Das Kriegs-Zeitzeugen Buch Wismar als PDF
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Das Kriegs-Zeitzeugen Buch Wismar als PDF
WISMAR Aus der Stadt- und Feuerwehrgeschichte 1933 -1945 Zeitzeugen erzählen Ein Projekt des Verbundnetzes für Demokratie und Toleranz Vorwort Wie verlief die Geschichte der Freiwilligen Feuerwehren in Deutschland und wie sah das konkret im eigenen Ort aus? Was war früher anders als heute? Was geschah mit den Freiwilligen Feuerwehren in Zeiten der Diktaturen? Welche historischen Ereignisse fanden in der Region statt? Das vorliegende Buch ist das Ergebnis der Geschichtswerkstatt Heimat Mecklenburg-Vorpommern – Feuerwehr im Spiegel der Zeit, die das Verbundnetz für Demokratie und Toleranz im Rahmen der Initiative Jugendfeuerwehren für Demokratie und Toleranz in der Jugendfeuerwehr Wismar in der Zeit von Oktober 2008 bis April 2009 durchführte. Das 150-jährige Jubiläum der Freiwilligen Feuerwehr der Stadt war für die Jugendlichen ein Anlass, sich mit der Geschichte ihrer Feuerwehr und ihrer Stadt zu beschäftigen. Schwerpunkt der Werkstatt war die Auseinandersetzung mit der Feuerwehrgeschichte in der Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges – einer Zeit, die auch für die Freiwilligen Feuerwehren in Deutschland gravierende Auswirkungen hatte. So verloren sie ihren Vereinsstatus und wurden zu Hilfspolizeitruppen erklärt. Die Angehörigen wurden 1938 verbeamtet und Mitgliedsaustritte ab 1939 für wirkungslos erklärt. Neben einer Veranstaltungsreihe zur allgemeinen Geschichte dieser Zeit sammelte die Jugendfeuerwehr Material in der Feuerwehr, besuchte das Stadtarchiv und sah sich Filme und Zeitungen aus jener Zeit an. Diese Wissensaneignung war eine wichtige Voraussetzung für die Durchführung von Zeitzeugeninterviews. Insgesamt 6 Interviewpartner konnten für das Projekt gewonnen werden – Wismarer, die die NS-Diktatur und den Zweiten Weltkrieg miterlebt haben. Zeitzeugen kommt eine wichtige Rolle bei Vermittlung von Geschichtswissen zu. Durch ihre Erlebnisberichte werden abstrakte historische Tatsachen gerade für Jugendliche anschaulicher und greifbarer. In unterschiedlichen Kontexten hatten die Zeitzeugen auch einen Bezug zur damaligen Feuerwehr oder konnten sich an Einsätze, vor allem im Zusammenhang mit den Luftangriffen auf die Stadt während des Krieges erinnern. Parallel begab sich die Jugendfeuerwehr mit dem Fotografen Christian Möller auf Spurensuche durch die Stadt, fotografierte Häuser, Straßen und Plätze, die vor dem Krieg anders aussahen. Durch die Existenz alter Fotografien, die die Zerstörung Wismars im Zweiten Weltkrieg dokumentieren, wurde ein Vergleich mit dem heutigen Stadtbild möglich. Das Buch erzählt einen Teil der Geschichte Wismars in Bildern und Geschichten. Es kann hier nicht darum gehen, jede einzelne Aussage auf ihren historischen Wahrheitsgehalt zu überprüfen. An diese oder jene Begebenheit der Stadtgeschichte wird sich der eine oder andere Zeitgenosse vielleicht ganz anders erinnern, vielleicht auch gar. Die Berichte sind sehr vor allem eines: persönliche Erinnerungen an eine Zeit vor mehr als 60 Jahren und ganz individuelle nachträgliche Betrachtungen oder Beurteilungen einzelner Ereignisse. Neben der Wissensvermittlung sollten diese Gespräche dazu dienen, das Interesse der Jugendlichen für die Vergangenheit zu wecken, um bewusster und mit offeneren Augen die Gegenwart zu betrachtet und sich die Unterschiede zwischen Diktatur und Demokratie bewusst zu machen. Denn „wer sich der Vergangenheit nicht erinnert, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen“, schrieb im Jahr 1905 der amerikanische Philosoph George Santayana. In einer Zeit nach der Erfahrung des Zweiten Weltkrieges und des Holocaust einerseits und angesichts heutiger Wahlerfolge rechter Parteien andererseits erhalten diese Worte eine besondere Bedeutung. „Ich weiß nicht, dass Leute sich heute noch für solche Sachen einsetzen können, das ist mir ein Rätsel … da fühlt man sich in Uraltzeiten zurückversetzt“, äußerte eine der interviewten Person, die in diesem Buch zu Wort kommt. Die Interviewpassagen wurden thematisch geordnet und für die Drucklegung nur äußerst behutsam überarbeitet und gegebenenfalls gekürzt, um eine gute Lesbarkeit zu gewährleisten, aber die sprachlich individuellen Besonderheiten zu erhalten. Wir danken herzlich allen Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern für die Bereitschaft, uns aus ihrem Leben zu erzählen und sich portraitieren zu lassen. Es war uns ein Anliegen, den Geschichten ein Gesicht zu geben. Ulrike Krause, Projektleitung Inhalt Zur Geschichte der Freiwilligen Feuerwehr Wismar im Kontext der Feuerwehrgeschichte in Deutschland in den Jahren 1933 – 1945 S. 04 Aus der Geschichte der Stadt Wismar – Zeitzeugen erzählen S. 06 Der Bombenangriff auf Wismar am 25. August 1944 S. 11 Der Bombenangriff auf Wismar vom 14. zum 15. April 1945 S. 16 Jugend in NS-Diktatur und Krieg S. 19 Kriegsende in Wismar S. 27 Resümee der Zeitzeugen S. 30 Resümee der Projektteilnehmer S. 32 Hintergrundinformationen zum Projekt S. 34 Impressum, Bildnachweis und Quellen S. 35 4 Wismar. Stadt- und Feuerwehrgeschichte 1933-1945 _________________________________________________________________________________________________ Zur Geschichte der Freiwilligen Feuerwehr Wismar im Kontext der Feuerwehrgeschichte in Deutschland in den Jahren 1933 - 1945 Die Freiwillige Feuerwehr Wismar wurde im Jahre 1859 gegründet. Bis zum Ende der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts war ausschließlich sie für den Brandschutz der Stadt zuständig. Die verheerenden Schäden zweier Brände im Jahr 1923/24 zeigten jedoch die inzwischen veraltete Technik und die mangelhafte Mobilität und erforderten eine Modernisierung der Feuerwehr und den Bau eines neuen Depots. Am 5. September 1928 wurde das neue Feuerwehrdepot an Feuerwehrdepot 1928 der Frischen Grube 13 eingeweiht und einige Tage darauf ein Auto-Löschzug in Betrieb genommen werden. Damit waren die Grundlagen für eine Berufsfeuerwehr gelegt. Die Besatzung des Auto-Löschzuges wurde zu einer „ständigen Feuerwehr“ befördert, im Depot wurden Wohnungen eingerichtet und die Entlohnung erfolgte nach dem Tarif städtischer Arbeiter. Die übrigen Mannschaften zählten fortan zur „Reservefeuerwehr“. Feuerwehrdepot 2009 Historischer Hintergrund Unmittelbar nach ihrer Machtübernahme im März 1933 begannen die Nationalsozialisten, alle wesentlichen Bereiche des öffentlichen Lebens ihrem Regime zu unterstellen. Auch die Feuerwehren waren davon betroffen. Im Dezember 1933 wurde das Gesetz über das Feuerlöschwesen erlassen, das alle bis dahin geltenden Verordnungen ersetzte. Freiwilligen Feuerwehren als selbstständige Vereine mit einer demokratisch gewählten Leitung gab es von nun an nicht mehr. Sie wurden als Exekutivorgane mit besonderen Aufgaben der Polizeibehörde unterstellt. Alle Personalstellen mit Weisungsbefugnis wurden von den Brandinspektoren auf Kreis- und Bezirksebene vorgeschlagen, dann durch den Landesbranddirektor ernannt und schließlich von der Gemeindeverwaltung genehmigt. Voraussetzung war die politische Zuverlässigkeit gegenüber dem NS-Regime.In der in Güstrow erschienenen Mecklenburgischen Feuerwehrzeitung vom 15.12.1933 schrieb dazu der damalige Landesbranddirektor Ecker: „Unter politischer Zuverlässigkeit verstehe ich die absolute Einstellung zum nationalsozialistischen Staat. Hier handelt es sich darum, daß die Führer aller Feuerwehren hinter dem Führer des Volkes zu stehen haben …“ Unter der Überschrift: „Seestadt Wismar. Deutschlands jüngste Berufsfeuerwehr“ ist in der Mecklenburgischen Feuerwehr-Zeitung vom 15.7.1937 zu lesen, dass die Feuerwehr der Seestadt Wismar wurde mit Verfügung vom 20.10.1936 vom Mecklenburgischen Staatsministerium, Abt. Inneres, als öffentlich aner- Für alle Feuerwehren galt ab 1934 eine neue Satzung, die die Unterordnung unter das Führerprinzip festlegte. Jüdische Bürger waren fortan von einer Mitgliedschaft ausschloss. Die Freiwilligen Feuerwehren hatten in diesen Zeiten versucht, sich eine gewisse Eigenständigkeit zu bewahren, was jedoch immer schwieriger wurde. Der Deutsche Feuerwehrverband wurde 1936 aufgelöst, danach auch die Landesverbände. An ihre Stelle trat das Reichsamt für Freiwillige Feuerwehren, das beim Reichsführer der SS und der Polizei angesiedelt war. 1938 wurde ein neues Reichsgesetz über das Feuerlöschwesen erlassen. Danach waren die Berufsfeuerwehren nun Feuerlöschpolizei und die Freiwilligen Feuerwehren technische Hilfspolizeitruppe. Zur Geschichte der Freiwilligen Feuerwehr Wismar 5 _________________________________________________________________________________________________ Feuerwehr Wismar, Foto im Niederdeutschen Beobachter vom 8.8.1938 Feuerwehr Wismar 1942 kannt. Leiter der Feuerlöschpolizei wurde Brandinspektor Frommelt, der zuvor 12 Jahre bei der Berufsfeuerwehr in Leipzig tätig war. Die Berufsfeuerwehr bestand zu diesem Zeitpunkt aus 1 Brandinspektor, 2 Oberfeuerwehrmännern und 13 Feuerwehrmännern. Außer dieser ist eine Freiwillige Feuerwehr gegründet worden, die aus 17 Mann bestand und auf 24 Mann verstärkt werden sollte. heißt es weiter: „Anschließend schritt der Oberbürgermeister nach eindringlichem Hinweis auf die Bedeutung und Heiligkeit des Eides auf den Führer zur Vereidigung, die für Berufsfeuerwehr und Freiwillige Feuerlöschpolizei getrennt vorgenommen wurde.“ Im August 1938 wurde die Berufsfeuerwehr verbeamtet. Nach und nach wurde die Militarisierung der Feuerwehr vorangetrieben. Uniformen und Ausbildung wurden denen der Wehrmacht angeglichen, zu den Aufgaben der Feuerwehr zählte nun auch der Luftschutz. Deutlich wird im nachfolgenden Artikel des NS-Blattes Niederdeutscher Beobachter vom 08.08.1938 die politische und organisatorische Vereinnahmung der Feuerwehr durch das NS-Regime. Ehrentag der Wismarer Feuerlöschpolizei Wehrmänner wurden Beamte: „Zu einer Feierstunde in der festlich ausgeschmückten Fahrzeughalle des Feuerwehrgebäudes fanden sich gestern vormittag die Spitzen der Behörden und der Partei zusammen. Es galt, die 16 Berufsfeuerwehrleute in das Beamtenverhältnis zu überführen und gleichzeitig auch die Beförderungen bei der Berufs- und bei der Freiwilligen Feuerlöschpolizei vorzunehmen. Der Der dieser Tag zum Brandoberingenieur ernannte bisherige Brandinspektor Frommelt begrüßte als Führer der angetretenen Wehr die Gäste und wies auf die Bedeutung dieser Stunde hin, die den Feuerwehrleuten ein Meilenstein auf ihrem Lebensweg sein solle. Er leitete dann zur Rede des Oberbürgermeisters über mit den Worten, die der Führer in „Mein Kampf“ über das Berufsbeamtentum fand, die auch den jetzt neu ins Beamtenverhältnis eintretenden Feuerwehrleuten Richtschnur sein müßten.“ Nach den Ausführungen zur Nähe der Feuerwehrmänner zu den „soldatischen Idealen“ und der Pflicht zur Opferbereitschaft „bis zum Letzten“ Erkennbar wird in diesem Artikel auch die personelle Verquickung von Feuerwehr und NS-Organisationen. Im Absatz zu den Beförderungen wird erwähnt, dass die zweite Löschmeisterstelle dem zum Oberfeuerwehrmann ernannten bisherigen Feuerwehrmann Wunderlich, Wismars ältestem SA-Kämpfer, zur Verwaltung vorläufig übergeben wurde. Im selben Blatt vom 09. August 1938 ist in Bezug auf „Sport- und Leibesübungen“ in der Feuerwehr von einer „recht hohe Zahl erworbener SA-Sportabzeichen und Rettungsschwimmer-Grundscheine“ die Rede. Außerdem wird berichtet, dass „außer Sa/So tgl. 2 Stunden exerzieren, dann Arbeitsdienst, fachliche Weiterbildung durch die neue Fachbücherei“ für die Feuerwehrleute auf dem Programm stand. „Für die Bewegung setzte sich die Wehr durch eine ganze Anzahl freiwilliger Hilfsleistungen ein, weiter fanden zur Pflege der Kameradschaft Veranstaltungen mit den Beamten der Polizei statt. Der Sonderzug mit dem Führer und dem Duce wurde von unserer Wismarer Feuerlöschpolizei mit Trinkwasser versorgt. Im übrigen nahm die Wehr auch rege in den Schulungskursen der Partei und der DAF teil, um so in allen Gebieten durchgebildet stets und überall ihren Mann stehen zu können. … An reichseigenen Fahrzeugen modernster Konstruktion erhielt die Wehr noch zwei Spritzen, und zwei KZ-Wagen für den Feuerwehrbergungstrupp (Luftschutzzwecke), da Wismar ja Luftschutzort erster Ordnung ist. … Im Gasund Luftschutzwesen wurde eifrig gearbeitet, … .“ 6 Wismar. Stadt- und Feuerwehrgeschichte 1933-1945 _________________________________________________________________________________________________ Aus der Geschichte der Stadt Wismar - Zeitzeugen erzählen Historischer Hintergrund Im Frühjahr 1939 erklärten Frankreich und Großbritannien, die lange Zeit nicht gegen Hitlers Annexionen einschritten, um einen Krieg zu verhindern, das Ende ihrer bisherigen "Appeasement-Politik" gegenüber der aggressiven Expansionspolitik Deutschlands und garantierten die Unabhängigkeit des polnischen Staates. Mit dem Angriff auf Polen am 1. September 1939 begann Deutschland den Zweiten Weltkrieg. Nach der Besetzung Dänemarks und Norwegens begann am 10. Mai 1940 der deutsche Angriff auf die Niederlande, auf Belgien, Luxemburg und Frankreich und die Besetzung dieser Länder. Am 16. Juli 1940 befahl Hitler Vorbereitungen zur Invasion Englands, am 13. August eröffnete er die "Luftschlacht um England". Bis zum Frühjahr 1941 erfolgten durch die deutsche Luftwaffe Flächenbombardierungen britischer Städte wie Sheffield, Birmingham, Bristol, Liverpool, Glasgow, Belfast. In London flüchten tausende Menschen vor den Brandbomben in die Schächte der U-Bahn. In der Nacht zum 15. November 1940 zerstörten 500 Bomber die Stadt Coventry nahezu vollständig. Ab Frühjahr 1942 begannen die massiven, gezielten Luftangriffe der Engländer, ab 1943 auch der Amerikaner gegen deutsche Städte, bei denen zwischen 500 000 und 600 000 Menschen um Leben kamen. Wismar als Industrie- und Hafenstadt mit dem Flugzeugbau der Norddeutschen Dornier-Werke gehörte mit zu den ersten Zielen der britischen Royal Air Force, deren Ziel es war, die kriegswichtige Rüstungsindustrie und die Infrastruktur zu schädigen sowie die Kriegsmoral der Bevölkerung zu brechen. Insgesamt 12 Bombenangriffe flogen die Engländer und Amerikaner bis zum Kriegsende auf die Stadt, davon 7 Angriffe zwischen dem 24. Juni und dem 29. Juli 1940. Danach kündigte die Sirene 133 Mal Fliegerverbände an, wobei es bei Warnungen blieb. Am 28. April 1942 wurde über Wismar der Ausnahezustand verhängt. Bis zum Kriegsende folgten 5 Luftangriffe, davon drei besonders Die Bombardements vom 24. September 1942, 25. August 1944 und 14./15. April 1945 haben sich tief in die Erinnerung derer eingeprägt, die die Angriffe miterlebten. Über 300 Menschen verloren in Folge der Luftangriffe ihr Leben, 344 Wohnhäuser wurden zerstört, 531 Gebäude schwer, weiter 1025 leicht beschädigt. 3165 Wohnungen, das waren über 26 % des damaligen Wohnbestandes der Stadt, gingen verloren. Bis heute ist das Stadtbild von der Zerstörung geprägt – neue Häuser zwischen alten, hier und da eine Baulücke, ein Parkplatz, Bäume oder eine Grünanlage, wo früher ganze Häuserzeilen standen. Turmstraße mit Gefangenenturm 1944 untere Altwismarstr. 1944 Im Nachfolgenden kommen Wismarer zu Wort, die jene Zeit als Kinder oder Jugendliche miterlebt haben. Ihnen ist gemeinsam, dass ihre Väter aufgrund des Alters von einer Einberufung verschont blieben. Sie konnten in Wismar bleiben und ihren Berufen nachgehen, wurden aber zusätzlich in Organisationen, wie der Feuerwehr oder dem Hilfszoll, vor Ort eingebunden. Mit diesen Aufgaben betraut, hatten sie ihren Beitrag zur Verteidigung der damals sogenannten „Heimatfront“ zu leisten. Damit war eben auch die Feuerwehr, vor allem durch ihre Unterordnung unter die Polizei, aus politischer Sicht im nationalsozialistischen Staatsgefüge einer der machterhaltenden Faktoren, wie einer der Interviewpartner betonte. Hinterhof Altwismarstr./ Großschmiedestraße Aus der Geschichte der Stadt Wismar - Zeitzeugen erzählen 9 _________________________________________________________________________________________________ Dr. Martin Steinbrecher, geb. 1935 Mein Vater ist Jahrgang 1902. Das ist, so spricht man drüber, der sogenannte „Goldene Jahrgang“ und zwar deshalb, weil die in diesem Jahr Geborenen sind um den Ersten Weltkrieg grade so drumrum gekommen – bis 1919 sind sie nicht eingezogen worden und für die zweiten Weltkrieg waren sie zu alt. Zumindest als reguläre Soldaten. Nun ist mein Vater nicht eingezogen worden. Er war aber kaserniert und das hier bei der Feuerwehr in Wismar. Er war hauptberuflich der Pastor von St.-Marien und hat auch während des ganzen Krieges neben seiner Zugehörigkeit zu der besonderen Einheit hier bei der Feuerwehr seinen kirchlichen Dienst versehen – Sonntags seine Gottesdienst und die vielen Beerdigungen, die es hier in Wismar gab und alles das, was eben dazu gehört, wenn man hier eine größere Gemeinde hat. Gewohnt hat er hier in der Scheuerstraße. Er zeigte manchmal, wenn wir hier unterwegs waren, hoch auf die Fenster gegenüber den drei großen Toren in der Frische Grube. „An der Stelle, sagte er, da oben, da ist unser Schlafraum.“ Da hatte er mit 7 oder 8 Männern zusammen seine Schlafstätte. Er war kaserniert, er war auch uniformiert, er hatte eine blau-graue Uniform mit einem Käppi mit einer Kokarde. Die hatten aber nicht wie Wehrmachtsangehörige den Adler mit dem Hakenkreuz oben an, sondern nur das Käppi wie auch die Feuerwehrleute insgesamt wohl. Er gehörte also zu einer Einheit, die als Beobachter, Melder und Hilfskräfte hier bei der Feuerwehr in Wismar angestellt waren. Was heißt angestellt, abkommandiert war, das heißt, es war eine Truppe von Männern, eben von 50-60 Jahren, die mit Fahrrad ausgerüstet bei jedem Luftangriff, bei jedem Flieger Mühlengrube und Schabbelhaus 1944 und 2009 alarm in die Stadt mussten. Mein Vater selbst hatte seinen Meldestandort in der alten Wache am Marktplatz, also in dem Haus, wo die zwei Kanonen stehen, da irgendwo hatte er sein Telefon, wo er sich aufzuhalten hatte. Sobald also Fliegeralarm war, rückte diese Truppe, ich weiß nicht genau, wie viel das waren, ich schätze mal, es sind 8 bis 10 Männer gewesen, die als Melder sich in die Stadt absetzten. Jeder hatte so seinen Bezirk - der Vater da, rings um das, was wir heute gotisches Viertel nennen, am Marktplatz, Dankwartstraße und Hegede. Und wenn es dann wirklich zum Bombenabwurf kam, mussten diese Leute raus und ihr Gebiet abfahren oder aufpassen, wo fallen Bomben, wo werden Häuser zerstört, Keller verschüttet. Wo ist also Feuerwehr gefragt, wo sind Hilfskräfte zum Ausgraben der Verschütteten notwendig und wo liegen Blindgänger. Blindgänger, das hab ich selbst miterlebt, waren eigentlich nach jedem Fliegerangriff immer Mode, da steckten dann so zwei Drittel im Straßenpflaster oder lagen irgendwo in Gärten. Dieser Vorabtrupp von Männern, also eigentlich keine Feuerwehrleute, sondern Melder, hatten das zu beobachten und mussten vor Ort sein, durften also nicht irgendwo im Luftschutzkeller sitzen, sondern sollten vor Ort gucken, wo hat´s reingeschlagen, wo sind Menschen in Not und mussten dann Meldung machen. Für den Vater hieß das zum Stadthaus, da das Telefon bedienen. Es gibt heute noch jede Menge alte Häuser hier in Wismar, wo nicht inzwischen neu verputzt oder gemalert ist, wo man diesen weißen Streifen über dem Trottoir, über dem Fußweg oder hinterm Vorgarten an der Hauswand selbst sieht, ein Streifen, der unmittelbar auf das Fenster zugeht, wo sich der Luftschutzraum befand. 10 Wismar. Stadt- und Feuerwehrgeschichte 1933-1945 _________________________________________________________________________________________________ Irmgard Lorenz, 1924 Ich bin im 85. Lebensjahr. Wir hatten ein Geschäft am Markt, mein Vater war gegen die Nazis eingestellt voll und ganz. Und so wurden wir auch erzogen zu Hause. Weil er immer sagte, das nimmt kein gutes Ende mit den Nationalsozialisten. Wir waren dann nachher am Turnplatz im Lyzeum. Sehr schöne Mädchenschule. Und als der Krieg ausbrach, wurde das Lyzeum sofort geräumt für ein Lazarett. So und dann mussten wir nun wo bleiben und hier war die Hilfsschule, hier in diesem Gebäude (heute: ….) Und da kamen wir dann rein, hatten dann entweder vormittags oder nachmittags Schule und so konnte man dann immer zur Feuerwehr gucken. Das war ja auch ganz schön, auf dem Hof und wenn die ausfuhren usw. Die Feuerwehr war für uns dann doch hier ein Erlebnis. Mein Vater wurde eingezogen, er kam nicht zur Armee, er kam zu Feuerwehr und fuhr die große Leiter. Das war was für uns. Also bei Fliegeralarm musste Vadder immer erst zur Feuerwehr rennen und hier war so ein Unterstand auf dem Hof, wo sie auch unterkriegen konnten und dann mussten sie eben zum Löschen fahren. Ich weiß noch als die Turmstraße brannte, als der große Angriff war, da hab ich dann Vadder gesehen bei der Leiter, er sagte: „Bloß nach Hause, weg hier.“ Es hatte ja jeder mit seinem Anwesen zu tun. Für Vadder auch nicht einfach, wenn die Angriffe waren, denn saß er hier und wusste nicht… Dadurch sind wir mit der Feuerwehr bisschen zusammengekommen, da Vadder seine Kriegsverpflichtung eben bei der Feuerwehr machen musste. Aber er war zu Hause, das war schon viel wert. Elisabeth Müller (Name geändert), geb. 1924 In Redentin war eine ganze Kompanie, Infanterie war´s nicht. Das war ein Löschtrupp und das waren Soldaten, die in Russland oder Frankreich schwer verletzt waren, die wurden dann als Löschtrupps eingesetzt und die waren in Redentin stationiert. Und von Redentin aus wurden sie dann immer eingesetzt in diese Städte, wo`s brannte. Und bei uns im Haus hatten wir Einquartierungen. Jedes Haus hatte Einquartierung von diesen deutschen Soldaten mit dem Löschtrupp. Und dieser Löschtrupp musste dann ja immer weg, wenn es brannte, ob´s in Hamburg war - in Hamburg war´s ja noch am Schlimmsten oder oder Lübeck, wo immer es Bombenangriffe gab. Und wenn die Leute dann wiederkamen zwei, drei Tage später, es hat niemand erzählt, denn die haben alle dieses Elend gesehen, was da passierte. Die waren über 2 Jahre bei uns stationiert. Christa Innecken Wir hatten eine Mineralwasserfabrik. Die hatte mein Großvater schon gegründet 1896, in der Neustadt 40. Die ist in der DDR-Zeit eingegangen. Da gab es Selters und Brause, grüne, rote, gelbe. 1935 hat mein Vater das Geschäft übernommen, da starb mein Großvater. Und ´36 hat er das alles neu aufgebaut, eine neue Fabrik hinten auf dem Hof, zwei Garagen. Wir hatten früher Feuerwehrübung 1938 Pferde noch bei meinem Großvater, das hatten wir dann nicht mehr. Drei oder vier Angestellte und einen Fahrer, einen Kutscher. Und ´39 hatten wir einen Opel Blitz und einen Fahrer Petersen. Der wurde samt dem Opel Blitz eingezogen und fiel in den ersten drei Tagen in Polen. Samt Opel Blitz. Der Mensch hatte 7 Kinder. Das war furchtbar. Die Feuerwehr kam während des Krieges jeden Tag und holte ihre Brause direkt bei uns aufm Hof. Die hatten immer Dörst. Das waren ganz treue Kunden. Und es wurde immer Plattdeutsch gesprochen. Mein Vater war während des Krieges beim Hilfszoll. Es ist nie was passiert, es ist keiner gegangen, es ist keiner gekommen. Das empfand mein Vater als äußerst befreiend, dass er da an der Küste herummaschieren konnte. Er war mit einem Fahrrad ausgestattet, mit einem Gewehr, einem Revolver und einem Brotbeutel – das war die Ausstattung. Passiert ist nie was. Nachts wurde Streife mit 2 Mann gefahren. Zunächst mussten sie die Grenzen schützen, da heißt, die gingen Tag und Nacht und kontrollierten die Grenzen, ob da irgendwelche Feinde kamen. Es kamen aber überhaupt gar keine Feinde. Da bin ich oft mitgegangen, weil das einfach auch schön war, nach Hoben oder nach Poel oder Redentin, nachts mit Doppelstreife und am Tage alleine. Also das war eigentlich mehr Spaß, es war nichts Ernsthaftes. Der Bombenangriff auf Wismar am 25.August 1944 11 __________________________________________________________________________________________________ Der Bombenangriff auf Wismar am 25. August 1944 Dr. Martin Steinbrecher Es war ein Angriff am Tage, während sonst alle Angriffe ja nachts erfolgten. Zweite oder dritte Klasse waren wir. Unsere Schulen, das heutige GerhardHauptmann-Gymnasium (die damalige Knabenschule), die Reuter-Schule und das Lyzeum wurden dann 1943 zum Lazarett umgebildet und als Schule geschlossen. Das rote Ziegeldach wurde so angestrichen, dass von oben ein riesiges rotes Kreuz übrig blieb. Die Alliierten haben ja tatsächlich diese Gebäude verschont und nicht angegriffen. Zum Schuljahresbeginn 1944 wurde ich mal wieder umquartiert als Schüler und kam in die heutige Klosterschule, also diese integrierte Schule, Goetheschule. Es ist also wohl der 10. September oder so gewesen, da heiß es Ährensammeln. Alle Schulklassen, also 1-4 gingen in Richtung Luftwaffenlazarett, also der heutige Krankenhauskomplex, dort auf den Äckern mussten wir Ähren lesen. Im Krieg wurde ja alles verwertet. Schulklassen mussten eben Ährenlesen, um zusätzlich zur Versorgung der Bevölkerung einen Betrag zu leisten. Und während wir da am späten Vormittag auf den Äckern rumsausten und uns da die nackten Füße zerstachen an den Strohhalmen, rief plötzlich eine Lehrerin: „Am Marienkirchturm hängen die Fahnen, es ist Fliegeralarm.“ Keiner kann mir heute sagen, welche Art von Fahnen das gewesen sind, aber das muss so gewesen sein, dass zur Kennzeichnung von Fliegeralarm für die weitere Umgebung am Marienkirchturm Fahnen rausgehängt wurden. Wir hätten das damals auf den Äckern so weit weg von der Stadt auch nicht über die über die Sirenen mitgekriegt. damals ein Gutshof, und die Zufahrt zu diesem Gutshof war mit großen Linden rechts und links bestückt, und wir flüchteten uns unter diese Bäume. Dann kam aus dem Lazarett die Kolonne von Sanitätsfahrzeugen. Die Fahrzeuge wurden in Sicherheit gebracht auch unter diese Bäume und dann kümmerten sich die Sanitätsunteroffiziere da um uns Kinder und beruhigten uns, denn es ging dann fürchterlich los, man hörte diese Flugzeuggeschwader. Das ist bis heute unvergessen, wenn da Hundert Flugzeuge in der Luft sind, die da in Staffel immer zu fünft in 2-3 Tausend Meter Höhe einhergebrummt kommen, es ist ein Wahnsinnsgeräusch. Und dann fielen die Bomben. Das war dieser Angriff, der der Waggonfabrik eigentlich gelten sollte, wo aber die Straße – Dr. Leber-Strasse da unten zertrümmert wurde. Und auf unsere Schule, die Goetheschule sind auch Bomben gefallen. Es sind auch Schulklassen im Keller, die höheren Schulklassen sind im Keller unten gewesen, aber es hat zumindest dort keine Toten gegeben. Zurück zu diesem Angriff, den wir da draußen mitgemacht haben. Diese Schulklassen, wir sahen Wismar brennen und nachdem die Flugzeuge längst weg waren, heulten wir da rum und wollten natürlich nach Hause und da hieß es: „Nein, in der Stadt liegen Blindgänger, ihr dürft nicht, ihr müsst hier oben bleiben bis es Entwarnung gibt.“ Und das hat wirklich bis zum Abend gedauert. Auf diese Weise kriegten wir also mit, es muss Fliegeralarm sein und dann wurden wir gescheucht, die drei-vierhundert Kinder, die wir waren, unter die Bäume, von der Straße, die heute auf das Zoogelände zugeht, da hinten, wo diese Spielscheune steht, das war Schwarzes Kloster 1944 und 2009 Bademutterstraße, Bäcker Röhl 1944 und 2009 Der Bombenangriff auf Wismar am 25. August 1944 13 _________________________________________________________________________________________________ Großschmiedestraße 1944 und 2009 Helga Leonhardt, geb. 1933 Ja, da durften wir ja nicht hierbleiben. Die Schulen wurden geschlossen, wir kamen alle in ein KV-Lager. Da waren die Kinder gesammelt und gingen zur Schule. Canow bei Wesenberg waren wir und kamen wir hier bei Neubukow hin. Die Schulen wurden ja alle als Lazarett oder so was genutzt. Ich war in der Fritz-Reuter-Schule. Wir wohnten ja direkt am Lindengarten, wo die Bushaltestelle ist. Da wohnten wir. Wir waren im Keller. Ich hab nur gesehen, da hat meine Mutter uns weggescheucht, wie die Turmstraße kaputt ging. Wie sie die Kinder da vorbeigetragen haben. Das durften wir als Kinder nicht sehen, da mussten wir rein ins Haus. Man zuckte immer zusammen, wenn das Ding (die Sirene) ging. Wir hatten Angst. Wo ich gewohnt hatte, da ist ´ne Autowerkstatt, die haben uns immer mit dem Auto außerhalb von Wismar gebracht. Und wenn dann ein Angriff kam, dann sahen wir, wie die leuchtenden Dinger runtergingen von den Flugzeugen, man hörte auch das Gebrumme, das hörte man, ja. Elisabeth Müller Als der Angriff kam, hatten wir Schule. Voralarm kam, dann hieß es: „Sofort die Schule verlassen und sofort nach Hause.“ Ich wohnte damals in Redentin und musste denn natürlich noch mit dem Fahrrad nach Redentin und war grade zu Hause, da ging der Angriff los. Und glauben Sie, die Sonne war weg. Es hat so gebrannt in Wismar, es gab keine Sonne mehr, es gab nichts. Und dann haben wir zugesehen, zum ersten Mal haben wir das gesehen, als die Amerikaner die Bomben runterwarfen. Wir haben sie immer in der Sonne aufblitzen sehen. Wir haben von Redentin aus natürlich nicht sehen können, wo es war. Aber die ganze Gegend, wissen wir ja, ging ja weg. Es war furchtbar. Es war furchtbar. Wir haben Tage gebraucht, um überhaupt hinzukommen, Schule war weg, es gab nichts mehr von da an, es gab für uns keine Schule mehr, es war alles vorbei. Und die Feuerwehr konnte an dem Tag bestimmt nicht raus. Wir haben auch nichts gehört, denn es war ja alles kaputt. Es brannte alles lichterloh. Und ich weiß noch, wir sind dann, als der Angriff vorbei war, zwei, drei Tage später, wo jetzt die Kreuzung ist, die Hochbrücke und da ist doch diese Kreuzung, da geht’s zur Kanalstraße zur Stadt rein, und grade an dieser Stelle stand ´ne Bäckerei, Bäckerei Levknecht, das werd ich nie vergessen. Und grade als wir dort hinkamen und wollten mal gucken, wir wollten ja auch mal sehen, was los war und sind durch die Trümmer gestapft dahin und da brachten sie die Toten raus. Wissen Sie, das vergisst man nicht. Dahinter war eine Gaststätte und diese ganzen Häuser auf dieser Seite, auf der rechten Seite bis zur Turmstraße hin war ja alles ein Ruinenfeld, Dornierwerk alles. Und dieser ganze Angriff hat höchstens eine viertel Stunde gedauert. Länger hat es nicht gedauert. Es kam eine Welle auf die andre und nach ´ner Viertel Stunde war alles vorbei. Wenn ich heute über die Hochbrücke geh, seh´ ich immer noch im Geiste die Häuser, wie sie mal standen. Christa Innecken, geb. 1929 Also dieser Angriff, der 1944 im August, der war ja am Tage. Und wir waren auf dem Feld in Kritzowburg da hinten irgendwie. Was haben wir da gemacht, Wurzeln verzogen oder ich weiß nicht mehr. Wir waren aber mit einer kleineren Klasse zusammen. Und da waren also zwei Lehrerinnen bei uns, und dann sahen wir - ob wir den Alarm gehört haben, das kann ich gar nicht sagen, aber wir sahen eben die Flugzeuge in der Sonne. Und das Brummen, das konnte man hören. Aber das war ja oft, dass man das Brummen hörte. Und Flugzeuge konnte man ja nun alle Tage lang sehen, da haben wir uns noch gar nichts bei gedacht. Aber dann klinkten sie die Bomben aus. Das war genau zu sehen. Und dann fielen die und das kam wie ein Wolkenbruch. Wenn man in die Stadt reingucke, war alles voller Rauch. Das löste also doch ziemliche Panik aus, besonders bei den Jüngeren. Und da war irgendwo so ein kleines Wäldchen und da hatten unsere Lehrerinnen uns dann reingescheucht und hatten Hilde und mich dazu verdonnert, auf die Kleinen aufzupassen, sie zu beruhigen. Ich mein, die wussten natürlich, es gibt ein paar Leute, da können sie sich drauf verlassen. 14 Wismar. Stadt- und Feuerwehrgeschichte 1933-1945 _________________________________________________________________________________________________ Böttcherstraße, Richtung Krämerstraße Also, die stehen das durch ohne selbst in Panik zu kommen. Aber die Lehrerinnen konnten uns nachher nicht mehr halten. Da haben wir gesagt, also wir müssen jetzt nachgucken. Wir waren mit dem Fahrrad da und dann haben wir das ja erst mal gesehen, was da los war. Da ist ja die Waggonfabrik getroffen und die ganze Dr.-Leber-Straße, die Gartenstraße, die Turmstraße, die Großschmiedestraße, die Altwismarstraße mit Waedekin und auch die Kanalstraße. Also es war furchtbar, es war furchtbar, da brannte es ganz schrecklich. Und das war völlig klar, dass die Feuerwehr das nicht schaffen konnte. Das brannte ja überall. Ich bin bei meinem Gang helfen zu wollen erst in der Turmgasse gewesen bei meiner Tante, die war halb ausgebombt und da haben wir alles nach draußen geschafft. Sie musste da raus, eine ganze Wand war weg und ehe das denn so weit war, war es Mittag. Und dann bin ich in die Adolf-Hitler, jetzt Dr. Leber-Straße gegangen und da brannte alles. Die ganzen Häuser auf der linken Seite. Und die hatten da Phosphorbrandbomben geschmissen. Das war ganz schlimm, da hab ich mir dann meine ganzen Füße kaputtgemacht und das heilte nicht wieder. Aber das merkte ich damals noch gar nicht. Und dann bin ich weitergegangen gegenüber von der jetzigen Polizei da unten, da hatte mein Onkel ein Haus und das brannte lichterloh. Da konnte ich ja dann nicht hin, das war gesperrt. Weil in der Turmstraße Sprengbomben gefallen waren, die nicht explodiert waren. Die mussten erst entfernt werden. Und deswegen konnte man da nicht hin. Das hat mein Onkel mir später immer vorgeworfen: „Wärst du gekommen, dann hätten wir das Haus retten können.“ Ich konnte aber nicht, weil die Leute, Feuerwehr oder was, eben sagten: „Da geht es jetzt nicht hin, da wird gesprengt“. Und dann bin ich weitergegangen zum Lindengarten bis zu Bauhofstraße und dann sah ich, dass das Haus von meiner Großmutter völlig zerstört war. Und dann bin ich erst mal nach Haus gegangen, um zu sehen, ob meine Großmutter nicht zu Hause war. Großschmiedestraße und Turmstraße 1944 und 2009 Meine Großmutter tauchte nicht auf. Und dann gingen wir wieder hin mit meinem Vater und dann fingen wir an zu graben. Den ganzen Nachmittag bis Abends, bis es noch hell war, dann hatten wir das Wohnzimmer freigelegt, aber sie nicht gefunden. Am nächsten Tag, ach so, ich hatte so eine Art Rauchvergiftung. Ich konnte nachts kaum Luft kriegen, also das war grauenhaft. Aber na ja, so um elf am nächsten Tag war ich dann wieder so einigermaßen einsatzbereit und dann haben mein Vater und ich weitergegraben, im Flur war sie nicht und im Schlafzimmer auch nicht. Aber dann in der Küche, da war sie. Es war ein schneller Tod, haben wir uns dann gesagt. Mein Vater hatte Geburtstag an dem Tag, das war natürlich schlimm. Ich finde immer, heute wird so viel Wert gelegt auf diese kaputten Kirchen und so, na sicher, das ist auch unwiederbringlich, aber mir ging das immer um die Menschen. Das finde ich viel schlimmer. Es wird immer so viel gedacht an diesen letzten Angriff, aber der Angriff davor, da denkt keiner mehr dran. Auf dem Friedhof wurden dann die Leute aufgebahrt vor der Halle - 153. Wir hielten Totenwache, so machte man das damals. Man musste alles aushalten im Kopf, viel denken durfte man nicht. Aber da war also wirklich der Ernst des Krieges da. Wer da noch nicht wusste, das ist jetzt hier das Ende und es geht nicht weiter, also der tat einem wirklich Leid. 16 Wismar. Stadt- und Feuerwehrgeschichte 1933-1945 _________________________________________________________________________________________________ Der Bombenangriff auf Wismar vom 14.-15. April 1945 Christa Innecken Ich hatte eine Freundin bei mir im Zimmer. Das war ein Flüchtling aus Danzig. Und die schlief bei uns und es war Voralarm, so weit ich mich erinnern konnte. Und dann ging diese Luftminengeschichte da los, also es war schrecklich. Die Glasscheiben rauschten genau in mein Bett. Ich schlief aber da noch. Es war nämlich kein richtiger, es war nämlich Voralarm, oder irgendwas, es war kein richtiger Alarm. Die hatten das gar nicht so ganz geschnallt, dass die da nun noch drei Bomben verlieren wollten. Und in unseren beiden Betten landeten also die Fenster. Sowohl in ihrem als auch in meinem. Wie so ein Luftzug haute das da rein. Und mein Vater, der schlief nebenan. Der war grade vom Dienst gekommen irgendwann spät in der Nacht. Und denn: „Wat is nun los?“ Das wussten wir auch nicht. Und dann wateten wir durch Glas im Hause, wir hatten so ein einfallendes Licht, das war jetzt kaputt, das war alles runtergekommen. Und dann haben wir unsere Erste-Hilfe-Taschen genommen und sind losgezogen. Das alles roch nach Mörtel und Gas und nach, ich weiß auch nicht. Das war fürchterlich, das war grauenhaft. Und dann sind wir durch den Negenchören, weil da diese ganze Rauchentwicklung war. Und dann haben wir festgestellt, dass – schattenhaft konnte man das ja alles sehen – dass, was an der Marienkirche richtig kaputt war, das konnte man erst am Tage richtig sehen, aber dass die alte Schule nicht mehr da war und auch die Ahnenhalle, die war ja auch nicht mehr da. Die Kapelle. Das war alles platt. Als wir da hinkamen, da hörten wir Schreie aus der alten Schule. Dann haben wir da erst mal ein Loch geschaffen, bis wir denn da die Ersten rauszogen. Mit ziemlicher Panik war das alles. Eine Frau, die wir rausgeholt hatten, die schrie wie am Spieß. Also sie konnte sich überhaupt nicht irgendwie beruhigen, sie schrie. Und da hab ich die Hand genommen und hab ihr eine runtergeknallt. Richtig. Dann war sie friedlich. Das hatten wir gelernt als Rote-Kreuz-Schwester. Und dann waren ein oder zwei, die hatten sich verletzt. Da lag eine Tür, da haben wir denn eine draufgelegt. Dann kam aber schon Hilfe, nachdem wir da so die ersten vier Leute würd ich sagen, raus hatten. Da kamen also, ob das nun Feuerwehr war oder Rotes Kreuz, das weiß ich nicht genau. Die nahmen das dann in die Hand und dann wurde das professionell weitergemacht. Aber das die Feuerwehr dabei war, das war zu hören. Und dass unsere Jungs dabei waren, das wusste ich auch, denn ich hatte mich gegen Morgen dann mit zweien getroffen. Wir sind denn erst mal zu meiner Mutter gegangen, die hatte immer noch Kakao und denn haben wir da erst mal eine Tasse Kakao getrunken. Obwohl, bei diesem Luftangriff, da hatten es die wirklich gut, die im Keller waren, weil es eben Luftminen waren, die also sofort bei Berührung explodieren und alles mit sich wegreißen. Und diese Kirche hat praktisch viele Häuser gerettet. Dass die Kirche getroffen wurde eben und nicht die kleinen Häuser. Wäre die nicht da gewesen, dann wär halb Wismar weggewesen, also das steht fest. Ich weiß auch nicht genau wie viel Luftminen es waren, es waren höchstens zwei, würde ich sagen, nicht mehr. Das von den Leuten, die da verschüttet waren und von der Frau, die so fürchterlich schrie, erzählte ich vor ein paar Jahren im Weinberg, da hatte sich unsere Klasse getroffen. Ich erzählte dieses Geschehen, weil da nämlich einer dabei war, der in der Georgenkirche gelöscht hatte. Und dann erzählten wir so und da kam vom Nachbartisch jemand, eine Frau, eine alte Frau und sagte: „Was Sie da erzählen, das ist ganz toll, dann haben Sie uns das Leben gerettet.“ Nee, also als Lebensretter habe ich mich nun nicht gesehen. Ja, aber sie wäre da unten gewesen, sie wäre verschüttet gewesen. Und das fand ich nun wieder ganz toll, das so nach Jahrzehnten jemand kommt und sagt: „Was Sie da erzählen, das hab ich selbst erlebt.“ Wie das so manchmal kommt im Leben. Irmgard Lorenz Ja, das war die erste Ahnenhalle, die es überhaupt gab in Deutschland. Sie mussten ja einen arischen Stammbaum haben. So und ich hatte hier einen Vetter. Und eines Tages kommt zu meinen Vater jemand: „Ihre Familie hängt in der Ahnenhalle.“ „Und Gottes willen“, sagt mein Vater. Also das war für ihn fast ein Verbrechen. Aber die Ahnenhalle wurde ja zerbombt. Das war eine Sühnekapelle. Die musste irgendwann im Mittellalter gebaut werden, hatte die Kirche eine Auflage. Das war ein ganz schlichtes Kapellengebäude und das hat Adolf sich dann untern Nagel gerissen und hat da die erste Ahnenhalle Deutschlands eröffnet. Blut und Boden stand da, das war so ein Schlagwort für ihn. Da waren Namen aufgelistet von den ganzen Familien, dass sie arisch waren und hingen da, die Gutsbesitzer und was nicht alles. Und mein verrückter Vetter kam dann auf die Idee, den Stammbaum, die hatten einen Lehrer an der großen Stadtschule, der sich dafür eingebracht hatte. So, und denn hingen wir da auch. Na, das war schlimm. Aber der Ahnenhalle hat nie einer nachgetrauert, nie, als die kaputt war. Bei dem Angriff auf die Kirchen ist die kaputtgegangen. Der Bombenangriff auf Wismar vom 14.-15. April 1945 17 _________________________________________________________________________________________________ Dr. Martin Steinbrecher In der Nacht als die Kirchen getroffen wurden, war mein Vater als Melder in seinem zugeteilten Stadtbezirk unterwegs und zwar in der Sargmacherstraße. Er guckte dann wohl in den Himmel, weil er die Flugzeuge hörte. Und es waren ja wieder erhebliche Mengen an Flugzeugen unterwegs, obwohl ja wohl nur zwei oder drei Luftminen geworfen wurden. Und wie er dieses Heranpfeifen dieser torpedoartigen Luftminen hörte, ist er in einen Hauseingang gesprungen und zwar da, wo heute der Coffeeshop ist, dieses Kaffeegeschäft, wo die halbe Stadt nach riecht, und da hat er im Hauseingang gestanden. Und dann hat er sich wiedergefunden mit drei Türen zusammen im Hinterhof dieses Hauses, von dem Luftdruck dieser Mienen. Er wird dann, wie es seine Order war, nachdem er sich gesammelt hatte und gemerkt hatte, was das vorgefallen war, sicherlich Meldung gemacht haben an die Feuerwehr. Die Feuerwehr hat in dieser Nacht ja aus meiner Sicht hervorragende Arbeit geleistet. Sie hat beide Kirchen, die ja lichterloh brannten, abgelöscht. Also dieser Komplex, wo heute die neue Kirche steht, diese Häuser waren einfach eingedrückt, einfach durch den Luftdruck dem Boden gleichgemacht und er wusste, dass da Leute im Keller sitzen, den hat er verholfen, dass sie rauskrabbeln konnten. Und dann ist er mit seinem Fahrrad rausgekommen zu uns in die Lübsche Straße. Seine Frau und wir vier Kinder saßen ja im Keller da im Dunkeln. Wenn Bomben fielen, war das Erste, dass das Licht weggeschaltet wurde, genauso, wie sie das Gas abgeschaltet haben. Es rüttelte an der Kellertür und der Vater kam mit seiner Taschenlampe herein und sagte: `Kommt raus und guck Euch an, meine Kirche brennt.´ St.-Marienkirche 1945 und 2009 Also es war noch keine Entwarnung, wie es ja jedem Fliegeralarm folgte, aber die Flugzeuge waren weg und da haben wir dann da draußen in der Lübschen Strasse gestanden und haben auf Wismar geguckt und diese wirklich lichterloh brennenden Kirche waren von da draußen also bestens zu sehen, von der Koggenoor aus da diese Höhe. Diese Orgel und das Kirchengebälk muss wie Zunder gebrannt haben. Ob auch Brandbomben geschmissen wurden, ich weiß es nicht , aber die Kirchen brannten und man sieht ja bis auf den heutigen Tag, wenn man in der Georgenkirche steht, die ja nun so schön wieder aufgebaut ist, oben die Empore sieht man ja heute noch die verkohlten Balkenreste in der Wand stecken. Diese Kirchen sind in der Nacht noch gelöscht worden und der Vater hat mit Feuerwehr und seinen Leuten in der gleichen Nacht auf der Marienkirche eine Menge Gerätschaften, Altäre und derartige Dinge gerettet, herausgetragen, was da auch heute noch in der Nikolaikirche zu sehen ist, was da noch übrig geblieben ist. 1938 haben meine Eltern das Haus An der Koggenoor gekauft und ein Glück, bis dahin haben wir ja im Marienkirchhof gewohnt. Und dieses alte Pfarrhaus ist ja bei dem Luftangriff ´45 zerstört worden. Und ob wir da, wären wir da alle wohngeblieben, heil rausgekommen wären, wär die Frage gewesen. Nebenbei hat es bei diesem Luftminenangriff auf die Marienkirche Tote in der Sargmachstraße gegeben Die Häuser sind nicht beschädigt, aber in den Kellern hat es den Leuten die Lunge zerrissen. Ja, das ist der Scheißkrieg, den so ein kleiner Junge sein Lebtag nicht vergessen wird. 18 Wismar. Stadt- und Feuerwehrgeschichte 1933-1945 _________________________________________________________________________________________________ Schweinsbrücke, Mühlengrube Richtung Bahnhof 1942 und 2009 Irmgard Lorenz Das war schlimm. Da war Voralarm und bei Voralarm gingen wir noch nicht in den Keller, erst wenn richtiger Alarm war. Also Voralarm, es war abends so gegen zehn. Und die kleine Schwester lag auf der Couch da in der Ladenstube. Mein Vater war wie immer weg, auch bei Voralarm musste er schon los. Und auf einmal, also das war ein Luftdruck, das kann man sich gar nicht vorstellen, der brauste durch das Haus, als da die ersten Bomben fielen. So, nun bloß runter in den Keller, erst mal die Sachen, Fotos. Meine Mutter sagte immer, „Wenn die Fotos weg sind, sind auch die Erinnerungen weg.“ Also die Fotos waren wichtig und das stand alles vor der Kellertür, ab in Keller. Ja, und wo ist das kleine Kind, das hatten wir vor Schreck vergessen, also wieder noch mal rauf, da gehörte schon Mut zu. Also die war wie benebelt durch den Luftdruck. Und dann wir hatten einen Papagei. Und der Papagei, der hing auf der Stange, Kopf nach unten. Der hatte durch den Luftdruck einen Dachschaden. Aber das hat er denn nach ein paar Tagen verkraftet. Auf jeden Fall also wir waren im Keller, dann fielen ja noch mehr Bomben, also es war furchtbar. Und das, wir wussten ja, der Krieg ist verloren. An dem Abend, wir mussten ja Hakenkreuzfahnen, das war ja Pflicht, die mussten wir rausstecken. Und da hatte meine Mutter immer schon gesagt, die verbrennen wir nicht, wenn so weit ist. Die müssen wir trennen, Stoff ist ja noch da drunter. Und da war ich dabei die Hakenkreuzfahnen zu trennen. Also wenn da was passiert wäre und die hätten gesehen, dann wäre es uns noch schlechter ergangen. So und am nächsten Tag haben wir die Stadt dann verlassen und sind nach Dammhusen, da hatten wir Gott sei Dank ein Behelfsheim. Mit Sack und Pack dahin raus aus der Stadt. Mit Papagei, der immer noch den Kopf hängen ließ. Ja, so war das. Christa Innecken Ja, viele sind auch der Stadt raus. Das kommt daher, dass dieses Röhren der Luftminen, das ist so erschreckend, also es drückt einen fast zusammen und dann erst kann wieder aufatmen. Das war so was Katastrophales, dass viele sagten, das machen wir nicht noch mal mit. Und sind dann raus aus der Stadt. Wir sind geblieben. Also das war meinem Vater nicht zuzumuten, so was hätte er nicht gemacht. Er hat immer gesagt: „Wat kümmt, dat kümmt.“ Na ja, das war so seine Einstellung. Detlef Schmidt, geb. 1945 Ich hab noch mit den Piloten gesprochen, die diesen Angriff geflogen haben, die waren vor 30 Jahren mal hier, das waren Kanadier. Und zwar ist Folgendes passiert: die haben Rostock bombardiert und hatten wohl noch ein bisschen Munition übrig in ihrer Kiste und habe gesagt, damit fahren wir nicht nach Hause, so locker gesagt, und haben diese in Wismar abgeschmissen. Der Londoner Rundfunk hat am gleichen Abend verkündet, Wismars Silos wurden zerstört. Und daraus hat man eigentlich ein Märchen, das ist dann zerstört worden, gemacht, dass die Kanadier Wismars Kirchen gar nicht zerstören wollten. Es war so, die Alliierten von Russen bis Kanadier und Amerikaner wollten eigentlich im letzten Kriegsjahr Deutschlands Kultur auslöschen, nicht ganz auslöschen, aber so schädigen, da man annahm, dass sich die eigenen Bürger gegen die Machthaber erheben werden. Und das ist nicht aufgegangen. Zum Glück war dann nachher binnen drei Wochen der Krieg hier in Wismar zu Ende. Jugend in NS-Diktatur und Krieg 19 _________________________________________________________________________________________________ Jugend in NS-Diktatur und Krieg Christa Innecken Wegen des vielen Alarms war ich eigentlich immer ärgerlich, weil: man schlief, dann wurde man geweckt, meine Mutter sagte, „Du musst in den Keller.“ Unser Keller war nun denkbar schlecht, das war feucht und scheußlich, dann kamen die Nachbarn von oben, die Mieter und dann erzählten die sich oder spielten Karten oder irgend so etwas. Also das muss man sich nun nicht vorstellen, es gab so viel Alarm, es gab ja manchmal täglich zweimal Alarm oder Nachts und es passierte überhaupt nichts. Wir haben 12 Angriffe gehabt. Werner Innecken Man muss das geografisch sehen. Die Einflugschneise war hier oben. Die kamen über die Nordsee, durch die Ostsee und flogen hier über Land nach Berlin und Dresden usw. in die großen Industriemetropolen. Und jedesmal, wenn die ankamen und brummten, dann wurde bei uns Alarm gegeben. Christa Innecken Man war wie gelähmt nachher. Man wollte nur noch, dass Ruhe ist, das Frieden ist. Also nicht immer das Bewusstsein, jetzt kommt gleich wieder Alarm, du musst in den Keller. Es war ja nichts mehr normal. Man konnte nicht mehr richtig Mittagessen kochen, wenn man das so nimmt. Ich wurde konfirmiert im April ´44. Drei Anläufe brauchten wir, um einmal in die Kirche zu kommen. Jedes Mal kam Alarm und dann mussten wir wieder nach Hause. Und dann hatte ich zwei Onkel, der eine, der war Nazi, also war in der Partei und der andere war nicht in der Partei. Die kriegten sich das Streiten, aber nicht so rum, sondern umgekehrt: der, der Nazi war, der war also völlig dagegen, gegen Adolf, gegen Krieg, gegen alles und der andere war genau dafür. Mein Vater hat die rausgeschmissen, der konnt es nicht mehr hören. Das war meine Konfirmation, das war eine Katastrophe. Dr. Martin Steinbrecher Es gab eine Vorschrift. Bei den Häuser, die links und rechts ein weiteres Haus hatten, waren die Keller alle durchbrochen, so dass man von einem Keller in den nächsten kam. Es war nur eine provisorische Einziegel-Steinwand hochgezogen, die jede Frau oder Oma oder wer sich sonst in dem Keller aufhielt, umschupsen konnte mit wenig Aufwand. Und diese etwas quadratmetergroßen Maueröffnungen durften nicht verstellt werden. Und es gab ja in jeder Straße für immer paar Häuser zuständig einen sogenannten Luftschutzwart. Das waren meistens ziemlich fanatische Nazis und jeder hatte einen heillosen Respekt vor denen. Weil, ein Anschiss von denen konnte sehr unangenehm werden. Und die kontrollierten immer wieder erstens ob dieser Mauerdurchbruch zugängig war und vom eigentlichen Luftschutzraum, der oft mit Balken zusätzlich gestützt war, auch zugängig war durch die Türen, die ja in manchen Kellern ziemlich verwinkelt sind. Der passte auf, das die sogenannten Feuerpatschen sowohl auf dem Dachboden wie im Keller vorhanden waren, das immer Wasser da war, ein halb voller Eimer Wasserneben dem Feudel und dem Wischer oben auf dem Dachboden. Das war schon, also von Leuten dieser Art angeschmiert zu werden, war nicht gut. Denn es wurde ja nur allzu schnell von Leuten dieses Schlages auch konstruiert, das jemand sich gegen die Beschlüsse der Nazipartei durch laxes Verhalten entgegenstellte. Das konnte, ich will nicht grad sagen, dass da gleich die Gestapo da hinterher kam, aber es wurde ja Material gesammelt gegen jedermann. Das ging ja los mit Feindsender hören, und was unsere Eltern da damals so durch- und mitgemacht hatten, wo wir Kinder das kaum ahnten, nur nach dem Krieg dann so aus Einzelheiten heraushörten, was das denn gewesen ist. Warum der Radioapparat in der hintersten Ecke vom Zimmer des Vaters stand und das möglichst in Kleiderschranknähe, weil, wenn da Feindsender gehört wurden, dass das eben nicht von außen sichtbar war. ABC-Straße 1944 und 2009 Jugend in NS-Diktatur und Krieg 21 _________________________________________________________________________________________________ Ernst Bohnsack, geb. 1927 Ich bin damals, wir waren fünf Jungs, 13-14 Jahre alt, nicht freiwillig zur Feuerwehr gegangen. Das sag ich, so wie es ist. Nämlich, wir mussten hin. Das hieß damals nicht Freiwillige Feuerwehr, das hieß damals, wo ich anfing bei der Feuerwehr, HJ-Feuerwehr. Wir hatte da eine Hakenkreuzbinde um den Arm, und das war damals für uns die sogenannte Nazizeit. Wir mussten hin und da wurde nicht gefragt. Ob du heute Abend Zeit hast oder nicht, da wurde der Dienstplan rausgegeben, das war mittwochs von acht bis zehn und sonnabends von halb drei bis halb vier, halb fünf. Da musste jeder hinkommen, wenn einer gefehlt hat, wurde er bestraft. Nicht vom Leiter der Feuerwehr, sondern vom Nazi. Wenn einer länger als vier Mal vom Dienst unentschuldigt gefehlt hat, dann wurde er im Keller von Neukloster vier Tage eingesperrt. Und genau so war das nachher auch, als der Krieg anfing. Ich bin da in Neukloster angefangen am 4. April 1942, habe ich angefangen, da in der Schule zu arbeiten. Das war eine Lehrerinnenbildungsanstalt. Und ich war damals auf diesem Dings in der Landwirtschaft beschäftigt. Also ich war mitverantwortlich, dass damals, wenn die Sirenen gingen, dass alle den Keller aufgesucht haben. Wir hatten noch einen, der war bei der damaligen NSKK, sozialistische Kraftfahrerkorps war der drin, weil der krank war. Und wir beide mussten dann versuchen, das alle Beschäftigten, das waren ja so 300 Mann, den Keller aufsuchen. Obwohl auch Schwache dabei waren, mitunter hatten wir nicht so viele Keller. Wenn die Sirene ging, mussten wir also die Keller aufsuchen. Obwohl, ich musste auch auf dem Turm sitzen in Neukloster. Auf dem Markt ist so ein großer Turm, da mussten wir mit vier Mann sitzen. Jeder ein Gewehr, ohne Schloss, da war kein Schloss, wir konnten nicht schießen. Ich weiß nicht, was wir damit sollten. Aber damit mussten wir auf das Dach klettern und sitzen, so lange, bis Entwarnung gegeben wurde. Und wenn Entwarnung war, konnten wir wieder nach Hause gehen. Das war unsere Arbeit. Wir wurden damals aufgenommen von der HJ-Feuerwehr, also als HJ-Feuerwehrmänner. Geschichtlicher Hintergrund Als immer mehr Männer zum Wehrdienst verpflichtet wurden, kam es in den Feuerwehren zu Personalmangel, der nach und nach durch Jugendliche ersetzt wurde. Ab 1938 wurden systematisch aus den Reihen der Hitlerjugend HJ-Feuerwehrscharen gebildet. Dabei verfolgten die Landesverbände der Feuerwehren und die SS-Führung unterschiedliche Zielsetzungen: die Feuerwehren sahen hierin eine Chance zur Nachwuchsgewinnung, der Reichführer der SS und der Polizei Heinrich Himmler eine Personalgewinnung vorrangig für den Luftschutz. Mit fortschreitendem Krieg wurden die wurden die Jugendlichen nicht nur bei Brandeinsätzen, sondern auch nach Luftangriffen eingesetzt. Von Seiten der SS-Führung war es von Am- fang an nicht vorgesehen, die Jugendlichen für den aktiven Feuerwehrdienst ausbilden zu lassen. Sie wurden gleich nach ihrer Ausbildung zu den Flakhelfern oder direkt zum Frontdienst einberufen. Nach dem Krieg wurde der Deutsche Feuerwehrverband neu gegründet. Es wurde betont, dass die HJ-Feuerwehren keine Vorgängerorganisation der später entstandenen Jugendfeuerwehren darstellen. Christa Innecken Die Große Stadtschule gab es schon gar nicht mehr. Es gab damals den sogenannten Brandschutz. Der wurde von Jungs, also HJ, die waren dafür ausgebildet. Die größeren gingen dann nachher auch gleich an die Front. So wie wir Hilfsschwestern waren, wurden die auch ausgebildet zum Löschen und zum Helfen. Und die hielten nachts auch Wache und schliefen in der Schule, in der Stadtschule. Da war eine Sprengbombe gefallen. Und vorne am Schulhof standen Linden, die gingen weg. Und da war ein großer Trichter und direkt in die Stadtschule waren Brandbomben gefallen und die haben sie gelöscht. Es standen ja überall so diese Patschen und Wasser und Sand. Das musste ja überall stehen. Es wurde auch immer nachgeguckt, ob das da war. Also in jedem Haus stand das. Und die haben das gelöscht. Also sonst wär die bestimmt abgebrannt. In der Lübschen Straße da ganz oben raus, noch hinter Lemkenhof, da waren dahinter Baracken. Da wurden wir ausgebildet. Wir als Hilfsschwestern und die Jungs als Feuerwehrhelfer oder wie auch immer. Wie die sich nannten, weiß ich nicht. Zehn, zwölf Jungs waren das vielleicht. Und bei Einätzen mussten wir uns beim Bann melden, so nannte sich das. Bei dem letzten Angriff waren wir Mädchen bei der Alten Schule und die Jungs waren bei der Georgenkirche eingesetzt. Zusammen mit der Feuerwehr. Das hörte man, also dieses Rauschen des Wassers. Die hatten sich auch zu melden und wurden dann eingesetzt. Das war also … man setzte sich auch selbst ein. Weil, da wo eigentlich die Leute entscheidungskräftig waren, die waren manchmal auch Schulhof der Großen Stadtschule 1944 und 2009 22 Wismar. Stadt- und Feuerwehrgeschichte 1933-1945 _________________________________________________________________________________________________ Mühlenstraße 1944 und 2009 Wir Kinder spielten Krieg. Die andere Straßenseite war eben schon der Feind und wir verglorifizierten diejenigen, wo … die Schulkameraden eben, der eine wusste, der Vater ist in Russland und wir haben wochenlang nichts gehört. Mein Freund gegenüber, Fritz Fink, dessen Vater war in Norwegen, dem ging es hervorragend. Der schickte wunderbare Sachen, einen Schlitten, drei Meter lang, wie wir es gar nicht kannten. Der war mit Dingen ausgerüstet, einem Stahlhelm kindergerecht und einen kleinen Spaten. Wie ein kleiner General stolzierte der auf der anderen Straßenseite, von uns beneidet, rum. Also wir Kinder haben den Krieg und was er bedeutete und woher er kam und warum er war, natürlich in dem Sinn nicht kapiert. ABC-Straße 1944 und 2009 Werner Innecken, 1926 Ich hatte mich 1942 freiwillig gemeldet. Es gab eine Tendenz. An der Großen Stadtschule Wismar waren wir damals alle versammelt in der Aula. Die Schüler, die in Frage kamen, die Jahrgänge, die wurden in der Aula zusammengeholt. Eine Unterrichtsstunde fiel aus, weil Agitatoren von der Waffen-SS zu uns in die Schule kamen. Die warben unter uns Schülern für ihre Truppe. Da wurden dann patriotische Reden gehalten und so weiter, dass es eben das Höchste ist, dieser Gattung beizutreten. Aber jeder ahnte, was auf ihn zukommen würde. Nun war das aber so, der Krieg ging zu Ende und ich kann mich nicht entsinnen, dass keiner von den hundert Schülern, die da in der Aula waren, sich ein einziger gemeldet hat für die SS. Wir hatten uns alle freiwillig zum Krieg gemeldet. Wir waren in der Klasse 25 Jungs und 2 Mädchen und die hatten alle ihre Waffengattung schon gewählt und das auch irgendwo hinterlegt. Das heißt, wir umgaben uns mit einem Schutzschild, um nicht zur SS zu kommen. Jeder hatte sich beworben, der eine bei der Flak, der andere bei der Marine, der dritte bei der Infanterie und so weiter. Und denn konnten die nichts mehr machen. Was die SS seinerzeit so gemacht hat, das wussten wir und da hielten wir uns schon zurück als Jungs. Also ich muss schon sagen, ganz unpolitisch waren wir nicht. 24 Wismar. Stadt- und Feuerwehrgeschichte 1933-1945 _________________________________________________________________________________________________ Auf der einen Seite erfuhren wir was vom Kriegsgeschehen und den Einzelheiten, die vorgekommen sind und auf der anderen Seite lebten wir in unserem jugendlichen Leichtsinn. Das ist etwas, was heute oft missverstanden wird und auch in Büchern oder Niederschriften steht oft, dass wir praktisch ernsthafte Menschen damals waren. Das war nicht der Fall. Wir wussten zum Beispiel, dass die SS an Fronten, die dünn waren und beschädigt waren durch Gegenangriffe eingesetzt wurden. Und die hatten auch eine Order gegen die Zivilisten in Dörfern vorzugehen. Das wussten wir damals schon. Es sprach sich ja rum, da kamen ja auch Urlauber nach Hause und haben erzählt. Die kamen ernster nach Hause. Also sehr viel Negatives wurde eben auch berichtet von der Front. nen Fall auf die Kanzel zielen. Und das war ja etwas Besonderes, denn derjenige, der da nun hilflos ankam mit seinem Flugzeug, der hatte ja nun seine Bombenlast schon abgeschmissen und wer weiß, wie viele Menschen dabei getötet. Aber wir durften nicht schießen und haben es auch nicht getan und das Flugzeug landete in der Badeanstalt in Wendorf unten am Seeblick und machte die Badeanstalt kaputt. Ich hatte zu der Zeit schon ein kleines Boot, damit sind wir dann rüber. Und zwar wussten wir, dass die Flugzeuge ihre Tanks aus Kreppgummi, ganz starkem dicken Kreppgummi gebaut hatten. Und an dieses Kreppgummi, da wollten wir ran. Es war Mode, an den Schuhen so hohes Kreppgummi zu tragen. Aber das wurde nichts, das haben wir nicht ganz geschafft. Und dann ging das ja weiter. 1943 wurden wir - wir waren ja alle in der nationalsozialistischen Jugendorganisation HJ, alle zur Heimatflak eingezogen. Wir kriegten eine dunkelblaue Uniform und die sollte als HJ getragen werden. Aber dadurch, dass wir uns nun als Militärs fühlten, haben wir die HJ-Binde abgenommen. Das war das erste, was wir machten. Von unserer Klasse waren drei Viertel bei einer Batterie auf dem Dorniergelände. Und in der Batterie waren drei Geschütze. Da waren wir 16 Jahre alt - was das für uns war. Wir haben den Teufel tanzen lassen. Wir waren ja noch im spielerischen Alter sozusagen. Und der Ernst des Krieges war uns zum Teil so gar nicht mal bewusst. Wir waren in einer Klasse bald 10 Jahre zusammen, was das für ein Zusammenhalt war. Ernsthafte Dinge wurden da keine gesprochen. Nur so nebenbei und eigentlich nur dummes Zeug. Vier Mann sind noch am Leben, die wir uns heute noch treffen. In diesem Jahr sind es 65 Jahre her, als wir gemeinsam Abitur gemacht haben. Das heißt, das Abitur war für einige ein richtiges, für mich persönlich war es damals ein Notabitur. Und dann kam Ende ´43 das halbe Jahr Arbeitsdienst, Reichsarbeitsdienst in Demmin. Also wenn ich das genau sagen soll, eigentlich haben wir nichts gemacht – Vormilitärische Ausbildung, aus unserer Klasse waren 4 Mann dort, wir waren so eine Clique. Der Lagerleiter, der Arbeitsdienstführer oder wie er sich nannte, war ein Tischlermeister aus Wismar. Und durch diesen Mann hatte ich dann einmal Sonderurlaub, 3 Tage nach Hause, ich glaube, ich musste ihm irgendwas besorgen aus dem Laden. Und am 1. Januar 1944 zur Marine und dann war ich auf der Kriegsschule und dann wurden wir im Februar abkommandiert, so noch den letzten Stoß, den Krieg zu gewinnen. Und dann befand ich mich in der Tschechoslowakei und dann bin ich von dort aus nachher in russische Gefangenschaft gekommen und bin dann 1948 nach Hause gekommen. Bei Dornier hatten wir Fliegeralarm. Und zwar kam ein angeschossener Bomber über den Flugplatz von Dornier. Der brannte schon. Dann hieß es auf Befehl des Batteriechefs: Wir dürfen nicht mehr schießen. Auf kei- Hegede 1944 und 2009 Wir sind als 18-jährige in die Gefangenschaft gekommen. Wir haben uns da keine großen Gedanken gemacht. In diesem Alter haben wir das mehr oder minder als Abenteuer gesehen. Wir fahren in ein Land, das wir nicht kennen, zu Leuten, die wir nicht verstehen. Unter welchen Umständen das nun war wurde weniger registriert. Aber die älteren Mitgefangenen, die Familie zu Hause hatten und nicht wussten, was los ist, die haben gelitten. Jugend in NS-Diktatur und Krieg 25 _________________________________________________________________________________________________ Christa Innecken Also ich muss sagen, mit 10 kam man ja in diese JM, nannte sich das, Jungmädel. Da war ich eigentlich heilfroh. Ich hatte fürchterlich Langeweile. Ich war froh, dass ich mittwochs und sonnabends nachmittags singen konnte, marschieren konnte oder was weiß ich. Das war alles nicht so, wie man sich das heute so vorstellt mit so einem politischen Drall. Das hatten wir nicht und wenn es so war … Ich mein, ich wurde ja auch bald `Führerin´ nannte sich das. Ein Mädchen, das etwas weiter als wir war, die wollte mich an einem Nachmittag beobachten, was ich mit meinen Mädchen da mache. Und dann hab ich da so Lieder gesungen und dann wollte sie, dass ich politisch irgendwas erzählte von Adolf Hitler und so. Das hab ich abgelehnt. Und dann hab ich mir gesagt, das machst du nicht so weiter und bin dann zu Roten Kreuz gegangen. Da wurde auch so von oben herab bestimmt, aber das war was ganz andres. Da gab es dann eine Ausbildung und ich habe im Winter ´44 im Luftwaffenlazarett angefangen, so nannte sich damals. Da haben wir gearbeitet. Und zwar arbeitete ich im Keller, da kamen die Schwerverwundeten hin. Wenn Luftalarm war oder Fliegeralarm, da kamen also die, die sich bewegen konnten von oben runter in den Keller, aber die Schwerverwundeten nicht. Morgens um sechs fing meine Arbeit an und abends um sechs war ich dann meist wieder zu Hause. Das hat man als 15Jährige nicht lange machen können. Meine Eltern haben gesagt: „ Jetzt ist Feierabend.“ Ich hab so abgenommen in der Zeit, weil das ja auch anstrengend war. Die Verwundeten kamen direkt von der Front. Ich habe das sehr bedauert, dass meine Eltern das nicht mehr wollten. Ich habe rebelliert dagegen, ich wollte diese Arbeit weitermachen. Die haben mir sonst nicht viel verboten, aber das haben sie verboten. Denn es gab ja auch nicht mehr viel zu essen, um mich aufpäppeln zu können. Aber das war für mich so das Ziel, um überhaupt zu arbeiten. Und man sah den Ernst des Krieges dann doch. Und besonders auch die Flüchtlinge, die hier auf dem Bahnhof ankamen. Da hab ich mir dann gleich was anderes gesucht. Also Schule gab es nicht mehr. Die fiel aus gleich nach diesem schweren Luftan- Altwismarstraße 1942 und 2009 griff 1944 im August und fing wieder an im September ´45. Wir haben da ja praktisch ein Jahr verloren, wir waren alle 19 als wir das Abitur ablegten. Wir haben dann Flüchtlinge betreut vom Roten Kreuz. Gegenüber von der Georgenkirche ist dieser Fürstenhof, da unten rechts, da war also so für uns eingerichtet. Da wurde Brote geschmiert und Milch ausgegeben und so. Und von dort aus sind wir dann immer mit Pferd und Wagen beladen zum Bahnhof gefahren und haben verteilt. Und diese Verteilung, die hatte ich. Und das war manchmal schwierig, denn die Leute, die noch kräftig waren, die versuchten natürlich schnell an die Dinge zu kommen, die da verteilt wurden. Und ich mussten dann sehen, dass es auch die kriegten, meinetwegen Mütter mit Kindern oder sonst dergleichen, die sich nicht bewegen konnten. Das war keine leichte Aufgabe. Irmgard Lorenz Wir haben ja eine kleine Schwester, das war ein Nachkömmling. Und da hat mein Vater versucht, mich von all diesem, was die Nazis da hatten, freizukriegen aufgrund der kleinen Schwester. Also ich bin ohne Arbeitsdienst ohne allem über die Runden gekommen, das war mein Glück. Und das wollte mein Vater auch nicht, weil die ja alle politisch, ob sie dran glaubten oder nicht, gedrillt wurden. Er hatte einen Grund. Das war die kleine Schwester. Meine Mutter war krank. Ohne Grund wär es auch nicht gegangen. Und so bin ich bei all diesen Verpflichtungen bei den Nazis vorbeigekommen. Na ja, die dran glaubten oder die jungen Leute – es war ein Erlebnis im Krieg. Aber da war ich nicht dran interessiert da Erlebnisse zu haben. 26 Wismar. Stadt- und Feuerwehrgeschichte 1933-1945 ________________________________________________________________________________________________ Irmgard Lorenz Dann hatten wir hier einen sehr netten jungen Kaplan in der Gemeinde. Der kam aus Hamburg und der hielt immer ganz scharfe Predigten zu Hitlers Zeiten. Da war er denen nun aufgefallen. Wenn er predigte, saßen immer hinten zwei und notierten. Und da hat mein Vater mit seinem besten Freund schon gesagt: „Da passiert noch was.“ Und richtig, eines Tages wurde er abgeholt. Hinter vorgehaltener Hand `wo ist er´, also wohl im Gefängnis. Und wir Kinder, dann gingen wir immer in die alte Schule. Da konnte man auf den Gefängnishof gucken. Da haben wir gedacht, irgendwie werden wir ihn da ja vielleicht mal sehen. Da haben wir immer die Alte Schule besucht, das Museum und dann hingen wir da am Fenster und guckten da auf den Hof. Aber er war schon weiter weggebracht und ist nachher in Dachau gelandet. Er hat es überlebt, aber er war körperlich sehr… zwei, drei Jahre später war er tot. Dr. Martin Steinbrecher Die evangelische Kirche war ja in Deutschland ab 1938 gespalten. Da gab es die sogenannten Deutschen Christen, wo die Pastoren und die Bischöfe mit dem Adler und dem Hakenkreuz am Talar rumliefen und sich dementsprechend auch verhielten. Und dann gab es das Gegengewicht, die sogenannte Bekennende Kirche. Und auch hier in Wismar ist es so gewesen, dass in der Georgenkirche, das war so ein Zentrum für die Deutschen Christen. Da gab es einen adligen Pastor und es gab nicht nur einen, die sind mit SA-Stiefeln in der Kirche rumspaziert. Und dann gab es die Heiligen-Geist-Kirche und die Marienkirche, da war die andere Truppe. Mein Vater gehörte zur Bekennenden Kirche und die hatten bei den Nazis ganz schlechte Karten. Er ist also mehrmals von der Gestapo abgeholt und nach Schwerin gebracht worden. Ich weiß noch, dass er sich von uns Kinder da verabschiedete, weil er nicht wusste, ob er wiederkommt. In Schwerin gab es einen Bischof, einen Bischof Schulz. Das war ein fürchterlicher Nazi. Er gehörte den Deutschen Christen an in besonders prominenter Stelle. Krönkenhagen, Ecke Rosmarienstraße 1944 und 2009 Er hat schlimme, schlimme Dinge, auch die Juden verfügt. Er hat z.B. angewiesen, und das ist nicht nur von ihm gekommen, das waren Gesetze, die seit 1938 hier für Deutschland galten, wo man jüdische Mitbürger in jeder Weise schikanierte. Der Liebenthal in Wismar, der Arzt, erhielt Berufsverbot. Ich habe mit einer ABM-Kraft die Kriegstoten der Stadt Wismar, 3000 gefallenen und vermisste Wismarer, namentlich erfasst über das Standesamt. Wir haben auch die in Wismar ansässigen jüdischen Mitbürger erfasst. Ich hab bei mir ein Protokoll liegen aus Schwerin, wo die Kriminalpolizei Wismars angewiesen wurde, Name und Beruf der jüdischen Mitbürger zu nennen. Das Protokoll ist wohl von 1937: 38 Juden, die es hier in Wismar gab. Also auch Liebenthal – Jude, seine Frau Nichtjude, aber seine Kinder „Halbjude“. Er hatte 2 Söhne. Und nun komme ich wieder auf den Bischof zurück. Es gab also die Weisung, dass jüdische Mitglieder der Kirchgemeinden aus der Kirchgemeinde auszuschließen sind. Dieser Wismarsche Arzt Liebenthal war nämlich getauft. Er ist 1902 oder so getauft worden, war also Christ, gehörte zur Gemeinde von meinem Vater. Und er ist ja ´38 gestorben, aus Kummer, dass er seinen Beruf nicht mehr haben konnte. Und da hat es hier in Wismar einen Eklat gegeben. Dieser Arzt war in Wismar ein ungemein beliebter Arzt. Ungemein beliebt, weil er so ausgesprochen sozial eingestellt war. Nun war er tot und die Nazipartei, also der Ortsgruppenleiter und seine Mannschaft, gaben die Parole aus: „An der Beerdigung hat keiner teilzunehmen.“ Und von diesem Schweriner Bischof gab es die Weisung, dass sich die Kirchgemeinde und damit auch der zuständige Pastor, sich nicht zu kümmern haben. Und da ist es so gewesen, es gibt ein Bild, das hab ich vor einiger Zeit in der Hand gehabt, da sieht man in der Dankwartstraße den Leichenwagen von Pferden gezogen, schwarze Rappenpferde und der Leichenwagen mit dem Sarg drauf und der zieht die Straße entlang und dicht an dicht stehen die Wismarer auf beiden Seiten der Straße. Sie haben zwar nicht am Leichenzug teilgenommen, haben sich aber hingestellt, weil sie wussten, dann und dann ist die Beerdigung. Mein Vater als der zuständige Pastor hat sich nicht an die Weisung von diesem Kriegsende in Wismar 27 _________________________________________________________________________________________________ Schweriner Bischof gehalten, sondern hat den Liebenthal bis auf den Friedhof hinaus zu Fuß begleitet. Und die Wismarer haben Spalier gestanden. Irmgard Lorenz In dem Haus von Dr. Liebenthal wohnten Freunde meiner Eltern. Und Liebenthal musste ja auch seiner Praxis raus. Und das war eine Riesenwohnung in der Altwismarstraße. Das sieht man heute nicht mehr, früher bei dieser historischen Gaststätte Waedekin-Hotel gegenüber. Und die räumten ihre große Wohnung, damit Liebenthal da oben eine Bleibe in seinem Haus hatte. Und als er starb, früher waren die Beerdigungen von Haus aus, mit dem Sarg durch die Stadt. Und dieser befreundete Ehemann von meinen Eltern, der ging mit. Da gehörte Mut zu. Der hatte in der Waggonfabrik eine leitende Position und er hat gesagt: „So lass ich den Mann nicht zum Friedhof.“ Also gingen nur die Söhne, die beiden Söhne, die Frau, das weiß ich nicht, er und noch einer. So und die Leute, früher, wenn der Sarg durch die Stadt gefahren wurde, dann mussten sie ja mit `Adolfgruß´, so war das, Arm heben. Und da hat er uns erzählt, als der Sarg durch Wismar gefahren wurde, standen die Leute still. Haben den Arm nicht hochgehoben, aber haben an ihn gedacht. Nämlich Liebenthal hat so viel Gutes getan, Tag und Nacht für die Patienten und die kein Geld hatten, da hat er auch umsonst für gearbeitet. Ja, von der Pogromnacht hier in Wismar habe ich was mitbekommen. Aber die Juden hier in Wismar sind bei Zeiten aufgebrochen, sofort weg. Ich seh noch die Frau Blass in der, na wie heißt die Straße, bei Fahrrad Wulff gegenüber, wo jetzt der Elektriker ist, da war Jude Blass. Die hatten Bekleidung. Auch so über Land verkauften sie. Das wurde immer so genannt: das war Jude sowieso und Jude sowieso, das war aber nicht abfällig von den alten Wismeranern. Und da gegenüber wohnte meine Freundin und da hatten sie alles zerschlagen. Ich seh noch die Frau Blass, also die blutete auf deutsch gesagt, wie ein Schwein. Die musste ja nun die Scherben alles wegbringen. Die waren aber ein oder zwei Tage später schon weg. Die landeten dann in Amerika. Die auf´m Posten waren, die hauten gleich ab, die haben nicht abgewartet. Kriegsende in Wismar Christa Innecken Aber was ganz Schlimmes passierte. Ich sagte doch, dieser Hilfszoll hier in Wismar, der wurde nach diesem Aufruf: `Wollt ihr den totalen Krieg´ von der SS übernommen. Ich habe meinen Vater noch nie so wütend gesehen wie damals. Hilfszoll ist ja nun keine militärische Einheit in dem Sinne. Das war ganz schlimm. Da hat ja keiner mit gerechnet. Die mussten plötzlich anders grüßen, die kriegten ein anderes Dings auf, und Koppel durften sie nicht mehr tragen… Ein Freund von mir damals, der zog gen Satow mit einer Panzerfaust. Die 16-jährigen wurden mit einer Panzer- Frische Grube Nr. 21 1944 und 2009 faust bewaffnet. Und die Russen waren kurz vor Satow. Und die sind wieder nach Haus geschickt worden. Da waren also ein paar alte Soldaten, die hem secht, „Also wat wollt ihr hier? Haut ab nach Hause. Ich will euch gar nicht sehen.“ Die kamen dann nach drei Tagen wieder und er war tiefst beleidigt, dass er da nun nicht in den Krieg eingreifen konnte. Und seine Mutter erschien bei meiner Mutter und sagte, „Was soll das denn nun jetzt, diese Kinder da einzuziehen?“ Das war da aber alles schon ein Sodom und Gomorrha, man konnte nichts mehr glauben, es war gar nichts mehr geregelt. Das war katastrophal. 28 Wismar. Stadt- und Feuerwehrgeschichte 1933-1945 _________________________________________________________________________________________________ Christa Innecken Als es kurz vor Ende des Krieges mit den Flugzeugen etwas weniger wurde, weil die Front schon zu nahe rückte, wurde ich eingesetzt als Melder für irgendwas. Ich weiß auch nicht, ich meldete hin und her und wo die Kaufmannskompanie war, in der Lübschen Straße, wenn Sie von unten raufkommen, links die Heiligen-Geist-Kirche und dann drei Häuser weiter, das, was so ziemlich verfällt und was jetzt neu aufgerüstet werden soll - ein wunderschönes Haus, das war damals noch völlig erhalten und schön. Und oben war die Kreis-Frauenschaft drin. Das waren Leute, also da kriegte ich sowieso schon zu viel – die NS-Damen mit Kranz, furchtbar, mit Kranz und handgewebt, es war ja grauslich. Jedenfalls war ich dorthin beordert und sollte also irgendwelche Dinge verbrennen. Richtiggehend verbrennen - Akten. Das hab ich dann auch getan. Es war noch nicht ganz Mai, aber es war schon warm und es wurde immer wärmer und ich hab gedacht, das ist ja zu verrückt, jetzt hörst Du damit auf. Das machte ich alleine, es war keiner da. Es war überhaupt keiner da, ich hatte nur die Aufgabe. Gut, ich hab da auch nicht weiter hingeguckt, mir war das schon alles völlig wurscht. Und dann kam also eine gute Dame und meinte dann zu mir: Also das hätt ich ja wunderbar gemacht und sie wollte sich auch bedanken bei mir. Und dann führte sie mich in den sogenannten Tapetensaal. Dort gab es französische bemalte Tapeten, also das, was dieses Haus als ganz was Besonderes auszeichnete. Und da war gestapelt – lauter Schokolade. Also es gab ja während des ganzen Krieges keine Schokolade und da stand die also gestapelt. Und da sollt ich mir nun was von aussuchen, ich könnte davon nehmen, was ich wollte. Und da habe ich dann gefragt, für wen das denn so bestimmt sei. >Ja, es sei eigentlich für die Verwundeten da im Luftwaffenlazarett<. Da bin ich explodiert. Ich war doch grade bei den Verwundeten gewesen. Und da hab ich gesagt zu ihr, sie könnte ihren Scheiß behalten. Also ich machte da nun überhaupt nichts mehr. Das war für mich das Letzte. Und es war wirklich der letzte Auslöser meines Nichtglaubens mehr an die Moral des Volkes Also das fand ich entsetzlich. Die armen Jungs da, die direkt von von der Front kamen Rathaus 1942 und 2009 und nix hatten außer erfrorene Beine oder kaputtgeschossenen Körper, die kriegen die Schokolade nicht und diese fette Nudel da, die meinte denn noch, mir was Gutes zu tun. Also solche Dinge kamen für mich überhaupt nicht in Frage. Und ich würd sagen, für viele wär das nicht in Frage gekommen. Ich weiß ja gar nicht, was die sich da so bei dachten. Alles voll, das ganze Zimmer war voller Schokolade. Also die hatten den Krieg schon längst aufgegeben, anders konnte man sich ja nicht vorstellen, dass die so handelten. Irmgard Lorenz Sofort als die Russen kamen, sind wir wieder rein in die Stadt. Da fühlten wir uns sicherer. Die Kanadier waren vier oder sechs Wochen hier, und dann kamen die Russen. Und ich weiß noch als die Russen einzogen, mittags, standen wir ängstlich hinter den Gardinen und sie gingen erst ins Rathaus, da wurde ja wohl übergeben von den Kanadiern und dann zogen die gleich übern Markt, wo die Deutsche Bank heute ist, da wohnte meine beste Freundin, der Vater war Bankdirektor, die warn aber schon weg vor den Russen. Die sagten, komm sie mit. Und mein Vater sagte: „Nö, dies haben wir überstanden, dann überstehen wir das auch noch mit.“ Und da zogen die gleich ein, beste Wohnung am Markt. Und da warn die Russen dann. Christa Innecken Die Front war schon nahe. Unweit hinten hörte man von rechts und links Geschützfeuer. Und es war natürlich für Wismar und alle Einwohner die Frage, wer kommt zuerst - die Russen oder die Amerikaner oder Engländer. Das war die Frage. Und am Tage zuvor, also am 1. Mai, wurde von dem Kommissar, so nannte sich der Oberste hier und meinem Vater und noch drei Leuten, die kamen bei uns Neuenkamp 40 zusammen und haben dort in meiner Anwesenheit beschlossen: Wismar wird nicht mehr verteidigt. Da wurde ein Melder losgeschickt zum Oberbürgermeister. Und nächsten Tag gegen zehn oder elf, jedenfalls Vormittag, kam von Westen her, wir guckten da aus der Haustür oben auf der Neustadt, kamen die Panzer angefahren. Das war ein Geräusch, Kriegsende in Wismar 29 _________________________________________________________________________________________________ also so Eisen und Stein und dann drehten zur Neustadt rein und drehten dann wieder um und fuhren dann zum Markt hoch offensichtlich. Und dann war Stille, nichts mehr, so still hab ich ganz Wismar noch nie erlebt. Die Nachbarn guckten dann so langsam aus den Türen, „Alles in Ordnung, die Amerikaner sind da“, jedenfalls die Alliierten. So. Und mein Vater, der sagte: „Also ich geh nun mal zum Zollamt“. Und ging weg. Ach so, und vorher sagte meine Mutter: „Und du ziehst jetzt Zivil an!“ Ja, das hat er dann gemacht. Dann gingen die zusammen zu diesem Zollamt und das dauerte und dauerte und dauerte. Und dann hab ich zu meiner Mutter gesagt: „Ich geh jetzt auch zum Zollamt.“ Ich ging also und war so in der Nähe des Wasserturms. Vor dem Zollamt stand ein Amerikaner mit Maschinengewehr. Und dann hörte ich Schüsse. Das kam ja direkt da raus, wo mein Vater eigentlich sein sollte. Ich kannte aber das Zollamt in und auswendig und bin dann hintenrum reingegangen. Und dann standen die da, also der Kommissar, die zwei Leute und mein Vater und ein Toter. Der war also erschossen, das war Leutnant sowieso. Den Namen weiß ich nicht mehr. Der hatte sich geweigert, seine Pistole abzugeben. Der Amerikaner hat ihn aufgefordert und dann wurde er noch einmal aufgefordert vom Kommissar und dann war Schluss. Das Schlimme war nämlich, die hatten vorher was getrunken. Dieser Leutnant jedenfalls, der erschossen wurde. Der war bekannt dafür, dass er gerne einen trank. Und man kann sich ja vorstellen, wenn die Sache nun ganz und gar zu Ende geht, da rasteten die irgendwie aus. Er wurde zweimal aufgefordert, die Pistole abzugeben und er hat es trotzdem nicht gemacht. Es war ja noch Kriegsrecht. Also nach zweimaliger Aufforderung, da war nichts mehr. Das war völlig klar. Ob das nun waren Amerikaner oder Deutsche oder wer. Nach Kriegsrecht wird der erschossen. Der hatte auch, ich weiß nicht, 5 Kinder oder so. Das überlegten die alles nicht. Na ja und dann haben sie den eingewickelt den Toten in eine Plane und dann war der Krieg aus. Der Kommissar ging vorne raus, ich hab ihm noch gesagt, „Sie gehen in die Gefangenschaft“, „Ja, natürlich, ich geh in die Gefangenschaft“, und die andern gingen hinten raus. Rathaus 1942 und 2009 Dann kamen wir nach Hause, mein Vater und ich, und es war ein strahlend schöner Tag. Dann waren da die Nachbarn und wir unterhielten uns, und denn sagte der eine: „Also nebenan, die sind nebenan gewesen und haben was auf die Treppe gelegt und das explodiert gleich“. „Ach watt“, sagt mein Vadder, „nu reichts“. Und denn ist er nach nebenan gegangen, allerdings zu mir hat er gesagt: „Und du kommst jetzt nicht mit“. Und denn kam er gleich wieder und brachte eine Zigarrenkiste und denn, und denn sagt, „Nun guck mal her“. Und denn macht er die auf und da sprang so ´n Kasperle raus auf so ´ner Spirale und dann entlud sich also diese ganze Anspannung, also die Leute lachten und es liefen uns die Tränen runter und es war denn das Ende des Krieges. Und mein Vadder sagte denn: „Ja und was nun?“ Ja und da hatte er Recht, denn was nun kam, war ja offen. Ja, das war das Kriegsende. Ich fand immer, dass die Handlungsfreiheit meinetwegen eines Leutnants im Kriegsgeschehen eine ziemlich große war. Man liest ja Geschichten darüber. Das fand ich schon ziemlich umwerfend, muss ich sagen. Was die alles machen konnten, ausführen konnten, mit ihren Leuten – oder auch nicht – oder es unterließen. Es gab auch viele Leute, die abschirmend wirkten. Ich weiß das auch von diesem Kommissar von meinem Vater. Da war nichts, was an den Nationalsozialismus erinnerte. Also dieser Kommissar, er nannte sich zwar Kommissar, aber er hielt das alles ab. Elisabeth Müller Als 1945 alles vorbei war, waren die Amerikaner ja zuerst in Wismar. In der Krämerstraße, wo jetzt Karstadt drin ist, das war früher Kaufhaus Otto. Und Otto selbst war einer der führenden Nazis mit von Wismar beim führenden Kreisleiter Dahl und der Oberbürgermeister von Wismar hieß Pleuger. Und das war eben die Crew der Stadt. Und als dann die Amerikaner kamen, haben die das Kaufhaus Otto angezündet und den Otto selbst auf dem Marktplatz an einem Haken erhängt. Und wir mussten hin, damals, da kriegten wir alle Bescheid die jungen Menschen, woher weiß ich heute nicht mehr und mussten über den Marktplatz gehen. 30 Wismar. Stadt- und Feuerwehrgeschichte 1933-1945 _________________________________________________________________________________________________ Resümee der Zeitzeugen Christa Innecken Heute, wenn ich so durch die Straßen gehe, fällt es mir schwer, mich daran zu erinnern. Manchmal sag, Du guck mal, da ist ´n Lücke, da stand das und das Haus, und da wohnte, meinetwegen unsere Lehrerin drin: Man merkt das gar nicht mehr, dass das Haus weg ist. Ist eben ein leerer Platz oder es stehen Bäume, aber es standen eben früher Häuser da. Das Aufräumen damals ging ziemlich schnell. Dr. Martin Steinbrecher Mir liegt schon ein bisschen daran, den jungen Leuten klarzumachen, wie erbärmlich und schlecht Krieg ist und was alles wir tun können, damit sich das in keiner Weise wiederholt. Werner Innecken Man muss sich immer vorstellen, wir haben den Krieg begonnen. Und wir haben unendlich viel Leid nach Russland reingetragen. Dann können wir nicht hinterher über die Dinge, die nicht normal liefen mit uns, schimpfen. Christa Innecken Ja, es war eine schlimme Zeit. Aber das hat man nicht empfunden. Wir waren 14, 15. Was hatten wir für Spaß. Das kann man gar nicht glauben. Man denkt immer Krieg, das ist ernst, das ist nur Grauen und Schießen und Tod. Das ist es natürlich auch, aber die Leute und wir selbst ja auch, heulten und lachten zu gleicher Zeit. Christa Innecken Seltsamerweise hat vorher keiner >Mein Kampf< gelesen. Da steht das alles drin. Obwohl das ja fast alle hatten. Das stand aber nun da. Wer liest denn so eine Schwarte. Man hätte es vorher wissen können: dieser Hass auf die Juden, die Judenverfolgung, Einige wussten es ja. Christa Innecken Die haben uns ja auch unsere ganze Begeisterung, die wir hatten, die haben sie uns genommen. Ich kann mich für keinen, für keinen Politiker ganz gleich, wer auch immer er ist, könnt ich mich heute begeistern. Für keinen. Die Kritik da wurde aufgebaut, damals. So lange haben wir kritiklos vielleicht alles hingenommen und wir waren ja Helden oder wollten es sein. Und das ging ja alles in Schutt und Asche. Und so betrogen wie unsere Jugend ist ja kaum eine Jugend. Und die hatten ja was aufgebaut, das war erstaunlich, die hatten uns ja wirklich im Griff. Was meine Eltern nicht wollten. Aber sie konnten nicht viel dagegen setzen, wir mussten selbst zur Vernunft kommen. Und das haben sie ja Gott sei Dank noch erlebt, dass wir das schafften. Aber da muss man erst mal hinkommen. Keiner ist leichter verführbarer als die Jugend. Und das wussten die. Das wussten die. 32 Wismar. Stadt- und Feuerwehrgeschichte 1933-1945 _________________________________________________________________________________________________ Resümee der Mitwirkenden Jens Weiß Ich finde Demokratie und Toleranz ganz gut. Dadurch habe ich einen Einblick gekriegt wie es früher zu Kriegszeiten war. Durch den Zeitzeugen hat man bessere Informationen gekriegt, und das was nicht so, wie es in den Geschichtsbüchern steht. Ich würde das Projekt Demokratie und Toleranz weiterempfehlen, man sammelt nur gute Erfahrungen. Chris Strathmann Wir waren im Stadtarchiv, das war cool und interessant. Dann waren wir noch im Pflegeheim, haben Zeitzeugen befragt und Fotos gemacht. Dann waren wir auch auf dem St.-Marien-Kirchturm, das war cool. Und es war sehr interessant und lehrreich. Vivien Murr Ich fand sehr interessant zu erfahren, was früher in Wismar alles passiert ist. Außerdem fand ich es sehr interessant, als eine Zeitzeugin sagte, dass sie gesehen hatte, wie Flugzeuge hintereinander über Wismar geflogen sind und Bomben fallen gelassen hatten. Als eine andere Zeitzeugin gesagt hatte, dass sie auf einen Kirchturm gegangen war und die Stadtgesehen hatte, wie sie von den Luftangriffen zerstört wurde, fand ich ziemlich mutig, weil es hätte jederzeit wieder ein Luftangriff kommen können. Dann hätte es passieren können, dass der Kirchturm von einer Bombe zerstört worden wäre. Ich persönlich hätte es mich nicht getraut. Enrico Weiß Ich fand das gut, dass wir bei der Kirche waren und die Zeitzeugen war erzählt haben, vor allem der Zeitzeuge, der über seinen Vater erzählt, der Melder während des Krieges in Wismar war. Lisa-Christin Brumm Ich fand es sehr schön als wir auf dem Marienkirchtum waren. Das Beste war natürlich als wir ganz oben waren und bei den Uhren durch den Luckkasten ganz Wismar sahen. Mich hat interssiert, was Herr Steinbrecher erzählt hat, wie meine Straße damals aussah, da er auch dort wohnte. Das war sehr interessant. Lukas Qualmann Ich fand es sehr gut, dass wir in der Stadt waren und Fotos gemacht haben. Und ich fand es gut, dass wir Zeitzeugen gesprochen haben. Björn Strathmann Ich fand das Projekt Jugend und Toleranz sehr interessant und informationsreich. Die Zeitzeugen, die wir bis jetzt befragt haben, lieferten uns zahlreiche In- formationen, doch die spontane Aktion mit dem Pflegeheim lief nicht so richtig wie geplant, da wir keine Fragen vorbereiten konnten und hauptsächlich Ulli das Gespräch geführt hatte. Sehr schön fand ich auch die Aktion mit dem St.-Marien-Kirchturm. Es war zwar sehr anstrengend durch den Aufstieg und wurde wieder gut gemacht durch die tolle Aussicht und die sehr interessanten Informationen. Im Stadtarchiv haben wir alte Fotos, Bilder und Videos gesehen, die uns sehr gefallen haben. Das lag aber nicht daran, dass wir unseren Wehrführer Herrn Meschkat als jungen Maschinist sahen. Der Fototag in der Stadt, wo wir Häuser, die wir zuvor im zerstörten oder alten Zustand gesehen haben, fotografiert haben. Aber nicht nur das war gut, sondern an Besten fand ich das gemütliche Beisammensitzen in der Runde, wo wir viel gelacht und gegrübelt haben und die Fotoszenen von uns selbst gemacht haben – auch das war sehr spaßig. Benjamin Qualmann Am Anfang habe ich nicht so recht gewusst, was das überhaupt für ein Projekt werden wird. Richtig spannend wurde es, als wir die Zeitzeugen eingeladen haben und sie von der Kriegszeit hier in Wismar berichteten. Wie das alles war damals. Wie jeder so diese Zeit erlebt hat. Es war auch interessant, dass wir im Stadtarchiv waren und die alten Filme ansehen konnten, die damals nach den Luftangriffen gemacht wurden. Wenn ich heute durch die Stadt gehe, sehe ich alles mit anderen Augen. Adolf Rumohr Ich fand das Projekt gut. Ich habe vieles erfahren, was man so gar nicht wusste über die Feuerwehr und den Luftschutz zum Beispiel. Und wie das früher so war in der Schule während der Nazizeit. Und die Berichte über die Bombenangriffe, so was erfährt man ja sonst nicht. Stefan Kaspereit Ich fand die Geschichtswerkstatt super. Wir haben vorher kaum etwas Genaues gewusst über diese Zeit. Jetzt denke ich oft, hier haben mal Häuser gestanden oder das Haus dort in der und der Straße sah früher ganz anders aus. Besonders wenn man die Turmstraße heute sieht. Vorher ist mir das nie aufgefallen, man hat da nie drauf geachtet. Was die Zeitzeugen über den Krieg erzählt haben, war sehr spannend. Wie unterschiedlich das für jeden Einzelnen sein konnte, fand ich erstaunlich. Und vor allem, dass die Jugendlichen unserer Feuerwehr etwas von der Geschichte erfahren, das war gut und wichtig. Die Projektbegleitung und der Ablauf haben uns sehr gefallen. Der Einblick in die Fotografie und dass alle selbst die Technik ausprobieren konnten war toll. 34 Wismar. Stadt- und Feuerwehrgeschichte 1933-1945 _________________________________________________________________________________________________ Hintergrundinformationen zum Projekt Die Geschichtswerkstatt „Heimat Mecklenburg-Vorpommern – Feuerwehr im Spiegel der Zeit“ ist ein Projekt des Verbundnetzes für Demokratie und Toleranz und des Landesfeuerwehrverbandes Mecklenburg-Vorpommern für die Jugendfeuerwehren des Landes im Rahmen der Kampagne Jugendfeuerwehren für Demokratie und Toleranz. Das Projekt wird bewusst in den Jugendfeuerwehren realisiert. Die Freiwilligen Feuerwehren stellen gerade im ländlichen Raum eine stabile zivilgesellschaftliche Organisation innerhalb der Kommune dar und leisten einen wichtigen Beitrag für die Jugendarbeit und die Vermittlung demokratischer Prinzipien durch Wahl der Führungsleiter und Abstimmung von Beschlüssen durch die gesamte Wehr. Durch die freiwillige Mitgliedschaft von Bürgern in den Feuerwehren haben diese eine starke Verankerung in der Bevölkerung. Im Ort genießen sie in der Regel ein hohes Ansehen und das Vertrauen der Einwohner. Hierin liegt die Chance, dass mit diesem Projekt auch über die Grenzen der Feuerwehr hinaus ein deutliches Signal in Richtung Stärkung demokratischer Strukturen gesetzt wird. Das Verbundnetzes für Demokratie und Toleranz ist eine Initiative der VNG - Verbundnetz Gas AG Leipzig. Als traditionell im Osten Deutschlands verwurzeltes Unternehmen ist es das Anliegen der VNG, die regionale Entwicklung in den neuen Bundesländern zu fördern - wirtschaftlich und sozial. Ziel der Initiative ist es, eine Verbindung zwischen Wirtschaft, Kommunen, staatlichen Einrichtungen, zivilgesellschaftlichen Organisationen, Aktiven in Kunst und Kultur sowie engagierten Bürgerinnen und Bürgern aufzubauen, um gemeinsam Projekte zu realisieren, die nachhaltig der Stärkung der demokratischen Strukturen dienen. Projektausführende Institution ZDK Gesellschaft Demokratische Kultur gGmbH, Berlin gefördert durch die VNG - Verbundnetz Gas AG Leipzig Herzlicher Dank geht an den Ludwigsluster Fotografen und Medienkünstler Christian Möller. Er weihte die Jugendlichen in die Grundlagen professioneller Fotografie ein, durchstreifte mit ihnen die Stadt auf der Suche nach den heutigen Ansichten der durch den Krieg zerstörten Straßen und Gebäude, war verantwortlich für die Bildbearbeitung und gestaltete gemeinsam mit der Projektleitung das vorliegende Buch. Von Seiten der Feuerwehr wurde das Projekt vom Jugendwart Stefan Kaspereit, und seinem Stellvertreter Sven Triebess sowie Benjamin Qualmann mit viel persönlichem Einsatz unterstützt. Am Projekt teilgenommen haben außerdem Adolf Rumohr, ein Mitglied der aktiven Wehr sowie Günter Kaspereit, Ehrenmitglied. Außerdem danken wir herzlich Herrn Giese für den informationsreichen Nachmittag im Stadtarchiv sowie allen Projektteilnehmern/Innen und Unterstützern für ihr engagiertes Mitwirken und an dieser Stelle noch einmal ganz besonders unseren Interviewpartnern. Hintergrundinformationen zum Projekt 35 _________________________________________________________________________________________________ Impressum Herausgeber: Verbundnetz für Demokratie und Toleranz c/o ZDK Gesellschaft Demokratische Kultur gGmbH, Berlin www.verbundnetz-fuer-demokratie-und-toleranz.de [email protected] Rahmentext, Zusammenstellung der Interviews, Redaktion, Satz und Layout: Ulrike Krause Foto: Christian Möller Ulrike Krause Jugendfeuerwehr Bildbearbeitung: Christian Möller www.moe4.de [email protected] Bildnachweis: Die historischen Aufnahmen der Seiten 4 und 5 sind dem Archiv der Feuerwehr Wismar entnommen. Alle übrigen historischen Aufnahmen entstammen der Privatsammlung Detlef Schmidt und sind uns mit freundlicher Genehmigung für dieses Projekt zur Verfügung gestellt worden. Quellenangabe: Benno Ladwig, Jugendfeuerwehren in Deutschland. Entwicklungsgeschichte. Hanau 1986 Andreas Linhardt, Feuerwehr im Luftschutz 1926-1945. Die Umstrukturierung des öffentlichen Feuerlöschwesens in Deutschland unter Gesichtspunkten des zivilen Luftschutzes, Braunschweig 2002 www.jugendfeuerwehr-dillenburg.de/download/info/helfer_jugendfeuerwehr _1.pdf – Verbundnetz für Demokratie und Toleranz