NÖ Consilium 05/2016 Aktuell - den Serviceteil finden Sie in der
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NÖ Consilium 05/2016 Aktuell - den Serviceteil finden Sie in der
CONSILIUM MITTEILUNGEN DER ÄRZTEKAMMER FÜR NIEDERÖSTERREICH | 71. JAHRGANG NR. 05/16 Mystery Shopping – Lizenz zum Betrügen Ärztestatistik mit Fehlern im Detail XXVII. Notärztetagung „Eine Bank, die mich als Ärztin versteht.“ Für uns zählt, was für Sie zählt. Sie haben klare Vorstellungen und Ziele. Deshalb unterstützen wir Sie und Ihre Ideen mit der passenden Finanzlösung. www.erstebank/s-aerzteservice www.s-aerzteservice.at Besuchen Sie uns auf: facebook.com/erstebank.sparkasse KURZ & SERVICE BÜNDIG Kurz & bündig 24-Stunden-Betreuung Information des Sozialministeriums Auf der Website https://broschuerenservice.sozialministerium.at besteht sowohl die Möglichkeit zum Download als auch zur Bestellung der Broschüre. Bestellen können Sie außerdem telefonisch (0800/202074) oder per E-Mail ([email protected]). Soziales 24-STUNDEN-BETREUUNG ZU HAUSE Ein Überblick Foto: Sozialministerium Die Sektion Konsumentenpolitik im Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz hat eine Broschüre mit dem Titel „24-Stunden-Betreuung - Verträge mit Vermittlungsagenturen und BetreuerInnen" herausgebracht. Meldung und Abfrage von Urlauben und sonstigen Abwesenheiten: www.arztnoe.at Der Vorteil liegt darin, dass sämtliche Eintragungen sofort in der Datenbank ersichtlich sind und weiter bearbeitet werden können. Damit soll Kassen- sowie Wahlärztinnen und -ärzten einer Region die Planung des möglichen Patientenaufkommens erleichtert werden. Fachärztinnen und Fachärzte können nach Bezirken abgefragt werden, ÄrztInnen für Allgemeinmedizin nach dem jeweiligen Sprengel. Für die Abfrage bzw. das Eintragen der Abwesenheiten ist ein persönlicher Single Sign On Zugang nötig, den jeder Arzt und jede Ärztin erhalten hat. Sollten dennoch Fragen offen sein, können Sie eine Bedienungsanleitung anfordern. Gerne hel- Foto: bilderbox.com Bleibt eine Kassenordination aufgrund von Krankheit, eines Urlaubs oder einer Fortbildung geschlossen, muss dies der Ärztekammer gemeldet werden. Dies kann im Intranet der Ärztekammer NÖ unter www.arztnoe.at in der „Abwesenheitsverwaltung“ schnell und unbürokratisch eingegeben und vor allem auch jederzeit aktuell eingesehen werden. fen auch die MitarbeiterInnen der Ärztekammer NÖ unter [email protected] oder [email protected] oder persönlich gerne weiter: 01/53751 DW 7500 Ärzte Service Center 01/53751 DW 131 Herr Peter Fried (Single Sign On Zugang) 01/53751 DW 128 Herr Leopold Rath IMPRESSUM: Verleger, Medieninhaber und Herausgeber: Ärztekammer für Niederösterreich, Körperschaft Öffentlichen Rechts; 1010 Wien, Wipplingerstr. 2, Tel. 01/53751-0, FAX: 01/53751-19, www.arztnoe.at; Chefredaktion: Präs. Dr. Christoph Reisner, MSc, Dw. 241; Redaktion: Mag. Birgit Jung (Leitung), Dw. 623; Dr. Sigrid Ofner, Dw. 636; Bildredaktion, Layout, Produktion, Abonnements, Wortanzeigen: Daniela Kotouc, MA, Dw. 633, [email protected]. Die Redaktion behält sich vor, unaufgefordert eingesandte Beiträge teilweise oder gar nicht zu veröffentlichen. Alle mit „Promotion“ gekennzeichnete Texte sind entgeltliche Einschaltungen. Alle namentlich gezeichneten Beiträge müssen nicht zwingend die Meinung des Herausgebers repräsentieren. Anzeigen: FIVE NF GmbH, Kutschkergasse 26, Postfach 63, 1180 Wien, Tel. 0676/440 51 81, [email protected]; Grafisches Konzept: Kotschever Kommunikationshaus; Herstellung, Druck, Vertrieb: Colordruck La Linea GmbH., Kalkofenweg 6, 5400 Hallein/Gamp, Tel. 06245/90111-0, [email protected]; Abopreis: 55 Euro/Jahr (10 Ausgaben) Gedruckt nach der Richtlinie „Druckerzeugnisse“ des Österreichischen Umweltzeichens, Colordruck La Linea GmbH, UW-Nr. 1147 CONSILIUM 05/16 3 Seite 05 Seite Inhalt 10 Foto: Bernhard Noll Foto: bilderbox.com Foto: Elnur Amikishiyev INHALT Seite 30 Service Kurz & bündig Seite 03 Fortbildungsveranstaltungen Seite 35 Impressum Seite 03 Anmeldeformular Seite 41 Editorial Präsident Seite 05 FAM Seite 42 Editorial Vizepräsident Seite 06 Offene Stellen Seite 44 Primärversorgung Seite 07 Standesveränderungen Seite 46 PHC wird bereits gelebt Seite 09 Jubiläen Seite 47 Von faulen, fleißigen und müden Ärzten Seite 10 Nachrufe Seite 49 15 von 19 Kassenstellen ohne Bewerber Seite 12 Termine Seite 50 Kollektivvertrag der Arztangestellten Seite 14 Vertretungsärzte Seite 52 FAQ für SpitalsärztInnen Seite 16 Punktewerte Seite 54 Gehaltsverhandlungen vor Abschluss Seite 17 Kleininserate Seite 55 Recht.Einfach.FAQ Seite 18 Schule des Sprechens Seite 20 Seite 21 Fragebogen Seite 27 Codein für Kinder nicht mehr verfügbar Seite 28 XXVII. NÖ Notärztetagung Seite 30 Leserbriefe Seite 34 DFP: Insulintherapie Liebe LeserInnen! Diese Ausgabe des NÖ Consilium ging am 12. Mai 2016 in den Versand. Sollten Sie das Heft nicht zeitgerecht im Briefkasten vorfinden, wenden Sie sich bitte an Ihr zuständiges Postamt. REDAKTIONSSCHLUSS: Ausgabe 07+08/16: Mittwoch, 22. Juni 2016, 12.00 Uhr; Coverfoto: Elnur Amikishiyev 4 CONSILIUM 05/16 Foto: Martin Wieland PRÄSIDENT Agent Provocateur – Spitzel mit Lizenz zum Betrug Dr. Christoph Reisner, MSc www.wahlarzt.at Jedes Spitzeltum ist abzulehnen, so auch Mystery Shopping A ktuell vergeht kaum eine Woche, in der die Gesundheitspolitiker unseres Landes nicht mit einer neuen Idee aufhorchen lassen, die uns Ärztinnen und Ärzte einschüchtern und vor Angst erstarren lassen soll. An manchen Tagen könnte es ihnen auch fast gelingen, so absurd und abseits jeglicher Realität erscheinen die Vorschläge mancher selbsternannter Weltverbesserer. Doch sprachlos machen uns diese Vorschläge mit Sicherheit nicht. Schon gar nicht die Idee des Mystery Shoppings. Nachdem der Verfassungsjurist Univ.-Prof. DDr. Heinz Mayer und der Strafrechtswissenschafter Univ.-Prof. Dr. Alois Birklbauer diese Bespitzelungsaktion in zwei voneinander unabhängigen Gutachten für verfassungswidrig erklärt haben, ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis das Gesetz bereinigt wird. Im österreichischen Rechtsstaat gilt seit über 100 Jahren das sogenannte „Lockspitzelverbot“. Dieses besagt, dass niemand zur Begehung einer Straftat verleitet werden darf. Kontrollen sind im Zuge verdeckter Ermittlungen nur bei begründetem Verdacht erlaubt, alles darüber Hinausgehende wäre unverhältnismäßig und damit nicht rechtskonform. Ein Mystery Shopper geht eindeutig über den gewöhnlichen simulierenden Patienten, der den Arzt nur zu seinem persönlichen Vorteil täuscht, hinaus. Ein Mystery Shopper oder Lockspitzel täuscht nicht nur über seine Identität, er muss auch Symptome vorspielen, um zu Unrecht krankgeschrieben zu werden oder eine Behandlung zu erhalten, die letztlich nicht indiziert ist. Und dies ausschließlich mit dem Ziel, den Arzt zu einer strafbaren Handlung zu verleiten. Sogar der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat bereits festgestellt, dass eine Tatprovokation unzulässig ist, wenn der Provozierte, in dem Fall der Arzt, keine Straftat begehen wolle. Auch wenn das Verhältnis zwischen Ärztekammer und Gebietskrankenkasse in Niederösterreich derzeit nicht von Misstrauen geprägt ist, werden die einzelnen Gebietskrankenkassen der Länder vom Hauptverband zu diesen verwerflichen Aktivitäten verpflichtet werden. Sie sollen im Vorhinein für jedes Kalenderjahr einen Stichprobenplan erstellen, der die Prüfungsschwerpunkte und den Gesamtumfang der Stichprobe beinhalten wird. Ohne Ausweis, keine Behandlung Ich bin überzeugt, dass die Ärztinnen und Ärzte in Niederösterreich korrekt arbeiten, daher müssen wir uns wegen Kontrollen durch die Sozialversicherung keine Sorgen machen. Dennoch ist das Signal eines Generalverdachts gegenüber der Ärzteschaft, das von dieser Maßnahme ausgeht, äußerst negativ. Künftig werden wir besonders darauf achten müssen, dass von jedem Patienten, den wir nicht persönlich kennen, ein Ausweis vorgelegt wird. Mystery Shopper sollen von den Sozialversicherungen geschulte Mitarbeiter oder sogar Schauspieler sein, deren e-cards auf Decknamen ausgestellt sind. Kann also kein Ausweis mit dem Namen auf der e-card vorgelegt werden, muss davon ausgegangen werden, dass es sich um einen Lockspitzel handeln kann. Nachdem wir vermutlich in erster Linie beim Ausstellen von Arbeitsunfähigkeitsmeldungen und Rezepten überprüft werden sollen, könnten wir diese Patienten zum chefärztlichen Dienst ihrer Sozialversicherung schicken. (Dann würden sie sich auch weite Anfahrtswege in unsere Ordinationen ersparen….). Ich möchte sogar noch einen Schritt weiter gehen: Im Grunde ist es immer unvereinbar, dass ein Arzt einen Patienten gleichzeitig behandelt und ein Gutachten über seine Arbeitsfähigkeit, also Krank- oder Gesundschreibungen, ausstellt. Es handelt sich dabei um ein klassisches Beispiel für Befangenheit. Bespitzelung führt zu teurer Absicherungsmedizin Wir gehen aufgrund unseres Vertrauensverhältnisses zu unseren Patienten davon aus, dass diese uns die Wahrheit sagen. Daher ist es auch in der Regel nicht notwendig, mehrere aufwändige und teure Untersuchungen zur Absicherung durchzuführen, nur um den Wahrheitsgehalt der Aussage unserer Patienten zu überprüfen. Künftig wird ein Arzt aber damit rechnen müssen, dass ihn auch Lockspitzel konsultieren. Die daraus resultierende Absicherungsmedizin zur Objektivierung der Patientenaussagen wird zwangsläufig zur Verteuerung des Gesundheitswesens führen. Dazu kommt, dass Lockspitzel absolut unverhältnismäßig sind. Sind doch Überprüfungen durch die Gebietskrankenkasse in Form von Patientenbefragungen oder Kontrolluntersuchungen schon jetzt möglich und werden auch umgesetzt. Wir können ohnehin Kassenstellen sehr schwer besetzen. Mystery Shopping ist nach ELGA und der Registrierkassenverordnung ein weiterer Mosaikstein, der die Arbeit in der Ordination mit Kassenverträgen uninteressanter macht. Die Bereitschaft der Ärzte im öffentlichen Gesundheitssystem einen Kassenvertrag anzustreben, wird weiter sinken. Wir werden daher alles daran setzen, dass ein Arzt, der sich korrekt verhält, nicht getäuscht und animiert werden darf, ein rechtswidriges Verhalten zu setzen. DR. CHRISTOPH REISNER, MSC Präsident der Ärztekammer für Niederösterreich facebook.com/christoph.reisner CONSILIUM 05/16 5 Foto: Raimo Rumpler VIZEPRÄSIDENT VP Dr. Gerrit Loibl, MSc [email protected] Notfallmedizin, quo vadis? N ach anfänglichen Schwierigkeiten im Rahmen der flächendeckenden Einführung in unserem Staat Ende der 80-er Jahre blicken wir nun auf mehrere Jahrzehnte ausgezeichnet funktionierender extramuraler ärztlicher Notfallmedizin zurück, um die uns viele andere Länder beneiden – beziehungsweise bald beneidet haben werden. Denn auf das hervorragende Modell „gut ausgebildete(r) Arzt/ Ärztin im gut ausgestatteten Notarztwagen“ wurden in den letzten Jahren – teils bewusst, teils in Form von „Kollateralschäden“ gleich mehrere Anschläge verübt, die ernsthafte Zweifel am Fortbestehen des Berufsstandes des aktiven Notarztes/der aktiven Notärztin verursachen. Ausbildungsreform Im alten System absolvierten nahezu alle Jungärzte die Allgemeinmedizin-Ausbildung im Rahmen des „Turnus“ und waren daher auch während einer späteren Fachausbildung zur selbständigen Berufsausübung – auch im Notarztwagen – berechtigt. Natürlich ist uns von Fällen bekannt, in der Kollegen und Kolleginnen mit (sanftem?) Druck davon überzeugt wurden, neben ihrer Fachausbildung auch zusätzliche Erfahrung an der notärztlichen Front zu sammeln, aber es gab doch immer wieder Jungärzte, die eigentlich ganz gerne in den Notarztwagen einstiegen. Nun aber werden Fachausbildungen regelhaft bereits nach einer 9-monatigen Grundausbildung („common trunc“) beginnen, sodass Ärzte und Ärztinnen in Ausbildung zu einem Sonderfach nicht mehr über ein jus practicandi verfügen und daher auch nicht mehr zu Diensten am Notarztwagen herangezogen werden können. Allgemeiner Ärztemangel Im Gegensatz zu den 90-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts verlassen viel weniger Absolventen die medizinischen Universitäten, die jungen Kollegen und Kolleginnen sind mobiler als früher und gehen bereitwilliger ins Ausland, wo Gehaltssituation und Ausbildungsbedingungen besser sind. Stellen an österreichischen Krankenhäusern und auch Kassenplanstellen sind in großer Zahl unbesetzt und die Bereitschaft der Bevölkerung bei Wahl- und Privatärzten für medizinische Betreuung zu bezahlen ist gestiegen. Kurz gesagt: die Auswahl an beruflichen Auswahlmöglichkeiten für Ärzte ist viel größer als noch vor 10 oder 15 Jahren, und so gibt es viele Alternativen zur anspruchsvollen und oft körperlich wie psychisch extrem belastenden Arbeit als Notarzt oder Notärztin. 6 CONSILIUM 05/16 Erschwerte Arbeitsbedingungen Bisher war der Notarzt in der Regel in einem gut ausgestatteten großen Notarztwagen mit gut ausgebildeten Notfallsanitätern unterwegs. Die seit vergangenem Jahr sukzessive erfolgende Umstellung auf ein NEF-System führt jedoch in vielen Fällen dazu, dass sich der Notarzt im Falle der Notwendigkeit des Transportes eines Schwerkranken- oder verletzten plötzlich ohne Notfallsanitäter (dieser muss den teuren 240-PS NEF-PKW sicher nach Hause fahren) in einem viel zu kleinen Transportfahrzeug findet, aus dem – auch in strömendem Regen – Patient und Equipment für anspruchsvollere medizinische Handlungen (Intubation, Thoraxdrainage) ausgeladen werden müssen. In vielen Einrichtungen überlegen langdienende Ärzte und Ärztinnen deshalb bereits, in Zukunft den Dienst im NAW bzw. NEF zu verweigern. Neuausschreibung der notärztlichen Versorgung durch das Land Niederösterreich Was die genauen Hintergründe für die kürzlich erfolgte komplette Neuausschreibung der notärztlichen Versorgung in unserem Bundesland durch die Landesregierung sind, entzieht sich leider noch immer meiner Kenntnis, aber die etwas eigenartige Formulierung der Grundbedingungen dürfte wohl zu keiner nachhaltigen Bestandssicherung des aktuellen Systems führen. Herauslesen kann man jedenfalls die Reduktion von Stützpunkten, eine Verlängerung der tolerierten Zeitspanne zwischen Alarmierung und Eintreffen am Notfallort und auch den Wegfall der Anstellung von Notärzten in manchen Landeskrankenhäusern. Zusammengefasst befürchte ich, dass eine gut funktionierende ärztliche Notfallmedizin in unserem Bundesland bald nur mehr in Geschichten, die mit „Kannst Du Dich noch erinnern…“ vorkommen wird. Umso wichtiger erachte ich die Umsetzung meines (unabhängig von den aktuellen Vorkommnissen entstandenen) Vorschlages zur Etablierung einer Unterrichts-Wochenstunde „Erste Hilfe und allgemeine Gesundheitskunde“ im letzten Pflichtschuljahr, denn angesichts der akuten Gefahr für die Notfallmedizin kann nur mehr die Devise ausgegeben werden: Rette sich, wer kann! DR. GERRIT LOIBL, MSC Vizepräsident der Ärztekammer für Niederösterreich Foto: Bernhard Noll PRIMÄRVERSORGUNG „Primärversorgung“ Dr.in Martina Hasenhündl Kosten, Nutzen und Patientenwünsche P rimärversorgung ist wohl derzeit DAS Hauptthema in der Standes- und Gesundheitspolitik in Österreich. In den vor drei Jahren ohne Mitwirkung der Ärztekammer(n) beschlossenen Zielsteuerungsverträgen tauchte diese Bezeichnung erstmalig großflächig auf. Verbunden mit dem Auftrag an Bundesländer und Gebietskrankenkassen, eigene bundeslandspezifische Modelle zu entwickeln und ein Prozent der Bevölkerung bis zu einem gewissen Zeitpunkt in solchen Modellen primärmedizinisch zu versorgen. Zwischenzeitlich ist die Ankündigung da, ein eigenes Gesetz dafür zu schaffen. Wir rechnen täglich mit einem Entwurf und sind schon sehr gespannt auf die inhaltliche Substanz. In der Zwischenzeit haben sich in ein paar Bundesländern bereits einige so genannte „Primärversorgungszentren“ entwickelt bzw. sind in konkreter Planung. Bei genauem Hinsehen erkennt man jedoch, dass es sich nicht um neue Modelle handelt, sondern lediglich um eine Art „subventionierte Gruppenpraxen“, die in Bezug auf die medizinische Versorgung keinerlei neue Leistungspositionen kennen. Doch für die Politik scheint das ausreichend zu sein. Mit Schlagworten wie „mehrere Ärzte unter einem Dach“ und „erweiterte Öffnungszeiten“ kann man leicht die Öffentlichkeit ködern, die solche Modelle gerne als Wunderwaffe zur Genesung des Systems sieht. Da ist der Hauptverband schon realistischer. Hier macht man sich umfangreich und hochwissenschaftlich Gedanken zum Thema. Und als Einleitung einer Studie zum Thema ist zu lesen: „Eine aktuelle, im Auftrag der Europäischen Union durchgeführte Vergleichsstudie hat gezeigt, dass Österreich als Land mit einer schwach ausgeprägten Primärversorgung einzuschätzen ist. Die freie Arztwahl, der direkte Zugang zu Fachärzten und Krankenhäusern, das geringe Ausmaß an interdisziplinärer Arbeit und Koordination im Gesundheitssystem und die arztzentrierte Versorgung sind Faktoren, die zu diesem Ergebnis beitragen.“ Für mich wäre es daher vollkommen logisch, genau bei diesen Kritikpunkten anzusetzen. Denn ein gutes Primärversorgungssystem ist die Grundlage für ein funktionierendes und gleichzeitig finanzierbares Gesundheitssystem. Doch die politische Realität in Österreich spricht halt eine andere Sprache. Wie sind die Fakten: Die Finanzierungsströme innerhalb des Systems sind zahlreich, verworren und in sich nicht schlüssig, Steuerungsmöglichkeiten sind nicht vorhanden und im Wesentlichen wird das Volumen aus zwei Töpfen gespeist, die gegeneinander arbeiten. Die Gebietskrankenkassen können ihre Einnahmen nicht beeinflussen und sind in Bezug auf die Kosten streng limitiert. Es besteht daher mangels Zahlungsmöglichkeit wenig bis kein Interesse, die Kapazität im niedergelassenen Bereich auszuweiten. Das führt seit Jahrzehnten zu einer Situation wie oben beschrieben: Wir haben viel zu wenig Kapazität im Bereich der niedergelassenen Allgemeinmedizin. In unseren Ordinationen werden im Schnitt mehr Patienten betreut als in jedem anderen vergleichbaren Land. Als Grundlage für eine vernünftige Primärversorgung bräuchten wir MINDESTENS 50 Prozent mehr Allgemeinmediziner. Das Gruppenpraxengesetz existiert seit mehr als zwölf Jahren und es gibt immer noch Bundesländer, die keine Gruppenpraxen haben, weil sich die Krankenkassen keine Ausweitung der Kapazität erlauben können. Und in so einem Land vertreten Politiker allen Ernstes die Meinung, dass man die Probleme des Gesundheitswesens durch künstlich erzeugte und reglementierte erweiterte Öffnungszeiten, durch zwangsverordnete Kooperationen und das alles ohne moderne und vor allem einheitliche Leistungskataloge lösen könnte? Wir werden das Problem des Föderalismus, der verschiedenen Zuständigkeiten und der gegenläufigen Finanzierungsstruktur nicht lösen können. Das sagt mir meine Erfahrung der poli- Velden 21. – 27.8.2016 19. Ärztetage praxisorientiert - interaktiv - intensiv www.arztakademie.at/velden RZ_Inserat_Ankünder_Arztakademie.indd 2 14.12.15 17:41 CONSILIUM 05/16 7 PRIMÄRVERSORGUNG tischen Realität. Daher wird es auch immer so sein, dass es Gebietskrankenkassen auf Landesebene geben wird, die ihr unbeeinflussbares Budget mit größtmöglicher Vernunft einsetzen müssen. Der Bevölkerung wird jedoch immer eingeredet, dass Geld in jeder Menge vorhanden ist und dass man sich nur aussuchen muss, was man gerne möchte. Und bei jeder bisher durchgeführten Umfrage spricht sich die Bevölkerung selbstverständlich beispielsweise für erweiterte Öffnungszeiten und mehrere Ärzte unter einem Dach aus, weil sie offenbar davon ausgeht, dass das Geld aus einem Füllhorn fließt. Zu was führt nun „Primärversorgung“, so wie sie von Politikern gewünscht wird: Eine verordnete Verlängerung von Öffnungszeiten sowie verordnete ärztliche Kooperationen kosten enormes zusätzliches Geld. Das bedeutet, dass solche Eingriffe ins System OHNE medizinischen Mehrwert an einer anderen Stelle im System ein Mehrfaches des medizinischen Wertes vernichten. Mit anderen Worten: Jeder Euro, der zur Aufblähung der Struktur ohne unmittelbaren Patientennutzen verwendet wird, der fehlt an einer anderen Stelle, wo er dringender gebraucht würde. Versteht das die Bevölkerung? Wir haben bereits vor drei Jahren eine repräsentative Auswahl von 1.000 Patientinnen und Patienten zu ihren Bedürfnissen im Zusammenhang mit Primärversorgung befragt. Ziel der Umfrage war es, valide Daten über die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten eben unter realistischen Annahmen zu bekommen. Wenn man eine Zielgruppe nur fragt, ob sie sich etwas wünscht, dann wird man immer eine positive Antwort bekommen. Wenn man aber Alternativen angibt, aus denen hervorgeht, dass man zugunsten einer Sache auf eine andere Sache verzichten muss, dann wird sich der Befragte genau überlegen, was das Bessere ist. Bei den Antwortmöglichkeiten wurden daher aus Gründen der Realitätsnähe überwiegend verschiedene denkbare Varianten als Alternative vorgegeben. Also nicht „ich wünsche mir zusätzlich“, sondern „ich entscheide mich für eine der Auswahlmöglichkeiten“. So haben wir die aktuelle Situation abgebildet, die keine Vergrößerung des finanziellen Kuchens vorsieht. Die Ergebnisse sind eindeutig: Ein klares JA zum bestehenden System mit freiberuflichen, niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten für Allgemeinmedizin in Einzel- oder Gruppenpraxen bei freier Auswahlmöglichkeit durch die Patientinnen und Patienten. 90 Prozent der Befragten hätten gerne eine möglichst wohnortnahe Versorgung. Dafür nehmen sie das derzeitige System gerne in Kauf, bei dem die Ordinationen nicht an jedem 8 CONSILIUM 05/16 Wochentag von 7:00 bis 19:00 geöffnet sind. Die Patientinnen und Patienten verstehen und akzeptieren selbstverständlich auch, dass Ärztinnen und Ärzte in Einzelordinationen nie eine medizinische Rund-um-die-Uhr-Betreuung aufrechterhalten können. Das damalige Resümee der Umfrage im Wortlaut: „Die Bevölkerung in Niederösterreich über alle Altersgruppen in allen Gemeindegrößen wünscht sich ein wohnortnahes Basisversorgungsmodell mit freiberuflichen, niedergelassenen Allgemeinmedizinern in Einzelordinationen, mit eigener und freier Auswahl durch die Patientinnen und Patienten. Die Ärztinnen und Ärzte sollen im Rahmen eines „Vertrauensarztmodells“ arbeiten und alle Belange rund um die Grundversorgung inklusive Visiten abdecken. Damit verbunden ist auch der Überblick über sämtliche Befunde und die Medikation, was im Umkehrschluss die Einführung der elektronischen Gesundheitsakte in Frage stellt. Der Wunsch nach einer Abgabemöglichkeit für rezeptpflichtige Medikamente durch Ärztinnen und Ärzte ist vorhanden, sogar überproportional ausgeprägt bei der jüngeren Generation. Ein Bedürfnis nach Versorgungszentren oder erweiterten Öffnungszeiten in Einzelpraxen lässt sich aus diesem Ergebnis nicht ableiten.“ Dieses Resümee ist eindeutig. Und ich als Kammerfunktionärin sehe das auch genau so. Wobei ich mich nicht grundsätzlich gegen Primärversorgungszentren ausspreche. Diese haben jedoch nur dann Sinn, wenn es einen neuen, fairen und vor allem einheitlichen Leistungs- und Honorarkatalog gibt. Grundvoraussetzung ist jedoch, dass die Finanzierungsstruktur geändert wird, dass mehr Geld in die Niederlassung fließt und dass die Verträge im Rahmen der Stellenplanung vergeben werden. Wenn eine vollkommen willkürlich zu besetzende Zusatzstruktur gesetzlich verankert wird, dann gefährdet das den ohnehin schon schwer angeschlagenen Bereich der niedergelassenen Allgemeinmedizin. Und das werde ich mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfen. DR.IN MARTINA HASENHÜNDL Kurienobmann-Stellvertreterin der niedergelassenen Ärzte Foto: Bernhard Noll PHC In Ordinationen mit Kassenvertrag wird PHC bereits gelebt Dr.in Martina Hasenhündl Antwort auf einen Leserbrief vom Consilium 04/16 I ch teile die Meinung, wonach PHC bereits heute täglich in den meisten Ordinationen mit Kassenvertrag gelebt wird, und zwar bestmöglich entsprechend den Rahmenbedingungen. Und das sogar trotz aller Hürden, die den Kassenordinationen vorgegeben sind. Und ich teile die Meinung, dass vor allem die Allgemeinmediziner an Zeitmangel auf allen Ebenen leiden. Die geschätzten Mehrkosten – ohne dass zunächst einmal ein medizinischer Mehrwert erbracht wird – liegen nämlich im Bereich von bis zu 50 Prozent. Mit PVEs sollen die Öffnungszeiten ausgeweitet werden, was ohne Kapazitätserweiterung zwangsläufig bedeuten wird, dass Öffnungszeiten bzw. Arztzeiten an anderer, meines Erachtens wichtigerer Stelle, fehlen werden. Aber für diese Argumente ist die Politik nicht zugänglich. Und dieser Zeitmangel - in Verbindung mit der mangelnden finanziellen Möglichkeit der Kassen, gerade die Allgemeinmedizin mit mehr Mitteln auszustatten – sorgt bei der Politik für den Wunsch nach einer Ausweitung der Öffnungszeiten und nach einer Ausweitung der ärztlichen Kooperationsmöglichkeiten. Dass dieser Wunsch aufkeimt ist logisch. Und die Politik sieht eben das Heil darin, sich auf die Erschaffung von PHC-Zentren bzw. PVEs (Primärversorgungseinheiten) - wie es seit kurzem heißt - zu stürzen. Als Vertreterin der Ärzteschaft bleibt mir daher zweierlei: Einerseits haben wir ein Vertrauensarztmodell entwickelt, mit Hilfe dessen man einige Probleme im System aus meiner Sicht lösen kann. Dieses Modell wird bereits mit der Kasse diskutiert, ein Fortschritt ist jedoch so wie bei allen Verhandlungspunkten mit der Kasse nur in kleinen Schritten und daher mühsam zu erreichen. Ich bin aber sehr optimistisch, dass wir es schaffen, in kurzer Zeit ein Pilotprojekt in Gang zu bringen. Unsere unzähligen Versuche, die Politik aufzuklären, dass sich das nicht rechnen kann, und der Politik aufzuzeigen, dass es vernünftigere Ansätze gibt, waren leider nicht erfolgreich. Und das Wesen einer Demokratie ist es eben nun, dass die vom Volk gewählten Repräsentanten diese Entscheidungen treffen. Leider wird von der Politik die Umsetzbarkeit von Gesetzen offenbar nicht in Erwägung gezogen. Denn bis heute ist die Frage nicht einmal angerissen worden, wo denn das Geld für diese zweifelsfrei sehr teuren Einheiten herkommen soll. Andererseits stehen wir in ständiger Verhandlung mit dem Gesundheitsministerium, um wenigstens die Details des geplanten PVE-Gesetzes aus unserer Sicht erträglich werden zu lassen. Ich bin Mitglied der Arbeitsgruppe auf ÖÄK-Ebene und werde die Knackpunkte aus Sicht der Ärzteschaft auch weiterhin aufzeigen. Speziell die Wettbewerbsfähigkeit mit bestehenden und zukünftigen Einzelordinationen ist mir ein Anliegen. Die Gesellschaft wird auch weiterhin diese Form der Versorgung im niedergelassenen Bereich brauchen. Foto: trueffelpix DR.IN MARTINA HASENHÜNDL Kurienobmann-Stellvertreterin der niedergelassenen Ärzte Stichtag 1. September 2016! Verpflichtender Fortbildungsnachweis – am besten mit dem DFP-Diplom CONSILIUM 05/16 9 Foto: Raimo Rumpler ÄRZTEANALYSE Dr. Max Wudy Von faulen, fleißigen und müden Ärzten Der Versuch einer Analyse A n eines langen Tages Abend saß ich todmüde, aber zu überdreht, um gleich einschlafen zu können, vor dem Fernseher, ließ die Bilder vorbeiplätschern und den Tag Revue passieren. Woher kommt die Müdigkeit, woher der Ansturm der Patienten, woher die Verdichtung? Vor allem die Tatsache ging mir nicht aus dem Sinn, dass Österreich nach Griechenland die höchste Ärztequote pro Kopf hat (Health at a Glance 2015, OECD Indicators, published on November 04, 2015). In Gesprächen mit Kollegen, egal ob im niedergelassenen Bereich oder im Angestelltenverhältnis, wird immer über die immense Arbeitsbelastung geklagt, nie über Leergänge und Fadesse. Sind also Österreichs Ärzte so faul, so inkompetent, so ineffektiv, dass die im Vergleich zu anderen Ländern geringe Belastung zur Katastrophe wird? Die Antwort auf diese Frage hoffte ich, in der Statistik zu finden. Da ich nun sowieso keine Chance sah, gleich einschlafen zu können, googelte ich nach OECD und Ärztedichte und fand neben den Daten, die ich sofort herunterlud, bemerkenswerte Artikel aus den vergangenen Jahren. Die österreichische Ärzteschaft wurde teilweise mit Spott und Hohn überschüttet, beweisen ja gerade diese Daten (Österreich hält den zweiten Platz schon seit Jahren), dass das Jammern der Ärzte zumindest auf höchstem Niveau stattfindet, wenn es nicht sogar für unangebracht gehalten wurde. Bekannte, nicht wirklich durch ihre Kompetenz herausragende und daher namentlich nicht erwähnenswerte Ärztekritiker überschütteten die Ärzteschaft und vor allem die Kammer ob deren Kassandrarufen mit Spott und Hohn. Zeit also, sich mit diesen Daten kritisch und vor allem aus einer anderen Sichtweise zu befassen. Was zeigen diese Daten: Tatsächlich liegt Österreich mit fünf Ärzten auf 1.000 Einwohner weit über dem OECD Schnitt von 3,2. Hier vergleicht man aber, wie in der Statistik oft üblich, Äpfel mit Birnen und Melonen, fließen doch auch Länder wie Indonesien (0,3), Indien (0,7) und Süd Afrika (0,8) ein. Vergleichen wir also Österreich mit seinen deutschsprachigen Nachbarländern. In der Schweiz kommen 4,0 Ärzte auf 1.000 Bewohner, in Deutschland 4,1. Beide Länder haben gerade noch eine ausgewogene Versorgung und einen sich deutlich abzeichnenden Ärztemangel, den sie nur mit ausländischen Ärzten abfangen können. So ist in Deutschland bereits jeder zehnte Arzt nicht deutscher Herkunft und Staatsbürgerschaft. Zudem weiß ich aus persönlichen Gesprächen, dass die Arbeitsqualität in der Schweiz und in Deutschland um vieles besser als in Österreich ist. Die Arbeitsbedingungen in den Spitälern werden gelobt und 10 CONSILIUM 05/16 Berichte über 150 oder 200 Patienten pro Tag in einer allgemeinmedizinischen Praxis verursachen staunendes und ungläubiges Kopfschütteln. Wo also ist der sprichwörtliche Hund begraben? Dazu muss man tiefer graben, wie es scheint. Also analysiere ich die Quellen, untadelig stellen sie sich dar, sind es immerhin die statistischen Zentren der einzelnen Länder, in Österreich die Statistik Austria, in der Schweiz das Bundesamt für Statistik und in Deutschland das statistische Bundesamt. Schaut man sich die hervorragend aufbereiteten Daten an, so fällt Folgendes auf: In allen drei Ländern ist die Quelle der Daten die jeweilige Bundesärztekammer, detailliert wird über die Einschlusskriterien berichtet. So scheinen in Deutschland und in der Schweiz nur Ärzte auf, die entweder angestellt sind oder freiberuflich eine Ordination betreiben. Lediglich in Österreich sind dezidiert auch die Wohnsitzärzte eingeschlossen. In Deutschland gibt es eine hervorragende Aufstellung, wie sich die rund 115.000 Ärzte, die nicht im Ärztestand aufscheinen, zusammensetzen. So und so viele sind Pensionisten, so und so viele Ärzte, die nicht ärztlich tätig sind wie in der Pharmaindustrie oder gänzlich berufsfremd. Auch werden karenzierte, in Elternteilzeit befindliche Ärzte, arbeitslose oder in Altersteilzeit befindliche abgezogen und bei über 13 % wird kein Grund angegeben. Immerhin werden also 24,1 % der 481.174 Ärzte als nicht ärztlich tätig ausgewiesen und finden auch nicht Eingang in die OECD Statistik! Ähnlich ist es in der Schweiz, auch dort werden nur ärztlich tätige, aktive Ärzte in der Statistik dargestellt, als Basis für die OECD. Ganz anders in Österreich: Hier werden die Wohnsitzärzte ausdrücklich als Teil der Gesamtärzteschaft erwähnt, unabhängig von ihrer ausgeübten Tätigkeit. Hier sei der Begriff Wohnsitzarzt in Erinnerung gerufen: Darunter versteht man gem. § 47 Ärztegesetz zur selbständigen Berufsausübung berechtigte Ärzte, die ausschließlich solche wiederkehrende ärztliche Tätigkeiten auszuüben beabsichtigen, die weder eine Ordinationsstätte erfordern, noch in einem Anstellungsverhältnis ausgeübt werden. Dies beinhaltet unter anderem Gutachtertätigkeit, Vertretungstätigkeit, aber auch viele Pensionäre sind als Wohnsitzärzte eingetragen, in NÖ beziehen fast drei Viertel (73,1 %) der 525 Wohnsitzärzte eine Kammerpension. Die Wohnsitzärzte, die nur in Österreich in der Statistik auftauchen, stellen also einen meiner Meinung nach nicht zu vernachlässigenden Anteil dar, immerhin knapp 7 %. Sofort stellte sich mir die Frage, ob das alles sei. Wie sieht es mit „Doppelärzten“ aus, also Ärzten, die ihren Berufssitz in mehreren Bundesländern haben? Laut ÖÄK (telefonische Anfrage am 4.4.2016) wer- 2013 Per 1 000 population 2000 ÄRZTEANALYSE 6,3 7 5.1. Practising doctors per 1 000 population, 2000 and 2013 (or nearest year) 0,3 0,7 1,7 1,8 1,8 1,9 1,8 2,2 0,8 1 2,2 2,3 2 2,2 2,6 2,6 2,7 2,6 2,8 2,8 3,0 2,8 3,2 3,0 3,3 3 3,2 3,3 3,3 3,4 3,3 3,4 3,6 3,4 3,6 3,8 3,7 4,0 4,1 4,3 4,0 3,9 4 4,3 4,9 4,3 5 5,0 6 0 1. Data include not only doctors providing direct care to patients, but also those working in the health sector as managers, educators, researchers, etc. (adding another 5-10 % of doctors). 2. Data refer to all doctors licensed to practice (resulting in a large over-estimation of the number of practising doctors in Portugal, of around 30 %). Source: OECD Health Statistics 2015, http://dx.doi.org/10.1787/health-data-en. den diese nicht herausgerechnet, sie scheinen in der Statistik als ZWEI oder mehrere Ärzte auf. Laut ÖÄK sei dies kein Problem, da es sich nur um einen verschwindend geringen Teil handelt. Ist dies wirklich so? In NÖ gibt es 1.141 Ärzte (Stand 6.4.2016) von insgesamt 7.525, die auch in einem anderen Bundesland gemeldet sind, also mehr als 15 %. Einen zu vernachlässigenden Anteil stelle ich mir persönlich um zumindest eine Zehnerpotenz kleiner vor. Betrachten wir nun die Situation in Niederösterreich. Ich muss mich auf mein Bundesland beschränken, da ich nur von hier valide Zahlen bekommen habe, die über die veröffentlichten hinausgehen. Es gibt inclusive der außerordentlichen Kammermitglieder (= Pensionsbezieher, die aus der Ärzteliste ausgeschieden sind) 8.639 Mitglieder. Rechnet man alle Pensionisten weg und die Hälfte der doppelt gemeldeten (dazu zwingt mich die Mathematik), dann komme ich auf exakt 6.571 aktive Ärzte (7.525 minus 384 minus 570) zum Stand vom 8.4.2016. Das wären 76,1 % oder anders gesagt, 23,9 % aller Ärzte sind nicht aktiv. Dies entspricht beinahe exakt dem statistischen Ergebnis aus Deutschland, das 24,1 % nicht aktive Ärzte ausweist. Hier bewahrheitet sich wieder die Binsenweisheit, dass man, findet man in Österreich keine Zahlen, einfach die deutschen Zahlen nehmen kann. Für Niederösterreich und eben mit validen Zahlen gerechnet, bedeutet dies einen Korrekturfaktor von rund 0,87, das heißt nichts anderes, als dass nur 87 % der in der Statistik angegebenen Ärzte gezählt werden dürfen, um eine Vergleichbarkeit mit der Schweiz und Deutschland zu schaffen. Die Ärztedichte in NÖ sinkt so von 4,55 Ärzten pro tausend Einwohner auf 3,97. Wendet man den Faktor auf ganz Österreich an, was mir extrem defensiv erscheint (so wurden zum Beispiel nicht einmal die karenzierten und Teilzeitärzte berücksichtigt), so kommen wir auf etwa 4,3 Ärzte pro tausend Einwohner, die im Vergleich zu den Nachbarländern noch extrem ungleich verteilt sind. Was sagt eigentlich die ÖÄK dazu? Grundsätzlich wurden meine Vermutungen bestätigt. Ich erhielt auch eine detaillierte Statistik und eine hervorragende Analyse der OECD Studie. Dafür möchte ich mich beim „Chefstatisti- ker der ÖÄK“, Herrn Magister Anton Sinabell herzlichst bedanken. Vergleicht man nun Österreich mit Deutschland, muss man berücksichtigen, dass die gesetzlichen Regelungen bezüglich Kammermitgliedschaften und die darauf aufbauenden statistischen Zahlenwerke zwischen Österreich und Deutschland sehr verschieden sind. Dies macht eigentlich einen Vergleich sehr schwer. Wenn man allerdings, wie ich es in mit den Zahlen aus NÖ gemacht habe, auch in gesamt Österreich die Wohnsitzärzte herausrechnet und die Mehrkammermitgliedschaften (1.322 in ganz Ö, davon allein 1.141 in NÖ) berücksichtigt, kommt man auf eine Ärztedichte von 4,6 pro tausend Einwohner, also nicht mehr ganz so weit von Deutschland und der Schweiz entfernt. Wenn man noch den allerdings hypothetischen (und meiner Meinung nach wahrscheinlichen) Schluss zulässt, dass die Ärzte, die im Bereich der Verwaltung, als angestellte Schulärzte und Arbeitsmediziner, als Beschäftigte in Pflegeheimen in Deutschland im unberücksichtigten Bereich lokalisiert sind, während sie in Österreich als angestellte Ärzte gelten, kommt man in Deutschland auf eine Ärztedichte von 4,42 je 1.000 Einwohner. Auch sollte man nicht vergessen, dass karenzierte Ärzte, sei es wegen Altersteilzeit, Fortbildung gegen Entfall der Bezüge und vieles mehr in Deutschland ebenfalls nicht in der Statistik aufscheinen. Es dürfte also annähernd Gleichstand in unseren benachbarten Ländern herrschen. Der Gedanke, dass die OECD Statistik seit vielen Jahren Grundlage für jede politische Gesundheitsplanung - von der Anzahl der Studien und Ausbildungsplätze bis zur Finanzierung des Systems - bilden, verursacht mir Angst. Nicht mehr die überdrehte Müdigkeit hindert mich am Einschlafen, sondern die Sorge um unser aller Zukunft. Tröstend ist alleine die Tatsache, dass Österreichs Ärzte weder faul, noch inkompetent, noch ineffektiv sind und dass sie den Vergleich mit der Ärzteschaft in den Nachbarländern nicht scheuen brauchen. DR. MAX WUDY Kurienobmann-Stellvertreter der niedergelassenen Ärzte CONSILIUM 05/16 11 KASSENSTELLEN 15 von 19 Kassenarztstellen in NÖ weiterhin ohne Bewerber Präsident Reisner: Bewerbungsfrist endet am 3. Mai – alle offenen Stellen sind auf www.arztnoe.at ausgeschrieben Der Trend, auf den die Ärztekammer für Niederösterreich bereits seit Jahren hinweist, setzt sich nicht nur weiter fort, der Umstand, dass Kassenarztstellen nicht besetzt werden können, entwickelt sich zunehmend zu einem ernsthaften Problem. Dr. Christoph Reisner, MSc, Präsident der NÖ Ärztekammer, zeigt sich darüber besorgt: „Für die derzeit ausgeschriebenen 19 Kassenplanstellen gibt es nur für vier Stellen Bewerberinnen oder Bewerber. Doch noch ist es nicht zu spät, die Bewerbungsfrist läuft noch bis 3. Mai. Dringend auf der Suche nach Ärztinnen und Ärzten sind Gemeinden in allen Regionen Niederösterreichs, besonders schwierig allerdings ist die Situation für den Bezirk Krems. Hier fehlen gleich drei Allgemeinmediziner, gefolgt von den Bezirken Neunkirchen, Bruck an der Leitha, Gänserndorf und Zwettl mit jeweils zwei ausgeschriebenen Kassenstellen.“ Sprachbarrieren beim Arztbesuch In der ORF-Fernsehsendung „heute konkret" vom Montag, 25.4.2016, wurde das Videodolmetschersystem der Firma SAVD Videodolmetschen GmbH vorgestellt. Das Konzept wurde von der österreichischen Plattform Patientensicherheit in Kooperation mit dem Institut für Ethik und Recht in der Medizin entwickelt und die Umsetzung durch besagte Firma liegt nun vor. Offenbar kostet die Inanspruchnahme dieses Service derzeit 30,- Euro excl. MwSt für 15 Minuten Übersetzungstätigkeit. Bei anderen Anbietern dürften 30,- Euro für 10 Minuten Übersetzungstätigkeit in Rechnung gestellt werden. Demgegenüber steht bei der NÖGKK das Honorar für die Ordination bei 8,02 Euro. Das BM für Gesundheit habe die Notwendigkeit der Überbrückung von Sprachbarrieren erkannt und Hon. Prof. Dr. Gerhard Aigner (SC Recht und gesundheitlicher Verbraucherschutz) erklärt, dass dieses Tool Ärzte schütze. Ebenso zu Wort kommt Herr Mag. Bernhard Wurzer (GD.-Stv. HV/SV), der erläutert, dass die Überbrückung von Sprachbarrieren eine Angelegenheit des Arztes sei, um die sich der Arzt kümmern müsse. Es wäre eine Frage der Haftung und man könne vom Arzt verlangen, dass er den Videodolmetscher bezahlt. Diese Darstellung kann die Ärztekammer für Niederösterreich nicht unkommentiert stehen lassen. Aus unserer Sicht ist diese Sichtweise verkürzt, ein Umstand den wir der knapp bemessenen Zeit in Fernsehsendungen zuschreiben. Es stimmt, dass der Arzt, der eine Behandlung oder Beratung eines sprachunkundigen Patienten übernimmt, für die ordnungsgemäße Behandlung oder Beratung, bei der auch die ärztliche Aufklärung ein wesentlicher Bestandteil ist, haftet. Es kann aber niemand verlangen, dass der Arzt, abgesehen von Notfallsituationen, eine Behandlung oder Beratung übernimmt, wenn er Sprachbarrieren erkennt. Selbstverständlich wird der Arzt alles Zumutbare unternehmen, um Sprachbarrieren hintanzuhalten, im Beitrag ist er- 12 CONSILIUM 05/16 Foto: and4me/Fotolia Eine Konkretisierung der NÖ Ärztekammer zum Thema Videodolmetschersystem wähnt, dass der Arzt ja auch die lateinischen, medizinischen Fachbezeichnungen einem deutschsprachigen Patienten in einer für den Patienten verständlichen Form übersetzten muss, doch das kostenlose Bereitstellen von Videodolmetschersystemen gehört unserer Ansicht nach nicht zum zumutbaren Verhalten. Hier verweisen wir auch auf die nächste rechtliche Problemzone, dass es haftungsrechtlich bei Fehlbehandlungen durch Sprachbarrieren schon einen Unterschied machen kann, welcher Seite die Sprachvermittlung zurechenbar ist (siehe Artikel im Consilium 01+02/2016). Bei einer fehlerhaften Übersetzung kann nämlich die vom Patienten erteilte Einwilligung in die ärztliche Behandlung unwirksam sein. Der Ansicht der NÖ Ärztekammer nach ist der Patient in der Verantwortung, für eine geeignete Sprachmittlung zu sorgen. Auch gegenüber der Person des Dolmetschers muss der Patient Vertrauen haben und z.B. den Arzt gegenüber dem Dolmetscher von der Verschwiegenheit entbinden. Freilich kann das auch schlüssig erfolgen, indem z.B. der Patient gleich mit einem Dolmetscher kommt. Um noch einmal auf asylsuchende Patienten zu kommen, denen man selbstverständlich keinen Vorwurf der unzureichenden Sprachkenntnis machen kann, sehen wir die Betreuungsstelle bzw. deren Träger in der Pflicht, für eine geeignete Sprachmittlung zu sorgen. Wenn hier zu wenig Mittel bereitgestellt werden, und hier meinen wir auch die staatlichen Stellen, die sich der Betreuungsorganisationen bedienen, kann auch nicht vom Arzt verlangt werden, dieses Defizit aus eigener Tasche auf eigene Verantwortung zu tragen. KASSENSTELLEN Nachfolger für 13 allgemeinmedizinische Ordinationen und sechs Facharztstellen gesucht Von den derzeit 13 in Niederösterreich ausgeschriebenen Kassenarztstellen für Allgemeinmedizin befinden sich fünf im Waldviertel, alleine drei davon im Bezirk Krems. „Krems ist auch der Bezirk, wo wir schon am längsten eine Hausarztstelle ausschreiben, leider bisher ohne Erfolg. Die Ordination in Krems-Rehberg befindet sich bereits zum achten Mal unter den offenen Stellen. Die restlichen ausgeschriebenen Kassenordinationen für Allgemeinmedizin verteilen sich gleichmäßig über ganz Niederösterreich“, so Reisner. Bei den Facharztstellen sieht die Situation ähnlich besorgniserregend aus. Von den sechs offenen Facharztstellen stechen die Stellen für Psychiatrie besonders hervor. „In Lilienfeld suchen wir bereits zum zehnten Mal nach einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin, in Gänserndorf zum achten Mal. Und auch die Kinder- und Jugendheilkunde bereitet uns Sorgen. Die Kassenstellen in den Gemeinden Groß-Enzersdorf und Hainburg an der Donau schreiben wir jeweils zum sechsten Mal aus. Während dieser Zeit hat es keinen einzigen interessierten Arzt gegeben. Jetzt ist noch eine weitere Kinderarztstelle in Purkersdorf hinzugekommen, für die wir erstmals einen Nachfolger suchen“, berichtet MR Dr. Dietmar Baumgartner, Vizepräsident und Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte in der NÖ Ärztekammer. Auch die offene Augenarztstelle in Zwettl, bei der zuletzt zwei Bewerber kurzfristig abgesprungen sind, musste wieder ausgeschrieben werden. Welcher Arzt einen Kassenvertrag bekommt, entscheidet eine Hearing-Kommission, die von der Ärztekammer für NÖ und der NÖ Gebietskrankenkasse paritätisch besetzt ist. Sitzungen dieser Kommission finden einmal pro Quartal statt. Baumgartner: „Der nächste Termin ist mit 14. Juni angesetzt, bis dahin heißt es für viele Gemeinden und ihre Einwohner warten oder auf einen benachbarten Arzt ausweichen.“ Ärztliche Tätigkeit muss im Vordergrund stehen und angemessen honoriert werden Die Gründe für die mangelnde Attraktivität von Kassenstellen ortet der Ärztekammerpräsident in den Rahmenbedingungen, die das öffentliche Gesundheitssystem bietet: „Wir haben nicht zu wenig Ärztinnen und Ärzte, aber immer weniger haben Interesse, im öffentlichen Gesundheitssystem, also mit einem Kassenvertrag, zu arbeiten. Das bedeutet für uns, dass die Arbeit als niedergelassener Kassenarzt wieder attraktiver werden muss“, so Reisner. Dafür fordert der Ärztekammerpräsident die Abschaffung der „limitierten Leistungen“, also jener Leistungen, die ein Arzt – unabhängig von der Notwendigkeit der Behandlung oder Diagnostik – nur in einer beschränkten Anzahl abrechnen kann. „Dies verleitet den Arzt dazu, nachrechnen zu müssen, ob seine Leistung noch bezahlt wird oder er bereits gratis arbeitet. Ein weiterer Schritt zum Bürokratieabbau wäre die Abschaffung der Chefarztpflicht für Medikamente oder Therapien. „Darüber hinaus brauchen wir unkomplizierte Kooperationsformen in der Kassenordination abseits der Gruppenpraxis, damit Ärzte flexibel auf Spitzenzeiten reagieren können und dennoch genügend Zeit für ihre Patienten haben. Außerdem muss das ärztliche Gespräch als wesentlicher Behandlungsbestandteil adäquat honoriert werden“, so Reisner, „Neuerungen wie Mystery Shopping tragen mit Sicherheit nicht dazu bei, den Beruf des Kassenarztes attraktiver zu machen.“ Von den Politikern des Landes fordert Reisner, sich endlich mit einer vernünftigen Gesundheitsreform für die Hausärztinnen und Hausärzte als „Best Point of Service“ einzusetzen. In einer letzte Woche präsentierten Umfrage gaben deutlich mehr als drei Viertel der Befragten (79 Prozent) an, dass sich der klassische Hausarzt in Österreich gut bewährt hat und unbedingt erhalten bleiben sollte. „Gelingt es, eine Reform durchzuführen, die die ärztliche Tätigkeit wieder in den Mittelpunkt stellt und die Bürokratie eindämmt, wird es auch gelingen, Ärztinnen und Ärzte für die Ausübung dieses Berufs zu begeistern“, ist Reisner überzeugt. Niederlassungsseminar der Ärztekammer für interessierte Ärztinnen und Ärzte Am 21. und 22. Mai findet das nächste Niederlassungsseminar der NÖ Ärztekammer statt. Ärztinnen und Ärzte, die den Weg aus dem Krankenhaus in eine Ordination überlegen, erhalten dort wertvolle Tipps und Erfahrungswerte von langjährigen Kassenmedizinern. So wird der Weg zum Kassenvertrag samt Vertretungsmöglichkeit und Gruppenpraxis vorgestellt und die Honorarabrechnung mit der Kasse erläutert. „Nachdem steuerliche Aspekte der Niederlassung sowie das rechtliche Umfeld für viele Ärztinnen und Ärzte Neuland sind, haben wir auch diese Aspekte in das Seminar aufgenommen“, so Reisner abschließend. Bis 13. Mai ist eine Anmeldung zum Niederlassungsseminar noch möglich. Presseinformation vom 21. April 2016 CONSILIUM 05/16 13 Foto: Raimo Rumpler KOLLEKTIVVERTRAG Dr. Max Wudy Kollektivvertrag der Arztangestellten Entwicklung der Mindestgehälter S eit Februar 2016 finden Verhandlungen über den Kollektivvertrag der Angestellten von Ärztinnen und Ärzten in NÖ mit der Gewerkschaft der Privatangestellten statt. Von Beginn an war die Forderung der Gewerkschaft ein Mindestgehalt von 1.500 Euro für OrdinationsassistentInnen sowie eine „moderate“ Ist-Lohnerhöhung, wobei die Erhöhung der Mindestgehälter über einen Zeitraum von zwei Jahren erfolgen könne. Dies würde eine Erhöhung um etwa 11 Prozent bedeuten. Auch wenn die Gewerkschaft der Privatangestellten stets auf die neuen Kollektivvertragsabschlüsse in den Bundesländern Wien und Burgenland hinweist, die mittlerweile ein Mindestgehalt von 1.500 Euro vorsehen, bleiben die unterschiedlichen Strukturen und Einkommenssituationen der Bundesländer bei den Gehaltsverhandlungen zu berücksichtigen. Auch in den vergangenen Jahren wurden wir mit Forderungen nach Gehaltserhöhungen in einem beträchtlichen Ausmaß konfrontiert. Ein Vergleich der letzten Kollektivverträge zeigt die Entwicklung der Mindestgehälter der Berufsgruppe 1 (OrdinationsassistentIn OHNE Ausbildung) im 1. Berufsjahr: Um die Situation besser verstehen zu können, sei hier ein kurzer geschichtlicher Rückblick erlaubt. Die ersten Kollektivvertragsverhandlungen der validen Kammerperiode verliefen durchaus harmonisch und waren von gegenseitiger Wertschätzung geprägt. Die Mindestlöhne wurden damals moderat über der Inflationsrate angehoben, die Istlöhne etwas darunter. Gleichzeitig starteten wir gemeinsam mit der Gewerkschaft und der Arbeiterkammer eine Imagekampagne für den gesamten medizinischen Berufsstand. Jahr Grundgehalt InfektionszulageSumme 2007 € 865,- € 93,- € 958,2008 € 1.000,- € 98,- € 1.098,2009 € 1.000,- € 98,- € 1.098,2010 € 1.009,- € 98,- € 1.107,2011 € 1.009,- € 98,- € 1.107,2012 € 1.009,- € 98,- € 1.107,2013 € 1.091,- € 98,- € 1.189,2014 € 1.135,- € 103,- € 1.238,2015 € 1.190,- € 110,- € 1.300,Seit dem Jahr 2007 wurden die Mindestgehälter in der Berufsgruppe 1 im 1. Berufsjahr um 342 Euro, und damit um 35,7 Prozent, angehoben. Im Vergleich dazu bleibt die Erhöhung des Verbraucherpreisindex laut Statistik Austria von 2006 bis 2015 mit 19,4 Prozent deutlich unter den Gehaltserhöhungen. Ähnliche Entwicklungen gab es über alle Gruppen und Jahre. Nach Beratung in der Kurienversammlung der niedergelassenen Ärzte haben wir der Gewerkschaft unsere Gegenforderungen als Verhandlungsgrundlage übermittelt, die, angepasst an die immer höher werdenden Anforderungen an eine Arztordination, Flexibilisierungen bei der Arbeitszeitgestaltung und bei Teilzeit umfassen. 14 CONSILIUM 05/16 Mein Kommentar zu den Verhandlungen Leider hielt die Harmonie nicht lange an. Bereits 2014 wurde die Forderung nach 1.300 Euro Mindestlohn als Conditio sine qua non gestellt. Zur Erinnerung: Dieser Mindestlohn sollte für Berufseinsteiger ohne spezifische Ausbildung bereits im ersten Jahr gelten. Es war klar, dass diese Forderung ohne Gegenleistungen nicht zum Tragen kommen konnte. Daher wurden von uns moderate Gegenleistungen bezüglich Flexibilisierung KOLLEKTIVVERTRAG der starren Arbeitszeit und die Beseitigung einiger antiquierter Bestimmungen gefordert. Mitten in den Tarifverhandlungen mit noch gänzlich offenem Ergebnis rief die Gewerkschaft zu einer Protestkundgebung gegen die böse Ärztekammer auf. Vielleicht 30 Aktivisten der Gewerkschaft (siehe Foto), fast alle männlich, repräsentierten also den Frust eines Berufsstandes, der fast zu 100 Prozent weiblich besetzt ist. Diese Machtdemonstration ging für die GPA ziemlich schmählich aus, trotz allem fanden wir wieder eine Gesprächsbasis und handelten einen Vertrag aus, mit dem beide Seiten leben konnten. Gleichzeitig terminisierten wir die neuen Verhandlungen mit Herbst 2015. Der auf Büroebene vereinbarte Termin am 4.11.2015 wurde von der GPA ohne Angabe von Gründen abgesagt, gleichzeitig wurde die Forderung gestellt, nunmehr über 1.500 Euro Mindestgehalt verhandeln zu wollen. Die Absage war anscheinend bereits Teil einer neuen Machtdemonstration, die allerdings genauso kläglich ankam, wie die „verunglückte“ Demo. Im Spätwinter kam es dann zur ersten Verhandlung, die eher einen Abtausch von Forderungen darstellte, nicht ohne dass wir die 1.500 Euro unveränderbar als Mindestlohn präsentiert bekamen. Der Hinweis auf Lohnerhöhungen weit über der Inflationsrate wurde mit den Ergebnissen aus Wien und dem Burgenland abgeschmettert, wo dieser bereits verhandelt sei. Und ein Bericht über den Gewerkschaftstag durfte ebenfalls nicht fehlen, wo 1.700 Euro als Untergrenze proklamiert und beschlossen wurde. Nachhaltiger kann man die Stimmung in einer Verhandlung eigentlich nicht vergiften. Trotzdem vereinbarten wir Gespräche, zuerst auf Büroebene, um die Gegenseitigen Forderungen zu präzisieren und zu bewerten, und schließlich eine neue Verhandlung auf Funktionärsebene. Herr Diplomé Grundei präsentierte eine neue Tabelle, die – erraten – mit 1.500 Grundgehalt startete. Gleichzeitig wurden, und das ist für mich der eigentliche Skandal, gar nicht so versteckte Drohungen ausgestoßen. Ob wir denn nicht wüssten, dass die Lohnprüfungen durch die Gebietskrankenkasse erfolgen und dass diese steuerbar wäre. Hier musste ich mich wirklich zusammennehmen um nicht aufzustehen. Ich erklärte, dass das Ergebnis nie den Weg durch das zuständige Gremium finden würde, sagte jedoch zu, diese Forderung (nicht Verhandlungsergebnis) der Kurienversammlung zu präsentieren. Diese lehnte erwartungsgemäß am 20.4.2016 ab. Eindruck erweckt, dass dieser „faire“ Mindestlohn bereits so gut wie fix sei. Sensibilität schaut für mich anders aus, man sollte meinen, die gewerkschaftlichen Kraftakte, die in der Vergangenheit durchaus Berechtigung hatten, sind einer partnerschaftlichen Vernunft gewichen. Was bedeutet dies nun? Vorerst gar nichts, ein weiterer Verhandlungstermin wurde bereits ausgemacht. Ob es dort zum shoot down kommt, wird vor allem von der Flexibilität der PPA abhängen. Daher ist mein Optimismus für ein rasches Ergebnis enden wollend. Zudem ich der Meinung bin, dass es Herrn Grundei weniger um das wirtschaftliche Interesse der von ihm vertretenen Beschäftigten geht, als um seinen persönlichen Triumph, nämlich die Ärztekammer in die Knie gezwungen zu haben. Dabei hätte die Annahme des Angebotes durchaus einigen Reiz. Laut Berechnungen einer großen Steuerberatungskanzlei beziehen lediglich 20 Prozent der bei Ärzten Beschäftigten Mindestlohn. Wenn man also die 80 Prozent der Istlohnbezieher, wie es in Wien geschah, nicht erhöht, wäre der Benefit für die Ärzteschaft gar nicht einmal so klein. Was spricht also dagegen? Unsere Angestellten leisten Tag für Tag oft schon seit Jahren hervorragende Arbeit, die sich auch in der Bezahlung oft weit über dem Mindestgehalt auswirkt. Gerade diese Leistungsträger müssen vor kurzsichtigen, das Klima vergiftenden Aktionen Einzelner geschützt werden. DR. MAX WUDY Kurienobmann-Stellvertreter der niedergelassenen Ärzte Für zusätzlichen schalen Geschmack sorgen die Schlagzeilen der Zeitung „AM PULS“, der Zeitschrift für Gesundheits- und Sozialbetreuungsberufe der Arbeiterkammer NÖ. In dieser wird der CONSILIUM 05/16 15 für Spitalsärztinnen und -ärzte der NÖ Landeskliniken-Holding Fortbildungskostenersatz bei Beendigung des Dienstverhältnisses Der Oberste Gerichtshof traf kürzlich in seiner Entscheidung OGH 9 ObA 131/15b eine Klarstellung zum Ersatz von Aus- und Weiterbildungskosten bei Beendigung des Dienstverhältnisses. Klagende Partei war das Land Niederösterreich, beklagte Partei war ein ausgeschiedener Oberarzt, der der Forderung nach dem Ersatz von Fortbildungskosten nicht nachkommen wollte. Sowohl § 48a NÖ Spitalsärztegesetz als auch § 94 NÖ Landesbedienstetengesetz sehen grundsätzlich einen möglichen Ersatz von „Aus- und Weiterbildungskosten“ vor, sofern bestimmte Voraussetzungen vorliegen. Gerichtlich geklärt wurde nun, welche Kosten konkret von einer Rückzahlungsverpflichtung erfasst sein können. Der OGH sprach nun aus, dass vom Land Niederösterreich als Dienstgeber übernommene Fortbildungskosten im Gegensatz zu Aus- und Weiterbildungskosten nicht von der Rückzahlungsverpflichtung eines ausgeschiedenen Dienstnehmers erfasst sein können. Ganz grundsätzlich sei zwischen Ausbildung, Weiterbildung und Fortbildung zu unterscheiden. Eine Ausbildung solle die Grundbefähigung eines Arztes vermitteln, eine Weiterbildung diene der Erweiterung der bereits in der Ausbildung erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten, eine Fortbildung erhalte die Fähigkeit zur Berufsausübung, solle also zum Zweck einer Aktualisierung der im Zuge der Ausbildung oder Weiterbildung erworbenen Fähigkeiten und Kenntnisse dienen. Die landesgesetzlichen Bestimmungen zur Rückforderung von übernommenen Kosten bei Beendigung des Dienstverhältnisses sprechen immer nur von Aus- und Weiterbildungskostenersatz, nie von Fortbildungskostenersatz. Das Land Niederösterreich vertrat bisher zu Unrecht die Ansicht, dass Fortbildungskosten ebenfalls von einer Rückzahlungsverpflichtung erfasst wären. Der OGH entschied, dass dies eben genau nicht der Fall sei. Der niederösterreichische Landesgesetzgeber kenne neben den Begriffen der Aus- und Weiterbildung sehr wohl den Begriff der Fortbildung und unterscheide danach. § 37 NÖ SÄG ermöglicht etwa den Sonderurlaub für Ausbildungen iSd ÄAO sowie für Fortbildungen oder den Erwerb einer Zusatzausbildung. Verwiesen wurde in der Entscheidung u.a. ausdrücklich auf § 19b NÖ KAG, der festlegt, dass der Rechtsträger der Krankenanstalt für die ständige Fortbildung der in der Krankenanstalt beschäftigten Ärzte Vorsorge zu treffen hat oder, soweit keine Beeinträchtigung des ordnungsgemäßen Betriebes zu befürchten ist, die Inanspruchnahme solcher Fortbildungen zu ermöglichen hat. § 48a NÖ SÄG iVm § 94 NÖ LBG sehen nur den Ersatz von Aus- und Weiterbildungskosten vor. Daher dürfen auch nur diese bei Beendigung des Dienstverhältnisses zurückgefordert werden. Derzeit wird an einer Kategorisierung bzw. konkreten Zuordnung gearbeitet. Sobald dieser Vorgang abgeschlossen ist, werden wir über das Ergebnis informieren, damit Betroffene die weitere Vorgehensweise dementsprechend gestalten können. ARZTSUCHE IN ÖSTERREICH leicht gemacht! Wollen Sie wissen, wo die nächste geöffnete Arztpraxis ist? Und wie Sie am schnellsten dorthin kommen? Dann holen Sie sich kostenlos die verbesserte App „Arztsuche Österreich“! Gratis Download mittels QR-Code iPhoneAndroid oder unter www.arztnoe.at 16 CONSILIUM 05/16 Foto: Marco2811 - Fotolia FAQ Foto: Tschank GEHALTSVERHANDLUNGEN Gehaltsverhandlungen kurz vor dem Abschluss VP OA Dr. Ronald Gallob W Gerne hätten wir schon in dieser Ausgabe des Consilium konkrete Daten und Fakten zum Ausgang der Gehaltsverhandlungen präsentiert, gibt es doch in vielen Punkten bereits Übereinstimmung. Bedauerlicherweise fehlt aber der letzte Konsens, sodass wir die Kollegenschaft noch etwas vertrösten müssen. Wir wollen Sie dennoch zumindest über die aktuelle Entwicklung auf dem Laufenden halten und berichten, was bisher geschah. Intensive Vorarbeiten zeitigen erste Erfolge Die Zeit von Oktober bis Jänner wurde vor allem zur Datenaufarbeitung genutzt. Die Mitarbeiterinnen der Ärztekammer haben dafür in aufwändigen Berechnungen Gehaltsvergleiche zwischen den Bundesländern angestellt. Zur Schaffung einer für die Gehaltsverhandlungen notwendigen gemeinsamen Berechnungsbasis wurde eine Arbeitsgruppe mit der Abteilung für Personalangelegenheiten B eingerichtet, in der die Gehaltsvergleichszahlen ermittelt und Kostenberechnungen für die Gehaltserhöhung angestellt wurden. In einer verständlicherweise mühsamen Verhandlungsarbeit konnten zwischenzeitlich die Zahlen und Berechnungen mit dem Land weitgehend abgeklärt und vereinheitlicht werden. Auf dieser Basis fanden nun zahlreiche Gesprächstermine statt, insgesamt gab es sieben große Verhandlungsrunden. Auch in unzähligen Telefonaten und zusätzlich einberufenen Kleingruppen hat man sich in den vergangenen Monaten mit dem zukünftigen Gehaltsschema auseinandergesetzt und die Zeit bisher sinnvoll und zielgerichtet genutzt. Niederösterreich hat die Latte hoch gelegt Selbstverständlich wird es neben den Ärztinnen und Ärzten in Ausbildung auch für die Kolleginnen und Kollegen der Allgemeinmedizin und für Fachärztinnen und -ärzte Verbesserungen geben. Hierzu werden noch Details verhandelt, bevor es zur poli- Foto: bilderbox.com ie allgemein bekannt, hat im Oktober 2015 der zweite Teil der Gehaltsverhandlungen zu einem angemessenen Gehaltssystem begonnen. Ziel war und ist es, das Lohnniveau in Niederösterreich an das in Österreich oder sogar in Europa anzupassen, um so die Gehaltssystematik für die NÖ Spitalsärztinnen und -ärzte auf ein konkurrenzfähiges Niveau zu entwickeln. tischen Abstimmung kommt, weshalb wir noch keine Einzelheiten präsentieren können. Was wir allerdings schon weitergeben wollen, ist, dass wir als Orientierung für die Verhandlungen der Fachärzte das sehr gute burgenländische Gehaltsschema herangezogen haben. Verhandlungen für die Primarärzteschaft folgen nach Abschluss der laufenden Verhandlungen, da wir die Gespräche auf der demnächst beschlossenen Gehaltsarchitektur aufbauen werden. Jedenfalls hat Niederösterreich die Latte sehr hoch gelegt. Wir stehen knapp vor der Ziellinie. Unerwünschte Begleiterscheinungen wurden bereits herausverhandelt und ich bin optimistisch, dass wir schon demnächst mit einem positiven Abschluss an die Kollegenschaft herantreten können. Es ist mir durchaus bewusst, dass es eine 100 prozentige Zufriedenheit nie geben wird, doch sollten wir im Bundesländerranking wieder ganz vorne mit dabei sein. Wir brauchen ein Gehaltsschema, das zukunftsfit weiterentwickelt wurde, denn Niederösterreich braucht gut bezahlte Arbeit am kranken Menschen. Dies gilt übrigens für alle Berufsgruppen, die mit kranken Menschen arbeiten. Der politische Stil des Miteinanders, bei dem Auseinandersetzungen am grünen Tisch ausgetragen werden mit dem Ziel, weitreichend und gesamtverantwortlich zu denken, ist dabei unser Erfolgsrezept. VP OA DR. RONALD GALLOB Kurienobmann der angestellten Ärzte CONSILIUM 05/16 17 RECHT EINFACH JuristInnen der Ärztekammer beantworten Ihre Fragen Delegation ärztlicher Tätigkeiten an Nichtärzte Immer häufiger ist die niedergelassene Ärztin bzw. der niedergelassene Arzt mit Patientinnen und Patienten konfrontiert, die einer ständigen bzw. länger andauernden Betreuung und Pflege bedürfen. Häufig stellt sich dabei die Frage, ob und gegebenenfalls welche ärztlichen Verrichtungen an Personen, in deren Obhut die Patientin bzw. der Patient ist, delegiert werden dürfen. Im Folgenden wollen wir zwei Bereiche, nämlich die Delegation ärztlicher Tätigkeit an Angehörige des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege und die Delegation ärztlicher Tätigkeit an 24-Stunden-Betreuungskräfte in Privathaushalten, beleuchten. Delegation ärztlicher Tätigkeiten an diplomiertes Pflegepersonal Der so genannte mitverantwortliche Tätigkeitsbereich umfasst ärztliche Tätigkeiten (die Durchführung diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen), die an diplomiertes Pflegepersonal durch schriftliche Anordnung delegiert werden dürfen. Das Gesetz (§ 15 Abs. 5 Gesundheits- und Krankenpflegegesetz (GuKG)) sieht eine beispielshafte Aufzählung dieser Tätigkeiten vor: •die Verabreichung von Arzneimitteln, •die Vorbereitung und Verabreichung von subkutanen, intramuskulären und intravenösen Injektionen, •die Vorbereitung und der Anschluss von Infusionen bei liegendem Gefäßzugang, ausgenommen Transfusionen, •die Blutentnahme aus der Vene und aus den Kapillaren, •das Setzen von transurethralen Blasenkathetern zur Harnableitung, Instillation und Spülung, •die Durchführung von Darmeinläufen, •das Legen von Magensonden und •die Anleitung und Unterweisung von Patienten sowie Personen, denen gemäß § 50a (Laien) oder § 50b (24-StundenBetreuungskräfte) Ärztegesetz einzelne ärztliche Tätigkeiten übertragen wurden, nach Maßgabe der ärztlichen Anordnung. Auch Tätigkeiten mit vergleichbarem Schwierigkeitsgrad und vergleichbaren Anforderungen an die erforderliche Sorgfalt dürfen delegiert werden, sofern sie vom Berufsbild erfasst sind und die entsprechenden Kenntnisse und Fertigkeiten in der Ausbildung vermittelt wurden. Der anordnende Arzt trägt die Verantwortung für die Anordnung (Anordnungsverantwortung), der Angehörige des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege trägt die 18 CONSILIUM 05/16 Verantwortung für die Durchführung der angeordneten Tätigkeit (Durchführungsverantwortung). Jede ärztliche Anordnung hat vor Durchführung schriftlich zu erfolgen. Nur in medizinisch begründeten Ausnahmefällen und nur bei sichergestellter Eindeutigkeit und Zweifelsfreiheit darf die ärztliche Anordnung mündlich erfolgen, wobei die schriftliche Dokumentation innerhalb von 24 Stunden erfolgen muss. Die erfolgte Durchführung ist durch den Angehörigen des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege durch deren Unterschrift zu bestätigen. Bei der Verordnung von Arzneimitteln sind Menge, Dosis, Verabreichungsform und Zeitpunkt der Verabreichung von der anordnungsberechtigten Ärztin bzw. vom anordnungsberechtigten Arzt schriftlich in der Patientendokumentation festzuhalten. Eine Bedarfsmedikation ist nicht gestattet, da dabei anhand einer eigenen Diagnoseentscheidung festzulegen wäre, ob der Patient das Medikament bekommt oder nicht, gegebenenfalls in welcher Dosierung. Die Diagnose, die zu einer Änderung der Dosierung des verordneten Arzneimittels führt, ist eine rein ärztliche Tätigkeit und fällt nicht in den mitverantwortlichen Tätigkeitsbereich des diplomierten Pflegepersonals. Das Verabreichen von Arzneimitteln ist eine ärztliche Tätigkeit, die im Rahmen des mitverantwortlichen Tätigkeitsbereiches an das diplomierte Pflegepersonal delegiert werden kann. Die Verwendung pflegender Substanzen, beispielswiese zur Verhinderung des Wundliegens, fällt jedoch in den eigenverantwortlichen Tätigkeitsbereich des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege. Abschließend möchten wir darauf hinweisen, dass § 15 GuKG (mitverantwortlicher Tätigkeitsbereich) und die korrespondierende Bestimmung in § 43 Abs. 3 Ärztegesetz nur die berufsrechtliche Ermächtigung normiert, nicht jedoch auch die Verpflichtung des Angehörigen der Gesundheits- und Krankenpflegeberufe, alle berufsrechtlich zulässigen Handlungen zu setzen. In welchem Maß das diplomierte Pflegepersonal verpflichtet ist, entsprechende Anordnungen einer Ärztin oder eines Arztes Folge zu leisten, ergibt sich nur aus der konkreten Weisungslage. Es besteht keine Verpflichtung der Ärztin bzw. des Arztes zur Delegation ärztlicher Tätigkeit an Angehörige des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege. Ob im konkreten Fall ärztliche Tätigkeit delegiert wird, ist die alleinige Entscheidung der Ärztin bzw. des Arztes. RECHT EINFACH Diese Übertragung hat schriftlich zu erfolgen und sollte sowohl vom übertragenden Arzt als auch von der Betreuungskraft unterfertigt werden. Eine Delegation pflegerischer Tätigkeiten durch den Arzt ist gesetzlich nicht vorgesehen und kann ausschließlich durch diplomiertes Pflegepersonal erfolgen! Zumindest die folgenden Punkte sollten in der schriftlichen Delegation ärztlicher Leistungen enthalten sein: •Eine Anleitung im erforderlichen Ausmaß wurde erteilt. •Die delegierende Ärztin bzw. der delegierende Arzt hat sich davon vergewissert, dass die Betreuungskraft über die erforderlichen Fähigkeiten verfügt. •Die Betreuungskraft wurde auf die Möglichkeit der Ablehnung der Übertragung ausdrücklich hingewiesen. •Eine Befristung der Übertragung. •Die genaue Definition der übertragenen ärztlichen Tätigkeiten. •Eine Bestätigung der betreuenden Person, dass sie entweder eine Betreuungskraft im Anwendungsbereich des Hausbetreuungsgesetztes oder eine Gewerbetreibende ist, die das Gewerbe der Personenbetreuung nach den Bestimmungen der Gewerbeordnung ausübt und auch sonst die gesetzlichen Vorgaben erfüllt. Der delegierende Arzt ist dafür verantwortlich, dass die Betreuungskraft von ihm im erforderlichen Ausmaß eingeschult wurde und der gesundheitliche Zustand des Patienten einer Übertragung der jeweiligen ärztlichen Leistung an einen medizinischen Laien nicht entgegensteht! Eine rechtliche Verpflichtung zur genannten Delegation besteht nicht! Für die genannten Leistungen des Arztes steht ein angemessenes Honorar zu. Sollten Sie im Einzelfall Zweifel hinsichtlich der rechtlichen Zulässigkeit einer Delegation haben, nehmen Sie bitte vorab Kontakt mit der Rechtsabteilung der Ärztekammer für Niederösterreich auf! Foto: bilderbox.com Delegation ärztlicher Leistungen im Rahmen der 24-Stunden-Pflege Die so genannte 24-Stunden-Pflege in Privathaushalten wird von Betreuungskräften im Anwendungsbereich des Hausbetreuungsgesetzes oder von Gewerbetreibenden, die das Gewerbe der Personenbetreuung nach den Bestimmungen der Gewerbeordnung ausüben, durchgeführt. Hier besteht die Möglichkeit, dass Ärzte bestimmte ärztliche Leistungen an Betreuungspersonen (Personenbetreuer) delegieren (§ 50b Ärztegesetz), nämlich: •die Verabreichung von Arzneimitteln, •das Anlegen von Bandagen und Verbänden, •die Verabreichung von subkutanen Insulininjektionen und subkutanen Injektionen von blutgerinnungshemmenden Arzneimitteln, •die Blutentnahme aus der Kapillare zur Bestimmung des Blutzuckerspiegels mittels Teststreifen, •einfache Wärme- und Lichtanwendungen sowie •weitere einzelne ärztliche Tätigkeiten, mit vergleichbarem Schwierigkeitsgrad und vergleichbaren Anforderungen an die erforderliche Sorgfalt. Kostenlose Überprüfung von Sonderdienstverträgen Auch wenn Primarärztinnen und Primarärzte hinsichtlich der Gehaltseinstufung grundsätzlich dem Landesbedienstetengesetz unterliegen, erhalten sie in aller Regel Sonderverträge mit frei verhandelbaren Gehältern. Bevor ein solcher Vertrag unterschrieben wird, sollte er von Experten überprüft werden, die die Tücken aber auch Möglichkeiten einer individuellen Vereinbarung kennen. Die Kurie der Angestellten Ärzte der NÖ Ärztekammer überprüft kostenlos und unbürokratisch Sonderverträge und gibt Hilfestellungen bei der Beurteilung. Kontakt: NÖ Ärztekammer, Ärzte Service Center Mag. Lisa Mißmann, +43 (1) 53 751 – 632, [email protected] Sabrina Brauneis, LLM, +43 (1) 53 751 – 226, [email protected] CONSILIUM 05/16 19 SCHULE DES SPRECHENS Tatjana Lackner, MBA Selbstgespräche Selbstgespräche sind rezeptfrei! Schwierige Besprechungen, heikle Verhandlungen oder einfach eine Streitargumentation für zuhause - sprechen Sie diese vorher kurz auf ein Diktaphon oder auf das Handy. Jetzt können Sie leicht feststellen, wo es noch hapert. Am Ton vielleicht? An der Brillanz Ihrer Begründung? Oft klingen die eigenen Sätze nicht mehr ganz so "logisch" und viel unsüffiger als angenommen. Falle: Leises Formulieren - lässt Sie Fehler überhören! Die einfache Abkürzung OG würde im abendlichen Freundeskreis für noch mehr Verwirrung sorgen: Paul, der Immobilienmakler, versteht darunter „Obergeschoss“, sein Freund Kurt, der Jurist, muss schon im eigenen Berufsjargon unterscheiden – geht es nun ums „Obergericht“, die „Offene Gesellschaft“ oder doch um das „Opiumgesetz“. Hermann ist Führungskraft beim Militär und hat seine liebe Mühe aus dem Gesprächskontext zu erkennen: steht OG hier für „Obergefreiter“, „Ortsgruppe“, „Obergrenze“, „Organigramm“ oder geht es um das Antioxidationsmittel „Octygallat“ – alle fünf Begriffe werden in der Fachliteratur schließlich mit OG abgekürzt. Selbstgespräche im Auto sind unverdächtig! Sprechen Sie im Auto ruhig laut und argumentieren Sie mit Ihrem imaginären Gegenüber. Vorteil Nr. 1: Das ist definitiv weniger ablenkend als tatsächlich zu telefonieren - schließlich bestimmen Sie alleine, wann die Kommunikation fortgesetzt wird. Jeder wird annehmen, Sie unterhalten sich mit Ihrer Freisprechanlage. Vorteil Nr. 2: Auf diese Weise ordnen Sie Ihre Gedanken für ein Meeting und bereiten Ihre Formulierungen bereits vor. Wie beim Kartenspiel werden Argumente gereiht und sortiert. In der Echt-Situation profitieren Sie genau davon. - Gelassen ziehen Sie Ihre Einwände, Karte für Karte und kommen schneller zum Ergebnis. Fachbegriffe definieren will geübt sein! Immer wieder gibt es bei Patientengesprächen, Vorträgen, … Verständigungsprobleme, weil das Gegenüber einem Begriff unterschiedliche Inhalte zuordnet. Da jedoch wichtige Aussagen und Begriffe, die Grundlage für weitere Folgerungen sind, sollten diese zunächst stets definiert werden. Gewöhnen Sie sich an, Begriffe abzuklären, die zu Missverständnissen führen können. Fachausdrücke in sprachliche Bilder umzuwandeln, ist leichter als die meisten meinen, es lässt sich erlernen und üben. Ohne Nachschlagewerk oder Internet - selbstgemacht! Nachdem es bald so viele Abkürzungen (Abbreviaturen) gibt wie Worte selbst, wird es immer wichtiger, den dazugehörenden Themenraum genau zu kennen. Menschen verschiedener Berufe haben unterschiedliche Assoziationen zu ein und demselben Begriff. CD heißt für den Musiker „Compact Disc“, der Grafiker würde sich eher Gedanken über das „Corporate Design“ machen. Der Finanzer in der Runde denkt hingegen über das „Certificate of Deposit“ nach. 20 CONSILIUM 05/16 Auch bei der Verwendung der Abkürzung GV kann es knifflig werden. Der Zusammenhang hilft hoffentlich, unterscheiden zu können zwischen: „Grüner Veltliner“, „Geschlechtsverkehr“, „Gesellschafterversammlung“, „Gigavolt“, „Gesamtverzeichnis“, „Gebäudeversicherung“, „Generalversammlung“ oder „Güterverkehr“. Die Gefahr von Akronymen liegt darin, dass Patienten sich dumm fühlen wenn sie als einzige im Aufklärungsgespräch einen Begriff nicht decodieren. Durch aufgenommene Selbstgespräche können wir überprüfen, ob wir Zuhörer-orientiert formulieren. TATJANA LACKNER, MBA Kommunikations- & Verhaltens-Profilerin DIE SCHULE DES SPRECHENS GmbH Dorotheergasse 7, 1010 Wien Tel +43 1 513 87 10, Mobil +43 676 517 88 17 Fax +43 1 513 87 10-15 [email protected] www.sprechen.com • www.sprechen.com/blog Tatjana Lackner, MBA Kommunikations- & Verhaltens-Profilerin •1970 in München geboren •1994 gründete sie DIE SCHULE DES SPRECHENS in Wien – die Kaderschmiede für Karriereorientierte, Führungskräfte, Radio- & Fernsehmoderatoren •„Trainerin des Jahres 2014“ •Politiker-Analystin •vierfache Bestseller-Autorin •zweifache Mutter Foto: bilderbox.com DFPFORTBILDUNG Mehr Chancen als Risiken Insulintherapie bei Typ-2-Diabetes mellitus UNIV.-PROF. DR. THOMAS STULNIG Klinische Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel, Klinik für Innere Medizin III, Medizinische Universität Wien, Währinger Gürtel 18–20, 1090 Wien E-Mail: [email protected] INHALT Vorteile Begrenzte Risiken Zeitpunkt des Beginns Einstieg Fazit für die Praxis LECTURE BOARD OA Dr. Helmut Brath Facharzt für Innere Medizin, Gesundheitszentrum Süd, Wien Prim. Dr. Christian Schelkshorn 1. Medizinische Abteilung, LK Korneuburg, Stockerau ÄRZTLICHER FORTBILDUNGSANBIETER Punkte sammeln auf... SpringerMedizin.at Das DFP-Literaturstudium ist Teil des Diplom-Fortbildungs-Programms (DFP) der Österreichischen Ärztekammer und ermöglicht qualitätsgesicherte Fortbildung durch das Studium von Fachartikeln nach den Richtlinien des DFPs. DFP-Punkte online, per Post, Fax oder E-Mail Der Multiple-Choice-Fragebogen des DFP kann bis zum 30. November 2016 eingereicht werden: • Online: Für eingeloggte User steht der Beitrag und der Fragebogen unter www.springermedizin.at/fortbildung/ zur Verfügung. • per Post: Prinz-Eugen-Straße 8-10, 1040 Wien • per Fax: +43 1 330 24 26 • per E-Mail (eingescannter Test) an: [email protected] Approbation Diese Fortbildungseinheit wird mit 2 DFP-Punkten approbiert. Die Fortbildungspunkte werden rasch und unkompliziert mit Ihrer ÖÄK-Nummer elektronisch verbucht. Ärztekammer für Niederösterreich, Wipplingerstraße 2, 1010 Wien REDAKTIONELLE BEARBEITUNG Mag. Ingo Schlager Eine Literaturliste ist auf Anfrage bei der Redaktion erhältlich. Kontakt und weitere Informationen Springer-Verlag GmbH Springer Medizin Susanna Hinterberger [email protected] SpringerMedizin.at Der Originalartikel ist erschienen in „Der Diabetologe“, Ausgabe 6/2014 © Springer Verlags GmbH 2016 CONSILIUM 05/16 21 DFPFORTBILDUNG Mehr Chancen als Risiken Insulintherapie bei Typ-2-Diabetes mellitus D ie Insulintherapie bietet für Patienten mit Typ-2-Diabetes die Möglichkeit einer ausreichenden Stoffwechselkontrolle auch nach Versagen anderer Therapiealternativen. Demgegenüber stehen Risiken wie Hypoglykämien und Gewichtszunahme. Die Frage nach dem optimalen Zeitpunkt des Beginns einer Insulintherapie ist von entscheidender Bedeutung. Der Typ-2-Diabetes mellitus ist mit einem progredientem Funktionsverlust der β-Zellen verbunden. Für viele Patienten wird damit eine Insulintherapie für eine ausreichende Stoffwechseleinstellung unerlässlich. Trotz nachgewiesenem Vorteil bezüglich der glykämischen Kontrolle wird in der Praxis der Beginn der Insulintherapie oft hinausgezögert. Der optimale Zeitpunkt und die angemessene Form der Insulintherapie sind damit entscheidende Faktoren, die Prognose der Patienten mit Typ-2-Diabetes zu verbessern. Die Progression des Typ-2-Diabetes mit zunehmender Fehlfunktion der β-Zellen erfordert, die antihyperglykämische Therapie regelmäßig zu intensivieren. Die Mehrzahl der Patienten benötigt daher früher oder später eine Insulintherapie. Der Start einer Insulintherapie wird einer US-amerikanischen Studie zufolge jedoch im Schnitt 5–10 Jahre verzögert. Die Gründe dafür sind sehr unterschiedlich: Patienten denken, dass Insulin nicht sehr wirksam sei oder sie betrachten es als persönliche Niederlage oder Zeichen einer fortgeschrittenen Erkrankung, wenn sie mit Insulin beginnen müssen. Dazu kommt möglicherweise die Angst vor Injektionen. Auch auf Seite der Behandler gibt es Widerstände gegen eine Therapieintensivierung mit Insulin, z. B. wenn bei Patienten mangelnde Therapieadhärenz vermutet wird. Sorge vor Hypoglykämien und Gewichtszunahme sind weitere Beweggründe für die Verzögerung einer Insulintherapie. Dies führt dazu, dass Patienten mit Typ-2-Diabetes über lange Zeit einer unnötig hohen glykämischen Belastung ausgesetzt werden, die wegen des metabolischen Gedächtnisses nicht wieder gutzumachen ist. Vorteile Die Evidenz für die Insulintherapie bei Typ-2-Diabetes ist für eine Reihe von Situationen überzeugend (Tab. 1) Dass Insulin die glykämische Kontrolle sowohl in klinischen Studien als auch in der klinischen Praxis verbessert, wurde vielfach nachgewiesen. Tab. 1. Evidenz für Insulintherapie bei Typ-2-Diabetes. Basis der Evidenz Erkenntnis Die insulinsekretorische Kapazität vermindert sich im Verlauf der Erkrankung Starke Evidenz aus Beobachtungsstudien Insulin verbessert die glykämische Kontrolle in klinischen Studien und klinischer Praxis und randomisierten klinischen Studien Verbesserte glykämische Kontrolle verbessert die gesundheitsbezogene Lebensqualität LADA-Phänotyp ist assoziiert mit frühem Bedarf einer Insulintherapie Der Ausgang akuter Erkrankungen wird durch bessere glykämische Kontrolle positiv beeinflusst Randomisierte klinische Studien variabler Die Langzeitprognose wird durch bessere glykämische Kontrolle verbessert Qualität Eine gute glykämische Kontrolle kann bei nicht allen Patienten mit Insulin erreicht werden Insulin kann gut mit vielen oralen Antidiabetika und GLP1-Rezeptoragonisten kombiniert werden Insulin ist erfolgreich in der Behandlung und Prävention der Ketoazidose Schwere Hyperglykämie prädisponiert für Infektionen Unschlüssigkeit der Behandler ist eine Hauptbarriere gegen die Anwendung von Insulin Allgemeine Erfahrungen und Expertenwissen Patientenpräferenzen und Ansichten über injizierbare Therapien variieren sehr stark Insulintherapie kann rasch an die geänderten Erfordernisse während einer akuten Erkrankung angepasst werden Insulin hat einen potenten anabolen Effekt (z. B. bzgl. Wundheilung) 22 CONSILIUM 05/16 DFPFORTBILDUNG Bei diesen Patienten kommt es besonders rasch zu einer Verschlechterung der β-Zellfunktion. Die UKPDS-Studie hat in eindrucksvoller Weise nachgewiesen, dass eine frühe intensive glykämische Kontrolle mikrovaskuläre und auf lange Sicht auch makrovaskuläre Komplikationen verhindern kann. Wenn auch nicht in allen Studien belegt, so ergibt eine Metaanalyse randomisierter kontrollierter Studien, dass eine intensive glykämische Kontrolle koronare Ereignisse, nicht jedoch die Gesamtmortalität reduziert. Auch die Prognose akuter Erkrankungen ist günstiger je besser die glykämische Kontrolle ist, während ausgeprägte Hyperglykämie Infektionen begünstigt. Weitere Vorteile der Insulintherapie sind •die gute Steuerung durch rasche Anpassung von Dosis und Tageskinetik sowie •Möglichkeit der Kombination mit anderen Therapiemodalitäten. Begrenzte Risiken Auf der anderen Seite stehen die Nachteile der Insulintherapie, allen voran Gewichtszunahme und Hypoglykämien. In der randomisierten und kontrollierten ORIGIN-Studie lag die Gewichtszunahme bei 1,5 kg in der Insulin-Glargin-Gruppe verglichen mit einer 0,6 kg Gewichtsabnahme in der Kontrollgruppe, das bedeutet eine Gewichtsdifferenz von + 2,1 kg über etwa 6 Jahre. Die Gewichtszunahme ist unter basaler Insulintherapie besonders mit Insulin-Detemir im Vergleich zu anderen Therapieformen und in Kombination mit Metformin, DPPIV-Hemmern und GLP1-Rezeptoragonisten deutlich geringer ausgeprägt. In der A1chieve-Studie, einer internationalen Beobachtungsstudie über 6 Monate, blieb die Gewichtszunahme überhaupt aus. Foto: bilderbox.com Darüber hinaus verbessert die Insulintherapie die gesundheitsbezogene Lebensqualität („health-related quality of life“), selbst wenn das glykämische Ziel nicht erreicht wird. Besonders früh muss Insulin eingesetzt werden, wenn ein LADA-Phänotyp (Late onset autoimmune diabetes in the adult = verzögert auftretender, autoimmun bedingter Diabetes beim Erwachsenen) vorliegt. Dafür sprechen •jüngeres Manifestationsalter, •niedriger BMI und/oder •geringer Bauchumfang sowie •Fehlen anderer Komponenten des metabolischen Syndroms (Dyslipidämie, arterielle Hypertonie). Das Hypoglykämierisiko wird durch eine Insulintherapie zwar signifikant höher, die Erhöhung ist in absoluten Zahlen allerdings begrenzt. Ein Blick auf die ORIGIN-Studie, bei der ein HbA1c von ≤ 6,3 Prozent (Ausgangswert war 6,4 Prozent) erreicht wurde: Hier lag das Risiko für eine schwere Hypoglykämie, die Fremdhilfe benötigte, bei 1 auf 100 Patientenjahre im Vergleich zu 0,31 auf 100 Patientenjahre unter Standardtherapie, d. h., es liegt eine absolute Vermehrung von Hypoglykämien von 0,7 auf 100 Patientenjahre vor. In der UKPDS-Studie lagen die schweren Hypoglykämien in der intensiv behandelten Gruppe um 1,1 Prozentpunkte höher. Bestätigte leichte symptomatische Hypoglykämien lagen unter Insulintherapie bei 9,8 auf 100 Patientenjahre im Vergleich zu 2,68 unter Standardtherapie. In der Praxis scheint das Auftreten relevanter Hypoglykämien bei Wechsel auf Insulintherapie nicht wesentlich erhöht. Basalinsulinanaloga (Detemir, Glargin, Degludec) haben gerade hinsichtlich des Hypoglykämierisikos signifikante Vorteile im Vergleich zu NPHInsulin. CONSILIUM 05/16 23 EINE VERANSTALTUNG DER ÄRZTEKAMMERN FÜR NIEDERÖSTERREICH UND WIEN LANGE NACHT DER FORTBILDUNG ® na ge eldun Anm MEDIKAMENTE i2 Jun b 15. ich! ögl m 6 1 0 KINDERHEILKUNDE GERICHTSMEDIZIN RHEUMA 2. DEZEMBER 2016 // 18:00 - 23:00 UHR BURG PERCHTOLDSDORF, 2380 PERCHTOLDSDORF Kontakt: [email protected] // Teilnahme kostenlos! DFPFORTBILDUNG Die Insulintherapie führt bei Typ-2-Diabetes zu geringer Gewichtszunahme und absolut nur gering vermehrten relevanten Hypoglykämien. Sowohl Gewichtszunahme als auch die Hypoglykämierate ist von der Form der Insulintherapie abhängig. In der 4-T-Studie wurden drei typische Insulintherapien, welche im Anschluss an eine nicht suffiziente orale Therapie gegeben wurden, bzgl. Wirkung und unerwünschter Wirkungen verglichen. Das HbA1c war nach konventioneller Insulintherapie mit 2-mal täglicher Injektion von Mischinsulin (30 Prozent Insulin-Aspart, 70 Prozent NPH-Insulin-Aspart), prandialem Insulin-Aspart oder basalem Insulin-Detemir mit 7,1 und 6,8 sowie 6,9 Prozent vergleichbar. Allerdings erreichten in der Gruppe mit biphasischem Insulin mit knapp 32 Prozent doch signifikant weniger ein HbA1c von ≤ 6,5 Prozent im Vergleich zu den anderen Regimen (45 bzw. 43 Prozent). Ähnlich verhielt es sich bei einem HbA1c-Ziel von ≤ 7,0 Prozent mit 49 Prozent, 67 bzw. 63 Prozent der Patienten im Zielbereich. Die Rate an Hypoglykämien war bei der prandialen Insulintherapie deutlich höher. Eine deutlich erhöhte Hypoglykämierate (24,0 Prozent vs. 5,2 Prozent) zeigte sich für prandiale Insulintherapie im Vergleich Basalinsulin (Insulin-Glargin) auch in der APOLLO-Studie. Typ-2-Diabetes ist per se mit einem erhöhten Karzinomrisiko vergesellschaftet. Insulin hat über den Insulin Rezeptor A und den IGF-1-Rezeptor auch proliferative Effekte, die möglicherweise die Krebsentstehung begünstigen. In der großen ORIGINStudie ist aber Insulin-Glargin hinsichtlich eines Karzinomrisikos sicher, sodass dahingehende Bedenken nicht von einer indizierten Insulintherapie abhalten sollten. Allerdings waren in der ORIGIN-Studie im Median nur 28 IE/d nötig, sodass diese Sicherheit bei Insulinresistenz und hohen Insulindosen nicht gesichert gegeben ist. Zeitpunkt des Beginns Eine frühe Insulintherapie kann evtl. helfen, die β-Zellfunktion zu erhalten. In der ORIGIN-Studie wurde in der Subgruppe der Patienten mit Prädiabetes (IFG, IGT) nach einem „wash-out“ über 3 Monate eine relative Risikoreduktion im Vergleich zu Placebo von 20 Prozent zur Entwicklung eines Diabetes gefunden. Damit liegt Insulin bezüglich der β-Zellprotektion etwa im Bereich von Metformin oder Acarbose. Es bleibt aber deutlich weniger wirksam als Lebensstilintervention oder Glitazone. Ein spezifischer Glukose-unabhängiger Effekt von Insulin auf die β-Zellpräservation ist damit unwahrscheinlich. Wann sollte nun Insulin beim Typ-2-Diabetes eingesetzt werden? Bei Erstdiagnose im Rahmen einer akuten Erkrankung (z. B. ein Myokardinfarkt) oder bei metabolischer Entgleisung ist eine zumindest vorübergehende Insulintherapie erforderlich. Im langfristigen Verlauf bietet die Insulintherapie eine wirksame Kontrolle der Blutglukosekonzentration, wenn mit anderen therapeutischen Alternativen das HbA1c-Ziel nicht erreicht werden konnte. In frühen Krankheitsstadien haben Nichtinsulintherapien Vorteile durch geringeren Gewichtseffekt und/der fehlende Auslösung von Hypoglykämien. Bei Nichterreichen des glykämischen Zieles durch verminderte β-Zellfunktion treten diese Vorteile im weiteren Verlauf der Erkrankung in den Hintergrund. Bei Überschreiten des HbA1c-Zieles gilt es, rasch – nach 3 bis spätestens 6 Monaten – Insulin einzusetzen. Das ist besonders wichtig, wenn es aufgrund (wiederholter) vorangegangener Patientenschulungen unwahrscheinlich ist, durch andere Maßnahmen bedeutsame Verbesserungen zu erzielen. Darüber hinaus wird eine Insulintherapie erforderlich, wenn die β-Zellfunktion durch andere Erkrankungen (LADA; Pankreasinsuffizienz) eingeschränkt ist oder die Wirkungen anderer Therapien, z. B. während einer Glukokortikoidtherapie, nicht ausreicht. Einstieg Der rasche Einsatz von Insulin ist insofern einfach, da die Insulintherapie sehr leicht mit anderen antidiabetischen Therapien kombiniert werden kann. Die Kombination mit Metformin ist ohnehin weit verbreitet, sofern Metformin vertragen und indiziert ist. Darüber hinaus gibt es eine - wenn auch begrenzte - Evidenz der Kombination mit DPP4-Hemmern und GLP1Agonisten. Auch SGLT2-Inhibitoren können in Kombination mit Insulin gegeben werden. Lediglich die Kombination mit Sulfonylharnstoffen und Pioglitazon sollte wegen der Gefahr von Hypoglykämien bzw. Auslösung einer Herzinsuffizienz vermieden werden, wenn auch Pioglitazon bei sehr insulinresistenten Patienten in Kombination Anwendung finden kann. Daher können die meisten Nichtinsulintherapien beim Start mit Insulin beibehalten werden. Daher kommt die Insulintherapie der Tatsache entgegen, dass es sich beim Typ-2-Diabetes um eine heterogene Erkrankung handelt. Die Form der Insulintherapie, die primär angewendet wird, hängt von einer Reihe von Faktoren ab. Neben der Präferenz des Patienten hinsichtlich Flexibilität der Therapie und CONSILIUM 05/16 25 DFPFORTBILDUNG Anzahl der Injektionen und Blutglukoseselbstkontrollen spielen die Neigung zu Hypoglykämien und die Erfordernisse an die Kontrolle der basalen bzw. postprandialen Blutzuckerwerte eine wichtige Rolle. Studien, die verschiedene Modalitäten der Insulintherapie verglichen haben, gibt es nur wenige. In der oben erwähnten 4-T-Studie zeigten sich nur geringe Unterschiede in der klinischen Wirksamkeit von konventioneller (Mischinsulin), prandialer und basaler Insulintherapie, wohl aber Unterschiede in unerwünschten Wirkungen. Ähnlich waren die Ergebnisse zwischen prandialer und basaler Therapie in der APOLLO-Studie. Angemerkt sei, dass beide Studien mit Insulinanaloga durchgeführt wurden, die Vorteile hinsichtlich Hypoglykämieraten gegenüber Normal- bzw. NPH-Insulin aufweisen. Demnach gibt es nicht die optimale Insulintherapie für alle Patienten mit Typ-2-Diabetes. Ebenso wie das Therapieziel muss auch die Form der Insulintherapie individuell gewählt werden. Mit welcher Insulintherapie beginnen? Für Patienten, die höhere Nüchternblutzuckerwerte haben, bietet die basalunterstützte orale Therapie (BOT) eine gute erste Wahl. Sie erfordert nur 1(–2) Injektionen pro Tag und kann anhand der Nüchternblutzuckerwerte gesteuert werden. Wenn das HbA1c-Ziel nicht erreicht wird, kann die Therapie unschwer mit prandialem Insulin erweitert werden (BOT plus). Dabei genügt die Hinzugabe von prandialem Insulin einmalig zur Hauptmahlzeit, um eine gute glykämische Kontrolle zu erzielen, die vergleichbar zu der mit einer kompletten Basis-BolusTherapie ist. Patienten mit akzeptablen Nüchternblutzuckerwerten mit HbA1c-Werten über dem Ziel können von einer prandialen Insulintherapie profitieren. Die erhöhte Hypoglykämierate und die Gewichtszunahme sind dabei zu bedenken. Die konventionelle Insulintherapie mit meist 2(bis 3)-mal täglichem Mischinsulin hat den Vorteil einer einfachen Handhabung und gleichzeitiger Behandlung von Nüchtern- und postprandialen Werten. Sie ist in Studien etwas weniger wirksam als die prandiale und die basale Therapie und etwas mehr mit Hypoglykämien belastet als die basale Insulintherapie. Für Patienten mit insuffizienter basaler Insulintherapie bietet der Übergang zur konventionellen Therapie den Vorteil einer gleichzeitigen Kontrolle der postprandialen Blutzuckerwerte mit einem einzigen Insulin. Darüber hinaus kann die konventionelle Insulintherapie bei Ineffektivität einer einzigen Injektion pro Tag die Thera26 CONSILIUM 05/16 pie leicht auf bis zu 3 Injektionen erweitert werden, ohne dass das Präparat gewechselt werden muss. In der 1-2-3-Studie fanden 41 Prozent der Patienten mit einer einmal täglichen Injektion eines Mischinsulins (30 Prozent Insulin-Aspart, 70 Prozent NPH-Insulin-Aspart) das Auslangen und 70 Prozent mit 2 und 77 Prozent mit 3 Injektionen täglich. Damit benötigen die meisten Patienten Mischinsulin 2-mal täglich, während eine dritte Injektion nur für wenige Patienten weitere Verbesserungen in der Einstellung bringt. Auch für die konventionelle Insulintherapie mit Mischinsulin gibt es einfache Titrationsschemata. Die Basis-Bolus-Therapie bietet bei Patienten mit Typ-2-Diabetes oft nur wenig Mehrwert gegenüber einer basalen Therapie mit einmalig prandialem Insulin. Sie eignet sich v. a. für insulinsensitive Patienten, z. B. solche mit LADA-Phänotyp oder pankreatischer Pathologie, die eine sehr genaue Anpassung der Insulinwirkung an die Erfordernisse haben, d. h. weniger für den typischen Patienten mit Typ-2-Diabetes. Fazit für die Praxis •Die Progression des Typ-2-Diabetes führt dazu, dass bei den meisten Patienten eine Insulintherapie erforderlich wird. •Bei Versagen anderer Therapiealternativen sollte die Insulintherapie keinesfalls hinausgezögert werden. •Insulin kann mit den meisten anderen Antidiabetika kombiniert werden. Vorsicht ist bei Sulfonylharnstoffen und Pioglitazon geboten. •Die Insulintherapie kann durch entsprechende Wahl der Therapieform und strukturierte Adaptierung der Dosierung sehr flexibel an die medizinischen Erfordernisse und Präferenzen der Patienten angepasst und ggf. intensiviert werden. UNIV.-PROF. DR. THOMAS STULNIG Klinische Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel, Klinik für Innere Medizin III, Medizinische Universität Wien, Währinger Gürtel 18–20, 1090 Wien E-Mail: [email protected] © Springer Verlags GmbH 2016 DFPFORTBILDUNG Foto: bilderbox.com Fragebogen zum DFP-Literaturstudium I m Rahmen des Diplom-Fortbildungsprogramms ist es möglich, durch das Literaturstudium im NÖ Consilium Punkte für das DFP zu erwerben. Nach der Lektüre des DFP-Artikels beantworten Sie bitte die Multiple-Choice-Fragen. Eine Frage gilt dann als richtig beantwortet, wenn alle möglichen richtigen Antworten angekreuzt sind. Bei positiver Bewertung (66 Prozent der Fragen) werden Ihnen 2 DFPFachpunkte zuerkannt. Einsendeschluss ist der 30. November 2016 •Online: Sie haben die Möglichkeit, den Fragebogen unter www.SpringerMedizin.at/fortbildung herunterzuladen oder unter E-Learning auf der Website der Österreichischen Akademie der Ärzte www.meindfp.at auszufüllen. •Per Post oder Fax an die Redaktion von Springer Medizin Wien (z. Hd. Susanna Hinterberger), Prinz-Eugen-Straße 8-10, 1040 Wien, Postfach 11, Fax: 01/330 24 26 •Per E-Mail (eingescannter Test) an: [email protected] 1. Welche andere Therapie des Typ 2-Diabetes sollte NICHT mit Insulin kombiniert werden? (1 richtige Antwort) a.Eine Behandlung mit SGLT2-Inhibitoren b.Eine Behandlung mit Metformin c.Eine Behandlung mit Sulfonylharnstoffen d.Eine Behandlung mit GLP1-Agonisten 2. Warum erfolgt der Start der Insulintherapie bei Typ-2-Diabetikern diversen Studien zufolge oft verspätet? (3 richtige Antworten) a.Patienten denken, dass Insulin nicht sehr wirksam b.Patienten betrachten den Einsatz von Insulin als persönliche Niederlage im Kampf gegen die Erkrankung c.Patienten werden von den Behandlern nicht über die Möglichkeit des Einsatzes von Insulin informiert d.Patienten lehnen Insulin aus Sorge vor Hypoglykämien und Gewichtszunahme ab 3. Für einen LADA-Phänotyp – und daher einen frühzeitigen Beginn mit einer Insulintherapie – sprechen… (3 richtige Antworten) a.ein jüngeres Manifestationsalter des Typ-2-Diabetes. b.hoher BMI und/oder hoher Bauchumfang. c.niedriger BMI und/oder geringer Bauchumfang. d.das Fehlen anderer Komponenten des metabolischen Syndroms, wie Dyslipidämie, oder arterielle Hypertonie. 4. Allgemeine Erfahrungen und Expertenwissen legen nahe, dass eine Insulintherapie für Typ-2-Diabetiker… (2 richtige Antworten) a.… ungeachtet der Krankheitsentwicklung nur in Einzelfällen in Frage kommt. b.… ungeeignet für die Behandlung und Prävention der Ketoazidose ist. c.… erfolgreich in der Behandlung und Prävention der Ketoazidose ist. d.… rasch an die geänderten Erfordernisse während einer akuten Erkrankung angepasst werden kann. 5. Zu den Nachteile einer Insulintherapie bei Typ-2-Diabetikern zählen: (2 richtige Antworten) a.Höheres Hypoglykämie-Risiko b.Verschlechterung der glykämischen Kontrolle c.Höheres Risiko für eine Gewichtszunahme d.Keine Möglichkeit der Kombination mit anderen Therapiemodalitäten 6. Eine zumindest vorübergehende Insulintherapie bei Typ-2-Diabetikern ist erforderlich... (2 richtige Antworten) a.bei Erstdiagnose im Rahmen einer akuten Erkrankung wie einem Myokardinfarkt. b.bei Patienten, die unter Hypertonie leiden. c.bei metabolischer Entgleisung. d.bei Patienten, die kontinuierlich an Gewicht zunehmen. Absender (bitte gut leserlich ausfüllen): ÖÄK-Nummer: __ __ __ __ __ __ Name: Zutreffendes bitte ankreuzen: Frau Herr Ich besitze ein gültiges ÖÄK-Diplom Altersgruppe: < 30 31 – 40 41 – 50 51 – 60 > 60 __________________________________________ Adresse:__________________________________________ Ort/PLZ:__________________________________________ Telefon:__________________________________________ CONSILIUM 05/16 27 VP MR Dr. Dietmar Baumgartner Foto: Raimo Rumpler Foto: Raimo Rumpler CODEIN Dr. Max Wudy Codein nicht mehr für Kinder verfügbar, was tun? V or einigen Monaten wurden die Zulassungsbedingungen für codeinhältige Arzneimittel geändert. Grund dafür waren vereinzelte Todesfälle bei Kleinkindern trotz ordnungsgemäßer Verabreichung. Seit einiger Zeit kennt man die Gründe für die immer wieder sporadisch auftretende lebensbedrohliche Atemdepression und hat daher dementsprechend gehandelt. Codein ist eine natürlich vorkommende chemische Verbindung aus der Gruppe der Opiate. Chemisch gesehen ist Codein der 3-Monomethylether des Morphins und findet in der Medizin als Hustenstiller und als Analgetikum Eingang. Foto: Erwin Wodicka WAHLARZTBERATUNG (eine gemeinsame Veranstaltung der Wahlärztereferate der Ärztekammer NÖ und Wien) 22. Juni 2016, 13.00 Uhr, in der Ärztekammer für NÖ Wipplingerstraße 2, 1010 Wien • Wichtige Überlegungen zur Niederlassung als Wahlarzt •Vorsorgeuntersuchung NEU • Die Bedeutung des Wohlfahrtsfonds für den Wahlarzt • Betriebswirtschaftliche Aspekte • Aus der Sicht des Steuerberaters •Versicherungen Info & Anmeldung: Ärztekammer für NÖ: Wahlarztreferat Fr. Graner, Fr. Eisenbarth, Tel. 01/53751-246 bzw. 225, Fax: 01/53751-279 E-Mail: [email protected] Ärztekammer für Wien: Wahlarztreferat Fr. Neumeister, Tel. 01/51501-1272, Fax: 01/51501-1450 E-Mail: [email protected] Für die Veranstaltung besteht Anmeldepflicht! Teilnahmegebühr: 20 Euro Anrechenbar für das DFP im Ausmaß von 6 sonstigen Fortbildungspunkten 28 CONSILIUM 05/16 Codein entfaltet seine analgetische Wirkung vor allem über seinen aktiven Metaboliten Morphin, der durch Demethylierung unter Beteiligung von Cytochrome P450 (genauer CYP2D6) entsteht. Auch Codein selbst vermittelt seine Wirkung über die Bindung an den μ-Rezeptor, jedoch ist seine Affinität zum Rezeptor und damit auch seine analgetische Potenz gering. Bei Einnahme von mehr als 400 mg Codein ist zudem das Maximum der Metabolisierbarkeit erreicht, da die entsprechende Enzymkapazität von CYP2D6 erschöpft ist. Auch durch höhere Gaben lässt sich die analgetische Wirkung nicht mehr steigern. Die antitussive Wirkung allerdings des Codeins ist dem Morphin gleichzusetzen. Bei der Geschwindigkeit der Demethylierung von Codein gibt es leider genetisch determinierte beträchtliche Unterschiede, CYP2D6-Polymorphismus genannt. So demethylieren ca. zehn Prozent der weißen Bevölkerung Codein nur sehr langsam. Daher entfaltet die therapeutische Gabe von Codein kaum oder gar keine analgetische Wirkung. Das ist zwar lästig, aber nicht wirklich ein großes Problem. Leider gibt es eine sehr kleine (1,0 bis 1,5 Prozent) Gruppe von „ultra-rapid metabolizer“, die auf Grund einer CYP2D6 Duplizität das Codein extrem schnell verstoffwechseln, sodass in kurzer Zeit hohe Spiegel an Morphin erreicht werden. Was für einen Erwachsenen ungefährlich ist, kann bei Kleinkindern eine tödliche Atemdepression auslösen. Routinetests für diese Variabilität sind uns nicht bekannt und unseres Erachtens auch unnötig. Es gibt allerdings eine Möglichkeit, diese genetische Variabilität auszutesten. Diese Untersuchung wird in Österreich ausschließlich an der medizinischen Universität in Innsbruck durchgeführt, ist keine Kassenleistung und kostet circa 3.000 Euro. Der logische Schritt also, codeinhältigen Medikamenten die Zulassung für Kinder und Jugendliche bis zum 12. Lebensjahr zu entziehen, erscheint unter diesen neuen Erkenntnissen als völlig richtig. Gibt es also eine Alternative zur Behandlung von Kinder mit quälendem Reizhusten? Die Antwort gibt uns die Pharmakologie und diese heißt Dihydrocodein, auch als Paracodin® bekannt. Dihydrocodein wirkt ungefähr doppelt so stark wie Codein, hat eine trägere Kinetik. Manche Autoren postulieren zusätzlich eine Methylierung durch das CPY3A Enzymsystem, sodass nach heutigem Stand der Wissenschaft obige Nebenwirkungen nicht auftreten sollten. Die meisten Studien sprechen dafür, dass sowohl die analgetische als auch die toxikologische Wirkung von Dihydrocodein unabhängig von unterschiedlichen Aktivitäten von CYP2D6 sind. Bei richtiger Dosierung hat daher Dihydrocodein als Antitussivum ein positives Risiko/Nutzen-Verhältnis. Natürlich könnte man Paracodin®-Tropfen nehmen, diese erscheinen uns jedoch gerade für Kleinkinder zu konzentriert und der Geschmack ist zumindest verbesserungsfähig. Daher bietet sich folgendes magistrale Rezept an: Dihydrocodein Saft 0,05 % PARACODIN® TR 15 G 6,00 KAL SORBIC 0,10 ACID CITRIC MONOHYDR CRIST 0,05 CARMELLOSE-Natrium1g SIRUP RUBI IDAEI 51,00 AQUA PURIFICATA ad 112,00 Als Dosierung ist Folgendes zu empfehlen: (Anmerkung für Dihydrocodein Saft 0,05 %, 100 ml entsprechen 112 g, 5 ml enthalten 2,5 mg Dihydrocodein) Kind 4-6 Jahre (16 bis 20 kg): 3 x tgl 5 ml Kind 6-9 Jahre (21 bis 27 kg): 3 x tgl 7,5 ml Kind 9-12 Jahre (28 bis 38 kg): 3 x tgl 10 ml Die Verwendung von diesem Saft ist für Kinder zwischen zwei und vier Jahren nur „off label“ zu verordnen, eine Verschreibung verlangt eingehende Aufklärung und eine exakte, ausführliche Dokumentation. Bei Kleinkindern unter zwei Jahren und Säuglingen raten wir generell vom Einsatz opioidhältiger Arzneimittel ab. Ausnahmen beim neonatalen Entzugsyndrom und per vitae seien hier ausdrücklich erwähnt, bedürfen jedoch kontrollierter Bedingungen und ein hohes Maß an Erfahrung. Foto: bilderbox.com PHC CODEIN Generell sei gesagt, dass simpler Husten beim Kind keiner speziellen Therapie bedarf, simples Wasser oder heiße Milch mit Honig lindern den unproduktiven Husten unter anderem durch den Verdünnungseffekt und den gastrobronchialen Reflex. Bei unproduktivem Husten kann obiges Rezept möglichst kurz eingesetzt werden. Sollten die Eltern trotz Aufklärung auf einen Hustensaft bestehen, empfehlen wir folgende magistrale Mischung, wohlschmeckend, wirksam und unproblematisch: Hustensirup (Sirupus pectoralis) Eibischsirup 20 g Spitzwegerichsirup 40 g Thymiansirup 40 g VP MR DR. DIETMAR BAUMGARTNER Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte Facharzt für Kinder und Jugendheilkunde DR. MAX WUDY Kurienobmann-Stellvertreter der niedergelassenen Ärzte Referat für Hausapotheken und Medikamentenwesen Das PPP-Referat der NÖ Ärztekammer ist zuständig für die fächerübergreifende Aus-, Weiter- und Fortbildung in Psychosozialer, Psychosomatischer und Psychotherapeutischer Medizin und steht allen Kolleginnen und Kollegen bei persönlichen und beruflichen Problemstellungen als Ansprechpartnerin gerne zur Verfügung ([email protected]). CONSILIUM 05/16 29 NOTÄRZTETAGUNG XXVII. NÖ Notärztetagung 70 Meter hinunter und fast in den Himmel hinauf W er sich bei herrlichem Frühlingswetter in seiner Freizeit in ein fensterloses Gewölbe zurückzieht, ist entweder depressiv, spielsüchtiger Internet-Freak oder – Notarzt. So gesehen auch ein „Freak“, allerdings von der lebensrettenden Sorte. Rund 270 engagierte Notfallmediziner nutzten in Stift Göttweig das Wochenende des 1. Mai (Tag der Arbeit!) zu Fortbildung und praktischem Training; die traditionelle Tagung der Ärztekammer unter der bewährten Leitung von Dr. Peter Tschiesche war wie immer komplett ausgebucht. In seiner Eröffnungsrede dankte der niederösterreichische Landtagspräsident Ing. Hans Penz den Notärzten für ihre Tätigkeit als wichtiges Glied in der Kette der Gesundheitsversorgung. Er ging auch auf die bevorstehenden, grundlegenden Änderungen in der Notfallversorgung des Bundeslandes ein. Da die entsprechenden Verträge mit dem Roten Kreuz sowie dem ASBÖ auslaufen, erfolgten diesbezüglich Neuausschreibungen. „Es geht dabei nicht mehr um eine Struktur mit aktuell 32 Notarzt-Stützpunkten sondern um acht Regionen, in denen 95% der Bevölkerung innerhalb von 20 Minuten erstversorgt werden müssen.“ Stützpunkte könnten geschlossen werden, neue dazukommen; Reduktionen sind allerdings zu erwarten. Präsident Penz dankte den Ärzten dafür, dass mit ihrer Hilfe zuletzt eine durchschnittliche Zeit bis zum Eintreffen am Notfallort von weniger als 13 Minuten erreicht werden konnte. Ob eine ähnlich schnelle Versorgung auch im Rahmen der neuen Strukturen möglich sein wird, bleibt freilich abzuwarten. Zukünftig wird die Landesklinikenholding neben der Ärztekammer auch ein eigenes Notarzt-Ausbildungsmodul anbieten. Penz erwähnte weiters den aktuell in Erprobung befindlichen Einsatz von Nachtsichtgeräten bei Christophorus 2, mit deren Hilfe der Notarzthubschrauber von Gneixendorf aus rund um die Uhr einsatzfähig sein soll. Diese Verfügbarkeit würde dem Landtagspräsidenten zufolge auch der demografischen Entwicklung entgegen kommen: „Der Anteil älterer Menschen steigt rapide, im Jahr 2030 werden 31 Prozent der Niederösterreicher älter als 60 Jahre sein und somit auch in der Nacht der Bedarf an notärztlicher Versorgung größer werden.“ Gehen Kompetenz und Erfahrung verloren? Ärztekammer-Präsident Dr. Christoph Reisner verlieh im Rahmen der Eröffnung so mancher Sorge Ausdruck: „Die neue Ausbildungsordnung bringt mit sich, dass in Zukunft immer weniger junge Turnusärzte in den Spitälern tätig sein werden. 30 CONSILIUM 05/16 Oben: Erfolgreiches Intubieren ist Übungssache Unten: Organisator Dr. Peter Tschiesche im Gespräch mit Dr. Reisner und Landtagspräsident Penz Wenn man noch dazu beobachtet, dass bis 2015 etwa 100 niederösterreichische Ärzte pro Jahr ihre Pension angetreten haben, wir aber heuer fast 200 Pensionsantritte registrieren und nächstes Jahr es fast 300 sein werden, dann sieht man eine drastische Verschiebung. Dreimal so viele Ärzte gehen in Pension wie bisher! Auf der anderen Seite überlegen wir uns für die Spitäler Konzepte ganz ohne Turnusärzte. Wer wird mich in 20 Jahren versorgen?“ „In der Notfallmedizin sind Erfahrung und Routine gefragt; aber gerade viele ältere Kollegen arbeiten nicht mehr im organisierten Notarztsystem mit, weil es immer weniger attraktiv geworden ist. Fotos: Bernhard Noll Oben: Ein würdiger Rahmen für angeregte Pausengespräche: die Kulisse des Stiftes Göttweig Links: Praxisnahes Megacode-Training Es wäre ungemein wichtig, diese Tätigkeit wieder interessanter zu machen; an diesem Punkt ist die Politik gefordert.“ Auch der zukünftige Einsatz kleinerer Rettungsfahrzeuge in Verbindung mit dem NEF-System ist laut Reisner nicht unproblematisch: „Wie sieht es dann mit der Arbeitsfähigkeit im Fahrzeug aus?“ Fallbeispiele der heurigen Notärztetagung haben gezeigt, dass gerade die Arbeitsbedingungen im Notarztwagen bisweilen entscheidend für eine erfolgreiche Rettung sein können. Time is Brain – nach wie vor Im ersten Themenblock setzte sich zunächst Dr. Jan Gottvald (Landesklinikum Horn) gründlich mit allen Aspekten des Schlaganfalls auseinander. Moderne Behandlungsmethoden wie die mechanische Thrombektomie (in Kombination mit einer Lyse) machen möglich, dass immer ältere Patienten erfolgreich lysiert werden können: „Es gibt keine obere Altersgrenze“, versichert Gottvald. 'Time is Brain' gilt unverändert, aber die Zeitspanne, innerhalb derer erfolgreich interveniert werden kann, ist länger geworden. „Die Anamnese durch den Notarzt und der schnelle Transport in ein geeignetes endovaskuläres Zentrum sind die Kernpunkte des Erfolges.“ der stets überraschenden Synkope (Dr. Kronik, Krems) über die hypertensive Krise (Prof. Hirschl, Zwettl) bis hin zur Cardialen Dekompensation (Dr. Böhmer, Krems). Der abwechslungsreiche Themenbogen umspannte Notfälle in der Schwangerschaft (Univ.-Prof. Enzelsberger, Steyr) über Notfälle bei Dialysepatienten (Dr. Harm, St. Pölten) bis hin zu Atemwegsnotfällen beim Kind (Dr. Weinzettel, Waidhofen/Ybbs). Die Sonografie ist in der Notfallmedizin zwar meist nicht Standard, bietet aber ein breites Feld an Einsatzmöglichkeiten, welche von Univ.-Doz. Dr. Herbert Koinig (Universitätsklinikum Krems) präsentiert wurden. Aus der Praxis für die Praxis Die Demonstration von Fallbeispielen durch die behandelnden Ärzte war – wie jedes Jahr – packend und ist da und dort auch richtig unter die Haut gegangen. Dr. Sandra Bandion (Universitätsklinikum St. Pölten) sah sich mit einer bewusstlosen Diabetikerin konfrontiert. Prinzipiell nichts völlig Ungewöhnliches; der Verdacht auf akuten Unterzucker liegt nahe. In diesem Fall war es doch ungewöhnlich: die Patientin hatte zuvor ihre Insulintherapie eigenmächtig abgesetzt. Nicht alltäglich sind auch stumpfe Verletzungen des Larynx. Dr. Josef Eigenstuhler schilderte in einer sehr ansprechend gestalteten Präsentation minutiös alle Überlegungen und Massnahmen rund um den Transport eines Patienten nach einer stumpfen, unklaren Halsverletzung. Die Entscheidung, in Anbetracht des schwer beeinträchtigten Atemwegs dennoch nicht zu intubieren, hat sich in diesem Fall einer Larynxfraktur im Nachhinein als goldrichtig herausgestellt. Jeden Dritten trifft´s Kleiner Patient, große Herausforderung Dr. Stefan Glaser (Landesklinikum Wr. Neustadt) fasste übersichtlich alles Relevante rund um den Myokardinfarkt zusammen und rief die Basics der akuten Behandlung in Erinnerung: „Jeder Dritte von uns wird statistisch gesehen selbst so etwas erleiden.“ Cardiovasculäre Notfälle bildeten daher auch einen thematischen Schwerpunkt der heurigen Notärztetagung: von Ein Säugling in akuter Atemnot hat Dr. Christian Fohringer (Universitätsklinikum St. Pölten) in notfallmedizinischer Hinsicht gefordert. Vor allem decken sich die individuellen Bedürfnisse eines sieben Tage alten Babies meist wenig mit der Ausstattung eines Notarztwagens. Wenn selbst die kleinste Blutdruckmanschette zu gross ist und auch die Beatmungsmaske nur CONSILIUM 05/16 31 NOTÄRZTETAGUNG Oben: Notarzthubschrauber 'Alpin 3' in St. Anton mit Mühe und durch ständiges Halten angepasst werden kann, ist Improvisationstalent gefragt. Die rasend schnelle Atemfrequenz des Babys mit einer Sauerstoff-Sättigung von nur etwa 65 % (Pulsoxymeter am Fuß des Kleinen) machte die Sache nicht leichter. In einem ständigen Wechsel von Aufsättigen und Abwehr durch das Baby konnte der besonders junge Patient schliesslich in die Klinik gebracht werden. Dort wurde eine Aortenisthmusstenose festgestellt. Fotos: Christophorus / Robert Mosser Rechts: Dr. Robert Mosser bei Taubergung im Einsatz Im Falle eines Falles... ...bedeutet Ruhe alles! Tatsächlich tief gefallen ist ein Skifahrer am Arlberg: nämlich etwa 70 Meter, im freien Fall. Dr. Robert Mosser hatte Dienst am Notarzthubschrauber 'Alpin 3' in St. Anton. Da eine Landung direkt beim Patienten nicht möglich war, musste der Arzt vom Helikopter aus angestützt aussteigen. Dr. Mosser fand einen ansprechbaren aber offensichtlich schwer verletzten jungen Mann mit Atemnot vor, der wie durch ein Wunder den Sturz von einem hohen Felsen in steiles Gelände überlebt hatte. Obwohl die wichtigsten Vitalparameter den Umständen entsprechend gut waren, stellte sich die Frage: Welche (inneren) Verletzungen sind unter diesem Skianzug verborgen? Wie bringt man einen derart schwer verunglückten Menschen vom Berg in den OP – und nicht direkt in den Himmel?! Zunächst wurde er per Taubergung zu einem Zwischenlandeplatz auf der Idalp geflogen. Dort konnte Dr. Mosser im Rahmen des Trauma-Checks entsprechend ETC (European Trauma Course) eine offensichtliche Verletzung der Lunge feststellen, der Thorax war instabil und eine Verletzung der Milz aufgrund einer Prellmarke und des schockierten Patienten zu vermuten. Polytrauma. Nun musste Dr. Mosser entscheiden, welche Massnahmen er vor dem Flug in die Klinik setzen sollte. Intubation und Thoraxdrainagen schienen erforderlich, der Flugsanitäter bereitete alles dafür vor. Stopp! Nach dem Prinzip '10 seconds for 10 minutes' (Technik zur Fehlervermeidung unter besonders stressbelasteten Situationen) bremste Mosser die Dynamik des Einsatzes ab und ging noch einmal alle Entscheidungsfaktoren durch. Er verzichtete daraufhin auf Narkose, Intubation und Drainagen, weil der Patient ausreichend stabil erschien und er bedrohliche Nebenwirkungen der Behandlung vermeiden wollte; also wurde der Patient wieder 32 CONSILIUM 05/16 in den Heli geladen. Im Schockraum der Innsbrucker Klinik konnte der Notarzt etwas später einen immer noch ansprechbaren Patienten übergeben. Die Liste seiner im Spital diagnostizierten Verletzungen füllte später mehrere Seiten: Pneumothorax und Hämothorax beidseitig, Lungenlazeration und Lungenkontusion rechts, zahlreiche Rippenfrakturen, Sternumfraktur, Contusio cordis, Pneumomediastinum, zahlreiche Wirbelbrüche, Milzlazeration, Nierenlazeration, beidseitige Schulterluxationen und noch einiges mehr. Dr. Robert Mosser hatte seinem Patienten in erster Linie damit das Leben gerettet, dass er im Zuge seiner '10 for 10'-Rekapitulation alle Pläne zu invasiven Massnahmen wieder verworfen hat. Was sich anhand der vier Falldemonstrationen eindrucksvoll zeigt: Weniger ist oft mehr. Selbst für geübte Anästhesisten stellt sich im Nachhinein immer wieder heraus, dass es in konkreten Fällen wesentlich besser war, auf eine Intubation zu verzichten. Assistent in der Hosentasche Das Smartphone ist heutzutage immer und überall dabei. Warum sollte man es nicht notfallmedizinisch einsetzen? Dr. Christian Fohringer (Universitätsklinikum St. Pölten, Christophorus 2) präsentierte etliche Apps, die den Einsatz mitunter deutlich erleichtern können. „Die Umrechnung von Mengenangaben ist ein typisches Beispiel, wie eine App sinnvoll Arbeit abnehmen kann. Auch in der Kommunikation kann ein solches Tool vieles beschleunigen: von der Alarmierung bis zum Anmelden in der zuständigen Abteilung des Zielkrankenhauses. Wesentlich ist, dass man sich in aller Ruhe mit diesen Applikationen auseinandersetzt, sie kennenlernt und ihre jeweiligen Vor- und Nachteile erprobt.“ Notruf Niederösterreich hat unter dem Namen 'ESAPP Personal' eine Applikation entwickelt, die beispielsweise die GPS-Daten des Einsatzortes direkt in das Navi- NOTÄRZTETAGUNG Dr. Christian Fohringer informierte über grundlegende Änderungen im NÖ Notarztwesen. Dr. Michael Baubin präsentierte die aktuellen ERC-Guidelines gationssystem des Handys überträgt. Die vielfältigen Möglichkeiten moderner Smartphones reichen bis zur Dokumentation – und sei es nur dadurch, dass man vor Ort Situationen mit der eingebauten Kamera blitzschnell photographiert. Von kniffligen Fällen bis zum First Responder-Alarm Dr. Fohringer führte anhand etlicher Beispiele vor, wie Apps etwa bei selteneren Notfällen (Vergiftungen, Gefahrengut) oder auch in der Pädiatrie wesentliche Informationen schnell und gezielt zugänglich machen können. So kann etwa für Kinder die richtige Dosierung der Medikamente über leicht zu bedienende und besonders übersichtliche Darstellungen überprüft werden. In Wien wird derzeit die 'LEBENSRETTER-App' etabliert, mit deren Hilfe bei Herzstillstand die Zeit bis zur Reanimation wesentlich verkürzt werden soll. Die Idee dahinter: möglichst viele ausgebildete Ersthelfer sollen im unmittelbaren Umfeld (etwa 400 Meter) des Notfalles direkt über deren Handys erreicht werden. Viele Neuigkeiten für Niederösterreichs Notärzte Dr. Christian Fohringer gab im Anschluss einen umfassenden Überblick zu geplanten und bereits umgesetzten Änderungen für die notärztliche Arbeit im Bundesland. Die neue Ausbildungsordnung bringt mit sich, dass Mediziner erst nach der komplett abgeschlossenen, sechsjährigen Facharztausbildung und dem damit verbundenen ius practicandi als Notärzte tätig werden können. Nun wird erwartet, dass zu diesem Zeitpunkt die meisten ihr Augenmerk auf einen schnellen Einstieg direkt ins jeweilige Fach legen werden und für eine notärztliche Tätigkeit (bisher ja meist bereits neben der Facharztausbildung) kein Interesse mehr haben werden. Sportfahrwerk – aber kaum Platz für Patientenversorgung Die in Niederösterreich aktuell vollzogene Umstellung auf ein NEF-System bringt Vor- und Nachteile mit sich. Die Notärzte können aufgrund ihres eigenen Fahrzeuges – VW Passat mit Sportfahrwerk – flexibler (und noch schneller?!) eingesetzt wer- den: nach einem Einsatz, von dem der Patient ohne Arztbegleitung ins Krankenhaus gebracht werden kann, fährt der Notarzt sofort direkt zum nächsten Patienten weiter. Andererseits sind die zukünftig in einem Mischsystem (Patiententransporte sowie Rettungseinsätze) eingesetzten Rettungswägen deutlich kleiner als bisher übliche Notarztwägen. Das bringt mit sich, dass die Versorgung direkt im Fahrzeug fallweise wesentlich schwieriger werden wird. Reanimation anno 2015 Mit Univ.-Doz. Dr. Michael Baubin referierte der wohl kompetenteste Vortragende zum Thema 'ERC Guidelines'. Als Vorsitzender des Österreichischen Rates für Wiederbelebung (Austrian Resuscitation Council, ARC) ist er unmittelbar in die Entstehung und jeweilige Adaptierung (Übersetzung) der Guidelines eingebunden. Baubin führte drastisch vor Augen, dass die (Laien-)Reanimation bei uns derzeit noch keineswegs jenen Stellenwert hat, der ihr sinnvoller Weise zustünde. Studien aus anderen (z.B. skandinavischen) Ländern zeigen sehr deutlich, dass das sofortige Eingreifen von (ausgebildeten) Ersthelfern bei Herzstillstand enorme Erfolge mit sich bringt. Die Leitlinien legen vor allem auf eine korrekte und konsequente Durchführung weniger und einfacher Massnahmen wert: die Qualität der Thoraxkompression ist entscheidend! Besonders durch die Schulung von Kindern hofft man, sozusagen 'durch die Hintertür' auch möglichst viele Erwachsene zu erreichen. Dr. Baubin forderte eindrücklich dazu auf, das Bewusstsein für diese Thematik zu stärken – wo auch immer es möglich erscheint. Kinderreanimation und Ethik Dr. Gudrun Burda und Dr. Francesco Cardona (beide AKH Wien) riefen die Leitlinien für die Wiederbelebung von Kindern und Neugeborenen in Erinnerung. Eine abschließende Roundtablediskussion beschäftigte sich mit der ethischen Dimension von Reanimation sowie dem Abbruch der entsprechenden Bemühungen. CONSILIUM 05/16 33 LESERBRIEFE Leserbriefe Das Consilium als Medium der standespolitischen Diskussion hat sich gut entwickelt. Das zeigt sich auch in der Anzahl der Leserbriefe, die uns erreichen. Wir sind bemüht, diese Lesermeinungen nach Maßgabe des vorhandenen Platzes zu veröffentlichen. Allerdings bitten wir um Verständnis, dass wir nur eine beschränkte Auswahl der eingehenden Leserpost auch abdrucken können. Wir stehen also vor der Notwendigkeit, eine Auswahl treffen zu müssen. Wobei grundsätzlich alle Beiträge, die keinen strafrechtlichen Tatbestand (etwa der üblen Nachrede, der Verleumdung, der Beleidigung, der Kreditschädigung, etc.) enthalten, zur Veröffentlichung freigegeben werden. Bei der in der täglichen Arbeit notwendigen Auswahl bemühen wir uns darum, die verschiedenen Meinungen so ausgewogen wie möglich, aber auch nach dem Verhältnis der eingegangenen Reaktionen, wiederzugeben. Leserbrief Dr. Fragner, Consilium 01+02/16 Offener Brief an die Abgeordneten zum Nationalrat der ÖVP und der SPÖ Sehr geehrter Herr Dr. Fragner, Sehr geehrte Damen und Herren! bezüglich der Erörterungen in Ihrem Leserbrief, welche Ihre Erfahrungen mit den mobilen Palliativteams widerspiegeln, möchte ich anmerken, dass ich auf diesem Gebiet völlig andere Erfahrungen gemacht habe. Die niedergelassene Ärzteschaft hat im Zuge der Bundespräsidentenwahl einen Brief erhalten, in welchem dem Gesundheitsministerium und den Sozialversicherungen schwere Versäumnisse vorgeworfen werden. Gleichzeitig wurde einer der Kandidaten gelobt, wonach er sich „seit vielen Jahren für die freiberufliche hausärztliche Versorgung eingesetzt“ hätte. Ich empfinde die Unterstützung durch solche Teams einerseits als große Entlastung und andererseits auch als Bereicherung meiner hausärztlichen Tätigkeit. Da ich sehr an der Palliativmedizin interessiert bin, stehe ich in engem Kontakt mit der Palliativabteilung meines zuständigen Krankenhauses und bitte auch immer, über eine Begleitung informiert zu werden. Gerade bei schwierigen Fällen, wie zum Beispiel dem Umgang mit Schmerzpumpen oder aufwändigen Verbänden, kann ich von diesen Spezialisten sehr viel lernen und empfinde eine derartige „Mitbegleitung“ als sehr wertvoll. Sicher ist ein springender Punkt dabei, dass solche Betreuungen in enger Absprache mit uns niedergelassenen Ärzten durchgeführt werden müssen. Da ich dies so erlebe, empfinde ich dieses Miteinander als höchst befriedigend und fachlich bereichernd. Auch meine betroffenen Patienten und Patientinnen sind gemeinsam mit ihren Angehörigen über die zusätzliche große Hilfe dankbar. DR. WOLFGANG EGGER 34 CONSILIUM 05/16 Die Faktenlage ist leider eine ganz andere: Die Sozialversicherungen und das Gesundheitsministerium bewegen sich in dem Rahmen, der ihnen von der Gesetzgebung vorgegeben ist. Die Gesetze werden von den Regierungsparteien im Parlament, also von Ihnen, beschlossen. Sie hätten also seit vielen Jahren die Möglichkeit gehabt, alle Missstände im Gesundheitswesen zu sanieren. Sie sind somit dafür hauptverantwortlich, •dass struktureller Ärztemangel besteht. •dass die Bürokratie ein unerträgliches Ausmaß angenommen hat. •dass die Hausärzte nicht mehr anerkannt werden. •dass die Kassenverträge in Form und Volumen nicht mehr attraktiv für junge Ärzte sind. Die vagen Versuche der Bundesregierung in Bezug auf eine Optimierung des Gesundheitssystems verlaufen seit Jahren im Sand. Von den 2013 beschlossenen Zielsteuerungsverträgen ist noch kein einziger Ansatz umgesetzt, geschweige denn wenigstens einmal begonnen worden. Stattdessen werden die Patienten durch - wie im Brief zu lesen war - „absurde“ Weichenstellungen im System sowie immer größere Rationierung in die ZweiKlassen-Medizin gedrängt. Das ist alles die alleinige Verantwortung des Gesetzgebers, vertreten durch Sie als Abgeordnete der Regierungsparteien. Internationale Experten sind sich einig, dass Gesundheitssysteme mit dualer Finanzierung in der österreichischen Form, mit freiem Zugang zu allen Systemebenen, mit mehr als 20 unterschiedlichen Leistungskatalogen in der Niederlassung, mit unserem Ausmaß an Spitalsbetten und dem geringen Anteil an Allgemeinmedizinern in der Grundversorgung letztendlich finanziell zusammenbrechen muss. Das sind jedoch nur die Auswirkungen der Rahmenbedingungen, die vom Gesetzgeber vorgegeben werden. Von allen Vertretern der Regierungsparteien hört man seit Jahren nur Lippenbekenntnisse, dass etwa „der Hausarzt gestärkt werden muss“. Die Politik geht aber exakt in die Gegenrichtung. Die Menschen wollen endlich einmal Taten und vernünftige Lösungen der immer größer vorhandenen Probleme im Gesundheitswesen sehen. Daher: Machen Sie Ihre Arbeit im Parlament ordentlich und stellen Sie Rahmenbedingungen her, mit Hilfe derer alle im System Beteiligten das Optimum für den Patienten entwickeln und durchführen können. LABG. DR. HERBERT MACHACEK LABG. DR. GABRIELE VON GIMBORN