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FITNESS-SPEZIAL
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TOUR 2/ 2007
KÖRPERWELTEN
Radfahren macht fit. Aber warum eigentlich? Und was bedeutet fit überhaupt?
Was passiert mit dem Körper durch regelmäßiges Radtraining? Diesen Fragen sind
wir nach- und dabei ganz nah an vier Schlüsselstellen des Körpers herangegangen
TEXT: EVA STAMMBERGER FOTOS: JAN GREUNE
ILLUSTRATIONEN: JOHANNES REINER, VOR-ZEICHEN
J
edes Jahr das Gleiche. Sobald die ersten Sonnenstrahlen den Frühling ankündigen, holen Rennradler ihre
Räder aus dem Keller, machen ihre erste Ausfahrt –
und bekommen Schmerzen. Der Hintern tut weh, von bleischweren Beinen am Tag danach ganz zu schweigen. Trotzdem stellen sie ihr Rad nicht zurück in den Keller, sondern
freuen sich auf die nächste Runde. Warum bloß?
Weil sie jedes Frühjahr die gleiche Erfahrung machen:
Nach dem ersten Schmerz kommt der Spaß. „Das macht
einen Großteil der Faszination Rennradfahren aus“, erklärt
Dr. Robert Eifler, Internist am Sportmedizinischen Institut
in Frankfurt. „Viele wollen durch Radfahren abnehmen,
aber trotzdem Spaß dabei haben. Das kann Rennradeln leisten, das weiß jeder, der schon einmal bei schönem Wetter
eine ruhige Landstraße entlang gesaust ist“, sagt Eifler, der
selbst begeisterter Rennradler ist. „Außerdem eignet sich
Rennradfahren besonders gut als Ausdauertraining, man
absolviert viele lange und ruhige Einheiten, das gibt eine
gute Grundlage, man wird körperlich fit“, ergänzt er.
Aber was bedeutet überhaupt „fit“? Übersetzt heißt es
ganz einfach „passend“ oder „angepasst“ – und genau das ist
es, was mit dem Körper durch regelmäßiges Training
geschieht. Ungewohnte Belastungen, wie eben die erste
Ausfahrt des Jahres, überfordern den Körper zunächst.
Um nicht nochmals in diese Verlegenheit zu geraten, merkt
er sich diese Belastung und passt sich daran an, um beim
nächsten Mal besser darauf vorbereitet zu sein. Diese
Fähigkeit unseres Körpers ist die Voraussetzung dafür,
dass wir überhaupt gezielt trainieren können. Werden
Trainingsreize wiederholt gesetzt, können wir sie immer
besser verarbeiten – der Muskelkater gehört schon nach
wenigen Ausfahrten der Vergangenheit an.
Und genau das spüren besonders Rennrad-Neulinge. Ihr
Tritt wird runder, da die Muskulatur effizienter arbeitet,
die Atmung wird ruhiger, weil die Atemtechnik verbessert
und die Atemmuskulatur gekräftigt wird. Die Haltung wird
entspannter, weil sich die Rumpfmuskulatur, die den Oberkörper auf dem Rad halten muss, anpasst.
Durch regelmäßiges und längerfristiges Radtraining
passt sich nach und nach der ganze Körper ans Rennradfahren an: Das Herz wird größer und leistungsfähiger, die
Atemmuskulatur arbeitet effektiver und kann die Lunge
besser unterstützen, die Muskulatur – besonders die der
Beine – wird kräftiger und ausdauernder. Bis hin zu den
kleinsten Einheiten des Körpers, den Zellen, finden solche
Anpassungsprozesse statt.
Das Herzkreislaufsystem reagiert gerade bei Anfängern
recht schnell auf die neue Belastung, nach etwa drei
Monaten sind sie bereits deutlich leistungsfähiger. Bis sich
ein Herz zum Sportherz entwickelt und vergrößert, braucht
es hingegen mehrere Jahre.
Während Anfänger schon nach kurzer Zeit auf dem
Rennrad große Fortschritte machen, müssen sich Leistungssportler ab einem bestimmten Niveau jede weitere
Verbesserung mühsam erarbeiten. „Aber hat man einmal
ein solches Niveau erreicht, ist man schon so vom Rennradfieber gepackt, dass man das gerne in Kauf nimmt“, ist
Robert Eifler überzeugt.
Einen Großteil ihres Trainings müssen Leistungssportler investieren, um ihr Niveau zu halten, denn wenn sie
nicht trainieren, bilden sich alle Anpassungen des Körpers
wieder zurück – sie werden ja vermeintlich nicht mehr
benötigt. Um sich weiter zu verbessern, müssen sie deutlich
mehr und teilweise auch eheblich intensiver trainieren, um
die Reizschwelle des Körpers zu überschreiten. Je höher das
Leistungsniveau, desto schwieriger wird es, besser zu werden. Viele Radprofis erreichen irgendwann einmal einen
Punkt, an dem sie, egal wie sie ihr gewohntes Training
weiter steigern oder intensivieren, nicht mehr besser werden – sie haben ein so genanntes Leistungsplateau erreicht.
Um dieses zu überwinden, müssen sie aus ihrer Trainingsroutine ausbrechen und ihr Training abwechslungsreicher
gestalten, neue, ungewohnte Reize setzen.
Unser Körper ist zwar anpassungsfähig, aber auch sehr
bequem: Er passt sich an, um nicht nochmals überlastet zu
werden; wird er aber nicht regelmäßig gefordert, bleiben
die Reize aus, die Anpassungen bilden sich wieder zurück.
Genau das ist der Grund, warum die erste Ausfahrt im
Frühjahr nicht so leicht fällt wie die letzte im Herbst davor.
Über die Wintermonate wird meistens deutlich weniger
auf dem Rad trainiert, die spezifischen Anpassungen ans
Rennradfahren bleiben aus. Der Schmerz der ersten langen
Ausfahrt ist also völlig normal und kaum vermeidbar – aber
er lohnt sich.
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TUNING DURCH RADSPORT
1.
Leistungsfähiger: das Herz
Aortenbogen
obere Herzvene
rechte
Lungenarterie
linke Lungenarterie
linker Vorhof
rechter Vorhof
linke obere
Lungenvene
Mitralklappe
Trikuspidalklappe
linke untere
Lungenvene
linke Herzkammer
rechte Herzkammer
Herzscheidewand
Herzbeutel
Herzmuskel
untere Hohlvene
absteigende
Brustschlagader
E
in Sportherz kann bis zu doppelt so viel leisten wie ein normales Herz – anders würde es die im Radsport geforderten hohen
Belastungen gar nicht verkraften.
„Entscheidend ist, dass sich das Herz durch Radtraining harmonisch vergrößert, alle vier Herzhohlräume, also die beiden Vorhöfe
und die beiden Kammern, erweitern sich gleichmäßig. Die Herzwand verstärkt sich, der ganze Muskel wird größer und kräftiger“,
erklärt Dr. Robert Eifler. Das Gewicht einer solchen Hochleistungsmaschine kann bis zu 500 Gramm betragen – normal sind etwa 350
Gramm. Durch die Vergrößerung erhöht sich auch das Herzminutenvolumen, sozusagen der Hubraum des Herzens: Das Produkt
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aus Schlagvolumen und Herzfrequenz liegt bei Trainierten wie Untrainierten in Ruhe bei etwa fünf Litern. Allerdings muss das Herz
des Trainierten für die Ruheversorgung deutlich seltener schlagen:
Bei Radprofis wurden schon Ruheherzfrequenzen von etwa 30
Schlägen pro Minute gemessen. Unter Belastung kann der Untrainierte durch eine Steigerung der Herzfrequenz ein Herzminutenvolumen bis zu 20 Litern erreichen, ein Radsportler kann durch
sein größeres Schlagvolumen bis zu 40 Liter Blut pro Minute durch
den Kreislauf pumpen. Zusätzlich verbessert sich beim trainierten
Herzen die Kapillarisierung, das heißt, das Netz der versorgenden
Blutgefäße wird dichter, die Zahl der Blutgefäße nimmt zu.
2.
Effektiver: die Atmung
Luftröhre
Bronchien
Bronchiolen
Alveolen
Zwischenrippenmuskulatur
A
nders als beim Herzen ist es nicht die Lunge selbst, die durch
regelmäßiges Radtraining größer wird. Vielmehr arbeitet die
sie umgebende Atemmuskulatur deutlich effektiver. „Die Größe
der Lunge und ihr Volumen ist zum Großteil angeboren und kaum
beeinflussbar. Je kräftiger und ausdauernder aber die Atemmuskulatur arbeitet, desto effizienter funktioniert die Atmung und damit
die Sauerstoffversorgung der Muskulatur“, erklärt Robert Eifler.
Die wichtigsten dieser Atemmuskeln sind das Zwerchfell und die
Zwischenrippenmuskulatur. Beim Einatmen kontrahieren sie, das
Volumen des Brustkorbes wird größer. Ausgeatmet wird, wenn die
Muskulatur in ihre Ausgangsposition zurückkehrt. Ausdauer-
Zwerchfell
trainierte steigern unter Belastung das Atemzugvolumen, atmen
also tiefer ein und nehmen so mehr Sauerstoff auf. Nichtsportler
kompensieren den erhöhten Sauerstoffbedarf hingegen durch
erhöhte Atemfrequenz. Die tiefere Atmung hat gegenüber der
schnelleren Atmung deutliche Vorteile, jeder einzelne Atemzug ist
effektiver. Außerdem haben sie ein besseres Atemäquivalent.
Dieser Wert gibt an, wie viele Liter Luft durch die Lunge geschleust
werden müssen, um einen Liter Sauerstoff ins Blut aufzunehmen.
Bei Radsportlern kann dieser Wert an der Dauerleistungsgrenze bei
ca. 20 liegen, sie brauchen also 20 Liter Luft, um einen Liter Sauerstoff zu gewinnen, bei Untrainierten liegt der Wert deutlich höher.
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3.
Kräftiger: die Muskeln
R
Schenkelbindenspanner
Muskelfaser
Muskel-Faszie
Myofibrille
Muskelfaserbündel
Aktinfilamente
Myosinfilamente
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adsportler trainieren sich –
die Sprint-Spezialisten ausgenommen – keine riesigen
Muskelberge an. Jede einzelne
Muskelzelle arbeitet aber effektiver als die eines Untrainierten.
„Ausdauertrainierte Muskeln
haben eine deutlich bessere Kapillarisierung als untrainierte
Muskeln, das Netz der versorgenden Blutgefäße ist dichter, ihre
Zahl größer“, beschreibt Eifler
den wichtigsten Anpassungsmechanismus der Muskulatur.
„Die Muskelzellen können dem
vorbeiströmenden Blut deutlich
mehr Sauerstoff entnehmen, das
Sauerstoffangebot also besser
nutzen.“ Daher haben Radsportler eine deutlich höhere maximale Sauerstoffaufnahmekapazität
(VO2max), sie können Werte von
75-80 Milli liter (ml) pro Kilogramm Körpergewicht erreichen,
Untrainierte erreichen etwa 50
ml/kg. Die VO2max gibt an, wieviel Sauerstoff bei voller körperlicher Auslastung umgesetzt
werden kann.
Eine weitere Anpassung der
Muskulatur an regelmäßiges
Radtraining ist eine verbesserte
lokale Muskelausdauer – das
heißt, der Muskel ermüdet langsamer. Das geschieht durch optimierte Stoffwechselprozesse,
Sauerstoff wird schnell und
maximal aufgenommen, Stoffwechselendprodukte wie etwa
Milchsäure (Laktat) werden zügig
abgebaut. Durch die ständig sich
wiederholende Tret bewegung
verbessert sich zusätzlich besonders in der Beinmuskulatur die
Feinmotorik, die so genannte
intramuskuläre Koordination –
also das Zusammenspiel zwischen Nerven und Muskeln.
Aber auch untereinander arbeiten
die einzelnen Muskelgruppen
harmonischer zusammen, was
man als intermuskuläre Koordination bezeichnet.
4.
Ökonomischer: die Zellen
Lysosom
(Zellverdauungsorgan)
Zellmembran
Ribosomen
(stellen Eiweiß her)
Endoplasmasmatisches
Retikulum
Zellfilamente
Golgi-Apparat
Zellkern
(enthält
Erbinformation)
Zytoplasma
Enzymsystem zum
Zerlegen von Fettsäuren
& Zuckermolekülen
Mitochondrium
Cristae
innere Wandschicht
äußere Wandschicht
D
ie beiden wichtigsten Anpassungsprozesse in den Zellen
sind eine Querschnittsvergrößerung (beispielsweise bei der
Muskelzelle) und eine enorme Ökonomisierung aller in diesen
kleinen Mikroorganismen ablaufenden Stoffwechselprozesse.
Dafür sind hauptsächlich die Mitochondrien, die „Kraftwerke“ der
Zelle, verantwortlich. Ihre Anzahl erhöht sich durch Ausdauertraining deutlich. Dadurch kann jede einzelne Zelle mehr leisten
und effektiver arbeiten. Mitochondrien liefern die Energie für
alle in der Zelle ablaufenden Prozesse. Sie enthalten eigene Erbsubstanz und verbrennen mit Hilfe von Sauerstoff organische
Stoffe wie Fette, Zucker oder Proteine. So erzeugen sie ATP, den
Kraftstoff der Zellen. Mitochondrien befinden sich auch in den
Muskelzellen – dort kann das hergestellte ATP, das für jede
Muskelkontraktion notwendig ist, sofort verbraucht werden. Im
Herzmuskel befinden sich besonders viele Mitochondrien – etwa
10.000 pro Muskelzelle. Um sich die enorme Arbeitsleistung der
Mitochondrien besser vorstellen zu können: Jedes Mitochondrium
enthält etwa 10 Billionen Enzymmoleküle, von denen wiederum
jedes einzelne Millionen von Reaktionsabläufen pro Minute auslösen kann.
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