgehort»88• Und was von
Altütting gesagt wurde, galt auch für Dorfen, Maria-Eck oder Tun­
tenhausen und zahlreiche andere Wallfahrtsstatten des süddeutsch­
osterreichischen Raumes. Mit der Aufdeckung einer angeblichen Adels­
verschworung
( 1563)
verlor die standische Opposition allmahlich an
Kraft, und fortan bestimmte die Verwirklichung der tridentinischen
Reformens9 den Kurs der bayerischen Innen- und Religionspolitik.
Nach der glücklichen Errettung aus einem plützlich auftretenden Sturm
wahrend ·einer Lustfahrt auf dem Würmsee90 begab sich der Herzog 1570
in einer demonstrativ ausgestalteten Prunkwallfahrt nach Altotting, um
seine Dankesschuld mit «konigliche(n) schanckungen» abzustatten. Seit
Jahrzehnten war kein bayerischer Herrscher mehr zu einer Wallfahrt auf­
gebrochen. Ein zeitgenossischer Bericht sprach deutlich den Zusam­
menhang von Reformation - Gegenreformation - Marienverehrung - Ma­
rienwallfahrt und Votivgabe an: «Aus christlichen eyfer», weil ihm «alls
ainem catholischen fürsten nit unbillich zu gemüet und herzen
dri�gen... thuet», da{3 «in und ausserhalb des heiligen reichs... der urallt
catholisch, waar und hailsam gottesdienst abgetan, ...die gottsheuser ent­
eeret, verwüstet und zerrissen, die dainoder, ornat und bildnussen Gotts
und seiner lieben hailigen prophanin, hingenommen und abgetilgt wer­
den», so habe sich der Herzog «entschlossen, ... die stifftkirchen und got­
teshaus zu Alltn Otting... in Gottes und der reinen Junckfrauen Mariae
eeren... mit ettlichen vil schonen und cosstlichen clainoden...
zuzieren»91. Der Salzburger Metropolit Johann Jakob wurde nach Altüt­
ting geladen, um die «Albertinische Schenkung» personlich für die Gna­
denkapelle in Empfang zu nehmen. Der Herzog hoffte, da{3 durch seine
Gaben «vil übernatürliche miracul aus gottlicher krafft, barmhertzigkeit
und genaden vilfelltigclich beschehen» und dadurch in seinem «für­
stenthumb und lannden» sowie bei seinen «von Gott anbevolchnen un­
derthanen» unser «allt vatterlicher» heiliger christlicher Glaube «vermit-
88 IRSING, Jacobus , S . J . , D. Virginis Oetinganae historia, München, 1643 , liber III ,
caput I V, p. 185/186, dt. VON ScHEITENBERGER, Johann, Historia Von der weitberühmb­
ten unser lieben Frauen Cape// zu Alten-Oeting in Nidem-Baym, München, 1643, 3 .
Buch, 4 . Kap., 1 58.
89 SCHREIBER, Georg (Hrsg. ) , Das Weltkonzil von Trient. Sei'n Werden und Wirken,
2 Bde., Freiburg i.Br. , 195 1 .
90 KóNIG, Bd. 2, 73.
9 1 KóNIG, Bd. 2, 73-74 .
498
MARI ANISCHE WALLFAHRTEN IN SÜDDEUTSCH LAND UND ÓSTERREICH ...
tels gottlicher gnaden nach aller moglichkeit bestendigclich>> erhalten und
fortgesetzt werde 92 .
Diese Aufsehen erregende Wallfahrt und Schenkung bildeten das
au{3ere Zeichen einer religionspolitischen Wende . Für Albrechts Nachfol­
ger gehürten Wallfahrten bereits zur Selbstverstandlichkeit .
Herzog
Wilhelm V93 betete taglich vier Stunden auf den Knien ; der Münchener
Hof, so der Historiker Sigmund von Riezler, glich damals einem
Kloster94 • Mindestens einmal jahrlich wallfahrtete der bayerische Lan­
desherr nach Altotting, ohne da{3 darüber die traditionellen Wallfahrten
zum hl . Berg Andechs versaumt worden waren .
1585 ging der Herzog auf
Wallfahrt nach Loreto und Rom 95 . Er fürderte nach Kraften den zum
zweiten Mal nach Bayern berufenen Jesuitenorden und die unter seiner
Leitung stehenden marianischen Kongregationen 96 . Sein Sohn Maximi­
lian l . trat ebenso wie der Habsburger Ferdinand II . der marianischen
Kongregation bei,
und Maximilian wurde weltlicher Prafekt und
Schutzherr aller marianischen Kongregationen in Deutschland 97 • Beide
studierten an der von Jesuiten geleiteten Universitat Ingolstadt, einem
Zentrum der Gegenreformation98 . Die Pflicht , «auch Je zu zeiten Kirch­
fartten» zu gehen (namlich «ZU Gottsheusern in der Statt, auf den neuen
Gottsackher, alda ain ansechenlicher schaz von Immerwerenden Abla{3,
geen (Maria) Talkirchen , geen (Maria) Ramerstorf und . . . zum heiligen
Berg (Andechs), geen (Maria) Tuntt:enhausen, alten Otting etc . ») wurde
in der Erziehungsinstruktion für die bayerischen Prinzen ausdrücklich
verankert99 . Auf diesen Wallfahrten sollen sie «de{3 Herrn Joch von Ju-
92
93
94
95
96
KóNIG, Bd. 2 , 74.
RIEZLER, Bd. 4, 62 5-680 .
RIEZLER, Bd. 4, 629.
RIEZLER, Bd. 4., 630.
SAITLER, Maximilian Vincenz , Gesc:hichte der Marianischen Congregationen,
München, 1864 ; LóFFLER, Philipp , Die Marianischen Kongregationen in ihrem Wesen
und ihrer Geschichte, Freiburg i.Br. , 3 191 1 ; KRATZ , Wilhelm, Aus a/ten Zeiten. Die Ma­
rianischen Kongregationen in den Liindern deutscher Zunge. lhr Werden und Wirken
von 1575 bis 1650, Innsbruck-Wien-München , 1 9 1 7 , bes . 63 ff.
97 DOTIERWEICH, Helmut , . Der funge /tvf.aximtlian. ]ugend und Erziehung des bay­
erischen Herzogs und spliteren Kurfürsten irf.axi.milian l. von 1573 bis 1593, München,
1962 , 72 .
98 FRANZL, Johann , Ferdinand
1978, 25-3 1 .
JI.
Kaiser im Zwiespalt der Zeit, Graz-Wien-Koln ,
99 Befehl und Instruktion Herzog Wilhellms V . für die Erziehung seiner Sohne Maxi­
milian und Philipp , München, 1 584 , gedr. in: SCHMIDT, Friedrich , Geschichte der Er­
ziehung der Bayerischen Wittelsbacher von den frühesten Zeiten bis 1750, Monumenta
Germaniae Paedagogica Bd . 14, Berlin , 1892 , 30.
499
LUDWIG HÜITL
gent auf tragen, desselben Weeg suechen und darunder sich selbst und
die ellende Bylgramschaft di(3 Lebens erkhennen und betrachten
Lernen» 100 • So das didaktische Ziel . Über eine Wallfahrt des Erbprinzen
Maximilian berichtete sein Prazeptor Wenzel Petreus im Oktober 1582 :
«Der Herr Maximilian ist auff seinem Rapple geritten bi(3 zur Wi(3en bei
Talkirchen; al(3dann ist er uber die Wi(3en dahin mit unn(3 gangen unnd
die lateinische litaniarn singen helffen. Bey der Me(3 hatt er den Ro­
senkrantz unnd für alle unnd yede, deren er in seinem taglich gebett ge­
neraliter ingedenkh , ein special Paternoster sambt dem Ave Maria
gesprochen»1º1 • Eines Tages begleitete der berühmte Theologe P. Gregor
von Valencia den jungen Prinzen nach Bettbrunn. Der betagte Professor
ist dabei nach Aussage seines Schüler:s «so mied worden , das er zwen oder
drey tag kaum recht hatt gehen khünden. Wir andere seindt auch
zimblich mied worden , dieweil der weeg und diss Wetter gar bess gewe­
sen» 102.
Nach seinem Regierungsantritt stdlte Herzog Maximilian l . die Pietas
Mariana in den Mittelpunkt seines politischen Handelns. Seine erste Re­
gierungstatigkeit war eine offizielle Wallfahrt nach Altotting103. Sein Va­
ter war dereinst in einfacher Kleidung und mit einem Pilgerstab
aufgebrochen 104 , damit ihn, den demütigen Pilger, niemand erkenne.
Maximilians Wallfahrten dagegen waren staatspolitische Ereignisse, an
denen auch der Hofstaat beteiligt w1.ude. Wichtige Aktionen verlegte der
Herzog auf einen Marienfeiertag, so den Aufbruch gegen Donauworth
1607 auf das Fest M�ria Empfangnis ., die Vereinigung des Ligaheeres mit
den kaiserlichen Truppen unter Bucquoi 1620 auf das Fest Maria Geburt
und den Einmarsch in die Oberpfalz genau auf denselben Tag des fol­
genden Jabres. Zur Konigswahl des Habsburgers Ferdinand III. erschien
er .1636 in Regensburg ebenfalls an einem Marienfeiertag105. Den Bischo­
fen von Freising und Regensburg sc.hlug Maximilian die gewünschte Ein­
führung des Korbinians- und Wolfgangsfestes zwar mit der Begründung
ah, es gebe schon genug Feiertage, doch zu den bestehenden Marien1 0º ScHMIDT, 30.
1º1 Bericht des Praceptors Wenzel Petrsikh an Herzog Wilhelm V. , München,
1582
Oktober 22, Schmidt, 32 5 .
1º2 Erbprinz Maximilian an seine Eltern Herzog Wilhelm V . und Herzogin Renata, Ingolstadt, 1 590 Mai 7, Schmidt 2 5 7 .
103 ScHNEll , Hugo, Der baierische Barock, München 1936, 4 1 .
1 04 RIEZLER, Bd. 4 , 630 .
t o5 RIEZLER, Bd. 5 , 684-68 5 .
500
MARI ANI SCHE WALLFAHRTEN IN SÜDDEUTSCHLAND UND OSTERREICH . . .
feiertagen fügte er mit Zustimmung des Episkopats noch die Feste Maria
Opferung (am 2 1. Nov.) und Maria Heimsuchung (am 2 . Juli) hinzu.
Das traditionelle Immaculata-Fest am 8. Dezember erhob er zu einem
gesetzlichen Feiertag106 • 1 6 1 5 legte er Maria den Ehrentitel «Patrona Ba­
variae» bei, und ein Jahr spater unterstellte er, wie erwahnt , die Münche­
ner Residenz dem Schutz Mariens 1º7 • Er selbst verstand sich als ihr erster
Diener. Durch seine zweite Ehe mit Erzherzogin Maria Anna ( 1635)
erhielt die Marienverehrung des bayerischen Hauses Wittelsbach neue
Impulse durch die Pietas Austriaca, wie auch umgekehrt bayerische
Frommigkeitsformen das Haus Habsburg beeinflu{Jten. So diente die
1638 am Münchener Schrannenplatz (dem spateren Marienplatz) errich­
tete Mariensaule108 als Vorbild für die Aufstellung der Wiener Marien­
saule «Am Hof» durch Kaiser Ferdinand III. im Jahr 1 647109. Doch ein
Unterschied besteht. Die Münchener Mariensaule stellte im Verstandnis
der .Zeit ikonographisch Maria als Schutzfrau, die Wiener Mariensaule die
Immaculata dar. Im selben Jahr , als die Münchener Mariensaule errichtet
wurde , setzte Maximilian personlich anla(Jlich einer Wallfahrt der Altfü­
tinger Madonna «ein kayserliche cron» aufs Haupt und ihrem Sohn , dem
Weltenherrscher , «ein inful von dreyfacher cron , wie die pabst zu tragen
pflegen , . . . alles von pur lauterm gold, mit perlen , diamant und etlich
rubin auf das stattlichist und herrlichist gemacht»11º. Von der Himmels­
kaiserin nahm Maximilian sein Land gleichsam zu Lehen; ihr Schutz soll­
te Land und Leute durch die Fahrnisse des Drei(Jigjahrigen Krieges ge­
leiten. Seinem Sohn gab er entgegen aller Tradition seines Hauses den
Namen Ferdinahd Maria und erteilte ihm für seinen Lebensweg den Rat ,
«alle Heillige Gottes , bevorab aber die Konigin aller Heilligen , die Jung­
frauliche Muetter Gottes». zu ehren, «als wie ein underthenigist ergebe­
ner Sohn zuthun schuldig ist . Uf solche weis bist Du versichert , das Sye
als ein sorgtragente Mutter Dich lieben und bey dem Allerhochsten Gott
Dich in glickh und unglickh beschüzen werde»111 •
Wie Maximilian I. und Kaiser Ferdinand II. , so weihte sich auch Kur­
fürst Ferdinand Maria zum Zeichen seiner Ganzhingabe an Maria mit
106
101
108
109
1 10
111
RIEZLER, Bd. 5 , 685 ; Bauerreiss, 129.
SCHWAIGER, Maria Patrona Bavariae, 32.
ScHWAIGER, ebd. , 3 3-34.
BEISSEL, Geschichte der Verehrung, 24 1 ; Loidl, 19-20; Coreth (2 1982), 5 5 -56.
KONIG, Bd. 2, 1 2 1 .
Monita paterna Maximilians L ( 163,9) , ScMIDT , 1 10.
501
LUDWIG HÜTTL
einem Blutbrief der Gnadenmutter 112 •
Seine Gemahlin Henriette
Adelheid von Savoyen starkte die Pietas Bavarica durch die Wallfahrtstra­
dition ihrer italienischen Heimat ; Erzherzogin Maria Antonia, die erste
Gemahlin des Kurfürsten Max Emanuel, bekraftigte noch einmal den
habsburgischen Einflu{3,
und Therese Kunigunde, die zweite Gemahlin
Max Emanuels, bewahrte auch in Bayern die Überlieferungen ihres pol­
nischen Vaterlands. Der Einflu{J fürstlicher Frauen auf die Gestaltung. der
Pietas Mariana kann somit nicht hoch genug veranschlagt werden . Dies
gilt in gleicher Weise für das Haus Habsburg.
Die «Pietas Austriaca» war ein stehender Begriff barocker Ruhmeswer­
ke im Hinblick auf die spezifisch gepragte Frommigkeit des Hauses
Habsburg 113. Anna Coreth hat diesen Begriff wieder in die Geschichts­
wissenschaft eingeführt. Die Herrschertugend der Frommigkeit wurde im
Haus Habsburg gespeist durch süddeutsch-osterreichische Traditionen,
seit Karl V. durch das burgundisch-spanische Erbe des Gesamthauses,
seit
1526 durch das Erbe der Pietas Hungariae et Boherriiae, durch das
Gedankengut der katholischen Reform und Gegenreformation, durch die
vorbildliche Haltung einzelner Habsburger, insbesondere Rudolfs I., so­
wie durch den Einflu{J der am Prager bzw. Wiener Hof tatigen Orden,
welche eine wesentliche Mittlerfunktion zwischen Herrscherhaus und
Volk ausübten. Indem Landstande und Volk sich in Fragen von Religion,
Konfession und Gewissen dem Willen des Landesherrn beugten, ver­
mochte dieser zugleich frühabsolutistische Herrschaftsformen 11 4 zu
etablieren. Beide Bestrebungen standen in wechselseitiger Beziehung
zueinander. Der absolutistische Landesherr verstand sich als Stellvertreter
Gottes auf Erden und fühlte sich für das irdische wie ewige Heil seiner
Untertanen verantwortlich. Wenn sie ihr wahres Glück nicht erkennen
konnten oder wollten, so mu{Jte er sie notfalls dazu zwingen. «Was unter
dem Gestirn die Sonn, was unter den Vogeln der Adler, was unter den
Thieren der LOw, was unter den Steinen der Diamant, was unter den Me­
tallen das Gold, was unter den Blumen die Rosen : das ist», so Abraham a
Sancta Clara, «unter den Menschen ein Lands-Fürst und Regent» m. Die
1 1 2 KóNIG, Bd. 1 , 243-24 7 , 3 10-3 1 6 , TAF!EL, 32 .
1 1 3 CORETH , (2 1982), 6 .
1 1 4 STURM BERGER, Hans, Kaiser Ferdinandll. und das Problem des Absolutismus, in.
Ósterreich-Archiv Bd . 2, München-Wien , 1 9 5 7 .
rn Abraham a Sancta Clara: Etwas für alle, hrsg. von Richard Zoozmann, in: Anger­
manns Bibliothek Bd . 3 , Dresden, 1905 , 1 7 .
502
MARI ANISCHE WALLFAHRTEN IN SÜDDEUTSCHLAND UND ÓSTERREICH . . .
Religiositat des Herrschers besa(J deshalb enormen Vorbildcharakter. In
den Glaubenskampfen riefen die Habsburger Maria als Patronin der
katholischen Heere an. Der Kampf ;gegen die Türken wurde unter ihrem
Banner ausgefochten116 • Sowohl die Tradition der Pietas Eucharistica wie
der Pietas Mariana wurde auf den Stammvater Rudolf I. zurückgeführt.
Allerdings gewann die Gründung des vorderosterreichischen Marienwall­
fahrtsortes Todtmoos im Schwarzwald nie die Popularitat wie die
Begleitung der hl. Eucharistie durch den Konig auf einem Versehgang 117.
Kaiser Karl V. wallfahrtete
1541 mit zahlreichen Fürsten zur Gnaden­
mutter nach Altütting, um Maria nach dem enttauschenden Verlauf des
Regensburger Reichstags um Hilfe .zur Überwindung der Glaubensspal­
tung zu bitten 118• Der Altottinger Chorherr Iseckemer hatte bereits
1497
Altütting als das «hertz des heyligen Romischen reyches» bezeichnet,
«darauff die menschlich beschirmung der heyligen christlichen kirchen
gegruendt» sei 119. Auch die folgenden Kaiser, von Ausnahmen abge­
sehen , betrachteten Altotting als Reichsheiligtum. Im hl. Haus von Lore­
to zu Wien versprach der erst 2ojahrige Ferdinand II. von Steiermark
1598, alle Pradikanten aus seiner innerosterreichischen Heimat, aus
Karnten, Steiermark und Krain aus.zuweisen12º. Ein Fürst, eine Religion,
ein Gesetz lautete die Maxime absolutistischen Herrschertums. Auf Anre­
gung des nunmehrigen Kaisers Ferdinand II 121 führte der vor kurzem
rehabilitierte Kardinalerzbischof Mekhior Khlesl
1629 in der Diozese
Wien das Inmaculatafest ein 122 • Damit wollte der Kaiser im Jahr des
Restitutionsedikts123 der Himmelskonigin seinen Dank für die Rettung
seiner Lander vor inneren Gegnern und au(Jeren Feinden zum Ausdruck
bringen.
1647 stellte Ferdinand III. in der Endphase des Drei(Jigjahrigen
Krieges nach bayerischem Vorbild <<das gantze Land under den schutz,
1 1 6 Das christliche Entsatzheer kampfte am 1 2 . September 1683 am Kahlenberg bei
Wien mit dem Ruf: «Maria, reine Jungfrau». LomL, 20.
m CORETH ( 2 1982) 18-22, 47-48 ; Kleines Todtmposer Wallfahrtsbuch oder Kurze
Geschichte und Beschreibung der alten und berühmten Wallfahrt zur schmerzhaften
Mutter Maria in Todtmoos auf dem Schwarzwalde . Vofil einem kath . Priester, Todtmoos,
19 16, 1-8.
1 1s KóNIG, Bd. 2, 56-58 .
1 19 KóNIG, Bd. 2, 5 8 .
1 20 CORETH, ( 2 1982) , 5 3 .
1 2 1 Ferdinand II. ( 16 19-37); FRANZL, 201 ff.
1 22 CoRETH, ( 2 1982), 5 3 .
1 23 RITIER, M. , Der Ursprung des Restitutionsedikts, in: Historische Zeitschrift 76
( 1895) .
503
LU.l;>WIG HÜTIL
schirm und patrocinium glorwürdigster Jungfrauen Mariae». Der Kaiser
weihte sich selbst , seine Kinder, seine Volker, Heere und Provinzen Gott ,
«dem hochsten Kaiser des Himmels und der Erde, durch den die Konige
regieren , und der Jungfrau , Gottesgebarerin und unbefleckt Empfange­
nen, durch wekhe die Fürsten herrschen, als der besonderen Herrin und
Patronin Ósterreichs» 124. Die besondere Zugehorigkeit des Hauses Habs­
burg zu Maria galt, so Anna Coreth , seit Ferdinaríd III. «als Privileg und
verpflichtende Prarogative» m .
Kaiser Leopold I 126, dieser ganz im Schatten Ludwigs XIV. stehende
Herrscher, fühne die Pietas Austriaca zur hochsten Vollendung. Zum
Priester erzogen, hatte er nach dem Tod seines alteren Bruders Ferdinand
IV. (9-7- 1654) in Demut vor Gotte:s Willen das für ihn schwere Erbe
übernommen. Auf der Heimreise von der Kaiserkronung dankte er am 5.
Sept. 1658 in Alt5tting der «Himmels-Kayserin für das newe angetrettene
Kaisenhumh», das auch er als ein «Lehen» Mariens begriff. Gleichzeitig
stellte er «sich und seine undergebne Land und Leuth unter den Schutz
Mariae wider seine Feind»127. Im folgenden Jahr dankte er der Gnaden­
mutter noch einmal durch eine Wallfahrt nach Mariazell 128• Dieser Gna­
denon wurde seit dem spaten 17. Jahrhunden von den Habsburgern ein­
deutig gegenüber Altotting bevorzu¡gt. Ursache dafür waren neben der
Nahe zu Wien vor allem die zunehmenden Spannungen mit Kurbayern ,
das sich unter Ferdinand Maria in den 7oer Jabren mehrfach zum Scha­
den Habsburgs mit Frankreich verbündete 129. 168 1 wallfahrteten dann
Kaiser Leopold I. von Linz aus und Kurfürst Max Emanuel von München
aus nach Alt5tting130, diesem symboltrachtigen und traditionsreichen
Ort , um ihre tiefgreifenden politischen Differenzen beizulegen. In der
Tat wurden hier die Grundlagen für die spatere Allianz gegen die Türken
124
125
126
127
12s
CoRETH, ( 1 959), 5 2 .
CoRETH , ( 2 1982), 5 7 .
SPIELMAN, John P. , Leopold ofAustrii, London, 1977.
CoRE1H,
( 2 1982), 5 7 .
«Den 26ten Ouni 1658) seint Ihr kayl.. Mayt. mit Ihrer Drlt. den Erzherzog Le­
opoldt und einer gar khleinen und eingezognen Hoffstatt, ausser des Hm . Obrist Hoff­
meisters und Hm . Obrist Stallmaisters nur mit 5 Cavallirn nacher Maria Zell Kürchfarten
verraist, und den 7. Julij zum abent widerumb zuruckh khomen>. Wien Haus-, Hof­
und Staatsarchiv (WHHStA) Zeremonialakten P!otokolle (ZA), Bd. 1 ( 1653- 1659), f 849;
MILI.ER, Rotraud, Die Hofreisen Kaiser Leopolds l., Diss. Wien , 1966, 222 .
129 DOEBERL, Michael, Bayem und Frankreich, vomehmlich unter Kuifürst Ferdinand
Maria, 2 Bde. , München, 1900 / 03 .
130 WHHStA ZA Prot. 3 ( 168 1 Marz), f 299-309.
504
MARIANISCHE W ALL FAH RTEN IN SÜDDEUTSCHLAND U ND ÓSTERREICH...
( 1683) gelegt 131 • Doch Ende des Jahrhunderts nahm Max Emanuel eine
politische Wende vor und verbündete sich mit dem Sonnenkonig im
Kampf um das spanische Erbe . Im ganzen 18 . Jahrhundert kam infolge­
dessen kein habsburgischer Kaiser mehr na.ch Altotting.
Für Kaiser Leopold I . waren Wallfahrten die Hohepunkte seines Le­
bens . Er unternahm neun Wallfahnen na.ch Mariazell, die jeweils fünf
bis zehn Ta.ge dauerten . Stets trug er a.lle Anliegen hinsichtlich des
Reiches, seiner Erblande und seine:r Dynastie vor, 1659 war es, wie er­
wahnt, der Dank für die Kaiserwahl , 1665 der Dank für das glückliche
Ende des Türkenkriegs . «Meine Zeller re is ist gar wohl
vonstattengangen», schrieb der Kaiser an Graf Pfüting. «Es ist heuer zu
Zell eine solche qua.mitas peregrinorum gwest , maxime in festo assump. tionis , in quo ego etiam aderam , dass nit zu sagen. Um 4 [Uhr] hat man
die Kirche geoffnet, um 5 Uhr hat keiner mehr Platz gehabt, haben die
�eisten müssen a.uf dem Kirchhof gespeist werden»m . 1670 flehte Le­
opold um die Beilegung des Konflikts mit den ungarischen Standen und
dankte für seine Genesung von schwerer Krankheit; 1673 bat er um Hilfe
im Hollandischen Krieg und erklane offentlich in Mariazell, da{J -er
diesen Krieg nicht aus Eroberungslust führe, sondern von Frankreich da­
zu gezwungen werde . Au(Jerdem betete er für das Seelenheil seiner er­
sten Gemahlin Margarita Theresa von Spanien, 1676 für das Seelenheil
seiner kürzlich verstorbenen zweiten Gemahlin Claudia Felicitas von
Tirol 133 . 1679 flüchtete er vor der Pest zunachst nach Mariazell 134, dann
nach Prag. 1683 bat er auf der Flucht vor den Türken die Madonna auf
dem Mariahilf-Berg bei Passau um die Rettung Wiensm ; 1688 dankte er
zu Mariazell für alle Erfolge der kaiserlichen Waffen in Ungarn und 1693
für den glücklichen Ausgang der Konigswahl Josephs 1 136• Seine dritte
Geniahlin Eleonore Magdalena, die ihn überallhin begleitete , stammte
aus dem wittelsbachischen Haus Pfalzneuburg und war, wie dereinst die
1 3 1 Allianz vom 26. Januar 1683 : RIEzLER, Bd. 7, 2 7 1-272 .
1 32 Leopold l. an Graf Pütting, Heiligenkreuz 1665 Aug.
1 9 , in: Pribram, �red
Francis und Pragenau, Moriz Landwehr von (Hrsg. ): Privatbriefe Kaiser Leopolds l. an
den Grafen F.E. Pütting, 1662-1673, in: Fontes Rerum Austriacarum 11. Abtg. Bd. 56,
Wien, 1 903, 1 52 .
m MlllER, 224-226.
1 34 MIILER, 197, 226-227 .
m STURMINGER, Walter (Hrsg. ), Die 'lurken vor Wien in Augenzeugenberichten,
Düsseldorf, 1968, 168.
1 36 MlllER , 227 .
505
LUDWIG HÜTTL
bayerische Kurfürstin Henriette Adelheid 137, Mitglied der «Sklavinnen
oder leibeigenen Dienerinnen Mariae» 138 • Diese Kongregation hatte im
Rheinland ihren Ursprung. Kaiser Kad VI. fa{Jte die habsburgische Pietas
Eucharistica und Pietas Mariana noch einmal zusammen und verband sie,
wie se in Va ter Leopold I . ,
mit der besonderen Verehrung der
Dreifaltigkeit I39..
V) Aufklarung und Marienwallfahrt
Kaiserin Maria Theresia bekannte offen, da/3 ihre Rettung im oster­
reichischen Erbfolgekrieg angesichts dler Ansprüche und Kriegszüge Bay­
erns, Preu{Jens und Frankreichs ein wunderbares «Mirade»14º und vor
allem güttlicher Hilfe zuzuschreiben sei. Gema/3 den Traditionen ihres
Hauses war sie nach ihrer Eheschlie{Jung mit Franz Stephan von
Lothringen-Toskana nach Mariazell gewallfahrtet141 , um den Schutz des
Hímmels für ihre Verbindung anzuflehen, für die politische Zukunft
ihres Hauses zu beten und ihr Brautkleid der mütterlichen Jungfrau auf­
zuopfern. Doch trotz aller Wahrung der Tradition verschob sich die
Pietas Austriaca wahrend ihrer Regierungszeit «um eine Nuance»142• Zwar
wurden die Pietas Austriaca und die Clementia Austriaca in den Staats­
schriften der Kaiserin immer wieder als die «Grundsaulen» ihrer Herr­
schaft hervorgehoben; doch zugleich flo/3, so Adam Wandruszka, «ganz
naiv und nahezu unbewu{Jt bereits ein Elenient der Kritik an diesen ehr­
würdigen Grundbegriffen der osterreichischen Regierungstradition
ein» l43. Maria Theresia,. die Landesmutter, sah in Maria vorwiegend die
Gnadenmutter und Schutzfrau; doch deren ideelle Stellung als Herrsche­
rin und Kaiserin bzw. Konigin verbla{Jte144 Der Geist der Aufl<larung be­
kampfte überdies alles sog. «verau{Jerlichte» Kirchenwesen und deren an-
1 37 KóNIG, Bd. 2 . 279.
138 CORETH, (21982 ), 63 .
1 39 CoRETH, (21982), 66-67 .
l4o ARNETH , Alfred Ritter von (Hrsg.), Zwei Denkschnften der Kaisenn Maria There­
sia, in: Archiv für osterreichische Geschichte 47 ( 1871), 267-354, hier 329.
14 1 ARNETH , Alfred Ritter von, Mana Theresia 's erste Regierungsjahre, Bd . 1, Wien,
1863, 27.
1 42 CORETH , (21982 ), 69 .
143 WANDRUSZKA, Adam, Das Haus Habsburg. Die Geschichte einer europaischen
Dynastie, Wien-Freiburg-Basel, 2 1979, 165 .
1 44 CoRETH (21982), 69.
506
MARI ANISCHE WALLFAHRTEN IN SÜDDEUTSCHLAND UND ÓSTERREICH . . .
gebliche Trager, vor allem die beschaulichen Orden und die Kongrega­
tionen. Maria Theresia begann allmahlich, aber konsequent den Einflu/3
der Kirche auf den Staat zurückzudrangen 145 und umgekehrt den Einflu/3
des Staates auf die Kirche auszudehnen. Da die Wallfahrten von seiten
der Kirche und der Dynastien bisher u.a. unter dem Aspekt der Ge­
genreformation gestanden hatten, waren sie überdies aufgeklartem Den­
ken, das die Toleranz zwischen den Konfessionen zum Prinzip erhob,
suspekt geworden.
Joseph
11. ,
der im Landesfürsten den Regenten und die Privatperson
unterschied, begab sich zwar 1764, 1 766 und 1767 auf Wallfahrten nach
Mariazell146, doch eine innere Beziehung zu dieser barocken, festlich
gestalteten Frommigkeitsform vermochte er nie zu gewinnen. Aus staats­
politischen, wirtschaftlichen, finanziellen und religiosen Gründen redu­
zierte er die Feiertage und beschrankte die Wallfahrten. Dasselbe
geschah in Kurbayern unter Max III. Joseph und Karl Theodor und nach
dem Vorbild von Bayern und Ósterreich auch in den hochstiftischen
Territorien Süddeutschlands.
1772 verbot Joseph 11. alle Wallfahrten, bei
denen die Teilnehmer über Nacht ausbleiben mu/Jten147, aus religios­
moralischen Gründen. Au/Jerdem litten seiner Meinung nach durch eine
mehrtagige Abwesenheit die Arbeiten der Untertanen in Haus, Hof und
Feld. Demgegenüber ist zu berücksichtigen, da/3 es damals keinen Urlaub
gab und religiose Feiertage und Walllfahrten zur Erhaltung der Volksge­
sundheit einen nicht unwesentlichen Beitrag leisteten. Auch Wallfahrten
ins Ausland wurden untersagt148 • Denn der Merkantilismus forderte, da/3
das Geld im Lande zirkulieren müsse und nicht ins Ausland gelangen
dürfe.
1783 verbot Joseph 11. sogar die traditionsreiche Wallfahrt zum
habsburgischen Nationalheiligtum Mariazell. Auch die Kronung der Ma­
donna mu/Jte auf seinen Befehl hin unterbleiben149. Am 21. Marz 1784
dekretierte er, da/3 im Lauf eines Jahres nur noch in besonderen Notfallen
zwei Prozessionen stattfinden dürften , und auch diese nur auf Anord­
nung des zustandigen Ordinariats. Auf3erdem durften diese Prozessionen
nur an Sonn- und Feiertagen unter Leitung eines Geistlichen abgehal-
145 MAAss, Ferdinand , Der ]osephinismus. Que/len zu seiner Geschichte in Osterreich
1760-1790, in: FRA 11. Abtg. Bd . 7 1-73 , Wien (-München), 195 1- 1956.
1 46 CORETH , (2 1982), 69 .
1 47 ScHREIBER, Strukturwandel, 7 3.
148 ScHREIBER, 74.
1 49 CORETH, (2 1982), 69-70.
507
LUDWIG HÜTTL
ten werden. Afie übrigen Wallfahrten wurden abgeschafft15°. Joseph 11.
wollte in Verantwortung vor Gott die katholische Kirche von allen
Au/Jerlichkeiten befreien , das Wesen des Christentums freilegen, sein
Volk zu Nüchternheit und Sparsamkeit erziehen und durch Aufldarung
glücklich machen m . Streng unterschied er zwischen Form und Inhalt
und beendete rigoros die im Hause Habsburg jahrhundertelang gepflegte
Pietas Marianam. Sie erschien ihm als , ganzlich überflüssige Au/Jer­
lichkeit, Wallfahrten und Kronung Mariens und ihres Kindes als barocker
Pomp und nutzloser Überschwang; die Verehrung von Gnadenbildern
erschien ihm eher als Aberglaube denn als Ausdruck wahrer Frommig­
keit. Das Land dem Schutz Mariens m unterstellen und sie durch Opfer­
gaben um Hilfe anzurufen , war für ihn und seine aufgeklarte Bürokratie
ohne Fundament .
Wie Joseph 11. , so wollte auch der Salzburger Erzbischof Hieronymus
Joseph Graf von Colloredo-Waldsee 153 das christologische Zentrum des
katholischen Glaubens ungeschmalert hervorgehoben wissen. Als Wunsch­
t
kandidat des Wiener Hofes 1772 zum Salzburger Metropoliten ge­
wahlt, begann er in den 8oer Jabren nach osterreichischem und baye­
rischem Vorbild die ihm notwendig erscheinenden Kirchenreformen im
Geist der katholischen Aufldarung durchzuführen: Reform des Ordens­
klerus und der Geistlichkeit , des Bildlungswesens , Abschaffung von Feier­
tagen, Einschrankung und schlie(Jlich Verbot von Wallfahrten, Prozes­
sionen und Passionsspielen , puritanische Reinigung von Wallfahrts­
kirchen und -kapellen. So mu/Jten in Maria Plain bei Salzburg alle Vo­
tivgaben entfernt werden. Um den Widerstand der Bevolkerung zu
brechen, wurde die Geisdichkeit angewiesen , weltliche Beamte zu Hilfe
zu rufen. Nur noch in «begründeten» Norfallen, so 1 794 bei Über­
schwemmungen, wurden Wallfahrten erlaubt 154. Die Untertanen konnten
nicht begreifen, da/3 fortan das verboten sein sollte , was noch vor kurzen
gefOrdert worden war. «Je sorgfaltiger und nachdrücklicher sie seit der
1 50 ScHREIBER, 7 3 , 77.
m WINJER, Eduard, Der ]osephinismus und seine Geschichte. Beitriige zur Geistes­
geschichte Osterreichs 1740-1848, Brünn-München-Wien, 194 3 , 1 3 1 .
1 5 2 CoRE1H, ( 2 1982), 69.
1 5 3 WIDMANN , Hans, Geschic/Jte Salzburgs, Bd. 3 ( 1 5 1 9- 1 805), Gotha 1914, 4605 5 6 ; MARTIN, Franz , Salzburgs Fiirsten in der Barockzeit, Salzburg, 2 1959, 225-256.
1 54 ScHOTn, Josef, Kirchliche Reformen des Salzburger Erzbischoft Hieronymus von
Colloredo im Zeitalter der Aufkliirung, in: Südostbayerische Heimatstudien Bd. 16, Hir­
schenhausen , 1939, 46, 96, 103 .
508
MARI ANISCHE WALLFAHRTEN IN SÜDDEUTSCHLAND U ND OSTERR EICH . . .
unglücklichen Auswanderung» der Protestanten m «bey allen Gele­
genheiten zur Verehrung und Anrufung der seligsten Mutter angewiesen
worden seien , desto allgemeiner und gro{3er sey die wegen dieses Ver­
bothes unter ihnen entstandene Entrüstung». So wurde dem Salzburger
Konsistorium über die Stimmung der Untenanen berichtet 156.
Unzweifelhaft hatten sich besonders seit der Mitte des 18 . Jahrhun­
derts betrachtliche Mi{3stande im \Vallfahrtswesen eingeschlichen. An­
statt den Pfarrgottesdienst zu besuchen , die Predigt anzuhüren und an
der Christenlehre teilzunehmen , begab man sich auf Wallfahn. Mancher
Wallfahrer verga{3 im Wirtshaus hausliche Pflichten und den Grund
seiner Pilgerschaft. Manches war Gewohnheit geworden und verau{3er­
licht 157. Der Dekan von Mühldorf meinte allerdings , da{3 Leute, die die
ganze Woche hindurch schwer arbeiten, auch das Anrecht hatten, «ihren
Leib mit einem oder andern Vierte! Bier zu erquicken»158 • Das Nützlich­
keitsdenken der Aufldarung brachte für eine derartige Argumentation
.allerdings kein Verstandnis auf. Zu gro{3 war auch der Standesunterschied
zwischen gebildetem Bürgertum und den breiten bauerlichen Schichten ,
denen man Unbildung und Aberglauben vorwarf. Indem die aufgeklane
bürgerlich-adelige Bürokratie auf Weisung ihrer geistlichen und
weltlichen Landesherrn den unbestreitbar vorhandenen Mi{3standen zu
Leibe rückte, schaffte sie gleich das Wallfahnswesen als sokhes ab , ohne
auf Traditionen und religiose Gefühle des Volkes die notwendige Rück­
sicht zu nehmen. In Tirol kam es darob sogar zu einer Loyalitatskrise der
Bevolkerung gegenüber dem Herrscherhaus. Franz Philipp Jugaghi, der
Bischof von Triest, ein Zeitgenosse Josephs 11 . , sprach sich «mit Tranen in
den Augen� gegen die Unsitte des Wallfahrens aus , und Joseph Anton
von Gall, der aufgeklarte Bischof von Linz , meinte , der Besuch eines
Wallfahrtsortes sei vollig überflüssig; denn beten konne man überall,
und das Gebet sei an einem On nicht weniger wert als an einem
anderen 159. Unschatzbare Werte des religiosen Brauchtums des Volkes
wurden verkauft, eingeschmolzen, verschenkt, verschleudert, vernichtet,
zerstort. Manche Wallfahrtsorte erstanden nie mehr und gerieten wie
·
m MAYR, Josef K. , Die Emigration der Salzburger Protestanten von 173111732. Das
Spiel der politischen Kriifte, in Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde
69 (1929), 1-64; 70 ( 1930), 65-128; 7 1 ( 193 1), 129- 191 .
1 56 ScHóTn, 89.
1 57 ScHREIBER, Strukturwandel, 8 1 ; MAASS, Bd. 73 , S . 84, 85, 360, 361 .
l 5S ScHóTn, 8 5 .
!29 ScHREIBER, 85-86 .
509
LUDWIG HÜTTL
Maria-Feichten in Vergessenheit. Wo einst Tausende zusammenkamen,
um Maria zu ehren, herrschte nun gro{Je Stille. Da die weltlichen und
zum gro{Jen Teil auch geistlichen Obrigkeiten ein wachsames Auge auf
die Einhaltung der Wallfahrtsverbote warfen, kamen fromme Menschen
immer mehr auf den Gedanken ,
nicht mehr vorrangig in Gemeinschaft,
sondern alleine oder in kleinen Gmppen auf Wallfahrt zu gehen . Die
sog. Einzelwallfahrt hat in diesem Zusammenhang ihren historischen
Ort . Das
19. Jahrhundert tat sich deshalb schwer, an die Tradition der
Gemeinschaftswallfahrt wieder anzuknüpfen . Man verlegte den Brauch
des Wallfahrens, der als solcher durchaus noch in Erinnerung war, in die
Sphare privater, personlicher, indivildueller Frommigkeit . Maria wurde
fortan auch von den katholischen Dynastien Wittelsbach und Habsburg
nicht mehr gesehen als gekronte Kaiserin und Konigin, per quam princi­
pes imperant, sondern als Schutzfrau und Mutter, durch deren Sohn Je­
sus, per quem principes imperant160 .
I6o CORETH, ( 1959), 67 und (21982), 7 1 .
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