schwarze schafe auf dem bio-acker

Transcrição

schwarze schafe auf dem bio-acker
ROHSTOFFE
ERHÖHTE MARKTCHANCEN
Biologisch abbaubare Copolyester veredeln Produkte aus nachwachsenden
Rohstoffen und eröffnen ihnen so neue
Märkte. Aus derartigen Produkten lassen
sich zum Beispiel hochwertige, zug- und
reißfeste, vollständig biologisch abbaubare Folien herstellen. Sowohl nachwachsende Rohstoffe als auch der abbaubare Copolyester Ecoflex sind nach
der Industrienorm DIN EN 13432 zertifiziert. Sie regelt exakt, was „biologisch
abbaubar“ genannt werden darf.
SCHWARZE SCHAFE AUF DEM BIO-ACKER
BIOLOGISCH ABBAUBARE KUNSTSTOFFE Biomülltüten, die man samt Inhalt auf den Kompost werfen kann,
Lebensmittelverpackungen aus kompostierbaren Kunststoffen: leistungsfähige biologisch abbaubare Werkstoffe machen’s möglich. Was genau unter „abbaubar“ zu verstehen ist, das regeln strenge Normen, die mehr
Sicherheit schaffen. Aber: Auf diesem Markt sind auch Produkte zu finden, die diese Normen nicht erfüllen.
K
onsumenten honorieren heute
ökologisch unbedenkliche Produkte. Bei einer Umfrage, die die
Interessengemeinschaft Biologisch Abbaubare Werkstoffe e.V. (IBAW) im Jahr
2001 unter Kasseler Bürgern durchführen ließ, fanden neun von zehn Befragten die Idee, herkömmliche Kunststoffverpackungen durch kompostierbare zu
Autor
Dr. Oliver Pelz, Öko-Toxikologe; Dr. Heli Miriam Hollnagel, Toxikologin; Dietmar Heufel,
Leiter Global Business Management Biodegradable Polymers, BASF AG, Ludwigshafen;
Dr. Johann Fritz, Universität für Bodenkultur
Wien, Department für Agrarbiotechnologie,
Institut für Umweltbiotechnologie, Tulln
68
Plastverarbeiter ‚ November 2005
ersetzen, „gut“ oder sogar „sehr gut“. Eine Einstellung, die reale Folgen hat: 80%
der Befragten lobten nicht nur der Idee,
sondern gaben auch den vorhandenen
biologisch abbaubaren Verpackungswerkstoffen Bestnoten. Wichtiger noch:
87% würden sie wieder kaufen.
Marktpotenzial für Biokunststoffe
Biologisch abbaubare Werkstoffe (BAW)
– auch „Biokunststoffe“ genannt – beginnen sich zu einem eigenständigen Marktsegment zu entwickeln. Ist der Marktanteil der BAWs derzeit noch gering, sehen
Experten jährlich zweistellige Zuwachsraten. Weltweit bestehen nach IBAWAngaben derzeit Produktionskapazitäten
für über 250 000 Jahrestonnen Biokunststoffe; allein in der europäischen
Union wurden im Jahr 2003 rund 40 000
Tonnen Produkte aus biologisch abbaubaren Werkstoffen verbraucht. Auch der
deutsche Gesetzgeber hat die Signale inzwischen klar auf abbaubare Werkstoffe
gestellt: In der kürzlich verabschiedeten
Novelle der Verpackungsverordnung
sind zertifizierte „Bioverpackungen“, unabhängig von der Rohstoffbasis, bis 2012
von der teuren, flächendeckenden Verwertung befreit. Außerdem werden keine weiteren Vorgaben hinsichtlich Verwertungsquoten und Verwertungswegen
gestellt – für den Handel eine weitere
Motivation, in Zukunft noch stärker auf
diese Werkstoffe zu setzen. Eine Anpassung der Bioabfall- und Düngemittelverordnung gemäß der aktuell novellierten
Verpackungsverordnung wäre der nächste Schritt, um BAWs kostengünstig über
die Biotonne zu entsorgen oder als Kom-
Biologisch abbaubare Copolyester veredeln Produkte aus
nachwachsenden Rohstoffen: Sie machen zum Beispiel Schalen aus sogenannten Stärke-Blends durchstoßsicher und wasserfest. Nach Gebrauch können sie einfach auf den Kompost
gegeben werden.
In ihren Verarbeitungseigenschaften kommen biologisch abbaubare Kunststoffe dem PE-LD/PE-LLD bereits sehr nahe: Sie lassen
sich sogar auf denselben Anlagen verarbeiten.
post auf landwirtschaftlichen Flächen zu
verwenden.
Das Spektrum der Kunststoffe, die
heute mit dem Argument „biologisch abbaubar“ vermarktet werden dürfen, umfasst im wesentlichen zwei Produktgruppen. Da gibt es zum einen Werkstoffe, die
klassisch aus nachwachsenden Rohstoffen gewonnen werden – etwa aus Stärke,
Cellulose oder Polymilchsäure. Anwendungen sind unter anderem Tragetaschen, Biomüllbeutel oder verschiedene
Lebensmittelverpackungen.
In ihrer Funktionalität verbessert werden nachwachsende Rohstoffe durch die
zweite Produktgruppe: Kunststoffe, die
auf petrochemischer Basis hergestellt
werden, jedoch gezielt so entwickelt
wurden, dass sie unter Kompostbedingungen abgebaut werden: Zum Beispiel
der biologisch vollständig abbaubare
Copolyester Ecoflex der BASF AG,
Ludwigshafen,
dessen
rückstandsfreie Abbaubarkeit in ausführlichen
Untersuchungen belegt werden konnte.
Als Zusatzkomponente in Blends eröffnet Ecoflex den nachwachsenden
Rohstoffen neue Marktpotenziale, denn
aus derartigen Produkten lassen sich zum
Beispiel hochwertige, zug- und reißfeste,
gleichwohl vollständig biologisch abbaubare Folien herstellen – auf denselben
Plastverarbeiter ‚ November 2005
69
ROHSTOFFE
Anlagen, die auch zur Verarbeitung von
Polyolefinen geeignet sind. Anwendungsgebiete sind auch hier Tragetaschen, Biomüllbeutel, Agrarfolien oder
Lebensmittelverpackungen. Eine Ecoflex-Beschichtung etwa macht Papier,
Pappe oder Stärkeschaum robuster und
schützt vor Fett, Feuchtigkeit und Temperaturschwankungen – Eigenschaften,
die für die Herstellung von FastFood-Verpackungen,
Kaffeebecher,
Fleisch-,
Fisch-, Geflügel-, Obst- oder Gemüseverpackungen, Lebensmittelschalen und
Menüboxen unabdingbar sind.
Europäische Normen
Sowohl nachwachsende Rohstoffe als
auch der abbaubare Copolyester Ecoflex
sind nach der Industrienorm DIN EN
13432 zertifiziert. Sie regelt exakt, was
„biologisch abbaubar“ genannt werden
darf: So sind Kunststoffe vollständig biologisch abbaubar, wenn mindestens 90
Prozent des organischen Kohlenstoffs des
Materials in einem Prüfzeitraum von maximal 180 Tagen umgesetzt worden sind.
Die hier geforderte Zeitspanne von maximal sechs Monaten bis zu einem Abbaugrad von 90 Prozent ist durchaus sinnvoll: Sie entspricht der Zeit, die Abfälle in
der Regel in einer industriellen Kompostieranlage verbringen.
Problem Kobaltsalze
Mit dem Begriff „abbaubar“ versuchen
jetzt auch sogenannte „Oxo-Polymere“
oder „Oxo-Degradables“ auf dem deutschen Markt Fuß zu fassen. Es handelt
sich im Prinzip um klassische Standardkunststoffe wie Polyethylen. Das mag erstaunen, denn diese Kunststoffe wurden
schließlich auf höchste Lebensdauer und
Robustheit getrimmt – und nicht auf biologische Abbaubarkeit. Tatsächlich muss
man hier etwas nachhelfen. Dies ge-
Das bekannte Kompostierbarkeitskennzeichen dürfen nur
Produkte tragen, die biologisch vollständig abgebaut werden können. (Grafik: IBAW)
schieht durch chemische Zusätze, die die
langen Kettenmoleküle etwa des Polyethylens nach und nach in kleinere Fragmente zerfallen lassen. Die allmähliche
Fragmentierung geschieht durch Oxydation, also gezielte Reaktion mit Sauerstoff in Gegenwart spezieller Katalysatoren – daher der Name „Oxo-Polymere“.
Obwohl die detaillierte Regelung in
der DIN EN 13432 für Klarheit sorgt, gibt
es im Umgang mit dem Begriff „biologisch abbaubar“, gerade bei den Oxo-Polymeren, die nicht nach dieser Norm zertifiziert sind, eine Reihe offener Fragen.
Herauszufinden, ob zum Beispiel Mulchfolien, die auch Verwendung in der Landwirtschaft finden, in den geforderten
sechs Monaten tatsächlich vollständig,
im Sinne der Norm, zerfallen, ist eine
schwierige Aufgabe. Denn das Fehlen
von sichtbar größeren Folienstücken bedeutet nicht, dass nicht doch noch mikroskopisch kleine Flocken vorhanden sind
– und im Ackerboden nicht weiter abgebaut werden. Wie die aus diesen Kunststofffolien gebildeten Polymerbruchstücke, beschaffen sind, wird derzeit untersucht. Detaillierte Studien, die die Universität für Bodenkultur in Wien durchgeführt hat, ergaben jedoch Anhaltspunkte, dass gewisse Abbau- oder Stoffwechselzwischenprodukte von Oxo-Polymeren ökologisch problematisch sein
könnten. Gleiches gilt auch für Tragetaschen aus Oxo-Polymeren, die über
Kompostierwerke entsorgt werden und
so auch auf den Acker gelangen.
In manchen Additivmischungen, die
den Abbau von Oxo-Polymeren erleichtern sollen, wurden erhebliche Mengen
des Schwermetalls Kobalt nachgewiesen.
Insbesondere organische Kobalt-(II)-Salze sind nachgewiesen ein konstanter Bestandteil dieser Oxo-Additive. Diese Metallverbindungen helfen, Polyolefine zu
zersetzen, sind in der EU jedoch teilweise
als „beim Menschen potenziell Krebs erregend“ und „umweltgefährlich – sehr
giftig für Wasserorganismen“ eingestuft
worden.
Kontakt mit Additivstaub
Die hohen Kobalt-Gehalte werfen nicht
nur Fragen nach einer allmählichen Anreicherung dieses Schwermetalls in der
natürlichen Umwelt auf. Auch im Lichte
der Arbeitssicherheit beim Verarbeiter
oder Compoundeur ergibt sich Diskussionsbedarf: Inwieweit Mitarbeiter durch
den Kontakt mit Additivstäuben oder
Kobalt-Emissionen aus heißen, additivierten Folien geschädigt werden können, bedarf noch der toxikologischen
Klärung – ebenso, welcher Aufwand getrieben werden muss, um Mitarbeiter auf
allen Produktionsstufen angemessen zu
schützen.
Wer als Verarbeiter und Käufer auf der
sicheren Seite sein will, dem helfen Produktzertifikate. Die DIN EN 13432 und
andere nationale Normen wie etwa die
ASTM D6400–04 (USA) schaffen Rechtssicherheit und sorgen für Schutz von
Umwelt und Gesundheit. Nachwachsende Rohstoffe und vollständig abbaubare
Copolyester wie Ecoflex sowie dessen
Blends erfüllen diese Normen.
Was wird aus biologisch abbaubaren Kunststoffen im Kompost? Längst nicht alle zersetzen sich wie der Copolyester Ecoflex innerhalb weniger
Wochen vollständig. Hier sollten kritische Verarbeiter und Verbraucher auf die Einhaltung der Norm 13432 achten. (Bilder: BASF AG)
70
Plastverarbeiter ‚ November 2005