Der Australische Dingo
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Der Australische Dingo
-1- Gesellschaft für Haustierforschung (GfH) e.V. - Eberhard Trumler-Station __________________________________________________________________________ Dr. Frank G. Wörner Der Australische Dingo Notizen zu einer frühen Form des Haushundes Wolfswinkel, November 2013 © fwö 11/2013 -2- Gesellschaft für Haustierforschung (GfH) e.V. - Eberhard Trumler-Station _________________________________________________________________ Dr. Frank G. Wörner Der Australische Dingo Notizen zu einer frühen Form des Haushundes Inhalt 1. Dingoland Australien 3 2. 2.1 2.2 2.3 2.4 Der Dingo Herkunft und Lebensweise Schutzstatus und Bestandsentwicklung Gefahr für den Menschen? Der Dingo in Menschenhand 4 3. 3.1 Der Hallstromhund – Eine Dingoform aus Neuguinea 19 TRUMLERs Suche nach dem Urhund: Die Shiba-Dingos 4. Hat der Dingo eine Zukunft? 23 5. Literatur 25 6. Anhang Buchbesprechungen Aufgaben und Ziele der GfH 27 Verantwortlich für den Inhalt ist der Verfasser Abschluss Manuskript: 30/11/2013 Gesellschaft für Haustierforschung (GfH) e.V. Wolfswinkel 57587 Birken-Honigsessen Tel. 02742 / 6746 [email protected] Titelfoto: Bergdingos in Wolfswinkel (GfH) -3- 1. Dingoland Australien Australien, der kleinste und von europäischen Seefahrern zuletzt entdeckte Kontinent, gilt als ein lebendiges Museum der Zoologie und Ethnologie. Er wurde bereits vor mindestens 40.000 Jahren in einer ersten Einwanderungswelle durch dunkelhäutige Menschen aus dem südostasiatischen Raum besiedelt, zu einer Zeit im Pleistocaen, als große Mengen von Wasser in Form von Eis an den Polkappen gebunden war und weite Teile des heutigen Meeresbodens trocken fielen. Dingos in der Trumler-Station Der stark abgesenkte Meeresspiegel erlaubte über die sich zwischen den Inseln bildenden Landbrücken und die schmal gewordenen Meeresstraßen zwischen den Inseln eine Besiedlung dieses jungfräulichen Kontinents, und zwar zu einer Zeit, als der Mensch den Hund als seinen Begleiter mit seinen heutigen geschätzten Eigenschaft noch nicht kannte. Diese frühen Pioniere und eigentlichen Entdecker Australiens wurden im Lauf der Geschichte zu den rezenten Aborigines; sie gehören zu den ältesten Völkern der Erde. Ihre Riten, Brauchtümer und Religion reichen in fernste Vergangenheit, ihre ersten Kontakte mit den Europäern hatten sie vor rund vierhundert Jahren. Mit der am Ende der letzten Eiszeit (vor ca. 12.000 Jahren) einsetzenden Erwärmung wurde Australien wieder zu einer schwer zu erreichenden Insel und war von da an über lange Zeiträume von der übrigen Welt fast völlig abgeschnitten. Aus diesem Grund konnte sich hier eine urtümliche Tierwelt ungestört erhalten und weiter entfalten, deren charakteristische Vertreter sonst nirgends auf dem Globus anzutreffen sind: Das Reich der Beuteltiere. Zwar arbeiteten schon jahrhundertlang Fischer aus der indomalayischen Inselwelt vor der Küste Nordaustraliens, erwähnten dies aber nicht, da sie diesem unwirtlichen Land keinerlei wirtschaftliche Bedeutung zumaßen. Nun aber, ab Beginn bis zur Mitte des siebzehnten Jahrhunderts und auf der Suche nach dem sagenhaften Südkontinent - der „Terra Australis Incognita“ - erkundeten in zunehmenden Maße europäische Entdecker, unter ihnen Abel Tasman, die Küsten dieses neu gefundenen Kontinents, bis dann endlich 1770 die für die damalige Zeiten personell und apparativ hervorragend ausgestattete Expedition unter dem Kommando von James Cook die bis dahin unbekannte Ostküste Australiens erforschte und die Legende von dem Südkontinent (Terra Australis Incognita) endgültig in den Papierkorb der geographischen Irrtümer ablegte. Erstaunt stellten die Forscher fest, dass sie einen Kontinent vorgefunden hatten, auf dem es bislang völlig unbekannte und neben der Fledermaus (deren Herkunft einfach zu erklären war) und außer einem Hund, eben dem Dingo, kaum „moderne“ Säugetiere (Placentalia) gab. Schon damals erwähnten die frühen Entdecker das Zusammenleben dieser Hunde mit den Ureinwohnern, einer der ersten Berichte stammt bereits aus dem Jahre 1699 von William Dampier (1651-1715), einem englischen Freibeuter und Entdecker, der die australische Westküste erkundete. -42. Der Dingo 2.1 Herkunft und Lebensweise Unter Kynologen wird kontrovers diskutiert, was ein „Dingo“ eigentlich ist, und welche Hundeformen ihm zugeordnet werden müssen. Er wird – je nach Lehrmeinung – als Wildhund, als Zwischenform zwischen Wolf und Haushund, als urtümlicher Haushund uvm. angesehen. Dingos werden allgemein von zoologischen Laien als „Wildhunde“ bezeichnet, sicherlich nicht völlig zu Unrecht, da sie über einen jahrtausendelangen Zeitraum einer scharfen natürlichen Selektion unterlagen und dadurch immer mehr verwilderten. Durch neuere Untersuchungen nicht nur der Anatomie, sondern auch der Chromosomen, wissen wir mit Sicherheit, dass der Australische Dingo eben kein Wildhund, sondern ein verwilderter Haushund ist. GRZIMEK (1966) drückte dies unmissverständlich aus: „Man kann Dingos weder nach den Zähnen und dem Knochenbau nach sonst irgendeinem Körpermerkmal oder nach ihrer Lebensweise sicher von Haushunden unterscheiden. ... Dingos sind verwilderte Haushunde.“ Die „Kieler Schule“ der Haustierforschung definierte den Begriff „Haustiere sind Teile von Wildarten, bei denen unter den veränderten Umweltbedingungen eines Hausstandes im Laufe von Generationen ein unerwarteter Reichtum an erblich gesteuerten Entwicklungsmöglichkeiten zur Entfaltung kommt, den Menschen in Bahnen lenken, die ihnen zunehmend vielseitigen Nutzen bringen oder besondere Freude bereiten“ (HERRE & RÖHRS, 1990). Der Dingo ist Hundetypus, der Merkmale ursprünglicher Hunde behalten konnte, weil er schon zu einem frühen Zeitpunkt der Domestikation wieder verwilderte bzw. weil die Aborigines, wenn er mit ihnen lebte, kaum einen selektiven Einfluss nahmen - Domestikation kann also unter bestimmten Voraussetzungen ein reversibler Vorgang sein. Neuere Arbeiten stellen ihn als eine Übergangsstufe zwischen Wolf und dem modernen Hund dar. (Abb. 1: Dingorüde) Dennoch zeigt er Merkmale, die typisch für ein domestiziertes Tier sind: Neben dem gegenüber der Wildform (Wolf) reduzierten Gehirnvolumen sind es auch weniger ausgeprägte Verhaltensweisen wie Imponiergehabe und wenig differenzierte Gesichtsmimik. Immer wieder findet man in der Literatur den Hinweis, dass der Dingo in direkter Linie vom Indischen Wolf (Canis lupus pallipes) abstamme. Die vor nunmehr 100 Jahren von dem Schweizer Kynologen STUDER (1901) vermutete Abstammung von einem hypothetischen Urhund, dem Canis ferus als Stammvater aller südostasiatischen Pariahunde und somit auch des Dingos, konnte bislang nicht bestätigt werden, da entsprechende Fossilien nie gefunden wurden! Den Canis ferus nach STUDERs Vorstellung hat es wahrscheinlich nie gegeben! -5- Links: Indischer Wolf (Foto: Farhan, Pakistan). Rechts Dingos in der Trumler-Station Wenige Jahre später stellte STREBEL die Ähnlichkeit des Dingos mit den Pariahunden Südostasiens fest (der Dingo weist Merkmale auf, die verwandtschaftlichen Beziehungen zu den rezenten Primitivhunden Indonesiens möglich erscheinen lassen); er vermutet in dem verschollenen Tenggerhund aus der Bergregion Ostjavas eine Übergangsstufe zwischen Dingo und Paria. Und vor acht Jahrzehnten bemerkte ANTONIUS (1922): „Meine eigenen Beobachtungen von Straßenhunden beweisen ... das Vorkommen von allerlei Übergangstypen zu anderen Haushundstämmen. Besonders drei Typen fand ich vielfach sehr ausgeprägt. Einer ... schließt sich äußerst eng an den Dingo an: Mittelgroße, stock- bis glatthaarige, meist rotgefärbte, aber oft auch schwarze Tiere, die äußerlich vollkommen Dingohabitus zeigen und wohl dem Schädelbau nach in seinen Formenkreis gehören. Diese Ansicht vertritt auch noch ZEUNER (1963), als er das Erscheinungsbild des Dingos mit demjenigen der Pariahunde vergleicht: „Sie entsprechen außerdem der Vorstellung, die man sich im allgemeinen von den Ahnen unserer Haushunde macht. Das hat dazu geführt, dass mehrere Autoritäten auf diesem Gebiet in Dingo und Pariahund die Vorfahren aller Haushundrassen sehen.“ Inzwischen wissen wir endgültig, dass der Dingo kein Wildhund, sondern ein sekundär verwilderter Haushund ist, also eher das, was Zoologen und Haustierforscher einen „Wildling“ nennen. Dies bemerkte schon „Tiervater“ BREHM (in der von BLEY überarbeiteten Fassung, 1928): „Ein lehrreiches Beispiel der vielfach festgestellten Tatsache, dass Haushunde vollständig verwildern können, ist der Dingo oder Warragal (...), der sogenannte Wildhund Neuhollands, welchen, in Anbetracht seiner Lebensweise, auch ich früher für eine der ursprünglichen Arten der wilden Hunde gehalten habe, gegenwärtig aber .... nur für einen verwilderten Schäferhund erklären kann. ... Das Wie und Wann der Verwilderung lässt sich freilich nicht bestimmen.“ Auch RÄBER (2001) vertritt diese Meinung: „Er repräsentiert die Form des verwilderten Haushundes, wie sie überall unter dem Äquator vorkommt“. TRUMLER (1984), der Dingos jahrelang hielt, sie also aus eigener Beobachtung sehr gut kennt und den Dingo gerne als sein „Wappentier“ bezeichnet, meint hierzu: „Deswegen meint man bisweilen, ich sei ein <Dingoforscher>, was ich ganz gewiss nicht bin. Für mich sind Dingos nichts anderes als Hunde, - verwilderte Hunde, nur ein wenig historischer. Damit will ich sagen, dass sie die älteste Hunderasse der Welt sind, so alt, dass man eigentlich gar nicht im Sinne unserer Kynologie von einer <Rasse> sprechen dürfte.“ Und ZIMEN (1992) ist der gleichen Auffassung: „Der Dingo selbst ist ... nichts als ein Typus aus der großen Palette der Haushunde“. Die ältesten bekannten Fossilien, die dem Dingo zugerechnet werden, sind 5.500 Jahre alt und wurden in Thailand und Vietnam gefunden. Morphologisch ähneln sie schon stark dem rezenten australischen Dingo. Über die südostasiatischen Inseln (Fossilfunde auf Timor mit einem Alter von 2.500 bis 3.500 Jahren) sowie in Neuguinea (ebenfalls 2.500 Jahre) zeigen die Herkunft des Dingos vom Festland Südostasiens. Als Stammvater wird der Indische Wolf (Canis lupus pallipes) angesehen, dessen Domestikation vor etwa 6.000 – 10.000 Jahren -6angenommen wird, die Ähnlichkeit des rezenten Dingos mit dieser kleinen Wolfsform des südlichen Asiens ist auffällig! Der Australier CORBETT (in GANSLOSSER, 2006) vertritt die Auffassung, dass frühe Seefahrer aus dem südostasiatischen Raum erstmals vor mehr als 4.000 Jahren auf ihren Booten dingoartige Hunde als lebenden Proviant und als Wächter mitführten, als sie die Küsten Australiens erreichten. Die Nachfahren dieser Hunde verwilderten schnell (Dedomestikation) und eroberten innerhalb weniger Jahrhunderte den ganzen Kontinent. Es soll sich hierbei nach Ansicht verschiedener Autoren um eine Hundeform ähnlich dem vietnamesischen Phu-Quoc-Hund gehandelt haben. Der Name „Phu-Quoc-Hund“ ist ein altertümlicher Name für den heutigen Thai-Ridgeback, eine sehr alte Hunderasse, die sich bis heute in ihrer urtypischen Form und ihrem Wesen erhalten konnte. Unklar ist es bislang, ob die Ankunft der heutigen Dingo-Vorfahren ein einmaliges Ereignis war; theoretisch ist es möglich, dass die australischen Dingos von nur wenigen Hundeindividuen, vielleicht von nur einem einzigen trächtigen Weibchen abstammen. Dies würde auch die starke Verminderung der genetischen Vielfalt der Dingos im Vergleich zu derjenigen anderer nahe verwandten Hundeformen, z.B. auf Bali, erklären (WACHTEL, 2007). Bis zur Ankunft der ersten Europäer kam es nach neueren genetischen Untersuchungen nicht mehr zu Einwanderungen von Hunden. Ein eigenständiges Erreichen (durch Überqueren der Australiens nordaustralischen Gewässer) ist aufgrund der dortigen Seebedingungen und der Entfernungen ausgeschlossen: Selbst bei stark abgesenktem Meeresspiegel während er Eiszeit hätten Dingos eine Distanz von mindestens 50 km schwimmend zurücklegen müssen, was nur schwer vorstellbar ist. Dingoähnliche Primitivhunde waren einst weit verbreitet, die heute noch in Thailand und Australien vorkommen (Abb. 2); andere dem Dingo ähnelnde Hundeformen leben weiterhin in entlegenen Teilen Afrikas und Asiens im ländlichen Raum. Aktuelle Verbreitungsgebiete, in denen Dingos überlebt haben (können), sind schwierig zu definieren, da vielerorts Dingos sich mit Haushunden verpaaren, deren Nachkommen sind (oft) nicht mit Sicherheit von „reinblütigen“ Dingos zu unterscheiden. Durch neuere Untersuchungen nicht nur des Schädels, sondern auch der Chromosomen, wissen wir mit Sicherheit, dass der Dingo ein verwilderter Haushund ist und Abb. 2: Bekanntes Verbreitungsgebiet somit auch zoologisch korrekt des Dingos (Thailand und Australien) mit Canis lupus f. familiaris benannt werden muss. Der Dingo hat deutlich Merkmale konserviert, die verwandtschaftlichen Beziehungen zu den rezenten Primitivhunden Südostasiens aufweisen, aber auch zu den Hunden Madagaskars, die vermutlich mit indonesischen Seefahrern aus Borneo um 1000 n.Chr. diese Insel besiedelten. Die Dingos werden in ihrer Gestalt und in ihrer Lebensweise von ihrer Umwelt geformt, was bis jetzt eher weniger Gegenstand der Forschung ist; TRUMLER (1981) beschreibt den -7• • • • Steppentyp – schäferhundgroß, hochbeinig, schlankwüchsig, langköpfig, windhundartig Kap York-Dingo – sehr kurzhaarig, ähnelt Pharaonenhund, Kopf Basenji-gleich Bergdingo – auffallend mit dickem, goldfarbigem Fell, ähnelt kleinem Rotwolf Norddingo – im Gebiet von Darwin, hoch angesetzter und über dem Rücken getragener Schwanz, melodiöse Stimme Die Mensch-Hund-Beziehung zwischen Dingo und Aborigines - in einigen der vielen Sprachen wurde er von ihnen „Warragal“ genannt - lässt sich archäologisch rund 4.000 Jahre zurück belegen: In Südaustralien wurde ein Grab mit zwei Skeletten gefunden, ein Mann mit einem Jungen (vielleicht Vater und Sohn?), wobei der Mann ein Stirnband und eine Kette aus Hundezähnen besitzt. Weiterhin ist bemerkenswert, dass eine der ältesten gefundenen Hundefossilien aus Deutschland (der ca. 12.000 Jahre alte Hund aus dem SenckenbergMoor bei Frankfurt) erstaunliche Ähnlichkeit mit dem Dingo hat – was eventuell als Konvergenzerscheinung erklärt werden kann. In der älteren Literatur wurden Hunde aus diesem Formenkreis (fälschlicherweise) als „Torfhunde“ bzw. „Torfspitze“ (Canis palustris) bezeichnet. Die Rüden erreichen ein durchschnittliches Gewicht von ca. 15 kg (12 – 22 kg), die weiblichen Tiere sind etwas kleiner und wiegen rund 13 kg (11 – 17 kg). Die Schulterhöhe liegt bei Rüden bei 52 bis 60 cm, die Körperlänge (Schnauzen- bis Schwanzspitze) bei 117 bis 124 cm. Hiermit sind die australischen Dingos größer und schwerer als diejenigen Südostasiens. Das Hirngewicht eines 20 kg schweren Dingos liegt bei 95 g, dies entspricht 84% der Hirnmasse eines Südwolfes bzw. einer Reduktion um 16%; die relative Schädelkapazität („Hirnmasse“) in Bezug zur Körpergröße liegt bei allen Haustieren niedriger als bei ihrer Stammform und ist ein typisches Domestikationsmerkmal, was schon Bertold Klatt zu Beginn des letzten Jahrhunderts beschreibt. Der Kopf ist relativ breit, charakteristisch sind spitze Schnauze und Stehohren. Der Schwanz wird als Säbelrute, in einigen Fällen aber auch über dem Rücken getragen. Das meist kurze Fell ist rötlich bis sandfarben (gelb), oft zweifarbig mit weißen Markierungen an Brust, Schnauze, Pfoten und der typisch weißen Schwanzspitze. Der Wegfall der Wolfsfarbe geschah vermutlich schon zu Beginn der Domestikation, die ursprünglichen Hunde Asiens und Afrikas haben keine Wolfsfarben, diese findet man in Hundepopulationen nur dort, wo auch nach der Domestikation ein Einkreuzen von Wölfen relativ häufig war - insbesondere bei den Nordischen Hunden. Südwölfe sind ebenfalls meist wolfsgrau bis hin zu einem fahlen Gelbgrau; der Mensch nahm sich vermutlich aus einer Population von Südwölfen nur einige wenige Exemplare, die auffällig wegen ihrer rötlichen Farbe waren und zu Basiseltern aller unserer Hunde wurden. 2.1.1. Lautäußerungen Bei den Lautäußerungen ist das Bellen von geringerer Bedeutung und wird nicht variiert, anders als bei den meisten Haushundrassen; es ist kurz und einsilbig, vergleichbar mit dem Wuffen der Wölfe und gilt als Warnlaut. Bellen, wie wir es von Haushunden kennen, kommt nur bei Mischlingen von Dingo und Haushunden vor. Das differenzierte und ausdrucksstarke Bellen unserer Haushunde entwickelte sich erst während des Zusammenlebens mit dem Mensch. Die Dingos haben aber mit ihrem Knurren, Winseln, und Heulen ein reichhaltiges Stimminstrumentarium, das ihnen in den angelsächsischen Ländern den Beinamen „Singing Dog“ einbrachte. Besonders das Heulen ist sehr variabel, seine Häufigkeit wird durch verschiedene auslösende Faktoren bestimmt: Dingos heulen zur Begrüßung, das Heulen hält einzelne umherstreifende Rudelgenossen zusammen und dient gleichzeitig zur Markierung des Kernterritoriums. Da jedes einzelne Tier beim „Chorheulen“ durch seine Stimme individuell erkennbar ist, können Dingos auch ohne Sichtkontakt die Größe eines fremden Rudels einschätzen. -8Ein weiteres Kommunikationsmittel ist das „Schrappen“ (FEDDERSEN-PETERSEN, 2008), das im agonistischen Kontext als Drohgebärde („Drohbeißen“) auftritt und wobei z.B. aufdringliche Jungtiere oder Konkurrenten an der Beute/am Futternapf eingeschüchtert werden. Bei diesem Schrappen wird knapp an dem Gegenüber, ohne ihn zu berühren, in die Luft gebissen, wobei das Geräusch selbst durch das Aufeinanderschlagen der Zähne verursacht wird. Ein vom Autor gehaltener Kintamanihund (ursprünglicher Hund aus Bali/Indonesien) zeigte verstärkt diese Verhaltensweise, wenn z.B. Unbekannte ihn streicheln oder necken wollten. 2.1.2 Einfluss auf die Tierwelt Die Ankunft des Dingos wird für viele der endemischen Beuteltiere als eine Katastrophe angesehen, auch für den berühmten „Beutelwolf“ (oder auch „Tasmanischer Tiger“), der kein Wolf, sondern ein beutegreifendes Beuteltier war, das in der archaischen Fauna Australiens die ökologische Nische eines Großcarnivoren innehatte (Abb. 3). Diese einheimischen Beutelwölfe hatten bis zum Erscheinen des Dingos keine Konkurrenten. Der Dingo, als schneller Rudeljäger und ihm auch in Hinsicht auf Intelligenz und soziale Verhaltensweisen vermutlich überlegen (das durchschnittliche Gehirngewicht von 30 Beutelwölfen wurde einmal mit 55 g bestimmt, dasjenige von Dingos erreicht mit über 90 g fast das doppelte Gewicht), fand ein Schlaraffenland vor, in dem er die Nische des einheimischen Beutegreifers als Konkurrent Abb. 3: Beutelwölfe (Thylacinus cynocephalus) besetzte und ihn zum im Zoo von Hobart Aussterben verurteilte. In Australien verschwand der Beutelwolf vor rund 2.000 Jahren; lediglich auf Tasmanien, wo der Dingo nicht hinkam, überlebte er bis vermutlich in die 1930er Jahre. Auch dort wurde er, da auf seine Tötung bereits seit 1830 Prämien ausgesetzt waren, als angeblicher Schafskiller gnadenlos verfolgt. Das letzte bekannte lebende Exemplar starb 1936, zwei Monate nachdem die Art unter Schutz gestellt wurde, im Zoo von Hobart/Tasmanien. Der Dingo, der als Hetzjäger Geschwindigkeiten bis zu 50 km/h erreicht und somit den klassischen Windhunden ebenbürtig ist, jagte - canidentypisch - zuerst kleinere Säuger, in unserem Fall Beutelmäuse, aber auch größere Tiere bis hin zu Kängurus, deren großwüchsige Arten sich wehrhaft zu verteidigen wissen. Die Jagd auf größere Beutetiere erfolgt in Trupps von 5-6 Hunden, oft die Fähen mit ihren Junghunden. Kleinere Beuteorganismen werden von Einzeltieren gejagt. An Fallwild, Aas u.ä. (auch von Rindern und Schafen) sind zuweilen größere Ansammlungen von Dingos zu beobachten. Somit sind Dingos typische Opportunisten bei der Nahrungsbeschaffung und jagen die in der jeweiligen Region häufigste und gleichzeitig am leichtesten zu erbeutende Futtertierart. Größere Beutetiere werden von mehreren Dingo zugleich und sich gegenseitig zugejagt, getötet wird mit Kehlbiss. Wehrhafte Tiere (z.B. Schafböcke) werden von hinten attackiert; generell werden vorzugsweise unerfahrene Jungtiere angegriffen. Wie in den amerikanischen Nationalparks Wölfe Beutetiere in Zäune -9jagen und töten, haben Dingos in den weiten deckungsarmen Regionen die gleiche Jagdstrategie erfolgreich entwickelt. Ihre Hauptaktivitätszeiten liegen in der Morgen- und Abenddämmerung. Die Jagd geschieht in Gegenden, wo Dingos vom Menschen nicht verfolgt werden, auch tagsüber; ansonsten wurde er zum Nachtjäger. Auch bei sehr großer Hitze werden die Aktivitäten in die Nacht verlegt. Sein Beutetierspektrum reicht von Insekten (vor allem Heuschrecken) bis hin zu großem Weidevieh, im Norden auch Wasserbüffel. Insgesamt konnten in Kotproben 170 verschiedene Beutetierarten nachgewiesen werden, wobei der Anteil Abb. 4a: Dingo mit angespültem Fisch (Scombride) von Nutzvieh gering war. Der Hauptanteil der Nahrung ist regional verschieden und besteht in großen Teilen Australiens aus nur rund 10 Tierarten. Regional sind verwilderte Hausschweine wichtige Nahrungsbestandteile, so z.B. im östlichen Queensland, wo auch am Strand angespülte Fische (Abb. 4a), Krebstiere und tote Robben nicht verschmäht werden. Kaninchen werden überall gerne aufgenommen, ebenfalls werden Wombats und Wallabys (Abb. 4b) gejagt. Abb. 4b: Ein Dingo erbeutet ein Wallaby-Känguru am Strand) - 10 CORBETT (2006) fasst das Beutetierspektrum des Dingos in den verschiedenen natürlichen Großräumen Australiens wie folgt zusammen: Heiße Feuchtgebiete im Norden - Spaltfußgänse - endemische Ratten - Wallabys Trockengebiete und Wüsten NW-Australiens - Bergkänguruh - Rotes Riesenkänguru - Kaninchen Trockengebiete Zentralaustraliens - Kaninchen - Nagetiere (Ratten und Mäuse) - Echsen - Rotes Riesenkänguru Ost- und Südost-Australien - verschiedene Arten des Wallabys - Kletterbeutler - Nacktnasenwombat Überall in seinem Verbreitungsgebiet erbeutet er (vor allem in Dürrezeiten und wenn seine natürlichen Beutetiere rar werden), Schafe und Ziegen als leichte Opfer, gelegentlich aber auch Rinder, hier vor allem schwache und wenig lebensfähige Kälber; dies bescherte ihm verständlicherweise den Hass der Viehzüchter. Wahrscheinlich ist aber der von den Dingos angerichtete Schaden geringer als von Viehzüchtern behauptet und nicht sauber abzuschätzen, da der Dingo als Aasfresser auch verdurstetes Vieh verzehrt. Generell kann bemerkt werden, dass er in ertragreichen Jahreszeiten auch in Gebieten mit Viehzucht vor allem grasfressende einheimische Wildtiere erbeutet, die Nahrungskonkurrenten des Weideviehs sind. Ihren Wasserbedarf decken Dingos während der trockenen Zeiten aus ihrer Nahrung; stillende Fähen verwerten Urin und Faeces der Welpen, womit sie gleichzeitig die Wurfhöhle säubern. In seiner übrigen Lebensweise ähnelt der Dingo den Schakalen oder auch unseren Füchsen; tagsüber liegt er - besonders wenn er die Bejagung durch den Menschen fürchten muss - in seinem Versteck verborgen, vielleicht eine Höhle, eine Felsspalte oder auch nur ein umgestürzter Baum. Mit fortgeschrittener Dämmerung streift er dann des nachts umher und sucht vornehmlich kleine Bodentiere. 2.1.3 Sozialverhalten und Fortpflanzung Dingos unternehmen saisonabhängig in ihren Streifgebieten ausgedehnte Wanderungen. Sie sind soziale Tiere, die in Familienverbänden in wohl definierten Territorien leben. Diese Reviergrößen sind unabhängig von der Größe des Rudels, sind aber ein Indikator für die Verfügbarkeit von Ressourcen. Die größten nachgewiesenen Territorien mit ihren Streifgebieten liegen in den ariden Steppen- und Wüstenregionen im Südwesten, sie können bis zu 500 km² groß sein. Die Größe des eigentlichen Kernterritoriums korreliert nicht mit der Rudelgröße, sondern mit der Verfügbarkeit der darin befindlichen Ressourcen. Die Territorien zeichnen sich durch wohl definierte Grenzen aus und überlappen sich nicht, im Gegensatz zu den Streifgebieten, deren Größe ebenfalls variabel ist. Ein Rudel, das in der Nähe von menschlichen Ansiedlungen lebt und dort leichter Nahrung (organische Abfälle) finden kann, hat zumeist ein kleineres Territorium. Allein umherstreifende Exemplare gehören einer sozialen Gruppe an, die sich spätestens zur Paarung und Aufzucht der Jungtiere zusammenfindet. Unter ungestörten Bedingungen kann ein territoriales Rudel bis zu zwölf Köpfen umfassen und besteht, wie beim Wolfsrudel auch, aus den beiden monogamen Elterntieren sowie den Welpen des laufenden Jahres und den Junghunden des Vorjahres. Meist entfernen sich die Tiere nicht weit von ihrem Stammrevier, es sind vor allem die jungen Männchen auf der Suche nach einer Partnerin, die ein eigenes Rudel gründen wollen und deshalb abwandern. Die Adulten sind stark an ihr Revier gebunden und zeigen bei günstigen Bedingungen kaum ein Wanderverhalten; bei schlechteren Lebensbedingungen (Nahrungsverknappung aufgrund des Wetters) wandern sie ab. - 11 - Innerhalb dieses Verbandes gibt es eine Hierarchie bei beiden Geschlechtern; nur die Elterntiere pflanzen sich fort, die anderen Familienmitglieder (Jungtiere des Vorjahres) sind aber bei der Aufzucht der Welpen behilflich. Ernsthafte aggressive Auseinandersetzungen, die zu ernsthaften Verletzungen führen, sind sehr selten. Die Wurfhöhlen werden gegraben oder durch Erweiterung von z.B. Kaninchenbauten angelegt, auch in Wurzeltellern, hohlen Bäumen und Felsspalten können die Welpen geworfen in ihren ersten drei Lebenswochen aufgezogen werden. Die Rüden sind das ganze Jahr über fortpflanzungsfähig, während die Dingofähen wie auch die Wölfinnen und im Gegensatz zu Haushunden nur einmal im Jahr läufig (10-12 Tage bis zu wenigen Wochen) werden und nach einer Tragzeit von durchschnittlich 65 (61-69) Tagen werfen; ein durchschnittlicher Wurf besteht aus 5 Welpen (1-10). Die Geburt erfolgt kurz vor der Regenzeit in den Monaten März bis Juni. Dingowelpen kommen als Nesthocker blind zur Welt und verlassen die Wurfhöhle erstmals mit drei Wochen. Im Alter von acht Wochen beginnen sie in weiterem Umkreis die Gegend zu erkunden, wobei sie stets von älteren Familienmitgliedern begleitet werden. Spätestens im Alter von sechs Monaten sind die Junghunde schon sehr selbständig. Weibliche Tiere erreichen die Geschlechtsreife ab dem zweiten Lebensjahr, während die Rüden spätestens mit Erreichen des dritten Jahres geschlechtsreif sind. In freier Wildbahn kann es in Stresssituationen (Nahrungsmangel) zu Welpentötungen durch ranghohe Fähen kommen, wenn ein rangniedriges Weibchen ebenfalls Junge hat (Abb. 5). Der Familienverband bleibt über einen längeren Zeitraum zusammen, da die Jungtiere mindestens ein Jahr im Familienverband verbleiben. Abb. 5: Drei Wochen alte Dingowelpen auf der „Eberhard Trumler-Station“/Wolfswinkel) Die Rudel kommunizieren über ein sehr variantenreiches, d.h. ausdruckstarkes Heulen, bei dem (beim Chorheulen) jedes Rudelmitglied seinen eigenen Tonfall hat. Weitere wichtige Kommunikationsmittel bestehen im Verteilen von Geruchsmustern (Scheuern, Kotabsetzen und Urinieren an markanten Stellen), wobei vor allem die Rüden hiermit ihre Reviergrenzen markieren. Aus Zoohaltungen wissen wir, dass die maximale Lebenserwartung der Dingos bei knapp 15 Jahren liegt (ein Individuum im Zoo von Washington wurde 14 Jahre und 9 Monate alt [GRZIMEK und TRUMLER, 1987]), während – vermutlich ein Dingohybride - auf der Eberhard Trumler-Station („Wolfswinkel“) das bislang höchste bekannt gewordene Alter eines Dingos erreichte: Er wurde nachweislich 19 Jahre und 6 Monate alt (mdl. Mttlg. Erika Trumler). Die Lebensspanne von Tieren in freier Wildbahn ist allerdings deutlich geringer und überschreitet kaum das achte Lebensjahr. - 12 2.2 Schutzstatus und Bestandsentwicklung Die „Rote Liste“ der gefährdeten Tierarten (IUCN, 2008) stuft den Dingo als „vulnerable“ (gefährdet) ein, da die Anzahl „reinblütiger“ Tiere kontinuierlich abnimmt: „Dingos were formerly widespread through out the world and although populations of wild dogs remain abundant in Australia, the proportion of pure dingoes is declining through hybridization with domestic dogs“. Innerhalb der Nationalparks und Schutzgebieten ist er zwar gesetzlich geschützt, kann aber außerhalb (unter bestimmten Umständen) bejagt werden; im Einzelnen ist dies für die australischen Bundesstaaten und Territorien (Abb. 6) definiert und wie folgt geregelt (Anonymus, 2005): Abb. 6: Territorien und Bundesstaaten - Northern Territory - Western Australia - Southern Australia - Queensland - New South Wales - Australian Capital Territory - Victoria - Tasmanien geschützt, nicht bedroht, einheimisch, dürfen nur bei aktueller Gefährdung von Nutzvieh getötet werden nicht geschützt, Populationen werden kontrolliert, Bejagung nur mit Genehmigung gelten südlich des Dingozaunes (Abb. 7) als Schädlinge und müssen dort bekämpft werden; nördlich des Zauns sind sie außerhalb einer 35 km breiten Zone parallel des Zauns geschützt Dingos gelten als Schädlinge, als „Wildart“ ist er innerhalb von Schutzgebieten geschützt Dingos gelten als Schädlinge, von Landbesitzern wird ihre Verfolgung und Ausrottung verlangt; Vollschutz nur in Nationalparks Tötung auf Privatland ist erlaubt Landbesitzer haben Verpflichtung, alle Dingos und verwilderten Haushunde auszurotten dingofrei, die Einfuhr von Dingos ist verboten Der Dingo ist voll fertil mit allen Hunderassen und soll an der Entstehung einer australischen Hunderasse beteiligt sein, dem Hütehund „Queensland Blue Heeler“. Die unkontrollierte Vermischung mit modernen Haushunden stellt eine weitere Gefahr des Aussterbens für den Dingo dar, durch das Aufgehen seines genetischen Materials nämlich droht ihm der „genetische Tod“. Nach neueren Untersuchungen CORBETTs sind reinblütige Dingos fast nur noch in den nordwestlichen Regionen Australiens zu finden, in Südaustralien wurden keine reinblütigen Exemplare mehr gefunden! Durch die Besiedlung Australiens und des Landesinneren vor rund 150 Jahren stieg die Anzahl der Dingos aufgrund eines vergrößerten Nahrungsangebotes zunächst rapide an: Von den Siedlern wurden nicht nur die Kaninchen eingeschleppt und Rinder und Schafe verbreitet, von einer verbesserten Wasserversorgung des Weideviehs im ausgehenden 19. Jahrhundert profitierten auch einige Känguruarten, die der Dingo schon seit jeher jagte. Sind genügend andere natürliche Beutetiere vorhanden, vergreifen sich Dingos nicht an Nutzvieh. Wenn ja, sind allgemein Rinder (mit Ausnahme ihrer Kälber) weniger gefährdet, während vor allem Schafe und Ziegen dem Dingo eher zur Beute fallen. Der Anteil der durch verwilderte - 13 Haushunde gerissenen Tiere ist schwer abzuschätzen und wird meist dem Dingo zugeschrieben. Dieser Bestandsanstieg war der Auslöser einer gnadenlosen Verfolgung und somit einer Bestandsreduktion. Weiterhin schwindet der Anteil reinblütiger Dingos durch die genetische Vermischung mit Haushunden. Es ist nicht leicht, die Größe der Dingobestände sauber zu erfassen: Viele der Hybriden sind phänotypisch nicht von „echten“ Dingos zu unterscheiden und somit durch reine Sichtbeobachtungen kaum zählbar; durch Schädelvermessungen weiß man, dass der Anteil reiner Dingos in den 1960er Jahren von 49% auf rund 17% in den 1980er Jahren sank und dass reinblütige Dingobestände regional erloschen sein können. Der australische Dingo ist vom Aussterben bedroht. Bis 1964 wurden Prämien für seine Erlegung gezahlt, und man verfolgte ihn gnadenlos mit Falle, Gift und Gewehr, weil man glaubte, er füge den Schafen großen Schaden zu. Diese scharfe Bejagung, wobei auch säugende Fähen nicht verschont wurden, seit Mitte des 19. Jahrhunderts ist einer der Gründe für die Umstellung auf die nächtliche Lebensweise des Dingos. Inzwischen hat es sich herausgestellt, dass es nicht der eigentliche Dingo ist, der Schafe reißt, sondern seine Mischlingsprodukte, hauptsächlich aus Verpaarungen mit großwüchsigen Schäferhundrassen, die auch dem Menschen gegenüber ein geringeres Scheuverhalten zeigen und durchaus aggressiv auftreten können. Durch Magenuntersuchungen an einer Reihe von getöteten Dingos fand man heraus, dass lediglich 4% der Mageninhalte aus Schaffleisch bestehen, der überwiegende Anteil waren Kaninchen. Diese Schafe werden zudem schwache, kranke oder schon verendete Tiere gewesen sein, die die Dingos hauptsächlich während der Dürre- und Trockenperioden erbeuten. Durch die Verfolgung des Dingos entstand der Schafzucht ein sehr viel größerer ökonomischer Schaden, als der durch direkten Schafraub verursachte: Die ebenfalls aus Europa eingeführten Kaninchen, die sich durch die reduzierten Dingobestände explosionsartig entwickeln konnten, fraßen den Schafen die wertvolle Grasnarbe weg und ließen viele einstmals bedeutende Weidegebiete versteppen und für die Schafzucht unrentabel werden. TRUMLER (1981) zitiert in diesem Zusammenhang „Eine noch unvollständige, zehnjährige Regierungsstudie hat bis jetzt ergeben, dass sich der Dingo hauptsächlich von Kaninchen, Kleinkängurus und anderen Grasfressern ernährt. Stirbt der Dingo aus, werden sich die Pflanzenfresser übervermehren und viel durchschlagender mit den Schafen Australiens ernährungsmässig konkurrieren. ... In der Tat, betrachtet man das mit den Augen eines Ökologen, dürfte der verdammte Dingo ein besserer Freund der Schafe sein“ (TIME, 25/11/1974). Die vor Jahrzehnten gehegte Hoffnung der Artenschützer, der Dingo können sich aufgrund seiner Vorsicht und Schlauheit den Nachstellungen durch die Schafzüchter gegenüber behaupten und er habe deswegen gute Überlebenschancen, haben sich leider als falsch herausgestellt. Erwachsene Dingos haben neben dem Menschen und anderen Hunden kaum Feinde; ihre natürlichen Haupttodesursachen sind Verhungern beziehungsweise Verdursten oder Verletzungen bei der Jagd, vielleicht auch Schlangenbisse. Sie leiden an den gleichen Krankheiten und Parasiten wie Haushunde; als parasitäre Erkrankung ist die Räude weit verbreitet. Eine Staupeepidemie 1969/70 dezimierte die Dingobestände im Norden. Durch scharfe Verfolgung durch den Menschen sind sie aus den Grasländern fast völlig verschwunden, da sie dort eine Gefahr für das Weidevieh darstellen. Einen Schutz für die Schafherden stellt der bekannte und 1946 fertiggestellte Dingo Fence (Abb. 7) im Süden Australiens dar, der Dingos (und wohl auch Füchse) von den Schafweiden fernhalten soll. Dieser 180 cm hohe Maschendrahtzaun hat eine Länge von 5.412 km und ist somit weltweit das längste Bauwerk, das mit erheblichem Aufwand unterhalten wird. Verantwortlich für seine Instandhaltung sind die angrenzenden Landbesitzer. In einigen Weidegebieten werden zum Schutz von Weidevieh Herdenschutzhunde (Maremmas), Esel und teilweise Alpakas eingesetzt; die Wirksamkeit dieser Maßnahmen wird kontrovers diskutiert. - 14 - Die ebenfalls nach Australien eingeführten Kaninchen waren Nahrungskonkurrenten für die Schafe; ihre explosionsartige Vermehrung ließ ebenfalls die Dingobestände (und ebenfalls die Fuchsbestände) stark anwachsen, da sich Dingos bis zu 80% von Kaninchen ernährten. Als diese Kaninchenbestände aufgrund von Krankheiten zusammenbrachen, stellten die Dingos verstärkt den Schafen, insbesondere den Lämmern nach. Dieser Zaun, der ebenfalls Füchse fernhielt, trennte das südliche Schafzuchtgebiet ab. Weitere ökologische Auswirkungen des Zauns auf die Fauna Australiens sind umstritten, es wird davon ausgegangen, dass dieser Dingo Fence die noch relativ ursprünglichen Dingobestände des Nordens vor einer Vermischung mit den Haushunden im dichter bewohnten Süden Australiens bewahrt. Man kann vermuten, dass die Kontroll- und Unterhaltungskosten eines derart langen Gebildes die die durch Dingos angerichteten Schäden bei Weitem übersteigen. Abb. 7a: Der Dingozaun Abb. 7b: 5.412 km lange Dingozaun 2.3 Gefahr für den Menschen? Dingos der freien Wildbahn greifen im Normalfall den Menschen nicht an, sondern zeigen eher ein ausgeprägtes Scheuverhalten (Ausnahmen sind vor allem die Nähe von Campingund Rastplätzen) - dennoch wird ihnen nachgesagt, dass sie Babys und sogar Kleinkinder stehlen sollen, was leider nicht ausgeschlossen ist. Zuletzt wurde ein solcher Fall 1980 aus Zentralaustralien gemeldet und ein Dingo für das Verschwinden eines kleinen Mädchens verantwortlich gemacht, das er aus einem Zelt weggeschleppt haben sollte. Dieser Tatbestand wurde vom Gericht in den ersten Verhandlungen bezweifelt, und die Mutter des Mädchens wurde wegen Mordes an ihrem Kind zu lebenslanger Haft verurteilt. Man ging damals davon, dass Dingos keine Bedrohung für den Menschen seien. Dieser Vorfall wurde 32 Jahre später nochmals vor Gericht erneut verhandelt, und da nun ein Dingo als Täter identifiziert werden, kam die Mutter frei (DIE WELT 12/06/2012). Wenig später wurde in der internationalen Presse berichtet, dass ein deutscher Tourist auf Fraser Island von einem Dingo attackiert und schwer verletzt worden sei (DIE WELT 28/07/2012). Die Dingos, vor allem auf Fraser Island, aber auch in anderen Regionen mit hohem Tourismusaufkommen, haben ihr natürliches Scheuverhalten weitgehend verloren (Abb. 8). - 15 - Abb. 8a: Die Dingos auf Fraser Island haben ihre Scheu verloren Abb.8b: Warntafel auf Fraser Island „An aggressive dingo frequents this area Die Dingos waren und sind immer wieder in Gefahr, gezielt, vorsätzlich und mit behördlicher Genehmigung oder gar Anordnung ausgerottet zu werden: Durch die internationale Presse ging im Mai 2001 die Nachricht, dass es auf der australischen Ferieninsel Fraser Island (vor der Küste Queenslands) zu einem von zwei Dingos verursachten schrecklichen Unfall gekommen sei, bei dem ein neunjähriger Junge getötet und sein siebenjähriger Bruder schwer verletzt wurde. Dieser Unfall wurde - gerade von Freunden der Dingos - zutiefst bedauert und seine wahren Hintergründe wurden gründlich und mit der gebotenen Sachlichkeit untersucht, um einer Wiederholung eines solchen Zwischenfalls vorzubeugen und gleichzeitig die Gründe für das Verhalten der Dingos sachlich beschreiben zu können. Was war passiert? Nach den vorliegenden Informationen trug die Verkettung mehrerer unglücklicher Umstände zu dieser Tragödie bei. Einer der Hauptgründe ist zweifellos, dass Touristen auf Fraser Island gegen alle Verbote die Dingos füttern. Hierdurch wurde das den Dingos angewölfte starke Scheu- und Meideverhalten dem Menschen gegenüber reduziert und lässt sie rund um die Campingplätze die Nähe des Menschen suchen, weil sie ihn mit Futter assoziieren. Das gleiche Problem also, das wir z.B. aus den nordamerikanischen Nationalparks mit ihren um Futter bettelnden Schwarzbären kennen, wo es auch immer wieder zu schweren bis tödlichen Unfällen kommt. In USA werden in den Nationalparks angefütterte Bären eliminiert, da sie tatsächlich eine potentielle Gefahr für die Besucher sind. Aber es wurde als Konsequenz nie die Ausrottung der Bären gefordert! Wie bekannt wurde, verließen die beiden Jungens unbeaufsichtigt am frühen Morgen das Camp und näherten sich einem Wurflager, was den Angriff der Dingos provozierte und was als natürliche Verhaltensweise kaum als eine „Bösartigkeit“ zu werten ist. Das Verhalten von Dingos ist das natürliche Verhalten von Hunden und sie handeln nach einem ihnen angeborenen Verhaltensmuster d.h. in diesem Fall, sie wollten ihre Welpen vor einer vermeintlichen Gefahr schützen. Unfälle von Menschen und Hunden passieren bedauerlicherweise nur zu oft; hierbei stellt es sich immer wieder heraus, dass der Mensch letztlich der Schuldige ist. Inzwischen ist das Füttern von Dingos auf Fraser Island strengstens verboten; eine Fotografin, die sich nicht an dieses Verbot hielt, wurde zu einer Geldstrafe von 40.000 A$ (28.000 €) verurteilt (04/11/2009 Süddeutsche.de). Die Dingopopulation auf Fraser Island ist wegen des Fütterns der Tiere unnatürlich hoch und beträgt ein Vielfaches von der Populationsdichte unter den Bedingungen der freien Wildbahn; Dingos brauchen unter den harten Lebensbedingungen des australischen „Outbacks“ Hunderte von Quadratkilometern als Lebensraum, auf der relativ kleinen Ferieninsel Fraser Island (1.840 km²) wird die Dingopopulation auf rund 300 Köpfe geschätzt (0,16 Dingos/km², bezogen auf die Gesamtfläche). Weiterhin ereignete sich der Unfall zu einem Zeitpunkt, als Welpen da waren, also zu einer Zeit, in der die Althunde leicht erregbar sind und auch ag- - 16 gressiv reagieren können. Besonders die Rüden zeigen während dieser Zeit einen ausgeprägten Schutztrieb in der Nähe der Wurfhöhlen. Für den Zeitraum 1996 bis 2001 wurden 279 Zwischenfälle mit Dingos auf Fraser Island bekannt, von denen 39 als „schwer“ und einer als „katastrophal“ eingestuft wurden. In Australien bahnt sich seitdem die gleiche Diskussion über Hunde und die von ihnen angeblich für Menschen ausgehende Gefahr an, wie sie in Deutschland schon seit einiger Zeit geführt wird. Bislang sind dabei reinblütige Dingos selten auffällig geworden. Die Ausrottung der gesamten Dingopopulation auf Fraser Island als Konsequenz des schrecklichen Unfalls im Jahre 2001, wie damals von dem Premier Minister von Queensland angeregt, erinnert an die bundesdeutsche Kampfhundhysterie. Letztlich - wie fast immer bei Unfällen von Mensch und Hund - war menschliche Ignoranz und menschliches Fehlverhalten die wahre Unfallursache! Die von populistischen Politikern verlangte Ausrottung der Dingos (nicht nur) auf Fraser Island ist keine adäquate Lösung, um Kinder vor solchen Angriffen schützen. Genau so wenig darf es in Deutschland sein, dass die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse, die Schulterhöhe oder das Gewicht eines Hundes darüber entscheiden, ob er gefährlich ist und deshalb abgeschafft werden muss. Liegt hier ein unterschwelliger Rassismus vor - der Dingo als der „Köter“ der verachteten Ureinwohner? Die Anzahl der durch Dingos verunfallte Menschen ist im Vergleich zu anderen Gefahren der australischen Natur äußerst gering und zu vernachlässigen: Jedes Jahr fallen in australischen Küstengewässern rund 70 Menschen der Würfelqualle (Chironex fleckeri), einem der giftigsten (Meeres-)Tiere überhaupt, zum Opfer. Weitere werden durch die in Australien häufigen und extrem gefährlichen Schlangen (u.a. den Taipan), die riesigen Leistenkrokodile sowie Gliedertiere (insbesondere die bis in die städtischen Vororte vorkommenden Trichternetzspinnen) getötet. Die Ausrottung der Dingos hier macht keinen Sinn, ist ethisch nicht vertretbar und aus Artenund gleichzeitig Tierschutzgründen nicht haltbar. Niemand wird bezweifeln, dass es gefährliche Hunde gibt, vor denen die Gesellschaft geschützt werden muss. Dies hat aber mit der betreffenden Rasse nichts zu tun - es ist immer nur das Individuum, welches gefährlich ist. Gleichgültig, ob in Australien oder anderswo und ob es sich hierbei um einen Dingo, einen AmStaff oder einen Golden Retriever handelt. 2.4 Der Dingo in Menschenhand Dingos sind als typische Caniden ungemein anpassungsfähig und besiedelten ehemals fast alle Lebensräume in Australien, von feuchtheißen Regenwäldern über die trockenen Wüsten im Zentrum Australiens bis hin zu den schneebedeckten Australischen Alpen im Osten. Sie können sich auch, allerdings nicht in dem Masse wie ein herkömmlicher Rassehund, dem Menschen anpassen und mit ihm zusammenleben. Der Dingo ist bis heute das einzige Haustier einer ganzen Anzahl verschiedener Stämme der Aborigines. Er erfüllt Aufgaben, von denen wir vermuten oder auch wissen, dass unsere Hunde zu Beginn der Domestikation ähnliche Aufgaben hatten. Allgemein ist er bei vielen ethnischen Gruppen Australiens kein Jagdhund. Generell gelten Primitivhunde als wenig brauchbare Jagdgenossen: Dingo und Aborigine sind zwar beide für sich ausgezeichnete Jäger, sie jagen aber nicht gemeinsam (Abb. 9a). Die Aborigines nutzten die Dingos bestenfalls zum Aufspüren von Kleintieren. Berichte aus dem vergangenen Jahrhundert über den Dingo als Jagdhelfer beschreiben wohl eher Dinohaushundmischlinge. KUNHENN (1952) beschreibt (allerdings ohne Quellenangabe und nach unserem aktuellen Wissensstand nicht ganz glaubwürdig und ein wenig rührselig) die Bedeutung des Dingos für die Einheimischen: „Als Gehilfen dienen überall im Lande die australischen Hunde. Die Jäger fangen wilde Dingos ein, zähmen sie und gewöhnen sie an sich. Diese scharfsinnigen Tiere leisten auf der Jagd ganz ausgezeichnete Dienste. An diesen treuen Jagdgefährten hängt der Australier mit wahrer Liebe. Nicht selten sind sie ihm ebenso teuer wie die vertrautesten Familienangehörigen. Ein Jäger kann bittere Tränen vergießen, wenn einem seiner vierbeinigen Lieblinge etwas zugestoßen ist. In neuerer Zeit ha- - 17 ben die Dingos immer mehr europäischen Hunderassen den Platz überlassen müssen, weil bei ihnen das oft langwierige Zähmen und Eingewöhnen fortfällt.“ Auch bei den frühen europäischen Hunden gibt es Hinweise, dass sie erst zu einem relativ späten Zeitpunkt in ihrer Geschichte die Jagdkumpane des Mannes wurden, sondern zunächst vor allem soziale Aufgaben erfüllten. Ebenfalls wurden bis in unsere Zeit Dingos nächtens als „Wärmekissen“ benutzt, vermutlich eine der ältesten Verwendungsformen des Hundes (neben seiner Rolle als Wachhund und als Nahrungsreserve) für den menschlichen Komfort, die wir in allen kalten Klimaten der Abb.9a Aborigines mit ihren Dingos Erde bei noch ursprünglich und naturnah im Northwestern Territory, 1957 lebenden Völkern wiederfinden können. Die Hunde werden am Lager gehalten, haben vor allem Wachfunktion, sind beliebte Spielgenossen für die Kinder (Abb. 9b/9c), lebender Fleischvorrat, beseitigen organische Abfälle und menschliche Faeces rund um die Lagerplätze, und sie folgen den Clans auf ihren oft ausgedehnten Wanderungen. Abb. 9b/9c: Dingos als Spielkameraden und Sozialpartner der Kinder Offensichtlich unterlagen Dingos keiner gezielten Nutzung. Für viele der Clans haben Dingos eine besondere Bedeutung als Totemtiere und erscheinen auch immer wieder auf alten Felsgravuren und –bildern (Abb. 10) und auf den berühmten vergänglichen Sandbildern, deren Motive so alt sind wie die Kunst der „Traumzeit“ der Aborigines, und Dingos und deren Verhaltensweisen werden in den Tänzen der Ureinwohner nachgeahmt. GROSSMANN (1995) vermutet, dass bei indigenen Völkern weltweit Hunde eine Brücke zwischen Mensch und Natur, zwischen Magie und Logik einnehmen. Hunde sind für die australischen Ureinwohner möglicherweise die Verbindung zu mächtigen Naturkräften, die der Mensch verstandlich nicht fassen kann. Sie sind außerdem Wachhunde, die die Menschen vor bösen Geistern beschützen. Ungeachtet dessen wurde Dingofleisch bis vor rund hundert Jahren von den Aborigines gegessen. - 18 Vielleicht diente der Dingo mit seinen sozialen Verhaltensweisen den frühen Australiern – unbewusst – als Modell einer Gesellschaft unter extremen Lebensbedingungen. Von jung an aufgezogen und gut auf den Menschen sozialisiert, werden Dingos äußerst anhänglich. Sie bei uns zuhause zu halten ist praktisch nicht möglich, da sie oft unter starken Separationsängsten leiden und versuchen, mit aller Macht zu uns zu kommen, wenn wir sie einmal alleine gelassen haben. Hierbei kennt der Dingo wegen seiner stark ausgeprägten Problemlösungsfähigkeit keiAbb. 10: Felsbild eines Dingos ne Hindernisse und er weiß immer auch (Nord-Queensland) sonst sehr gut, seine momentanen Interessen durchzusetzen. Er ist sehr lernbegierig und aufnahmefähig, wendet das Gelernte aber nur dann an, wenn er einen Sinn darin sieht und er es selbst will. Eine gezielte Ausbildung ist kaum möglich; in keinster Weise ist er unterwürfig und schon deshalb für den herkömmlichen „Hundesport“ mit Hetzarm und viel Geschrei völlig ungeeignet geeignet. Dennoch gilt die liebevolle Charakteristik des Hamburger Tierpflegers Karl Peter: „Das Verhalten ist durchaus haushundartig. Unser Dingo übertrifft alle von mir bisher gehaltenen Hunde an Vertrautheit, Anhänglichkeit und Klugheit“. Die durch das geringe Domestikationsniveau bedingte Eigenständigkeit des Dingos, der ihn aber auch immer aus der Haltung ausreißen und wieder den Einfluss des Menschen verlassen ließ, ist vielleicht einer der Gründe, dass der Dingo niemals mehr einer „Neudomestikation“ unterlag, und GROSSMANN (1995) vermutet „Sie dürften den ersten Hunden ähnlicher sein als alle anderen in unserer Welt“. Eberhard Trumler, wohl seinerzeit der beste Dingokenner im deutschen Sprachraum, warnt aus eigener Erfahrung vor der Dingohaltung: „Man kann nicht von „Frechheit“ sprechen – ich halte das für Klugheit. Diese Klugheit hat mich schon viele Nerven gekostet, sie ist einer der Gründe, warum ich die Dingohaltung nicht empfehle.“ Die Haltung von Dingos in Privathand ist auch in Deutschland verboten, obwohl er ja kein Wild-, sondern ein echtes Haustier ist. Trotz allem sollte keinesfalls gefordert werden, dass er in den Stand einer neuen Hunderasse erhoben wird: Hierdurch würde einmal der Schutzstatus der letzten freilebenden Dingos als eine Erscheinungsform des Haushundes wegfallen; zum anderen würden diese herrlichen und ursprünglichen Hunde mit Sicherheit in wenigen Generationen den Torheiten von Rassestandarden und ähnlichen Anforderungen an eine „Schönheitszucht“ zum Opfer fallen. Der Dingo hat sich zwar in den letzten Jahrzehnten vom geächteten Köter der Ureinwohner zum australischen Nationalhund („Australian Native Dog“) gemausert, dennoch wurde „Dingo“ als Schimpfwort die schlimmste Beleidigung geblieben (abwertende Bezeichnung für eine verschlagene und unzuverlässige Person), die man „down under“ kennt. - 19 3. Der Hallstromhund – Eine Dingoform von Neuguinea Der Vollständigkeit halber soll an dieser Stelle eine bislang relativ unbekannte und wenig beachtete Sonderform des Dingos kurz vorgestellt werden, der „Neuguinea-“ oder „Urwalddingo“ mit seinem korrekten Namen „Hallstromhund“ genannt. Ausführliche Berichte in der älteren Literatur liegen zwar bereits seit langem vor, jedoch wurde er erst sehr spät von der Kynologie als eigenständige Hundeform erkannt (Abb. 11). Dieser für die Wissenschaft erst 1956 im Hochland von Neuguinea durch einen Mitarbeiter des Taronga Zoos in Sydney namens Hallstrom entdeckte und von Troughton beschriebene und nach seinem Entdecker benannte Hund konnte bald darauf im Zoo von Sydney angesehen werden. Troughton hielt ihn zunächst für einen echten Wildhund, und er bekam aus deshalb den eigenen wissenschaftlichen Namen Canis hallstromi. Inzwischen hat es sich herausgestellt, dass auch der HallAbb. 11: Neuguinea-Dingo (New Guinea Singing Dog) stromhund ein dem im Zoo von Sydney australischen Dingo nahestehender und wieder teilweise verwilderter Haushund mit extremen Jagdtrieb ist. In der aktuellen Nomenklatur wird er dem Dingo beigeordnet und als Haushund klassifiziert: Canis lupus dingo. Auch TRUMLER (1981) hielt „ ... den Neuguinea-Dingo ... zwar für einen echten Dingo - bei dem allerdings die Haustierwerdung in Richtung spitzartiger Hunde schon weitergegangen war, ehe er verwilderte ... “. Berichte über ihn und seine Beziehungen zu den Menschen liegen zwar bereits seit langem vor, so u.a. in den Tagebuchaufzeichnungen eines Plantagenverwalters der deutschen Kolonialzeit im heutigen Papua Neuguinea (VIEWEG, 1906-09), jedoch wurde er erst sehr spät von der Kynologie als eigene und uralte „Landrasse“ erkannt und wissenschaftlich beschrieben. Man hielt ihn zunächst für einen echten Wildhund, und er bekam von TROUGHTON (1957) den wissenschaftlichen Namen Canis hallstromi; erst Jahre später wurde er von dem Kieler Zoologen SCHULTZ (1969) als Haushund erkannt. Inzwischen hat man über archäologische Funde herausgefunden, dass es auf Neuguinea seit mindestens 5.500 Jahren Hunde gibt, die mit südostasiatischen Seefahrern dorthin gelangt sein müssen. Generell ist der Neuguinea-Dingo etwas kleiner als sein australischer Verwandter, er ist bei gedrungenem Körperbau maximal mittelgroß und hat einen mehr keilförmig/fuchsähnlichen und leicht schlitzäugigen Kopf mit Stehohren. Rüden Hündinnen Schulterhöhe 35-46 cm 32-42 cm Gewicht 9,0-14,5 kg 8,5-12,5 kg wikipedia (modif.) Das rostfarbene Fell ist zumeist glatt, es kann aber auch braun, schwarz oder gelblich gefärbt sein. Auch dieser Dingoform hat kein variables Bellen, sondern eher ein wölfisches Wuffen; neben einem melodischen Heulen gibt es ein ganzes Repertoire weiterer Lautäuße- - 20 rungen. Das synchronisierte Heulen dient wahrscheinlich dem Zusammenrufen vor einer gemeinsamen nächtlichen Jagd, da sie keine permanenten Rudel bilden. Der Hallstromhund gilt als guter Kletterer, da er – vergleichbar mit dem skandinavischen Lundehund – seine Beine fast rechtwinklig abspreizen kann und durchaus Bäume erklettern kann. Er ist hervorragend an die extremen Klimabedingungen seiner Heimat im Bergland von Neuguinea angepasst, wo er in Höhenstufen bis zu 4.500 m die Wälder besiedelt. Während er im Tiefland mit dem Menschen lebt, gibt es daneben einen sekundär verwilderten Hallstromhund in der kühlen Bergregion Neuguineas; diese Hundeform entwickelte als Anpassung an den Lebensraum ein dickeres und längeres Fell mit dichter Unterwolle. Im Gegensatz zu den meisten Stämmen der Aborigines hielten die Papuas ihre Hunde als Jagdhunde (Abb. 12: „These hunters rely upon their dogs to hunt tree kangooroos, cuscus, and feral pigs. The dogs are derived from the semi wild New Guinea singing dog, which is a dingo that evolved to live in the New Guinea Highlands“ www.retrieverman.net), wobei - nach VIEWEGs Berichten - die Tiere quälerischen Prozeduren unterworfen wurden, um angeblich ihre jagdlichen Einsatzmöglichkeiten zu verbessern. So wurden zur Schärfung ihres Geruchssinnes bei den Stämmen in der damaligen deutschen Kolonie den Hunden stachelige Ranken um die Schnauzen gebunden und man stocherte mit angespitzten Stäben in ihren Nasenlöchern, um sie mit dem abfließenden Blut von einem - wie man glaubte - den Geruchsinn beeinträchtigenden „Seelenstoff“ zu befreien. Spürte der Hund trotz dieser Prozedur nicht mehr Wild auf, so wanderte er statt dessen in den Kochtopf. Diese Hunde werden im Normalfall (mit Ausnahme von den jagdlich eingesetzten Hunden, die ihren Anteil an der Beute bekommen) nicht gefüttert, sondern müssen sich ihre Nahrung stehlen oder aber um die Dörfer selbst suchen, was sie natürlich immer wieder verwildern ließ. Eine Bereitschaft zur Unterordnung ist nicht zu erkennen, sie können allerdings sehr enge Bindungen zu Menschen (Kindern) eingehen. Sie bewegen sich in den Dörfern auf der Suche nach Nahrung völlig frei; bei der Nahrungswahl sind sie Generalisten (kleine Beuteltiere, Nager, Vögel) und verschmähen Aas nicht. Reichlich gefüttert wurden sie in der Obhut der einheimischen Papuas allerdings, um bei einem Festschmaus ihrer Besitzer serviert zu werden, wie SCHMIDT (1898) über den Hallstromhund berichtet „ ... eine dem europäischen Haushund ähnlicher als dem Dingo Australiens gestaltete Hundeart werden von den Eingeborenen gezüchtet und verzehrt.“ Die ihnen ausgebrochenen Abb. 12: Jäger von Neuguinea Zähne dienten und dienen teilweise heute noch als Schmuck, in früheren Zeiten auch als Zahlungsmittel. Mit fortschreitender Zivilisation der Papuas und dem damit verbundenen Wandel ihrer Lebensweise ist auch der Neuguinea-Dingo zumindest selten geworden, wenn nicht sogar vom Aussterben bedroht. Die Eipo, ein pygmäenhafter Stamm im West-Neuguineas (die Eipodörfer findet man in Höhen zwischen 1.600 – 2.100 m), halten Neuguinea-Dingos als Jagdhunde, zu denen sie ein inniges Verhältnis haben, wie EIBL-EIBESFELDT (1993), der bei ihnen ethnologische Studien betrieb, zu berichten weiß: „Zu Hunden haben die Eipo eine spezielle Beziehung. Män- - 21 ner herzen und küssen sie und sprechen zu ihnen in <Babysprache>. Mütter legen in den ersten Lebensmonaten ihres Säuglings einen kleinen Hund in das Netz zu ihrem Kind. Sie sagen, schwache Seelen stützten einander! Es dürfte wohl auch ein praktischer Grund dahinterstecken: Der kleine Hund dient zugleich als Wärmflasche für den Säugling. <Kam> heißt in der Sprache der Eipo übrigens sowohl Hund als auch Leben. Die ersten Hallstromhunde kamen 1976 aus dem Zoo von San Diego/USA nach Deutschland (Institut für Haustierkunde/Universität Kiel); eine Haltung als normaler Haushund gilt als kaum möglich. In zoologischen Gärten und ähnlichen Einrichtungen werden – genau wie Dingos - kaum noch Hallstromhunde gezeigt, da sie wegen ihrer Haushundähnlichkeit keinen „Schauwert“ haben. Da es seit Jahrzehnten keine bestätigten Sichtungen mehr gegeben hat, ist es zu befürchten, dass diese Hundeform in freier Wildbahn ausgestorben ist; der Neuguinea-Dingo ist nicht geschützt. 3.1 TRUMLERs Suche nach dem Urhund: Die Shiba-Dingos Eberhard Trumler (1923 - 1991) schuf in „Wolfswinkel“ eine Forschungsstation, wo neben der Erforschung des Sozialverhaltens unserer Hunde auch Domestikationsprozesse untersucht werden können, und zwar nicht museal an den Knochen längst vermoderter Exemplare, sondern an lebendigen Hunden, zu denen wir Kontakt aufnehmen und die uns eine Fülle an Erkenntnissen geben („ ... sowie das Studium der Domestikationsprozesse selbst ...“ - lt. Vorgabe der Satzung der „GfH“). Eine kynologische Kostbarkeit waren im Rahmen der Trumler’schen Forschungsarbeiten die liebenswerten Mischlingshunde von Shiba Inu und Neuguinea-Dingo. Trumler kam bei seiner Suche nach dem Ursprung nahestehenden Hunden 1989 auf die Idee, seine Neuguinea-Dingo-Hündin mit dem Rüden „Che“ zu verpaaren. Che war ein echter Shiba Inu, wahrscheinlich der erste Shiba überhaupt, der nach Deutschland kam und dann in Wolfswinkel landete (Che starb 2000 im Alter von 14 Jahren). Trumler hatte so mit der Hallstromhündin ein Muttertier, das am Anfang der Geschichte unserer Haushunde stand und mit Che als Vaterrüden einen Hund, der nur wenige Domestikationsschritte von den Ursprüngen seit Art anzusiedeln war. Aus dieser Verpaarung erhoffte sich Trumler Welpen, die modellhaft als eine Übergangsstufe zwischen ganz ursprünglichen Hunden und Hunden einer niedrigen Domestikationsform eingeordnet werden können. Vergleichbar sind diese Experimente mit den „Rückzüchtungen“ alter Haustierrassen (das bekannteste Beispiel ist das „Heckrind“ als neue Rinderrasse); die Ergebnisse dieser Experimente sind tatsächlich keine Rückzüchtungen, sondern die Schaffung einer neuen Form, die phänotypisch und vom Verhaltens den ursprünglichen Formen stark ähnelt. Die Shiba Inu („Inu“ ist das japanische Wort für „Hund“) gehören zu der im Erscheinungsbild relativ homogenen Gruppe der Japanischen Spitze - die als Nordische Hunde mit den eigentlichen Spitzen allerdings nicht verwandt sind. Diese Hunde kamen bereits vor rund 6000 Jahren mit den ersten Einwanderern von Asien (Vorfahren der heutigen Ainu auf Hokkaido) auf die japanischen Inseln, und die Japaner bezeichnen ihn als die älteste einheimische Hunderasse. Auch der Shiba ist ein Hund, der auf der Leiter der Domestikation eher auf den unteren Stufen zu suchen ist. Züchterisch ist - bis in allerjüngste Vergangenheit - weder an seinem Äußeren noch an seinem Wesen viel manipuliert worden, so dass seine alten Schläge noch als „Urhunde“ bezeichnet werden können. Er ist der kleinste Vertreter der indigenen japanischen Hunde, mit fuchsähnlichem Kopf und kräftiger Ringelrute. Sein intaktes Sozialverhalten lässt ihn sich seinem „Menschenrudel“ eng anschließen, wobei er Fremden gegenüber sich eher reserviert zeigt. Ursprünglich war und ist der Shiba Inu ein vielseitiger Hund, der als Jagdgehilfe von Feder- über Schwarzwild bis hin zu Braunbären einsetzbar ist. Gegenüber ihren teilweise sehr wehrhaften Beutetieren zeichnen sie sich durch enormen Schneid aus, der sie immer wieder angreifen und so das Wild stellen, bzw. auch in Richtung der Jäger treiben lässt. In ihren Jagdtechniken und ihrer bedingungslosen Schärfe erinnern sie an unsere Jagdterrier alten Schlages. - 22 - Die Shiba-Dingos von Wolfswinkel waren eine der Lieblingsgruppen der zahlreichen Besucher der EBERHARD TRUMLER-STATION in Wolfswinkel: Die Hunde waren außerordentlich menschenbezogen und freuten sich über jeden Besuch in ihrem Gehege. Ihr Habitus war der des typischen Nordischen Hundes, und man hatte leicht den Eindruck, so könnte der Urtyp einiger Hunde aus diesem Rassekreis ausgesehen haben, etwa der Karelische Bärenhund, der Sibirische Laika oder ein Kurzhaar-Chow (Abb. 13). Als Erbe der Mutter war ihr Bellen schwach entwickelt und selten zu hören - es ähnelt noch am ehesten einem unartikulierten Wuffen; andere Vokalisationen wie Heulen, vielseitige Knurrund schreiende Klagenlaute bei den Raufereien sowie das Winseln waren wesentlich häufiger zu hören. Die Ergebnisse einer Untersuchung über die Lautgebung der Shiba-Dingos wurden im Rahmen einer Diplomarbeit untersucht (MEHWALD, 1998). Das Gehege der Shiba-Dingos war, entsprechend der in Wolfswinkel konsequent umgesetzten Ideen Trumlers, geräumig und naturbelassen. Für die vier Hunde standen rund 250 m² strukturiertes Gelände zur Verfügung, das durch eine üppige Vegetation, durch alte Obstbäume und einen Tümpel sich auszeichnet. Ihren stark ausgeprägten Jagdtrieb konnten sie auf der Rattenjagd ausleben; die Ratten wurden durch die in den Gehege liegenden Futterreste angelockt. Den Hunden stand zwar als Schutz vor der manchmal sprichwörtlich rauen Witterung des Westerwaldes eine Hütte zur Verfügung, ihr Lieblingsaufenthalt war aber ein umgeknickter alter Obstbaum, in dessen Geäst sie - Hallstromhunde besitzen ein enormes Klettervermögen - Schutz vor dem nasskalten Erdboden und dem feuchten Gras suchten. Abb. 13: Shiba-Dingo in Wolfswinkel Diese sympathischen und interessanten Tiere erlaubten einen Blick in die frühe Geschichte der Haushunde; sie waren zwar Kunstprodukte, aber nicht in Form einer auf fossilen Knochenfunden basierenden Computeranimation, sondern quicklebendige und liebenswürdige Wesen mit eigenem Temperament und Charakter. - 23 4. Hat der Dingo eine Zukunft? The Dingo is an integral part of the Australian ecology and our National Heritage. It must be preserved and protected both in captivity and in the wild ... ANDCS (2001) Australian Native Dog Conservation Scociety (ANDCS) Limited, 590 Arina Road (PO Box 91) Bargo NSW 2574, Australia Auf religiöse Vorstellungen der Aborigines wurde bei den Vernichtungskampagnen für die Dingos lange Zeit keine Rücksicht genommen. Als seit Jahrtausenden einheimisches Tier und wichtiger Bestandteil ursprünglicher und noch wenig gestörter Ökosysteme ist der reinblütige Dingo Australiens absolut schützenswert; eine der ganz großen Bedrohung für diese Canidenart ist vor allem die Vermischung mit Rassehunden; er wurde deshalb bereits 2004 von der IUCN (International Union for Conservation of Nature) als „vulnerable“ klassifiziert. Vorgeschlagen wurden verschiedene Maßnahmen, u.a. die Ausweisung von Schutzgebieten (z.B. Inseln), die dem reinblütigen Dingo als Rückzugsgebiete dienen können und wo sich die Art erhalten kann. Ein weiterer bemerkenswerter und origineller Vorschlag in einem Managementplan (2005) diskutiert, wie das Überleben des Dingos gesichert werden könnte. Bevor man eine Art schützt, muss diese taxonomisch eindeutig beschrieben werden; das ist aber beim Dingo nur sehr schwer möglich, da die Möglichkeit der Hybridisierung immer gegeben ist. Anstelle den Dingo mit Hilfe komplizierter und nicht immer zuverlässiger Untersuchungsmethoden als „Art“ zu definieren, sollte man sich eher auf „ ... die kulturelle, wirtschaftliche oder Ökosystemfunktion des Dingos konzentrieren, anstatt auf sein Aussehen.“ Das würde bedeuten, dass z.B. im Arnheimland Dingos (notfalls ähnlich aussehende Hybriden) als für die dortigen Stämme bedeutsame Totemtiere erhalten bleiben; auf Fraser Island unter wirtschaftlichen Aspekten (Touristen wollen Dingos sehen), in den Nationalparks werden sie wegen ihrer wichtigen Rolle als Top-Predatoren innerhalb des Ökosystems erhalten – eine Vermischung soll durch die Errichtung einer hundefreien Zone rund um den jeweiligen Park zuverlässig verhindert werden. Seit 1996 ist die Haltung in Privathand von Dingos im Bundesstaat Victoria erlaubt und erkennt den Dingo als Haushund an. Andere Bundesstaaten tolerieren die Haltung von kastrierten Individuen bei entsprechenden Maßnahmen, wie z.B. Haltung hinter Elektrozäunen. Wenn der Dingo von seinen Feinden und deren Lobby immer noch als Schädling und Fremdkörper bezeichnet wird, so zeichnen sich deutliche Parallelen zu dem in seine angestammte Heimat zurückkehrenden Wolf und seinem Ansehen in Deutschland auf! Als Rasse sind die Dingos international nicht anerkannt, lediglich der „Australian National Kennel Council“ machte aus ihm 1994 eine eigene Rasse. Ist es denn überhaupt anzustreben, dass der Dingo zum Rassehund wird? – Ich meine nein: Sollte eine Anerkennung erfolgen, besteht einmal die Gefahr, dass die letzten wild lebenden Dingos ihren ohnehin gefährdeten Schutzstatus als Wildtier verlieren. Weiterhin würde durch die Zucht auf einem zu befürchteten schmalen genetischen Grat sowie der Etablierung eines fragwürdigen Rassestandards dann der alte Dingo nur noch im Namen der neu geschaffenen Rasse wiederzufinden sein. LORENZ (1965) meinte in diesem Zusammenhang: „Überaus schlimm wird jedoch die Sachlage, wenn die allmächtige Tyrannin Mode, dümmste aller dummen Weiber, sich anmaßt, dem armen Hunde vorzuschreiben, wie er auszusehen hat.“ Knapp zwanzig Jahre später befürchtet TRUMLER (1984) in diesem Zusammenhang: „Was weiterhin aus einer Hunderasse wird, wenn sie von Hundevermehrern geschäftlich genutzt wird, sehen wir mit erschreckender Deutlichkeit an der Degeneration unserer durch zahllose Erbmängel belasteten und überzüchteten Rassehunden!“ Der ursprüngliche Dingo ist ein einzigartiges Tier und erlaubt uns einen kynologischen Blick in die frühe Geschichte der Domestikation. Als uraltes Kulturgut ist er absolut schützenswert; er wird aber in seiner Ursprünglichkeit nicht überleben, wenn er als Rassehund in Mode kommt und nach dem jeweiligen Zeitgeschmack züchterisch umgeformt und in seinem Wesen vergewaltigt wird. Auf eine weitere Gefahr weist Eberhard Trumler hin: „Ist der Dingo - 24 nämlich weltweit als Rassehund einmal anerkannt, wird sich die Australische Regierung keineswegs mehr genötigt sehen, die letzten freilebenden Vertreter seines Geschlechtes wirkungsvoll gegen alle ungerechtfertigten Nachstellungen zu schützen.“ Das Aussterben ursprünglicher Hunderassen kann auch für unsere aus Hochleistungszuchten stammenden Rassen eine potentielle Gefahr darstellen: In der modernen Rassezucht geht die genetische Vielfalt unserer Hunde durch Engzucht und Leistungsselektion auf ein bestimmtes Merkmal immer mehr verloren, und diese Genverluste sind unersetzlich. Bei einigen Rassen wurden Defekektvarianten zur Norm erhoben, und das ganze wird dann zu einem höchst fragwürdigen „Rassestandard“ erklärt. Vielleicht wird man eines nicht mehr allzu fernen Tages wieder auf den Genpool der Alt- und Straßenhunde zurückgreifen müssen, um unseren Rassehunden eine dringend notwendige Blutauffrischung zukommen zu lassen. Wird der Dingo zu einem Rassehund, wird ihm das gleiche Schicksal wie anderen widerfahren, und er wird als Sofarutscher zu seiner eigenen Karikatur verkommen! Um den Erhalt nicht nur des Hallstromhundes, sondern auch um andere Urhundformen, kümmert sich u.a. eine Organisation in Georgia/USA, die ADANA (Aboriginal Dog Association of North America). ZIMEN definierte einmal: Nichts ist endgültiger als der Artentod. -- Mit dem Verschwinden der Dingos wäre unsere Welt nicht nur um eine faszinierende Tierart ärmer, sondern auch und genauso bedauerlich - um ein Stück Kulturerbe: Der Dingo erlaubt einen direkten Blick in die ferne gemeinsame Vergangenheit des uralten und überaus erfolgreichen Gespannes Mensch-Hund. - 25 5. Zitierte und weiterführende Literatur Anmerkung: Aus Gründen einer flüssigeren Lesbarkeit wurde im laufenden Text zumeist auf die Angabe der jeweilig zitierten Autoren verzichtet, es sind jedoch alle verwendeten Quellen sowie weiterführende Literatur untenstehend aufgezeichnet. 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Jahrhunderts, gründete die „Gesellschaft für Haustierforschung“ und die international bekannte Forschungsstation „Wolfswinkel“ im nördlichen Westerwald. Er schrieb eine ganze Reihe von Büchern, die zum Besten gehören, was je über Hunde publiziert wurde; unter ihnen „Meine wilden Freunde - Die Wildhundarten der Welt“, ein Buch, das lange vergriffen war und nun seit einem Jahrzehnt wieder erhältlich ist. Es ist in seiner ihm typischen Weise geschrieben, wissenschaftlich korrekt, aber auch für den interessierten Laien verständlich: Man schlägt das Buch auf, und es knistert kein Papier, aber man hört die Hunde bellen und die Wölfe heulen. Einmal angefangen, legt man es nicht wieder aus der Hand. Kurzum, ein Buch, das in jeden Bücherschrank eines Hunde- und Wolfsfreundes gehört! „Was keiner von uns nur zu hoffen wagte, und was auch Trumler nicht ahnen konnte, ist inzwischen Realität. Die großen Beutegreifer kehren nach langer, langer Zeit wieder in ihre angestammte Heimat zurück. .... Das Pendel der öffentlichen Meinung schlägt um, und dazu hat mit Sicherheit das Wirken Eberhard Trumlers beigetragen: Der Wolf ist wieder da, nicht ausgesetzt oder ausgebrochen, sondern auf uralten Wechseln aus dem Osten kommend und die nunmehr unbefestigten Grenzen überschreitend; und das Erstaunliche daran – er ist (zumindest bei vielen Jüngeren) willkommen. Noch ist er zwar ein seltener Irrgast in den weiten Kiefernwäldern Brandenburgs und in den finsteren Wälder des Bayerisch-Böhmischen Grenzgebirges – aber seine Tötung, was auch leider vorkam – wird nicht mehr als Heldentat gefeiert, sondern bestraft. Man weiß mehr um das wahre Wesen des Wolfes“ (WÖRNER, 2002). Erika Trumler u.a.: Von Hunden und Pferden Dieses Buch dokumentiert das Schaffen und Wirken Eberhard Trumlers. Seine wissenschaftlichen Arbeiten haben Millionen von Hunde- und Pferdefreunden den Schlüssel zum Verständnis ihres Tieres geliefert. Seine Bücher verschafften ihm hohes Ansehen, sein Eintreten für artgerechte Haltung und Erziehung von Tieren ist Vermächtnis. Die Autoren: - Erika Trumler - Prof. Dr. Irenäus Eibl-Eibesfeldt - Prof. Dr. Anton Grauvogl - Prof. Dr. Helmut Hemmer - Dr. Erik Zimen und andere „Meine wilden Freunde“ sind im Eigenverlag erschienen und nicht im Buchhandel erhältlich, sondern nur über die „Gesellschaft für Haustierforschung“ zu beziehen: [email protected] oder Tel.: (02742) 6746 Preis: 16 € (zzgl. Versand) - 29 - „Für viele Hundefreunde – seine größte Anhängerschaft – bringt dieses Buch die neue Erkenntnis, wie umfassend die Arbeiten dieses Mannes waren, wie viel wichtige Forschungsergebnisse er auch den Pferdeliebhabern vermittelte. Nie habe ich in meinem Leben einen Menschen getroffen, der sich im Wissen um alle Lebewesen rings um uns mit Eberhard Trumler hätte messen können. Fachidioten waren ihm stets ein Greuel!“ (FLEIG, 2001). Sie unterstützen die „Gesellschaft für Haustierforschung (GfH) e.V.“ und sichern hiermit langfristig den Fortbestand der „Eberhard Trumler-Station“ in Wolfswinkel durch Ihre Mitgliedschaft. Aus den „Aufgaben und Ziele“ der GfH: ... Die Gesellschaft will sich zunächst darum bemühen, ein Forum des Gesprächs und der Kontakte zu schaffen, um der heute bereits sehr weitgehenden Zersplitterung der Bemühungen im Gesamtbereich der Haustierforschung entgegenzuwirken. Sie will auch durch Abhalten von Symposien und Schaffung anderer Diskussionsmöglichkeiten den verschiedenen Arbeitsrichtungen den Boden zum Gedanken- und Erfahrungsaustausch bieten und dabei besonders auch das Gespräch mit den Fachleuten des Auslandes führen ... ... Die Gesellschaft will sich darum bemühen, neue Forschungsvorhaben und wertvolle wissenschaftliche Bestrebungen, die von den bestehenden Institutionen nicht aufgegriffen werden können, anzuregen und zu fördern. Schwerpunkte hierbei sollen Forschungen auf dem Gebiet der Abstammung und des Verhaltens unserer Haustiere bilden, sowie das Studium der Domestikationsprozesse selbst ... Im Rahmen dieser Bestrebungen soll auch die Erhaltung und genaue Erforschung der Haustierverwandten sowie der alten Primitivrassen unserer Haustiere gefördert werden ... ... Die Gesellschaft setzt sich außerdem zum Ziel, wichtige Ergebnisse der Haustierforschung in Form von allgemein verständlichen Vorträgen und Veröffentlichungen weiteren daran interessierten Kreisen nahe zubringen und im Rahmen dieser Öffentlichkeitsarbeit vor allem dem nicht wissenschaftlich arbeitenden Praktiker die Möglichkeit zu geben, seine eigenen Erfahrungen und Probleme mit geeigneten Fachleuten zu diskutieren ... © Dr. Frank G. Wörner Wiesengrundstraße 20 D-57580 Gebhardshain Tel. 02747 / 7686 [email protected] - 30 Der Autor Dr. Frank G. Wörner studierte in Kiel Fischereiwissenschaften und Zoologie. Im Rahmen seiner Tätigkeit am „Institut für Meereskunde“ nahm er an zahlreichen meereskundlichen Forschungsfahrten und Expeditionen teil. Während eines zehnjährigen Arbeitsaufenthaltes im Indischen Ozean und im Laufe ausgedehnter Reisen in Afrika, Australien, Indonesien und Madagaskar wurde sein kynologisches Interesse an auf einem niedrigen Domestikationsniveau stehenden Hunden geweckt. Er war mehrere Jahre lang Wissenschaftlicher Leiter der „Eberhard Trumler-Station“ der „Gesellschaft für Haustierforschung e.V.“ in Wolfswinkel und ist aktives Mitglied der „Gesellschaft zum Schutz der Wölfe e.V.“ Wörner publizierte zahlreiche Artikel über verschiedene zoologische Themen, insbesondere über Hunde und deren wilde Verwandte. Aus dem Inhalt Dingoland Australien Der Dingo - Herkunft und Lebensweise - Schutzstatus und Bestandsentwicklung - Gefahr für den Menschen? - Der Dingo in Menschenhand Der Hallstromhund - Eine Dingoform aus Neuguinea - Trumlers Suche nach den Urhunden: Die Shiba-Dingos Hat der Dingo eine Zukunft? Gebhardshain, November 2013 © fwö 11/2013