Jetzt "zur privaten Nutzung" downloaden
Transcrição
Jetzt "zur privaten Nutzung" downloaden
RUBRIK FITNESS-SPEZIAL | BODYTUNING 16 TOUR 2/ 2007 KÖRPERWELTEN Radfahren macht fit. Aber warum eigentlich? Und was bedeutet fit überhaupt? Was passiert mit dem Körper durch regelmäßiges Radtraining? Diesen Fragen sind wir nach- und dabei ganz nah an vier Schlüsselstellen des Körpers herangegangen TEXT: EVA STAMMBERGER FOTOS: JAN GREUNE ILLUSTRATIONEN: JOHANNES REINER, VOR-ZEICHEN J edes Jahr das Gleiche. Sobald die ersten Sonnenstrahlen den Frühling ankündigen, holen Rennradler ihre Räder aus dem Keller, machen ihre erste Ausfahrt – und bekommen Schmerzen. Der Hintern tut weh, von bleischweren Beinen am Tag danach ganz zu schweigen. Trotzdem stellen sie ihr Rad nicht zurück in den Keller, sondern freuen sich auf die nächste Runde. Warum bloß? Weil sie jedes Frühjahr die gleiche Erfahrung machen: Nach dem ersten Schmerz kommt der Spaß. „Das macht einen Großteil der Faszination Rennradfahren aus“, erklärt Dr. Robert Eifler, Internist am Sportmedizinischen Institut in Frankfurt. „Viele wollen durch Radfahren abnehmen, aber trotzdem Spaß dabei haben. Das kann Rennradeln leisten, das weiß jeder, der schon einmal bei schönem Wetter eine ruhige Landstraße entlang gesaust ist“, sagt Eifler, der selbst begeisterter Rennradler ist. „Außerdem eignet sich Rennradfahren besonders gut als Ausdauertraining, man absolviert viele lange und ruhige Einheiten, das gibt eine gute Grundlage, man wird körperlich fit“, ergänzt er. Aber was bedeutet überhaupt „fit“? Übersetzt heißt es ganz einfach „passend“ oder „angepasst“ – und genau das ist es, was mit dem Körper durch regelmäßiges Training geschieht. Ungewohnte Belastungen, wie eben die erste Ausfahrt des Jahres, überfordern den Körper zunächst. Um nicht nochmals in diese Verlegenheit zu geraten, merkt er sich diese Belastung und passt sich daran an, um beim nächsten Mal besser darauf vorbereitet zu sein. Diese Fähigkeit unseres Körpers ist die Voraussetzung dafür, dass wir überhaupt gezielt trainieren können. Werden Trainingsreize wiederholt gesetzt, können wir sie immer besser verarbeiten – der Muskelkater gehört schon nach wenigen Ausfahrten der Vergangenheit an. Und genau das spüren besonders Rennrad-Neulinge. Ihr Tritt wird runder, da die Muskulatur effizienter arbeitet, die Atmung wird ruhiger, weil die Atemtechnik verbessert und die Atemmuskulatur gekräftigt wird. Die Haltung wird entspannter, weil sich die Rumpfmuskulatur, die den Oberkörper auf dem Rad halten muss, anpasst. Durch regelmäßiges und längerfristiges Radtraining passt sich nach und nach der ganze Körper ans Rennradfahren an: Das Herz wird größer und leistungsfähiger, die Atemmuskulatur arbeitet effektiver und kann die Lunge besser unterstützen, die Muskulatur – besonders die der Beine – wird kräftiger und ausdauernder. Bis hin zu den kleinsten Einheiten des Körpers, den Zellen, finden solche Anpassungsprozesse statt. Das Herzkreislaufsystem reagiert gerade bei Anfängern recht schnell auf die neue Belastung, nach etwa drei Monaten sind sie bereits deutlich leistungsfähiger. Bis sich ein Herz zum Sportherz entwickelt und vergrößert, braucht es hingegen mehrere Jahre. Während Anfänger schon nach kurzer Zeit auf dem Rennrad große Fortschritte machen, müssen sich Leistungssportler ab einem bestimmten Niveau jede weitere Verbesserung mühsam erarbeiten. „Aber hat man einmal ein solches Niveau erreicht, ist man schon so vom Rennradfieber gepackt, dass man das gerne in Kauf nimmt“, ist Robert Eifler überzeugt. Einen Großteil ihres Trainings müssen Leistungssportler investieren, um ihr Niveau zu halten, denn wenn sie nicht trainieren, bilden sich alle Anpassungen des Körpers wieder zurück – sie werden ja vermeintlich nicht mehr benötigt. Um sich weiter zu verbessern, müssen sie deutlich mehr und teilweise auch eheblich intensiver trainieren, um die Reizschwelle des Körpers zu überschreiten. Je höher das Leistungsniveau, desto schwieriger wird es, besser zu werden. Viele Radprofis erreichen irgendwann einmal einen Punkt, an dem sie, egal wie sie ihr gewohntes Training weiter steigern oder intensivieren, nicht mehr besser werden – sie haben ein so genanntes Leistungsplateau erreicht. Um dieses zu überwinden, müssen sie aus ihrer Trainingsroutine ausbrechen und ihr Training abwechslungsreicher gestalten, neue, ungewohnte Reize setzen. Unser Körper ist zwar anpassungsfähig, aber auch sehr bequem: Er passt sich an, um nicht nochmals überlastet zu werden; wird er aber nicht regelmäßig gefordert, bleiben die Reize aus, die Anpassungen bilden sich wieder zurück. Genau das ist der Grund, warum die erste Ausfahrt im Frühjahr nicht so leicht fällt wie die letzte im Herbst davor. Über die Wintermonate wird meistens deutlich weniger auf dem Rad trainiert, die spezifischen Anpassungen ans Rennradfahren bleiben aus. Der Schmerz der ersten langen Ausfahrt ist also völlig normal und kaum vermeidbar – aber er lohnt sich. TOUR 2/ 2007 17 RUBRIK FITNESS-SPEZIAL | BODYTUNING TUNING DURCH RADSPORT 1. Leistungsfähiger: das Herz Aortenbogen obere Herzvene rechte Lungenarterie linke Lungenarterie linker Vorhof rechter Vorhof linke obere Lungenvene Mitralklappe Trikuspidalklappe linke untere Lungenvene linke Herzkammer rechte Herzkammer Herzscheidewand Herzbeutel Herzmuskel untere Hohlvene absteigende Brustschlagader E in Sportherz kann bis zu doppelt so viel leisten wie ein normales Herz – anders würde es die im Radsport geforderten hohen Belastungen gar nicht verkraften. „Entscheidend ist, dass sich das Herz durch Radtraining harmonisch vergrößert, alle vier Herzhohlräume, also die beiden Vorhöfe und die beiden Kammern, erweitern sich gleichmäßig. Die Herzwand verstärkt sich, der ganze Muskel wird größer und kräftiger“, erklärt Dr. Robert Eifler. Das Gewicht einer solchen Hochleistungsmaschine kann bis zu 500 Gramm betragen – normal sind etwa 350 Gramm. Durch die Vergrößerung erhöht sich auch das Herzminutenvolumen, sozusagen der Hubraum des Herzens: Das Produkt 18 TOUR 2/ 2007 aus Schlagvolumen und Herzfrequenz liegt bei Trainierten wie Untrainierten in Ruhe bei etwa fünf Litern. Allerdings muss das Herz des Trainierten für die Ruheversorgung deutlich seltener schlagen: Bei Radprofis wurden schon Ruheherzfrequenzen von etwa 30 Schlägen pro Minute gemessen. Unter Belastung kann der Untrainierte durch eine Steigerung der Herzfrequenz ein Herzminutenvolumen bis zu 20 Litern erreichen, ein Radsportler kann durch sein größeres Schlagvolumen bis zu 40 Liter Blut pro Minute durch den Kreislauf pumpen. Zusätzlich verbessert sich beim trainierten Herzen die Kapillarisierung, das heißt, das Netz der versorgenden Blutgefäße wird dichter, die Zahl der Blutgefäße nimmt zu. 2. Effektiver: die Atmung Luftröhre Bronchien Bronchiolen Alveolen Zwischenrippenmuskulatur A nders als beim Herzen ist es nicht die Lunge selbst, die durch regelmäßiges Radtraining größer wird. Vielmehr arbeitet die sie umgebende Atemmuskulatur deutlich effektiver. „Die Größe der Lunge und ihr Volumen ist zum Großteil angeboren und kaum beeinflussbar. Je kräftiger und ausdauernder aber die Atemmuskulatur arbeitet, desto effizienter funktioniert die Atmung und damit die Sauerstoffversorgung der Muskulatur“, erklärt Robert Eifler. Die wichtigsten dieser Atemmuskeln sind das Zwerchfell und die Zwischenrippenmuskulatur. Beim Einatmen kontrahieren sie, das Volumen des Brustkorbes wird größer. Ausgeatmet wird, wenn die Muskulatur in ihre Ausgangsposition zurückkehrt. Ausdauer- Zwerchfell trainierte steigern unter Belastung das Atemzugvolumen, atmen also tiefer ein und nehmen so mehr Sauerstoff auf. Nichtsportler kompensieren den erhöhten Sauerstoffbedarf hingegen durch erhöhte Atemfrequenz. Die tiefere Atmung hat gegenüber der schnelleren Atmung deutliche Vorteile, jeder einzelne Atemzug ist effektiver. Außerdem haben sie ein besseres Atemäquivalent. Dieser Wert gibt an, wie viele Liter Luft durch die Lunge geschleust werden müssen, um einen Liter Sauerstoff ins Blut aufzunehmen. Bei Radsportlern kann dieser Wert an der Dauerleistungsgrenze bei ca. 20 liegen, sie brauchen also 20 Liter Luft, um einen Liter Sauerstoff zu gewinnen, bei Untrainierten liegt der Wert deutlich höher. TOUR 2/ 2007 19 RUBRIK FITNESS-SPEZIAL | BODYTUNING 3. Kräftiger: die Muskeln R Schenkelbindenspanner Muskelfaser Muskel-Faszie Myofibrille Muskelfaserbündel Aktinfilamente Myosinfilamente 20 TOUR 2/ 2007 adsportler trainieren sich – die Sprint-Spezialisten ausgenommen – keine riesigen Muskelberge an. Jede einzelne Muskelzelle arbeitet aber effektiver als die eines Untrainierten. „Ausdauertrainierte Muskeln haben eine deutlich bessere Kapillarisierung als untrainierte Muskeln, das Netz der versorgenden Blutgefäße ist dichter, ihre Zahl größer“, beschreibt Eifler den wichtigsten Anpassungsmechanismus der Muskulatur. „Die Muskelzellen können dem vorbeiströmenden Blut deutlich mehr Sauerstoff entnehmen, das Sauerstoffangebot also besser nutzen.“ Daher haben Radsportler eine deutlich höhere maximale Sauerstoffaufnahmekapazität (VO2max), sie können Werte von 75-80 Milli liter (ml) pro Kilogramm Körpergewicht erreichen, Untrainierte erreichen etwa 50 ml/kg. Die VO2max gibt an, wieviel Sauerstoff bei voller körperlicher Auslastung umgesetzt werden kann. Eine weitere Anpassung der Muskulatur an regelmäßiges Radtraining ist eine verbesserte lokale Muskelausdauer – das heißt, der Muskel ermüdet langsamer. Das geschieht durch optimierte Stoffwechselprozesse, Sauerstoff wird schnell und maximal aufgenommen, Stoffwechselendprodukte wie etwa Milchsäure (Laktat) werden zügig abgebaut. Durch die ständig sich wiederholende Tret bewegung verbessert sich zusätzlich besonders in der Beinmuskulatur die Feinmotorik, die so genannte intramuskuläre Koordination – also das Zusammenspiel zwischen Nerven und Muskeln. Aber auch untereinander arbeiten die einzelnen Muskelgruppen harmonischer zusammen, was man als intermuskuläre Koordination bezeichnet. 4. Ökonomischer: die Zellen Lysosom (Zellverdauungsorgan) Zellmembran Ribosomen (stellen Eiweiß her) Endoplasmasmatisches Retikulum Zellfilamente Golgi-Apparat Zellkern (enthält Erbinformation) Zytoplasma Enzymsystem zum Zerlegen von Fettsäuren & Zuckermolekülen Mitochondrium Cristae innere Wandschicht äußere Wandschicht D ie beiden wichtigsten Anpassungsprozesse in den Zellen sind eine Querschnittsvergrößerung (beispielsweise bei der Muskelzelle) und eine enorme Ökonomisierung aller in diesen kleinen Mikroorganismen ablaufenden Stoffwechselprozesse. Dafür sind hauptsächlich die Mitochondrien, die „Kraftwerke“ der Zelle, verantwortlich. Ihre Anzahl erhöht sich durch Ausdauertraining deutlich. Dadurch kann jede einzelne Zelle mehr leisten und effektiver arbeiten. Mitochondrien liefern die Energie für alle in der Zelle ablaufenden Prozesse. Sie enthalten eigene Erbsubstanz und verbrennen mit Hilfe von Sauerstoff organische Stoffe wie Fette, Zucker oder Proteine. So erzeugen sie ATP, den Kraftstoff der Zellen. Mitochondrien befinden sich auch in den Muskelzellen – dort kann das hergestellte ATP, das für jede Muskelkontraktion notwendig ist, sofort verbraucht werden. Im Herzmuskel befinden sich besonders viele Mitochondrien – etwa 10.000 pro Muskelzelle. Um sich die enorme Arbeitsleistung der Mitochondrien besser vorstellen zu können: Jedes Mitochondrium enthält etwa 10 Billionen Enzymmoleküle, von denen wiederum jedes einzelne Millionen von Reaktionsabläufen pro Minute auslösen kann. TOUR 2/ 2007 21