FrauTina Verlag GbR Leseprobe: Kapitel „Liebesmathematik auf

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FrauTina Verlag GbR Leseprobe: Kapitel „Liebesmathematik auf
FrauTina Verlag GbR
Frauke Schumacher & Martina Roth
Alsbacher Str. 2
64579 Gernsheim
Telefon 06258/992 94 91
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Claus Ritzi
Tausend Dates und null Amore
Der reife Single Thomas ist wild entschlossen, endlich seine Traumfrau zu finden – sei es per Anzeige oder Partnerportal. Immer
schwankend zwischen aufblitzender Arroganz und zerstörerischen
Selbstzweifeln lernt er die unterschiedlichsten Frauen kennen – jede
genauso schräg und dennoch liebenswürdig wie er selbst.
So trifft er unter anderen auf eine sexsüchtige und an Bulimie erkrankte Psychologin, eine sympathisch-abgedrehte Münchner SocietyLady, eine strenge russische Mathematiklehrerin und eine püppchenhafte Betrügerin. Leider erweist sich keine der Damen als passende
Partnerin.
Oder doch? Sind die Erwartungen des Helden vielleicht einfach ein
wenig überspannt? Und warum verliebt er sich mit der Treffsicherheit
eines Traumtänzers immer in die falsche Frau?
Gibt es schließlich doch noch Amore für den alten, aber unverwüstlichen Liebesguerrillero?
FrauTina Verlag GbR • frautinaverlag.de
Tausend Dates und null Amore
ISBN 978-3-946230-03-8
12,90 Euro
Leseprobe: Kapitel „Liebesmathematik auf Russisch“
Thomas hatte in der Zwischenzeit begonnen ein
Buch mit Kurzgeschichten über seine Treffen mit
Frauen zu schreiben. Obwohl er sich intensiv auf
dieses Projekt einließ, war er immer noch fest entschlossen, eine Partnerin fürs Leben zu finden und
die Frauen, mit denen er sich noch traf, nicht als Material für seine Storys zu sehen. Und dann stieß er im
Netz auf Viktoria: Das Bild war zwar verpixelt, aber
man konnte dennoch eindeutig erkennen, dass man
es mit einer ziemlich jung gebliebenen Frau zu tun
zu hatte. Eigentlich war es der typische Twenty-Something-Neigungswinkel, den junge Frauen gerne
einnehmen, wenn ihr Freund die Kamera direkt auf
sie richtet und sie ihm beweisen wollen, wie unschuldig und neckisch sie doch sind.
Sie gefiel Thomas und trotz seiner Erfahrungen mit
Marina – ein Einzelfall, den man ja als denkender
Mensch keineswegs verallgemeinern durfte – weckte
sie seine Fantasie. Waren sie nicht alle wunderschön,
diese Russinnen, die man im Fernsehen in einschlägigen Reportagen sah? Und modisch jederzeit so top
gestylt, dass man sie ohne weitere Umstände von der
Straße direkt auf den Catwalk schicken konnte? Thomas konnte sich sein weiteres Leben mit einer heißblütigen Russin verdammt gut vorstellen und begann
sofort, ihr eine Mail zu schreiben: „Liebe Unbekannte, wir haben 115 Matchingpunkte – das ist bisher die
höchste Trefferzahl aller Partnervorschläge, die ich
je erhalten habe! Der Computer hat mit seiner unbestechlichen Logik herausgefunden, dass wir aller
Tausend Dates und null Amore von Claus Ritzi
228 Seiten, Softcover, Format 21 cm x 14,8 cm
12,90 Euro (ggf. zzgl. Versandkosten)
ISBN 978-3-946230-03-8
Erhältlich ab Sommer 2016 unter frautinaverlag.de oder im Buchhandel
Leseprobe – Seite 2: Kapitel „Liebesmathematik auf Russisch“
Wahrscheinlichkeit nach sehr gut zusammenpassen
und in vielen Aspekten des Lebens gleicher Meinung
sind. Ich denke, wir sollten diese Chance nutzen und
uns näher kennenlernen. Was meinst du? Ich heiße
übrigens Thomas und würde mich freuen, wenn du
mir antwortest.“
Viktoria antwortete prompt, und das Leben fühlte sich wieder gut an: Vielleicht war es eben doch
nicht so schwer, auch mit Mitte 50 eine Frau kennenzulernen. Wozu gibt es schließlich Partnerportale, die sich selbst „Niveau“ bescheinigen. Und knapp
300 Euro Jahresbeitrag war angesichts der Möglichkeit, eine Viktoria in Wirklichkeit zu treffen, eine überschaubare Investition.
Sie erzählte Thomas, dass sie Gymnasiallehrerin war
und schon längst die deutsche Staatsangehörigkeit
erlangt hatte. Auf beides war sie stolz und machte
das schon beim ersten Telefonat mit Nachdruck deutlich: „Ich hatte reichen deitschen Mann und Läben
in Luxus. Er hat mir gehalten wie Sklavin in goldenä
Käfig. Im Prinzip war gut zu mir. Aber seine Famillje
hat mich nix anerkannt. Haben mich gehasst – dumme Russin. Sollte Mund halten und keine Meinung
haben. Wenn Streit, mein Mann immer zu seiner Familje gehalten. Eines Tages meine Geduld geplatzt.
Habe beschlossen, Situation zu ändern!“ Wie genau
sie ihre Situation geändert hatte, stand nicht weiter
zur Debatte. Viktoria präsentierte lediglich die Fakten
und schob nach, dass sie verbeamtet war. Klar, darauf war sie ebenfalls stolz und tat dies auch kund.
Thomas fand es immer sehr in Ordnung, wenn eine
Frau ihr eigenes Geld verdiente und nicht darauf
spekulierte, von ihm durchgefüttert zu werden. Insofern war ihm Viktoria schon nach dem ersten Telefonat durchaus sympathisch. Das Einzige, das ihn ein
wenig irritierte, war der Umstand, dass sie ihre Verwandlung von der reichen, von ihrem Mann abhängigen Gattin zur unabhängigen und gut verdienenden
Gymnasiallehrerin mit All-inklusive-Beamten-Versorgungspaket laut ihrer eigenen Bekundungen noch
während der Zeit organisierte, als sie noch mit ihrem
Ehegespons liiert war. Aber wie diese Geschichte
hinter dem Rücken des Gatten abgelaufen war, wollte er dann doch nicht so genau wissen.
„Natürlich bin ich heute geschieden und wieder frei fir
Liebä“, sagte Viktoria – dabei gelang es ihr, den Satz-
anfang so hart wie ein Scharfrichter und das Satzende in dem säuselnden Ton einer dichtenden Vollblutromantikerin zu modulieren. Egal. Hauptsache, sie
war frei für Thomas. Offensichtlich assoziierte sie mit
dem Wort Liebe ihr wichtigstes Schulfach, nämlich
die Mathematik, die sie in unmittelbarem Anschluss
an die Bekenntnisse ihrer aktuellen Liebessituation
wie ein großes, überzeitliches Kunstwerk pries. Sie
sprach von Klarheit und Logik. Von Unbedingtheit
und Stringenz. Von einer universellen Sprache. In
Sachen Mathematik war sie Thomas eindeutig überlegen, denn dessen wichtigstes Themengebiet war
die deutsche Sprache. Er erklärte ihr, dass er Redaktionsleiter einer Fachzeitschrift sei und Rechnen
sein mit Abstand schlechtestes Schulfach gewesen
war. Um diesen Makel nicht allzu groß erscheinen zu
lassen, fügte er aber sofort hinzu, dass sein bester
Freund in der Schule auch der beste Mathematikschüler der ganzen Klasse war.
Erstaunlicherweise fand es Viktoria überhaupt nicht
schlimm, dass seine mathematischen Fähigkeiten
gegen null gingen. „Hauptsache, du dänken loggisch.
Dann ich dir zeigen, was wichtig in Mathematikk.“
Für ihn als eher musisch veranlagten Mann war das
ein ungewöhnliches und ihn auch ängstigendes Versprechen: Er würde mit einer Frau zusammen sein,
die ihm die Schönheit der Rechenkünste beibringen
würde und dabei auf dem Pixelfoto aussah wie eine
Ballerina.
Aber noch war sie nur eine Stimme, die aus einem
Telefonhörer zu ihm drang. Das Gespräch driftete in
praktische Gefilde ab. „Wo du wohnen?“, wollte Viktoria wissen. Thomas nannte ihr den Namen eines
bayerischen Dorfes. Viktoria zeigte sich entzückt: „Ich
wohnen in Osnabrück. Aber die weniggen Fräunde,
die ich habe, kommen alle aus Bayern. Finde Bayern
super klasse.“ Na also.
Auch wenn Thomas nur ein „Zugroaster“ war, so
konnte er doch immerhin mit seinem Wohnsitz punkten. Viktoria beschloss nun, dass man nicht unnötig lange am Telefon herumquatschen, sondern sich
ganz einfach möglichst bald real treffen sollte. „Isch
will disch bald schon sähen“, säuselte sie und machte Thomas mächtig stolz darauf, genau der Mann zu
sein, den eine schöne Russin möglichst bald sehen
mag.
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Irgendwo in Osnabrück zückte Viktoria ihr iPad und
tippte die Kalenderfunktion an. „Isch könnte kommen
am lätzten Wochenende von Monat. Dann bringe ich
meine Sohn zu Freundin in Holland und fahre dann
zu dir. Meine Sohn ist 17 Jahre alt und kein Probläm
für dich, oder? Einverstanden mit Termin?“ Thomas
sagte „Ja“ und überlegte, dass sie im Falle eines Umzugs nach Bayern auch ihren Sohn mitnehmen konnte, für den im obersten Stock noch ein leeres Zimmer
bereitstand und der als junger Mann von München
sicher begeistert war. Er selbst wäre froh gewesen,
wenn er von einem Osnabrück vergleichbaren Ort
als Junge endlich eine Gelegenheit gehabt hätte, in
eine Großstadt umzuziehen. Außerdem wäre es ja
auch für ihn selbst so etwas wie ein neuer Lebensabschnitt, sollte er auf seine alten Tage dann doch noch
mal die Vaterrolle übernehmen. Und sei es für einen
Adoptivsohn. Thomas war sich sicher, dass sie eine
äußerst harmonische Familie werden könnten: Die
mathematisch strengen Seiten des Lebens erledigte
Viktoria, wohingegen er sich eher um die poetisch
fließenden kümmern würde. Und zwischen beiden
Polen wuchs der Junge heran, der während seines
Reifungsprozesses von der bipolar-familiären Artenvielfalt seiner beiden pädagogischen Bezugsgrößen
profitierten würde.
In der kommenden Nacht träumte Thomas von ihr:
Viktoria saß als russische Ballerina im weißen Tütü
auf seinem kakaobraunen Sofa – ein Bild, das ihm
von klassischer Schönheit zu sein dünkte. Surreal
wirkte dagegen ihr knallrot geschminkter Mund, der
sich quallenartig zu immer neuen Formen verbog
und dabei Worte von sich gab, die sofort nach ihrer Verbalwerdung wie Seifenblasen zerplatzten. In
Thomas’ Vorstellung verschob sich das in sich nicht
stimmige Bild langsam zu einer gleichermaßen romantischen wie sanften erotischen Fantasie: Er sah
einen in Zeitlupe dozierenden roten Mund über einem in leichtem Schwung geneigten schlanken Hals,
der von einer Woge weich fallender Haare umspült
wurde. Die Anmutung der Pose wurde zusätzlich
noch von Viktorias rehäugigen, verträumten Blicken
aus ihrem fast faltenfreiem Gesicht unterstrichen und
wirkte auf Thomas wie eine Einladung, sich über ihr
Antlitz zu beugen, sie zu küssen und ihr ins Ohr zu
nuscheln, dass er ein Fan von abstrakten universel-
len Sprachen sei und sich fortan unter ihren süßen
Anleitungen der Mathematik zuwenden wollte. Dann
dachte er an Geometrie und den Begriff des „gleichschenkeligen Dreiecks“.
Die wenigen Telefonate, die man bis zu ihrem ersten Treffen führte, waren knapp und bezogen sich
im Wesentlichen auf die Bestätigung des Termins.
Viktoria verkündete, dass sie die weite Strecke über
Nacht fahren wolle, denn „dann kann ich bisschen
schneller farren“. Sie hatte einen gebrauchten Fünfer-BMW und erläuterte, dass sie bei ihrer Anreise
eine Durchschnittsgeschwindigkeit von knapp 200
Stundenkilometern anzustreben gedachte. Thomas
fand das großartig, zumal er seinen Golf, wann immer es möglich war, ebenfalls auf 200 Stundenkilometer – zumindest auf dem Tacho – hochzujagen
pflegte.
Ein anderes Mal streiften sie das Thema „wohnen“.
Auch in diesem Bereich war Viktoria offensichtlich
sehr erfolgreich: Sie hatte in Osnabrück die Villa eines Unternehmers erstanden, der schon sehr alt war
„und plötzlich Geld brauchte, weil er in Pflägeheim
musste. Ich wusste: Jetzt Schnäppchen machen.
Und habe gekauft Haus.“ Sieben Zimmer, 230 Quadratmeter, riesiges Grundstück.
Es ist nun nicht so, dass Thomas in irgendeiner Form
zu Neid neigte. Im Gegenteil: Wenn Mercedes beispielsweise eine neue S-Klasse vorstellte, freute er
sich darüber, dass nun ein weiteres Traumauto in
der Welt war. Und natürlich hatte Thomas Freude an
schönen Dingen und würde es lieben, eine Villa einzurichten. Hinzu kam, dass er ohnehin ein Fan von
BMW war und ganz gewiss eines Tages auch besser
motorisiert sein würde.
Im Übrigen war Thomas auch total froh darüber, eine
Doppelhaushälfte zu besitzen, und fand 130 Quadratmeter den Lebensumständen eines Redaktionsleiters angemessen. Neid entsprach überhaupt nicht
seinem Naturell, das er selbst ziemlich hemmungslos mit den Worten Großzügigkeit, Toleranz, Zufriedenheit und Ausgeglichenheit beschreiben würde.
Das Einzige, das ihn wirklich störte, war dieses Beamtending. Da sein Wesen eher an der rechenabgewandten Seite der Welt orientiert war, und manch
einer Thomas als Träumer bezeichnete, hatte er bis
zu Viktorias Erscheinen nicht gewusst, dass vom
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Bruttogehalt von Beamten kaum Steuern abgezogen
werden. Und so kam es, dass die russische Gymnasialmathematikerin einfach mehr Bares zur Verfügung hatte, zumal sie ja auch kaum noch Geld in
die private Altersversorgung investieren musste. Diese Form des finanziellen Ungleichgewichts in einer
Partnerschaft konnte Thomas trotz aller Toleranz, die
er in sein Selbstbild implementiert hatte, nur schwer
ertragen. Aber okay, vielleicht könnte man sich ja einfach zusammentun, die Villa in Osnabrück verkaufen und ein Haus am Ammersee beziehen, das man
dann gemeinsam besaß. Außerdem war es ja nicht
schlecht, dass wenigstens Viktorias Zukunft abgesichert war und sie bei dem herrschenden Lehrernotstand vermutlich ratzfatz in Bayern eine Stelle finden
würde und ihr Leben umorganisieren könnte.
An dieser Stelle musste Thomas ihr in Bezug auf ihre
Flexibilität auch ein Kompliment machen: Die Idee,
ihr Leben vollkommen umzuorganisieren, begeisterte sie ebenso schnell wie ihn selbst. Und so kam
es, dass er in Erwartung des gemeinsamen Glücks
schon vor ihrem Besuch in die nächste Kreisstadt
fuhr, um die Adressen der örtlichen Gymnasien abzuklappern.
Das Wochenende rückte näher, und Thomas begann, einen Putzplan zu entwickeln. Wenn Viktoria
Freitagnacht fuhr, war sie vermutlich samstags am
frühen Vormittag bei ihm. Er beschloss, sowohl am
Donnerstag- als auch am Freitagabend das Haus
aufzuräumen und zu reinigen. Am Freitagabend
konnte er sich dann zur Belohnung noch gemütlich
ein Bier genehmigen. Sein Haus sollte blitzen und
blinken vor Sauberkeit und Viktoria Respekt abnötigen. Schließlich hatte sie ihm in einem ihrer knappen Telefonate gestanden, dass sie mindestens drei
Zimmer in ihrer Villa leer stehen ließ und auch nicht
regelmäßig säuberte. „Und Putzfrau kann ich nicht
gebrauchen. Zu ungenau. Musst du immer dabeistähen. Kann ich gleich selber machen.“ Das war exakt das Argument, mit dem Thomas den Vorschlag
seiner besorgten Mutter abwehrte, sich eine solche
Fachkraft zuzulegen. Insofern gab es zwischen ihm
und Viktoria auch in Bezug auf alltäglich-praktische
Dinge eine ordentliche Schnittmenge, die auf einen
Verständigungsgrad schließen ließ, der als Basis für
eine gelingende Zweierbeziehung dienen konnte.
Generell hatte Thomas ein gutes Gefühl. Sein Leben erschien ihm wie auf Viktoria zugeschnitten. Sie
musste nur noch zu ihm kommen und sich in sein
gutes bayerisches Leben einfügen. Seine Vorfreude auf die wunderschöne Russin war riesig. Endlich
wieder eine Frau in seinem ansonsten eher öden
und gestressten Leben. An seinem Erwartungshorizont zeichnete sich etwas ab, das den Gesetzmäßigkeiten der Natur folgte: Auf Regen folgt Sonnenschein. So musste es einfach auch bei ihm sein:
Auf eine Phase ganz ohne Frau folgen Jahre, die
von den Wonnen weiblicher Anwesenheit geprägt
sind. Dem dämlichen Stillschweigen im Wohnzimmer folgen Tage und Nächte voller brillanter Debatten oder zumindest kommentierter Fernsehereignisse. Das Leben würde wieder Fahrt aufnehmen, und es gäbe noch eine Qualität jenseits der
Arbeit.
Selbst das Putzen machte unter diesen Vorzeichen
Spaß. Thomas rockte die Bude in Sportkleidung und
war vom Wischen, Feudeln und Staubsaugen so
nass geschwitzt, als wäre er eine Stunde gejoggt.
Sein Haus war zwar klein und bescheiden, aber gewienert und geschrubbt war es ein wahres Kleinod
aus Eleganz und Gemütlichkeit. Thomas liebte es,
und Viktoria würde sich hier bestimmt wohlfühlen.
Es war Freitagabend und er war mit dem Hochdruckstrahler gerade damit beschäftigt, den hartnäckigen Urinstein aus der Toilette im Erdgeschoss zu
entfernen. Irgendwie hatte er ein schlechtes Gewissen, denn obwohl er stets darauf geachtet hatte, das
Haus möglichst sauber zu halten, und zumindest das
Wohn- und Esszimmer immer so weit in Ordnung
haben wollte, dass er jederzeit Gäste empfangen
konnte, war ihm die schleichende Verunreinigung der
Toilette gar nicht aufgefallen. Erst als er das stille Örtchen – sozusagen Viktorias Blick antizipierend – mit
den Augen einer schönen Frau sah, dachte er, dass
er irgendwie doch ein kleines Ferkel war. Thomas
gelobte Besserung – in Zukunft sollten auch seine
WCs picobello sein. Dann läutete es.
Die Schweißflecken seines Unterhemdes waren tellergroß und seine alte Turnhose war schon ein wenig
ausgeblichen, aber auf einem bayerischen Dorf sind
die Nachbarn nicht so kleinlich, zumal sie ja selbst
ständig in ihren Gärten herumwühlen oder sonst wie
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mit Hausarbeiten beschäftigt sind, für die man gerne
mal alte Klamotten aufträgt. Dumm nur, dass es kein
Nachbar, sondern Viktoria war, die vor der Tür stand.
„Viktoria?“, fragte Thomas überflüssigerweise und
vergaß für einen kleinen Moment sie hereinzubitten.
„Ja“, antwortete sie mit hauchdünner Stimme und zitterte dabei ein wenig. Verschämt schloss er mit der
linken Hand die Toilettentür und bedeutete ihr mit der
rechten doch bitte einzutreten.
Auch wenn seine äußerliche Erscheinungsweise
derart von seinem für diese Zusammenkunft geplanten Protokoll abwich, so gelang es ihm doch, diesen
Fauxpas angesichts der Unsicherheit von Viktoria
zu überspielen, die bei Thomas aufgrund ihrer rührenden Hilflosigkeit sofort die Rolle des galanten
Ritters aufrief. Er führte sie in der Art eines Butlers
zur Couch und bot ihr einen Cognac an, den sie mit
einem Schluck hinunterspülte. „Ja, es ist so“, begann
sie mit einer Erklärung für ihre viel zu frühe Ankunft
und brach den Satz auch sogleich wieder ab, um
Thomas mit großen, mit kräftig Kajal umrandeten
Augen anzuschauen und zu fragen: „Hast du nicht
gelesen SMS, die ich geschrieben habe?“
Er hatte geputzt und nichts sonst, der Tag war mit einer Art Hochleistungsputzaktivität bis an die Grenzen
seiner zeitlichen Dehnbarkeit ausgefüllt gewesen,
und das Handy war unbeobachtet und stumm in der
schon am Vortag gereinigten Küche gelegen. „Nein,
ich habe keine Nachricht von dir empfangen“, sagte
er verblüfft und eilte kurz in die Küche, um zu checken, ob eine neue Nachricht eingegangen war. Tatsächlich – schon am frühesten Morgen war eine Botschaft von ihr eingetrudelt. „Komme früher, erkläre
dir alles am Freitagabend“ stand da zu lesen. „Also,
es ist so“, fing Viktoria, die nun schon einen Tick unaufgeregter war, an: „Hast du in Russland Freinde,
erwarten sie jedderzeit deine Gastfreundschaft.“
Das klang so weit ganz gut, aber was haben russische Freunde mit der verfrühten Ankunft zu tun? „Ich
habe russische Freinde, die in Amerika läben. Sind
gestern nach Deutschland gekommen, haben angerufen und mir gesagt, dass sie am Sonntag zu Besuch bei mir vorbeikommen. Musste ich also früher
zu dir und fahre dann morgen Nacht zurück.“ Oha.
Strammes Programm. Stramme Freunde. Stramme
Frau.
Erst jetzt verpuffte so langsam der Überrumpelungseffekt, und Thomas begann, Viktoria genauer
wahrzunehmen. Sie hatte ein sympathisches, vollwangiges Gesicht, das von einer unglaublich dichten, sandfarbenen Löwenmähne umrahmt wurde.
Betrachtete man ihre starken Arme und ihr breites
Kreuz, dann schied sie als Ballerina aus und war
eher Mitglied in einem olympischen Schwimmkader.
Auch die Schenkel waren alles andere als zart. Nur in
einer Hinsicht glich sein vorgefertigtes Bild der Frau,
die vor ihm auf seinem Sofa saß: Sie war modisch
gestylt und auf High Heels aufgebockt, die in dieser
Höhe noch nie eine Frau in seinem Wohnort getragen hatte. Thomas war hin- und hergerissen. Selbst
wenn er sie dazu bringen konnte, zehn Kilo abzuspecken, blieb immer noch das viel zu breite Kreuz. Andererseits standen ihre mädchenhafte Verlegenheit
und ihr scheues Lächeln in diametralem Gegensatz
zu ihrem breiten Rücken. Und wenn man so wollte,
überdeckte die Löwenmähne gewissermaßen die
allzu kräftige Ausformung ihres Oberkörpers. Viktoria war eine Frau, die er absolut wechselhaft wahrnahm: War sie in einem Moment schön, konnte man
sie eine Sekunde später schon wieder nicht ganz so
prima finden. Aber sie war sympathisch, und Thomas
musste dringend die Klamotten wechseln. Also stellte er ihr noch einen Cognac hin, huschte in Bad und
Schlafzimmer und kam frisch geduscht in Jeans und
Hemd wieder zu ihr zurück.
Viktoria hatte schon das zweite Glas geleert und
schien sich vollkommen gefangen zu haben. „Weißt
du was?“, sie sah ihn strahlend und erwartungsfroh
an, „Machen wir doch einfach das Bäste aus unsere
Situation!“ Grundsätzlich war Thomas immer dafür,
das Beste aus einer Situation zu machen, und so
fand er es auch völlig in Ordnung, dass sie „zur Entspannung“ kochen wollte.
„Machen wir einfaches Gericht. Spaghetti Bolognese. Lass uns in Supermarkt fahren und schnell einkaufen.“ Spaghetti, Hackfleisch, Parmesan. Okay.
Im Supermarkt bemerkte er die Blicke der anderen
Männer. Viktoria war äußerst vorteilhaft gekleidet.
Sie trug einen beigefarbenen, leichten Sommermantel, der knapp über den Knien endete und von
Weitem wie ein kurzes, ziemlich sexy Kostümchen
wirkte. In Kombination mit den atemberaubend ho-
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hen Nuttenstelzen und der Löwenmähne entsprach
ihre Silhouette aus der Ferne den Idealmaßen einer
Pornodarstellerin – erst bei näherer Betrachtung trat
das breite Kreuz wieder in den Vordergrund. Thomas musste zugeben, dass er es genoss, im örtlichen Supermarkt mit einer getunten Sexbombe herumzuschlendern und nach Spaghetti Ausschau zu
halten. Auf der anderen Seite fragte er sich jedoch,
ob er langfristig mit Viktoria im Dorf nicht doch einen
gewaltigen Imageschaden erleiden würde, und er
stellte sich vor, wie die Nachbarn hinter ihm tuscheln
würden und er einen neuen Spitznamen bekäme:
Porno-Tom.
Viktoria ignorierte die lüsternen Blicke der Männer
ebenso wie die hasserfüllten der dörflichen Hausfrauen. Offensichtlich war der Einkauf von Lebensmitteln
für sie ein sinnliches Erlebnis, das ihre ganze Konzentration erforderte. Vor dem Regal mit den tausend
Nudelsorten stolzierte sie wie ferngesteuert auf eine
ganz bestimmte Marke zu und befand mit gnadenloser Selbstgewissheit, dass „du nurr mit diese Nudeln
pärfekte Spaghetti machen kannst“. Beim Weinregal
tippte sie ebenso zielsicher auf einen schweren Roten und beteuerte nebenbei, dass sie kaum Alkohol
trinken würde. Thomas legte zwei Flaschen in den
Korb.
In der Küche durfte er nichts tun. Man muss dazu
sagen, dass Thomas sehr gerne kochte. Gut, sie ließ
ihn Zwiebeln und Knoblauch schälen. Aber sie bestand darauf, dass die Zwiebeln von Anfang an mit
den Spagetti und dem Fleisch vermengt in Butter
geschwenkt wurden, während der Knoblauch erst
ganz zum Schluss über das Gericht gestreut werden
durfte. „Wenn du Knoblauch zu früh einrührst, wirkt
nicht. Muss scharrf sein und frrisch!“ Ihre Art, Sätze
in Form von unverrückbaren Gesetzen zu formulieren, begann ihm Kummer zu machen. Thomas war
eher ein Mensch, dessen Sätze von einem unsichtbar-moderaten „naja“ begleitet werden. Aber auf der
anderen Seite: Hatte sie nicht den leckersten Barolo
im ganzen Regal herausgefischt? Irgendwie kannte
sie sich mit Lebensmitteln aus.
Und irgendwie stieg auch die Stimmung. Und irgendwann hatte er seinen Arm um die Frau am Herd gelegt. Eigentlich war sie doch ganz schön. Und sym-
pathisch war sie ja allemal. Ob der Knoblauch nun
gleich oder später eingeführt wird, sollte ohnehin
nicht so wichtig sein.
Irgendwann waren beide betrunken. Die Teller standen mit Essensresten verkrustet in der Küche und
Viktoria und Thomas schleckten ein wenig aneinander herum. Die Zeit verging viel zu schnell. Plötzlich
war Viktoria von der langen Fahrt erschöpft, und er
führte sie leicht wankend in das Zimmer unter dem
Dach, wo sie – wie schon lange zuvor verabredet
– völlig unbehelligt übernachten konnte. Der letzte Kuss im Zimmer war ein tiefer, rotweingetränkter
Zungenkuss. Kurz vor dem Einschlafen fragte sich
Thomas, ob das Leben nicht grundsätzlich von Kompromissen geprägt ist und er Abstriche von seinem
Primaballerina-Frauenprinzip machen sollte und sich
stattdessen mit Löwenmähne, High Heels und neuen
Lebensmittelerkenntnissen arrangieren sollte. Noch
bevor er sich zu einer Antwort durchringen konnte,
gab ihm der Alkohol den entsprechenden Paukenschlag, und er sank in ein tiefes Vergessen.
Am nächsten Morgen stand sie schon im Wohnzimmer, als Thomas die Treppe herunterkam. Es war ein
groteskes Bild: Sie hatte eine Decke über den Kopf
geworfen und sah mit ihrer darunter hervorquellenden Mähne aus, als ob sie auf dem Plattencover von
Woodstock erwacht wäre. Lediglich die abenteuerlich hohen Schuhe, die sie schon am Vortag trug,
passten nicht in dieses Bild. Wegen ihres schnellen
Aufbruchs bei ihrer Freundin hatte sie nach eigener
Aussage „einfach vergässen“, bequemere Schuhe
einzupacken. Nun denn. Es war kaum zu übersehen,
dass sie von einem Kater gequält wurde, und Thomas hatte ein wenig Mitleid mit ihr. Wie sie in seinem
Wohnzimmer herumstand, wirkte sie überaus hilflos.
Nach dem Frühstück und einer Dusche schien sie
jedoch wie verwandelt und wirkte wieder recht tatendurstig. Sie warf einen Blick auf die Süddeutsche
Zeitung und entdeckte einen Artikel über die Energiewende.
Ohne ihn genauer zu lesen, entfuhr es ihr schrill:
„Energiewände! Wenn ich Wort schon höre!“ Thomas war irritiert: Was hatte sie nur? „Ihr Deitschen
seid verruckt! Ohne Atom habt ihr bald schon nix
mehr Strom!“ Schon sein fragender Blick schien sie
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zu ärgern: „Ich bin Mathematikkerin. Ich rächne. Nix
Spekulation! In Deitschland ohne Atom geht Lichter
aus!“ Thomas versuchte einzuwenden, dass es wohl
soooo dramatisch doch nicht kommen werde. Möglicherweise war es der Restalkohol im Gemisch mit
ihrem russischen Temperament, der Viktoria auf die
Palme brachte: „Gehörst du auch zu die Spinner?
Wo glauben, Strom kommt aus Steckdose? Ich Mathematikkerin – rächne. Strom wird nicht reichen in
Deitschland!“ Sie gestikulierte wild und versicherte
Thomas immer wieder, dass sie auf diesem Gebiet
eine Art Expertin sei und es hasse, dass in Deutschland die Menschen so traumtänzerisch dem „Aberglauben“ verfallen seien, ohne Atomstrom auszukommen.
Thomas dachte still, dass man im Falle eines Energiemangels einfach die Erregungsenergie von
wutschnaubenden Russinnen anzapfen müsste,
um für den entsprechenden Ausgleich zu sorgen. Er
wagte es jedoch, das Wort „Fukushima“ in den Raum
zu stellen. Für Viktoria war das kein Argument: „Deitsches Atomkraftwerk viel stabiler. Und dass Tsunami
und Erdbeben in Deitschland gleichzeitig auftreten,
ist von Natur aus unmäglich.“ Thomas nuschelte
noch ein kurzes „Aber trotzdem ...“, bevor Viktoria
ihn anblaffte: „Kann nicht zusammen sein mit schwache Mann. Mann wo nicht sieht Realität! Trotzdem
danke für alles.“ Dann rannte sie in das Gästezimmer, packte so schnell ihre Sachen zusammen, wie
es Thomas noch bei keinem anderen Menschen erlebt hatte, hastete die Treppenstufen hinab und ward
ebenso schnell verschwunden, wie sie gekommen
war. Thomas hörte noch das satte Motorengeräusch
ihres BMWs, dann war er wieder alleine.
Er wusste nicht, die wievielte Pleite Viktoria war,
aber Thomas beschloss, weiter an seinem Buch
über seine schrillsten Erfahrungen mit weiblichen
Bekanntschaften zu schreiben. Als er darüber nachdachte, was er damit erreichen konnte, schwankte
er wie üblich zwischen Selbstkritik und leichtem Größenwahn: Bestimmt würde er keinen renommierten
Verlag finden und musste seine Aufzeichnungen im
Selbstverlag herausbringen. Dann würden es ein
paar Leute aus seinem Bekanntenkreis kaufen und
ihn nach der Lektüre misstrauisch beäugen: Zu wieviel Prozent war die Hauptfigur mit ihm persönlich
identisch? Auf der anderen Seite steigerte sich Thomas in eine Vision hinein: Ganze Heerscharen von
Frauen in der Midlife-Crisis würden sein Buch lesen,
um die männliche Sicht auf Dates besser verstehen
zu können. Zwar würde ihnen das Buch keinen Deut
weiterhelfen, da ja die Sichtweise jeden Mannes eine
verdammt individuelle Angelegenheit war, aber der
ganze Schmarrn könnte ihm ein wenig Geld in die
Kassen spülen: Wie viel Geld konnte man eigentlich
mit einem Bestseller verdienen? Würde es reichen,
um sich endlich eine ordentliche Karre zulegen zu
können, mit der Thomas neue Damenbekanntschaften beeindrucken könnte? Auch seine journalistische
Karriere könnte sein Buch befördern: Thomas sah
sich schon in der Rolle eines Spiegel-, Stern- oder
Zeit-Autors. Alleine dass die Realität schon so weit
gediehen war, dass er an den Rand dieser Fragestellung gekommen war und die – wenn auch klitzekleine – Möglichkeit bestand, dass er sich eines Tages ganz real überlegen musste, wie er seinen neuen Reichtum anlegen sollte, bescherte Thomas gute
Laune. Obwohl er wusste, dass alles völliger Blödsinn war, beschloss er wider alle Vernunft seine Träume als Realität der ganz fernen Art in sein jetziges
Leben zu integrieren.
Claus Ritzi
Jahrgang 1958, gelernter Geisteswissenschaftler (Literaturwissenschaft, Philosophie, Soziologie) arbeitet heute in einem renommieren Corporate Publishing
Verlag als Key Account Manager und Chefredakteur.
Der Einstieg in den Traumberuf des Journalisten war nicht ganz einfach. Denn
obwohl er schnell in einer lokalen Redaktion der Süddeutschen Zeitung die Ehre
hatte, auch für das Feuilleton schreiben zu dürfen, musste er seine Tätigkeit als
Autor mit Aushilfsjobs als Taxifahrer kombinieren, um überleben zu können.