Ein Tagebuch von Frauke Zelt

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Ein Tagebuch von Frauke Zelt
Tanzteam Step by Step in China
1.-16. Oktober 2011
Ein Reisetagebuch von Frauke Zelt
mit Bildern von Martina Schröder, Jörg Götting
aus dem chinesischen Internet und von weiteren Mitreisenden
Berlin - 28.9.11, Mittwoch, letztes Training vor China
Große Ereignisse werfen riesige, schier unförmige Schatten voraus. Jede/r hat sein
Kostüm-Päckchen zu tragen und ahnt: Ich packe meinen Koffer und kriege nur noch
Zahnbürste, Nachthemdchen und Wechselschlüpfer mit. Gut, dass wir hier noch nicht
wissen, dass auf chinesischen Inlandsflügen nur 20 statt international 30 kg erlaubt sind.
Berlin - 30.9.11, Freitag
Bevor sie richtig losgeht, beginnt die Fahrt mit Hindernissen. Freitag, Ferienanfang und
Fiake-Reise kommen auf der Fahrbahn zum Flughafen zusammen. Um nicht noch später zu
kommen, steigen wir auf „freier“ Strecke aus
und balancieren uns und das Gepäck wagemutig
wie lebensmüde durch die sich stauenden Autos,
Taxen und Busse. Wir wissen noch nicht, welcher
Wahnsinn und Irrwitz uns auf chinesischen
Straßen erwartet…
19.30 Uhr: Wir fliegen durch und mit der Zeit
nach Peking. Es ist die schönste Jahreszeit zum
China-Reisen – und die schlechteste, was das
Datum betrifft.
Peking - 1.10.11, Sonnabend
Wir erreichen Peking am 1.10., dem chinesischen Nationalfeiertag, zusammen mit AberMillionen anderen Chinesen. Das is nix für schwache Nerven und Einsiedler. Besser dran
sind die mit Garderobe-Erfahrung in der Alten Feuerwache.
Auf
dem
Hauptstadtflughafen
reiben wir uns vor Müdigkeit die
Augen – und vor Rührung: Die
chinesischen
Fiake-Mitstreiter
begrüßen uns mit einem großen
Transparent „Willkommen Step by
Step“ – dahinter auch unsere
Pekinger Reiseleiterin Lydia (aber
wir nennen sie lieber bei ihrem
richtigen Namen Young Fun, also: Yang Fan), und DER Meister = shīfu Chen, unser Fahrer.
Wir erfahren bald, welche Meisterschaft es
wirklich erfordert, einen Bus durch Peking zu
steuern.
Unser Hotel im Westen der Stadt CI
am
Messegelände ist komfortabel, in den meisten
Zimmern gibt es altmodische, aber gut
funktionierende Kannen mit heißem Wasser, Tee
dazu. Doch bevor wir dem Jetlag anheim und ins
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CI
Bett fallen, ruft das erste der unzähligen unvergesslichen betörenden Essen. Wir gehen
zum Chinesen ☺. 3 große runde Tische a 10 Personen, eine Drehscheibe in der Mitte.
Stäbchen für alle. Cola gibt’s immer, das heiße Wasser ist zum Trinken (nicht Waschen),
nach Tee muss man fragen. Zuerst sehr angenehm, dann fast ein bisschen peinlich berührt
sind wir von der chinesischen Gastfreundschaft. Sehr persönlich wird die Hilfe beim
Stäbchen-Essen: Wir sind zwar müde, aber gefüttert will trotzdem nicht jede/r werden.
Wahrscheinlich ist das Restaurantpersonal, das uns hier und künftig immer sehr reichlich
und in klar strukturierten Hierarchien beiseite steht, noch aufgeregter als wir vor dem
ersten Essen der Deutschen in China.
Unser erstes touristisches Ziel ist
der kaiserliche Sommerpalast, der uns
nicht nur das Zusammentreffen mit
tausenden von Chinesen an einem Ort
beschert,
sondern
auch
einen
wundervollen Blick über Peking, eine
vergleichsweise an Wasser und Grün
reiche Stadt. Der Ausblick ist klar
und geht weit – wir genießen diese
Seltenheit.
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Und dann geht es wieder zum Essen – an diesen zunächst ungewöhnlichen Rhythmus
gewöhnen wir uns schnell. Während sich die Deutschen mit einem „Wie geht’s“ begrüßen,
fragt der Chinese: Chī le ma? – Hast du schon gegessen?“ Wenn nicht, ist kein Gespräch,
sind keine Verhandlungen möglich. Dass Essen Leib und Seele zusammenhält, bestätigt sich
hier. Wir landen in einer großen Essenhalle: hell, laut, überfüllt. Das Essen: köstlich,
vielfältig und überraschend. Die Suppe gibt’s zum Schluss, den Reis ganz am Ende nur zum
Sattessen. Viele probieren Lotus zum ersten Mal, aber für fast alle schmeckt auch das
eigentlich bekannte Hühnchen, Nüsse, Bohnen, Pilze neu. Wir haben Blut geleckt - und alle
10 Finger!
Wir sind noch nicht einmal 12 Stunden in Peking und so (an)gefüllt. Wir plumpsen nur noch
ins Bett:
晚 安(Wǎn'ān).
Peking - 2.10.11, Sonntag
Wir frühstücken mit den chinesischen Hotelgästen im ersten Stock, weil unten, im
„internationalen“ Bereich, Hochzeitsvorbereitungen laufen – und so
ist es uns auch lieber: mittendrin. Toast, Marmelade und Honig für
den europäischen Gaumen, warmes chinesisches Frühstück mit Reis,
Nudeln, gedünstetem Gemüse und Teigbällchen für die auf den
Geschmack Gekommenen.
In China heiratet man (frau) gern an einem geraden Datum, denn nur
zu zweit wird man glücklich. Traditionell trägt die Braut Rot – denn
Rot steht für das Glück. Aber zunehmend gibt es Hochzeitsfotos
auch in weiß. Wer einer Minderheit angehört, wer genug (Strafe)
zahlen kann oder auf dem Land lebt und noch keinen Jungen hat –
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der ist dann ausgenommen von der chinesischen Ein-Kind-Politik. Wir sehen mehr
Hochzeitspaare als Schwangere und immer sehr viel mehr Erwachsene als Kinder.
Die meisten Chinesen haben (nur) zweimal im Jahr ein paar Tage frei – zum chinesischen
Neujahr im Januar/Februar, an dem die Familie zusammenkommt, und jetzt – um den
Nationalfeiertag herum – da wird gereist, vornehmlich innerhalb des Landes. Zu den 18
Millionen Pekingern kommen gefühlte 80 Millionen dazu, mit denen wir heute unterwegs
sind.
Den sanften Einstieg in die Massen wagen wir
an der Pekinger Oper, die sich wie ein riesiger
Walrücken aus dem Wasser erhebt und in der
Sonne funkelt. Nur der raffinierte stilisierte
Vorhang verrät die Bestimmung des Hauses, in
dem die größte Orgel Asiens erklingt. Der
französische Architekt hat mit 10 Stockwerken
in die Erde hinein das tiefste Gebäude des Landes gebaut; und so klingt es denn auch noch
ein bisschen nach Hochstapelei, wenn sich Yang Fan wünscht, Step by Step möge beim
nächsten Mal hier auftreten. Oder nicht?!
Der Tiananmen-Platz soll der größte der Welt
sein – auf jeden Fall ist er der vollste. Wie ein
riesiger Demonstrationszug schieben wir uns
auf und über den Platz - besser: werden wir
geschoben. Über Demonstrationen fällt aber
kein
Wort,
erinnert
nichts
an
die
Studentenproteste von 1989, die den meisten
Menschen in Europa den Platz des Himmlischen
Friedens erst zu einem
Begriff machten. Für die
Chinesen mit ihren kleinen Nationalfähnchen in der Hand ist dies hier
das Symbol des Sozialismus und ihres Landes – und so darf es wohl als
Geste des Undogmatischen und nicht des politischen Widerstands
gedeutet werden, wenn der kleine Nachwuchs sein großes Geschäft
direkt auf die himmlischen Steine „platziert“. Die Hosen der Kleinen
sind am Po offen, und die Eltern schnell mit der Plastiktüte zur Hand.
Und wir wundern uns ein erneutes Mal, warum der Ort der Notdurft
bei den Chinesen „Halle der
Harmonie“ heißt, wenn doch
ein öffentlicher Platz oder
ein Loch in der Keramik
ausreicht.
Sie alle kommen auf den Tiananmen, um Mao zu
bestaunen, der zum einen im benachbarten
Mausoleum (Maosoleum?) aufgebahrt ist und zum
anderen vom Tor des Himmlischen Friedens auf
sein Volk herunterschaut. Jedes Jahr zum 1.
Oktober unterzieht der seit vielen Jahren selbe
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JG
Künstler das Porträt des großen Vorsitzenden einer Frischzellenkur, heißt: malt es nach
Vorlage neu. Das garantiert ihm im Gegensatz zu vielen anderen Chinesen wohl eine sichere
Einnahmequelle. Auch wenn es einem nicht an jeder Straßenecke entgegenspringt und
Bettler selten sind: Die Armut gehört auch in der Stadt den Vielen, der unübersehbare
Reichtum nur wenigen.
Und so sind es nur ein paar Schritte zur schicken disneyhaften Fußgängerzone, in der sich
besser Betuchte und Touristen tummeln.
Aber gleich in der Seitenstraße gibt es die
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gegrillten Spatzen und frittieren Raupen am Spieß auf die Hand - die krächzenden
Lautsprecherrufe der Händler dröhnen bis in die schicken Läden.
Auf des Kaisers Spuren wandeln auch wir zum
Himmelstempel der höchsten Harmonie. Von 1420
bis 1911 fastete und betete der jeweilige Kaiser
hier dreimal im Jahr - ohne Fleisch, Fusel und
Frauen für eine gute Ernte, für Regen und zum
Erntedank. Wir sind Olympia in Peking dankbar,
denn der ausschließlich aus Holz erbaute
Haupttempel ist sorgsam und farbengetreu
restauriert: Blau steht für den Himmel, Grün für
die Erde, Rot für das Glück und gegen böse
MS
Geister. Die 28 Säulen wurden je aus einem Baum
geschnitzt: Die äußeren 12 stehen für die Tagesund die Nachtstunden (früher waren zwei Stunden eine),
die inneren 12 symbolisieren die Monate, die 4 Säulen im
Zentrum die Jahreszeiten. Die „Farbe“ Gold blieb dem
Kaiser vorbehalten. Das Volk durfte derweil nur Grau
benutzen. Das hat sich auch mit dem Jahr 1911 noch
nicht schlagartig geändert, wie wir heute noch sehen. Von
hier schauen wir auf Pekings höchstes Gebäude – ein
Hotel von 330 Metern Höhe, das wie viele Gebäude ein
Schlupfloch hat, durch das die bösen Geister hindurch
fliegen können. Dafür hatten die Bösewichter keine Knie
und scheiterten immer an den hohen Türschwellen, auf
die wir vielerorts noch treffen - aber bloß nicht drauf
treten, das bringt Unglück!! Um den Dämonen sicher zu
entgehen, kaufen wir bunte Bänder – und haben schon mal
die ersten Requisiten für die „Smaragdenstadt“. Die
erste Delegation fährt am selben Tag in einen
Ballettladen. Keine Trikots, aber rote Schleppchen
für alle.
MS
Abends kehren wir in einen Fast-Food-Japaner ein
- das ist neu in China. Eigentlich isst man in
Gemeinschaft oder aus der Straßengarküche..
Aber inzwischen zählt Peking auch 120 McDonalds
und genauso viele KFC’s. Europäische Restaurants
wie Italiener oder Griechen sieht man dagegen
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M
(noch?) nicht. Und so staunt der Europäer in chinesischen Bars nicht schlecht, wenn er mit
der Hand 2 Bier bestellt. Und 8 bekommt. Daumen und Zeigefinger bedeuten in China: 8.
Doch diese Verwechslungen nehmen wir in Kauf, solange wir gestikulieren können und nicht
sprechen müssen. Ach, so unsere Reiseleiterin, chinesisch sei ganz einfach, es gäbe
schließlich keine Fälle und Konjugationen. Nur vier verschiedene Sprachmelodien bei einem
auf die gleiche Weise geschriebenen Wort – und damit auch mindestens vier verschiedene
Bedeutungen: ma kann Mama (mā), Pferd (mǎ),
Taubheitsgefühl (má) und Schimpfen (mà) gleichzeitig
heißen, je nachdem ob man mit der Stimme rauf-,
runter, runter-und-wieder-rauf geht oder auf gleicher
Höhe bleibt. Achsoooooo. Wir bleiben bei den Händen,
zumal man mit einer Hand eine Halle der Harmonie
zeigen kann: Kleiner, Ring- und Mittelfinger bilden ein
W, Daumen und Zeigefinger ein C: WC ☺.
Der Rückweg zum Messehotel führt uns an einem
großen dunklen Platz vorbei, auf dem jetzt am Abend
der Teufel los ist. Hier wird geskatet, Karaoke
gesungen, Gymnastik gemacht und getanzt. Ein paar
Cha-Cha-Cha-Schritte von uns am Rand und sofort
bildet sich eine Riesentraube von vergnügungslustigen
Chinesen um uns herum, die sich auch nicht auflöst, als
der Tanz zu Ende ist. Eine chinesische Tanzlehrerin
wagt einen Walzer mit Jörg. Für den nächsten Abend
planen wir auf dem von uns „Platz der tanzenden Jugend“ getauften Areal einen Step by
Step-Auftritt.
Peking - 3.10.11, Montag
Ausschlafen, durchatmen, rumtrödeln. Am Vormittag gehen die einen Pandas gucken in den
nahe gelegenen Zoo, was einer Völkerwanderung gleichkommt. Ein paar Mädels entern auf
eigene Faust und per Taxi noch mal den Tanzladen, andere das Kaufhaus in der Nähe oder
die City-Einkaufstraße samt Naschmarkt im Zentrum am alten Bahnhof. Hier gibt’s die
lachenden Buddhas, die sich jeder Chinatourist als Glücksbringer mitnehmen soll, dazu
Raupen und Insekten am Spieß – wir hatten ja gerade gefrühstückt... Es ist nicht immer
einfach, ein Taxi zu finden, auch
wenn viele herumfahren. Entweder
ist es besetzt oder der Fahrer
spricht kein englisch. Taxifahren
ist so preiswert, dass die
„besseren“ Chinesen lieber ein
eigenes Auto wollen als ein Taxi zu
benutzen. Der Führerschein wird
dann oft auf LKW’s gemacht,
Fahrpraxis auf der Straße gibt es
kaum. Das erklärt einiges…..
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Busse und Autos machen erst vor den
Hútòngs halt. Das Wort kommt aus dem
Mongolischen und bedeutet eigentlich:
Brunnen. In Pekings „Altstadt“ mit
schmalen, schachbrettartig angeordneten
Gassen bauten die Mongolen mehrere kleine
Wohnhäuser um die Brunnen, die alle
Bewohner gemeinsam nutzten. Auch heute
teilen sie sich ein Gemeinschafts-WC – alle
80 m steht eines. Seit den 1980er Jahren
MS
verlassen die Jungen diese altertümlichen,
in ihren verbliebenen Resten inzwischen unter Denkmalschutz stehenden Hútòngs und
ziehen in neue modernere Hochhäuser. Aber viele der Alten bleiben - sie nehmen die
einfachen Verhältnisse Kauf – um des Lebens in der Gemeinschaft willen. Hier in dieser
ruhigen Oase mitten im wirbeligen lauten Peking scheint die Zeit still zu stehen. Das
Morgengeläut schallt vom grauen Glockenturm herüber, am Abend tönt es aus dem grünroten Trommelturm, den wir besteigen. 2 Männer und 4 Frauen schlagen die
überdimensional großen Trommeln - mit Präzision und der Kraft des ganzen Körpers.
Für uns öffnet der Kungfu-Lehrer Liu
sein Hútòng. Mit Frau und jüngerem
Sohn bewohnt er 30 qm Küche, Vor- und
Wohnraum, darüber noch einmal 30 qm
Schlafräume. Der ältere Sohn verdient
mit Kungfu und Mineralwasserwerbung
sein Geld und lebt mittlerweile in
Houston. Die Häuser hier werden über
Generationen hinweg vererbt und sind in
der
Regel
abbezahlt.
In
China,
erfahren wir, ist Mieten nicht üblich. Eine Wohnung wird – mit
Hilfe der Eltern zumeist - gekauft, der Vertrag läuft nach 70
Jahren aus. Und was dann? Überlegt sich die chinesische
Regierung noch. Herr Liu zeigt uns ein bisschen Kungfu und
spielt die chinesische Geige, wir danken mit einem gesungenen
Kanon. Etwas dekadent finden danach wir die Fahrt mit den
Rikschas durch das
Altstadtviertel,
in
dem uns immer wieder
ältere
entspannte
Menschen und fröhliche Kinder begegnen, wir in
kleine „Tante-Emma“-Läden hineinschauen können.
Unsere männlichen Radfahrer schnaufen in den
Kurven
und
bei
kleinen
Anstiegen.
Bezeichnenderweise springt die Kette aber bei
einer der leichtesten Frachten, bei Flo und Imke,
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ab. Das Klischee vom radelnden Peking ist eh passé. Zwar hat noch jeder zweite der 18
Millionen Pekinger ein Fahrrad, aber ein Fünftel auch ein Auto – letztere dominieren die
Straßen, optisch und akustisch. Um die unsichtbare und geräuschlose Feinstaubbelastung
zu senken, durften während der Olympischen Spiele an ungeraden Tagen nur die Fahrzuge
mit ungeraden, an geraden Tagen nur die mit geraden Zahlen im Kennzeichen auf die
Straße. Jetzt dürfen montags vor 20 Uhr Fahrzeuge mit 1 und 6 nicht fahren, am Dienstag
die mit 2 und 7, mittwochs 3 und 8 usw. Taxen sind ausgenommen. 0,0 Promille sind
einzuhalten, die Strafen drakonisch.
Auf den großen Verkehrsachsen fristen die Radler ihr Dasein auf einem abgeteilten
Straßenabschnitt. Sie leben genauso gefährlich wie die Fußgänger, die Zebrastreifen nur
als Verzierungen und Ampeln lediglich als Lichtshow interpretieren sollten. Zum Glück gibt
es Busse und die U-Bahn, die täglich 8 Millionen von Chinesen nutzen. Bahnsteigposten
helfen wie in Japan, damit
letztlich alle in die Bahn und
ans Ziel kommen. Dieses
Gequetsche, so Yang Fan, sei
der Grund, dass die Chinesen
so schlank seien. Und vielleicht
auch, dass sie mehrheitlich
trotz
Verkehrs
überlebt
haben. Die 8 ist des Chinesen
moderne Glückszahl und steht
für Reichtum. Das erklärt
vielleicht auch, warum heute
die Hongkong-Chinesen als die
abergläubigsten
gelten.
Autokennzeichen mit einer 8
sind kaum zu bekommen und kosten mehr als 300 Hongkong-Dollar. Am 8. des Monats finden die meisten Trauungen statt. Die Olympischen Spiele wurden am 8.8.2008 eröffnet.
Und wenn auch heute die meisten Sportstätten und andere anlässlich Olympia
entstandenen Gebäude von vielen genutzt werden können, haben einige Chinesen den Abriss
ihrer im Weg stehenden Häuser wohl nicht als Glücksfall betrachtet. Halbes Glück ist den
Chinesen aber gleich totales Pech. Die Unglückszahl 4 klingt phonetisch wie „Tod“ und wird
als Zimmeretage und -nummer in Hotels ausgespart. Während Yang Fan uns dies erzählt,
zuckelt vor uns in überraschender Ruhe ein Bus mit der Nr. 44 durch den Verkehr (was die
44jährige Tagebuchschreiberin enorm tröstet. Es kann ein Glück sein, älter zu werden, ja
doppelt so alt: 88!).
Hútòngs und U-Bahn werden die einzigen Plätze sein, an die das ohrenbetäubende, 24
Stunden am Tag anhaltende Hupen nicht dringt. Übrigens ist Hupen in China verboten –
woran sich niemand hält. Überhaupt ist der Chinese eher pragmatisch: Wo kein Kläger, da
kein Richter. Was nicht passt, kann vielleicht passend gemacht werden?! Z.B.: Das
kommunistische China an der Börse? Hhm. Bis einer herausfand, dass auch Karl Marx an
der Börse tätig war. Geht doch. Und so liegt das Kartenspiel mit Ossama Bin LadenKonterfei neben dem mit Barack Obama, daneben die „Worte des großen Vorsitzenden“ in
nahezu allen Sprachen zum Schrottpreis. Und über allem weht (und wie wir am Ende sehen:
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am meisten in Peking, am seltensten in Shanghai) die rote Fahne. Der große Stern
symbolisiert die kommunistische Partei, die 4 kleinen die Soldaten, die Arbeiter, die
Bauern und die Intellektuellen. Das Glücks-Rot steht hier für die Revolution.
Farben spielen auch in der Peking-Oper eine große
Rolle. Diese dürfen wir am Abend besuchen und
erfahren: Jede Stadt hat ihre eigene Peking-Oper.
Mit der europäischen Namensvetterin nicht zu
vergleichen, erlebt diese Theaterform heute
wieder eine Renaissance; und neben Touristen
sitzen Chinesen aller Schichten und jeden Alters im
Publikum. Schon vor Beginn der 5 einzelnen
verschiedenen Szenen gibt es was zu gucken: eine
Figur schminkt sich ihr weiß-schwarzes Gesicht auf
der Bühne selbst und wird dann aufwendig
eingekleidet, dazu spielt eine junge Frau
Zupfklavier, das chinesische Nationalinstrument.
Die
Szenen
selbst
werden
größtenteils mit englischen (besser:
chinglischen)
Untertiteln
auf
Seitenbildschirmen begleitet. Aber
auch so verstehen wir, dass es um
Krieger und Konkubinen geht, um
verfeindete Dynastien und familiäre
Bande über deren Grenzen hinweg, um
Aufopferung und Eifersucht, um
Freunde, die sich in der Dunkelheit für Feinde halten. Die Erkenntnis des Abends: A sad
person is easy to get drunk. Die Kostüme sind farbenfroh und aufwendig, die Maske sehr
kunstvoll und beeindruckend, und der Gesang – wie erwartet – für europäische Ohren
gewöhnungsbedürftig. Eine interessante Erfahrung.
Danach bringen wir dann unsere Kultur unters Volk, schnappen uns den Ghetto-Blaster und
proben auf dem „Platz der tanzenden Jugend“ unsere Tänze. Großes Publikum, großes Hallo,
viel Applaus. So einfach ist das hier.
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Peking – 4.10.11, Dienstag
Auf dem rd. 70 km langen und staureichen Weg gen
Norden zur Großen Chinesischen Mauer wird wieder
einmal klar: Diamonds (and Pearls) are the girls best
friends. In der Süßwasserperlenmanufaktur „Wan Run
Pearls“ klauben wir die kleinen weißen, rosafarbenen und
violetten Kugeln aus dem Muschelfleisch. 15 bis 20 Perlen bildet eine handtellergroße Muschel in 2 Sommern
und 3 Wintern. Wir brauchen für unser Werk nicht so
lange: Innerhalb von 20 Minuten wandern unzählige
Ohrstecker und Ketten, Armbänder und Fingerringe
über die Ladentische. Mehr glänzen nur noch unsere
Augen - und die der Verkäuferinnen erst.
Das Mittagessen müssen wir uns
wenige Kilometer weiter aber auch
noch verdienen – bzw. die Angestellten der Emaillewerkstatt. Wir
sehen, in wie vielen einzelnen
Arbeitsschritten
die
reichen
Verzierungen auf den chinesischen
Kupfervasen entstehen - und die P
rodukte dann auch mit anderen
Augen. Auch hier geht ein Teil des
Reisetaschengeldes für Döschen
und Baumschmuck drauf.
Die letzten Kilometer bis zur Großen Mauer legen wir staubedingt zu Fuß zurück – zu viele
Chinesen
folgen
Maos
Spruch: Nur wer einmal auf
der
chinesischen
Mauer
stand, ist ein Held. Nun gut.
Zum Schutz vor den Mongolen über mehrere Kaiserdynastien hinweg erbaut, ist
das Werk nie ganz fertig
geworden. Die Körper von 2
bis 3 Millionen bei der
Errichtung des Walls gestorbenen chinesischen Arbeiter
sind in das Bauwerk „eingeflossen“. Wir haben
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zwei Möglichkeiten: steil, aber schneller nach oben zu gelangen oder etwas abgeflacht auf
einem längeren Weg. Da der steile schwarz vor Menschen ist, entscheiden wir uns für den
zweiten und haben immer noch gut zu schnaufen und zu ächzen – so hoch sind zuweilen die
einzelnen Stufen. Trotzdem ist der Ehrgeiz aller Touristen groß – und damit die Mauer ein
Eldorado für unzählige chinesische Händler. Das archaische Flair der Mauer und der Hauch
der Geschichte verblassen vor den bunten Ständen der Verkäufer.
Peking - 5.10.11, Mittwoch
Die kleine Charlotte hat Geburtstag:
Die Mittleren „backen“ ihr einen
Kuchen im Zahnputzglas und eine
Delegation singt um Mitternacht:
Happy Birthday: Zhù nǐ shēngrì
kuàilè (oder so ähnlich).
Wie das mit Vogelnestern im Allgemeinen so ist: Wir sehen es nur von
weitem. Aber nicht nur wegen des
für uns plötzlichen Einbruchs normalen diesig-nebligen Peking-wetters
gibt’s das von einem Schweizer
Architekten erbaute olympische Stadion bloß von weitem: Das Gelände um das Vogelnest
und den „Wasserwürfel“ ist wegen eines Radrennens abgesperrt. Schade.
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So versuchen wir es an unserem vorerst letzten Pekingtag noch mal mit
der Verbotenen Stadt. Über 100.000
Menschen haben während der „Goldenen Woche“ täglich den Kaiserpalast
besucht - und bei weitem nicht alle,
die hinein wollten, schafften es auch,
darunter wir. Diesmal klappt es. Wir
schreiten durch den rechten Eingang
des Mittagstores. Der mittlere der drei Eingänge blieb dem Kaiser vorbehalten - nur
einmal, zur Hochzeit, durchschritt auch die Kaiserin diesen herrschaftlichen Bogen. Wer
es doch wagte, war des Todes. 16 Jahre baute man am 36 m hohen Kaiserpalast – er
überragte alle anderen Gebäude zur damaligen Zeit. 9.999 Zimmer soll der Palast haben –
das 10.000 ist d er Himmel. Wir erfreuen uns an
den Details – den Giebelfiguren mit Phönix
(Kaiserin), Drache (Kaiser) und weiteren Fabeltieren; den Verzierungen mit Mandarin-Enten –
dem Symbol für eine glückliche Ehe (weil diese
Vögel ein Leben lang zusammenbleiben) – und
Lotus, dem Zeichen für Reinheit. Wir sehen den
Thron des vorletzten Kaisers und dahinter versteckt den Diwan, von dem aus die Kaiserin Mutter
dem Regenten die Entscheidungen einflüsterte.
So kontrastreich die Stadt und ihre Architektur, so voller Abwechslungen ist auch unser
Besuchsprogramm. Wir geraten in einen Kaufrausch in einem Markt, in dem die Marken nur
Fake und das Handeln Pflicht sind. Nicht alle ertragen das übergriffige Zerren am Jackenärmel und die ständige Ansprache von allen Seiten. Die sich durchsetzen, machen die
Schnäppchen ihres Lebens: Taschen, Tee, Armbänder, Mützen, Tücher, Uhren. Wir werden
sehen, wann deren Zeit abgelaufen sein wird ☺.
Peking - 5.10.11, Mittwoch abends
Zàijiàn, Beijing, hallo Abenteuer! Das beginnt mit einem kleinen Drama: Wir haben nicht
genug Tickets für alle in ein und demselben Nachtzug, zwei Mädchen sollen mit einem anderen fahren. Und wir machen zum ersten Mal eine Erfahrung, die uns in China noch öfter
widerfahren wird: Wo zuerst kein Weg hineinführt, geht mit einiger Hartnäckigkeit dann
doch etwas: Zu guter Letzt können die Jugendlichen mit zwei Erwachsenen tauschen. Die
von machtvollen Stellen vorgegebenen Regeln erscheinen uns manchmal auch vorgeschoben.
Ob das zutrifft und wenn ja, in welchen Situationen und wa nn nicht – das erfahren wir nie.
Wartehalle 8 erinnert irgendwie an einen Katastrophenfilm. Die gesamte Halle ist mit Menschen und Gepäckstücken voll gestopft, kein Quadratzentimeter scheint mehr frei zu sein.
Aber alle bleiben und warten friedlich. So „von oben geregelt“ der Alltag manchmal in China
anmuten mag – hier funktioniert’s.
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Wir haben der Kosten wegen „hart schlafen“ gewählt – und das
darf fast jede in einem anderen Abteil mit 5 Chinesen. Härter als
in deutschen Liegewagen ist aber höchstens das Reglement im
Zug. Punkt 22.30 Uhr geht das Licht aus, Punkt 6 mit lauter
Marschmusik wieder an. Dafür darf im Zug geraucht werden…
Wuhan - 6.10.11, Donnerstag, 7 Uhr
Etwas gerädert und übernächtigt treffen wir in der modernen 9
Millionen-Industrie-Stadt Wuhan ein – doch das luxuriöse Hotel
samt super leckerem Frühstücksbuffet trösten großzügig über
Schlafentzug und nächtliche Strapazen hinweg.
Wie schnell wir uns an die chinesischen Gebräuche gewöhnen,
zeigt unsere Verblüffung auf dem ersten Trödelmarkt, den wir
besuchen. Kaum jemand spricht uns an, keiner hält uns fest, es
wird kaum gehandelt – es fehlt und verwirrt uns schon ein
bisschen…
Wir essen gegenüber vom Hotel - und sind wieder begeistert.
Während im oberen Speiseraum des recht feinen Restaurants die
Kellner/innen und Köche miteinander turteln oder auf zusammen
geschobenen Gästestühlen und Tischen ein Nickerchen halten,
schlemmen wir unten wie Gott in Frankr…ähm: wie der Kaiser in
China. Mindestens.
Auf dem Weg zu unserem ersten Auftrittsort – einem noblen,
modernen, geschmackvollen Viertel der Stadt, das allerdings
auch gut so in den Niederlanden stehen könnte – stockt uns der
Atem: Die gesamte Straße ist mit Ankündigungen zum Step-byStep-Programm plakatiert. Der Bühnenhintergrund ist ein
überdimensionales Sünros-Foto mit Alexa, Annika und AnnaLena. Später am Abend sind wir auch die Leuchtreklame an
einem Hochhaus – irre.
Wir haben 600 Zuschauer und
geben unser Bestes, und es
gelingt (am nächsten Abend
noch ein bisschen besser). Vor allem faszinieren Edgar,
Sünros (immer Szenenapplaus an DER richtigen Stelle!),
Flitzi im Koffer und das Finale. Wir werden mit Snacks
und Getränken von Fiake verwöhnt. Das Garderobenzelt
ist ein bisschen klein, so ziehen wir uns auch auf der
Straße um. Wir erkennen hier sowieso niemanden wieder…. Am Abend des 6. Oktober – das Thermometer in
Berlin ist längst im einstelligen Bereich angekommen sitzen wir im T-Shirt draußen in der Fußgängerzone und –
essen schon wieder. Der Abend ist mild. Die Teigtaschen
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und Nudeln sind köstlich. Die hier flanierenden Menschen sind schick angezogen, schön und
stolz. Auf uns wartet ein gemütliches Hotelzimmer. Uns geht’s so richtig gut.
Wuhan - 7.10.11, Freitag
Wuhan ist berühmt für sein ProvinzMuseum. Insbesondere die Gräber und
Grabbeigaben, die lange, lange aus der Zeit
vor Christus stammen. So allmählich
verstehen wir die Chinesen vielleicht. Wir
Europäer sind immer ganz froh, wenn sich
die Amerikaner mit der Geschichte unseres
alten Kontinents befassen und merken: Vor
uns Amerikanern gab es auch schon was.
Und jetzt kommen wir nach China – und
staunen und verstehen besser, warum sich
China das Reich der Mitte nennt.
Wir machen einen Abstecher in den Park am Ostsee – in der Hoffnung, etwas auszuspannen
vom Alltagslärm, den vielen Menschen, dem ständigen Aufmerksamsein im Straßenverkehr….
Hier nun aber hupen die gemeingefährlichen, scheinbar schwer zu manövrierenden
Tandems der anderen Parkbesucher oder die kleinen Parkbusse, mit denen sich Besucher
durch das Gelände fahren lassen. Es gibt keine richtigen Plätze
zum Sich-Niederlassen, Ausspannen, Verweilen. Dabei liebt der
Chinese den Müßiggang. Vor allem Männer tragen in Parks gern
ihren Vogel spazieren – also ihren Wellensittich oder Papagei
im Käfig, hängen ihn in einen Baum, da er ja auch mal frische
Luft und Bewegung braucht… Männer mit Vögeln haben sich
immer was zu erzählen, so kommt Mann ins Gespräch. Von
Frauen mit Vögeln ist nichts überliefert….
Wir könnten noch eine chinesische Tracht anziehen und uns
damit fotografieren lassen – als animierender Eyecatcher
spaziert eine Frau im gelben Seiden-Tüll-Kleid und mit einem
die Blässe schützenden Schirm durch den Park. Ausziehen, Umziehen, Anziehen, Fotografieren, Ausziehen, Anziehen – das
steht uns ja noch am Abend bevor.
Wer von uns noch hat, steckt Geld und Energie in
die Einkaufsmeile von Wuhan: Hier, vor allem in den
Seitenstraßen, begegnet uns ein ganz anderes Publikum als im Viertel unseres Auftrittsortes – einfacher, uriger, lauter, auch ärmer. Hier brodeln Garküche und Großstadtleben um die Wette. Omas
schnippeln Chilli und Gemüse auf der Straße,
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hunderte Küken warten in engen Käfigen auf Erlösung. Sind die Schildkröten mit den
zusammengebundenen Beinen Haustiere oder Zutaten???
Am Abend freuen wir
uns wieder über ein
begeisterungsfähiges
Publikum. Während am
Vorabend Jugendliche
einer Oberschule einen
Tanz aufführten, sind
es
heute
Balletttänzerinnen im zarten
Grundschulalter. Aua –
mit 7 Jahren auf Spitze
tanzen. Aber wir sind
beeindruckt von den
Kostümen
und
den
Formationen…
Wuhan - 8.10.11, Sonnabend
Nun gehen wir zum ersten Mal in die Schule – und sind schon etwas aufgeregt. Wir haben
das Gefühl, schon ewig in China zu sein – aber jetzt geht es über das Touristische hinaus –
und über den Gelben Fluss hinweg in einen anderen der insgesamt 3 großen Stadtteile.
Wuhan - das ist eigentlich die Stadt der 1.000 Seen – die allermeisten davon wurden für
die Stadtentwicklung zugeschüttet. Je näher wir der Eliteschule am Rande der Stadt
kommen, desto größer, nobler und neuer werden die Autos auf den Straßen….
Englisch ist hier die erste Fremdsprache, und so wird der Besucher auch auf am Eingang
begrüßt. Russisch war in China schon passé, als es in der DDR-Schule noch täglich auf dem
Stundenplan stand. Die freundlich anmutende Grundschule mit den Klassen 1-6 mit angeschlossenem Internat steht gegenüber der weiterführenden Mittelschule – in beide
zusammen gehen täglich
4.000 Schüler. In einer
Klasse mit türkisfarbenen Holzpulten – auf
jedem ein Foto von der
Familie des Schülers –
lernen 60 Kinder – der
Raum ist nicht größer
als bei uns und es unterrichtet EIN Lehrer –
manchmal mit Headset,
alle sehr jung. Die
Kinder, alle in Schuluniform (sehen aus wie
Junge Pioniere), machen
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mit, aber militärische Disziplin herrscht nicht – alle wirken fröhlich, aufgeschlossen und
neugierig auf die Deutschen. In einem Versammlungsraum - mit leckerem Kuchen- und
Obstbuffet - begrüßt uns die Schulleitung und lässt uns mit den chinesischen Kindern
Peking-Oper- Masken bemalen - tanzen können wir besser, und das tun wir dann auch in
dem großen Festsaal der Schule; der ist vielleicht mit dem FEZ vergleichbar, nur moderner. Kinoeulen, Sünros und das Step-Finale wechseln sich mit chinesischen Darbietungen
ab – Tänzen zu Techno-Pop, gesungener Folklore, einer Bläsergruppe. Es ist angenehm
unperfektionistisch von beiden Seiten, und am Schluss gibt’s: Geschenke! Während wir
Schreibblocks und Schlüsselanhänger,
Schokolade
und
Gummibärchen verteilen und das
Auditorium mit einem Bonbonregen überziehen, überreichen
die chinesischen Kinder selbst
gebastelte Schächtelchen mit
Wünschen, papierne Wandbehänge, Trachtenpuppen.
Zum Schluss sitzen dann auch
wir endlich noch in den engen
schmalen Bänken und lernen
Chinesisch: Wǒ ài nǐ: Ich liebe
dich.
20 Minuten Im-Bus-Dösen bis zur nächsten Station. Während sich draußen einige
Gymnasiasten in Einheitstrainingsanzügen darauf vorbereiten, die nächsten Tischtennisund Badminton-Weltmeisterschaften zu gewinnen, schauen wir im noch unfertigen Neubau
mehreren Malklassen beim Zeichnen von Stillleben aus verschiedenen Perspektiven über
die Schulter – wir fühlen uns
ganz klein ob des hohen
künstlerischen
Niveaus.
600
Mädchen und Jungen besuchen
hier die 12. Klassen - 200 davon
bereiten sich auf ihr Studium
der Künste vor. 2.100 Gymnasiasten lernen mit jeweils 50 anderen
in einer Klasse. Nur was hat es
mit den hundert kreideweißen
Stalinbüsten auf sich, die eine
lange Wand des Materialraumes
zieren?
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Auf dem Kunstrasen des Sportfeldes inmitten halb fertiggestellter, gespenstisch anmutender Hochhäuser (oder dürfen
hier ganz viele kleine Dämonenbabies
durch
die
kleinen
Fensterlöcher fliegen?) zeigt
sich an den von den Schülern
vorgeführten Tänzen, dass die
meisten
einer
Minderheit
angehören und deren Traditionen
hier pflegen – wenn dies auch
etwas unambitioniert erscheint,
aber sympathisch. Makkaroni und Sünros tanzen sich sehr schwer auf diesem Untergrund,
werden aber trotzdem mit großem Hallo aufgenommen – jetzt tauen die bislang vergleichsweise reservierten Jugendlichen auf. Endgültig ist der Bann gebrochen, als Arthur mit
Tom, oder gefühlt: Lady Gaga mit
Justin Bieber, die Reihen abschreitet
Das Gekreische verebbt irgendwann,
aber die Fotosessions mit Schlangestehen bei Edgar und Arthur, Felix
und den mittleren Mädels dauern noch
an, als die Offiziellen längst ihre
Wimpel und Plüschtiere ausgetauscht
haben. Zeit für uns, die Halle der
Harmonie aufzusuchen – ein neuerliches Highlight: Eine in Beton gehauene Rinne geht durch alle Toilettenboxen von vorn bis hinten durch. Entweder die erste Toilette nehmen oder nicht hinunterschauen. Auf jeden Fall: Balance und alle Utensilien festhalten!!
Geplant war, nach dem Schulbesuch eine Pagode zu besuchen, aber ungerade Bus-Nr. und
gerades Tagesdatum passen nicht zusammen . Müssen wir halt in einen Ballettladen und
landen in einer ganz normalen WohnEinkauf-Straße mit verschiedenen
Lebensmittel- und Klamottenshops.
Neben weiteren Schläppchen- und
Tanzbody-Eroberungen finden wir ein
Geschäft mit ganz verschieden farbigen Mänteln und Jacken, Kleidern
und Blusen – wie ein Riesen-Kostümfundus, keine 20qm groß. Die – nur
chinesisch sprechende Besitzerin
macht das Geschäft ihres Lebens – zu
gern wüssten wir, worüber sie mit
unserer herzigen Reiseleiterin Li
redet – auf jeden Fall regeln die beiden das Finanzielle zu unseren Gunsten.
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Dalian - 9.10.11, Sonntag
5.30 Uhr geht’s los Richtung Dalian. Auf Inlandsflügen sind nur jeweils 20 kg Gepäck
erlaubt, in der Summe kommt es geeeraaaade so hin. Gut, dass es noch keine neuen
Smaragdenstadt-Kostüme zu kaufen gab….
Es ist wie ein Staatsempfang in
Dalian: Vom Flughafen geht es direkt
an das beste Haus am Platz, ein EdelLuxus-Hotel vom Feinsten. Hier glänzt
alles, und wir staunen und strahlen.
Das Essen, zu dem uns die Privatschulleiterin
einlädt,
ist
das
wohl
ungewöhnlichste und raffinierteste
auf der ganzen Reise: chinesische
Hefezöpfe,
Lammspieße,
SesamMohn-Küchlein, grüner Shrimpssalat,
gegrillte Bohnen und Pilze, Eierreis
und Garnelen – hhmm!!!!! Tränen gibt’s
am Nachbartisch bei den mittleren Mädels, weil sich der bereits filetierte Fisch noch
bewegt. Schnell wird er dort abgeräumt und kommt – die Reste gebraten - auf die anderen
beiden Tische – lecker! Ein tröstendes, großes Hallo gibt es bei der Nachricht, dass wir am
Abend nicht nur vor 1.000
Zuschauern, sondern auch
fürs Fernsehen tanzen –
Huuaah! Jetzt werden Toasts
ausgebracht
–
auf
die
deutsch-chinesische Freundschaft, den von uns viel
beschworenen
China-ReiseTraum, auf eine glückliche
Zukunft unseres Gastlandes...
Und
die
Ankunft
des
anderthalbjährigen Arthur in
China:
gleich
von
zwei
Chinesinnen lässt sich der Goldjunge im Goldpalast den Mund abwischen – auch eine
Premiere.
Dem chinesischen Sprichwort nach ist jede Planveränderung schneller als der Plan selbst,
und so fahren wir nicht zuerst in die Schule, sondern ans Meer – an einer malerischen
Küstenstraße entlang, die wegen des diesigen Wetters keinen Weitblick zulässt. Aber die
Häusersilhouette auf der anderen Seite sieht alles andere als nach dem China in unserer
Vorstellung aus. Für „Findet Nemo“-Kenner ist es wie Sydney, für Kanada-Besucher wie
Vancouver. Russische und japanische Architekten lieferten sich hier einen – zumindest
äußerlich sehr erfolgreichen – Wettbewerb. Die einfachen Verhältnisse sind hier jedenfalls nicht zuhause – und auch wir fahren staunend an den 20-, 30-Geschossern vorbei und
fragen uns, wer hier wohl wohnt. Dieses erst gut 100 Jahre alte Dalian hat sich jedenfalls
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entschlossen, nach vorne und nach ganz oben zu schauen. Dann sind wir am Meer, flanieren
auf dem steinernen Kai – mit vielen
Schrägen und Nuten; ganz einfache
architektonische Mittel, sehr wirkungsvoll für Skater, kleine und
erwachsene Kinder. Die in Bronze
gegossenen
Alltagsszenen
Rollschuhfahren, Musikmachen und
In-den-Himmel-Schauen
sind
lustige Settings für Fotoshootings,
denen wir uns hingeben. Der Platz
vor
dem
Kai
ist
von
überlebensgroßen, aus Metallnetzen
geformten Menschenskulpturen umstanden, die tanzen oder schwimmen, Fußball oder
Volleyball spielen. Das fällt auf: Neben so manchem Staat und Macht lobenden Monument
sind viele moderne und witzige Bildhauereien entstanden, die überall Straßenbild und
Gemüt auflockern.
An der Schule heißt uns ein Spalier aus 3-6-Klässlern
willkommen und bindet uns ein rotes Halstuch um – für
die älteren Semester unter uns ein Déjà-vu… Immer
jeweils ein Erwachsener geht mit einem Kind in eine
Gastfamilie; die Spannung steigt. Große, teure Autos
rollen vor, manch Koffer passt nicht in den mit
Golfausrüstungen voll gepackten Kofferraum des
schneeweißen Jaguars und wird extra mit einem Taxi
transportiert. Das wundert uns zuerst in China und
dann irritiert es uns auch: Am wichtigsten an dir
heute ist, was du besitzt. Tröstlich wiederum ist, dass
das ganz offen gelebt wird.
Dalian - 10.10.11, Montag
Als am nächsten Morgen wieder alle zusammen sind,
sprudelt es aufgeregte Berichte von gemeinschaftlichen Wan-Tan-Essen, während, der Opa das Zupfklavier spielt, und von abenteuerlichen Restaurantbesuchen, von Luxusappartements mit
mehreren Gästezimmern und gemütlichen Zwei-Zimmerwohnungen, die uns überlassen werden, während die Familie bei Freunden schläft. Die Vielfalt der Lebensverhältnisse ist so
groß wie die Gastfreundschaft und der Stolz, europäische Gäste beherbergen zu dürfen.
Wir lernen allmählich (uns) zu verstehen: Das von uns – auch als Geste der Aufmerksamkeit
und des Dankes – gleich ausgepackte Gastsgeschenk packt die chinesischen Familie schnell
wieder zusammen: In China werden Geschenke nicht in Gegenwart der Schenkenden
geöffnet. Es gibt nichts Schlimmeres für einen Chinesen, sein Gesicht zu verlieren. Dabei
freuen wir uns, und wollen es gern zeigen....
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Zunächst scheint die Welt noch in bester
Ordnung. 1.000 Grundschüler haben sich in
Schuluniform und schnurgeraden Reihen
zum Fahnenappell aufgestellt. Unser
dagegen sehr kleines Häufchen steht etwas
verloren auf der großen Stadiontribüne mit
der Direktorin. Es gibt Ansprachen. Und
dann dies: Eine Aerobic-Show nach Kungfu
Fighting. Wer hatte da etwas traditionell
Chinesisches erwartet?! „Rührt euch!“, und
dann wurde die Hofpause zelebriert. Fangen und Plumpsack und viele der alten Kinderspiele feiern da Auferstehung. Wir dürfen
aufs Sportfeld, in den Hulahup-Reifen steigen und die englischen Konversationskünste der
Schüler ausprobieren. Deren Neugier ist groß, die Aufmerksamkeit echt und wir sind
berührt von der Offenheit und Fröhlichkeit, auf die wir treffen.
Zusammen mit den Kindern essen wir im Speiseraum, die Lehrer/innen im Stehen, ihre
Augen bei allen zwei, drei Dutzend Anvertrauten gleichzeitig. Respekt. Der Auftritt am
Abend im Jugendpalast macht Spaß, die
Bühne ist groß und lässt viel Raum für
Patzer und Missgeschicke. Passiert immer
nur, wenn das Fernsehen zuguckt. Das mit
den Reden danach und dem Austausch von
Gastgeschenken auf der Bühne sollten wir
beibehalten. Man kommt schön runter,
lässt die Show ausklingen, rennt nicht
gleich auseinander, schaut sich sein Publikum an, hat einen Abschluss. Nur so als
Vorschlag ☺.
Peking - 11.10.11, Dienstag
Die zweite Nacht im „Hart-schlafen-Zug“ absolvieren wir
schon routiniert. Vielleicht liegt’s aber auch daran, dass
die „Goldene Woche“ zu Ende und der Ansturm von
Passagieren kleiner geworden ist, wir näher beieinander
liegen und uns überhaupt schon akklimatisiert haben. Jede
Liege wird besetzt. Als das Licht um 22.30 Uhr wieder
plötzlich ausgeht, tuscheln und kichern die Mütter noch
lange im Flur, da kann auch die Schaffnerin noch so böse
gucken.
Zurück in Peking begrüßt uns unser alter Chen-Busfahrer,
es gibt ein großes Hallo, als kennten wir uns ewig und
hätten uns lange nicht gesehen. An der alten, heute noch
1,5 km langen und 7 m breiten Stadtmauer entlang geht es
in unser „altes“ Hotel. Die von der Ming-Dynastie gegen die
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Mongolen gebaute Festung maß früher 20 km, wurde aber in den 1950er/1960er Jahren
abgerissen. Wie alte China-Kenner fahren wir durch die Stadt, am schon früh morgens
übervollen Tiananmen-Platz vorbei. Sehen die vielen Chinesen öffentliche Dienste
verrichten: An Ampeln aufpassen,
vor Hotels stehen, Abfall aufsammeln. Die chinesischen Städte sind
zwar grau und staubig, aber Abfall
liegt kaum herum. Überraschend:
Auch die chinesische „BSR“ trägt
weiß auf orange.
Mittags begrüßt uns eine große
Delegation im modernen Pekinger
Jugendpalast.
In
anderthalb
Stunden
lernen
wir
einen
chinesischen Tanz, der durch seine
türkisblauen Fächer und ausladenden Armbewegungen sehr effektvoll wirkt. Als die
Jugend bei der Musik laut mitzählt, sind chinesische und deutsche Tänzerinnen sogar im
selben Takt☺. Wir bekommen die Fächer später und bauen in Berlin Elemente des Tanzes
in „das blaue Land“ beim Zauberer der Smaragdenstadt“ ein.
Wir teilen uns auf – die einen singen die
bekannteste chinesische Volksweise oder
trainieren Kungfu, die anderen basteln
Lampions oder lernen die Titanic-Titelmelodie auf dem traditionellen chinesischen Zupfklavier spielen. Dann soll
zusammen gekocht werden: chinesische
Teigtaschen. Hier stört es uns nicht, dass
alles schon für die Kameras vorbereitet
und der Teig nur noch zusammenzudrücken ist. Wir haben Hunger, welch
seltenes Gefühl.
Beim abendlichen Auftritt hat der Fächertanz ohne weiteren Durchlauf Premiere – mit
Erfolg. Vom Bühnenrand bestaunen wir einen mongolischen Tanz von kleinen Mädchen – sie
tragen lachsfarben-weiße Kostüme mit lauter
kleinen Glöckchen dran und Schüsselchen auf
dem Kopf. Alle bleiben oben. Gut, dass wir
unser Programm „Ich packe meinen Koffer“
hier zum letzten Mal zeigen: Edgar hält mit
eingestützten Armen und entschlossener
Stimme den Müttern eine ordentliche Standpauke, weil sie in einer Szene den von ihm und
Felix sorgsam gepackten Koffer ausräumen
und die Sachen auf der Bühne verteilen – die
notwendige Umzugspause muss schließlich
ausgefüllt werden. Ach was sind wir froh, dass der so beängstigend schlaue und verstänSeite 21
dige 3jährige noch nicht weiß, was (s)eine Rolle ist. Oder er ist eben ganz in ihr aufgegangen. Auf jeden Fall hat er uns diese Szene untersagt.
Shanghai - 12.10.11, Mittwoch
Ein sehr agiler, aufmerksamer und sympathischer chinesischer „Danny de Vito“-Verschnitt
von Reiseleiter bringt uns zum Flughafen – das beiderseitige Bedauern ist groß, weil wir
nicht mehr Zeit zusammen in Peking verbringen.
Man sagt ja, dass man das erfährt, was man erwartet; sich das
bestätigen lässt, was man zu wissen glaubt. Ja: Shanghai ist
anders. Nicht nur das Wetter – es nieselt. Wir platzen in die
Rush-Hour einer Wahnsinnsmetropole hinein. Hier sieht man
kaum eine Pagode mehr, keine typisch chinesischen Türmchen.
Hochhäuser aus Beton und Glas, modernistische Brückenkonstruktionen mit vielen Ebenen, Lärm und Geschäftigkeit.
Und: Ab jetzt sind wir nur noch Touristen, was wir sogleich
merken. Zusammen mit vielen anderen Reisegruppen entern wir
in den nächsten vier Tagen große Restauranthallen, deren
Gerichte uns wieder an den China-Mann in Deutschland
erinnern. Edgar lernt hier auf einer kleinen Bühne den Galoppschritt mit rechts! Und tanzt mit Brüderchen Arthur eindeutig
„Thriller“ nach.
Völlig perplex sind wir von unserem wiederum luxuriösen, komfortablen Hotel – und dem
Elend gleich um die Ecke. Nicht m al einen Steinwurf entfernt reihen sich vor einer golden
glitzernden Skyline einstöckige, graue, ärmlichste garagenartige Ein-Raum-Behausungen
aneinander und warten auf ihren Abriss. Zwar sind die eigentlichen Besitzer schon
weggezogen, vermieten jedoch – während
sie mit der Stadt um die Entschädigung
feilschen – an noch Ärmere, die in
Shanghai nach Arbeit such en. Sie liegen
auf ihren schmutzigen kaputten Couchen
– die „Haus“türen lassen sich nicht schließen – oder reden auf der Straße laut und
aufgeweckt miteinander. Jede zweite
„Garage“ ist eingestürzt, sämtlicher
Schutt und Hausabfall wird dorthin
geworfen. Wie kann man hier leben. Man
kann.
Ein paar hundert Meter weiter fährt uns fast ein Fahrradfahrer mit einer großen Ladung
Töpferwaren übern Haufen. Die Massen von Tassen auf seiner Ladefläche bleiben unversehrt. Immer wieder kreuzen mobile Garküchen unseren Weg und Fahrradhändler mit Nüssen und getrocknetem Obst. Die Selbstverständlichkeit des Nebeneinanders von Glitzerund König-Drosselbart-Welt ist schon frappierend.
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Shanghai - 13.10.11, Donnerstag
Im 12. Stock eines Hochhauses irgendwo in Shanghai gibt es endlich DEN Tanzladen. Während wir Sneaker und Schläppchen,
Hosen und Shirts kaufen, bestellt Evi für das Stück „Der
Zauberer der Smaragdenstadt“ Trikots in verschiedenen Farben
und Größen, die noch genäht werden müssen. Morgen, vielleicht
übermorgen (unser letzter Tag…) sollen wir sie abholen. Die
Verständigung ist wie immer nicht einfach und schon gar nicht
eindeutig – aber ich nehm’s mal vorweg: Es klappt!
Dass das Shanghai-Museum zumindest das größte und schönste
Chinas ist, können wir mit unseren kleinen China-Erfahrungen zwar
nicht bestätigen, glauben es aber sofort. Zusammen mit – gefühlt – Hunderten Schulklassen und Tausenden Touristen
arbeiten wir uns Etage für Etage
vorwärts: von den bronzenen Skulpturen über das Porzellan, die Kaligrafie, Jade-Kunst, Malerei sowie
Trachten und Münzen, die allerschönste rötliche Mahagoni- oder
Palisandermöbel aus den Ming- und
Qing-Dynastien– wir sind so an- und
vollgefüllt und in der Kürze der Zeit
auch überfordert mit Geschichte
und Geschichten. Gerne würden wir
wiederkommen...
Als Kontrastprogramm geht’s gleich um die Ecke in den Untergrund. Ein Einkaufs-, ja eher
Schnäppchenparadies, das keine Wünsche offen lässt. Unterm Strich belegen Hartschalenkoffer (matt und glänzend ☺) sowie Schmuck die ersten Plätze bei den Eroberungen. Aber
auch Winkekatzen, Taschen und Kleidung wechseln die Besitzer…
Um diesen Volksplatz hier rankt sich das Zentrum, das öffentliche Leben Shanghais – v.a.
auch bei Nacht. Früher war hier
eine Pferderennbahn, aber die
Kommunisten haben das Glücksspiel (offiziell natürlich nur) abgeschafft – die ovale Form des
Platzes erinnert jedoch noch an
seine ehemalige Bestimmung. Und
hier ist es heute nicht nur laut und
grell: Geht man durch die kleine
Grünanlage am Museum, gehen
kleine grüne Lichter an und „aus
denen“ erklingt leise Musik. Das
ist schön.
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Unser Abendprogramm: Mit chinesischen Porzellanvasen jonglieren, mit einem Fuß Reisschalen auf dem Kopf stapeln, auf
Tüchern schweben, durch Reifen springen: In der großartigen
atemberaubenden EXPO-Show ERA muss man ganz tapfer sein:
Angesichts dieser Talente und Perfektion fühlen wir uns ganz
klein...
Shanghai - 14.10.11, Freitag
Nanjing ist DIE Shoppingmeile
Shanghais und wir werden gewarnt: Nicht mit
vermeintlichen Kunststudentinnen mitgehen, englisch üben
und Tee trinken – die überraschende Rechnung am Schluss
kann einem das Genick brechen – oder bei Nichtbezahlen
eben die gerade noch netten „Studenten“. Auch mit Frauen
mit Rolex-Fotos auf Kärtchen sollen wir nicht mitgehen und
auch nicht bei fliegenden Händlern bezahlen – der Blüten
wegen. Wir pressen also unseren Taschen und Jacken an
den Körper und tasten uns vorwärts in der Metropolenmeile.
Ein Kaufhaus steht neben dem anderen, europäische und
amerikanische
Markenwerbung
prangt
an
jeder
Häuserwand. Aber zwei, drei Straßen weiter Richtung
„Bund“ wird’s bunter, uriger. Auch in Shanghais
Zentrum gibt es noch ein bisschen altes China
– oder China-Klischee.
Wie an vielen Stellen hat die chinesische
Regierung auch hier aus der Not eine Tugend
gemacht. In einem alten, inmitten der
Hochhausbauten fremd wirkenden früheren
Wohnviertel haben sich (oder wurden) Künstler
angesiedelt, die selbst Entworfenes und
Genähtes anbieten, Fotokunst und Bildhauerei,
Kunsthandwerk
und
Porträtmalerei.
Schmuckwerkstätten reihen sich an Cafes – dies
hier könnte auch ein Künstlerviertel in einer
europäischen Großstadt sein. Neben uns sitzen
Briten und essen vietnamesisch, so was wie den
„Mandarin Duck Tea“ – halb Kaffee, halb Tee –
trinken nur die Ausländer. Die Happy Hour spendiert
Eberhard zwei Bier zum Preis von einem. Hier gibt’s
denn auch die „Masken“ für die Affen in unserem
neuen Stück. Komisch, wie manches zusammenpasst.
Abends gehen wir den Lichtern und den Massen nach
und landen am Bund, der berühmten Promenade
(Bund nennen die Inder, die hier handelten, den Kai).
Im Rücken die schönen herrschaftlichen Gebäude
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aus der „Kolonialzeit“ – die eigentlich
keine war: In den völkerrechtlich
immer zu China gehörenden Bezirken
genossen
Ausländer
lediglich
Exterritorialität und wurden nach den
Gesetzen
ihres
Heimatlandes
behandelt. Tagsüber ist auf dem Fluss
Hochbetrieb. Ein Lastkahn nach dem
anderen schippert vorbei – mit Sand,
Steinen und anderem Baumaterial an
Bord für das boomende Shanghai.
Jetzt sind alle Blicke auf die Lichtund Werbeshow jenseits des Flusses gerichtet, wo das Finanzviertel glitzert. Man mag gar
nicht an die Stromrechnung denken… Als wir aus dem 1,2 km langen, unterhalb des Flusses
verlaufenden Tunnel aufsteigen, finden wir uns in einer menschenleeren Geisterstadt
wieder – wären da nicht wir und die anderen Touris. Ganz klein fühlt man sich am Fuße des
465 m hohen TV-Towers und des 498 m
aufsteigenden „Flaschenöffners“ – dem
jetzt noch höchsten Gebäude in China.
Bevor wir das nächste Mal nach China
kommen, hat es sein Nachbar, der
entstehende Shanghai-Tower mit rd.
600 m schon überholt – 2015 soll er
fertig sein. In Shanghai wird eigentlich
immer rund um die Uhr gebaut. Der
Ausnahmezustand herrschte aber vor
der Expo 2010, da war Schanghai für 3
Jahre eine einzige Baustelle.
Während im Finanzviertel Pudong (= östlich des Flusses)
nur die Lichter vibrieren, sind es im französischen
Viertel die Menschen. Wir spazieren durch eine Mischung
aus Gendarmenmarkt und Kollwitzplatz und sind überall –
nur nicht in China. Zwischen all den schicken Restaurants,
Bars und Kneipen, auf deren Terrassen und
Außenbereichen jetzt – Mitte Oktober! – alle Plätze bis
auf den letzten besetzt sind – offenbart sich für uns
auch eine historische Adresse: Hinter einem schönen
roten geschwungenen Türbogen hat sich 1912 die KP
Chinas gegründet, weil sich hier, im französischen
Viertel, Mao und Co. unbeobachteter bewegen konnten.
Und damit dieser Ort eine ordentliche Würdigung
erfährt, ließ die chinesische Regierung nicht dieses eine
Haus, sondern gleich das ganze Viertel erhalten. Apropos
Pragmatismus. Welch Glück.
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Shanghai - 15.10.11, Sonnabend
Yù heißt Freude und Lust. Aber was uns im berühmten Shanghaier Yù-Garten an diesem
Samstag erwartet sind eher: Leute und Frust – es ist einfach zu voll. Aber wir schaffen es,
uns auf Frau Lu zu konzentrieren, die unsere
heutige Reiseleiterin ist. 16 Jahre hat ein
Beamter der Ming-Dynastie diesen Garten
für seine Eltern gebaut – sie sind darüber
verstorben… Aber, so Frau Lu: Die Geste
zählt. Stein (steht für Tugend) und Wasser
(für Intelligenz) sind die Grundelemente des
Gartens. Prägend sind die Zick-Zack-Wege,
denn böse Geister können nur geradeaus
laufen, ah ja. Uns fallen die Drachenköpfe
auf, die doch nur Kaiserpalästen vorbehalten sind. Der Bauherr konnte sich seiner
Enthauptung mit der Behauptung entziehen, dass echte Drachen ja 5 Krallen hätten, diese
hier aber nur drei. Bevor der Chinese in kaiserlichen Diensten sein Gesicht verliert, weil er
noch nie echte Drachen gesehen hat, lässt er
den Beamten gewähren…
Der Garten ist eine beliebte Kulisse für
Hochzeitsfotos. Während die Pekinger das
Hochzeitsbankett immer vor 12 Uhr
beginnen, feiern die Shanghaier erst abends.
Die Shanghaier Ehemänner sind im Rest des
Landes als „Weicheier“ verpönt, weil sie im
Haushalt ganz selbstverständlich mithelfen.
Einer Familie außerhalb Shanghai kann kaum
etwas Schlimmeres passieren, als dass ihr Sohn eine Shanghaierin heiratet – die gelten als
faul, zickig und prunksüchtig. Solchen (Vor)Urteilen widersteht wohl nur, wer Autorität
und Reichtum ausstrahlt: Zwei Löwen am Hauseingang symbolisieren dies zum Beispiel. Frau
Lu versichert uns mit einem etwas entrückten Lächeln, sie sei froh, dass ihr Mann
Shanghaier ist.
Etwas ruhiger als im Garten geht es
bei der Teezeremonie in einigen
Stockwerken über dem Treiben zu.
Wir probieren schwarzen Ginseng-Tee
– gut für den Kopf und die schlanke
Linie; den Dragon Green Tea gegen’s
Altern, den Jasmintee für die Haut.
Auch Schwarztee mit Lychee und der
Babyjasmin munden uns köstlich.
Jetzt
steuern
wir
eine
Seidenwerkstatt an, aus der drei
Viertel der hiesigen Seidenproduktion
stammen. Unsere Reiseleiterin Lu musste als Schülerin auch Seidenraupen züchten und
tauschte heimlich einen wertvollen Teil der Briefmarkensammlung ihres Vaters gegen
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Maulbeerblätter, das einzige Futter für Seidenraupen, ein. Denn: Wer Maulbeerblätter
besaß, hatte in der Klasse das Sagen. Nach 5maligem Häuten ist aus einem „Sesamkorn“ ein
fingerdickes durchsichtiges „Würstchen“ geworden, das nun nichts mehr frisst. Bevor die
Puppen zu Schmetterlingen werden, müssen sie in heißem Wasser getötet werden .
Während Zwillingskokons für die
Füllung
von
Seidenbetten
verwendet werden, verarbeitet
man den einfachen Faden für
Kleidung und Tücher. Wie man
echte
von
falscher
Seide
unterscheidet? Anzünden. Echte
Seide brennt im Gegensatz zu
Kunstseide durch und riecht wie
verbranntes Haar. Ist dann aber
auch
keine
mehr.
Bessere
Methode: Echte Seid ist kühl,
glänzt matt und ist: teurer.
„Nina aus China“ – wie sie sich kichernd vorstellt – führt uns durch die Manufaktur und
erzählt amüsiert, dass Frauenraupen größer als Männerraupen sind – ähnlich wie im echten
Leben, hihi. Sie zeigt uns die Seidenkokons, wie man die Fäden zieht, lässt uns bei der
Herstellung der Füllung helfen (wofür man 40.000 Zwillingskokons braucht) und würde uns
am Schluss gern Bettdecken und Kleidung verkaufen. Evi und Flitzi haben ein Herz, die
Geldbörse von Eberhard und zwei schöne neue Blusen.
Die meisten wollen ihr restliches Geld lieber wieder im Untergrund-Center an die Leute
bringen. Und wer ganz mutig ist, geht zum Friseur. Allerdings: Die Friseure sind
aufgeregter als ihre Kunden und ein bisschen überfordert mit dem europäischen Haar.
Aber offen und freundlich. Es ist ein Erlebnis. Wer aber die schicke Einkaufsmeile der
Stadt entlang spaziert, staunt über die Chinesen: Da versammeln sich einige wenige ältere
Semester zum Gesellschaftstanz auf dem Boulevard, völlig unspektakulär in Alltagskleidung
und nur so zum Spaß und
Bewegen – aber halb
Shanghai
schaut
interessiert zu. Vom
Balkon
sielt
ein
Saxofonist „Yesterday“
dazu. Es kann so einfach
sein, selbst im schicken
Shanghai.
Zum gemeinschaftlichen
Ausklang
der
Reise
lassen wir am Ufer des
Kanals hinter unserem
Hotel
Feuerballons
steigen,
die
die
Lampionbastler
im
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Pekinger Jugendpalast geschenkt bekamen. Die sind in Deutschland verboten und müssen
deshalb hier in die Luft gehen.
Wir haben genug Ballons, um den Dreh rauszubekommen, wann man anzünden und wann
loslassen muss. Erstaunlicherweise fällt keiner ins Wasser und verbrennt keiner im Baum.
Innerhalb nur weniger Minuten hat sich wieder eine interessierte Menschentraube um uns
herum versammelt, das nehmen wir ja schon routiniert zur Kenntnis. Leise Wünsche
murmelnd verlieren wir irgendwann die hoch steigenden Feuerbälle aus den Augen…. Dafür
nimmt uns die Polizei ins Visier. Wie vorab besprochen zerstreuen wir uns unverzüglich –
aber wahrscheinlich wollten die Polizisten auch einfach nur mitgucken.
Shanghai - 16.10.11, Sonntag
5.45 Uhr. Die Step by Step-Gäste sind die ersten beim Frühstück☺. Auf dem Flug nach
Peking zittern wir noch mal wegen des Gewichts der Gepäckstücke, aber alles kommt mit.
Zwei emsige attraktive Stewardessen begleiten uns beim Umstieg in Peking, damit wir auch
wirklich in den Flieger nach Berlin einsteigen. Beim Einchecken verabschiedet sich Fiake
mit Transparent und Abschlussfoto. Wahrscheinlich sind wir noch zu müde und sind die
Erlebnisse zu frisch, um hier angemessen „danke“ sagen zu können. Wir heben ab….und
schlagen nach 11 Stunden Flug ziemlich hart im kalten Berlin auf – im übertragenen Sinne.
Trotz der Wiedersehensfreude fehlt uns China schon jetzt. Das leckere Essen, das milde
Klima, die fremde Mentalität, der Lärm der Straßen, die Menschenmassen, die
Überraschungen des chinesischen Alltags, das Erschrecken über Ungewohntes, das
Kopfschütteln über die Sitten, das Staunen vor einer großen Kultur, die Unkompliziertheit,
das Einfache, die Gemeinschaft, das Lachen, das Busfahren, das Tanzen, …
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Nach dem 17. Oktober
Wir haben unsere Koffer längst ausgepackt und brachten mit:
Unzählige Tücher, Schals, Mützen, Koffer, Klamotten, Tee und Schmuck.
Bunte Trikots, Requisiten und Schläppchen.
Mehr als 1 3.000 Fotos und viele Gastgeschenke.
Jede Menge Geschichten und mehr Geschichtsbewusstsein.
Einen chinesischen Fächertanz.
Sensibilisierte Geschmacksnerven.
Mehr Verständnis und Aufgeschlossenheit für das „Reich der Mitte“.
Teamgeist und Zusammenhalt in unserer Gruppe.
Dankbarkeit – für die chinesischen Gastgeber und unsere Spender in Deutschland.
Lust auf mehr: Auf mehr China und mehr Austausch mit anderen.
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