PDF - Flüchtlingsrat Niedersachsen
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ISSN 1433-4488 H 43527 Ausgabe 7+8/01 Heft 80/81 Oktober 2001 FLÜCHTLINGSRAT Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen Krieg gegen Flüchtlinge ? • Terror in New York und die Folgen • Schily-Entwurf • EU Flüchtlingspolitik Editorial Derzeit wird alles von den Terroranschlägen in den USA und den Vorbereitungen zu einem Vergeltungsschlag überschattet. Wir sind entsetzt über das schreckliche menschenverachtende Ausmaß dieser Terroranschläge und trauern um die Opfer. Wir verurteilen jedoch die Pläne der USA einen "Kreuzzug gegen den internationalen Terrorismus" (Bush) sprich den Islamischen Fundamentalismus zu führen. Krieg kann niemals eine Lösung sein und führt nur zu einer Weiterführung der Gewaltspirale. Obwohl überhaupt nicht klar ist, wer wirklich hinter den Anschlägen steckt, ist der Gegner bereits ausgemacht: nicht nur Usama Bin Laden, sondern alle Länder, die "Gastgeber von Terroristen" sind. Opfer dieses "Kreuzzugs" wird wie immer die Zivilbevölkerung sein. Eins der ersten Ziele wird wahrscheinlich Afghanistan sein, dabei haben die USA einst selbst durch ihre pro-fundamentalistische Politik den Bürgerkrieg und das Regime der Taliban unterstützt. Nun wird die unterdrückte Bevölkerung Afghanistans zum zweiten Mal Opfer der amerikanischen Politik: die Kriegsvorbereitungen haben bereits eine Massenflucht ausgelöst. Auch die BRD wird sich an den militärischen Vergeltungsschlägen beteiligen - in welchem Ausmass ist noch offen. Es bleibt nur zu hoffen, dass hier wieder eine breite Antikriegsbewegung entsteht. Es ist gerade eine ideale Gelegenheit, um die Militarisierung und Abschottung der BRD und der EU weiter voranzutreiben. Die Umwandlung der Bundeswehr in eine Interventionsarmee und der Aufbau einer EU-Armee dienen der Aufrechterhaltung deutscher bzw. europäischer "Interessen" weltweit. Neben Terroristen, Drogendealern, islamischen Fundamentalisten, organisierten Kriminellen werden auch Flüchtlinge als Bedrohungspotential definiert (S.9). Bereits im Kosovo-Krieg konnten die Militärs ihre Rolle bei der Flüchtlingsabwehr unter Beweis stellen, indem sie unter humanitären Deckmantel Flüchtlingslager in Albanien und Mazedonien einrichteten, um die Flüchtlinge daran zu hindern in die EU-Staaten zu fliehen -die praktische Umsetzung des Konzeptes "Regionalisierung der Flüchtlingsaufnahme" (S.26). Durch die paramilitärische Absicherung der EU-Aussengrenzen und deren Vorverlagerung in Transitstaaten (S.21) soll ein von konzentrischen Kontrollringen umgebenes "Kern-Europa" geschaffen werden. Von einem gemeinsamen Asylrecht ist die EU allerdings noch weit entfernt. Insbesondere Deutschland betätigt sich immer wieder als Bremsblock bei den im Vergleich zum deutschem Asylrecht liberaleren Richtlinienvorschlägen der Kommission (S.15). Aufgrund der rassistischen Hetze ist zu befürchten, dass das zukünftige gemeinsame Asylrecht sehr restriktiv ausfallen wird. Auch innenpolitisch werden in Deutschland "scharfe Geschütze" aufgefahren. PolitikerInnen nutzen die derzeitige Lage dazu, um Grund- und Freiheitsrechte weiter zu beschneiden. "Individuelle Freiheitsrechte der Bürger, die wir noch vor zehn Jahren betont haben, müssen künftig hinter der öffentlichen Sicherheit zurückstehen" erklärte der nds. Innenminister Heiner Bartling. Unter Beschuß stehen vor allem Flüchtlinge und MigrantInnen, gegen die täglich neue Restriktionen gefordert werden. Der von vielen Seiten scharf kritisierte und abgelehnte Gesetzesentwurf von Schily zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung (S.32ff.), wird vor diesem Hintergrund wahrscheinlich ohne großen Widerstand verabschiedet werden. Was abgelehnte Flüchtlinge zukünftig bundesweit zu erwarten haben, wenn der Gesetzesentwurf angenommen wird, kann man heute schon im Abschiebelager Bramsche-Hesepe begutachten (S.47). Flüchtlingsorganisationen haben eine Kampagne gegen den Schily-Entwurf initiiert (S.42 und www.stop-schily.de) und rufen zu einer Demonstration am 29.9. in Berlin auf. Die Situation hat sich von heute auf morgen schlagartig verschärft. Um so wichtiger ist es sich gegen den Krieg, die Einschränkung der Grundrechte, die Restriktionen gegen Flüchtlinge und MigrantInnen sowie rassistische Rhetorik auszusprechen und sich an Aktionen zu beteiligen. Edith Diewald 2 FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 73, Dezember 2000 IMPRESSUM Titel: FLÜCHTLINGSRAT Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen Ausgabe: 7+8/01 – Heft 80/81 Oktober 2001 Herausgeber, Verleger Redaktionsanschrift: Förderverein Niedersächsischer Flüchtlingsrat e.V. Lessingstr.1 31135 Hildesheim Tel: 05121-15605 Fax: 05121-31609 [email protected] http://www.nds-fluerat.org Spenden ->Postbank Hannover BLZ: 250 100 30 Kto.-Nr.: 8402-306 Verantwortlich und ViSdP: Edith Diewald c/o Geschäftsstelle Redaktion dieser Ausgabe: Claudia Gayer Dietmar Lousée Justus Reuleaux Kai Weber Annli von Alvensleben Maria Wöste Layout Justus Reuleaux Druck: Druckerei Lühmann Bockenem 1-3 Tausend, Oktober 2001 Erscheinungsweise: 8 Hefte im Jahr auch als Doppelnummer Bezugspreis: Jahres-Abonnement incl. Versandkosten 120 DM (im Mitgliedsbeitrag enthalten) ISSN 1433-4488 © Förderverein Nds. Flüchtlingsrat e.V. Alle Rechte vorbehalten Manuskripte: Wir freuen uns über Manuskripte und Zuschriften. Für unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos und Materialien wird jedoch keine Haftung übernommen. Im Falle des Abdrucks kann die Redaktion kürzen. Manuskripte sollten als Datei (Diskette oder e-Mail) geliefert werden. Wir arbeiten mit MSWORD Namentlich gezeichnete Beiträge geben nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers und der Redaktion wieder. Mit finanzieller Unterstützung der Ausländerbeauftragten des Landes Niedersachsen Titelfoto: Flüchtlinge in Afghanistan INHALT Terroranschläge in den USA S. 4 FESTUNG EUROPA Militarisierung der EU (G. Lutz) Die Union auf dem Weg zu einem gemeinsamen Asylrecht (K. Kopp) Kolonialbeamte der EU (H. Dietrich) Regionalisierung der Flüchtlingsaufnahme (T. Uwer) S. 9 S. 15 S. 21 S. 26 GRUNDRECHT AUF ASYL UND EINWANDERUNG Stellungnahmen zum Entwurf des Zuwanderungsgesetz Das Recht auf polit. Asyl verteidigen! (IMRV, The Voice u.a.) Schließung von Verfahrensberatungsstellen (T. Heek) Einbürgerung mit Hindernissen S. 32 S. 42 S. 43 S. 45 DEPORTATION Modellprojekt Abschiebelager Flüchtlingsprotest im Lager Bramsche-Hesepe Für Roma ist kein Platz mehr (B. Stang) Ermittlungen gegen staatenlose KurdInnen Reisegefährdung für BGS-ler (E. Diewald) Hussein Daoud lebt - Abschiebungen gehen weiter S. 47 S. 50 S. 53 S. 55 S. 61 S. 63 RASSIMUS - ANTIRASSISMUS Unser Land - vielseitig und weltoffen Genua: Siamo tutti Clandestino Im- und Expressionen vom Aktionszelten (A. v. Alvensleben) Residenzpflichtprozeß in Westerstede Erklärung zur rassist. Ermordung unserer Schwester (Black Community in Germany) S. 67 S. 70 S. 72 S. 75 S. 76 KIRCHENASYL Ganz schön mutig (Interview mit Pastor Weusthof) Bleiberecht für die Familie Altekin Kirchenasyl in Hildesheim S. 79 S. 82 S. 84 KURDENVERFOLGUNG Der neue Lagebericht zur Türkei (C. Gayer) Delegationsbericht des IPPNW (G. Penteker) Hungerstreik in Büren (E. Diewald) S. 86 S. 88 S. 90 GETEILTE MEDIZIN Bleiberecht für traumatisierte Flüchtlinge? (H. Hoffmann) Aachener Appell S. 93 S. 98 ASYLBEWERBERLEISTUNGSGESETZ ALDI nimmt keine Gutscheine mehr an Potsdam fordert Abschaffung von Gutscheinen S. 99 S. 99 SERVICE S. 101 MATERIALIEN S. 104 3 Nachruf auf Leo Busch und Horst Manthey Wir trauern um zwei langjährige Mitstreiter des niedersächsischen Flüchtlingsrats, Leo Busch und Horst Manthey, die in diesem Jahr gestorben sind. Leo Busch aus Hildesheim war Mitbegründer und zeitweise auch Vorstandsmitglied des Flüchtlingsrats. Als bekennender Katholik bemühte er sich um den Dialog zwischen den verschiedenen christlichen Religionsgemeinschaften im Rahmen der von ihm geleiteten "Arbeitsgemeinschaft St. Basilius der Große". Dieses Engagement brachte ihn in Kontakt zu verschiedenen Flüchtlingsgruppen, die in Deutschland Schutz vor religiöser Verfolgung suchten (z.B. den assyrischen Christen), und so kam er schließlich zur Flüchtlingsarbeit. Es zeichnete Leo Busch aus, dass er keine Unterschiede zwischen christlichen und anderen Flüchtlingsgruppen machte und unter Bezugnahme auf den Auftrag der Bibel darauf pochte, dass alle Verfolgten und Bedrohten einen Anspruch auf Schutz haben. Er engagierte sich im örtlichen Flüchtlingshilfe-Verein "Asyl e.V.", wo er regelmäßig an Gruppensitzungen teilnahm, die Teestube mitgestaltete, Einzelfälle zur Diskussion stellte und Briefe an Verwaltung und Prominenz verfasste. Ein besonderes Anliegen war ihm das Schicksal der Yesiden, deren Aufenthaltsrecht als Opfer einer Gruppenverfolgung lange Jahre umstritten war. Auch wenn Leo Autoritäten grundsätzlich hochachtete und immer bemüht war, Repräsentanten des öffentlichen Lebens für die Sache der Flüchtlinge zu gewinnen, so konnte er doch auch unglaublich hartnäckig sein und mit seiner in tiefer Religiosität begründeten, unerschütterlichen Überzeugung Konflikte und Auseinandersetzungen aufnehmen. Beim Hildesheimer Domhof waren die Auftritte des zornigen alten Mannes gefürchtet, wenn er ohne Rücksicht auf Sprechstunden, Zuständigkeiten und Dienstwege überraschend vorsprach, auf Defizite der Kirche hinwies und vom Bischof kategorisch die Erfüllung christlicher Pflichten - z.B. in Form einer Gewährung von Kirchenasyl - forderte. Der aktive Einsatz von Leo Busch fand ein jähes Ende, als ihn ein Schlaganfall vor fast drei Jahren ans Bett fesselte. Leo starb im April dieses Jahres nach langer, schwerer Krankheit. Der Tod von Horst Manthey war dagegen nicht vorhersehbar, sondern trat überraschend ein und hinterließ uns bestürzt und fassungslos. Horst starb Mitte Juli 2001 an einem Herzinfarkt während eines Segeltörns. Für viele, die ihn kannten, war Horst das, was man gemeinhin unter einem "guten Kumpel" versteht. Er drängte sich nie in den Vordergrund, aber er hörte zu, wenn man ihn brauchte, und war für eine ganze Reihe von Flüchtlingen eine wichtige Vertrauensperson. Jahrelang engagierte sich Horst neben seiner Arbeit als Betreuer in einer Behinderteneinrichtung im Freundeskreis Asyl Sarstedt, wo er einzelne Flüchtlinge unterstützte und einen Gutscheinumtausch organisierte. Nach seiner Pensionierung im letzten Jahr stürzte Horst sich noch weiter in die Flüchtlingsarbeit. Neben seinem örtlichen Engagement war er häufig bei den Treffen des ökumenischen Netzwerks Kirchenasyl und regelmäßiger Teilnehmer bei Veranstaltungen und Sitzungen des Flüchtlingsrats. In den letzten Jahren versah er das Amt des Kassenprüfers auf den Jahreshauptversammlungen, auch an Vorstandssitzungen nahm Horst oft teil. Leo und Horst waren Repräsentanten der Mahner und Zeitzeugen, für die die Erfahrungen des "3. Reichs" Aufgabe und Verpflichtung darstellten, sich für bedrohte und verfolgte Flüchtlinge zu engagieren. Diese Erfahrung verblasst langsam, allenthalben breiten sich Schlusstrich-Mentalitäten aus, der Kurswert des Asylrechts ist deutlich gefallen. Wir werden ihr Andenken in Erinnerung behalten. Sie werden uns fehlen. Für den Flüchtlingsrat Kai Weber 4 FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Systemische konnotation von Genua bis Niedersachen Terroranschläge in den USA Sieben Thesen zur Lage von Christoph Spehr 1. Das ist kein Krieg. Auch wenn die Dimension der Terroranschläge schockierend ist: Das ist kein Krieg. Bis jetzt noch nicht. Kriege sind bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Staaten oder Bürgerkriegsparteien in einem Land; Krieg erfordert einen bekannten Gegner, dessen militärische Struktur angegriffen werden kann. Das Etikett "Krieg" lenkt ab von der Fragwürdigkeit von blinden Vergeltungsschlägen, die vorwiegend aus symbolischen und innenpolitischen Gründen forciert werden. Es sei daran erinnert, dass z.B. die "Ziele" im Sudan, die 1998 von den USA bombardiert wurden, sich nachträglich als "Irrtum" herausstellten. Terror wird durch Gegenterror nicht bekämpft, und er rechtfertigt ihn nicht. 2. Es kommt jetzt alles darauf an, keinen Krieg daraus zu machen. Die Rhetorik vom Krieg und die Politik des Gegenschlags spielt in leichtfertiger Weise mit der Gefahr eines tatsächlichen Krieges, vor allem eines Krieges zwischen dem Westen und arabischen Ländern. Zweifellos geht Terror in der Welt auch vom Boden der USA und Europas aus; dass eine Bombardierung entsprechender "Zentren" nicht verständnisvoll hingenommen werden kann, erleben wir gerade. Dasselbe gilt für Länder in Asien, Afrika oder Nahost aber auch. Aktuell ist es der Westen, der einen Angriffskrieg gegen arabische Staaten vorbereitet, der bereits als Krieg des Guten gegen das Böse abgefeiert wird. Die Geschwindigkeit, mit der angebliche "Erkenntnisse" produziert werden, ist mehr als fragwürdig. Die Leichtfertigkeit, mit der das Risiko eines tatsächlichen Krieges in Kauf genommen wird, ist ebenso schockierend wie das Desinteres- se an den Menschen, deren Leben direkt und indirekt gefährdet wird. 3. Das ist kein Anschlag gegen die Freiheit, nicht einmal gegen den Kapitalismus, und es läßt sich auch keiner draus machen. Mit den verheerenden Anschlägen ist weder die "freie Welt", sprich der Westen, noch die "zivilisierte Welt", sprich die Industriestaaten, auch nicht die "Demokratie", sprich der Kapitalismus angegriffen worden. Abgesehen davon, dass man bis jetzt nicht weiß, wer die Anschläge mit welchem Ziel durchgeführt hat, richten sie sich gegen Symbole der USA als weltweiter Interventionsmacht, ökonomisch und militärisch. Das ist eine relativ spezielle Botschaft. Die Rede vom "Angriff auf die Freiheit" bäckt dieses spezifische Gewaltpotenzial mit allem und allen in der Gesellschaft zusammen und verdeckt gezielt, dass eben diese Interventionsmacht und -praxis seit langem bewusst und kalkuliert Risiken auch für die eigene Bevölkerung anzieht - vor allem indem sie anderswo Gewalt ausübt und Armut schafft, aber auch indem sie bedenkenlos Gruppen militärisch aufrüstet, über die sie dann die Kontrolle verliert. 4. Das ist kein Anschlag für die Freiheit, nicht einmal gegen den Kapitalismus, und es läßt sich auch keiner draus machen. Man muss keine Sympathie für das Pentagon oder für das internationale Finanzkapital hegen, um festzustellen, dass die Anschläge eine faschistische Handschrift tragen. Ähnlich wie bei den Anschlägen in Bologna, Oklahoma und anderen sollten mit maximaler Gewalt möglichst viele Menschen getötet werden, Chaos und Krieg sind die kalkulierten, erhofften Folgen dabei. Der Tod von Zivilisten, die unmittelbare Lebensgefahr die für Palästinenser, für Israelis, für die Bevölkerung arabischer Staaten und viele anderehervorgerufen wird, sind den Tätern vollständig gleichgültig. Egal ob die Verantwortlichen arabische Fundamentalisten, amerikanische Rechtsextreme, eine Verbindung mehrerer Gruppen oder ganz Andere waren: hier läßt sich kein antikapitalistischer Kontext konstruieren, hier rechnet ein reaktionäres, organisiertes Machtpotential mit einem Gegner ab, der der eigenen Macht im Weg steht; hier wird geschlachtet, weil man sich von den Folgen eine Eskalation verspricht, von der das eigene Machtgebilde auf Kosten zahlloser Anderer profitieren soll. 5. Die Anschläge sind der Bankrott einer militärisch und polizeilich fixierten Sicherheitspolitik; ein Weitergehen in diese Richtung ist verantwortungsloser Hasard. Die Rede vom Krieg verdeckt auch, dass es vor Terroranschlägen keinen absoluten Schutz gibt. Die eigene Sicherheit zu erhöhen, erfordert Politik, nicht militärische Schlagkraft. Es erfordert eine Politik, die zumindest in höherem Maße auf Kooperation, Ausgleich und Kompromiss bedacht ist, wenn es um ökonomische Politik und internationale Konflikte geht. Auch wenn die Terroranschläge nicht beanspruchen können, irgendjemand zu "repräsentieren", haben sie einen verbreiteten realen Hass auf den Westen und die USA zur Voraussetzung, um ihre Söldner zu rekrutieren und sich erfolgreich vor Infiltration abzuschotten. Diesen Hass kann man militärisch nicht zerschlagen, er ist die Bilanz einer Politik, die weiten Teilen der Menschheit nichts zu bieten hat 5 Systemische konnotation von Genua über New York bis nach Niedersachen nicht die Ambivalenz eines noch halbwegs auskömmlichen Lebens im Kapitalismus, sondern buchstäblich nichts außer Gewalt, Armut, Vertreibung und Demütigung. Sicherheitspolitik besteht heute im Protest gegen die Politik der G8. Wer findet, am wichtigsten sei, dass die Bundeswehr jetzt auch möglichst schnell ihre globale Interventionsfähigkeit weiter vorantreibt, ist nicht nur zynisch, er riskiert bereitwillig unser aller Leben um der Interessen von Eliten und "Systemzwängen" willen. 6. Es ist notwendig deutlich zu machen, dass wir uns weigern, einen Krieg zu führen. Die an sich bekannte Wahrheit, dass Krieg das Schlimmste ist, was passieren kann, wird derzeit beschleunigt zugedeckt. Wir erleben kriegsvorbereitende Propaganda. Es ist wichtig, klar zu ma- chen, dass ein Krieg auf Widerstand stößt. Anteilnahme und Solidarität für die Getöteten in Amerika und ihre Angehörigen sind wichtig. Für die innenpolitischen Interessen von Bush und die strategischen Machtinteressen deutscher Eliten im Nahen Osten den Kopf hinhalten, hat damit nichts zu tun. 7. Es ist notwendig, einer Spirale von Rassismus entgegenzutreten. Es gibt bereits Angriffe auf Ausländer, speziell auf Menschen aus arabischen Ländern oder aus mehrheitlich moslemischen Ländern, in den USA und auch hier. Das Spiel von oben ist dasselbe wie immer: Man will solche Übergriffe nicht haben, betreibt aber die Politik, die sie vorbereitet. Es geht eben nicht darum, dass "nicht alle Araber so sind" oder der Islam auch ganz nett sein kann. Es geht um aktiven Schutz für Gefährdete, es geht um eine selbstkritische Haltung gegenüber der eigenen Politik und Dominanz. Es geht um das Anerkennen der Tatsache, dass es auch Hass gibt und dass er auch reale Gründe hat. Es geht um das Eingeständnis der Tatsache, dass der Westen jeder emanzipatorischen oder sozialen Alternative innerhalb des Islam oder innerhalb der arabischen Gesellschaften mit kompromißloser Härte entgegengetreten ist, einfach wegen des Öls. Und es geht darum, mit der realen Vielgestaltigkeit von Positionen, politischen Überzeugungen und sozialen Kräften endlich zu kooperieren, zu kommunizieren und zu verhandeln, anstatt sich die Feindbilder zu schaffen, die das eigene Draufhauen immer wieder aufs Neue legitimieren sollen. "Jedes Verbrechen beginnt im Geist und in der Seele eines Menschen." Otto Schily will extremistische Asylbewerber in Drittländer abschieben H amburg (ots) - Extremistische Ausländer sollen nach dem Willen von Bundesinnenminister Otto Schily künftig in Drittländer ausgewiesen werden können. In einem Interview in der neuen Ausgabe der Wochenzeitung DIE ZEIT sagt Schily: "Was uns aus Sicherheitsgründen Sorgen macht, sind weitgehend Personen, die unter dem Vorwand, sie hätten irgendeinen Flüchtlings- oder Asylstatus, hierher gekommen sind. Wenn wir sie wegen drohender Gefahr für Leib und Leben nicht in ihr Herkunftsland abschieben können, müssen wir uns überlegen, ob wir nicht andere Weltgegenden finden, wo sie keine Gefahr für die 6 FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Systemische konnotation von Genua bis Niedersachen Sicherheit darstellen, wie das hier in dem sehr sicherheitsempfindlichen Deutschland der Fall ist." Das Problem, sagt Schily, betreffe übrigens nicht nur "diesen extremistisch-terroristischen Bereich", es gelte auch für andere Kriminalitätsbereiche. "Warum sollte es nicht zulässig sein, diese Personen in ein Drittland abzuschieben, mit dem wir entsprechende Vereinbarungen abschließen." Der Bundesinnenminister betonte, er rufe bei der Terrorismus- bekämpfung nicht nach dem Einsatz der Bundeswehr im Innern. Der komme sowieso nur "im Rahmen der verfassungsrechtlichen Grenzen" in Betracht. Es stelle sich aber die Frage, so Schily wörtlich: "Ob wir zum Teil polizeiliche Strategien auch mit militärischen Mitteln durchsetzen müssen. Wir werden den Taliban ja wohl kaum ein Rechtshilfeersuchen mit der Bitte um Auslieferung von bin Laden übersenden." Schily hob hervor, dass er nicht nur auf Sicherheit setze. "Die präventiven Strategien bleiben die weitaus wichtigeren. Deshalb sage ich auch, wir müssen uns der Frage zuwenden, wie eigentlich Menschen zu solchen schrecklichen Handlungen kommen. Jedes Verbrechen beginnt im Geist und in der Seele eines Menschen." Diese PRESSE-Vorabmeldung aus der ZEIT Nr. 39/2001 mit Erstverkaufstag am Donnerstag, 20. September 2001, ist unter Quellen-Nennung DIE ZEIT zur Veröffentlichung frei. Auszug aus einer Erklärung der Revolutionary Association of the women of Afghanistan (RAWA) "... Leider müssen wir feststellen, dass es die Regierung der Vereinigten Staaten war, die den pakistanischen Diktator Gen. Zia-ul Haq dabei unterstützten, Tausende von religiösen Schulen aufzubauen, aus denen sich der Keim der Taliban entwickelte. In ähnlicher Weise war auch Osama Bin Laden bekanntlich ein Kind der CIA. Noch schmerzhafter ist, dass die amerikanische Politik nichts aus ihrer pro-fundamentalistischen Politik in unserem Land gelernt hat und weiterhin fundamentalistische Gruppen und Führer unterstützt. Nach unserer Auffassung trägt jede Form der Unterstützung der fundamentalistischen Taliban und der Jehadies jetzt zur Zerstörung der Werte von Demokratie, Frauen- und Menschenrechten bei. ... Werden die USA nun, nachdem die Taliban und Osama von den Behörden der USA als Hauptverdächtige der kriminellen Anschläge ausgemacht wurden, Afghanistan ähnlich wie 1998 zum Schauplatz eines militärischen Angriffs machen und Tausende von unschuldigen Afghanen für Verbrechen töten, die von den Taliban und Osama begangen wurden? Den- ken die USA, dass sie durch solche Attacken, mit Tausenden von benachteiligten, armen und unschuldigen Menschen aus Afghanistan als Opfern, die ursächlichen Wurzeln von Terrorismus zu beseitigen in der Lage sein werden, oder wird das den Terrorismus nur zu weiteren Höhen treiben?..." 14. September 2001 7 Systemische konnotation von Genua über New York bis nach Niedersachen Presseerklärung Förderverein Niedersächsischer Flüchtlingsrat e. V. Nds. Flüchtlingsrat ! Lessingstr. 1 ! 31135 Hildesheim 19.09.2001 Terroranschläge in New York Aktionismus zum Thema Innere Sicherheit PRO ASYL und Flüchtlingsräte warnen vor Spirale von Gewalt und Rassismus PRO ASYL und die Flüchtlingsräte der Bundesländer warnen eindringlich vor einer Spirale von Gewalt und Rassismus in Deutschland. Schon jetzt häufen sich Pöbeleien und Angriffe auf hier lebende Migrantinnen und Migranten, die man für Muslime oder Araber hält. Es hat bereits Morddrohungen gegeben. Politiker von SPD und CDU überbieten sich gegenwärtig mit neuen restriktiven Vorschlägen und propagieren blinden Aktionismus. PRO ASYL und die Flüchtlingsräte kritisieren die Äußerungen führender Politiker als unverantwortlich und leichtfertig. Sie setzen mit ihren Vorschlägen die in Deutschland lebenden Menschen – Muslime, Araber und alle anderen Migrantinnen und Migranten – dem Verdacht aus, mit den Tätern unter einer Decke zu stecken oder zumindest zu sympathisieren. Hier lebende Migrantinnen und Migranten dürfen nicht unter einen Generalverdacht gestellt werden. Der Islam darf nicht mit Terrorismus gleichgesetzt werden. Die Ursachen und Hintergründe der Anschläge von New York müssen aufgeklärt und die Verantwortlichen mit rechtsstaatlichen Mitteln zur Rechenschaft gezogen werden. Die Antwort auf den New Yorker „Anschlag auf die Freiheit“ (Bundeskanzler Schröder) darf jedoch nicht darin bestehen, die Militarisierung der Politik nach innen und außen voranzutreiben. Es wäre die Niederlage der freiheitlichen Verfassung unseres Landes, wenn es Po8 litikerinnen und Politikern durch die „Instrumentalisierung des Terrors“ gelänge, die Grund- und Freiheitsrechte weiter zu beschneiden. Es wäre ein irreversibler Verlust an Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, wenn unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung staatliche Organe und Behörden mit weitgehend ungehinderten Kontroll- und Vollzugsgewalten ausgestattet würden. PRO ASYL und die Flüchtlingsräte fordern eine Politik der Verständigung, eine Kultur des Dialogs und des Ausgleichs zwischen den Religionen. Die verantwortlichen deutschen Innenpolitiker stehen in einer hohen Verantwortung. PRO ASYL und die Flüchtlingsräte fordern die Politikerinnen und Politiker eindringlich auf, mögliche rassistische Effekte ihrer Worte und ihres Handelns zu bedenken. Wir warnen davor, die Situation weiter aufzuheizen, damit es nicht wieder – wie in den Jahren 1992 und 1993 – zu einer Welle rassistisch motivierter Angriffe und Morde gegen Flüchtlinge und Migranten in Deutschland kommt. Geradezu zynisch muten Versuche an, die New Yorker Terroranschläge in einen Zusammenhang zur Asylthematik zu setzen und als Munition für die Forderung nach weiteren Verschärfungen des Ausländerrechts zu instrumentalisieren. Zu kritisieren sind insbesondere Beschlüsse der gestrigen Innenministerkonferenz, die u.a., wie zuvor Bayerns Ministerpräsident Stoiber, einen generellen Abgleich der Daten der Sicherheitsbehörden mit Daten von Flüchtlingen und Politisch Verfolgten fordert. Schlimmer noch der bayerische Innenminister Beckstein, der im Bayeri- schen Rundfunk erklärt, er glaube nicht, dass man noch „unbefangen darüber diskutieren kann, ob man Leute zum Beispiel aus Irak, Leute aus der arabischen Welt, zu uns leichter kommen lässt.“ Mit derartigen Tönen werden Übergriffe auf Migranten und Flüchtlinge förmlich herbeigeredet. Auf unseren scharfen Protest stoßen die – inzwischen vom Bundesinnenministerium und der Innenministerkonferenz aufgegriffene – Forderung Becksteins, alle Migrantinnen und Migranten einer Regelanfrage beim Verfassungsschutz zu unterziehen, sowie die Pläne von Bundesinnenminister Schily, den Datenschutz weiter einzuschränken und Militär ggf. auch für polizeiliche Ziele im Inland einzusetzen. Schily plant weiter einen Abgleich der Daten aus dem Ausländerzentralregister mit Daten anderer Behörden. Jeder Migrant und jede Migrantin wird so zum potenziellen Terroristen und Sicherheitsrisiko erklärt. Wenn es sich, wie die Politik erklärt, um einen „Anschlag auf unsere Werte“ handelt, ist sie jetzt umso mehr verpflichtet, sich in ihren Reaktionen auch nach ihnen zu richten. Nur Recht, soziale Gerechtigkeit und Toleranz können langfristig dem Terrorismus den Boden entziehen. Heiko Kauffmann (Sprecher von PRO ASYL), Mehrnousch Zaeri-Esfahani (AK Asyl Baden-Württemberg), Christian Wunner (Bayerischer Flüchtlingsrat), Walid Chahrour (Flüchtlingsrat Berlin), Evamaria Friedrichsen (Verein ökumenischer Ausländerarbeit im Lande Bremen), Cornelia Gunßer (Flüchtlingsrat Hamburg), Kai Weber (Niedersächsischer Flüchtlingsrat), Dr. Michael Stoffels (Flüchtlingsrat Nordrhein-Westfalen), Werner Meyknecht (Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt), Martin Link (Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein), Marion Wettach (Flüchtlingsrat Brandenburg), Roland Schrul (Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern), Siegrfried Pick (AK ASYL Rheinland-Pfalz) FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Festung Europa Festung Europa Welche Entwicklungstendenzen zeichnen sich derzeit in der Flüchtlings- und Migrationspolitik der EU-Staaten ab? Mit dieser Frage beschäftigte sich das Seminar "Migrationssteuerung und Fluchtabwehr durch die EU", das der "BUKO-Arbeitsschwerpunkt Rassismus und Flüchtlingspolitik" vom 11.-13. Mai in Wuppertal durchführte. Im Folgendem dokumentieren wir die Referate, die während des Seminars gehalten wurden. Thematisiert werden dabei der sicherheitspolitische Rahmen in dem heute EU-Flüchtlingspolitik stattfindet (G. Lutz), der Harmonisierungsprozeß innerhalb der EU hin zu einem gemeinsamen Asylrecht (K. Kopp), das EU-Grenzregime und die weitere Vorverlagerung der EU-Aussengrenzen in Transitstaaten (H. Dietrich) sowie die "Regionalisierung der Flüchtlingsaufnahme" und deren Auswirkungen (T. Uwer). Militarismus der EU EU Außen- und Sicherheitspolitik im Mittelmeerraum und in Osteuropa Georg Lutz, Informationszentrum Dritte Welt, Freiburg D ie folgenden Diskussionsthesen sind kein stringentes Referat, sondern Thesen zu einer kontroversen und sehr wichtigen Diskussion. Sie können aber einen Rahmen bilden in dem sich das zentrale Thema des Seminars durchaus öfters widerspiegeln kann. Mit dem Thema Europa hat der BUKO schon lange Schwierigkeiten. Es gab in den letzten 15 Jahren Versuche das Thema zum Beispiel über die Debatte um den Binnenmarkt (1992) zu besetzen. Zuletzt geschah dies bei der Einführung des EURO. Auch konkrete historische Termine wie 500 Jahre Kolonialismus wurden aufgegriffen. Die Ergebnisse waren ernüchternd. Das Thema bedarf aber dringend einer neuen Bearbeitung, da die dominanten linken Positionen daneben liegen. Heute gibt es einerseits die dominanten gesellschaftlichen Kräfte, die die EU, abgesehen von kleinen Fehlern als das zivilisatorische Projekt abfeiern, und andererseits eine Restlinke, die entweder auf den nationalen Rahmen fixiert ist (z.B. antideutsche Positionen) oder verschwörungstheoretisch den US-Imperialismus für alle Schweinereien verantwortlich macht. Die zentrale Frage, ob das EU-Projekt nach dem Ende der bipolaren Situation Fessel oder Sprungbrett deutscher Interessen ist, wird von diesen beiden Positionen zu einseitig wahrgenommen. Dazu zunächst vier historische Argumentationsfiguren, die für mich zentrale historische Eckpunkte sind, auch was heutige europäische Außen- und Sicherheitspolitik betrifft. 1. Deutschland ist im Gegensatz zu vor hundert Jahren eine saturierte Großmacht innerhalb der EU. Vor dem ersten Weltkrieg war Deutschland ein aufholender Konkurrent mit einer reaktionären nationalistischen Elite. Seit einigen Jahren verschiebt sich die politische und ökonomische Klasse in Deutschland. Sie wird europäischer, wenn auch im Zeitlupentempo. Eine politische Renationalisierung, obwohl als potentielle Alternative und als Stammtischargument immer in Europa präsent, wäre mit drasti9 Festung Europa schen ökonomischen und politischen Verlusten auch für die politische Klasse verbunden. Sie ist daher unwahrscheinlich, selbst wenn noch mehr Figuren à la Haider und Berlusconi an die Macht kommen sollten 2. Der deutsche Faschismus wird bekanntlich von der neuen rot/grünen Elite in ziemlich übler Form funktionalisiert (vgl. Krieg gegen Ex-Jugoslawien). Gern wird die ‘ historische Zivilisierung‘ Deutschlands durch Europa beschworen. Die EU historisch als Antwort auf den Holocaust zu begreifen, ist aber eine falsche These. Richtig ist, dass die Zeit von der Montanunion bis zu den Römischen Verträgen genutzt wurde, um die Kriegsunfähigkeit der alten Nationalstaaten innerhalb Europas sicher zu stellen. Dies geschah allerdings unter dem Schirm der Hegemonie der USA. 3. Mit der sogenannten Suez-Krise von 1956 verloren die europäischen Kolonialmächte endgültig ihre strategische Stellung. Sie waren nicht mehr in der Lage eigenständige Weltpolitik zu betreiben. Die Ablösung klassischer Kolonialmächte durch die ‚Supermächte‘ war vollzogen. Allerdings behielt sich zum Beispiel Frankreich vor, in Afrika weiter militärisch präsent und auch aktiv zu sein, um seine ökonomischen Interessen zu schützen. Der begrenzende Rahmen war die bipolare Situation. Südliche Eliten konnten, nachdem sie die Befreiung der Fahne erreicht hatten, bis Mitte/ Ende der 80er Jahre durchaus eigene Interessen durchsetzen. Die Lomé-Verträge (ab 1975) sind ein Beispiel. Darin wurden die spezifischen ökonomischen Beziehungen zwischen der AKP-Staatengruppe (Ex-Kolonien) und der EU geregelt. In dem neuen Abkommen konnten sich demgegenüber EU-Interessen weitgehend durchsetzten. 4. Eine europäische Armee war in der Zeit der Blockkonfrontation nicht möglich. Eigenständige 10 deutsche Ansprüche, zum Beispiel der Griff nach Atomwaffen, scheiterten und auch europäische Versuche kamen über Sandkastenspiele nicht hinaus. Die WEU fristete zum Glück ein Schattendasein. Und im EU-Haushalt gab es keinen eigenständigen Posten der unter dem Stichwort Rüstung bzw. Verteidigung gebucht wurde. Mit Beginn der 90er Jahre änderte sich bekanntlich der historische Rahmen. Militärische Lösungen stehen wieder auf der Tagesordnung. Zudem droht in einer neuen Qualität die Abkopplung eines militärisch industriellen Komplexes auf europäischer Ebene. Auf den Punkt gebracht: militärisches Denken ist wieder in. Das wird auch auf andere Bereiche, zum Beispiel Flüchtlingspolitik, ausstrahlen. Im folgenden dazu einige Argumentationsfiguren. Die Salamitaktik der 90er Jahre Nachdem der Feind östlich der Elbe implodierte, wurden Anfang der 90er Jahre hektisch neue Aufgaben für die westlichen Armeen gesucht. Beispiel sind die ‚Verteidigungspolitischen Richtlinien‘ von 1992, die unter Rühe geschickt das Vokabular der Friedensforschung und in Teilen auch der Friedensbewegung okkupierten. Stichworte sind ‚Peace- keeping‘ oder ‚Peaceenforcement‘. Auch die praktische Vorgehensweise wies taktische Finessen auf. Zunächst spielte der BGS in Namibia Wahlbeobachter, dann gab es in Kambodscha ein Feld-Lazarett. Bitte, wer konnte da schon dagegen sein? Und die Friedensbewegung verlor gleichzeitig an Bedeutung, da sie die neue Situation, im Gegensatz zur politischen Klasse nicht erkannte. Sie blieb in ihrer Vorstellungswelt weiter im ‚Kalten Krieg‘ verhaftet. Die Propaganda im Golfkrieg argumentierte über Katastrophen, die auch Europa erreichen könnten. Viele der Restlinken stellten sich die Frage, ob die historische Situation die Tür zu nationalen deutschen Alleingängen öffnete? Nein, die Grundlage für die militärischen Planungsstäbe war die Revision der NATO-Strategie im Sommer 1990 (‚Londoner Erklärung‘, Juni 1990). Stichwort dafür ist die ‚Neue Weltordnung von Daddy Bush und intellektuelle Ratgeber waren Vordenker à la Huntington („clash of civilization“). Ziel war neben dem Aufbau neuer Feindbilder die OSZE klein zu halten. Im herrschenden Rahmen wäre sie eine potentielle Alternative für Konfliktmanagement gewesen, die NATO sollte jedoch bei Konflikten intervenieren. Hierzulande ist die neue Zielsetzung durch das sog. Naumannpapier (Generalinspekteur der Bundeswehr Anfang der 90er Jahre) bekannt geworden. Die KeyWords sind nicht mehr „Bedrohung“ sondern „Instabilitäten“. Der sogenannte „Krisenbogen“ (Naumann) spannt sich von Nordafrika bis nach Asien. In diesem „Krisenbogen“ gibt es ein ganzes Arsenal von „Instabilitäten“, die je nach Bedarf ideologisch abgerufen werden können. Drogendealer, Flüchtlinge, Terroristen, Schurkenstaaten und islamische Fundis sind die meist genannten Ziele der neuen Humanitätskrieger. FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Festung Europa Verkauft wird die Geschichte durch Schlagworte wie ‚Humanitäre Intervention‘. Wer das kritisiert, wird wie vor wenigen Dekaden früher unter dem Stichwort, ‚Vaterlandsverräter‘, als Renegat der guten Seite abgestempelt. Die Botschaft soll gesellschaftlich durchschlagen und das hat bisher weitgehend geklappt. Der Krieg gegen Jugoslawien 1999 lief nach dem Drehbuch der NATO von 1990. Wir wissen heute, daß Militärlogik gegen alle Sonntagsreden rot/grüner PolitikerInnen vor präventiven Instrumenten Vorrang hatte und das Verlassen der UNO-Ebene nicht zwingend war. Der Krieg war zudem das ineinandergreifen von zwei Strängen: die Machtlogik der Diktatur in Jugoslawien und der Logik der Militärs der NATO. Gesellschaftliche Gegenkräfte in Serbien als auch im EU-Europa hatten es schwer diesem ideologisch moralischem Trommelfeuer Argumente entgegen zu setzen. Wer zudem wie Angelika Beer behauptet, dies sei der letzte Krieg mit einem solchen Drehbuch gewesen, der irrt sich. Die NATO mutierte in diesem Krieg von der Bedrohungs- zur Kampfmaschine, die jederzeit wieder einsetzbar ist. über den militärisch industriellen Komplex. Das ist alles vom Winde verweht. Die machiavellistische Wende rotgrüner Regierungen in Europa ging relativ glatt über die Bühne: Alle politischen Grausamkeiten müssen so schnell wie möglich am Anfang der Regierung durchgesetzt werden ist eine Grundregel von Machiavelli. Und dazu gehört Krieg. Die Frage nach dem Warum bedarf einer etwas anderen Debatte über die 68er, als wie wir sie aus der Tagespresse kennen, und kann an dieser Stelle nicht ausgeführt wer- ausnutzen. Es galt und gilt sich zur Schutzmacht von Ethnien auf zu spielen. Das Gerede von Volksgruppen hat weiter Konjunktur und wird auch von der neuen Bundesregierung und rotgrünen Landesregierungen gefördert. Ein Beispiel dafür ist das „Europäische Zentrum für Minderheitenfragen“ in Flensburg. Rassisch begründete Desintegration ist kein Fremdwort in der rotgrünen „Zivilgesellschaft“. Weitere Protektorate wie das Kosovo sind vorstellbar. Als Hintergrundsfolie dient ein Europa, dass sich über konzentrische Kreise von „Kerneuropa“ hin zu Protektoraten definiert. Nicht Abrüstung, Aufrüstung ist angesagt den. Sie ist aber für die Restlinke wichtig, wenn sie politisch wieder Oberwasser bekommen will. Wechsel der Eliten Die Volksgruppenideologie ist weiter präsent Die Flakhelfergeneration wurde ab Mitte der 90er Jahre in Europa durch die sogenannte 68er-Generation ersetzt. Das ist für die Restlinke wichtig, da sie bisher den ‚Humanitätsrittern‘ rhetorisch wenig entgegensetzten konnte. Das betrifft nicht nur Deutschland mit Fischerman’s Friends, sondern auch den sogenannten Mr. GASP in Europa: Javier Solana. Alle waren früher erklärte NATO-Gegner und auch gegen den Aufbau einer Europäischen Armee. In ihren Ikea-Regalen türmten sich die Fachbücher Ich habe bisher die Position Deutschlands als stark, aber im europäischen Kontext eingebunden, analysiert. Deutsche Sonderwege sind wie gesagt eher unwahrscheinlich. Es gibt aber Punkte, die auf das fortlaufen historischer Wurzeln hindeuten. Wer Kommentatoren wie Erich Rathfelder (taz) zur neuen Entwicklung in Mazedonien liest kommt immer auf diesen Punkt. Deutsche Politik wollte und will Konflikte unter sogenannten „Randvölkern“ in erster Linie auf dem Balkan, immer wieder Die Umwandlung der Bundeswehr in eine Interventionsarmee im europäischen Rahmen schreitet voran. Das Konzept von Scharping sieht vor, dass künftig rund 150.000 Soldaten für “Kriseneinsätze” bereitstehen, um gleichzeitig an zwei Kriegsschauplätzen operieren zu können. Dies entspricht einer Aufstockung der bisherigen “Krisenreaktionskräfte” (derzeitige Planung 66.000) auf das Zweieinhalbfache. In den Verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992 und in diversen NATO-Dokumenten (zuletzt im neuen Strategischen Konzept vom April 1999) wurden als Ziele für das Militär u.a. genannt: Aufrechterhaltung des freien Welthandels, Zugang zu Rohstoffen und natürlichen Ressourcen, Abwehr von Flüchtlingen und Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Das Ziel, die Herstellung einer strukturellen Angriffsfähigkeit zu erreichen, ist immer offensichtlicher. Folgerichtig werden von der neuen Bundesregierung jene Be11 Festung Europa schaffungsmaßnahmen vorrangig behandelt, welche die Bundeswehr flexibler, transportfähiger (“verlegefähiger”) und schlagkräftiger machen sollen. Festgehalten wird am teuersten Rüstungsprojekt der letzten Jahre, dem Eurofighter 2000 (Beschaffungskosten bis zu 60 Mrd. DM). Hier kann auf eine steigende Kostenlawine gesetzt werden, die es bei solchen Mega-Projekten immer gibt, mit der wenigstens zeitliche Verzögerungen eintreten. An erster Stelle im europäischen Rahmen steht der Bau eines europäischen Großraumflugzeugs A400 M. Die alten Transporter (z.B. Herkules) können einfach nicht genügend Tonnen für die weltweiten Einsätze in die Luft bekommen. Weitere Luftwaffenprojekte sind: die Beschaffung des Kampfhubs ch r a u b e r s ‚Tiger‘ und des NATOHubschraubers NH-90. Auch das neue gepanzerte Transportfahrzeug GTK soll angeschafft werden. Bei der Marine taucht auf Wunschlisten ein riesiger Truppentransporter auf, der die Verlegung via See gewährleisten soll. Zum Schutz bedarf es natürlich auch klassischer Kampfschiffe. Von modernsten Kleinwaffen, die ebenfalls beschafft werden, ist hier noch gar nicht die Rede. Mit den in der Entwicklung befindlichen Marschflugkörpern TAURUS, manuell lenkbaren Flugbomben POLYPHEM und Kampfdrohnen TAIFUN soll die Reichweite der Artillerie erhöht werden. Solche präzisen Abstandswaffen verleihen der Bundeswehr eine künftigen Kriegsszenarios angepasste “Deep-Battle-Kapazität”. Dies ist eine europäische Wunschliste, die sich trotz des sonst überall realisierten Sparhaushalts in grossen Teilen 12 durchsetzen lassen wird. Die Militärs sind aber so euphorisch und wollen so nebenher auch noch ihre nationalen Prestigewaffen aus dem Kalten Krieg weiter technologisch ausbauen. So soll der Kampfpanzer Leopard II neue technologische Komponenten verpasst bekommen. Damit kommen die Militärs meines Erachtens allerdings nicht durch, da solche schweren Kampfpanzer nicht in die Szenarien der Krisenreaktionskräfte passen und traditionelle Teile der Armeen, die zur ‚Landesverteidigung‘ benötigt werden zugunsten der ‚Krisenreaktionskräfte‘ reduziert werden. Ein riesiger militärischer Komplex Im Oktober 1999 fusionierten das DaimlerChryslerUnternehmen DASA und die französische Aerospatiale Matra zur European Aeronautic, Defense and Space Company EADS. Dieser Luft- und Raumfahrtkonzern rückte weltweit hinter Boeing an die zweite Stelle, etwa an gleicher Stelle mit dem zweiten US-Rüstungsgiganten Lockheed Martin. Doch damit nicht genug: Im Dezember 1999 trat die spanische Casa der EADS bei, und im April 2000 gründeten die EADS und der italienische Militärflugzeughersteller Alenia ein Gemeinschaftsunternehmen. Als nennenswerter europäischer Luftund Raumfahrtkonzern ist nun lediglich British Aerospace noch formal aussen vor. Beim Bau des europäischen Militärtransportflugzeugs A400M ist die British Aerospace aber dabei: Das mit 18 Mrd. DM teure Beschaffungsprogramm, an dem acht Länder beteiligt sind, wird von der EADSTochter Airbus Industrie durchgeführt. Hier regt sich kein Kartellamt und auch sonst agiert dieser Rü- stungsgigant still vor sich hin. Diese gewaltige ökonomische Zusammenballung wurde bereits Mitte der 90er Jahre von verschiedenen EU-Lobbyorganisationen eingetütet. Zentrales Ziel ist es den US-Firmen den Rüstungsmarkt für hochwertiges Gerät streitig zu machen. Ein regionales Beispiel: Die EU und die Mittelmeerpolitik Bis zum Ende der Ost-WestKonfliktes kam die EU nicht über partielles Agieren hinaus. Seit dieser Zeit sind die südlichen und östlichen Anrainerstaaten eine strategisch wichtige Pufferzone. So heißt es in einer Erklärung des Essener Gipfels von 1994: „Derzeit stellen die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in einer Reihe dieser Länder Quellen der Instabilität dar, die zu massenhafter Migration, fundamentalistischem Extremismus, Te r r o r i s mus, Drogen und organisiertem Verbrechen führen.“ In der EU existieren zwei, auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelte Sicherheitskonzepte: Das eine setzt auf eine veränderte militärische Option, das andere auf sozio-ökonomische Reformen, die durch Gelder der EU – wie z.B. dem MEDA-Programm für die Mittelmeeranrainer bzw. durch Phare oder TACIS für die MOEL Länder unterstützt werden sollen. An letzteres können auch andere Projekte wie den Infrastrukturprogrammen im Verkehrsbereich unter dem Titel ‚Transeuropäische Netze‘ andocken. Das militärische Konzept steht dabei keinesfalls im Widerspruch zu den reformpolitischen Projekten. Es ist vielmehr ein Notnagel FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Festung Europa und Alltag. Wer sich die zunehmenden militärischen Überwachungsmittel gegen Flüchtlinge, zum Beispiel an der Meerenge von Gibraltar anschaut, bekommt dies allein optisch deutlich präsentiert. Seit dem Frühjahr 1995 betreibt die NATO in Abstimmung mit der EU eine neue Politik gegenüber den Mittelmeeranrainerstaaten, die gegen „den Islam“ und die Gefahr einer Weiterverbreitung moderner Waffen, insbesondere von Atomwaffen, gerichtet ist. Ebenfalls 1995 gründeten im Rahmen der WEU Frankreich, Italien, Spanien und Portugal zwei multinationale Truppenverbände: die 12000 Mann starke Interventionstruppe EUROFOR sowie den gemeinsamen Marineverband EUROMARFOR. Damit wurde dem Drängen von Italien und Spanien nachgegeben, die seit Jahren auch militärische Mittel gegen die ‚Einwanderungsströme‘ aus dem Süden verlangen. Selbst an einem gemeinsamen Satellitenprojekt ‚Helios‘, das eine militärische Überwachung des Mittelmeerraums gewährleisten soll, wird gebastelt. An diesem Punkt sind die europäischen Militärs immer noch von den USA abhängig. Eine EU-Armee entsteht – Eine kleine Chronik Die Europäische Union rüstet auf. Der entscheidende rechtliche Schritt dazu ist im Amsterdamer Vertrag fest geschrieben. Während bis dahin durch den Artikel 223 des alten EG-Vertrages der Rüstungssektor aus dem Gemeinsamen Binnenmarkt ausgeschlossen war und angebunden an die nationale Verteidigung allein in nationaler Verantwortung betrieben wurde, wird mit dem Amsterdamer Vertrag 1997 ein neues Kapitel über die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik aufgeschlagen. Im Artikel V des Vertrages “Bestimmungen über die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik” wurde auch die Grundlage für eine Europäische Verteidigungspolitik festgelegt. Die ‚Petersberg-Aufgaben‘ der WEU, die Formen weltweiter Kampfeinsätze beschreiben, sind als Ziel der verteidigungspolitischen Aktivitäten definiert. Am 19./20.6.2000 wurden in Santa Maria da Feira zum Abschlussgipfel der portugiesischen Präsidentschaft weitere Teile zur Vervollständigung der ESVP (Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik) beschlossen. Zentrale Punkte sind: Zeitplan und Konkretisierung der sog. “head-line-goals”, das heißt der Reform der nationalen Armeen im Sinne der neuen Interventionsaufgaben der ESVP und der weiteren Festigung der gemeinsamen Planungs- und Entscheidungsstruktur. Hinzu kommt der Aufbau einer permanenten Konsultationsstruktur mit der NATO: Hier ging es um die Einrichtung von vier “ad hoc working groups”, jeweils zu Sicherheitsfragen, zu den militärischen Kapazitäten, zu den Modalitäten des EU-Zugangs zu NA- TO-Militärkapazitäten und zur Entwicklung einer Definition für die permanente Konsultationsstruktur. Der Gipfel in Nizza vom Dezember 2000 hat auch die institutionellen Voraussetzungen für den militärischen Arm der ESVP mit der Einbindung der Kommandofähigkeit in den Vertrag vollendet: die militärischen Kommandoorgane werden offiziell eingesetzt, die Aufrüstungskapazitäten für die Interventionsfähigkeit einschließlich der Mechanismen zur weiteren Bedarfsüberprüfung festgelegt und die Kompatibilität zur NATO hergestellt. Vermutlich wird es in praktischen Einsatzfällen weiterhin Kompetenzkonflikte zwischen NATO und dem neuen militärischen Arm Europas geben. Allerdings ist im Vergleich zur WEU ein qualitativ völlig neuer und auch aktionsfähigerer militärischer EU-Apparat entstanden. Seit Nizza gibt es drei neue ständige politmilitärische Gremien. Ein “Ständiges Politisches und Sicherheitspolitisches Komitee“(PSK), der ‚Militärausschuss‘ (MC) und ein Militärstab (MS). Ob sich daraus ein eigenständiger europäischer Generalstab entwickelt, ist aufgrund immer noch bestehender nationaler Interessen, nicht sobald zu erwarten. Allerdings ist eine weitere Abkopplung militärischer Interessen und Gremien von den verschiedensten Formen der Öffentlichkeit ein klar erkennbarer Prozess. 13 Festung Europa Selbst die formal zuständige Kontrollinstanz, das Europaparlament, bleibt wie bei manch anderen Politikfeldern außen vor. Das Parlament hat sich sogar selbst entmachtet. Die Forderung nach parlamentarischer Kontrollfunktion des EP im Bereich der ESVP mündete in einem schwammigen Konsenspapier, welches den Rat zu nichts verpflichtet. In der Konsequenz heisst dies: keine Vertragsänderung für die ESVP und kaum parlamentarische Kontrollbefugnisse. Die Sicherheitspolitik fällt in ein gap zwischen Europaparlament und nationalen Parlamenten. Und das kennen wir wie gesagt auch von anderen Politikfeldern, die vergemeinschaftet wurden. Das dauernde Argumentieren von der „Zivilmacht Europa“ fällt an diesem Punkt wie ein rhetorisches Kartenhaus zusammen. dergrund. Das heißt: Der zivile Aspekt beschränkt sich nur noch als Ergänzung zum militärischen Teil der Sicherheitspolitik. Diese Geschichten kennen wir auch aus der sogenannten Entwicklungspolitischen Zusammenareit. In der neoliberal geprägten Wirtschaftspolitik dürfen NGO’s soziale Nischenpolitik betreiben und über Kleinprojekte Zeichen setzen, die aber von ganz anderen Prioritäten überlagert werden. Wo bleibt das Zivile? Sogenannte zivile Aspekte tauchen in der ESVP ebenfalls auf. Bis 2003 sollen zum Beispiel 5.000 Polizisten für internationale Missionen vorbereitet werden. Die schwedische Präsidentschaft der EU (1. Halbjahr 2001) versucht auf Papier zivile Konfliktpräsentation von offizieller Seite wieder ins Boot zu holen. Schweden weitet folgerichtig die Agenda der Konfliktprävention aus. So setzt die Präsidentschaft gezielt auf die Zusammenarbeit mit NGO‘s und Experten. Das ist gute skandinavische Tradition, stösst allerdings an strukturelle Grenzen. Infolge der Gipfelbeschlüsse von Feira und Nizza stehen Maßnahmen zur Aufstellung der Polizeitruppe für robuste Konflikteinsätze im Vor14 Hoffnungsträger mission ? EU-Kom- Oft machen Lobbygruppen den Fehler aus einem Hoffnungsfunken, eine Wende in der Politik zu erkennen. So hat die Kommission in Fragen der Flüchtlingspolitik in Teilen (z.B. Familienzusammenführung und geschlechtsspezifische Verfolgung) wesentlich besser klingende Forderungen, wie im jeweiligen nationalen Rahmen zu Papier gebracht. Diese Positionen gilt es, aus taktischen Gründen in aktuelle nationale Diskussionen einzuspeisen , auch wenn es nur dazu dient wieder in einer breiteren Öffentlichkeit gehört zu werden. Allerdings zeigt jede Erfahrung, dass die Vorfreude nicht von langer Dauer sein wird. In den im Vorfeld der Gesetzgebung veröffentlichten Papieren, z.B. ‚Grünbücher‘ klingen die Positionen der Kommission meist sehr viel offener und freundlicher. Steht der Prozess der Gesetzgebung oder eines Abkommens am Ende bricht von Lobbyseite meist der grosse Katzenjammer aus. Der Ve r h a n d lungsprozess hin zu einem neuen AKP-EUAbkommen kann dazu beispielhaft zitiert werden Diese Thesen, so lässt sich zusammenfassend sagen, verd e u t l i ch e n einen neuen qualitativen Schub was die europäische Verteidigungs- und Sicherheitspolitik betrifft. Das ‚Zivile Europa‘ wie es gerade von grünen PolitikerInnen gerne an die Wand gemalt wird ist ein theoretisches Konstrukt, welches gern ideologisch eingesetzt wird. Dagegen sind Flüchtlinge in den benannten militärischen Szenarien ein Bedrohungspotential. FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Festung Europa Halbzeit: Die Union auf dem Weg zu einem gemeinsamen Asylrecht Karl Kopp, PRO ASYL B undesdeutsche Politiker profilieren sich auf dem europäischen Parkett gerne als große Visionäre - allen voran Außenminister Fischer. Auch Bundeskanzler Schröder, der lange Zeit deutliche Reserven bei der Frage des europäische Einigungsprozesses zeigte, möchte seit geraumer Zeit seinem Außenminister nicht nach stehen. In Sonntagsreden fordern sie die Stärkung des Europaparlaments, der Europäischen Kommission und den Übergang zu Mehrheitsentscheidungen in allen zentralen Politikfeldern, um das vielzitierte Demokratiedefizit zu beseitigen. Als es um die Reform der EU in Nizza ging, hat die Bundesrepublik genau diese Aspekte der Weiterentwicklung im Politikfeld Justiz und Inneres verhindert und steht damit in der Tradition der Kohl- Regierung. Auch Innenminister Schily gibt sich gerne als europäischer Visionär. Manchmal will er Dinge europäisch lösen, die im Amsterdamer Vertrag noch nicht zur Vergemeinschaftung vorgesehen sind. Jüngstes Beispiel: Schily fordert die Schaffung einer europäischen Grenzpolizei. Bei der Umsetzung des asylpolitischen Programms, den konkreten Vorschlägen der Europäischen Kommission jedoch, denkt der Innenminister treu deutsch. Über ein Jahrzehnt wurde in der Bundesrepublik Deutschland ”Europa” instrumentalisiert zur Absenkung der Standards im bundesdeutschen Asylrecht. Spätestens nach Vorlage der Richtlinienvorschläge der Europäischen Kommission zur Familienzusammenführung und zu Mindestnormen für ein gemeinsames Asylverfahren kühlte die bundesdeutsche „Europabegeisterung“ merklich ab: die anvisierten Standards auf EU-Ebene sind liberaler als das bundesdeutsche Asylrecht. Deshalb verhinderte die Bundesregierung auf dem EUGipfel in Nizza den Übergang zu Mehrheitsentscheidungen in der Asyl- und Einwanderungspolitik. Das Bundesinnenministerium (BMI) mauert nahezu bei allen Vorschlägen der Kommission und die CDU/CSU läuft Sturm gegen Brüssel. In dieser Arbeitsteilung agiert die Bundesrepublik auf EU-Ebene als die zentrale Bremserin einer Vergemeinschaftung des Asylrechts. Zeitgleich wird innenpolitisch die Debatte über Migration und Asyl geführt, als wolle man diese Themen auch in diesem Jahrzehnt noch im nationalstaatlichen Kontext regeln. Mit dem nun vorliegenden Referentenentwurf eines Zuwanderungsgesetzes aus dem Hause Schily werden anvisierte europäische Standards weit unterschrit- ten und bundesdeutsche Pflöcke für künftige Verhandlungen auf EU-Ebene in den Boden gerammt. Harmonisierung Seit den 80er Jahren ist die Rede von der notwendigen Harmonisierung der europäischen Asylpolitik. Bis heute jedoch wurde kein gemeinsames Asylrecht geschaffen. Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union betrieben im letzten Jahrzehnt eine Harmonisierung, die sich vor allem durch gemeinsame Abschottungsmaßnahmen und die Verweigerungshaltung bei der Flüchtlingsaufnahme auszeichnet. In zahlreichen nicht bindenden Beschlüssen- so genanntes soft law – einigten sich die zuständigen Innenminister auf Maßnahmen, die den Zugang zum Verfahren erschwerten und die Verfahrens- und sozialen Standards absenkten. Ein prominentes Beispiel sind die so genannten Londoner Beschlüsse aus dem Jahr 1992 zu dem Konzept “sichere Drittstaaten”, “sichere Herkunftsländer” und beschleunigtes Verfahren bei “offensichtlich unbegründeten Asylanträgen”. Diese Konzepte wurden in Folge in den nationalstaatlichen Gesetzen der Mitglieds15 Festung Europa staaten umgesetzt. Die Bundesrepublik Deutschland hat die Drittstaatenregelung – die restriktivste in der EU - und das Konzept “sichere Herkunftsländer” nur wenige Monate nach dem Londoner Treffen in die Verfassung aufgenommen. All diese Maßnahmen, flankiert von der Schengener Grenzregimeaufrüstung und über 140 existierenden Rückübernahmeabkommen mit Anrainer-, Transitund Herkunftsländern, gefährden nicht nur das Zurückweisungsverbot (Non- Refoulement - Gebot), sondern verlagern zunehmend die Flüchtlingsaufnahme in Nicht-EU-Staaten. Harmonisierung wurde zur Metapher für einen Wettlauf der Restriktionen zwischen den Mitgliedsstaaten der EU. Vergemeinschaftung des Asylrechts Mit Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages im Mai 1999 befindet sich die EU in einem Prozess zu einer anderen Qualität der Harmonisierung: Die EU-Mitgliedsstaaten – um genau zu sein, zwölf der fünfzehn EU-Staaten – verpflichten sich innerhalb von fünf Jahren bis 2004, in zentralen Feldern der Asyl- und Einwanderungspolitik gemeinsames Recht zu schaffen. England und Irland entscheiden von Fall zu Fall, ob sie an den beschlossen Maßnahmen teilnehmen. Dänemark bleibt bis auf weiteres völlig außen vor. Diese Phase zu einer Vergemeinschaftung, also bindendes Recht für alle beteiligten Mitgliedsstaaten zu schaffen, bedeutet eine Zäsur. Damit wird der Prozess der Abgabe von nationalstaatlichen Souveränitatsrechten im Normalfall unumkehrbar. Nationalstaatliche Politik im Asyl- und Einwanderungsrecht ist folglich ein Anachronismus. Die Europäische Union befindet sich auf dem Weg zu einem gemeinsamen Asyl16 recht. Aber dieser Vergemeinschaftungsprozess beginnt nicht bei Null, sondern vor dem Hintergrund einer bereits real existierenden Abschottungsunion. Im Oktober 1999 haben sich die Staats- und Regierungschefs im finnischen Tampere über die politischen Leitlinien verständigt, wie dieser Vergemeinschaftungsprozess der Asyl- und Migrationspolitik vonstatten gehen soll. Tampere hat Aspekte der bestehenden Abschottungslogik fortgeschrieben, aber sprachlich und inhaltlich zum Teil neue Akzente gesetzt. Das klare Bekenntnis, einem künftig gemeinsamen Europäischen Asylsystem die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ”allumfassend und uneingeschränkt” zu Grunde zu legen, hat zumindest auf EU-Ebene Überlegungen, die Genfer Flüchtlingskonvention als nicht mehr ”zeitgemäß” zur Disposition zu stellen, eine klare Absage erteilt. Das hat in der Folge einzelne EU-Innenminister nicht daran gehindert, Angriffe auf die GFK zu führen. Die Kommission arbeitete mit Hochdruck das asylpolitische Programm von Amsterdam und die Vorgaben von Tampere ab: Aktuell werden Richtlinienvorschläge zu Mindestnormen für ein gemeinsames Asylverfahren (September 2000), zu gemeinsamen Aufnahmebedingungen, zu künftigen Zuständigkeitsregeln (Juli 2001) und zur Familienzusammenführung (erster Vorschlag Dezember 1999 und eine restriktivere Fassung vom Oktober 2000) im Rat behandelt. Bis Herbst 2001 will die Kommission Vorschläge zu allen asylrelevanten Bereichen vorlegen. Aktuell stehen die brisantesten Richtlinienvorschläge zum Flüchtlingsbegriff und zu ergänzenden Schutzformen noch aus. Mit zwei Mitteilungen zu Asyl und Migration (November 2000) hat die Kommission bereits Ziele über den Amsterdamer Transit hinaus formuliert. In der Grundtendenz orientieren sich die Kommissionsvorschläge an den Standards des internationalen Flüchtlingsrechtes. Ihre Realisierung würde zumindest einen partiellen Bruch mit der Asylpolitik der 90er Jahre bedeuten, die ”Harmonisierung” zur Metapher für einen Wettlauf der Restriktionen zwischen den Mitgliedsstaaten der EU machte. Foto: Aktion 3. Welt-Saar FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Festung Europa Das Demokratiedefizit in der Union Das Demokratiedefizit der Union, insbesondere im Politikfeld Justiz und Inneres, ist jedoch so frappierend, dass schon allein auf Grund der existierenden Machtverhältnisse in der Union eine reale Abkehr nicht vollzogen werden kann. In dem fünfjährigen Übergangszeitraum müssen asylpolitische Maßnahmen einstimmig im Ministerrat angenommen werden. Das Kräfteverhältnis zwischen den drei zentralen Akteuren Parlament, Rat und Kommission stellt sich im Asylbereich wie folgt dar: Die Kommission liefert zum Teil flüchtlingsfreundlichere Vorschläge, diese scheitern aber an dem Prinzip der Einstimmigkeit im Rat. Das Europäische Parlament nimmt – trotz seiner konservativen Mehrheit – häufig bei Menschen- und Flüchtlingsrechtsfragen eine liberale Positionen ein, besitzt aber kein Mitentscheidungs-, sondern nur ein Anhörungsrecht. Somit bleibt die Praxis der Union weiterhin von nationalstaatlichen Partikularinteressen geprägt. Die Fachministerinnen und -minister im Rat besitzen die Macht, und es deutet sich in keiner Weise an, dass die Nationalstaaten diese im Interesse eines gemeinsamen Asyl- und Einwanderungsrechtes teilen oder gar aufgeben möchten. Unter diesen Voraussetzungen werden Mindestnormen – wenn überhaupt – auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner verabschiedet werden. Es ist bereits jetzt abzusehen, dass der Amsterdamer Zeitplan – eine Vergemeinschaftung der Asyl- und Migrationspolitik bis 2004 – nicht eingehalten werden kann. Halbzeitbilanz Die Halbzeitbilanz im fünfjährigen Amsterdamer Transit fällt dementsprechend äußerst dürftig aus. Die wenigen im Rat angenommenen Richtlinien und Verordnungen besitzen eine stark repressive Schlagseite Beschlossen wurde bis jetzt der Europäische Flüchtlingsfonds (September 2000), die EURODAC-Verordnung (EURODAC ist ein System für den Vergleich der Fingerabdrücke von Asylsuchenden und “illegalen Zuwanderern”)(Dezember 2000), eine Visa-Verordnung (März 2001), eine Richtlinie zur Anwendnung des politischen Schutzkonzeptes „Vorübergehender Schutz“ (Mai 2001) und diverse repressive Maßnahmen zur „Schlepperbekämpfung“ und Sanktionierung von Beförderungsunternehmen (Mai 2001). Die EU steht weiterhin in der Kontinuität einer Abschottungsgemeinschaft. Einigung wird bei restriktiven Maßnahmen erzielt. Liberale Ansätze wie zum Beispiel der Richtlinienvorschlag der Kommission zur Familienzusammenführung sind seit über 20 Monaten in Verhandlung, aber es ist keine Beschlussfassung in Sicht. Asylrechtliche Maßnahmen oder Verordnungen im engeren Sinne wurden bis jetzt noch gar nicht beschlossen. Der Rat beabsichtigt bis Dezember 2001 die Beratung über die Vorschläge zu gemeinsamen Asylverfahren und Aufnahmebedingung abzuschließen. Die Kommission steht unter starkem politischen Druck. Einige Mitgliedsstaaten, an vorderster Stelle auch hier die Bundesrepublik, kritisieren den Brüsseler Grundansatz. Schily entwickelte in diesem Zusammenhang eine eigentümliche Additionslehre: bundesdeutsche Maximalstandards gepaart mit den vorgeschla- Foto: Aktion 3. Welt-Saar 17 Festung Europa genen europäischen Mindeststandards führten zu nicht akzeptablen Supermaximalstandards in Deutschland. Gebetsmühlenhaft fordert er einen „ganzheitheitlichen Ansatz“ und meint letztlich restriktive Leitlinien des Rates auf deren Grundlage eine willfährigere Kommission Vorschläge unterbreiten soll. Vor übergehender Schutz Die Erfahrungen aus dem Kosovokrieg haben gezeigt, dass »vorübergehender Schutz« als politisches Schutzkonzept zur Umgehung der GFK genutzt wurde. Der Richtlinienvorschlag der Kommission zum „Vorübergehenden Schutz“ wurde stark verwässert, um das notwendige einstimmige Votum Ende Mai 2001 im Rat zu erhalten. Die Bundesrepublik hat sich mit ihrer Forderung nach einer Verlängerungsmöglichkeit dieses politischen Schutzkonzeptes auf bis zu drei Jahren – urspünglich war eine Höchstdauer von zwei Jahren vorgesehen - durchgesetzt. Die Richtlinie stellt klar, dass vorübergehender Schutz nur ein in Ausnahmen einzusetzendes Instrumentarium ist, wenn ”das Asylsystem diesen Zustrom nicht ohne Beeinträchtigung seiner Funktionsweise” auffangen kann. Deutschland, Frankreich, Österreich und England wollten auch diese Einschränkung streichen, um bei der Anwendung dieses politischen Schutzkonzepts freie Hand zu haben. • Ein auf die Kernfamilie beschränktes Recht auf Familienzusamenführung und den Zugang zum Arbeitsmarkt. Ein zentraler Punkt der Auseinandersetzung bleibt die Frage des Zugangs zu einem Asylverfahren. Die Mitgliedsstaaten können die Verfahren während der gesamten Dauer des vorübergehenden Schutzes aussetzen. Nach Auffassung von PRO ASYL muss Flüchtlingen der Weg in ein Asylverfahren jederzeit offen stehen und die Verfahren dürfen nicht eingefroren werden. Das Dubliner Übereinkommen Trotz aller Harmonisierungsbestrebungen existieren gravierende Unterschiede bezüglich der Standards der Asylverfahren und der Anerkennungspraxis in der EU. Von daher können Zuständigkeitsregelungen bei der Prüfung der Asylverfahren nicht fair funktionieren. Aktuell produziert das Dubliner Übereinkommen – als wichtiges (nicht ausschließliches) Zuständigkeitskriterium gilt, über wessen Außengrenzen der Asylsuchende in das Unionsgebiet eingereist ist – eine Art Schutzlotterie für Flüchtlinge. Dublin garantiert nicht einmal, dass die Überprüfung eines Asylantrages tatsächlich innerhalb der EU stattfindet. Mitgliedsstaaten können auf Grundlage ihrer nationalen Drittstaatenregelung Schutzsuchende in Nicht-EU-Staaten weiterschieben. Konsequent wäre von daher die Frage, von Zuständigkeitsregeln bis zur Schaffung eines gemeinsamen Asylrechts auszusetzen. In der Dublin ersetzenden Verordnung muss die Drittstaatenregelung gestrichen werden, um den Zugang zu einem Asylverfahren innerhalb der EU sicherzustellen. In Zukunft sollte ein Finanzausgleich auf EU- Ebene entwickelt werden, statt Flüchtlinge weiterhin europaweit zu verteilen. Der Flüchtlingsbegriff Eine einheitliche Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und zwar ”allumfassend und uneingeschränkt” stellt das Funda- Die Richtlinie umfasst u.a.: • einen neuen Solidaritätsmechanismus in Form eines Finanzausgleiches im Rahmen des Europäischen Flüchtlingsfonds und • die konkrete Aufnahme auf der Grundlage der doppelten Freiwilligkeit - d.h. Freiwilligkeit sowohl seitens der Aufnahmeländer als auch seitens der aufzunehmenden Flüchtlinge. 18 Foto: S. O´Neil FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Festung Europa ment eines gemeinsamen Asylrechts dar. Absurderweise ist die Annahme dieser Richtlinie im Harmonisierungsfahrplan der EU erst im April 2004 vorgesehen. Einem großen Teil der De-factoFlüchtlinge wird auf Grund einer restriktiven Auslegung der GFK der ihnen zustehende Flüchtlingsschutz vorenthalten. Die Anwendung der GFK in der Union muss künftig allen Formen und Urhebern von Verfolgung, zum Beispiel auch Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure, Rechnung tragen. Der demnächst vorliegende Richtlinienvorschlag zum Flüchtlingsbegriff der Europäischen Kommission wird nach Einschätzung von Beobachtern, diesem Ansatz in der Grundtendenz Rechnung tragen und muss von daher mit erbittertem Widerstand der Bundesrepublik rechnen. Das BMI wird mit einem nationalen Gesetzesentwurf in die Verhandlungen treten, der die Schutzlücke bei Opfern nichtstaatlicher Verfolgung fortschreibt und sogar erweitert- im Widerspruch zum Völkerrecht und zur Praxis der überwiegenden Mehrheit der EU- Mitgliedsstaaten. Ergänzender Schutz Der so genannte ergänzende Schutz soll zeitgleich mit der Richtlinie zur GFK verabschiedet werden. Aktuell existieren in den meisten Mitgliedsstaaten unterschiedliche Formen des ”ergänzenden Schutzes”. In den Anerkennungsstatistiken nehmen diese Schutzformen im Vergleich zum Schutz nach der GFK zu. Dies lässt sich sicherlich auch als ein Indiz für eine weitere Aushöhlung der GFK werten. Die Rechte, die Personen mit dem ergänzenden Schutzstatus gewährt werden, variieren von Mitgliedsstaat zu Mitgliedsstaat. So besitzt z.B. diese Schutzgruppe in den skandinavischen Ländern das Recht auf Familienzusammenführung und in der Bundesrepublik, Luxemburg und Österreich nicht. Nach unserer Auffassung ist ”ergänzender Schutz” Personen zu gewähren, die nicht unter die GFK fallen, aber durch internationale Abkommen, wie zum Beispiel die Europäische Menschenrechtskonvention, das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die Folter oder die Kinderrechtskonvention vor Abschiebung geschützt sind. Den Flüchtlingen sind Rechte analog zur GFK zu gewähren. Mindestnormen für ein gemeinsames Asylverfahren Der Kommissionsvorschlag sieht ein in der Regel dreistufiges Asylprüfungsverfahren vor, bestehend aus einer Asylbehörde, einer administrativen oder gerichtlichen Beschwerdeinstanz und einem Berufungsgericht. Die Mitgliedsstaaten sind verpflichtet, den uneingeschränkten Zugang zum Asylverfahren sicherzustellen und die erfahrungsgemäß zuerst mit Flüchtlingen in Kontakt tretenden Grenzbehörden zwingend anzuweisen, die Asylsuchenden an die für die Prüfung des Asylantrags zuständige Behörde weiterzuleiten. Weitreichende Verfahrensgarantien gelten für alle unbegleiteten Minderjährigen unter 18 Jahren. Allen wird ein Vormund gestellt, die Anhörungen werden von speziell ausgebildeten Personen durchgeführt. Der Kommissionsvorschlag formuliert vor allem engere Bedingungen an die Drittstaatenregelung. Ungeachtet der generalisierenden Bestimmungen über die Sicherheit in einem Drittstaat muss eine konkrete Einzelfallprüfung erfolgen. Nicht akzeptablel und korrekturbedürfig ist, dass der Kommissionsvorschlag bei Zulässigkeits- und beschleunigten Verfahren hinter völkerrechtlichen Standards zu-rückbleibt. Er lässt neben Flughafenverfahren auch so genannte Grenzverfahren in allen Fallkonstellationen zu. In jedem Fall ist künftig das Verbleibensrecht des Asylsuchenden bis zum Abschluss des Überprüfungsverfahrens sicherzustellen. Mindestnormen für die Aufnahmebedingungen von Asylsuchenden Foto: Maria Wöste Anfang April 2001 veröffentlichte die Kommission ihren Richtlinienvorschlag. Sie will mit ihrem 19 Festung Europa Vorschlag Mindestnormen festlegen, die Asylsuchenden “im Normalfall ein menschenwürdiges Leben” ermöglichen. Der Rat hatte der Kommission bereits im Vorfeld ein Korsett angelegt. In der Ratsitzung vom 30.11/1.12.2000 wurden Leitlinien verabschiedet.Die Bundesrepublik hatte vorab klargestellt, dass die EU-weit einzigartige bundesdeutsche Residenzpflicht nicht zur Disposition stehe. Angesichts der vorgegebenen Leitlinien durch den Rat und den sehr verschiedenen Ausgangsvoraussetzungen in den Mitgliedsstaaten, bezogen auf die existierenden allgemeinen Sozialsysteme und der sozialen Ausgestaltungen des Asylverfahrens, formuliert die Kommission äußerst restriktive Aufnahmebedingungen, mit vielen Kann-Bestimmungen. Aktuell variieren die Sozialleistungen für Asylsuchende von keinerlei Zuwendungen wie z. B. Griechenland, über partielle Leistungen wie in Österreich, Italien, Frankreich, Spanien und überwiegend durchgängige Leistungen in den Benelux – Staaten, in den skandinavischen Mitgliedsstaaten, England, Irland und Deutschland. Wobei sich in der letztgenannten Gruppe zunehmend reduzierte Leistungen durchsetzen. Der nun vorliegende Kommissionsvorschlag ermöglicht diesen Staaten ihr restriktives Modell (Sachleistungen, Gutscheine etc.) beizubehalten und zum Teil noch weiter abzusenken. Verbesserung hätte die Umsetzung dieses Vorschlags in Staaten zur Folge, in denen nicht einmal eine Grundversorgung oder nur ein partielle existiert. Absurderweise schränkt die Kommission die Voraussetzung für ein faires Verfahren durchgängige Versorgung während des gesamten Verfahrens bzw. Aufenthalts auch noch ein. Artikel 22 regelt die Einschränkung bzw. Aberkennung von Aufnahmebedingungen, z.B. bei Untertauchen von mehr als 6 Wochen, Rücknahme des Asylantrages, bei “unangemessenen Verhaltens” in den Unterkünften etc. Asylsuchenden wird nach sechs 20 Monaten der Zugang zum Arbeitsmarkt gewährt. Doch die Mitgliedsstaaten “ bestimmen weiterhin völlig eigenständig über den nationalen Arbeitsmarkt”. Drei Monate, nachdem den Schutzsuchenden der Zugang zum Arbeitsmarkt zugestanden wurde, dürfen die Mitgliedsstaaten die materiellen Aufnahmebedingungen einschränken oder gar aberkennen. “ Die Frage der Freizügigkeit bzw. Residenzpflicht wurde zur Zufriedenheit der Bundesrepublik gelöst. Die Mitgliedstaaten können beschließen, dass sich Asylsuchende in einem begrenzten Bereich aufhalten müssen, wenn dies zur Umsetzung der Richtlinie oder zur zügigen Bearbeitung der Asylanträge erforderlich ist. Richtlinie zur Familienzusammenführung Der Richtlinienvorschlag zur Familienzusammenführung vom Dezember 1999 gewährte insbesondere Flüchtlingen das Recht auf Familienzusammenführung. Die EU-Kommission legte zudem einen Familienbegriff zu Grunde, der nicht nur nichteheliche, sondern auch gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften umfasst. Außerdem regelte er die Möglichkeit der Familienzusammenführung auch für Verwandte in aufsteigender Linie (Eltern und Großeltern) sowie in Ausnahmen - auch für volljährige Kinder. Auf Grund der starken Widerstände in einzelnen Mitgliedsstaaten – allen voran die Bundesrepublik – legte die Kommission am 10. Oktober 2000 einen revidierten Vorschlag vor. In dieser restriktiveren Fassung wurde die große Gruppe der Personen herausgenommen, die so genannten ergänzenden Schutz besitzen. GFK-Flüchtlingen wird weiterhin ein Rechtsanspruch auf Familienzusammenführung ohne Restriktionen gewährt. Mittlerweile ist der Kommissionsvorschlag völlig zerpflückt. In Folge eines Monate langen bundesdeutschen Widerstands in den Ratsar- beitsgruppen hat das BMI aus einem europäischen Richtlinienvorschlag einen bundesdeutschen gemacht, mit aktuell über 25 Kann-Bestimmungen. Mit seinem Referentenentwurf legt Schily noch einmal eine Rolle rückwärts hin und senkt das Nachzugsalter für Kinder im Normalfall auf zwölf Jahre ab, während der EU-Standard bei achtzehn Jahren liegt. Die EU braucht eine grundlegende Reform und ein rechtsverbindliches Europäisches Grundrecht auf Asyl Auf dem EU-Gipfel im Dezember 2000 in Nizza proklamierten die Repräsentanten der drei EUInstitutionen eine Grundrechtscharta. Eine erneute Regierungskonferenz im Jahr 2004 wird entscheiden, ob die Charta in die Verträge aufgenommen und damit rechtsverbindlich wird. In Artikel 18 wird ein Asylrecht garantiert: ”Das Recht auf Asyl wird nach Maßgabe des Genfer Abkommens vom 28. Juli 1951 und des Protokolls vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sowie gemäß dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft gewährleistet.” Ein rechtsverbindliches Europäisches Grundrecht auf Asyl stellt sicher, dass ein effektiver Zugang zum Verfahren in einem Mitgliedsstaat und Flüchtlingen die Gewährung der Rechtsstellung nach der Genfer Flüchtlingskonvention gewährleistet wird. Darüber hinaus benötigt die EU eine umfassende Reform. Der noch nicht ratifizierte Vertrag von Nizza hat nicht ansatzweise eine politische Union, die mehr Demokratie und mehr Transparenz bietet, auf den Weg gebracht. Im Post-Nizza-Prozess muss das Demokratiedefizit beseitigt werden: FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Festung Europa • Das Einstimmigkeitsprinzip muss im Bereich Justiz und Inneres fallen. • Notwendig sind reale Mitentscheidungsrechte des Europäischen Parlaments und eine starke, parlamentarisch kontrollierte Kommission. • Die Charta der Grundrechte muss rechtsverbindlich werden. Ohne diese Reformen gestaltet sich der Weg zu einem gemeinsamen Asylrecht weiterhin zäh und wird flankiert von einem ungebremsten Wettlauf der Restriktionen auf Seiten der Nationalstaaten. Die größte Gemeinsamkeit der Mitgliedstaaten bleibt die möglichst effiziente Entledigung der Verantwortung bei der Flüchtlingsaufnahme, der Schutz vor Flüchtlingen. Die Staats- und Regierungschefs bekennen sich zum Flüchtlingsschutz in der Union, in der Praxis schottet sich die EU jedoch weiterhin gegenüber Schutzsuchenden ab. Sichtbarer Ausdruck sind so genannte Aktionspläne der EU zu verschiedenen Herkunftsländern (Irak, Afghanistan, Marokko, Somalia, Sri Lanka und Albanien/Kosovo). Diese Aktionspläne sollen Ausdruck einer künftig größeren Kohärenz der Innen-, Außenund Entwicklungspolitik sein. Im konkreten Umsetzungsteil finden wir kein Wort darüber, wie ein Schutzsuchender Zugang zu einem Asylverfahren in der EU findet: Es geht um Fluchtverhinderung, Regionalisierung der Flüchtlingsaufnahme, Vorverlagerung der Abschottungsmaß- nahmen in Transitländer und die Suche nach neuen Abschiebewegen. UN-Generalsekretär Kofi Annan hat den europäischen Staaten ihre Abwehrpolitik und den fatalen Vorbildcharakter deutlich ins Stammbuch geschrieben: ”... ich bedauere es sagen zu müssen, (es) sprechen einige Anzeichen dafür, dass Europa seine Verpflichtungen aus dem Auge verliert, Flüchtlinge gemäß internationalem Recht, wie es in der Genfer Flüchtlingskonvention niedergelegt ist, zu schützen. Das bereitet mir größte Sorge, zumal es die Gefahr herauf beschwört, Auswirkungen auf andere Regionen zu haben, die Europa als Vorbild sehen.” (Kofi Annan, im Februar 2001 in Stockholm) Foto: arbeiterfotografie Kolonialbeamte der Europäischen Union EU-Grenzpolizei vor Weißrussland und in Sarajewo V o n H e l m u t D i e t r i c h , d e r T e x t e r s c h i e n i n g e k ü r z t e r F o r m i n d e r J u n g l e W o r l d 21, v o m 2 3 . 5 . 0 1 A m 4. Juli 2001 soll die Zuwanderungskommission, die Innenminister Otto Schily vor einem Jahr installiert hat, ihre Empfehlung für eine neue Migrationspolitik abgeben. Die 21-köpfige Kommission umfasst bei ihrer Konstituierung außer einem Deutsch-Schweizer keine ImmigrantInnen.1 Sie ist kein parlamentarisches Gremium, sondern ein Institutionstyp, der Legitimität für den neuen Regierungsstil in Berlin beschaffen soll. Die Grundlagentexte der neuen Migrationspolitik liegen bereits seit zwei Jahren vor, und die SchilyKommission wird Folgendes ver- künden: Mithilfe eines PunkteSystems sollen pro Jahr 600.000 MigrantInnen hergeholt und 400.000 MigrantInnen mehr oder weniger freiwillig abgeschoben werden, mit einem Realzuwachs von 200.000 Personen jährlich. Nicht eine Liberalisierung, sondern ein Ausbau des Kontrollsystems bis hin in die Herkunftsländer steht also bevor. Ein Scheitern dieses gigantischen Planungsvorhabens ist vorprogrammiert, wenn man sich die Eigenwilligkeit der MigrantInnen und Flüchtlinge ansieht, die bereits das Rotationsmodell der „GastarbeiterInnengeneration“ aushebel- ten und als heimliche ZuwandererInnen die Festung Europa unterliefen. Bemerkenswert an der Neukonzeption ist die expansive Kraft der neuen EU, die darin zur Geltung kommt; ihr gelten die folgenden Überlegungen. Welche symbolische Geste ist damit bezweckt, dass die SchilyKommission den amerikanischen Unabhängigkeitstag für die Veröffentlichung erwägt? Wie lässt sich die heutige Wende der Migrationspolitik auf dem Hintergrund der Jefferson´schen Erklärung von 1776 interpretieren? Jefferson verband in der Er21 Festung Europa Foto: AntiRaGö klärung die Kritik an der monarchistischen Bürokratie mit der Verkündung von Menschenrechten. Der Plantagenbesitzer formulierte in der Präambel, dass alle Menschen von Geburt aus mit gleichen Rechten ausgestattet seien. Aber die Erklärung erwähnt nicht, dass auf den Plantagen und in den Haushalten afroamerikanische SklavInnen arbeiteten. Das Stimmrecht war nur für die weißen Männer, nicht aber für die Frauen vorgesehen. Der menschenrechtliche Impetus, der dennoch der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung innewohnt, bezieht sich vor allem auf das Land ohne Grenzen. Die Immigration aus Europa ließ sich bestens mit der Eroberung des amerikanischen Westens verbinden. So war neben der Sklaverei und der Frauendiskriminierung das leere Land die Voraussetzung für diese Art von Menschenrechtsverständnis. Leer war das Land in den Augen der kapitalakkumulierenden Siedler und Plantagenbesitzer, in Wirklichkeit verdrängten sie die indianische Bevölkerung, dezimierten sie durch die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen und mordeten sie hin. Es ist der expansive Kurs, der für einen Vergleich mit der heutigen Europäischen Union durchaus bestechend ist und die Unabhängigkeitserklärung von 1776 von heute aus lesbar macht. Denn erstens wird die EU-Osterweiterung als Zuwachs konzipiert, nicht als länderübergreifender 22 Neuanfang. Und zweitens haben die Kriegspolitik und die Interventionen in Südosteuropa aus dem Balkan ein untergliedertes EU-Protektorat gemacht. Mit anderen Worten: Westeuropa hat neue abhängige Gebiete, die es durch ein Mehrebenensystem von Regierungsbeauftragten, Beratern, Unternehmen, ThinkTanks und Nichtregierungsorganisationen zu verwalten versucht. Warum nimmt die Migrationspolitik in diesem neuen Szenarium eine Leitfunktion ein? Welche außenpolitischen und intergouvernamentalen Institutionen erfahren durch die migrationspolitische Wende eine Aufwertung oder Neubestimmung? Welche katalysatorischen Prozesse löst ein europaweites, aufeinander abgestimmtes Migrationsregime aus, das nicht mehr an den Grenzen der Festung Europa halt macht, sondern in die Herkunftsgebiete von Flüchtlingen und MigrantInnen eingreift? Die MigrationswissenschaftlerInnen, die von jeher eine besondere Nähe zur Politikberatung aufweisen, haben bereits seit längerem ihrem Feld eine Schlüsselstellung im weltweiten Verhältnis von Reich und Arm zuerkannt, das jedes nationale Politikkonzept obsolet macht. Damit finden sie eine Nähe zur internationalen Krisen- und Konfliktforschung. Man nehme einen Satz von Johan Galtung: „Massenhafte Migration, massive Entwicklung oder massenhafte Tötungen: Wir haben die Wahl. Zu glauben, das gegenwärtige krasse Elend und die offenkundigen Ungleichheiten könnten fortdauern, ist nicht nur unmoralisch, vielmehr auch und vor allem – töricht!“ 2 Die Aggressivität und die Allmachtsphantasien, die hier der westlichen „Staatengemeinschaft“ zugebilligt und angeregt werden, sollten uns bei der folgenden Betrachtung in Erinnerung bleiben. Sie könnten in dem Moment wirklichkeitsmächtig werden, wo die EU aus ihrer Innenpolitik herausfindet und auf die Weltbühne tritt. Vorab kann man jedenfalls konstatieren, dass die genannten Fragestellungen zur neuen vorverlagerten Migrationspolitik die parlamentarischen Kontrollfunktionen und die Legalitätsverhältnisse von Politik in einer Weise berühren, wie sie in den letzten Jahrzehnten in Europa unbekannt und regelrecht „vergessen“ waren: Die Vertreter des „Westens“, wenn der pauschale Begriff erlaubt ist, exekutieren in den abhängigen Ländern Normen und Vorgaben, die nicht aus den gesellschaftspolitischen Legitimierungs- und Kontrollprozessen vor Ort hergeleitet werden. Stattdessen werden für den Einsatz in den neuen „Schutzgebieten“ einerseits die Protektion der Menschenrechte bemüht, und andererseits wird ein Doppelrecht ausgebildet. Während in der Europäischen Union formale Rechtsverhältnisse herrschen, mit Rechtsmittelgarantien und Gewaltenteilung, so walten die Entsendeten vor Ort nach eigenem Ermessen. Es entsteht eine diskretionäre Gewalt, deren Kodifizierung in enorm umstrittenen Randbereichen erfolgt ist, wie im Ausländerrecht, nach dem Nichtdeutsche nicht über gleiches formales Recht verfügen und beispielsweise gegenüber einer Rückschiebung keine Rechtsmittel einlegen können, und aus der Gesetzgebung des Notstand, bei dessen Ausrufung die Regierung die Grundrechte außer Kraft setzt. FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Festung Europa Die ursprüngliche moderne diskretionäre Gewalt, die später im Ausländerrecht und in der Notstandsgesetzgebung kodifiziert wurde, stammt aus dem Zeitalter des Kolonialismus. Die Kolonialbeamten waren lokal regierende Machthaber, Polizisten und Richter häufig in einer Person. In den 35 Jahren des deutschen Kolonialismus unterlagen bis zu 12 Millionen Menschen in den Kolonien nicht etwa dem Strafgesetzbuch, das sich typischer Weise gleichzeitig ausbildete, sondern dem Verwaltungs- und Willkürrecht der Kolonialbeamten. Die Nilpferdpeitsche wurde zum „Hauptkulturmittel“ der deutschen „Zivilisatoren“ in den Kolonien, wie Kayser, der Direktor der Kolonialabteilung im Auswärtigen Amt 1886 im Reichstag verkündete.3 Für den Zusammenhang, der hier und heute interessiert, ist der Hinweis aus der Kolonialgeschichte besonders wertvoll, dass „die damals angeblich weite Verbreitung von Kannibalismus und Sklavenhandel, Menschenopfern und -jagden sowie Verstümmelungen von den Kolonisatoren als Zeichen der eigenen Überlebenheit gewertet [wurden]. Aus der ´animalischen Daseinsform´ der Farbigen wurde eine moralische Pflicht zur Zivilisierung hergeleitet.“ 4 Bei der Bekämpfung des Sklavenhandels setzten die Kolonialbeamten Prügel- und Peitschenstrafen ein – Mittel also, die aus dem deutschen System der Bestrafung Deutscher zur selben Zeit verboten wurden und die es in den Kolonien vor der Kolonialisierung nicht gegeben hat. Vor dem Hintergrund der unterbrochenen Kontinuität kolonialistischer Muster soll im Folgenden kritisch danach gefragt werden, mit welchen Befugnissen, Legitimationen und Handlungsspielräumen künftige EU-Grenzpolizisten bei einem permanenten „out of area“ Einsatz in BosnienHerzegowina, im Kosovo oder auch in Ostpolen ausgestattet werden. Foto: AntiRaGö Wenn man auf den Schengener Formierungsprozess zurückschaut, der in den 90er Jahren zu einem der maßgeblichen Beschleuniger der EU-Integration geworden ist, so kann man zunächst konstatieren, dass verschiedene Aspekte des Schengener Grenzregimes starke – kritische wie unkritische – Beachtung gefunden haben, andere dagegen wenig in die öffentliche Wahrnehmung einflossen. Es überwiegt das Bild, dass die Schengener Vertragsstaaten die Außengrenzen abgeschottet und vor allem nach innen gewirkt hätten. Dieser Eindruck ist insofern berechtigt, als sich in den 90er Jahren die EU stark über die migrationspolitische Abschottung zusammengefunden hat. Die Rede von der Festung Europa umreißt begrifflich diese Formierung. Tatsächlich hat ein gigantischer Zusammenschluss der Polizeien „nach innen“ stattgefunden, ablesbar an dem einheitlichen Schengener Informationssystem (SIS) und an der Arbeit, die die neuen „gemeinsamen Polizeizentren“ länderübergreifend abwikkeln. In diesen Zentren, die regional in Grenznähe entstanden sind, arbeiten beispielsweise niedersächsische und niederländische, oder badenwürttembergische, französische und Schweizer (Nicht-Schengen!) Polizisten und Grenzpolizisten zusammen. Sie unterliegen ihren jeweiligen nationalen Gesetzen, etwa dem Datenschutz, übergehen aber alle dadurch entstehenden Hindernis- se schlicht und einfach dadurch, dass sie sich beim Bedienen nationaler Computer über die Schulter sehen und sich die Aufgaben je nach praktischen Erfordernissen aufteilen. Zu wahren Bahnbrechern dieser Entwicklung wurden aber nicht die Büros zwischen den Schengenstaaten, sondern zwischen den östlichen deutschen Bundesländern und Polen beziehungsweise der Tschechischen Republik. Während zwischen den Schengenstaaten eine gewisse Regelungsdichte auch für diesen Bereich existiert oder je nach einzelstaatlichem Interesse doch bemüht werden kann, so zeichnet sich das deutsch-polnische und deutsch-tschechische Verhältnis an Oder-Neiße und im Erzgebirge nach 1989 durch das Fehlen jeglicher Regelungen und eingeübter Praktiken aus. Hier entstanden die Labors, wenn man so will, für die Deregulierung der internationalen Migrationspolizei. Ohne anweisende Vorschriften, ohne ausreichende Sprachenkunde und ohne gesamtpolitische Annäherungen entstand ein Experimentierfeld mit Ergebnissen, die noch nicht gänzlich bekannt sind. Zu den wichtigen Ausgangsbedingungen dieser Konstellation gehört, dass es sich nicht nur um die einzige Grenze ohne frühere grenzübergreifende Kontakte handelt, sondern auch um die Grenze mit dem höchsten Einkommensgefälle auf der Welt.5 Des weiteren gehört dazu, dass die Bundesregierung sie 23 Festung Europa nach 1990 auf deutscher Seite zur am dichtesten bewachte Grenze Europas machte. Die Praktiken, die der BGS in den Grenzgebieten entwickelte, zielten von Anbeginn auf möglichst viele Zurückweisungen und Rückschiebungen. Flüchtlinge und MigrantInnen, die die Bundesregierung zu Unerwünschten und zum Problem erklärte, überstellt der BGS seitdem zu Zehntausenden jährlich an die beiden östlichen Nachbarländer. Wie ist es möglich, dass ein solches System der größten denkbaren Asymmetrie funktionieren kann? Und dass ausgerechnet hier die „gemeinsamen Zentren“ zu den Katalysatoren einer EU-Grenzpolizei außerhalb der EU werden könnten? Eine Antwort lässt sich vielleicht in den Kompensationszahlungen finden, die die Bundesregierung und später die EU an die beiden Nachbarstaaten für die Neuausrichtung der dortigen Polizeien zahlte. Ähnliche Finanztransfers hat es innerhalb der EU nicht gegeben. Ein weitere Antwort ist darin zu suchen, dass den polnischen und tschechischen Grenzschützern nicht nur ein neues Feindbild, das der „Illegalen“, der „Schlepper“ und „Schleuser“ vermittelt wurde, gegen die sie gemeinsam zu Felde ziehen, sondern auch eine neue polizeiliche Praxis angeboten wurde: Die Rückschiebung. Dieses polizeiliche Instrument wendet die Grenzpolizei gegenüber denjenigen an, denen jegliches Statusrecht, auch das auf Asyl, verweigert wird. Innerhalb von 48 Stunden werden sie nach ihrer grenznahen Festnahme über die Grenze zurückgeschoben. Sie haben keine Chance, Verwandte und Bekannte zu benachrichtigen, einen Anwalt einzuschalten, und sie werden auch keinem anderen Behördenvertreter außerhalb des BGS vorgeführt. Sie befinden sich in einer Situation der alleinigen Exekutionsmacht durch den BGS – es ist die Situation dis24 kretionärer Gewalt, von der bereits die Rede war. Nirgendwo im Landesinneren gibt es diese absolute Verfügungsmacht, diese Verwaltungsermächtigung. Allein den Grenzraum in einer Breite von 30 Kilometern definierten die Gesetzgeber als „gefährlichen Ort“ mit den Sonderbefugnissen des BGS. Gegenüber den anderen Schengenstaaten kommt diese polizeigeografische Möglichkeit deswegen nicht zur Anwendung, weil dort das Dubliner Abkommen die Rücküberstellungen regelt und dieses wegen seines vergleichweise komplizierten Nachweissystems kaum in Anspruch genommen wird. Die Fahndung nach heimlich Eingereisten und die Rückschiebung gehört zu den Hauptaufgaben der deutschen, polnischen und tschechischen Grenzpolizisten an Oder-Neiße und im Erzgebirge. Die Erweiterung des Ermessensspielraums, der Machtzuwachs ist offensichtlich der Faktor, der die ungleichen Partner vor, während und nach der Menschenjagd zusammenschmiedet. Eine gemeinsame „Kultur“ entsteht bei den Grenzpolizisten diesseits und jenseits der Schengener Außengrenze, nämlich die, zur europäischen Zivilisation dazuzugehören und gemeinsamgrenzüberschreitend zu ihrer Sicherung beizutragen. Jedes Interview, das man mit ihnen führen kann, offenbart die Verachtung der Geschleusten, die nichts als dummes Opfer seien, und der „skrupellosen Schleuser und Schlepper“, die der internationalen Verschwörung des Organisierten Verbrechens angehörten. Dass die heimlich Eingereisten in Wirklichkeit kluge Menschen sind, die auch nach der Abschiebung wiederkommen werden und schon wissen, was sie machen, und dass die kommerziellen FluchthelferInnen womöglich arbeitslose ehemalige MitschülerInnen aus den deutschpolnischtschechischen Grenzgebieten sind, entgeht auf systematische Weise der migrationspolizeilichen Wahrnehmung. Im Europavergleich ist die Zusammenarbeit an der deutschpolnischen Grenze am weitesten entwickelt. Die Wertemuster haben sich angenähert, gemeinsame Streifengänge und länderübergreifende Fahndungsoperationen finden statt. (Am Rande sei bemerkt, dass alle zivilen Bemühungen, eine lokal verankerte deutsch-polnische Partnerschaft aufzubauen, bisher nur ein kümmerliches Dasein fristen.) Diese deutsch-polnische Fandungspraxis der Grenzschützer findet sich als Ausgangspunkt in den Planungstexten, die seit 1998 in den europäischen Gremien und EUnahen Think-Tanks zur Entwicklung eines EUGrenzschutzes im Umlauf sind. Doch zunächst zu einer anderen Keimzelle des EU-Grenzschutzes, den Verbindungsbeamtenauf dem Balkan. BGS-Polizisten befinden sich dort seit dem Kollabieren des albanischen Staats, seit Dayton in BosnienHerzegowina und in Kroatien und schließlich seit dem Ende des NATO-Kriegs gegen Jugoslawien in Kosovo. Dass sie sich dort der versteckten Flüchtlingsfahndung widmen, stellte sich bei Recherchen zum sogenanten Irak-Plan heraus, den die Bundesrepublik Deutschland als ein Musterprojekt der vorverlagerten Flüchtlingsbekämpfung entwarf. Eines seiner Ziele ist die Zerschlagung der Fluchtwege von und über den Balkan. Der Krieg ums Kosovo ermöglichte eine zeitweise Realisierung dieses Plans, die Flüchtlinge wurden in kriegsnahen Lagern der NATO-Staaten untergebracht und aufgehalten.6 Vor dem NATO-Krieg um das Kosovo zeichneten Polizeien und Medien in immer schärferen Konturen ein Bedrohungsszenarium, das vom Balkan ausginge. Als Ursache der Unruhe galten nicht etwa die rassistischen Diskriminierungen und die Politik der Ethnisierung, sondern - die Emigration von Kriminellen. Waren es in der Bundesrepublik die Kosovaren, die pauschal des Dro- FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Festung Europa genhandels verdächtigt wurden, so fungierten in Italien die Albaner generell als verhassenswerte Menschenhändler und Zuhälter. Mit dem analytisch-kritischen Blick auf dieses Szenarium soll nicht in Abrede gestellt werden, dass es tatsächlich Drogenhandel und Prostituiertenausbeutung gibt. Hier interessiert aber die ethnisierte Stigmatisierung der gesamten Flucht und Migration aus denselben Gebieten, die zum Objekt polizeilicher und militärischer Gewalt von außen wurden. Es koexistieren die Bilder einer Bevölkerung, die generell gefährlich wird, wenn sie denn in kleinem prozentualen Anteil bis nach Westeuropa gelangt, und derselben Bevölkerung, die gänzlich zum Opfer wird, wenn sie auf dem Balkan verbleibt. Ihr Opferstatus ist konstitutiv für die “humanitäre Intervention” und eben auch für die Stationierung von Verbindungsbeamten des Grenzschutzes und anderer Polizeien, damit sie nicht emigrieren und sich mit ihrer Ankunft in Westeuropa in gefährliche Klassen verwandeln. Das ist der Kontext einer neuen westeuropäischen Menschenrechtspolitik, bei der die Menschenrechte nicht als Ausdruck basisstarker Artikulation von Menschen gegenüber dem Staat und mächtigen Gruppen gilt, sondern als Begleitwerk einer Schutzpolitik in abhängigen Gebieten. Weder Jugoslawien noch seine Teilnachfolgestaaten haben gegen die Mehrheit der Welt eine Visapflicht erlassen. Schengen war nicht Vorbild, auch existierten kaum Grenzbewachungen und erst recht keine massiven Grenzbefestigungsanlagen. Doch nach den Balkankriegen drängte die entstehende Protektoratsverwaltung in allen Balkanländern darauf, die ersten Staatseinnahmen, die in manchen staatlichen Neugründungen überhaupt nur möglich waren, über den Zoll an den Landesgrenzen zu gewinnen. Der zögerliche Staatsaufbau in den genannten Ländern erfolgte nicht über eine aktive Gesellschaftspo- litik der guten Nachbarschaft, sondern über eine durchgesetzte Trennung der Nachbarn, die sich durch die grenzpolizeiliche Überwachung nunmehr verfestigt. Heute ist in Bosnien-Herzegowina der neue Grenzschutz die einzige bedeutende Behörde des Gesamtstaats. Sie zählt gegenwärtig 2.600 Polizisten, geplant ist ihre Aufstockung auf 3.500 Grenzwächtern. Sie untersteht der UN-Polizei-Taskforce, in der der westeuropäische Einfluss entscheidend ist.7 Neben dem Aufbau von Grenzpolizeien in Südosteuropa haben Verbindungsbeamte als sogenannte Dokumentenberater und als migrationspolizeiliche Koordinatoren auf Flughäfen und in Botschaften Stellung bezogen. Ihre Arbeit, die inzwischen auf EU-Ebene koordiniert wird, läuft auf der Grundlage ganz weniger halbverbindlicher Texte, in der keinerlei rechtliche Befugnisse festgelegt sind. Die Sorge der EU gilt vor allem der mangelnden Abstimmung der verschiedenen Apparate und Behörden untereinander. Allein aus der Bundesrepublik Deutschland sind der BGS, das BKA und das BAFL mit eigenen Beamten an diesen Vorfeldstationierungen beteiligt. Auf der EU-Ebene soll CIREFI, das Clearinghaus für die Überwachungsmaßnahmen der Außengrenze, die Koordination übernehmen.8 Eine kohärente Strategie zum Aufbau einer EU-Grenztruppe in Ost- und Südosteuropa hat eine Reflektionsgruppe 1998-99 unter Vorsitz des italienischen Ministerpräsidenten Giuliano Amato im Auftrag der Europäischen Kommission erarbeitet.9 Im Vordergrund der Studie steht die zivilisatorische Mission, die die Grenzpolizei einer erweiterten und wirtschaftlich expandierenden Europäischen Union zu erfüllen haben: Die EU-Grenzpolizei soll, so die Empfehlung der Studie, nicht gegen rivalisierende oder gar feindliche Nachbarn einer erweiterten EU in Stellung gebracht werden, sondern den Segen westlicher Werte durch Kooperation auch mit schwierigen angrenzenden NachbarGrenzpolizeien verbreiten. Der Schulterschluss über die vorverlagerte EU-Außengrenze hinweg sei durch die Bekämpfung der “illegalen Migration“, der “Schlepper und Schleuser” und überhaupt der „Organisierten Kriminalität“ zu erlangen. Im Februar 2001 veröffentlichten Giuliano Amato und Tony Blair im Vorfeld einer informellen EUJustiz- und Innenministerkonferenz einen Aufruf zur EU-Integration der diversen westeuropäischen Grenzpolizisten, von Europol und anderen obskuren Diensten, die bereits auf den Flughäfen Sarajewo und Mostar sowie an der bosnisch-herzego- Postkarte von FFF u.a. 25 Festung Europa winischen Grenze zu Kroatien stationiert sind, um die dort legal reisenden Flüchtlinge und MigrantInnen aus dem Nahen Osten und Asien aufzuhalten. Eine “Sarajeworoute” wollen Amato und Blair ausgemacht haben, die durch Verhängung hoher Strafen für heimlichen Grenzübertritt und eine entsprechende Fahndungsausrichtung zerschlagen werden soll.10 50.000 Personen seien in den ersten 10 Monaten des Jahres 2000 illegal über Bosnien in europäische Länder eingereist, schreiben sie unter Berufung auf die UN-Polizei in Sarajewo, die sich aus dem BGS und anderen europäischen Polizeien zusammensetzt und den dortigen Grenzschutz aufbaut. Seltsam, dass sich die späteren Illegalen so einfach zählen lassen. Die Auseinandersetzungen der Zukunft werden Aufschluss über die Fragilität der neuen Ordnung in den abhängigen Gebieten erbringen. Schon jetzt greift die Angst beim UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR und beim Internationalen Roten Kreuz um sich, denn sie haben sich wie viele andere internationale Organisationen mehr oder weniger offen an die Seite der “humanitären Interventionen” gestellt. Einige ihrer Mitarbeiter wurden in fernen Ländern immer öfter für Stellver- treter der neuen Ordnung gehalten und angegriffen, es gab bereits Tote. Und ob die Vorverlagerung der Abschottung, begleitet von einer kontrollierten Zuwanderungspolitik, die Flüchtlinge und MigrantInnen abhalten wird, darf bezweifelt werden. Alle bisherigen Versuche sind schiefgegangen. Der Zugang zu Existenzmitteln und zu Wohlstand wird sich nicht verbieten lassen, die Kämpfe und Auseinandersetzungen zur sozialen Frage in einem vergrößerten Europa werden nicht auf sich warten lassen. 1 Erst später wird ein türkisch-deutscher Großunternehmer zum Kommissionsmitglied berufen. 2 Galtung, Johan: Globale Migration, in Butterwege, Christoph; Hentges, Gudrun: Zuwanderung im Zeichen der Globalisierung. Migrations-, Integrations- und Minderheitenpolitik, Opladen, S. 9-19, hier: S. 19 3 RT, Sten. Ber., IX. Leg.-Per. 1896/1897, 59. Sitz. v. 13.3.1896, S. 1431, zit. n. Kopp, Thomas: Nichtdeutsche Angeklagte im deutschen Strafverfahren. Ihr Schutz im Normal-, Kolonial- und Militärzustand seit der Reichsgründung 1871, Baden-Baden 1997, S. 93 6 Dietrich, Helmut; Glöde, Harald: Kosovo. Der Krieg gegen die Flüchtlinge. FFM Heft 7, Berlin u.a. 2000 7 NZZ, 25.04.2001 8 Gemeinsame Maßnahme vom 14. Oktober 1996 betreffend einen gemeinsamen Orientierungsrahmen für die Initiativen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union in bezug auf Verbindungsbeamte; Gemeinsamer Standpunkt vom 25. Oktober 1996 betreffend Unterstützungs- und Informationsprogramme im Grenzvorbereich; Beschluß des Exekutivausschusses des Schengener Durchführungsübereinkommens vom 16. Dezember 1998 bezüglich des koordinierten Einsatzes von Dokumentenberatern im Flug- und Seeverkehr und bei konsularischen Vertretungen; Rat der Europäischen Union, Brüssel, den 28. Juni 2000 (9805/00; CIREFI 39, COMIX 512): Aufzeichung des künftigen französischen Vorsitzes für CIREFI, Betr.: Netz von Verbindungsbeamten. Im Anschluss an diese EU-Texte finden sich Länderund Flughafenlisten mit den entsprechenden EU-Entsendeländern der Verbindungsbeamten. Zur Stationierung von BGS-Beamten in Botschaften siehe auch Nachrichten der Arbeitsgemeinschaft katholischer Flüchtlinges- und Aussiedlerhilfe (Katholischer Lagerdienst)) Nr. 17, 22. Jui 1998 4 Kopp, a.a.O., S. 107 9 Amato, Giuliano; Batt, Judy: The Long-Term Implications of EU Enlargement: The Nature of the New Border. Final Report of the Reflection Group. Fiesole, 1999 5 Stalker, Peter: Workers Without Frontiers. The Impact of Globalization on International Migration. ILO 2000 10 Observer 04.02.2001, Le Monde, 08.02.2001, TAZ 08.02.2001, Tagesspiegel 10.02.2001, NZZ 16.03.2001 Fluchtabwehr: Regionalisierung der Flüchtlingsaufnahme Thomas Uwer, WADI e.V. W ir erleben gerade, wie die Flüchtlingspolitik in Europa auf dem Weg zu einer „europäischen Flüchtlingspolitik“ einen grundlegenden Paradigmenwandel durchläuft. Die EU hat sich vorgenommen, in der Flüchtlingspolitik nicht mehr nur bereits eingetretene Tatbestände zu verwalten, sondern schon im Vorfeld, dort wo die Flüchtlinge entstehen, politisch einzugreifen. In den Theoriepapieren der EU ist daher die Fluchtabwehr von 26 der Aussen- und Entwicklungspolitik immer weniger zu trennen, was weitreichende Folgen für die gesamte Flüchtlings- und Asylpolitik hat - ein Vorhaben, das nicht in der Theorie stecken bleibt und daher sehr ernst zu nehmen ist. Seit in Edinburgh 1992 das Konzept der „Regionalisierung der Flüchtlingsaufnahme“ erstmals auf die europäische Agenda gesetzt wurde, bewegt sich Flücht- lingspolitik immer weiter aus den Zentren hinaus, zunächst in die subeuropäische Peripherie durch die Einbindung der Anrainerstaaten Osteuropas und des Maghreb in ein repressives Grenzregime - und im zweiten Schritt in die sogenannten Herkunftsregionen - jene „flüchtlingsproduzierenden“ Länder, an die der potentielle Flüchtling möglichst noch vor seiner Flucht gebunden werden soll. Bei diesem Unternehmen bleiben umge- FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Festung Europa kehrt auch die Entwicklungspolitik und das aussenpolitische Verhältnis zu jenen Staaten und Regionen nicht unberührt, die dem europäischen Markt ausser nichtverwertbaren Menschen wenig zuzuführen haben. Ich werde versuchen diese Bewegung aus dem Zentrum heraus in drei Schritten nachzuvollziehen und die praktischen Konsequenzen zu beleuchten: • erstens für die Entwicklung vor Ort, also dort, wo mit humanitärer Hilfe und zum Teil militärischen Interventionen in die Gesellschaften der Herkunftsländer interveniert wird. • zweitens für Flüchtlinge und Flüchtlingspolitik in Europa selbst. • und drittens für die Staaten dazwischen, die sogenannten Transitländer, die Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa passieren müssen. Als Beispiel werde ich die beiden Eckpunkte dieser Entwicklung heranziehen: Den kurdischen Nordirak, als erster sogenannter Safe Haven und also Modellfall wie auch Experimentierfeld für alle weiteren Konzepte einer “heimatnahen Fluchtabwehr”; sowie den Kosovo als jüngstes und prominentestes Beispiel dieser Entwicklung. 1. Heimatnahe Fluchtabwehr Mit der Durchsetzung sogenannter safe haven, UN-Schutzzonen und ethnischer Enklaven als die bedeutsamste Manifestation des Konzepts der regionalisierten Flüchtlingsaufnahme, sind Entwicklungspolitik und humanitäre Hilfe zu einem praktischen Bestandteil der Fluchtabwehr geworden. Regionen, die geschaffen wurden, um Migration und Flucht einzudämmen, werden am Leben gehalten mit den klassischen Mitteln der Not- und Ent- wicklungshilfe. Ganz abgesehen von der drängenden Frage, welche Sicherheit diese safe haven in der Realität bieten, fällt zu allererst auf, dass keine dieser regionalen Enklaven in die Lage versetzt werden konnte, sozial und ökonomisch ohne massive internationale Hilfe zu überleben. So stellt für alle diese Regionen die humanitäre Hilfe auch nach Jahren noch die Haupteinkommensquelle dar, während daneben zumeist nur der Gewinn aus dem Schmuggel- und Schwarzmarkthandel ökonomisch ins Gewicht fallen. An die 80% des geschätzten volkswirtschaftlichen Einkommens im kurdischen Nordirak beispielsweise stammen direkt aus dem internationalen Hilfsprogramm oder der ihr angegliederten Zulieferwirtschaft, 20% werden durch Wegezölle und illegale Ölausfuhr erwirtschaftet. Es ist naheliegend, dass die Struktur und Logik, in der die humanitäre Hilfe arbeitet, eine zentrale Rolle bei der gesellschaftlichen Entwicklung dieser Regionen spielt: Die Verteilungsstrukturen der humanitären Hilfe stellen den Ursprung der Ökonomie der Flüchtlingsenklaven dar, die rein auf Distributionssicherung beruht. Ohne die Distributionslogik der Hilfsökonomie ist also keine der Entwicklungen vor Ort verständlich. Wie sehen diese Strukturen aus? Angesichts der Tatsache, dass derartige Enklaven immer das Resultat militärischer Konflikte sind und zu Beginn mit einer grossen Anzahl von displaced persons zu kämpfen haben, zielt humanitäre Hilfe folgerichtig zuerst auf die Verteilung der dringendst benötigten Güter ab. Diese Verteilung erfordert notwendig die Formation von Gruppen und sozialen Strukturen, ohne die sie nicht effektiv funktionieren kann. Eine Art von Hilfsökonomie, die einer sozialen Formation bedarf, deren wichtigste gesellschaftliche Aufgabe zur Aufrechterhaltung des ökonomischen Kreislaufes darin besteht, den sicheren und unbehinderten Fluss der zu verteilenden Waren zu garantieren. Im Falle des Kosovo begannen NGO bereits in den mazedonischen Flüchtlingscamps mit der Registrierung der Flüchtlinge und Zuordnung nach regionaler Herkunft. Später wurde die Region in sieben Areas of Responsibility unterteilt - eine Unterteilung, die nicht nur der internen Organisation des Hilfsprogrammes diente (jedes Gebiet wurde der Verantwortung einer der grossen NGO unterstellt), sondern auch und vor allem die Schaffung regionaler Verteilungsstrukturen und damit der Bindung von Menschen an einen möglichst eng begrenzten Raum bewirkte. Das übergreifende Ziel der „Regionalisierung” der Flüchtlingsaufnahme - also die Versorgung vor Ort - grenzt die humanitäre Hilfe, die aus ihrer eigenen Logik heraus schon zwangsläufig auf bereits bestehende regionale oder traditionelle Sozialstrukturen zurückgreifen muss, um eine möglichst effektive Verteilung zu erreichen, auf einen eng gefassten topografischen Raum ein. Die Indienstnahme regionaler Sozialstrukturen wertet so einerseits traditionelle, bestehende Formen sozialer Organisation enorm auf und bindet sie an einen möglichst überschaubaren sozialen Raum zurück, sie verleiht andererseits den bereits existierenden regionalen Eliten zusätzliche Macht durch die Kontrolle über den Fluss humanitärer Güter. Im kurdischen Nordirak waren dies lokale NGO, die den regional organisierten kurdischen Parteien direkt untergliedert waren oder auf Stammesverbänden fussten. Stammesstrukturen, die während der Vernichtungskampagne der irakischen Armee zuvor entweder zerschlagen wurden oder durch die Kollaboration einzelner Stammesführer diskreditiert waren, wurden auf diese Weise künstlich wiederbelebt. 27 Festung Europa Die bedeutsamste und zugleich gefährlichste Folge ist, dass spezifische lokale Akteure über die Kontrolle der Distribution von Hilfsgütern mit einer ungeheuren Macht ausgestattet werden. Diese lokalen Akteure sind zumeist führende Personen der Milizverbände und Parteien oder traditionelle und religiöse Führer. Und selbst wenn nicht: Humanitäre Hilfe ist ein wertvolles Gut, das geschützt werden muss. Sie wird in all diesen Regionen - zumindest bis die Claims abgesteckt sind - mit Waffen geschützt; Waffen, die die lokalen Milizen stellen. Im Kosovo übernahmen kleine sogenannte Private Voluntary Organisations die Distribution. Selbst wenn sie es nicht wollten, mussten sie doch zu Kompagnons lokaler Parteien und Milizverbände werden, ohne die eine sichere Verteilung nicht möglich gewesen wäre. Aus zwei miteinander direkt korrespondierenden Gründen: Die lokalen Eliten und die an sie angegliederten Miliz- verbände trachten ganz folgerichtig danach, die Distribution der Hilfsgüter zu kontrollieren, weshalb diese geschützt werden muss. Dies bedeutet andererseits, dass sich die Verteilung an eine dieser Eliten anschließen muss, um Schutz gegen Übergriffe zu erhalten. Es entsteht ein System vollständiger Abhängigkeit von diesen Regionaleliten, das - vor allem aufgrund seiner regionalen Begrenztheit - an feudale Herrschaftsstrukturen mit konkurrierenden Fürstentümern erinnert. Denn insofern, als der Zugang zu Mitteln der humanitären Hilfe die einzige Einkommensquelle darstellt, ist die absolute Loyalität zu diesen lokalen Eliten die einzige Garantie für die Menschen zu überleben. Wer im Machtbereich einer dieser Eliten aus dem Verteilungssystem ausgeschlossen wurde, kann lediglich darauf hoffen im Gebiet der nächsten, konkurrierenden Miliz Unterschlupf und Auskommen zu finden. Diese Eliten sind zweitens regional oder ethnisch definiert. Am Ende der Verteilungskette funktioniert humanitäre Hilfe über persönliche Bekanntschaft oder Zugehörigkeit zu primordialen (ursprünglich, d. Red.) Strukturen, also Stämmen, Clans und Familien. Ethnische, regionale und primordiale Zugehörigkeit wird damit zu einem überlebenswichtigen Aspekt im Leben der Menschen, weil nicht zur richtigen Gruppe zu gehören zugleich auch bedeutet, aus den Verteilungsstrukturen ausgeschlossen zu sein. Dieser Ausschluss wird damit zu einer effektiven Waffe. So wird der lokale Verteilungskampf ausgetragen in den Kategorien von ethnischer und regionaler Zugehörigkeit und der Gewährung bzw. Verweigerung der damit verknüpften Rechte. Auseinandersetzungen zwischen solchen Gruppen sind daher auch eines der grössten Probleme dieser Regionen. Im Kosovo waren Roma und Juden die ersten, die Folgen des Aktionplan Irak Seit der erste sogenannte Aktionsplan Irak zur Bekämpfung irakischer Flüchtlinge im Frühjahr 1998 auf den Weg gebracht wurde, streben die Mitgliedsstaaten der EU danach, Flüchtlinge aus dem Irak (und kurdischen Nordirak) nicht nur an den Außengrenzen abzuwehren, sondern auch jene, die Europa bereits erreicht haben, "rückführbar" zu machen. Es konnte beobachtet werden, wie in allen europäischen Ländern die Anerkennungsquoten gegenüber dieser Flüchtlingsgruppe binnen kurzer Zeit massiv sanken - in Deutschland 1998 von nahezu 90 % auf rund 30 %, in Holland von 71 % auf 4,1 % (in Deutschland ist die Anerkennungsquote nach massiver Kritik an der Lageberichts- und Anerkennungspraxis nach jüngsten Statistiken wieder auf rund 50 % gestiegen). Ein Rückgang der zentral mit der Definition des kurdischen Nordirak als "inländische Fluchtalternative" zu begründen ist. Während aufgrund des anhaltenden internationalen Embargo gegen den Irak und der Weigerung der Türkei, eine Durchschiebung abgelehnter irakischer Asylbewerber zu gestatten, derzeit eine zwangsweise Rückführung nicht möglich ist, wirkt sich die sinkende Anerkennungsquote zu aller erst auf die Lebenssituation der Flüchtlinge innerhalb Europas aus, deren Zugriffsmöglichkeiten auf Sozialleistungen und Bewegungsrechte mit sinkendem Status eingeschränkt werden - mit dem Ziel, 28 sie zu einer "freiwilligen" Rückkehr zu bewegen. Diese von Flüchtlingsinitiativen als "policy of starvation" (Aushungerungspolitik) kritisierte Politik hat in den Niederlanden einen neuen Höhepunkt erreicht. Seit April dieses Jahres ist dort ein neues Ausländergesetz in Kraft, das letztinstanzlich abgelehnten Asylbewerbern den legalen Aufenthaltsstatus entzieht (ein mit der Duldung vergleichbares ausländerrechtliches Institut existiert nicht) und diese faktisch illegalisiert. Damit einher geht der vollständige Verlust aller Ansprüche auf Sozialleistungen oder medizinische Versorgung. Die größte Gruppe der Betroffenen stellen die irakischen Kurden - Flüchtlingsinitiativen gehen von mindestens 4.800 und bis zu 9.000 Betroffenen innerhalb der nächsten Zeit aus. Flankierend hat das niederländische Außenministerium einen länderspezifischen Bericht zum kurdischen Nordirak vorgelegt, der die Region als sicher zur Rückführung von Flüchtlingen beschreibt. Der Bericht, der zwischenzeitlich vom Parlament angenommen wurde, weist eine Reihe grundsätzlicher Fehleinschätzungen auf. Nur eine Woche nach Annahme des Berichts ist das neue Ausländergesetz gegenüber der ersten kurdischen Familie aus dem Nordirak von den Ausländerbehörden umgesetzt worden: Sie wurde von der Polizei aus der Flüchtlingsunterkunft geworfen. (...) (Aus PRO ASYL Info Nr. 51) FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Festung Europa den ethnisierten Verteilungskampf verloren. Andere Ethnien folgten, von denen einige erst im Moment des Ausschlusses von ihrer Existenz erfuhren. stem nach innen. Das role model hierfür haben die NGOs geliefert. Die Folgen für die gesellschaftliche Entwicklung liegen auf der Hand. Die durch die Distributionslogiik der humanitären Hilfe gestärkten lokalen oder ethnischen Machtzentren unterminieren systematisch jeden Ansatz zur Entwicklung unabhängiger und demokratischer Strukturen sie stehen dem Gleichheitsgedanken diametral entgegen. Sie unterminieren zugleich jeden Versuch, eigenständige ökonomische Strukturen zu entwickeln und zwar in zweifacher Weise: Indem sie einerseits den Markt auf unwirtschaftliche regionale Enklaven beschränken, zwischen denen mitunter enorme Wohlstandsgefälle herrschen. Andererseits stellt die Distributionsökonomie ein zentrales Mittel zum Machterhalt der Eliten dar, die mit Argusaugen über jede unabhängige ökonomische Aktivität wachen, die potentiell immer ihren Einfluss zu unterminieren droht. In der Folge ist zudem zu beobachten, wie sich regionale Parteien und Milizen zunehmend entpolitisieren, wie dies nach zehn Jahren Distributionsökonomie im Nordirak geschehen ist, wo die miteinander konkurrierenden Parteien aufgrund ihres politischen Programmes nicht voneinander zu unterscheiden sind. 2. Die Folgen für Europa Safe Havens und Schutzzonen produzieren also Flüchtlinge, anstatt sie zu schützen. Nicht zuletzt wegen einer aufgezwungenen Ökonomie, die reinen Distributionszwecken dient. Ohne übergreifende legale und unabhängige Strukturen auf der einen Seite, die regulierenden Strukturen von Produktion und Konsumtion auf der anderen, fällt der gesellschaftliche Verteilungskampf zurück auf seine Ursprünge: Als bewaffneter Kampf zwischen ethnischen Gangs und lokalen Banden und einem repressiven Patronagesy- Ich werde mich auf zwei Aspekte beschränken, um möglichst knapp die Folgen dieser „Regionalisierung” für die Flüchtlingspolitik innerhalb Europas zu beschreiben. Der erste Aspekt stellt den Gegenstand aller europäischen Flüchtlingskonzepte in den Mittelpunkt: Das Phänomen der Flucht, das nicht mehr nur als ein Problem von Massen gesehen wird, sondern als eines spezifischer Gruppen und ethnischer/ nationaler Entitäten. Dieses sich durchsetzende europäische Verständnis von Flucht folgt direkt der praktischen Logik humanitärer (und militärischer) Intervention vor Ort, die ihrer Natur nach nicht einzelne Individuen, sondern Gruppen behandelt. Das sprachliche Äquivalent hierzu ist in der Flüchtlingspolitik das “Kontingent”. Während der Kosovo-Krise konnten wir beobachten, wie das Konzept der temporary protection von Flüchtlingskontingenten erstmals umgesetzt wurde, ein Konzept, das sich mit dem Versprechen legitimiert, die Heimat der Flüchtlinge wieder sicher zu machen. Eine Politik also, die Flüchtlinge einzig noch als Teil eines spezifischen nationalen oder ethnischen Kollektivs behandelt, dem ein spezifisches ethnisches/nationales Territorium zugeordnet wird. Damit ist die für die Flüchtlingspolitik relevante Verbindung hergestellt zwischen dem Flüchtling und dem, was die Deutschen Heimat nennen. Der Begriff Heimat meint mehr als ein definiertes nationales Territorium, es meint einen Gemütszustand, eine qua Abstammung eingegebene physische und mentale Bestimmung, die tief in der kollektiven und persönlichen Struktur der Menschen ver- Foto: arbeiterfotografie 29 Festung Europa Foto: AntiRaGö wurzelt ist. Eine Vorstellung zugleich, die in krassem Gegensatz steht zur Massgabe der Behandlung von Flüchtlingen als Individuen, die einen Ort verlassen können, wenn es ihnen dort nicht passt und woanders hingehen. Die Konsequenzen dieser völkischen Vorstellungswelt haben die kosovo-albanischen Flüchtlinge zu spüren bekommen. Als erst einmal Kosovo-Flüchtlinge in Kontingenten solange aufgenommen wurden, bis ihre Heimat zur Rückkehr bereitet war, mussten plötzlich alle ethnischen KosovoAlbaner mit einer Rückführung rechnen. Die Frage ethnischer Zugehörigkeit wurde so mit einem mal ein zentraler Aspekt auch für jene, die sich zuvor niemals die Frage gestellt hatten, ob sie Kosovo-Albaner, KosovoSerben oder Kosovo-Sonstwas sind. Die Folgen der „Regionalisierung” für Europa können also beschrieben werden als ein Verschwinden des Individuums aus der Flüchtlingspolitik, an dessen Stelle das nationale oder ethnische Kollektiv in Form des Kontingents gerückt ist. Es sollte daran erinnert werden, dass es gute Gründe gab, über die Genfer Flüchtlingskonvention ein Rechtssystem zu etablieren, das dem Flüchtling individuellen Schutz einräumt. Die Tragweite dieses Wandels wird vielleicht deutlicher durch den zweiten Aspekt, den ich kurz 30 beleuchten will und der als eine Verschiebung der Zeit beschrieben werden kann. Flucht wird nicht mehr verstanden als ein bedauerlicher doch eingetretener Tatbestand. Sie wird begriffen als etwas, das politisch regulierbar ist, und zwar bevor der Flüchtling Europa erreicht, am besten aber, bevor er überhaupt flieht. Flüchtlingspolitik setzt zeitlich früher und damit logisch auch räumlich immer weiter vor den Grenzen Europas ein. Sie greift daher ganz folgerichtig ein in die sozialen, politischen und ökonomischen Strukturen der Herkunftsländer und jener Staaten, durch die Flüchtlinge nach Europa gelangen. Die Beispiele Kosovo und Nordirak zeigen, dass diese Einmischung auch militärische Intervention bedeuten kann. Üblicherweise jedoch kommen weniger martialische Mittel zum Einsatz, um die Transitländer der subeuropäischen Peripherie in die Vorgaben der Fluchtabwehr hineinzuzwingen. Wir sollten hier den Begriff des „europäischen Einigungsprozesses“ durchaus ernst nehmen, nämlich als ein Prozess, in dem sich die supranationale europäische Gesellschaft selbst definiert. Eine Definition, die über das gemeinsame Verhältnis zu anderen hergestellt wird. Dieses Verhältnis zu seinen Nachbarn ist weitgehend geprägt durch Europas „Sicherheitsinteressen“. Fragen der Grenzsicherheit und Fluchtabwehr stehen an der Spitze der Tagesordnungen auf allen Treffen zwischen europäischen und subeuropäischen Staaten. In keinem anderen Bereich andererseits ist die gemeinsame europäische Politik derart fortgeschritten, wie in der Schaffung eines einheitlichen Grenzregimes. Die Fluchtabwehr ist damit zum Motor und zentralen Aspekt der europäischen Selbstdefinition geworden, die Europa als exklusiven Club oder auch „Festung Europa“ beschreibt. Genau in diesem Zusammenhang werden jetzt auch Fragen ethnischer/nationaler Zugehörigkeit wieder bedeutsam: Sie entscheiden über das Recht, in Europa leben zu dürfen oder nicht. 3. Die Transitstaaten In dem Maße, in dem das Verhältnis zu anderen weitgehend bestimmt ist durch Europas Abschottungswillen, werden die Länder der europäischen Peripherie instrumentalisiert, funktionalisiert, mitunter sogar zerstört, in Teile zerlegt und neu zusammengesetzt. Europa greift in die Innenpolitik ein und interveniert in die nationale Souveränität von Staaten - ein neokoloniales Verhalten. Die Folgen für die betroffenen Transitstaaten sind weitreichend. Bilaterale Kredite, Wirtschaftsund Militärhilfe und Zusammenarbeit sind gekoppelt an die Bereitschaft, sich europäischen Ansprüchen zu unterwerfen. Der Wunsch der meisten dieser Staaten, der EU beizutreten, ist ein effektiver Motor, europäische Interessen voranzutreiben. Immer mehr Menschen scheitern an den europäischen Grenzen und sind gezwungen längere Zeit in diesen Transitländern zu verbringen. In allen diesen Ländern ist eine Zunahme der Repression gegen Flüchtlinge zu verzeichnen. Das entspricht der Unterstützung, die ihnen die EU für den Umgang mit Flüchtlingen zur Verfügung stellt: Die bilaterale Unterstützung zur Durchsetzung des FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Festung Europa Schengensystem beschränkt sich einzig auf polizeiliche Repressionsinstrumente, wie die Ausrüstung mit Grenzsicherungsgeräten, technischem Material zur Registrierung und die Ausbildung der Grenzpolizei. Die EU bewirkt dabei in einem ganz zentralen Bereich ganz praktisch direkt die Entstehung eines repressiven, polizeilichen Übergewichts, während sie zugleich die „Demokratisierung“ der Peripheriestaaten als Voraussetzung für einen möglichen Beitritt propagiert. Dabei nutzt sie die Furcht dieser Länder vor einer Destabilisierung durch Flüchtlinge, die mitunter einer ethnischen Minorität angehören, von der Volkssplitter auch im Transitland existieren. Ein Beispiel für diese Politik ist die Türkei, das wichtigste Transitland für Kurden aus dem Irak. Die Grenzabwehr an der irakisch-türkischen Grenze wird von der Türkei durchaus auch aus dem Interesse betrieben, eine Zuwanderung von Kurden in grosser Anzahl zu unterbinden. Ein anderes, sehr aktuelles Beispiel ist Mazedonien, das sich vehement gegen den NATO-Krieg im Kosovo ausgesprochen hatte, auf der anderen Seite aber alle Bemühungen der EU, Flüchtlinge in den Kosovo zurückzuführen unterstützte - aus Furcht vor einer Destabilisierung, deren Folgen wir jetzt beobachten können. Conklusio Ich möchte mit dem enden, was eigentlich am Anfang stehen sollte, meiner eigenen Rolle in dem ganzen Spiel. Als Mitarbeiter einer entwicklungspolitischen Organisation, die Projekte unter anderem im kurdischen Nordirak unterhält, kenne ich aus eigener Erfahrung, was ich hier kritisiere. Es geht mir also nicht darum, die Notwendigkeit von Hilfe in Frage zu stellen - dass Entwicklungspolitik nicht ein Teil der Lösung, sondern ein Teil des Problems ist, bedeutet nicht, dass sie überflüssig wäre. Es ist vielmehr erforder- lich eine politische Analyse einzuklagen, die über den beschränkten Bereich der praktischen Arbeit vor Ort, der Unterstützung von Flüchtlingen hier oder der Untersuchung des Grenzregimes und seiner Mechanismen hinaus reicht. Ich habe daher von Neokolonialismus gesprochen, sicherlich ein falscher Begriff, der aber in die richtige Richtung weist: Die politische Analyse europäischer Politik, die sich von der traditionellen nationalstaatlichen Trennung von Innen- und Aussenpolitik verabschiedet hat. Die Fluchtabwehr ist ein Teil dieser Politik aber auch nicht mehr. Sie kann nur dann einen Zugang zur weiteren Analyse liefern, wenn sie nicht als geheimer Plan verstanden wird, der in moralischen Kategorien als verwerflich gegenüber dem Schicksal von Menschen offengelegt wird. Darüber hinaus spricht mehr noch für einen Begriff, wie den des Neokolonialismus. Hier wäre die ständige militärische und administrative Präsenz der Europäer in den von ihnen geschaffenen Enklaven zu nennen, die sich vom - nennen wir es mal so traditionellen US-Imperialismus unterscheidet, der zwar unliebsame Regierung wegputschte, aber immer versuchte, die direkte Kuratelverwaltung zu vermeiden. Und auch wenn der US-Dollar weltweit als Schattenwährung in den Trikontländern existiert, so wurde er nicht als offizielle Währung in die Protektorate exportiert, wie dies mit der Deutsch Mark geschieht. Wie im Kolonialismus auch bedient sich Europa dabei sozialer Mikrostrukturen, mit deren Hilfe Länder zerlegt und Regionen gegeneinander aufgebracht werden, um sie in feindlichem Gleichgewicht zu halten. Und es würde zudem der Beispiele Bodo Hombach oder Bärbel Bohlay kaum be- dürfen, um zu zeigen, dass auch die aktuelle Personalpolitik an koloniale Zeiten erinnert, wo die europäischen Staaten ebenfalls bemüht waren, den nicht integrierbaren Mob und die zweite Reihe der Verwaltungspolitiker in die Kolonien abzuschieben. Der grösste Unterschied liegt in der Perspektive auf Emanzipation, die selbst im Kolonialismus noch in der Negation seiner Herrschaft durch die antikolonialen Befreiungsbewegungen enthalten war. Sie alle wendeten das der kolonialistischen Ideologie inhärente Versprechen - ob das britische Modell des “White mans burden” oder das französische der “civilisation” - gegen eine koloniale Realität, die diesem Versprechen Hohn spottete. Die Grundlage dieser emanzipativen Perspektive war der Universalismus des alten europäischen Kolonialismus, den die Befreiungsbewegungen einklagen und in Form eigener Nationalbewegungen nach europäischem Vorbild gegen die koloniale Herrschaft einsetzen konnten. Dieser Universalismus als zumindest ideologische Konstruktion eben geht der aktuellen europäischen Politik abhanden, die bereits ideologisch auf der Differenz der Ethnien, Völker und Nationalitäten fußt, die im Gegensatz zum Kolonialismus nicht die Differenz, sondern umgekehrt, die Gleichheit rechtfertigen muss. Es ist sicherlich kein Zufall, dass separatistische Organisationen innerhalb Europas, wie die ETA, in den vergangenen Jahren mehr Menschen getötet haben, als in ihrer gesamten Geschichte, während sie sich zugleich von jeder emanzipativen sozialen Perspektive verabschiedet hat, die auf eine Änderung der Produktionsverhältnisse abzielte. Um dies alles also müsste es gehen, wenn wir von europäischer Flüchtlingspolitik sprechen und Begriffe, wie der des Neokolonialismus können dabei nur hilfreich sein. Nicht, weil sie treffend diese Politik beschreiben, sondern weil sie die Perspektive auf Politik, also auf Befreiung, zumindest als Begriff wieder in die Diskussion einführen. 31 Grundrecht auf Asyl und Einwanderung Grundrecht auf Asyl und Einwanderung Foto: Kerstin Gierth Anfang August hat Schily seinen Gesetzesentwurf zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung vorgelegt. Dabei handelt es sich nicht um ein Einwanderungsgesetz, statt dessen ist eine Neuordnung des gesamten Ausländer- und Asylrechts vorgesehen. Der Gesetzesentwurf sieht vor allem für Flüchtlinge massive Verschlechterungen vor, aber auch für MigrantInnen. Ursprünglich wollte Schily, obwohl es viel Kritik von NGOs, Wohlfahrtsverbänden, Flüchtlingsinitiativen, Teilen der Grünen und sogar aus der eigenen Partei gab, seinen Gesetzesentwurf am 26. September vom Kabinett beschließen lassen. Aufgrund der Terroranschläge in den USA ist der Termin nun verschoben worden. Über den Gesetzesentwurf soll aber noch vor den Bundestagswahlen entschieden werden. Im Folgendem dokumentieren wir die kritischen Stellungnahmen von PRO ASYL, von Asyl in der Kirche/NRW, vom AK Flüchtlinge/Asyl des IPPNW, der niedersächsischen Landtagsgrünen sowie einen Aufruf von Flüchtlingsorganisationen für eine Kampagne gegen den geplanten Gesetzesentwurf. Weitere Entrechtung von Flüchtlingen Stellungnahme von PRO ASYL zum Entwurf des Zuwanderungsgesetzes D er von Bundesinnenminister Schily Anfang August vorgestellte Referentenentwurf für ein Zuwanderungsgesetz sieht gravierende Verschärfungen für in Deutschland lebende Migranten und Flüchtlinge vor. Von Seiten des Bundesinnenministeriums wird extremer Zeitdruck gemacht. Innerhalb weniger Wochen sollen die Fraktionen sich verständigen. Vorgesehen ist, dass das Gesetzeswerk im Oktober 2001 in den Bundestag als Regierungsvorlage eingebracht und noch in diesem Jahr verabschiedet wird. 32 Neben einigen wenigen Verbesserungen (Gleichstellung der Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention mit solchen nach Artikel 16 a Grundgesetz) sieht der Schily-Entwurf gravierende Verschärfungen vor. Das Gesetzeswerk kann Tausende in die Illegalität treiben. Die Anmerkungen zum Entwurf des Zuwanderungsgesetzes (ZuwGE) von Rechtsanwalt Hubert Heinhold können in unserer Geschäftsstelle angefordert werden. Ebenso der Gesetzesentwurf von Schily. soziale Entrechtung wird weitergeschrieben. Positive europäische Entwicklungen sollen blockiert werden. Zu den Regelungen im Einzelnen: Das Gesetz produziert Illegalität: 250 000 Ausländer, darunter nicht nur abgelehnte Asylsuchende, haben bisher eine Duldung. Dass sie zum großen Teil über Jahre hinweg mit diesem provisorischen Status leben müssen, wurde in der Vergangenheit zu Recht kritisiert. Kettenduldungen sollen FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Grundrecht auf Asyl und Einwanderung abgeschafft werden, so auch die Forderung der Süss-muth-Kommission. Nun schüttet Otto Schily das Kind mit dem Bade aus. Die Duldung sollte wegfallen, aber nur für eine Minderheit der bislang Geduldeten soll sie durch eine „Bescheinigung“ über die Aussetzung der Abschiebung ersetzt werden. Lediglich sechs Prozent der bislang Geduldeten haben eine Duldung auf der Basis von § 53 Ausländergesetz, als Folge eines gesetzlichen Abschiebungsverbots, aus Gründen der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention oder weil das Grundgesetz die Durchsetzung ihrer Abschiebung nicht zulässt. Viel mehr Menschen aber haben – eine Folge des Hinausdefinierens von schutzbedürftigen Menschen aus dem Asyl und vorrangigen Schutzsystemen, lediglich eine Duldung nach § 55 Absatz 2 Ausländergesetz. Ihre Abschiebung verhindern „tatsächliche Abschiebungshindernisse“, zum Beispiel weil es keinen Abschiebungsweg gibt oder der Zielstaat der Abschiebung sie nicht aufnimmt. Für diese große Personengruppe soll es nach den Vorstellungen des Gesetzentwurfes künftig nicht einmal die „Bescheinigung“ geben. Sie fallen ins rechtliche Nichts. Ihnen droht die gesetzlich geregelte Rechtlosigkeit. Opfer nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung werden schlechter gestellt: UNHCR, PRO ASYL, Kirchen, Wohlfahrtsverbände und andere Nichtregierungsorganisationen fordern seit langem: Die Genfer Flüchtlingskonvention muss auch in Deutschland endlich so umgesetzt werden, wie dies die meisten anderen europäischen Staaten tun. Opfer nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung müssen den Flüchtlingsstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention erhalten. Auch die SPD-Bundestagsfraktion hat sich noch im Juni 2001 für Verbesse- rungen eingesetzt und Vorschläge gemacht, wie die Schutzlücke für diese Personengruppe geschlossen werden kann. Die Lücke bleibt nicht nur – sie wird sogar größer. Eine Klarstellung im Gesetz, dass auch eine von nichtstaatlichen Organisationen ausgehende Verfolgung zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention führt, sucht man vergeblich. Wie bisher auf § 53 Absatz 6 Ausländergesetz werden die auf diese Weise bereits um einen vernünftigen Schutzstatus Geprellten künftig auf den § 60 Absatz 7 Aufenthaltsgesetz verwiesen. Der alte Zustand wäre die Erteilung einer Duldung gewesen. Die aber kennt das neue Gesetz nicht mehr. Theoretisch wäre nun eine befristete Aufenthaltserlaubnis denkbar. Doch der neue § 60 Aufenthaltsgesetz steht unter einem entscheidenden Vorbehalt: Die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 3 wird nicht erteilt „wenn die Ausreise in einen anderen Staat möglich und zumutbar ist“. Was harmlos klingt, hat weitreichende Folgen. Bisher musste die Behörde die Abschiebung in einen konkreten Staat androhen. War sie in der Praxis nicht vollziehbar, war die Konsequenz: Eine Duldung musste erteilt werden. Nunmehr kann die Ausländerbehörde behaupten, dass eine Ausreise in einen anderen Staat möglich und zumutbar sei. Den Nachweis, dass sie in keinen anderen Staat ausweisen können, müssen die Betroffenen nun selbst führen. Die Beweislast wird umgekehrt. Die Folge: Eine aufenthaltsrechtliche Besserstellung wird den Opfern nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung nur im Ausnahmefall zuteil. Den meisten droht eine ungewisse Zukunft. Sie werden oftmals nicht mehr in den Händen halten als die Bescheinigung, dass ihre Abschiebung ausgesetzt wurde. Tausende können ihre Arbeitsplätze verlieren Das neue Gesetzeswerk koppelt die Arbeitserlaubnis daran, dass ein „Aufenthaltstitel“ erteilt wird. Eine bloße „Bescheinigung“ nach § 60 Aufenthaltsgesetz ist jedoch kein Aufenthaltstitel. Bislang geduldete Ausländer dürfen also nicht mehr arbeiten. Ob und unter welchen Voraussetzungen Asylsuchende künftig während der Dauer des Verfahrens arbeiten dürfen ist unklar. Zwar sieht § 61 Absatz 2 Asylverfahrensgesetz (neu) vor, dass einem Asylbewerber nach einem Jahr des Aufenthalts in Deutschland die Ausübung einer Beschäftigung erlaubt werden kann, wenn das Arbeitsamt zustimmt 33 Grundrecht auf Asyl und Einwanderung oder durch eine Rechtsverordnung festgelegt ist, dass eine Beschäftigung auch ohne Genehmigung möglich ist. Die Rechtsverordnung liegt noch nicht vor. Klar ist damit bislang nur ein gesetzliches Arbeitsverbot für die ersten 12 Monate. § 61 Absatz 2 Asylverfahrensgesetz steht jedoch im Widerspruch zu Artikel 9, Änderung des dritten Buches des Sozialgesetzbuch in Kombination mit § 4 Aufenthaltsgesetz. § 284 (neu) des Sozialgesetzbuches besagt, dass Ausländer nur dann eine Beschäftigung ausüben dürfen, wenn der Aufenthaltstitel es erlaubt. Da jedoch die Aufenthaltsgestattung während des Asylverfahrens in § 4 des Aufenthaltsgesetzes nicht als Aufenthaltstitel aufgeführt ist dürfen Asylsuchende während der Dauer des Asylverfahrens generell nicht arbeiten. Zumindest besteht hier ein Widerspruch zwischen dem Asylverfahrensgesetz und dem Aufenthaltsgesetz. Soziale Ausgrenzung: Zeitlich unbeschränkt und auf weitere Gruppen ausgeweitet Während das Bundessozialhilfegesetz den Anspruch hat, einem jeden ein Leben in Menschenwürde zu ermöglichen, gilt seit in Kraft treten des Asylbewerberleistungsgesetzes für Asylsuchende und andere Personengruppen nur noch eine „Menschenwürde mit Rabatt“. Überwiegend werden sie mit Sachleistungen abgespeist. Das Leistungsniveau liegt mehr als 30 Prozent unterhalb der Sozialhilfe in der Nähe des physischen Existenzminimums. Seit Jahren wird die Ausgrenzung der Betroffenen mit einer Art SalamiTaktik vorangetrieben. Zunächst galten die geminderten Leistungen für ein Jahr, dann für drei Jahre. Künftig soll das katastrophale Leistungsniveau zeitlich unbegrenzt gelten. Auch den Betroffenenkreis will man erheblich ausweiten: Auf alle Ausländer mit Abschiebungsschutz, auch dann, wenn deren Abschiebung ausgesetzt ist, weil sie Anspruch auf diesen Abschiebungsschutz etwa auf Grund völkerrechtlicher Bestimmungen haben. Missachtung der Genfer Flüchtlingskonvention: Das politische Engagement von Flüchtlingen wird sanktioniert Viele Flüchtlinge engagieren sich nach ihrer Flucht politisch und weisen auf menschenrechtswidrige Zustände in ihrem Herkunftsland hin. Werden bei ihnen keine Vorfluchtgründe anerkannt, gelten sie also nicht bereits als auf Grund von Vorkommnissen in ihrem Heimatland Verfolgte, dann soll ihnen dieses Engagement künftig zum Nachteil gereichen. § 28 Absatz 2 Satz 1 Asylverfahrensgesetzentwurf (neu) sieht vor, dass in diesen Fällen eine Anerkennung des „kleinen Asyls“ – des Flüchtlingsstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention, ausgeschlossen ist. Bei diesem Vorschlag handelt es sich um eine eklatante Missachtung der Genfer Flüchtlingskonvention, die einen solchen Ausschluss vom Flüchtlingsstatus in diesen Fällen nicht vorsieht. Wer demonstriert, muss die Folgen tragen, das ist die Botschaft. Statt Härtefallregelungen: Privatisierung des Schutzes von Flüchtlingen PRO ASYL, Kirchen und Verbände fordern seit langem eine gesetzliche Härtefallregelung im Ausländergesetz, mit der schwierige Einzelfälle gelöst werden. Obwohl in der Koalitionsvereinbarung eine Prüfung der Frage vereinbart wurde, legt sich Bundesinnenminister Schily mit dem Gesetzentwurf fest: keine Härtefallregelung. Nach den Vorstellungen des Bundesinnenministers sollen Kirchen und internationale Organisationen jedoch die Möglichkeit bekommen, Menschen einen Aufenthalt zu sichern: Voraussetzung ist, dass sie den Lebensunterhalt und die Krankenversicherung dauerhaft garantieren. Die entsprechenden Paragrafen des Gesetzentwurfes sind unklar. Die Position der Kirchen ist eindeutig: Kirchenasyl hat zum Ziel, den Staat zu einer Überprüfung von falschen oder moralisch unerträglichen Entscheidungen zu bewegen. Der Staat wird nicht aus seiner Verantwortung entlassen. Der Schutz von Menschen, denen die sich in Gefahr für Leib und Leben drohen, ist und bleibt eine staatliche Aufgabe, die nicht privatisiert werden kann. Den Kirchen anzubieten, die Betroffenen quasi „freizukaufen“ ist keine Lösung. Ab ins Ausreisezentrum Foto: Miriam Futterlieb 34 Der Aufenthalt vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer soll künftig in jedem Fall beschränkt werden. Diese rechtlich zwingenFLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Grundrecht auf Asyl und Einwanderung de Regelung kennt keine Ausnahmen. Die Betroffenen können gemäß § 61 Aufenthaltsgesetz verpflichtet werden, in einer Ausreiseeinrichtung zu wohnen. Für die Einweisung in eine solche halboffene Einrichtung, in der durch regelmäßige Befragung Druck auf die Betroffenen ausgeübt wird, genügt es, wenn Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, dass man einer Ausreisepflicht nicht nachkommen könnte – ein rechter Gummiparagraf – oder wenn die gesetzte Ausreisefrist abgelaufen ist. Insbesondere letztere Regelung ermöglicht praktisch die Einweisung der großen Mehrheit der bislang geduldeten Ausländer – ob sie nun die „Bescheinigung“ haben oder nicht in derartige Ausreisezentren. Modellprojekte existieren bereits in Rheinland-Pfalz und Niedersachsen. Ohne zeitliche Begrenzung wird dort auf die Betroffenen durch permanenten Druck eingewirkt, nachdem man sie von ihrem Wohnort wegverteilt und dort eingewiesen hat – bei gleichzeitigem Entzug der Arbeitsgenehmigung. Die derart Entwurzelten, die oftmals überhaupt nicht die Möglichkeit haben auszureisen, ziehen das Abtauchen in die Illegalität dem Leben unter solchen Bedingungen vor. Wer sich in diese Ausreisezentren nicht einweisen lässt oder untertaucht und dann aufgegriffen wird, erfüllt die Voraussetzungen für die Verhängung von Abschiebungshaft. seeinrichtung nicht Folge leisten, aufgegriffen und inhaftiert werden. Abschaffung der Weisungsunabhängigkeit der Entscheider im Bundesamt: Im Asylverfahren kommt es entscheidend darauf an, dass sich die Entscheider einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit eines Asylsuchenden machen. Glaubwürdigkeit ist nichts, was nach Aktenlage beurteilt werden kann. Deshalb dürfen die Entscheider des Bundesamtes hinsichtlich der Glaubwürdigkeit des einzelnen Asylvorbringens keinen Weisungen unterliegen. Der Gesetzentwurf sieht jedoch vor, dass die bisherige Weisungsunabhängigkeit komplett abgeschafft wird. Obligatorische Regelüberprüfung der Asylanerkennung und der Flüchtlingseigenschaft Die Regelungen, die der Gesetzentwurf hier vorsieht, sind zum Teil widersprüchlich. Schon nach dem geltenden Recht ist eine Prüfung, ob der Status zu widerrufen ist, möglich. Es gibt die Möglichkeit, auf eine veränderte Situation im Herkunftsland zu reagieren. Sollte damit der obligatorischen Überprüfung die Einleitung regelrechter Widerrufsverfahren gemeint sein, dann ergäbe sich eine Arbeitsbeschaffungsmaßnah- me für das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge. Um eine Vorstellung von der Größenordnung zu vermitteln folgende Modellrechnung: Würde man die obligatorische Prüfung zum jetzigen Zeitpunkt einführen, wären die Entscheidungsjahre 1997 und 1998 betroffen. Für das Jahr 1997 müsste sich das Bundesamt mit 20 999 Fällen nochmals befassen, für das Jahr 1998 mit 13 857 Fällen. Nicht eingerechnet sind dabei die Fälle, in denen im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens Anerkennungen ausgesprochen worden sind. Angesichts der Bearbeitungsdauer solcher Verfahren und der Möglichkeit, gegen negative Entscheidungen weitere Rechtsmittel einzulegen, dürfte eine solche obligatorische Überprüfung zu einer weiteren jahrelangen Verunsicherung der Betroffenen führen und jede Integration ausschließen. Menschen, die nach jahrelang andauernden Verfahren endlich glaubten, in Sicherheit zu sein, werden erneut in Unsicherheit gestürzt. Das Kindeswohl wird weiter missachtet: Die skandalöse Behandlung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge unter Missachtung der UNKinderrechtskonvention soll weitergehen. Forderungen von Nichtregierungsorganisationen nach der vollen Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Abschiebungshaft – Der Skandal geht weiter Die Regelungen über die Abschiebungshaft sollen unverändert ins neue Recht übernommen werden. Die Absichtserklärung aus der rot-grünen Koalitionsvereinbarung, insbesondere die Dauer der Abschiebungshaft im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu überprüfen – wird zur Makulatur. Die Zahl der Abschiebungshäftlinge aber wird vermutlich steigen, wenn diejenigen, die eine Einweisung in eine Ausrei- Foto: Miriam Futterlieb 35 Grundrecht auf Asyl und Einwanderung Deutschland mit dem Ziel, dass Kindeswohl vor Ausländerrecht geht, werden ebenso ignoriert, wie Empfehlungen der Süssmuth-Kommission, die zum Beispiel gefordert hat, die Verfahrensfähigkeit minderjähriger im Asylverfahren auf 18 Jahre heraufzusetzen und Flüchtlingskinder im übrigen altersadäquat und nach jugendhilferechtlichen Grundsätzen zu behandeln. Illegale – ein weiterhin verdrängtes Thema Insbesondere die Kirchen hatten in den letzten Monaten vehement Verbesserungen für Menschen in der Illegalität gefordert. Im Vordergrund steht dabei die Forderung nach der Sicherung sozialer Mindeststandards, deren Inanspruchnahme nicht durch die Erhebung und Weitergabe von Daten gefährdet werden darf (Zugang zu medizinischer Behandlung, Durchsetzung vereinbarter Löhne, Verhütung von Obdachlosigkeit). Das auch von der Süssmuth-Kommission angesprochene Thema wird im Gesetzentwurf ignoriert. Statt dessen löst der Entwurf neue Illegalisierungsprozesse aus. Datenschutz: Mit dem neuen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wird eine neue Superbehörde geschaffen, die für eine Vielzahl völlig unterschiedlicher Aufgaben zuständig sein soll. Die Behörde soll Integrationsprogramme entwickeln, Zuwanderungsbewerber auswählen, die künftig im Rahmen des sogenannten Auswahlverfahrens einwandern dürfen, nationale Kontaktstelle bei der Gewährung von vorübergehendem Schutz an bestimmte Personengruppen sein, das Gesamte „Rückkehrmanagement“ bei freiwilliger Rückkehr und Abschiebung übernehmen, das Ausländerzentralregister führen und schließlich auch das Asylverfahren durchführen. Ausländerinnen und Ausländer aller Kategorien werden Objekt einer verschärften 36 Datensammelwut. Die Bestimmungen zur Datenerfassung und –übermittlung sollen ausgeweitet werden. Die Persönlichkeitsrechte von Ausländerinnen und Ausländern und ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung gelten weiterhin wenig in diesem Land. Entscheidungsstopp des Bundesamtes weit über sechs Monate hinaus: Bereits bisher hat der Bundesinnenminister sogenannte „Entscheidungsstopps“ verhängt – und dies in Situationen, wo sich für eine größere Zahl von Flüchtlingen eine Anerkennung als politisch Verfolgte geradezu aufgedrängt hatte, so zum Beispiel während des Bosnien-Krieges. Diese rechtlich fragwürdige Praxis soll nun eine gesetzliche Grundlage erhalten und sogar noch ausgedehnt werden. Nach § 11 a Asylverfahrensgesetzentwurf kann die Aussetzung der Entscheidung sogar noch verlängert werden – ohne zeitliche Befristung. Missachtung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auch künftig möglich: Die SPD-Bundestagsfraktion hat eine Änderung von § 53 Absatz 4 Ausländergesetz vorgeschlagen, so dass bei drohender Folter durch nichtstaatliche Akteure die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrecht zu beachten ist. Diese steht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, das die Europäische Menschenrechtskonvention nur bei „staatlicher Folter“ angewendet sehen will. Diesem wichtigen Vorstoß der SPD-Bundestagsfraktion ist das Innenministerium nicht gefolgt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit Die hier vorgelegte Liste von Verschärfungen erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Der vom Bundesinnenminister vorgelegte Gesetzesentwurf ist ein sogenanntes „Artikelgesetz“, bei dem die Neuregelung des Ausländerrechtes eine Vielzahl von Folgeänderungen in anderen Gesetzen nach sich zieht. Nicht nur deshalb ist die Materie besonders kompliziert. Der Gesetzentwurf betrifft das Schicksal von sieben Millionen Ausländern, nicht gerechnet diejenigen, die auf der Basis eines solchen Zuwanderungsgesetzes oder als Flüchtlinge eines Tages kommen werden. Über deren Schicksal, den Schutz bedrohter Menschen und die einwanderungspolitischen Perspektiven der Bundesrepublik kann nicht in einem Hau-Ruck-Verfahren beschlossen werden. Ein Blick ins Gesetz zeigt: Neben den hier dargestellten vorsätzlichen Verschärfungen enthält es eine Fülle von widersprüchlichen Regelungen und handwerklichen Mängeln. Der Gesetzentwurf wurde mit heißer Nadel in der Sommerpause gestrickt. Für die gesetzgeberische Hektik gibt es keinen sachlichen Grund: Das Gesetz soll erst im Jahre 2003 in Kraft treten. Und: Die meisten der durch den SchilyEntwurf vorgesehenen neuen Möglichkeiten der Arbeitskräftezuwanderung für nicht EU-Ausländer lassen sich – obwohl von vielen Seiten als der große Wurf gepriesen – auch ohne eine hektische Totalrevision des Ausländerrechtes umsetzen, etwa in Form einer Rechtsverordnung zur Umsetzung der Anwerbestopp-Ausnahmeverordnung. Eine künftige Regelung der Einwanderung darf nicht zu Lasten schutzbedürftiger Menschen gehen. Dieses Potpourri der Restriktionen darf nicht Gesetz werden. Es handelt sich um nicht weniger als den weitreichendsten Beitrag zur Entrechtung von Asylsuchenden und Geduldeten seit dem Asylkompromiss 1993. FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Grundrecht auf Asyl und Einwanderung Asyl ist kein preiswerter Gnadenakt Kirchenasylbewegung lehnt Schilys Vorschlag ab In seinem Gesetzesentwurf zur Zuwanderung sieht Schily keine neue Härtefallregelung im Ausländergesetz vor, wie sie Kirchen, Wohlfahrtsverbände und NGO´s seit langem fordern. Statt dessen räumt er den Kirchen die Möglichkeit ein, vom Staat abgelehnte AsylbewerberInnen in Härtefällen ein befristetes Aufenthaltsrecht in Deutschland zu gewähren, sofern sämtliche Kosten von den Kirchen selbst getragen werden. Dieser Vorschlag trifft auf breite Empörung bei den KirchenvertreterInnen. Im Folgenden dokumentieren wir die Antwort des Ökumenischen Netzwerk "Asyl in der Kirche" in Nordrhein-Westfalen auf Schilys Vorschlag. (Red.) Bundesinnenminister Otto Schily will mit den Kirchen eine neue Art Ablasshandel aufmachen. Das wundert uns - die Kirchenasylbewegung in Nordrhein-Westfalen - nicht. Schily hat aufgrund des ständigen Asylmißbrauchs durch die deutschen Behörden allen Grund, um sich von christlicher und humanitärer Kritik freikaufen zu wollen. Der Kirchenbewegung, die in den letzten Jahren zu einem moralischen Gegengewicht gegen die staatliche Verweigerung des Asylrechts geworden ist, wird ein "Kontingent" von abgelehnten Asylbewerbern zugeschoben, die sie schützen darf. Mit Großzügigkeit oder mit Gnade hat dieses Angebot allerdings nichts zu tun: 1.) Der Bundesinnenminister, der sogar die Rügen des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen an der rigiden, ja völkerrechtswidrigen Asylpraxis in Deutschland in schöner Regelmäßigkeit arrogant beiseite wischt, will sich mit diesem Vorschlag auf phantasievolle Weise weiter der staatlichen Schutzverpflichtung Verfolgten gegenüber entledigen. 2.) Das Kalkül lautet : die Kirchenasylbewegung soll für alle Opfer deutschen Asylmißbrauchs, die sie innerhalb dieses "Kontingents" schützt, die öffentliche Solidarität nicht mehr einfordern, sondern in aller Stille barmherzig sein. Die Kirchenasylbewegung und ihre praktische Kritik am Versagen bundesdeutscher Asylpraxis wäre damit tot - und der Zweck des Ablaßhandels erreicht. 3.) Wenn der Bundesinnenminister mit der bereits vor Jahren vom bayerischen CSU-Innenminister Beckstein unterbreiteten Kontigentidee die Kirchenasylbewegung befrieden will, so möchte er damit gleichzeitig die von ihm beabsichtigten Verschärfungen des Asylrechts (wie z.B. die Beschränkung der Asylanerkennung auf zwei Jahre) ohne kirchliche Gegenwehr durchsetzen. Dieses Kalkül macht das Schilysche "Angebot" doppelt zynisch. Das Ökumenische Netzwerk "Asyl in der Kirche" in Nordrhein-Westfalen lehnt den vom Bundesinnenminister vorgeschlagenen Menschenhandel mit aller Entschiedenheit ab. Gabriele Spieker, (Vorsitzende vom Ökumenischen Netzwerk) In Nordrhein-Westfalen werden derzeit fast zweihundert Menschen im Kirchenasyl vor der Abschiebung geschützt, mehr als in allen anderen Bundesländern. Die meisten Flüchtlinge sind Kurden und Kurdinnen aus der Türkei, die sich seit Januar 1998 mit dem "Wanderkirchenasyl" an die Öffentlichkeit wandten. Die Wanderkirchenasylflüchtlinge protestierten gegen die Menschenrechtsverletzungen in ihrer Heimat und gegen die Asylpraxis in Deutschland, die sie zu rechtlosen "Illegalen" machte. Durch diesen politischen Kirchenasylprotest, an dem sich über hundert Kirchengemeinden und die Kampagne "kein mensch ist illegal" beteiligt haben, konnte die Abschiebung von über 400 Menschen bisher verhindert werden. 1999 erhielt das Wanderkirchenasyl den Aachener Friedenspreis. 37 Grundrecht auf Asyl und Einwanderung Kritik des IPPNW Sehr geehrter Herr Innenminister Schily, sierter Flüchtlinge nicht berücksichtigt. Zu dieser Thematik werden seit mehreren Jahren Fortbildungen für Mitarbeiter des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, BAFL, durch Mitarbeiter von Psychosozialen und Behandlungs-Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer durchgeführt. In der Kürze der Zeit können in unserer Stellungnahme nur einige wichtige Aspekte benannt werden, die besonders traumatisierte und kranke Flüchtlinge und Folteropfer betreffen. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen brauchen traumatisierte Flüchtlinge aufgrund ihrer traumabedingten Störungs- und Krankheitsbilder besonderen Schutz. In den Vorankündigungen zum Zuwanderungsgesetz waren u.a. Änderungen im Rahmen der Asyl- und Ausländergesetze zur Verbesserung des Schutzes von schutzbedürftigen Flüchtlingen in Aussicht gestellt worden. Wie wir jedoch feststellen müssen, stehen viele Neuerungen in den Asyl- und Ausländer-gesetzen den Notwendigkeiten der Lebenssicherung und medizinischen und psychotherapeutischen Behandlungen entgegen. Unsicherer, instabiler und begrenzter Aufenthaltsstatus, fehlende adäquate Behandlung und drohende oder durchgeführte Rückführung zu einem Zeitpunkt, den die betreffenden Flüchtlinge nicht selbst bestimmen können, bewirken die Fortsetzung des traumatisierenden Prozesses und führen zu weiterer Chronifizierung der Krankheitsbilder mit weitreichenden gesundheitlichen Folgen für die Betroffenen selbst, für ihre Ehepartner und Kinder. Erste Stellungnahme des AK Flüchtlinge / Asyl der IPPNW vom 22.8.2001 zum Entwurf zum Zuwanderungsgesetz (ZuwGE), bezogen auf traumatisierte Flüchtlinge / Asylbewerber und Folteropfer. Wie wir mit großem Bedauern feststellen, fehlen in dem vorliegenden Entwurf Verbesserungen gerade für traumatisierte Flüchtlinge und Folteropfer. Berechtigte Forderungen, die teilweise auch von der unabhängigen Kommission “Zuwanderung” erhoben wurden, sind bedauerlicherweise nicht berücksichtigt worden. Die Empfehlungen der unabhängigen Kommission “Zuwanderung” haben bestehende Schutzlücken und die Verbesserung der Situation von anerkannten Schutzsuchenden oder von solchen Flüchtlingen zum Gegenstand, die aus von ihnen nicht zu vertretenen Gründen nicht abgeschoben werden können. Maßnahmen, die bereits von dem Leiter des Bundesamtes, Herrn Präsidenten Dr. Albert Schmid, und auch bei der Fachtagung “Traumatisierte Flüchtlinge” am 26.4.2001 in Nürnberg für erforderlich gehalten und in die Wege geleitet wurden, sind im Entwurf nicht enthalten. Ebenso wurden Vorlagen zur Verbesserung der frühzeitigen Erkennung traumati38 Wir begrüßen ausdrücklich, dass das Amt des Bundesbeauftragten ersatzlos gestrichen werden soll. Dies bedeutet für alle Behörden und Gerichte eine große Arbeitserleichterung und für die Asylbewerber eine wesentliche Verminderung von Angst, Aufregung und Verunsicherung. schon Regelungen in die Wege geleitet worden, die den notwendigen Schutz dieser Menschen verbessert hätte), • der Schutz unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge (UMF) und anderer Kinder im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention, • Härtefallregelung, • Vorkehrungen zur Vorbereitung und Beratung der Asylsuchenden vor der Anhörung und vor Gerichtsverhandlungen, wie z.B. rechtliche und psychosoziale Beratung und Aufklärung über Verfahrensbestimmungen und Behandlungsmöglichkeiten, • Sonderregelungen für traumatisierte Personen und unbegleitete minderjährige Jugendliche. Wie schon erwähnt, muss gewährleistet sein, dass traumatisierte Flüchtlinge frühzeitig als solche erkannt werden, ebenso muss deren besondere Problematik der Folgeschäden nach Traumatisierung (PTSD, Angststörung, Depression, Konzentrations- und Aussageschwierigkeiten in den Verfahren Berücksichtigung finden. Weiterhin ist es unabdingbar, dass Asylbewerber ihre Asylgründe auch noch zu einem späteren Zeitpunkt in das Verfahren einbringen können, wenn sie z.B. erst zu einem späteren Zeitpunkt ihre traumatischen Erfahrungen durch oder während der Behandlung ansprechen können. Nicht ausreichend geregelt oder nur unzureichend berücksichtigt sind : • Abschaffung oder zumindest Neugestaltung der Abschiebehaft und des Flughafenverfahrens (z.B. Herausnahme von UMF). • der Schutz der Opfer nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung (hier waren durch das Bundesamt Abschließend möchten wir unsere besondere Sorge zum Ausdruck bringen, dass die bisherige Duldung abgeschafft werden soll. FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Grundrecht auf Asyl und Einwanderung Ein fehlender Aufenthaltstitel und fehlender Abschiebe-schutz, wie auch unsichere Ermessensregelungen und Ausschlussgründe bedeuten für alle Asylbewerber, jedoch besonders für traumatisierte Flüchtlinge und Folteropfer das Fehlen der oben beschriebenen Voraussetzungen und Notwendigkeiten von Lebens- und Behandlungs-bedingungen. Ein sicherer und stabiler Aufenthalt ist für diese Menschen unverzichtbar um sich zu stabilisieren und ihre traumatischen Erlebnisse in ihr Leben integrieren zu lernen. tes und Ausländerbehörden feststellen konnten, wurden unsere fachlich-wissenschaftlichen Bedenken und Erfahrungen ernst genommen. Wie wir in früheren Gesprächen mit dem Bundesinnenministerium, Gesundheitsministerium, der Beauftragten der Bundesregierung für Ausländerfragen, leitenden Mitarbeitern des Bundesam- Wir möchten daher sehr eindringlich bitten, unsere Ausführungen in Ihre weiteren Erwägungen für ein Zuwanderungsgesetz einzubeziehen und zu berücksichtigen. Nds. Grüne lehnen Schily-Entwurf ab Nach anfänglichem Zögern wurden inzwischen auch kritische Stimmen von Seiten der Grünen gegen den Entwurf zur Zuwanderung laut. Die niedersächsischen Landtagsgrünen lehnen Schilys Entwurf ab. Mit einem Entschließungsantrag für die nächste Plenarsitzung fordern sie die Landesregierung auf, sich in den Verhandlungen zwischen Bund und Ländern für eine Änderung des Gesetzentwurfes einzusetzen. Im Folgendem dokumentieren wir den grünen Entschließungsantrag an den Niedersächsischen Landtag. Antrag Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Hannover, den 03.09.01 Betr: Einwanderungsgesetz Der Landtag wolle beschließen: Entschließung Der niedersächsische Landtag begrüßt die Absicht der rot-grünen Bundesregierung, noch in dieser Legislaturperiode ein Einwanderungsgesetz zu verabschieden. Nach der Reform des Staatsbürgerschaftsrechtes ist die Gestaltung der Einwanderung eines der wichtigsten Modernisierungs- und Reformprojekte. Die von der Bundesregierung eingesetzte “Unabhängige Kommission Zuwanderung” unter Leitung von Prof. Rita Süßmuth hat wichtige Impulse für eine vernünftige Regelung der Einwanderung und Integration, aber auch zum Flüchtlingsschutz gegeben. Der Anfang August vom Bundesinnenministerium vorgelegte Entwurf für ein Zuwanderungsgesetz nimmt die Anregungen der Süßmuth-Kommission nur unzureichend auf. Die im Entwurf vorgesehenen Neuregelungen des Ausländerrechtes ergeben erhebliche Verschlechterungen für hier lebende Migrantinnen und Migranten sowie für Flüchtlinge. Der niedersächsische Landtag lehnt den Gesetzentwurf in der vorliegenden Fassung ab. Der niedersächsische Landtag fordert die Landesregierung auf, sich im Beteiligungsverfahren der Länder für ein modernes, zukunftsfähiges und europataugliches Einwanderungsgesetz einzusetzen. Die Landesregierung wird aufgefordert, sich bei der Neuregelung der Einwanderung und des Flüchtlingsschutzes insbesondere dafür einzusetzen, dass die nachfolgenden Kriterien beachtet werden: 1. Das Einwanderungsgesetz muss Rechtssicherheit gewährleisten. Für die hier bereits langjährig lebenden Migrantinnen und Migranten muss der Übergang in das Niederlassungsrecht ohne “Prüfungen” und Gebühren gesichert sein. Der bisherige Aufenthaltsstatus darf sich durch das neue Recht nicht verschlechtern. Der geplante Wegfall der Duldung darf nicht zur Folge haben, dass “de-facto-Flüchtlinge”, die aus unterschiedlichsten Gründen nicht abgeschoben werden können, keinen definierten Aufenthaltstitel mehr erhalten. Die für diese Personen “ohne Papiere” vorgesehenen räumlichen Beschränkungen und die Unterbringung in “Ausreiseeinrichtungen” stehen außerdem im eklatanten Widerspruch zu den europäischen Grundsätzen einer humanen Flüchtlings- und Asylpolitik. Die geplante Überprüfung von Asylberechtigten nach drei Jahren führt zu einem unsinnigen rechtlichen Schwebezustand und wirkt des-integrierend. Darüber hinaus steht sie einer Beschleunigung der Asylverfahren entgegen und führt zu weiteren Kosten sowie unsinnigen Mehrbelastungen der Verwaltungsgerichte. 39 Grundrecht auf Asyl und Einwanderung Statt - wie vorgeschlagen - Kirchen das Recht zu geben, auf eigene Kosten Menschen aus humanitären Gründen ein befristetes Aufenthaltsrecht zu gewähren, muß vielmehr eine allgemeine Härtefallregelung in das Gesetz aufgenommen werden. 2. Das Einwanderungsgesetz muss sozial ausgewogen sein. Flüchtlinge und politisch Verfolgte haben ein Recht auf soziale Integration. Das Asylbewerberleistungsgesetz darf nicht weiter verschärft werden. Die geplante unbefristete Absenkung der Leistungen um 30 % unter das Existenzminimum ist weder mit unserer Verfassung noch mit der europäischen Rechtsprechung vereinbar. Die geplanten Regelungen zum Familiennachzug führen zu einem “Zwei-Klassen-Recht”, denn der besondere Schutz von Art. 6 GG kommt nur noch den “Hochqualifizierten” zugute. Familien mit niedrigem Einkommen und weniger qualifizierten Bildungsabschlüssen dürfen aber in Fragen der Familienzusammenführung und des Nachzugsrechtes für Kinder nicht benachteiligt werden. 3. Das Einwanderungsgesetz muss integrationsfreundlich gestaltet sein. Die Bereitstellung von qualifizierten Sprach- und Integrationskursen ist Pflichtaufgabe des Staates. Die Finanzierung der Integrationsaufgaben muss gerecht zwischen Bund und Ländern geregelt werden. Für die Teilnahme an Integrations- und Qualifizierungsmaßnahmen müssen Anreize geschaffen werden. Rechtliche Repressionen und soziale Sanktionen wirken desintegrierend, sie sind abzulehnen. Einen Anspruch auf Integrationsmaßnahmen muss auch allen Flüchtlingen und politisch Verfolgten, denen ein Aufenthalt in Deutschland zuerkannt wird, gewährt werden. Der Zugang zum Arbeitsmarkt darf für Flüchtlinge und politisch Verfolgte nicht nach den erst kürzlich durchgesetzten Lockerungen erneut verschärft werden. 4. Das Einwanderungsgesetz muss europäische Standards in der Migrations- und Flüchtlingspolitik erfüllen. Die nationalen deutschen Regelungen zu Einwanderung und Schutzgewährung dürfen nicht gegen bindendes Völkerrecht und europäische Vereinbarungen verstoßen. Die Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention im Sinne der Auslegungspraxis des UNHCR und der UN-Kinderrechtskonvention muss gewährleistet sein. In Streitfragen sind die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes als bindend für die nationale Rechtsprechung anzuerkennen. Die Schutzlücken im Bereich nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung sind zu schließen. Die Vorschläge der EU-Kommission zum Familiennachzug sind ebenso aufzunehmen, wie die europäischen Mindeststandards für die soziale Integration von Flüchtlingen und politisch Verfolgten. Das Vorhaben, allen Personen, jeglichen Schutz zu versagen, die erst durch selbstgeschaffene Nachfluchtgründe eine Verfolgung im Herkunftsland auslösen, wird abgelehnt. Eine solche Regelung verstößt gegen die Genfer Flüchtlingskonvention und gegen Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichtes. Entscheidend für die Schutzgewährung ist nicht, wie Verfolgungsgründe entstanden sind, sondern ob eine Verfolgung und Gefährdung für den Schutzsuchenden vorliegt. 5. Das Einwanderungsgesetz muss demokratisch, bürgerfreundlich und modern gestaltet sein. Die parlamentarische Mitwirkung des Bundes und der Länder bei der Festlegung der Kriterien für die Einwanderung und die zukünftige Schutzgewährung muss gesichert sein. Die geplante Alleinzuständigkeit des Bundesinnen- und des Bundesarbeitsministeriums widerspricht dem föderalen Aufbau unseres Landes und führt zu einer Entparlamentarisierung der zukünftigen Steuerung von Einwanderung und stellt die Schutzgewährung in vielen Bereichen in das Ermessen der Verwaltungen. Insgesamt führt der vorliegende Gesetzentwurf zu einer “Entparlamentarisierung” der Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik. Das Ziel, das Recht verständlicher und einfacherer zu gestalten ist verfehlt. Auch, wenn die Aufenthaltstitel reduziert werden sollen, bleiben die komplizierten Rechtsfolgen. Statt klar definierter Rechtsansprüche werden in dem vorliegenden Gesetzentwurf die Ermessensspielräume der zuständigen Behörden ausgeweitet. Die Wege von einem Aufenthaltsrecht zum Niederlassungsrecht und zur Einbürgerung bleiben für die Betroffenen unklar. Wenig bürgerfreundlich sind die drastisch erhöhten Gebühren für die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis oder der Beantragung des Niederlassungsrechtes. Kosten von bis zu 1000 DM für eine Familie mit einem Kind bilden keinen Anreiz, sie schrecken ab. Unsere Gesellschaft braucht Einwanderung, die Verwaltungskosten können nicht einseitig den Einwanderungswilligen aufgebürdet werden. 40 FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Grundrecht auf Asyl und Einwanderung Legalisierung jetzt Aktion im Kreishaus gegen Flüchtlingspolitik lr Lüchow. „Legalisierung jetzt“ und „Bleiberecht für alle“ forderten gestern rund 15 Menschen bei einer Aktion im Kreishaus. Sie protestierten gegen den kürzlich vorgelegten Schily-Entwurf für ein Zuwanderungsgesetz: Statt über ein solches zu diskutieren, müssten zunächst die rund 1,5 Millionen illegalen in Deutschland lebenden und die 250.000 „geduldeten Flüchtlinge“ einen sicheren Aufenthaltsstatus bekommen, wie es in fast allen europäischen Staaten geschehen sei. Um auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen, brachte die Gruppe im Foyer des Kreishauses Transparente an. Einige suchten in Phantasie-Uniformen die Büros des Ausländeramtes auf und forderten die dort Beschäftigten auf, diese zu schließen, deckten die Schreibtische mit Plastikplanen ab. Dabei kam es zu Diskussionen mit Jürgen Weinhold, dem Leiter des Dezernats III. und Ordnungsamtsleiter Dietbart Gnade. Foto:„Kein Mensch ist illegal“: Transparente kritisierten gestern im Kreishaus die aktuelle Zuwanderungspolitik. Aufn.: T.Janssen Der Wert des Menschen werde in der Diskussion um das Zuwanderungsgesetz „ausschließlich nach seiner wirtschaftlichen Verwert- barkeit“ gemessen, stellten die Protestierenden fest. Humanitäre Vorschläge seien in dem Gesetzentwurf nicht zu finden. Illegalisierte: Bischöfe fordern soziale Mindeststandards D ie Deutsche Bischofskonferenz hat eine erfreuliche Erklärung zur Illegalität von Menschen abgegeben. In ihrem Papier “Leben in der Illegalität in Deutschland – eine humanitäre und pastorale Herausforderung” fordern die Bischöfe unter anderem soziale Mindeststandards für Illegalisierte, wie Zugang zu schulischer und beruflicher Bildung von Kindern, Zugang zu medizinischen Leistungen ohne die Gefahr der Anzeige, den Schutz von Ehe und Familie, die Durchsetzbarkeit von Lohnan- sprüchen und Notaufnahmeeinrichtungen. Überdies müssten “ernsthafte Überlegungen zur Legalisierung bestimmter Gruppen und einzelner Personen angestellt werden”. Die Kirche übernehme eine Anwaltsfunktion für Illegalisierte. Deshalb dürften auch engagierte Helfer/innen für Illegalisierte nicht kriminalisiert werden. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz Karl Lehmann fordert in seinem Statement “alle Verantwortlichen in der Politik auf kommunaler, Landes- und Bundesebene dringend auf, Lö- sungen zu suchen, die den betroffenen Menschen mehr gerecht werden.” In der Frage der Illegalisierten haben die deutschen Bischöfe übrigens keinen Dissens mit dem Papst. Der hatte schon 1995 erklärt: “Der Status der Ungesetzlichkeit rechtfertigt keine Abstriche bei der Würde des Migranten, der mit unveräußerlichen Rechten versehen ist, die weder verletzt noch unbeachtet gelassen werden dürfen.” (Aus Pro Asyl Info Nr. 48) 41 Grundrecht auf Asyl und Einwanderung Das Recht auf politisches Asyl verteidigen! Flüchtlinge gegen Schilys Gesetzentwurf Internationaler Menschenrechtsverein Bremen; The Voice u. a. U ns Flüchtlingen in Deutschland bleibt keine andere Möglichkeit, als zu einer dringlichen, entschlossenen und kompromisslosen Kampagne aufzurufen, um das Recht auf politisches Asyl in Deutschland zu verteidigen. Für uns steht fest, dass die Gesetzesvorschläge von Innenminister Schily entworfen werden, um dem Recht auf politisches Asyl seine Substanz und seinen Inhalt zu rauben. Die Zahl von uns Flüchtlingen soll drastisch reduziert werden. Unsere Menschenrechte, unser Recht auf politische Betätigung und unser Recht auf rechtliche Verteidigung sollen uns genommen werden. Innenminister Schily will die ohnehin schon unerträgliche soziale Isolation von uns Flüchtlingen auf die Spitze treiben. Indem er politische Flüchtlinge als diejenigen mit geringsten Wert und damit auch als die Unwillkommensten definiert, versucht er einen Keil zwischen Asylsuchende und Migrant/innen zu treiben. Seit seinem Amtsantritt hat Innenminister Schily derart Druck auf uns Flüchtlinge ausgeübt, dass viele von uns, aus Angst vor der Abschiebung, Deutschland wieder verlassen haben, um in anderen Ländern Schutz zu suchen. Nun will er eine Hochgeschwindigkeits-Abschiebemaschinerie in Gang setzen. Unser gesamtes Asylverfahren soll innerhalb eines Jahres abgeschlossen sein. Dies soll beispielsweise erreicht werden, indem für uns der Zugang zum Verwaltungsgericht, die nahezu einzige Chance, die wir bis42 her in dem ohnehin völlig verkrüppelten Asylrecht noch hatten, praktisch abgeschafft wird. Innenminister Schily will uns daran hindern, unser demokratisches Grundrecht auf politische Betätigung auszuüben, das für andere in Deutschland eine Selbstverständlichkeit ist, indem er uns mit die wir in unseren Ländern zurücklassen mussten, tagtäglich erleiden. Wir versuchen zumindest in den Teilen der deutschen Gesellschaft, denen noch etwas an Menschenrechten und Gerechtigkeit liegt, eine auf Solidarität basierende Verbundenheit mit den Menschen in unseren Herkunftsländern zu entwickeln, die wir den auf ökonomischer Ausbeutung gegründeten Beziehungen, die Deutschland mit den dortigen Regimes unterhält, entgegensetzen. Die Zerstörung des politischen Asyls zerstört genau diese Möglichkeit, sie bringt die Stimme der humanen Solidarität zum Schweigen. dem Schreckensgespenst der Folter und Exekution durch die Hände genau derjenigen, vor denen wir fliehen mussten, bedroht. Er will darüberhinaus sogar die rechtliche Möglichkeit schaffen, mit der den wenigen von uns, die als politisch Verfolgte anerkannt wurden, das Asyl nach einer kurzen Zeit wieder aberkannt werden kann. Über 270.000 von uns, die im Besitz einer Duldung sind und aus verschiedenen Gründen nicht abgeschoben werden können, sollen in Ausreiselager gesteckt werden. Diese geplanten Ausreiselager erinnern stark an einen offenen Strafvollzug und fügen dem psychischen Druck, unter dem wir aufgrund der permanenten Abschiebeandrohung stehen, noch inhumane physische Bedingungen hinzu. Wir werden nicht tatenlos danebenstehen und zusehen, wie das Recht auf politisches Asyl von denjenigen, die keine Achtung für die Menschenrechte haben, hinweggefegt wird. Wir können nicht stillschweigen wenn die deutsche Regierung und die Regime in unseren Herkunftsländern unsere Gräber vermessen. Wir, die Flüchtlinge, werden uns vereinigen, und eine nachhaltige Kampagne gegen den Gesetzesentwurf von Otto Schily initiieren. Wir rufen all diejenigen auf, denen der Respekt für die Menschenrechte am Herzen liegt, die Rassismus verachten und für einen humanen Fortschritt eintreten, unsere Kampagne zu unterstützen und mit uns zusammen das Recht auf politisches Asyl zu verteidigen. Als Flüchtlinge vergessen wir niemals die grausame Realität, die unsere Schwestern und Brüder, Kontakt: fax 0421 55 77 093 oder [email protected] www.stop-schily.de FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Grundrecht auf Asyl und Einwanderung Stellungnahme von REFUGIUM Zur Schließung der Verfahrensberatungsstellen in den Zentralen Anlaufstellen für AsylbewerberInnen in Niedersachsen Thomas Heek M it großer Überraschung und Bestürzung haben wir erfahren, dass das Land Niedersachsen den Vertrag mit dem Diakonischen Werk über die Verfahrensberatung in den Zentralen Anlaufstellen in Braunschweig und Oldenburg zum Jahresende 2001 aufgekündigt hat. Dieser Schritt ist uns in vielerlei Hinsicht unverständlich. Mit der Einrichtung der Verfahrensberatungen in den Zentralen Anlaufstellen im Jahr 1991 unternahm das Land Niedersachsen einen wichtigen Schritt, um Asylsuchenden ein faires, rechtsstaatlichen Kriterien genügendes Asylverfahren zu garantieren. Mit dem sogenannten Asylkompromiss 1993 und der Einführung des Asylbewerberleistungsgesetzes im selben Jahr bestätigte sich die Notwendigkeit einer unabhängigen Beratungsangebots während des Asylverfahrens. De-facto-Einschränkung des Rechtswegs für Flüchtlinge Nach dem Grundgesetz steht jedem Menschen gegen behördliche Entscheidungen der Rechtsweg offen. Diese Rechtsweggarantie ist für Asylsuchende theoretisch vorhanden, de facto aber stark eingeschränkt. Die Rechtsmittelfrist im Asylverfahren beträgt nur zwei Wochen, im Falle als offensichtlich unbegründet abgelehnter Asylgesuche nur eine Woche. Die Rechtsmittel müssen in der Amtssprache Deutsch eingelegt werden. Voraussetzung zum Beschreiten des Rechtswegs ist, dass der/die Asylsuchende die Schreiben des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge versteht, d.h. in eine ihm/ihr verständliche Sprache übersetzt bekommt und dass die rechtlichen Möglichkeiten erläutert werden. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat unserer Kenntnis nach weder den Auftrag noch die strukturelle Möglichkeit, diese Rechtsweg gegen die eigenen Entscheidungen unparteiisch berät und dann auch noch behilflich ist, die entsprechenden Rechtsmittel einzulegen. Unabhängige Beratung als Teil eines fairen Verfahrens und als Entlastung der Behörden und Gerichte Die Schießung der Verfahrensberatungsstellen bedeutet somit eine noch weitergehende Einschränkung des Rechtswegs für Asylsuchende. Wie wichtig die Möglichkeit des Beschreitens des Gerichtsweges im Asylverfahren für die Exivon Postkarte von FFM stenzsicherung Flüchtlingen ist, belegen Beratung zu leisten, ebenso wenig die hinreichend bekannten Zahdie Sozialdienste der Zentralen len. Während das Bundesamt nur eine geringe Anzahl von AsylsuAnlaufstellen. chenden als Asylberechtigte oder Die Einführung des Asylbewer- Konventionsflüchtlinge anerberleistungsgesetzes, nachdem kennt, erhöhen sich diese Quoten ein Flüchtling im Asylverfahren über die Gerichte deutlich, d.h. nur 80,- DM Bargeld im Monat viele Entscheidungen des Bunbekommt, macht das Einschalten desamtes sind fehlerhaft und eines rechtlichen Beistands fast benötigen ein Korrektiv, von dem die Verfahrensberatung ein Beunmöglich. standteil ist. Der Verlauf des AsySofern kein Rechtsanwalt beauf- lverfahrens ist im äußersten Falle tragt werden kann, benötigen eine Entscheidung über Leben Flüchtlinge kompetente Stellen, und Tod, eine Entscheidung über die ihnen bei der Abfassung ihrer die gesamte Existenz der AsylsuRechtsmittel in deutscher Spra- chenden. Dazu ist eine kompeche behilflich sein können. Diese tente, unabhängige Beratung unAufgabe kann nur durch eine un- erlässlich. Zudem hat auch die Zuwanderungsabhängige Verfahrensberatungs- unabhängige stelle durchgeführt werden. Staat- kommission der Bundesregierung liche Stellen wie das Bundesamt festgestellt, das der Rechtsweg im oder die Sozialdienste sind dazu Asylverfahren in vollem Umfang weder in der Lage noch ist es ihr erhalten werden solle. Auftrag oder Teil ihrer Aufgabe. Auch kann von einer staatlichen Anzumerken sei hier auch, dass Stelle nicht realistisch erwartet eine kompetente Verfahrensberawerden, dass sie Flüchtlinge zum tungstelle durch sachgerechte Be43 Grundrecht auf Asyl und Einwanderung ratung hilft, unnötige bzw. aussichtslose Beschreitungen des Rechtswegs zu verhindern und damit zu einer Entlastung der beteiligten Behörden und Gerichte führt. Niedersächsische Flüchtlingspolitik Die Schließung der Verfahrensberatungsstellen in den ZASten ist ein weiterer Schritt des Abbaus von Flüchtlingsrechten in Niedersachen. Im Bereich des Asylbewerberleistungsgesetzes, das schon allein aufgrund der Herabsetzung der Sozialleistungen unterhalb des Existenzminimums menschenverachtend ist, setzte das Land gegen den Willen vieler Kommunen die Auszahlung der Leistungen in Form von Wertgutscheinen landesweit durch. In den ZASten richtete das Land das ehemalige Modellprojekt zur Identitätsfeststellung (Projekt X) ein, das bis heute mit fragwürdigen Ergebnissen und Methoden läuft. Ausreisepflichtige Flüchtlinge, deren Identität nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden kann, werden dort unter haftähnlichen Bedingungen gehalten und werden wöchentlich befragt. In vielen Fällen wurden die Sozialleistungen, um Druck auszuüben, ganz gestrichen, was eine vollkommene Entrechtung bedeutet. In einem Zwischenbericht wertete das Land nicht nur die bis zu dem Zeitpunkt wenigen Abschiebungen als Resultat der Maßnahme als Erfolg, sondern auch das Untertauchen vieler Flüchtlinge. Im Jahr 2001 wurde dann die bewährte und inhaltlich nach wie vor notwendige „Dezentrale Flüchtlingssozialarbeit“ abgeschafft und durch die „Richtlinie Integration“ ersetzt, die die Flüchtlingsarbeit (d.h. die Betreuung von Flüchtlingen ohne gesicherten Aufenthalt) nur noch am Rande beinhaltet. Die Schließung der Verfahrensberatung kann in diesem Zusammenhang als die Absicht des Landes aufgefasst werden, Flüchtlingen nach Möglichkeit gar keine Unterstützung mehr zukommen zu lassen, abgesehen von den geringen Sozialleistungen. Keine Alternative zur Verfahrensberatung in Braunschweig Zumindest in Braunschweig besteht für die Verfahrensberatung auch außerhalb der Zentralen Anlaufstelle keine andere Einrichtung, die den Beratungsbedarf der Flüchtlinge in der ZASt auffangen kann. Die Ausländersozialberatungen der Wohlfahrtsverbände haben keinen Auftrag und damit keine Möglichkeit, Asylverfahrensberatungen durchzuführen. Dieses dürfte dem Land Niedersachsen bekannt sein. Das Braunschweiger Büro des Flüchtlingshilfe e.V. Braunschweig finanziert sich überwiegend aus kommunalen Mitteln. Unser Auftrag (und unsere Förderungsgrundlage) ist die Integrationsarbeit für in der Stadt Braunschweig ansässige Flüchtlinge mit Bleiberecht. Asylverfahrensberatung führen wir in sehr beschränktem Umfang durch. Eine Ausweitung dieses Bereichs ist weder personell noch von unserer Finanzierungsgrundlage her möglich. In Braunschweig besteht ein trägerübergreifendes, traditionell sehr gut kooperierendes Netzwerk aus Migrationsberatungsstellen mit klar umrissenen förderungsbedingten Aufgabenbereichen. In diesem Rahmen besteht eine enge Zusammenarbeit der Flüchtlingshilfe mit der Verfahrensberatung des Diakonischen Werkes. Aufgrund der unzureichenden personellen Besetzung der Verfahrensberatung ist aus unserer Sicht statt der Streichung eher eine Ausweitung der Stellen in der Verfahrensberatung unter der bisherigen Trägerschaft notwendig. Der Wegfall der Verfahrensberatung durch das Diakonische Werk in der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerberinnen und Asylbewerber in Braunschweig hätte damit den kompletten Wegfall eines Beratungsangebotes für den Personenkreis in Braunschweig zur Folge. Kontakt: Flüchtlingshilfe e.V. Steinweg 5 38100 Braunschweig Telefon: 0531-2409800 Fax: 0531-77063 Mail: [email protected] 44 FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Grundrecht auf Asyl und Einwanderung Einbürgerung mit Hindernissen Flüchtlinge riskieren Verlust der Asylanerkennung Edith Diewald / Kai Weber W er als Flüchtling in Niedersachsen die Einbürgerung beantragt, läuft unter Umständen Gefahr, dass ihm die Anerkennung oder Aufenthaltsbefugnis widerrufen wird. Nach einem Erlass des MI vom 23.02.2000 sind die niedersächsischen Behörden verpflichtet, bei einem Einbürgerungsantrag von Flüchtlingen mit Aufenthaltsbefugnis beim BAFl nachzufragen, ob ein Widerrufungsverfahren gegen die Asylanerkennung anhängig ist. Das Ministerium beruft sich dabei auf Nr. 8.1.3.1 Abs. 4 der Verwaltungsvorschriften zum Ausländerrecht, wo geregelt ist, dass entsprechende Anfragen regelmäßig bei BefugnisinhaberInnen zu stellen seien, wenn sie einen Antrag auf Einbürgerung stellen. Ist dies der Fall, soll nach dem Willen des Innenministeriums mit der Entscheidung über den Einbürgerungsantrag gewartet werden, bis Klarheit über das Aufenthaltsrecht besteht. Obwohl der Erlass bei Flüchtlingen, die nach Art. 16 GG anerkannt wurden, eine “Regelanfrage” nicht ausdrücklich vorsieht, sehen sich offensichtlich einige Ausländerbehörden gehalten, bei jedem Einbürgerungsantrag (insbesondere von asylberechtigten Kosovo-AlbanerInnen) eine Anfrage ans BAFl zu stellen. Die Behörde des Landkreises Osterode ging sogar so weit zu fragen, “ob ein Verfahren gem. § 73 AsylVfG eingeleitet wird”. Und im Falle zweier kosovo-albanischer Schwestern, die eine davon noch minderjährig, sah sich die Osteroder Ausländerbehörde sogar veranlasst, ein Widerrufsverfahren zu initiieren, nachdem das BAFl ihr mitteilte, dass ein Verfahren nicht eingeleitet werde. Mit dem Hinweis, dass die beiden Schwestern “ohne die Asylanerkennung keinen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis (haben), da sie seit langer Zeit Hilfe zum Lebensunterhalt beziehen und ein Ende des Leistungsbezugs nicht absehbar ist.” wandte sich die Behörde erneut mit der Bitte um Prüfung, ob ein Widerrufsverfahren eingeleitet wird, ans Bundesamt. Offensichtlich wollen die Osteroder Behörden hier eine Einbürgerung verhindern, weil die Flüchtlinge staatliche Leistungen in Anspruch nehmen. Davon abgesehen ist der Hinweis auf den Sozialhilfebezug im konkreten Fall schlichtweg sachwidrig. Bezüglich der beiden Einbürgerungsbewerberinnen, die 1980 und 1987 geboren wurden, sieht § 85 III AuslG ausdrücklich vor, dass die Einbürgerung nicht davon abhängig zu machen ist, ob der Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme von Sozial- oder Arbeitslosenhilfe bestritten werden kann. Das Niedersächsische Innenministerium hat bezüglich dieses fragwürdigen Vorgehens des Osteroder Landkreises keine Bedenken. In einem Antwortschreiben an Rechtsanwalt Bernd Waldmann-Stocker, der oben geschilderte Vorfälle kritisierte, weist es darauf hin, dass “von einer politischen Verfolgung der KosovoAlbanerInnen nicht mehr ausgegangen werden (kann). Das BAFl wäre daher verpflichtet, die Asylberechtigung von Kosovo-Albanern, nachdem die Voraussetzungen für die Anerkennung nicht mehr vorliegen, “unverzüglich” zu widerrufen (§ 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG).” Das BAFl würde seiner gesetzlichen Verpflichtung nur sehr unvollkommen nach- kommen, von daher wäre nichts dagegen einzuwenden, wenn die Ausländerbehörde anfragt, ob ein Widerrufungsverfahren anhängig sei oder eingeleitet werden solle. Eine solche Anfrage würde jedoch nur Sinn machen, “wenn die Ausländerbehörde zu dem Ergebnis gekommen ist, dass sie im Falle des Widerrufs der Asylanerkennung auch die unbefristete Aufenthaltserlaubnis ... widerrufen würde.” Im Klartext: Asylberechtigte Flüchtlinge, die Arbeit haben, nicht vorbestraft sind und auch sonst keine Ausweisungsgründe erfüllen, sollen eingebürgert werden, ohne dass eine Anfrage an das Bundesamt gerichtet wird, ob eine Asylanerkennung widerrufen oder zurückgenommen werden soll. Wer jedoch z.B. Sozialhilfe bezieht, riskiert mit dem Einbürgerungsantrag unter Umständen nicht nur den Verlust des Flüchtlingspasses, sondern auch den Entzug der Aufenthaltsgenehmigung. Auch Flüchtlinge, die aus begründeter Furcht vor Verfolgung in die Bundesrepublik geflohen sind, hier anerkannt wurden und seit mindestens sieben Jahren in Deutschland leben, werden auf diese Weise nach dem Kriterium ihrer Nützlichkeit für die deutsche Volkswirtschaft unterschieden. Unberücksichtigt bleibt die Tatsache, dass die Arbeitslosigkeit unter MigrantInnen im Bundesdurchschnitt mehr als doppelt so hoch ist wie unter Deutschen. Statt weiterer Qualifizierungsmaßnahmen scheint es allemal billiger, die unbequemen Hungerleider mitsamt ihrer Arbeitslosigkeit ins Ausland abzuschieben. 45 Grundrecht auf Asyl und Einwanderung Alle Kinder haben Rechte A nlässlich des Weltkindertages am 20. September finden zwei Veranstaltungen zur Lage von Flüchtlingskindern in Hannover und Niedersachsen statt. Veranstaltungsort ist das Kulturzentrum Pavillon in Hannover, Lister Meile 4. • Di 23.10., 11 und 20 Uhr: Mit “7 Leben” bringt das Hamburger Theater-Ensemble HAJUSOM ein besonderes Theatergastspiel ins Kulturzentrum Pavillon. Im Frühjahr wurde diese einmalige künstlerische Leistung junger Flüchtlinge beim 22. Theatertreffen der Jugend der Berliner Festspiele mit dem 1. Preis ausgezeichnet. • Es heißt, die Katze habe sieben Leben - für die 17 Jugendlichen des HAJUSOM-Ensembles aus Hamburg könnte dies auch eine Zauberformel für ihr eigenes Überleben sein. 7 L e b e n ist ihr neues Stück mit viel Musik, Tanz und chorischen Bewegungsszenen. Die Mädchen und Jungen sind ohne ihre Eltern aus verschiedenen Ländern Westafrikas, aus Äthiopien, dem Iran und Afghanistan nach Hamburg gekommen. In 7 L e b e n treten sie als einzelne Persönlichkeiten her vor, erzählen eindringlich und jeweils sehr spezifisch vom Leben in ihren unterschiedlichen Heimatländern, den Erlebnissen auf der Flucht und der Lan- 46 dung in einem häufig befremdlichen bis manchmal feindseligen Land namens Deutschland. 7 x aus kriegs-und krisengeschüttelten Ländern geflohen, 7x unter waghalsigen Bedingungen weite Wege zurückgelegt, und 7 x in Hamburg auf den harten Stühlen der Ausländerbehörde gelandet. Davon erzählt das Stück. Und von der Liebe zu ihrer Heimat, von grünen Bergen und goldenen Stränden und aus ihrem Leben als Kindersoldaten, als Zeugen des Mordes an ihren Familien oder als Abschiebehäftlinge. Unterschiedliche Kulturen prallen aufeinander, Aufbegehren gegen die politischen Mißstände dort wie hier schweißt sie zusammen und ungebrochen in ihrer Lebenslust fegen sie zu Pop- und HipHop-Beats über die Bühne. • Di 30.10., 19 Uhr: Fachgespräch “Alle Kinder haben Rechte” mit jugendlichen Flüchtlinge, die ohne Eltern und Familie geflohen sind, und ihren Paten. Sie berichten zusammen mit Heiko Kauffmann aus Frankfurt. Als Sprecher der Menschenrechtsorganisation PRO ASYL wurde ihm für sein Engagement Anfang September der Aachener Friedenspreis verliehen. • Seit Jahren forder n Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen die vorbehaltlose Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention (1991). Die deutschen Behörden stellen bei Jugendlichen von 16 - 18 Jahren häufig das Ausländergesetz über den Anspruch auf Schutz gemäß dem Kinder- und Jugendhilfegesetz und anderer gesetzlicher Vorschriften zum Wohl des Kindes. Diese Praxis bedeutet für die jungen Flüchtlinge eine massive Gefährdung ihrer seelischen und kör perlichen Entwicklung. Die Veranstaltung informiert über private Vormundschaften und wirbt für ehrenamtliches Engagement. Auskunft zu den Veranstaltungen und Kartenvorverkauf für das Theaterstück: Kulturzentrum Pavillon, Tel. 0511 - 34 45 58 Veranstalterkreis “Alle Kinder haben Rechte”: Janusz-Korczak-Verein Humanitäre Flüchtlingshilfe, Kulturzentrum Pavillon, Netzwerk Flüchtlingshilfe und Menschenrechte in Kooperation mit AWO KV Hannover-Stadt, Diakonisches Werk der Ev.-Luth. Landeskirche Hannover, Ethno-Medizinisches Zentrum, Initiative für ein internationales Kulturzentrum/IIK, Netzwerk Asyl in der Kirche in Niedersachsen, Niedersächsischer Flüchtlingsrat FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Deportation Deportation Modellprojekt Abschiebelager Grenzdurchgangslager Bramsche-Hesepe neu genutzt Vom Osnabrücker Bündnis gegen Abschiebung I n Bramsche-Hesepe hätte beinahe 10 Jahre lang das sog. Grenzdurchgangslager bestanden, eines der Erstaufnahmelager für AussiedlerInnen in Niedersachsen. Doch im Konkurrenzkampf mit Friedland, dem zweiten großen Erstaufnahmelager, unterlag Bramsche. Am 25. August 1999 fiel die Entscheidung, die eine Schließung des Lagers nach sich gezogen hätte, wäre nicht das Grenzdurchgangslager mit 400 Beschäftigten einer der größten Arbeitgeber in Bramsche gewesen, weshalb der Protest gegen eine Schließung groß war. Parteiübergreifend setzten sich alle LokalpolitikerInnen für den Erhalt des Lagers ein, und so kam es zu einer neuen Nutzung der ehemaligen Kaserne: 500 Betten stehen nun für jüdische EmigrantInnen aus der ehemaligen Sowjetunion zur Verfügung, 50 Betten für ein Landeswohnheim für Spätaussiedler, 150 für Bürgerkriegsflüchtlinge, 300 Reservebetten für Spätaussiedler und im Rahmen eines „Modellprojektes sind 200 Betten für abgelehnte Asylbewerber, die nicht sofort abgeschoben werden können“, aufgestellt worden, so Staatssekretär Werner Lichtenberg aus dem Landesinnenministerium. Diese Regelung ist seit dem 30. September 2000 in Kraft. Damit wurden 70 der insgesamt 160 Arbeitsplätze für Landesbedienstete erhalten. Die 110 Beschäftigten des Bundesverwaltungsamtes bleiben komplett da, weil sie weiterhin das schriftliche Verfahren abwickeln werden. Die 35 Stellen der Betreuungskräfte von Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und Krankenkassen allerdings fallen ersatzlos weg. Den neuen „BewohnerInnen“ des Lagers wird offensichtlich kein Bedarf an dieser Art von Betreuung zugestanden. Für dieses Arbeitsplatzgeschenk fragte dann auch niemand mehr nach, was eigentlich hinter dem Stacheldraht des Lagers im Bramscher Ortsteil Hesepe vor sich geht. Im November 2000 wurde der sog. „Unterbringungsbereich“ für AsylbewerberInnen in Betrieb genommen. Die Flüchtlinge, die in dem Lager bei Bramsche untergebracht werden, kommen aus der „Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber“ in Blankenburg/Oldenburg. Die behördliche Zuständigkeit bleibt in Oldenburg. Die Menschen werden bei ihrer Ankunft in Bramsche kaum über ihre Situation informiert. Sie kommen in der Hoffnung an, daß die Unterbringung in dem Lager ein vorübergehender Aufenthalt vor der Umverteilung in Niedersachsen bedeutet. Einige glaubten bei ihrem Abtransport aus Oldenburg, sie würden jetzt dezentral untergebracht und nicht schon wieder in einem Lager. Doch wird ihnen in Bramsche dann schnell klar: für sie gibt es keinen Transfer mehr, nur noch die Abschiebung. Dabei ist bei den wenigsten, die hier untergebracht sind, der Asylantrag bereits abgelehnt. Es sind einige hier, die gerade die Erstanhörung hinter sich haben, eine Aufenthaltsgestattung oder auch Duldung bekommen die meisten Flüchtlinge erst in Bramsche. 47 Deportation Der behördliche Druck, der auf die Flüchtlinge ausgeübt wird, ist insgesamt groß: So scheint es gängige Praxis zu sein, daß Flüchtlinge nach ca. 3 Wochen Aufenthalt aufgefordert werden, ein Papier zu unterschreiben, mit dem sie freiwillig ihren Asylantrag zurückziehen. Wenn sie das nicht tun, wird ihnen offen mit der Abschiebung durch die Polizei gedroht. Zur Zeit sind ca. 180 der 200 Plätze des Abschiebelagers in Bramsche-Hesepe belegt, und es sind auch schon einige Flüchtlinge von dort abgeschoben worden. Die Bedingungen in dem Lager ähneln dem, was typisch ist in Deutschland für die Unterbringung von Flüchtlingen in Sammelunterkünften: • Das ehemalige Grenzdurch- gangslager liegt 7 km von Bramsche entfernt, inmitten von Wiesen und Feldern, umgeben von Stacheldraht und Schlagbaum • Fünf bis sechs Leute sind in einem Zimmer untergebracht • 6 Familien mit insgesamt 22 Kindern leben zurzeit in Bramsche-Hesepe, sie sind gemeinsam in einem Haus untergebracht • Die in dem Lager unterge- brachten Menschen bekommen einen Lagerausweis, den sie immer vorzeigen müssen, wenn sie in das Lager hinein wollen. Raus dürfen sie auch ohne Ausweis. Das „sich Ausweisen“ wird dabei häufig zur bürokratischen Schikane. Flüchtlinge berichten, daß sie sich nur wenige Meter von dem Schlagbaum, der die Einfahrt des Lagers versperrt, entfernt haben, um sich mit Freunden zu treffen, also in Sichtweite des Pförtnerhauses geblieben sind, und daß sie dennoch, nachdem sie die paar Meter wieder zurückgegangen sind, ihren Ausweis vorzeigen mußten. 48 • Ab 20 Uhr ist das Tor ge- schlossen, der Pförtner muß einen Summer betätigen, damit die BewohnerInnen ins Lager kommen. • Wenn jemand das Lager besu- chen will, muß er oder sie an der Pforte sagen, wen sie besuchen will, ansonsten kommt man in das Lager nicht rein. Seinen Personalausweis muß man an der Pforte abgeben, der Name und die Uhrzeit werden notiert. Verläßt man das Lager, werden wieder der Name und die Uhrzeit notiert. gen Lohnes ist die Arbeit natürlich begehrt, es gibt aber immer nur wenige Stellen. Zur Zeit dürfen 7 Leute im Lager arbeiten und noch mal ca. 6 Leute in der Stadt Bramsche, mit der es einen Vertrag gibt. • In dem Lager gibt es keinen Dolmetscher. Wird einer benötigt, so muß er bestellt werden, was 60 bis 90 Mark die Stunde kostet. Das hat zur Folge, daß meistens keine Übersetzerin da ist, was die Kommunikation äußerst schwierig macht. • Ab 21 Uhr ist kein Besuch • Die gesundheitliche Versormehr erlaubt • Die Insassen dürfen kein eige- nes Essen zubereiten, sie werden aus einer Kantine versorgt. Neben dem, daß diese Menschen nicht das Recht haben, selbst zu bestimmen, was sie essen möchten, kommt hinzu, daß etliche Leute aus anderen Kulturkreisen das Essen, das aus einer russischen Küche kommt, nicht gewöhnt sind. Das führt dazu, daß sich etliche BewohnerInnen des Lagers nur von Brot ernähren und daß ein großer Teil des wenigen Bargeldes, das sie erhalten, für Lebensmittel ausgegeben werden muß. • Ein Frau hat gerade ein Kind bekommen. Auch sie bekam während der Schwangerschaft das gleiche Essen wie die anderen. • An Bargeld bekommen die Flüchtlinge nur 37 Mark und ein paar Pfennige, alle zwei Wochen. Aber allein die Busfahrt nach Bramsche kostet schon 3 Mark, es ist unmöglich von diesem wenigen Geld auch nur das Lebensnotwendige zu finanzieren, geschweige denn Telefonate, Anwälte, Shampoo und andere Hygieneartikel, Zeitungen, Schreibmaterial, u.s.w. • Ab und zu dürfen einige Flüchtlinge sog. gemeinnützige Arbeit leisten, für 2 Mark die Stunde. Trotz des niedri- gung ist völlig unzureichend. Im Lager gibt es nur eine Krankenschwester, die allerdings kein Französisch, geschweige denn türkisch oder arabisch spricht und deshalb von vielen Flüchtlingen nicht aufgesucht wird. Ein Arzt aus Bramsche kommt ein bis zwei mal in der Woche. Ein Facharzt muß in Bramsche aufgesucht werden, dafür gibt es allerdings keinen Fahrdienst und um einen Dolmetscher muß sich der oder die Kranke auch selbst kümmern. Viele Flüchtlinge haben den Eindruck, als würden sie in der Krankenstation abgewimmelt und nicht ernst genommen. • Eine Rechtsberatung gibt es in dem Lager nicht, den Flüchtlingen wird geraten, einen Rechtsanwalt zu konsultieren. Wie sie allerdings das Geld für eine Rechtsberatung auftreiben sollen, wird ihnen nicht gesagt. • Eine psychosoziale Beratung ist vorgesehen, kann aber schon allein aus dem Grund kaum wahrgenommen werden, weil die dafür Angestellten kaum Fremdsprachen sprechen; eine spricht Englisch, und einer Polnisch und Russisch. Das ist natürlich völlig unzureichend, vor allem vor dem Hintergrund, daß gerade in einer Lagersituation eine psychosoziale Beratung besonders nötig ist. FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Deportation Neben den Schikanen, denen die Flüchtlinge im Lager ausgeliefert sind, schlägt ihnen auch außerhalb des Lagers Rassismus entgegen. So werden sie immer mal wieder offensichtlich nur aufgrund ihrer Hautfarbe von der Polizei kontrolliert. Aus Osnabrück sind mindestens zwei Fälle bekannt, bei denen Flüchtlinge zur Personalienfeststellung mit Handschellen abgeführt wurden. In Bramsche passierte es z.B. einigen, die vom Lager aus nach Bramsche zur gemeinnützigen Arbeit mit Fahrrädern fuhren, die ihnen zur Verfügung gestellt wurden, daß sie von der Polizei angehalten wurden, wegen des Verdachtes, die Fahrräder geklaut zu haben. Die Angst vor der Abschiebung ist das schlimmste für die Lagerinsassen. Wie die Abschiebungen ablaufen, haben die Flüchtlinge, die ein wenig länger da sind, schon erleben müssen. Abschiebungen werden mit mehreren Polizeibeamten durchgeführt, die locker das Haus umstellen. Sie kommen mit einem Transporter mit abgedunkelten Fenstern und immer früh am Morgen. Die Polizisten stürmen die Zimmer und gehen ziemlich barsch vor. Die Abschiebung kommt für die Flüchtlinge völlig unerwartet und kann jeden und jede jederzeit treffen. Das führt dazu, daß einige sagen, sie würden aus dem Fenster springen, wenn die Polizei kommt. Andere stehen immer schon um 4 Uhr morgens auf, und verlassen das Haus. Die Flüchtlinge sagen, sie schlafen mit einem offenen Auge. Auch haben es sich einige zur Gewohnheit gemacht, sich abends so zu verabschieden, als könnte es sein, daß sie sich am nächsten Tag nicht mehr sehen. nenswerten Widerstand der Bevölkerung funktioniert, schien zunächst aufzugehen. Die Ankunft der ersten Flüchtlinge lief scheinbar völlig unbemerkt von der Bevölkerung ab. Und auch den Angestellten im Lager schien nicht aufzufallen, daß es hier plötzlich eine neue Klasse von Untergebrachten gab, die völlig anders als die Anderen behandelt werden. Neu an diesem Lager ist, daß im Unterschied zum Projekt X hier auch Familien untergebracht sind. Die Bedingungen sind dafür nicht ganz so hart, wie beim Projekt X. Dafür werden hier ziemlich wahllos Menschen untergebracht, bei denen, nach welchen Kriterien auch immer, zu vermuten ist, daß der Asylantrag abgelehnt wird. Deshalb ist der Aufenthaltsstatus, den die Flüchtlinge haben, unterschiedlich und auch die Dauer des Aufenthaltes in dem Lager ist völlig unklar. Diese Ungewißheit scheint ein Teil der Zermürbungstaktik zu sein. Die Entwicklung in Bramsche zeigt sehr deutlich, daß humanitäres Gehabe meist dann aufhört, wenn der eigene Wohlstand gefährdet ist, beziehungsweise Humanität gerne als politisch-moralische Argumentationshilfe benutzt wird, aber nicht zwingend ernst gemeint ist. Es gebe in der Region Osnabrück eine ausgesprochen hohe Bereitschaft, auf Fremde zuzugehen. Diese Toleranz sei „ein Wert an sich, der nicht willkürlich zerstört werden darf“, äußerte sich z.B. Ernst Schwanhold, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, als es darum ging, das Lager Bramsche-Hesepe als Erstaufnahmeeinrichtung für Spätaussiedler zu erhalten. Der CDU-Landtagsabgeordnete Georg Schirmbeck sprach gar von einem „Hochsicherheitstrakt für abzuschiebende Asylbewerber“, der mit Nachdruck abzulehnen sei. Das Kalkül der Behörden und politisch Verantwortlichen, in Bramsche einen Modellversuch eines Abschiebelagers aufzubauen, in dem die staatliche Abschreckungspolitik bis hin zur Abschiebung oder Illegalisierung von Flüchtlingen ohne einen nen49 Deportation Was die Flüchtlinge in dem Teil des Lagers angeht, der als letzter Aufenthalt vor der Abschiebung dient, ist nichts davon zu merken, daß auch nur irgendwer auf sie zugeht, oder ihnen auch nur Gehör verschafft. Und das ist auch so gewollt. Seit Anfang Juni hat das Osnabrücker Bündnis gegen Abschiebung engeren Kontakt zu den Flüchtlingen in Bramsche aufgebaut. Seitdem versuchen wir, gemeinsam mit den Flüchtlingen, über das Lager zu informieren und eine Solidarität zu schaffen. Daß das der Lagerleitung nicht paßt, bekamen wir schnell zu spüren. So wurde uns der Raum gekündigt, in dem wir eine Informationsveranstaltung zum Lager durchführen wollten. Diese sollte in einem Jugendzentrum, das von einem gemeinnützigen Verein (Universum e.V.) betrieben wird, der finanziell von der Stadt Bramsche abhängt, stattfinden. Der Weg der Kündigung ging offensichtlich von der Lagerleitung über den Bürgermeister zum Universum e.V., offizielle Begründung war, wir würden die Lagerleitung diffamieren und ihnen unterstellen, sie würden Menschenrechte verletzen. Da in unseren Veröffentlichun- gen nie wörtlich von Verletzung der Menschenrechte die Rede war, kann man der Lagerleitung unterstellen, daß ihnen dieser Verstoß offensichtlich durchaus bewußt ist. Außerdem hätten wir nach Meinung des Bürgermeisters und der Lagerleitung diese zu der Veranstaltung einladen müssen. Da unsere Veranstaltung öffentlich war, hätte natürlich auch die Lagerleitung kommen können, was wir gegenüber dem Universum e.V. auch deutlich machten, wir haben niemanden ausgeladen, und wenn die Verantwortlichen auf einer Podiumsdiskussion bestehen, der werden wir uns gerne stellen und wir werden es in die Wege leiten, daß noch vor den Kommunalwahlen eine solche zustande kommt. Und ansonsten suchten wir einen neuen Raum. Diesen fanden wir dann auch im „Eine Welt Laden“. Die Veranstaltung war mit über 40 Leuten für Bramscher Verhältnisse gut besucht, und ein erster Schritt für die Sensibilisierung der Bevölkerung ist getan. Im Nachhinein wollte sich übrigens kein Verantwortlicher für die Kündigung des Raumes finden lassen. Bei unserer Recherche, welche Wege die Ablehnung genommen hat, wollte und konnte plötzlich niemand mehr was sagen, und von Seiten des Universum e.V. wurde die ganze Geschichte als ein Mißverständnis hingestellt, natürlich würde uns der Verein Räume zur Verfügung stellen. Eines ist klar: die Lagerleitung und die weiteren Verantwortlichen werden mit allen Mitteln versuchen, unsere Arbeit zu verhindern. Es wird auch einzelnen Leuten, die Kontakte in das Lager haben, offen gedroht, daß sie Ärger kriegen, wenn sie mit uns zusammenarbeiten. Das wird uns aber nicht hindern weiter zu machen. Als sehr positiv empfinden wir die Bereitschaft der Flüchtlinge, sich gegen ihre Situation zu wehren. Sie sagen, daß es ihnen wichtig ist, auch wenn es ihnen persönlich vielleicht nichts mehr nützt, weil sie vielleicht bald abgeschoben werden. Sie wollen aber auch für die Rechte derer kämpfen, die nach ihnen kommen. Die Flüchtlinge planen einen Marsch zum Innenministerium nach Hannover, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Wir werden dieses Vorhaben so weit es uns möglich ist unterstützen. Flüchtlingsprotest im Lager Bramsche-Hesepe W ie auch anderswo organisieren sich die Flüchtlinge im Lager Bramsche-Hesepe, um gegen die Zustände im Lager zu protestieren. Sie blockierten aus Protest über die Behandlung mehrmals die Kantine. Und am 25. Mai 2001 führten sie eine Demonstration in der Innenstadt von Bramsche durch, an der 60 Flüchtlinge teilnahmen (das ist ein Drittel sämtlicher LagerinsassInnen!). Sie brachten zu dieser Aktion am 23. Mai folgende Erklärung heraus: 50 „Wir, die Asylbewerber verschiedener Nationalitäten (kurdisch, afrikanisch, albanisch, iranisch, usw.) wohnen seit Monaten in dem Grenzdurchgangslager in Hesepe (Landkreis Osnabrück). Uns wurde bei unserer Ankunft gesagt, daß der Aufenthalt im Grenzdurchgangslager für eine kurze Zeit wäre. Seit Monaten warten wir auf die Verteilung , was bisher immer noch nicht geschehen ist. Man hat sogar unsere zwei Freunde (kurdisch und albanisch) in das Land zurückge- schickt, wo sie nach asylrechtlichen Gründen, als erstes betretenes Land um Asyl bitten sollten. W ir sind mit verschiedenen Schwierigkeiten konfrontiert worden, daß wir jetzt sagen „KEIN MENSCH IST ILLEGAL“ Aus diesen Gründen veranstalten wir am Freitag , 25.05.01 um 14 Uhr in der Innenstadt Bramsche eine Kundgebung. Wir bitten um Verständnis und Unterstützung.“ FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Deportation Neben diesen selbst organisierten Aktionen nahmen immer Flüchtlinge aus dem Lager an den Infoständen und an der Veranstaltung des “Bündnis gegen Abschiebung“ teil. dem Lager entfernt werden. So sind vor ca. 3 Wochen drei Leute laut Aussage der Flüchtlinge „als Strafmaßnahme“ in andere Sammelunterkünfte umverteilt worden. Sie sind nach wie vor motiviert, etwas gegen ihre Situation zu unternehmen. Nur macht sich in den letzten Wochen die Befürchtung breit, daß Flüchtlinge, die durch Aktivitäten auffallen, aus In den letzten Wochen gab es einen Abschiebeversuch, ob er geglückt ist, ist unklar. Es tauchen immer mehr Flüchtlinge unter oder versuchen, irgendwie bei Verwandten unterzukommen. Sie kommen dann nur noch selten im Lager vorbei. Von der Lagerleitung scheint das niemanden zu interessieren. Die Flüchtlinge haben den Eindruck, daß die Leute nur weg sollen, wie und wohin ist egal. In der folgenden Dokumentation berichtet Idris Özen von den Lebensbedingungen und den Aktionen im Lager Bramsche-Hesepe. Die Aktionen in dem Lager Bramsche Idris Özen /Kein Mensch ist illegal A ls ich in Bramsche ankam, traf ich Freunde, die ich aus dem vorherigen Lager kannte. Sie schilderten mir ihre Probleme. Nach einer Woche hatte ich feststellen können, daß die Praktiken hier nichts mehr mit Menschlichkeit zu tun haben. Am ersten Tag unterrichtete das Sozialamt die neu angekommenen Menschen über das Lager. Sie sagten, daß wir nicht so sind, wie die Russen. Sie seien anders als wir. Ich war verwirrt. Mit welcher Chuzpe konnte man so etwas behaupten? Ich fragte den Dolmetscher, ob ihm denn bewußt war, was er dort sagte. Er antwortete, das wisse er schon. Die Russen seien die bevorzugten Menschen und wenn uns dieses nicht gefiele, könnten wir ja gehen. Ich schrieb diese Bemerkung seiner eventuellen Nervosität während der Informationsveranstaltung zu. Auf einer Versammlung für die Neuankömmlinge wieder das selbe. Die Russen werden bevorzugt und wem das nicht behagt, der kann gehen. Ich fragte mich, wo ich gelandet sei, insbesondere Herr B. war wie ein Anhänger der Nazis. Wie sollte ich beginnen? Die Menschen sind alle voller psychologischer Probleme. Mit einer Pressekonferenz wollte ich unserer Stimme Gehör verschaffen. Es machte keinen Sinn, untereinander darüber zu sprechen. Ich überzeugte meinen Freund, einen Journalisten, und so kam die Özgür Politika. Die erste Pressekonferenz führten wir in meinem Zimmer durch. Da Journalisten der Zugang zum Lager verboten war, sagte ich ihm, er solle mich als meinen Besuch aufsuchen, dagegen könne niemand etwas einwenden. Und so machten wir unsere Erklärung. Die BewohnerInnen erschienen und erzählten. Es entwickelten sich interessante Gespräche. Die Nachricht erschien dann mit der Überschrift “Gefangenenlager” auf der Titelseite. Danach merkte ich, daß die Menschen in mein Zimmer kamen und mir ihre Probleme erzählten. Es waren Anliegen, die für den Zuhörer unglaublich ernst zunehmen waren. Dabei habe ich Schwie- rigkeiten, alle zu verstehen. Insbesondere von der Verwaltung/Leitung wurden alle ernsthaft bedroht, so daß sie von ihr zurückkehrten, ohne daß sie ihre Anliegen erledigt hatten. Die Frauen sagten, daß sie mehr Bedürfnisse hätten, als die Männer; sie seien mit den 35 DM, die sie alle 1 Tage bekommen, nicht in der Lage, die notwendigen Dinge für die Zeit ihrer Regel einzukaufen. Mit ihrer Familie könnten sie nur alle 2 Monate in Kontakt treten. Bisher haben 7 Personen einen Selbstmordversuch unternommen und es gäbe noch mehr, die daran dächten. Ich versuche mich darum zu kümmern Selbstmord ist keine Lösung - ich versuche ständig, die Menschen zu überzeugen. Natürlich ist dies schwer. Wenn ich meine monatlichen Zahlungen bekomme, dann gebe ich es den Kindern. Denn es macht mich glücklich, für die Kinder etwas tun zu können, auch wenn es nur wenig ist. Zuerst machten die Schwarzen eine Aktion zur Abschaffung der Essensausgabe. Die Polizei kam und zog die Waffen. Aber ich habe sie unterstützt. Als ein Iraner sich mit einem Messer selbst verletzt hatte, waren Zivilbeamte und Beamte in Uniform gekommen, die sofort die Waffen zogen, als sie aus den Wagen ausstiegen. Damit wollten sie uns andeuten, daß sie uns umbringen würden. Einer der Polizeibeamten hielt seine Pistole an den Kopf des verletzten Iraners, daraufhin fiel dieser in Ohnmacht. Herr B. vom Lagerpersonal hielt eine Ansprache, in der er sagte, er könne uns alle fertigmachen. Er sprach so, als ob er alle Polizeibeamten hinter sich hätte. Seitdem ist die Polizei permanent im Lager. Es ist geradezu so, daß die Polizei uns terrorisiert. Der Hausmeister kontrolliert uns ständig und kommt sich dabei sehr wichtig vor. Ich frage mich, warum sich die Menschen auf diese Weise verhalten. Sind wir denn Gefangene? Wenn wir das sind, dann sollten wir das auch wissen. Da gab es einen Freund, mit dem ich das gleiche Zimmer teilte. Morgens um 5 Uhr stellte ich dann plötzlich fest, daß man versuchte, von außen unsere Zimmertür zu öffnen. 51 Deportation Als wir dann die Tür aufmachten, sahen wir die Polizisten aus dem Lager draußen stehen. Sofort drangen sie in das Zimmer ein und sagten meinem Freund, daß er sich fertigmachen sollte weil er gehen werde. Als ich fragte, wohin er gehen würde, sagten sie, dass das Gericht beschlossen habe, dass er Deutschland verlassen müsse. Ich fragte dann, ob der Anwalt meines Freundes hiervon unterrichtet wäre, woraufhin sie mir sagten, daß er das wäre. Ich entgegnete ihnen, daß das, was sie hier machten, falsch wäre und daß mein Freund durch seinen Anwalt abgeholt werden müsse. Man bedeutete mir, ich solle nicht so viel sprechen, sonst würde man Gewalt anwenden. Als wir diskutierten, zog einer der Polizeibeamten bedeutungsschwer seine Pistole. Ich sagte dem Dolmetscher, dass er dem Beamten sagen sollte, dass er die Pistole zurückstecken solle und der Dolmetscher übersetzte es ihm, aber der Beamte sagte nichts. Ich rief dann den Anwalt an, der sagte, er wisse von nichts, man habe ihn nicht benachrichtigt. Dies bedeutet, dass die Polizei lügt. Wir erleben derartige Situationen, daß man gar nicht darüber reden mag. Das Essen besteht aus russischer Küche und morgens und abends nur aus kalten Mahlzeiten. Unter uns gibt es auch schwangere Frauen. Wenn wir hingehen, um eine Erlaubnis einzuholen, forscht man ständig nach und tut alles, um keine Erlaubnisse zu erteilen. Die, die im Lager arbeiten, bekommen 2 DM die Stunde. Noch nicht einmal in den Ländern der 3. Welt gibt es Menschen, die derart schlecht bezahlt werden. Die Menschen befinden sich in einer aussichtslosen Lage, in der es nahezu unmöglich ist, nicht zu explodieren. Am ersten Tag meiner Ankunft hatte ich ein Blatt Papier, daß ich kopieren wollte. Dafür verlangte Herr B. von mir, dass ich 0,20 DM bezahlen sollte und dass ich das nächste Mal nach Bramsche gehen sollte, um es kopieren zu lassen. Da soll man noch ruhig bleiben? Es gibt Stoff für hundert Aufstände. Obwohl bisher 4 Monate vergangen sind, habe ich meine Familie nur zwei mal anrufen können. Jedes Mal sagte man mir, daß die Polizei unsere Wohnung überfallen und nach mir gefragt hatte. Dabei ist meine Mutter krank, sie steht kurz vor ihrem Tode. Wie Jesus bereits gesagt hat - glücklich die Menschen, die gegen das Unrecht kämpfen. Solche Menschen wird es immer wieder geben. Zwar ist meine Mutter krank, aber die Probleme im Lager haben mich alles andere vergessen lassen. Ich rufe meine Freunde nicht mehr an - ich will sie auch nicht anrufen. Was hätte ich ihnen denn schon zu erzählen? Soll ich ihnen erzählen, daß man uns hier nicht als Menschen behandelt? Nach dem Ende der nächsten Aktion werde ich das Land verlassen, denn es ist für mich unmöglich, mit dieser Praxis weiter zu leben. Unsere nächste Aktion sieht so aus, daß wir von Bramsche bis nach Oldenburg marschieren wollen. Die Kinder sollen dabei nicht 52 mitlaufen. Wir möchten bald damit beginnen. Bei der letzten Aktion versammelte ich das ganze Lager in meinem Zimmer. Zwar wurden zuvor Aktionen gemacht, aber das Zerschlagen von Fensterscheiben, das Schließen der Kantine und die Selbstverletzung mit dem Messer - das sind falsche Aktionen. Damit wir unserer Stimme Gehör verschaffen können, sagte ich, müssen wir zusammenstehen. Ich spreche Arabisch, der Algerier übersetzt das Arabische ins Französische und der Afrikaner, der Französisch kann, kann auch Deutsch. Die Albaner können Deutsch und einer der Iraner kann auch Arabisch, das er dann ins Farsi übersetzt. Für die Türken und Kurden spreche ich Türkisch und alle hören mir aufmerksam zu. Die erste Versammlung dauerte 5, die zweite 6 Stunden. Es ist sehr schwer die Menschen zu überzeugen, aber es ist noch schwerer, derart unterschiedliche Menschen zusammenzubringen. Wie Che schon gesagt hat - seid realistisch und verwirklicht das Unmögliche. So haben wir die Aktion gemacht. Niemand sollte bei der Aktion Scheiben zerschlagen, denn das wäre nur die Vernichtung des Geldes der Bevölkerung. Nach der Aktion hat niemand Scheiben zerschlagen. Die Verwaltung hat mich nach der Aktion bedroht. Wenn ich für die Wahrheit sterben muß, tue ich das, habe ich gesagt. Einer unserer Freunde muß an seinem Auge operiert werden. Er ist einige Male zur Verwaltung gegangen, aber die haben gesagt, daß sie für sein Auge kein Geld hätten. Nur um sein Auge nicht behandeln zu müssen, haben sie ihn verlegt. Es geht nicht nur um diese Verlegung, den Druck, die Ausweisung und die Einschränkung von Rechten - wir möchten menschenwürdig behandelt werden. So viel ich auch schildern würde, es würde nicht ausreichen. Letztens hatte ein Mann Benzin mitgebracht und wollte seine 5 Jahre alte Tochter verbrennen. Wir haben miteinander diskutiert und ich konnte ihn davon überzeugen, daß es keinen Ausweg darstellt, seine Tochter zu verbrennen. Bis jetzt hat noch keine zuständige Stelle mit uns gesprochen. Was passiert da? Wenn bisher noch niemand mit uns gesprochen hat, so bedeutet dies, daß sie wollen, daß wir noch radikalere Aktionen durchführen. Macht Euch keine Sorgen, es wird bald geschehen. Natürlich würden 100 Seiten nicht ausreichen, um die Ereignisse darzustellen. Ich bin müde und wir erwarten von euch materielle und immaterielle Unterstützung, denn man braucht Geld, um etwas zu erreichen. Um letztens nach Osnabrück zu kommen, haben wir uns von allen eine Mark geben lassen. FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Deportation Kosovo Für Roma ist kein Platz mehr Roma organisieren sich Niedersachsenweit im Verein “Roma Aglonipe” Bettina Stang „Bis in die 80er Jahre hinein hatten wir Roma in Jugoslawien eigentlich keine Schwierigkeiten“, sagt Djevded Berisa. Berisa ist Anfang der 90er Jahre nach Deutschland gekommen. Zuvor hat er in Belgrad gelebt und dort ein Studium an einer Metallfachschule begonnen. Aber das Leben in Belgrad, sagt Berisa ,wurde immer unerträglicher. Serbische Nationalisten beschimpften ihn – wegen seines albanischen Namens - mal als Albaner, mal als Roma. „Heute ist für uns muslimische Roma nirgendwo in RestJugoslawien mehr Platz“, resümiert Berisa bitter. 1999, als der NATO-Bombenkrieg in Restjugoslawien zu Ende ging, haben sich mehrere jugoslawische Roma in Hannover zusammengetan. Sie waren voller Sorge um ihre Verwandten im Kosovo, die sich jetzt Angriffen der Albaner ausgesetzt sahen. „Die Albaner sagen, wir hätten mit den Serben kooperiert – aber was sollen die Leute machen, wenn serbisches Militär sie mit vorgehaltenen Waffen zur ‚Mitarbeit’ an ihren Aktionen zwingt?“ – Jetzt, sagt Berisa, heißt es im Kosovo: Für Roma ist kein Platz mehr! Und auch in Hannover bekamen die Roma Ausreiseaufforderungen. „Wir mussten unsere Situation erklären“, sagt Berisa, „Deutschland kann uns nicht in ein Land zurückschicken, in dem wir angegriffen werden!“ Seit Beginn diesen Jahres hat der Verein im Veranstaltungszentrum Pavillon ein Heim gefunden. Ein, zwei Mal im Monat kommen sie zusammen, um Neuigkeiten auszutauschen und sich über ihre rechtliche Situation zu informieren. „Wir sollen jetzt Duldungen für sechs Monate erhalten – aber Foto: Miriam Futterlieb viele Ausländerbehörden richten sich einfach nicht danach!“ Oft müsse man erst mit dem Leiter der Behörde drohen und auf den Erlasstext pochen, bis die sechs Monate tatsächlich gewährt werden. Wer keine Arbeit hat, so Berisa, bekommt oft trotzdem nur drei Monate. „Wir brauchen eine Beratungsstelle“, sagt der Vereinsvorsitzende. Im Pavillon hat sich der Verein mit eigenen Veranstaltungen an die Öffentlichkeit gewandt: Eine Ausstellung von Kinderbildern von Roma aus der Slowakei und eine begleitende Filmwoche wurden organisiert und im Herbst wendet sich der Verein wieder explizit an Schulklassen. Dann beteiligt sich Roma Aglonipe an einer Veranstaltungsreihe unter dem Namen „Krieg ist kein Kinderspiel“ und zeigt dort einen Film über die Situation in den Wohnvierteln der Roma im Kosovo. Außerdem, so Berisa, möchte er die Schüler über die Schwierigkeiten ihrer Roma-Mitschüler in Deutschland aufklären. Der Verein Roma Aglonipe spricht von „Roma“ und meint damit alle Gruppen: die albanisch sprechenden Roma, die serbisch sprechenden Ashkali und die „Ägypter“. „Wir machen da keine Unterschiede“, versichert Berisa. Ungefähr die Hälfte der 300 bis 400 Mitglieder stammten aus dem Kosovo, die anderen aus Mazedonien, Serbien und Montenegro. Sie sprechen untereinander vor allem albanisch und serbisch. Die eigene Sprache Romanes sprechen auch einige. Ihr ist der Name des Vereins entnommen.: Roma Aglonipe bedeute, so Berisa, „Was Neues von den Roma“, oder – „Roma gehen weiter“. So habe auch ein Fernsehprogramm geheißen, das in Kosovo, Mazedonien und und Teilen Serbiens ausgestrahlt wurde – bis 1985 gab es ein Mal im Monat die Sendung von und für Roma - in Romanes. Und damit es mit den Roma weitergeht, haben Berisa und seine Mitstreiter noch einiges mehr vor: Die Roma-Jugendlichen müssen ermutigt werden, Ausbildungsplätze zu suchen – „sonst gehen sie ins Leben und haben nichts gelernt!“ Die Arbeitsmarktrestriktionen für Flüchtlinge und die nur monateweise Verlängerung der Duldungen erschweren die Ausbildungsplatzsuche erheblich. Der Verein will deshalb auch mit Politikern sprechen, um Erleichterungen bei der Ausbildungsplatzsuche durchzusetzen. 53 Deportation Der Verein erhebt keine Mitgliedsbeiträge, weshalb Spendensammlungen– auch unter der eigenen, wohlhabenderen Klientel organisiert und Anträge geschrieben werden. Für das Frühjahr plant der Verein nämlich einen großen Roma-Kongress. „Aber vorher müssen wir noch heraus- finden, ob nicht eine andere Roma-Gruppierung in Deutschland auch schon ähnliches plant!“ Die Kooperation untereinander muss noch ausgebaut werden. Vorerst allerdings werden den Verein die aktuellen Sorgen plagen: Das Rückübernahmeabkommen mit Jugoslawien ist wieder in Kraft getreten. Und in Gesprächen mit der jugoslawisch-serbischen Regierung wollen die Innenminister jetzt herausfinden, ob Belgrad auch „insbesondere nicht albanische“ Volksgruppen aus dem Kosovo aufnehmen würde. (Siehe nächsten Artikel) Kosovo-R Roma nach Belgrad? - deutsch-jugoslawisches Rückübernahmeabkommen ist wieder in Kraft Bettina Stang B ei gemeinsamen Gesprächen haben sich die Regierungen in Belgrad und Berlin Ende Juni darauf geeinigt, auf Grundlage des deutsch-jugoslawischen Rückübernahmeabkommens Abschiebungen nach Belgrad wieder aufzunehmen. Im September soll dann ein neues RückübernahmeAbkommen in Kraft treten. Das Abkommen von 1996 war wegen des während der KosovoKrise verhängten Flug-Embargos ausgesetzt gewesen. Abschiebungen nach Rest-Jugoslawien konnten nicht stattfinden. Jetzt können jugoslawische Staatsangehörige, deren jugoslawische Nationalpässe noch gültig und der Ausländerbehörden zur Verfügung stehen, wieder abgeschoben werden, ohne dass die Behörden vorher ein Rücknahmeersuchen stellen müssen. Einer besonders dringlichen Gefahr der Abschiebung sind außerdem 54 jene ausgesetzt, deren Ausreise bereits vor dem Flugembargo betrieben wurde und wo bereits eine “Rückübernahmezusage” besteht. In den anderen Fällen leitet die Ausländerbehörde das Rückübernahmeersuchen ein. Flüge können sowohl über die jugoslawische Fluglinie JAT als auch über andere Flugunternehmen stattfinden.* Ob auch Flüchtlinge aus dem Kosovo künftig nach Rest-Jugoslawien abgeschoben werden können, will die deutsche Seite in weiteren Gesprächen bis September noch klären. Die deutschen Innenminister scheinen hier insbesondere Roma ins Visier genommen zu haben, wie sich aus dem nordrhein-westfälischen Erlass entnehmen lässt: “Im Rahmen dieser Gespräche soll auch der Frage näher getreten werden, ob jugoslawische Staatsangehörige aus dem Kosovo, insbesonde- re nicht-albanische Volkszugehörige, auch in das übrige Gebiet der Bundesrepublik Jugoslawien zurückgeführt werden können.” - So sieht das also aus, wenn Deutschland der Vertreibungspolitik an den Roma im Kosovo “entschlossen entgegentreten” will. * In Niedersachsen wendet sich die Bezirksregierung Lüneburg an das Generalkonsulat in Hamburg, um dort Rückreisepapiere (“Putni List”) ausstellen zu lassen. In einem Schreiben an die Bezirksregierungen und Ausländerbehörden weist das MI darauf hin, dass der Möglichkeit der freiwilligen Ausreise Vorzug gegeben werden soll und angesichts des oft langjährigen Aufenthaltes die Abschiebungen “grundsätzlich anzukündigen” sei (“soweit nicht im Einzelfall Erkenntnisse vorliegen, die darauf hindeuten, dass die Betroffenen sich der Abschiebung entziehen werden”). Sei die Ausländerbehörde von der Ausreisebereitschaft der Betroffenen überzeugt, könnten die Duldungen “in geeigneten Fällen” zur Regelung der persönlichen Angelegenheiten “angemessen” verlängert werden. Auch bei noch nicht abgeschlossenen Rückübernahmeersuchen (alle über das jugoslawische Innenministerium) seien Duldungen angesichts des langwierigen Verfahrens vorerst “entsprechend dem zu erwartenden Zeitbedarf ” zu verlängern. Bei in Deutschland geborenen Kindern sei mit einem besonders langwierigen Verfahren zu rechnen, da diese noch in Jugoslawien registriert werden müssten. Niedersachsen hat deswegen beim BMI darauf gedränft, eine Vereinfachung des Verfahrens durchzusetzen. FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Deportation Ermittlungen gegen staatenlose KurdInnen Zum behördlichen Umgang mit Mahalmi aus dem Libanon Kai Weber D as nachfolgende Ergebnisprotokoll einer Dienstbesprechung im niedersächsischen Innenministerium thematisiert den behördlichen Umgang mit Mahalmi aus dem Libanon, die von Abschiebung in die Türkei bedroht sind (s. FLÜCHTLINGSRAT 78/79: „Staatenlose KurdInnen aus dem Libanon“). Darin findet sich erstmals der Gedanke, dass ein Teil der Betroffenen aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ein weiteres Bleiberecht in Niedersachsen erhalten könnte. Insofern kann das Protokoll als ein Teilerfolg unserer Bemühungen interpretiert werden, der faktischen Integration der Betroffenen in die deutschen Lebensverhältnisse Rechnung zu tragen. Die Vorschläge des Innenministeriums gehen allerdings nicht weit genug. Sie stellen sicher nicht die von uns anvisierte politische Lösung des Problems dar. Ein generelles Bleiberecht für die Betroffenen lehnt die Landesregierung ab. Zwar macht das Innenministerium deutlich, dass es einen Ermessensspielraum für humanitäre Entscheidungen gibt. „Härtegründe“ erkennt das Innenministerium jedoch nur für solche Flüchtlinge, die inzwischen über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis verfügen (bzw. als mittlerweile volljährig gewordene Jugendliche nur deshalb keine Aufenthaltserlaubnis erhalten, weil ihre Angehörigen Sozialhilfe erhalten) oder eingebürgert sind. Wer jedoch Sozialhilfe bezieht oder eine Straftat begangen hat und deshalb „nur“ über eine Aufenthaltsbefugnis verfügt, soll nach den Vorstellungen des Innenministeriums abgeschoben werden. Dabei schreckt das Innenministerium offenbar auch (aus der homepage von libasoli, wo sich im Übrigen auch die Northeimer Presseberichterstattung wiederfindet) Entwurf für die Bundeskonferenz zur Unterstützung der libanesischen Flüchtlinge 13. Oktober in Essen Zeit 10:30 10:45 NN Ralph Ghadban (angefragt) mit Mohammad Masri und Frank Borris 11.15 h Plenum 11:30 hEberhard Haberkern RA, Essen (in Absprache mit den RA' s aus anderer Städten) 12.00 Plenum 12:15 Prof. Wolf-Dieter Narr / alternativ Heiko Kaufmann (sollen angefragt werden) 12.30 Dr. Franck Düvell 12.45 13:00 14:30 14:30 15:15 16:45 17:00 17:45 Moderation: NN A. HEARING Begrüßung und Zielvorstellung Die Skizze der Problematik und der geschichtlich-politische Hintergrund. Diskussion Juristische Erläuterung der Problematik Diskussion Politische Bewertung der Problematik (Pilotprojekt für neue Abschiebepolitik) Die Abschiebungen im Kontext der EU-Migrationspolitik Diskussion Mittagspause B: PRESSEGESPRÄCH C: VORWÄRTSSTRATEGIEN Einstieg in den Nachmittag Podiumsgespräch zum Vorgehen der verschiedenen Behörden. 3-5 Personen aus Initiativen in den Städten, in denen die "Asylbetrugs"-Kampagne hochgekocht wird Entwicklung von Handlungsperspektiven in AG?s. Es sollen Arbeitsgruppen unter der Schwerpunktfrage gebildet werden, was können wir tun: AG 1 auf kommunaler Ebene; AG 2 auf Landesebene; AG 3 auf Bundesebene; Pause /Vorbereitung der Berichterstattung im Plenum. Besprechung der Ergebnisse der Arbeitsgruppen im Plenum Ende der Veranstaltung 55 Deportation in Auseinandersetzung mit Ausländerbehörden (wie z.B. Northeim) darstellen, die behaupten, es gäbe keinen Ermessensspielraum, sie wären rechtlich gebunden usw. Foto: Edith Diewald nicht davor zurück, dass in der Konsequenz einer solchen Praxis Familien auseinandergerissen würden: Die arbeitslosen Eltern sollen - ggfs. mit einem Teil ihrer Kinder - abgeschoben werden, die erwerbstätigen Kinder dürfen bleiben. Was das Innenministerium als „Mittelweg“ beschreibt, entpuppt sich hier als ein ziemlich rabiates Aussortieren einzelner Flüchtlinge nach dem Kriterium ihrer Nützlichkeit. Alte, Behinderte oder Alleinerziehende haben in diesem Konzept – ebensowenig übrigens wie in den Bleiberechtsregelungen von 1996 und 1999 – keinen Platz. Hervorzuheben ist jedoch, dass das hier vorliegende Protokoll kein Erlass ist und insofern nur empfehlenden Charakter hat. Es steht insofern jeder Ausländerbehörde frei, ihr Ermessen weiter auszuschöpfen und z.B. unter Hinweis auf die langen Aufenthaltszeiten der Betroffenen und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz die Ermittlungen einzustellen, oder einjährige Aufenthaltsbefugnisse mit der Auflage zu erteilen, innerhalb eines Jahres eine Arbeitsstelle nachzuweisen. Insofern kann das Papier eine Argumentationshilfe Das Protokoll ersetzt freilich nicht die geplante politische Kampagne für ein Bleiberecht! Ein erster Erfolg der Öffentlichkeitarbeit in Göttingen/Northeim läßt sich schon verzeichnen: Ministerpräsident Gabriel hat die geplante Abschiebung von mehr als 100 Flüchtlingen aus Northeim in die Türkei zugesagt. Es sei “nicht einsehbar, warum junge Menschen die teilweise in Deutschland geboren sind, in ein Land abgeschoben werden sollen, dessen Sprache sie nicht sprechen“, und andererseits Fachkräftemangel auf dem Arbeitsmarkt durch GreencardAusländer ausgeglichen werden müsse. In Vorbereitung ist ein hearing am 13.10. in Essen. Weitere Infos: www.libasoli.de und [email protected] und Telefon bzw. Fax (0421-70 57 75) bzw. bei pro asyl Essen. Ermittlungen gegen Kurden mit vermutlich türkischer Staatsangehörigkeit Am 05.07.2001 fand im Niedersächsischen Innenministerium eine Dienstbesprechung statt, in deren Mittelpunkt ein Reisebericht in den Libanon und in die Türkei stand. Hier das Ergebnisprotokoll: 1. Bewertung des Reiseberichts Anlass der Dienstbesprechung ist die Vorstellung und Veröffentlichung eines Reiseberichts über eine Reise in den Libanon und die Türkei, die Herr Rechtsanwalt Freckmann und Herr Kalmbach (LK Hildesheim) in der Zeit vom 08.-18.03.2001 unternommen haben. Der Reisebericht ist auf großes Interesse seitens der Medien und der Flüchtlings- und Wohlfahrtsverbände gestoßen; auch in anhängigen Rechtsbehelfs- und Pe56 titionsverfahren werden an die Erkenntnisse aus dieser Reise von Betroffenen große Hoffnungen geknüpft. Der schriftlich vorliegende Reisebericht ist den Besprechungsteilnehmern bekannt. RA Frechmann machte zunächst deutlich, dass es das vorrangige Ziel der Reise gewesen sei, vor Ort herauszufinden, ob und wie Identitätsunterlagen durch den betroffenen Personenkreis beschafft werden konnten und wie diese sowohl in den Herkunftsstaaten als auch in Deutschland zu bewerten seien. Leider habe weder seitens der libanesischen noch seitens der türkischen Behörden Bereitschaft zur Erörterung der rechtlichen Probleme bestanden; auch sei die Einsichtnahme in die Personenstandsregister nicht möglich gewesen. In der Türkei wurde die Weiterreise von Mardin in das Gebiet von Savur untersagt, so dass die Teilnehmer der Reise sich keinen persönlichen Eindruck von den Ortschaften verschaffen und dort auch keine Gespräche führen konnten. Gleichwohl hat die Reise nach Auffassung Herrn Freckmanns wichtige Erkenntnisse erbracht, die auch bei der weiteren auslän- FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Deportation derrechtlichen Behandlung dieses Personenkreises nicht unberücksichtigt bleiben könnten. Hierzu gehöre in erster Linie die Erkenntnis, dass die in der Türkei geführten Personenstandsregister äußerst unzuverlässig seien, da auf der Grundlage der Art. 1 u. 2 des Zusatzgesetzes 15/11/19843080/5 md Eintragungen in die Register auch ohne Vorlage von Urkunden von entfernten Verwandten, Dorfvorstehern oder Dritten veranlasst werden könnten und es ständig Praxis sei, derartige Eintragungen ohne ausreichende Überprüfung vorzunehmen. Seine Einschätzung sei in allen geführten Gesprächen, u.a. auch mit einen Person, die viele Jahre für die Registrierungen im Personenstandsregister der Stadt Mardin verantwortlich gewesen sei, bestätigt worden. Anders verhalte es sich dagegen, wenn die Betroffenen bei der Einreise im Besitz eines türkischen Passes, eines Nüfus oder einer türkischen Personenstandsurkunde gewesen seien oder diese Unterlagen später aufgetaucht seien. Es sei nicht möglich, dass derartige Unterlagen ohne Kenntnis der Betroffenen ausgestellt würden. Damit bestand Übereinstimmung in der Bewertung, dass Personen, die mit einem türkischen Pass, einem Nüfus oder einer türkischen Personenstandsurkunde eingereist sind und zunächst als türkische Staatsangehörige um Asyl nachgesucht haben, dann untergetaucht sind und später als Kurden aus dem Libanon mit einer geänderten Identität bzw. einem arabisierten Namen ein Bleiberecht erhalten haben, die Behörden bewusst über ihre Identität getäuscht haben. Kein Einvernehmen konnte hinsichtlich der Bewertung der Glaubwürdigkeit der türkischen Personenstandsregister erzielt werden. Aus dem Teilnehmerkreis wurde nachdrücklich darauf hingewiesen, dass, wäre Herrn RA Freckmanns Auffassung zu- Foto: Edith Diewald treffend, keine Beurkundungen aus der Türkei, die auf Eintragungen in den Personenstandsregistern beruhen, in Deutschland anerkannt werden könnten. Das Gegenteil sei jedoch der Fall, und derartige Urkunden würden in der ständigen Praxis der Behörden und Gerichte selbstverständlich akzeptiert. RD’In Haunschild stellte dazu fest, dass nach Art. 38 des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes folgende Urkunden bis zum Beweis des Gegenteils die Vermutung begründen, dass der Betreffende die türkische Staatsangehörigkeit besitzt: • die Eintragungen im Perso- nenstandsregister der türkischen Republik • die Personalausweise • die Pässe und Urkunden, die an die Stelle von Pässen treten und • die von den türkischen Kon- sulaten ausgestellten Staatsangehörigkeitsbescheinigungen. Daraus folgt, dass Personen, die im Personenstandsregister der türkischen Republik eingetragen seien, zunächst die gesetzliche Vermutung gegen sich gelten lassen zu müssen, dass sie die türkische Staatsangehörigkeit besitzen. Es sei Sache der Betroffenen, diese gesetzliche Vermutung zu widerlegen. Nach Art. 39 des türkischen Staatsangehörigkeits- gesetzes stehe bei Zweifeln über die Staatsangehörigkeit einer Person dem Minister des Innern die Entscheidung darüber zu. Die Prüfung der türkischen Staatsangehörigkeit könne nicht deutschen Behörden obliegen. Diese Auffassung vermochte Herr Freckmann nur bedingt teilen, da er weiterhin die türkischen Personenstandsregister für derart unzuverlässig hält, dass die Vermutung der türkische Staatsangehörigkeit sich nicht allein darauf stützen dürfe. Aus dem Teilnehmerkreis wurde dazu angemerkt, dass diese Unterlagen in aller Regel auch nicht den einzigen Nachweis bilden, es vielmehr auch andere Hinweise über Verwandschaftsverhältnisse, aufgefundene Dokumente und Unterlagen etc. gebe. Herr Freckmann wies auf die Stellungnahme des UNHCR vom 21.08.1992 zur staatsangehörigkeits- und flüchtlingsrechtlichen Behandlung von Kurden aus dem Libanon hin. Auch UNHCR gehe in dieser Stellungnahme davon aus, dass der überwiegende Teil der Kurden aus dem Libanon als staatenlos angesehen werden müsse. Dies ist zwar zutreffend; doch führt der UMHCR in der selben Stellungnahme auch aus, dass nach Wortlaut und Zweck der Staatenlosenkonvention für die Beurteilung, ob jemand als staa57 Deportation tenlos anzusehen ist, allein entscheidend sei, dass der in Frage stehende Heimatstaat jeglichen diplomatischen Schutz verweigert, da er den Schutzbegehrenden nicht als eigenen Staatsangehörigen ansieht, d.h., dass es sich bei der betreffenden Person um eine objektiv ungeschützte Person handeln müsse. In Zweifelsfällen seien diese Personen zunächst an die türkische Auslandsvertretung zu verweisen. In den hier in Redestehenden Fällen gehe es jedoch gerade nicht um Personen, denen der Heimatstaat jeglichen diplomatischen Schutz verweigert, da sie für sich die gesetzliche Vermutung der türkischen Staatsangehörigkeit aufgrund des Art. 38 des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes in Anspruch nehmen können. Da es sich im Zusammenhang mit der Vorstellung des Reiseberichts zu irreführenden Presseveröffentlichungen gekommen war, die zum Teil darauf schließen lassen konnten, dass die von Herrn Freckmann geäußerte Bewertung die des Niedersächsischen Innenministeriums sei, wurde dies klar gestellt. Der Bericht enthält die einvernehmliche Auffassung sowohl Herrn RA Freckmann als auch Herrn Kalmbachs; die von Herrn Freckmann darüber hinaus abgegebene persönliche Bewertung stelle lediglich seine eigene Auffassung dar.. 2. Weiteres Vorgehen Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass es sehr unterschiedliche Fallkonstellationen gibt, was ein differenziertes Herangehen an die Einzelfälle erforderlich macht. Im wesentlichen sind drei Personengruppen zu unterscheiden, nämlich 1. Befugnisinhaber 2. Personen, die im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung sind 3. Personen, die bereits eingebürgert sind. 58 zu 1.: zu 2.: Für die vor dem 01.08.1990 eingereisten und von einer Bleiberechtsregelung begünstigten Personen sind die zeitlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 35 AuslG (achtjähriger Besitz einer Aufenthaltserlaubnis) in allen Fällen erfüllt. Bei denjenigen, die noch heute im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis sind, müssen daher Regelversagungsgründe der Erteilung der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis entgegenstehen. Das bedeutet, dass sie entweder erheblich straffällig geworden oder noch immer nicht in der Lage sind ihren Lebensunterhalt aus eigener Erwerbstätigkeit zu bestreiten. Die Verlängerung der Aufenthaltsbefugnisse dieser Personen ist gemäß § 13 AuslG dann ausgeschlossen, wenn feststeht, dass die Voraussetzungen für die Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung niemals vorgelegen haben. Weder bedarf es dann zur Ablehnung der Verlängerung des Nachweises der arglistigen Täuschung, noch können Ermessenserwägungen zu einer Verlängerung führen: es sei denn, die Voraussetzungen des § 30 Abs. 2 AuslG wären erfüllt. Bei Personen, die bereits im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis sind, ist zu prüfen, ob ein Rücknahmeverfahren eingeleitet und / oder eine Ausweisung verfügt werden soll. Bei der Ermessungsentscheidung ist zu berücksichtigen, ob eine Aufenthaltsbeendigung voraussichtlich durchgesetzt werden kann und ob diese Maßnahme unter Berücksichtigung des regelmäßig mehr als 10-jährigen Aufenthalts im Bundesgebiet und der Gesamtumstände des Einzelfalles noch verhältnismäßig ist. Dies dürfte – von Ausnahmefällen bei besonders krasser Täuschung abgesehen – nur dann der Fall sein, wenn sonstige erhebliche Straftaten vorliegen oder der Lebensunterhalt aus Gründen, die die Betroffenen selbst zu vertreten haben, inzwischen wieder überwiegend aus Sozialhilfemitteln bestritten wird. Eine gesondert zu betrachtende Ausnahmegruppe bilden dabei die jungen Erwachsenen, die als Minderjährige mit ihren Eltern ins Bundesgebiet eingereist waren, inzwischen ihren eigenen Lebensunterhalt zwar sichern, eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis jedoch nicht erhalten können, weil ihre Eltern nach wie vor Sozialhilfe beziehen (§ 35 Abs. 1 i.V.m. § 24 Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. § 46 Nr. 4 AuslG). Für sie dürfte in der Regel eine Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 2 AuslG in Betracht kommen. Soll die Befugnis zurückgenommen oder eine Ausweisung verfügt werden, sind stets die jeweiligen weitergehenden gesetzlichen Voraussetzungen zu beachten; darüber hinaus sind Ermessungserwägungen (vgl. zu 2.) anzustellen. zu 3.: Die Ausführungen zu 2 gelten in gesteigertem Maße für die Prüfung, ob eine Einbürgerung zurückgenommen werden kann, es sei denn, sie war ausschließlich aufgrund des Gesetzes zur Vermeidung der Staatenlosigkeit erfolgt. Soweit Einbürgerungsanträge gestellt worden sind, die Einbürgerung aber noch nicht durchgeführt worden ist, ist die Bearbeitung stets bis zur Klärung der Staatsangehörigkeit zurückzustellen. Wird festgestellt, dass die Einbürgerungsbewerber die türkische Staatsangehörigkeit besitzen, ist zunächst zu prüfen, ob die Aufenthaltsgenehmigung verlängert bzw. belassen werden kann. MI wies darauf hin, dass das türkische Außenministerium die deutsche Seite darüber informiert hat, dass Personaldaten einschließlich Registerauszügen aus den türkischen Personenstandsregistern wegen fehlender Gegensei- FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Deportation tigkeit der deutschen Seite nicht mehr übermittelt werden. Deutsche Behörden hätten entsprechende Auskunftsersuchen türkischer Stellen unter Hinweis auf datenschutzrechtliche Gründe abgelehnt. Das BMI beabsichtigt, die Frage der Beschaffung von Personenstandsurkunden auch im Rahmen der deutsch-türkischen Konsultationen im September 2001 mit der türkischen Seite zu erörtern. Die künftige Übersendung von Registerauszügen hat nicht nur Bedeutung für den hier in Rede stehenden Personenkreis, sondern darüber hinaus auch für den der angeblichen irakischen Kurden, die vermutlich zu einem nicht unerheblichen Teil in Wirklichkeit türkische Staatsangehörige sind. Das Ergebnis der Konsultation bleibt abzuwarten. Sollte es dabei bleiben, dass keine Registerauszüge mehr zur Verfügung gestellt werden, würde dies die Identitätserklärung außerordentlich erschweren bzw. unmöglich machen. In Betracht gezogen werden könnte daher die Alternativmöglichkeit, über eine Gruppenauskunft aus dem Ausländerzentralregister – beispielsweise zu türkischen Staatsangehörigen, die zur Zeit von 1986 bis Ende 1990 in die Bundesrepublik eingereist sind, Asyl beantragt haben und dann untergetaucht sind - eine Identitätsklärung zu erreichen. Die Daten für diesen Personenkreis sind weiterhin im AZR gespeichert. Da die Einreise seinerzeit überwiegend über den Flughafen Frankfurt erfolgte und Asylanträge von der Außenstelle des Bundesamtes in Schwalbach (Hessen) registriert wurden, soll das Bun- desamt gebeten werden zu prüfen, ob eine zentrale Erfassung dieses Personenkreises erfolgt ist oder noch erfolgen kann, so dass in Verdachtsfällen dann ein Abgleich mit den Asylakten möglich wäre. Vor diesem Hintergrund der sich immer schwieriger gestaltenden Ermittlungen wurde seitens des MI der Appell an die Besprechungsteilnehmer gerichtet, sowohl bei den Ermittlungen als auch bei der Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen sensibel und mit Augenmaß vorzugehen. Der hohe Personalaufwand, der in all diesen Fällen erforderlich sei, sei nur gerechtfertigt, wenn die Aussicht bestehe, auch zu einer Aufenthaltsbeendigung zu kommen, und zwar sowohl, was die technische Durchführbarkeit als auch die Vertretbarkeit einer solchen Maßnahme betreffe. Wenn am Ende aller Bemühungen dagegen lediglich erreichbar sei, den bisher legalen Aufenthalt in einen geduldeten umzuwandeln, müsse sich jede Ausländerbehörde fragen, ob der Aufwand angesichts dieses Ergebnisses gelohnt habe. Dieser Appell stieß auf grundsätzliche Zustimmung, wurde allerdings seitens einiger Teilnehmer mit der Bitte an die Ausländerbehörden, die bei der Besprechung nicht vertreten waren, verbunden, jedenfalls die Arbeit der ermittelnden Ausländerbehörden zu unterstützen und Anfragen und Auskunftsersuchen zur Identitätsermittlung nicht unbearbeitet liegen zu lassen. Der Präsident des Niedersächsischen Landtages hat das Innenministerium gebeten, in der Sitzung der Ausländerkommission am 20.08.2001 einen Bericht über die Situation der zur Ausreise aufgeforderten Kurden aus dem Libanon zu geben. Dazu werden auch Zahlenangaben erbeten. Es ist beabsichtigt, die im März 2000 dem Ausschuss für Innere Verwaltung des Niedersächsischen Landtages übermittelten Zahlen zu diesem Personenkreis zu aktualisieren und fortzuschreiben. Die Bezirksregierung wurde daher gebeten, dem MI bis zum 10.08.2001 folgende Angaben zu übermitteln: 1. Wie viele Fälle (mit Anzahl der Personen) von angeblichen Kurden aus dem Libanon, die sich hier unter einer falschen Identität aufgehalten haben, konnten abschließend aufgeklärt werden? 1.1In wie vielen Fällen davon a) wurden aufenthaltsrechtliche Maßnahmen eingeleitet, b) ist der Aufenthalt durch Abschiebung oder c) freiwillige Ausreise beendet worden? 2. In wie vielen Fällen werden zurzeit noch Ermittlungen geführt, weil der Verdacht besteht, dass es sich um Personen mit gefälschter Identität handelt? 3. Soweit das ohne zusätzlichen Aufwand möglich ist, sollte dabei jeweils nach dem Aufenthaltsstatus differenziert werden. Es rufen auf: antirassitische und antifaschistische Gruppen Infos: www.aba-bueren.de oder Tel: 05251/690574 59 Deportation Demonstration in Northeim "Wir bleiben hier" Aktionen gegen Abschiebungen staatenloser KurdInnen Edith Diewald B undesweit sind inzwischen mehrere tausend staatenlose Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Libanon von Abschiebungen bedroht - in Essen, Northeim, Einbeck, Diepholz, Bremen, Berlin. Ihnen allen wird vorgeworfen sich mit falschen Angaben über ihre Herkunft, ein Bleiberecht und Sozialleistungen erschlichen zu haben (s. FLÜCHTLINGSRAT 78/79, Dokumentation: Staatenlose KurdInnen aus dem Libanon). Gemeinsam mit UnterstützerInnen kämpfen die betroffenen Flüchtlinge um ihr Bleiberecht. So demonstrierten am 11. Mai bei der Innenministerkonferenz in Schierke (Harz) etwa 100 Flüchtlinge aus Northeim und UnterstützerInnen gegen die geplanten Abschiebungen. Am 26. Juni gingen in Northeim erneut rund 100 Menschen auf die Straße und übergaben an die Ausländerbehörde eine Unterschriftenliste, auf der ca. 900 Northeimer und Göttinger BürgerInnen ein Bleiberecht für die110 betroffenen Flüchtlinge aus dem Landkreis Northeim forderten. Rege Beteiligung fand auch der Bremer Aktionstag gegen die Ab- schiebung libanesischer KurdInnen am 21. Juni. Mehrere Schulen hatten sich an den Aktionen unter dem Motto "Rote Karte für den Innensenator" auf dem Marktplatz und in der Innenstadt beteiligt. Etwa 500 SchülerInnen - teilweise sogar im stilechten Schiedsrichterdress - verteilten "rote Karten", die eigentlich für den Innensenator Bernt Schulte (CDU) gedacht waren, an PassantInnen. Auf Flugblättern forderten, sie mit Verantwortlichen der Bremer Behörden über einzelne MitschülerInnen und Lehrlinge zu reden. Nachmittags beteiligten sich noch mal rund 300 Menschen an einer Demonstration. 531 in Bremen lebende libanesische KurdInnen, darunter fast 400 Kinder sollen in den nächsten Monaten in die Türkei abgeschoben werden. Viele haben schon ihren Abschiebungsbescheid bekommen. Im Falle einer Abschiebung, plant das Soli-Komitee eine Blockade des Bremer Flughafens. Bereits 700 Menschen haben in einer halbseitigen Zeitungsannonce angekündigt, sich an einer Blockade zu beteiligen. Aktionstag in Bremen 21.6.01 60 FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Deportation Reisegefährdung für BGS-ler Kein Abschiebestop nach Sri-Lanka trotz Eskalation des Krieges Edith Diewald S eit dem Anschlag der LTTE auf den Militär- und Internationalen Flughafen Katunayake in Colombo am 24. Juli 2001 warnt das Auswärtige Amt vor Reisen nach Sri Lanka. Dies gilt allerdings nicht für tamilische Flüchtlinge: etwa 6.000 Flüchtlinge sind bundesweit akut von Abschiebung in das Bürgerkriegsland Sri Lanka bedroht, einen Abschiebestop gibt es nicht. In Bremen konnte aufgrund der Reisewarnung eine zum 8. August geplante Abschiebung nicht durchgeführt werden. Nicht dass man sich um das Wohler gehen des Tamilen Kugananthan S . Sor gen machte. Nein - die BGS-Direktion sah ihre Beamten gefährdet und genehmigte ihre Dienstreise nicht. Für die darauffolgende Abschiebung von Mylvakanam N. am 27. August – die erste mit einem EUAusreisepapier - , hatte der Bremer Innensenator dann einen Plan, wie der BGS, den Tamilen nach Sri Lanka zurückbegleiten könnte: Die Beamten sollten den Transitbereich des Flughafens von Colombo nicht verlassen, und nachdem Mylvakanam den srilankischen Sicherheitskräften übergeben worden wäre, sofort mit dem nächsten Flug nach Thailand den Flughafen verlassen, ohne nach Sri Lanka einzureisen. einen Abschiebestop nach Sri Lanka fordern. Am 28. August wurden die TeilnehmerInnen des Sitzstreik plötzlich freudig überrascht, als Kugananthan zu ihnen stieß, und ihnen mitteilte, dass er und Mylvakanam am Vormittag aus dem Abschiebegefängnis in der Neuen Vahr entlassen wurden. Vorher jedoch wurden sie noch zur srilankischen Botschaft gebracht, wo sie vorstellig werden mussten, um Passersatzpapiere zu erhalten. Trotz Freilassung ist die Abschiebung gegen die beiden Tamilen nach wie vor angeordnet. Außer diesen beiden sind in Bremen noch mindestens 30 weitere tamilische Flüchtlinge akut von Abschiebung bedroht. Einige von ihnen haben bereits das Land verlassen. Einen Abschiebestop lehnt der Bremer Innensenator in einem Schreiben an den Internationalen Menschenrechtsverein mit folgender Begründung ab: „Die Situation, auf die Tamilen bei ihrer Rückkehr nach Sri Lanka treffen, ist sicherlich schwierig. Nach den aktuellen Lageberichten des Auswärtigen Amtes ist eine Rückkehr aber nicht generell unzumutbar. Erkenntnisse, die Rückführungen nach Sri Lanka generell verbieten, liegen derzeit nicht vor.“ Die ta- milischen Flüchtlinge werden indes weiterhin ihre Protestaktionen für einen Abschiebestop durchführen. Der folgende Text-Auszug ist dem Kampagnen-Aufruf der „Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen“ für die Freilassung der beiden Tamilen entnommen (www.humanrights.de) und beschreibt die derzeitige Situation in Sri Lanka sowie den politischen Kontext, in dem die geplanten Abschiebungen zur Zeit stattfinden. (...) Seit der Flucht von Kugananthan und Mylvakanthan aus Sri Lanka ist der Krieg in ihrem Heimatland ständig eskaliert. Vor wenigen Wochen erst hat die srilankische Regierung für mehrere Mio. $ international geächtete chemische Waffen gekauft! Mehr als eine halbe Million Tamilen befinden sich innerhalb Sri Lankas ständig auf der Flucht. Willkürliche Verhaftungen, Folter und Verschwindenlassen gehören nach wie vor zum traurigen Alltag der Tamilen. Kugananthan und Mylvakanam sollen nun nach Sri Lanka abgeschoben werden - dem Land aus dem sie vor Krieg und Verfolgung durch die Sicherheitskräfte geflohen sind! Doch auch diese Abschiebung wurde nicht durchgeführt. Offenbar wurde dem Bremer Innensenat die Abschiebung mit dem EU-Ausreisepapier aufgrund der Aufmerksamkeit, die dieser Fall infolge der Proteste von tamilischen Flüchtlingen auf sich zog , zu heikel. Seit dem 25. August befanden sich die beiden inhaftierten Tamilen im Hungerstreik. Unterstützt wurden sie von tamilischen Flüchtlingen und dem Internationalen Menschenrechtsverein, die 2 Tage später eine Dauermahnwache vor der Bremer Bürgerschaft begannen und 61 Deportation Die anstehenden Abschiebungen von Kugananthan und Mylvakanam finden zu einer Zeit statt, in der die Sicherheitslage in Sri Lanka aufgrund des Anschlags auf den Flughafen von Colombo äußerst angespannt ist. Das Auswärtige Amt warnt deutsche Touristen ausdrücklich vor Reisen nach Sri Lanka. Der erste Versuch, Kugananthan abzuschieben, scheiterte zynischerweise an der Weigerung der Grenzschutzbehörde, den begleitenden BGSBeamten die Reiseerlaubnis nach Sri Lanka auszustellen. Für Tamilen gibt es eine solche Reisewarnung nicht. Mehr als einhundert Tamilen wurden seit dem Anschlag im Großraum Colombo verhaftet, überwiegend weil sie sich nicht ausweisen konnten. Genau das kann für Kugananthan und Mylvakanam zum Verhängnis werden, da abgeschobene Tamilen in der Regel keine Passpapiere besitzen. Die deutsche Behörden wollen nicht abwarten, bis abgelehnte Flüchtlinge einen Pass von der Botschaft erhalten. Deshalb müssen Kugananthan und Mylvakanam als “Versuchskaninchen” für Abschiebungen herhalten, die mit von der Ausländerbehörde Bremen ausgestellten sogenannten EU-Ausreisepapieren durchgeführt werden. Bereits bei den bisher verwandten srilankischen Passersatzpapieren ist es üblich, dass die Abgeschobenen verhaftet werden und in der Haft mit Misshandlungen und Folter zu rechnen haben. Wie hoch die Gefährdung für Tamilen ist, die mit einem EU- Papier einreisen, können die Behörden noch gar nicht einschätzen, da sie keine Erfahrungen mit diesen Papieren haben. Unseren Nachforschungen zufolge haben Tamilen, die aus der Schweiz mit EU- Papieren abgeschoben worden sind, kaum eine Chance, die Haft ohne Probleme zu verlassen. Wie zynisch die Bremer Ausländerbehörde mit tamilischen Flüchtlingen umgeht, zeigte sich an den Aussagen, die ein Beamter 62 der Bremer Ausländerbehörde am 26. Juli 2001 gegenüber einem Mitglied des IMRV machte. In Bezug auf Abschiebungen nach Sri Lanka mit EU-Ausreisepapieren äußerte er: “Dann wird er schon merken, was mit ihm dort passiert” und drohte so den Flüchtlingen, sich möglichst schnell Passersatzpapiere von der Botschaft für ihre eigene Abschiebung zu besorgen. Abschiebungen von Tamilen sollen jetzt um jeden Preis durchgesetzt werden, koste es auch das Leben des betroffenen Flüchtlings. Tamilische Flüchtlinge verlassen - wenn sie überhaupt die Möglichkeit dazu erhalten - seit Jahrzehnten die Insel, da ihnen aufgrund der brutalen Unterdrückung und Verfolgung durch das srilankische Regime die blosse Existenz verwehrt wird. Gehetzt, gefoltert, vergewaltigt traumatisiert - erreichen sie Deutschland und müssen feststellen, dass ihr Menschenleben auch hier keinen Wert hat. Schamlos empfangen deutsche Regierungsvertreter die srilankische Präsidentin Chandrika Kumaratunga, um mit dieser über Investitionen deutscher Firmen in Sri Lanka zu verhandeln, um angebliche Entwicklungsgelder als eines der westlichen „Geberländer” zuzusichern, die direkt und ausschliesslich in die Kriegskasse fliessen, und um ein gemeinsames Konzept zur Bekämpfung des sogenannten internationalen Terrorismus zu erstellen. Kein Wort über die international angeprangerten Menschenrechtsverletzungen, die durch die srilankische Regierung begangen und befürwortet werden. Raketenwerfer, Flächenbombardierungen, der Gebrauch von chemischen Waffen gegen die tamilische Bevölkerung werden nicht etwa als internationaler Terrorismus angesehen, sondern der Protest Tausender tamilischer Flüchtlinge, die es wagen, hier im Exil ihre Stimme zu erheben und den Genozid an ihrem Volk in Sri Lanka öffentlich zu machen. Sie stören damit die wirtschaftlichen und politischen Interessen Deutschlands. Werden diese Abschiebungen jetzt vollstreckt, so wird der Kern des Gesetzesentwurfes von Innenminister Otto Schily vor dessen offizieller Einführung realisiert. Das “Zuwanderungsgesetz” orientiert sich ausschließlich an dem politischen Interesse Deutschlands und den Interessen der deutschen Wirtschaft. Die Bedürfnisse der Flüchtlinge, der Schutz vor Menschenrechtsverletzungen, muss sich dieser Prämisse unterordnen. Flüchtlinge, sind erneut Opfer derselben gierigen Wirtschaftsinteressen, die sie aus ihren Heimatländern vertrieben haben. Sie sollen Platz machen für sorgfältig ausgewählte Zuwanderer, die der deutschen Wirtschaft Nutzen bringen. Erst kürzlich traf Otto Schily seinen indischen Amtskollegen Lal Krishna Advani, um die Abschiebung einer großen Anzahl indischer politischer Flüchtlinge zu vereinbaren - als deutsche Hilfe zur “Terrorismusbekämpfung.” Es werden also politische Flüchtlinge, von denen die meisten für die Rechte der unterdrückten Menschen in Indien eintreten, an ihre Peiniger übergeben, während die Inder nach Deutschland geholt werden, die die deutsche Wirtschaft auf Kosten Indiens bereichern. Mit welcher Konsequenz diese Linie verfolgt wird, lässt sich an einem Beispiel verdeutlichen. In der letzten Woche besuchte ein tamilischer Flüchtling aus Bremen gemeinsam mit seinem Arbeitgeber seinen zuständigen Sachbearbeiter in der Bremer Ausländerbehörde. Sein Arbeitgeber setzte sich für sein dauerhaftes Bleiberecht ein, bot eine Bürgschaft und die Garantie einer dauerhaften Beschäftigung inklusive Lohnerhöhung dar. Der Beamte entgegnete daraufhin, dass eine solche Regelung zwar theoretisch möglich sei, aber gerade bei Tamilen grundsätzlich ausge Ende der 80er Jahre gab es be- FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Deportation reits Versuche der damaligen CDU Regierung, Abschiebungen von Flüchtlingen nach Sri Lanka und in den Libanon in großem Maße voranzutreiben. Durch großen Widerstand konnten diese Pläne durchkreuzt werden. Unter der jetzigen sozialdemokratischen Regierung soll das vollendet werden, was die CDU nicht geschafft hat. Momentan finden massive Angriffe auf Flüchtlinge, gerade gegen Kurden aus dem Libanon und gegen Tamilen aus Sri Lanka, statt - ist das Zufall? Noch ehe Schilys “Zuwanderungsgesetz” offiziell eingeführt wird, sind es diese beiden Gruppen von Flüchtlingen, die die menschenverachtende Logik dieses Gesetzes schon jetzt zu spüren bekommen. Das Asylrecht begründet sich von seinem Grundgedanken her auf die moralische Verantwortung, Menschen vor Verfolgung und Tod zu schützen. Nicht die kalte ökonomische Berechnung, sondern die Verpflichtung nach den Menschenrechten liegen ihm zu Grunde. Mit der Einführung des Gesetzentwurfs von Schily soll dies nun endgültig geändert werden. Wird der Gesetzentwurf erst einmal konsequent umgesetzt, werden Flüchtlinge in diesem Land einen wahren Exodus erleben. Schon jetzt verlassen Flüchtlinge Deutschland auf eigene Faust in Richtung ärmerer Länder, wie Mylvakanam, der scheiterte. Hussein Daoud lebt Abschiebungen nach Syrien gehen weiter I m FLÜCHTLINGSRAT 75/76 berichteten wir von der Verhaftung Hussein Daouds durch den syrischen Staatssicherheitsdienst und der Befürchtung, er sei in Haft ums Leben gekommen. Hussein Daoud war im Rahmen des niedersächsischen “Projekt X” in der Zentralen Anlaufstelle Braunschweig interniert, bevor er am 10.12.2000 nach Syrien abgeschoben wurde. Nachdem sein Fall in der Öffentlichkeit publik wurde, hatte die Niedersächsische Landesregierung Anfang Juni Abschiebungen nach Syrien ausgesetzt bis das Schicksal Daouds aufgeklärt sei (ausgenommen wurden davon allerdings “straffällig” gewordene SyrerInnen). Inzwischen liegt ein Schreiben des Auswärtigen Amtes vor, das bestätigt, dass Hussein Daoud noch am Leben ist (siehe weiter unten). Das Niedersächsische Innenministerium versucht sich nun seiner Verantwortung zu entledigen und stützt sich dabei auf die Aus- sage Daouds, dass er seit dem 4.2.2001 im Gefängnis Sednaya inhaftiert sei. Die Begründung: Da zwischen erfolgter Abschiebung und seiner Inhaftierung fast zwei Monate verstrichen sind, sei es “somit nicht sehr wahrscheinlich, dass die Festnahme im direkten Zusammenhang mit Ereignissen steht, die vor der Abschiebung stattgefunden haben.” Dieser Interpretation ist haarsträubend: Hussein Daoud konnte sich in Anwesenheit eines syri- 63 Deportation schen Geheimdienstmitarbeiters, eines Gefängnisbeamten und eines Dolmetschers, der durch den syrischen Geheimdienst gestellt wurde, nicht frei äußern. Kurdische Oppositionsparteien, Freunde sowie der Bruder haben übereinstimmend ausgesagt, dass Hussein Daoud bereits im Dezember 2000 – unmittelbar nach seiner Abschiebung – im Flughafen festgenommen wurde. Der urgent action von amnesty international vom 30.4.2001 war zu entnehmen, dass Hussein Daoud “mehrmals von einem Haftort in einen anderen verlegt worden” ist. Auch der Bericht des Auswärtigen Amts schließt nicht aus, dass vor dem 4.2.2001 eine Inhaf- AUSWÄRTIGES AMT Gz.: 300-516 SYR (Bitte bei Antwort angeben) tierung in anderen Haftanstalten erfolgte. Es ist bedauerlich, dass das Innenministerium nicht den Mut hat, zu seiner eigenen Entscheidung zu stehen, und sich aus durchsichtigen politischen Gründen – Vermeidung eines Alleingangs bei Abschiebungsstopps nach §54 AuslG – zu einem Rückzug gezwungen sieht. (Red.) Berlin, 3. August 2001 Telefon 01888 17 – 0 /Fax: 17-3402 Referat: 300, Verfasser: Nancy Reck Durchwahl: 17 – 4929 / Fax: 17 – 54929 Fax Sekretariat: 01888 17 - 4493 Briefadresse: Auswärtiges Amt 11013 Berlin An den Geschäftsführer des Fördervereins Niedersächsischer Flüchtlingsrat e.V. Herrn Kai Weber Lessingstraße 1 31135 Hildesheim Sehr geehrter Herr Weber, im Nachgang zum Schreiben des Auswärtigen Amts vom 10.07.2001 Gz. 300-516 SYR - möchte ich Sie über den aktudlen Sachstand im Falle des abgeschobenen syrischen Staatsangehörigen Hussain Daoud unterrichten. Aufgrund der Bemühungen der Deutschen Botschaft Damaskus wurde einem Botschaftsvertreter seitens des syrischen Aussenministenums am 26.06.2001 ein Treffen mit Hussain Daoud im Militärgefüngnis von Sednaya ermöglicht. Aufgrund des übermittelten Fotos konnte Herr Daoud positiv identifiziert werden. Die Behauptung, er sei in der Haft ums Leben gekommen, ist demnach nicht zutreffend. Ein Vier-Augen-Gespräch mit Herrn Daoud war nicht möglich. Das Gespräch fand vielmehr inAnwesenheit eines syrischen Gefängnisbeamten und eines Mitarbeiters des syrischen Geheimdienstes statt. Auch der Dolmetscher wurde durch den syrischen militärischen Geheimdienst gestellt. Herr Daoud gab an, seit dem 04.02.2001 im Gefängnis von Sednaya inhaftiert zu sein. Zum Haftvorwurf äußerte er sich nicht. Das äußere Erscheinungsbild war gut. Offensichtliche Folterspuren waren nicht zu erkennen. Herr Daoud machte auch einen geistig klaren Eindruck, war jedoch offensichtlich angespannt und nervös. Er äußerte sich dahingehend, dass Behandlung, Ernährung und hygienische Zustände gut seien, räumte jedoch ein, nicht frei sprechen zu können. Eine offizielle Äusserung der syrischen Behörden zum Tatvorwurf war bisher nicht zu erhalten. Syrischen Pressemeldungen zufolge soll mit einer baldigen Freilassung Hussain Daouds zu rechnen sein. Das Auswärtige Amt wird sich um Klärung bemühen, inwieweit diesen Meldungen Glauben geschenkt werden kann. Es bleibt zu hoffen, dass sich die syrischen Behörden auch weiterhin kooperativ zeigen werden. Alle im Zusammenhang mit Abschiebungen zu treffenden Entscheidungen fallen in die ausschliessliche Zuständigkeit der zur Durchführung des Ausländergesetzes berufenen Innenbehörden von Bund und Ländern. Mit freundlichen Grüßen 64 FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Deportation Mal was Positives: Geschiedene kurdische Ehefrau darf bleiben R A H . -EE b e r h a r d S c h u l t z Aufatmen können Frau Perihan C. (36 Jahre) und ihre Kinder im Alter von 8, 7 und 5 Jahren: Durch Urteil des Verwaltungsgericht Bremen, das kürzlich zugestellt wurde, erhielten Frau und Kinder ein vorläufiges Aufenthaltsrecht (Duldung) nach § 53 Abs. 6 Ausländergesetz (die „FR“ berichtete). Sie hatte sich von ihrem Mann, der wegen einer Straftat die Haft in Bremen verbüßte zunächst getrennt und später gegen seinen ausdrücklichen Willen scheiden lassen. Der Antrag mit der Begründung, sie hätten in der Türkei keine Überlebenschance, war vom BAFL abgelehnt worden. Über die Klage wurde zunächst am 05.10.2000 vor der 2. Kammer verhandelt und der Ehemann als Zeuge aus dem Gefängnis vorgeführt. Er behauptete, die Scheidungsabsicht seiner Frau sei nicht ernstgemeint, daß seine Frau und seine Kinder selbstverständlich von ihm bzw. seiner Familie in der Türkei unterstützt würden. Dies konnte durch die Zeugenaussage einer Betreuerin der Frau nachhaltig infragegestellt werden. Dadurch sah sich das Gericht immerhin veranlaßt, weitere Sachverständigengutachten einzuholen, die die von uns vorgelegten bestätigten: Bei Trennung und Scheidung gegen den Willen des Ehemannes werde die Frau – anders als die Kinder – sicherlich nicht von der Familie des Mannes in ihrem kurdischen Heimatdorf unterstützt, sie riskiere sogar die Blutrache, schlimmstenfalls durch ihre eigene Familie. Auch dies reichte dem Gericht noch nicht. Vielmehr holte es zum weiteren Verhandlungstermin am 05.07.2001 die Mutter als Zeugin über das Verhältnis ihrer Familie zu der Klägerin. Erst als diese von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machte, gleichzeitig ihre eigene Tochter im Gericht weder ansah, noch begrüßte, hatte das Gericht wohl ein Einsehen ... Abschiebung ohne Ankündigung In Peine wurde in einer Nacht und Nebelaktion eine vietnamesische Familie abgeschoben. Ohne vorherige Ankündigung kamen Nachts um 1.15 Uhr Vollzugsbeamte der Bezirksregierung in die Wohnung der Familie Nguyen, um die Eltern und ihre 5-jährige Tochter abzuholen. Nur 30 Minuten Zeit hatte die aus dem Schlaf gerissene Familie, um ihre Sachen zu packen. Die Regelung, den Betroffenen vorher den Abschiebungstermin mitzuteilen, wurde aufgehoben. Begründet wird dies damit, dass sich die Betroffenen bei Bekanntgabe eines Termins der Abschiebung durch Flucht entziehen würden. In der selben Nacht und in anderen Nächten sind noch weitere Familien aus dem Landkreis Peine in „Nacht- und Nebelaktionen“ abgeschoben worden. (Red) 65 Deportation Tod durch Erdrücken Zwei Jahre nach seinem gewaltsamen Tod in einer Lufthansamaschine liegt nun ein rechtsmedizinisches Gutachten zur Todesursache von Aamir Ageeb vor. Wie „Der Spiegel“ berichtete ist Aamir Ageeb offenbar allein durch den massiven Körpereinsatz dreier BGS-Beamter ums Leben gekommen. Dagegen habe der Motorradhelm, der zunächst als Ursache für das Ersticken gegolten hatte, keine entscheidende Rolle gespielt. Die BGS-Beamten hätten den Sudanesen während der gesamten Startphase massiv nach unten gedrückt, was zur Erstickung führte. Dabei seien auch sechs Rippen gebrochen worden. Ob die drei BGS-Beamte wegen fahrlässiger Tötung angeklagt werden habe die Staatsanwaltschaft noch nicht endgültig entschieden. Fliegen ist freiwillig Seit mehr als einem Jahr fordert das antirassistische Netzwerk kein mensch ist illegal den Ausstieg der Lufthansa aus dem Abschiebegeschäft. Erster Erfolg der Kampagne war die Zusage der Lufthansa, keine gewaltsamen Abschiebungen an Bord ihrer Flugzeuge mehr zuzulassen. Jedoch besteht sie darauf, einer angeblichen Beförderungspflicht auch für unfreiwillige Passagiere zu unterliegen. Die Pilotengewerkschaft Cockpit dagegen hat ihren Mitgliedern jetzt empfohlen, geplante Abschiebungskosten Die Bundesregierung hat in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der PDS-Abgeordneten Ulla Jelpe www.dip.bundestag.de/btd/ 14/058/1405870.pdf (BT-Drucksache 14/5870) zur Bezahlung von Abschiebungskosten Stellung genommen. Darin bekräftigt die Bundesregierung, dass Abgeschobene grundsätzlich für 66 Abschiebungen gegen den Willen der Betroffenen zu verweigern. Ein Beispiel sollte sich die Lufthansa an der rumänischen Fluggesellschaft TAROM nehmen: diese hat sofort - nach einer Intervention von kein mensch ist illegal - alle Abschiebungen mit ihren Chartermaschinen gestoppt! Informationen: www.deportation-alliance.com (Aus der Grenzcampzeitung „Campen in Rhein-Main“, Juli – August 2001) die Kostentragung herangezogen werden, wenn sie Jahre später wieder einreisen und ggf. ein Aufenthaltsrecht erwerben. Hinsichtlich der hohen Kosten insbesondere so genannter “begleiteter” Abschiebungen äußert die Bundesregierung lapidar: “Soweit eine Sicherheitsbegleitung für die Abschiebung eines Ausländers erforderlich ist, liegt dies allein in seinem Verhalten oder Lufthansa goes offline Die Online-Demo gegen die Lufthansa am 20.6. war offenbar erfolgreich. Wer zwischen 10 und 12 Uhr versucht hat, auf die Lufthansa-Seite zu gelangen, wurde per Fehlermeldung freundlich darauf aufmerksam gemacht, dass wohl “technische Schwierigkeiten” aufgetreten seien. Die Lufthansa hat eine Beeinträchtigung ihres Angebots öffentlich abgestritten, bei einzelnen Nachfragen aber zugeben müssen, dass der Server aufgrund der Online-Demo überlastet gewesen sei. (Aus Pro Asyl Infoservice Nr.51) Umständen begründet, die er selbst zu vertreten hat.” Fraglich ist diese Aussage insbesondere im Hinblick auf algerische Flüchtlinge, die regelmäßig den algerischen Sicherheitskräften übergeben werden. Im Jahr 2000 wurden rund 30 % aller Flugabschiebungen mit “Begleitservice” durchgeführt. Pro Asyl Info Nr. 48) FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Rassismus - Antirassismus Rassismus - Antirassismus Unser Land - vielseitig und weltoffen* * Titel einer Entschließung des Niedersächsischen Landtags gegen Gewalt und Fremdenhass im Sept. 2000 L aut Verfassungsschutzbericht ist die Mitgliederzahl der Neonazi- und Skinheadszene in Niedersachsen im letzten Jahr auf 1250 gestiegen, 150 mehr als im Vorjahr. Dies macht sich auch im Anstieg von rechtsextremistischen Gewalttaten bemerkbar. Währenddessen ist von dem vor einem Jahr ausgerufenen "Aufstand der Anständigen" kaum mehr was zu spüren. Angesichts der Hysterie, die seit dem Terroranschlag in den USA ausgebrochen ist, und der Mobilisierung des latenten Feindbilds "Islam", ist in nächster Zeit mit einem weiteren Anstieg rassistischer Übergriffe zu rechnen. sche Kontrollpraxis der Polizei beschwerte, sagte der Polizist: "Dies ist mein Deutschland. Darauf passe ich auf. Wenn dir das nicht passt, kannst du ja auswandern." Duderstadt, 15.4. 2001 Mehrere Männer verprügelten in einer Diskothek mehrere Menschen, ein dreißigjähriger Türke wurde so schwer verletzt, dass er ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Später gab die Polizei an, die Täter seien "aus der rechten Szene". Ob politische Motive eine Rolle spielten, sei unklar, so die Kripo. Im folgendem eine Zusammenstellung der Erfahrungen von MigrantInnen, Flüchtlingen und jüdischen Menschen in Niedersachsen aus dem letzten halben Jahr. Göttingen, 10.4. 2001 Bei einem Besuch in Göttingen wurde ein 26jähriger Student aus Oldenburg, der in Indien geboren und als Baby von Deutschen adoptiert worden war, von zwei Polizisten festgehalten und kontrolliert. Als er nach dem Grund dafür fragte, wurde ihm entgegnet, er solle "ganz ruhig bleiben" und "nicht frech werden". Die Polizisten duzten ihn dabei. Als sich der Student, über die rassisti- Hannover/Langenhagen (1), 24.5.2001 An Himmelfahrt haben randalierende Skinheads in Hannover und Langenhagen MigrantInnen durch die Innenstädte gehetzt und angegriffen. In Langenhagen zogen sieben stark alkoholisierte Skinheads (21-31 Jahre) rechte Parolen grölend und mit einer Hakenkreuzfahne durch die Straßen. Die hinzu gerufene Polizei nahm nur die Fahne an sich, stellte die Personalien fest und lies sie wieder laufen. Wenig später verletzten sie auf einer Party einen 28jährigen Deutschen. Dann pöbelten sie einen Italiener (30) und seine beiden Begleiterinnen an, bewarfen sie mit Flaschen und hetzten sie bis zu ihrem Haus. Dort zertrümmerten sie den Eingangsbereich. Erst dann nahmen Polizisten die sieben Skins, die mit Holzlatten auf die Beamten losgingen, fest. Sechs von ihnen wurden am darauffolgenden Tag wieder freigelassen. Nur ein 21jähriger, gegen den ein Haftbefehl wegen eines anderen, nicht rechtsextremen Deliktes vorlag, blieb in Polizeiarrest. Alle sieben gehören der sogenannten Wiesenauer Szene an. Gegen sie wird wegen Verdachts auf schweren Landfriedensbruch ermittelt. In Hannover haben vier Skinheads zwei 25-jährige Iraner attackiert und mit ausländerfeindlichen Parolen beschimpft. Die beiden Iraner waren mit dem Fahrrad unterwegs als sie auf die Skinheads trafen und es zu Handgreiflichkeiten kam. Als einer der beiden zu Boden stürzte, warfen die Skins sein Fahrrad auf ihn. 67 Rassismus - Antirassismus Flüchtlingsdelegation aus der Bahn heraus verhaftet Am 22. Mai reiste eine Gruppe von acht Personen aus Hamburg und Bremen nach Bonn, um dort als ReferentInnen an einer Veranstaltung zu Botschaftsanhörungen von Flüchtlingen teilzunehmen. Zwischen Osnabrück und Münster verlangten vier BGS-Beamte in Zivil von den "nicht-weissen" Personen dieser Gruppe die Papiere, die daraufhin nach den Kriterien für die Kontrolle fragten und die Herausgabe ihrer Papiere verweigerten, wenn nur sie kontrolliert werden sollten. Die Beamten beteuerten, es handle sich um eine reine Routine Kontrolle, dabei kontrollierten sie jedoch ausschließlich die betroffenen Flüchtlinge und niemand anderes in dem Zug. Als Begründung wurde Verdacht auf illegalen Aufenthalt angegeben, das käme auf dieser Strecke häufig vor. Der Verdacht würde durch die Hautfarbe ausgelöst und dies sei durch Vorschriften zu verdachtsabhängigen Kontrollen gerechtfertigt. Die Gruppe verweigerte diese Form rassistischer Kontrolle und die Aushändigung der Personal- papiere. Am Bahnhof von Münster wurde die Delegation, von mindestens zehn weiteren BGSBeamten erwartet. Drei Afrikaner wurden aus dem Zug heraus verhaftet und mit brutaler Gewalt aus dem Zug gezerrt. Sie wurden in ein Polizeirevier gebracht, mehrere Stunden festgehalten, teilweise nackt durchsucht (Verdacht auf Drogenhandel), unter Androhung von Zwang auf Alkoholkonsum getestet und erkennungsdienstlich behandelt. Nach mehreren Stunden wurde die Gruppe freigelassen und konnte die Reise fortsetzen, allerdings mit dem Hinweis, dass diejenigen, die als Flüchtlinge gegen die sog. Residenzpflicht verstoßen, im Zug mit weiteren Kontrollen zu rechnen hätten. Einzelne Teilnehmer der Gruppe sind nun mit Verfahren wegen Beleidigung und Widerstands gegen die Staatsgewalt konfrontiert, andere wegen Verstoßes gegen die Residenzpflicht. Ein Protokoll über die BGSKontrolle kann bei der Geschäftsstelle angefordert werden. Foto: arbeiterfotografie 68 Ein Täter stach mit dem Messer zu. Das Opfer musste zur Behandlung ins Krankenhaus. Bremerhaven, 1.6.2001 Ein ägyptischer Staatsangehöriger ist in der Nacht zum Freitag auf einem Autobahnparkplatz bei Bremerhaven zusammengeschlagen und schwer verletzt worden. Dringend tatverdächtig sind nach Angaben der Polizei drei Männer im Alter von 20-21 Jahren aus dem Cuxhavener und Bremerhavener Umland, die der rechten Szene angehören sollen. Die drei Männer waren bei einer Fahndung gestellt und vorläufig festgenommen worden. Sie hätten ihr Opfer beraubt. Im Auto seien zahlreiche CDs mit volksverhetzendem Inhalt gefunden. Einer der Männer, die alkoholisiert gewesen seien, habe einen Polizeibeamten angegriffen und ihn leicht verletzt. Langenhagen (2), 2.6.2001 Bei dem Schützenfest Kaltenweide wurde ein 27-jähriger Mann von 4-5 Neonazis vor den Augen von zwei nebenstehenden Polizisten zusammengeschlagen. Die Beamten griffen auch dann nicht ein, als die Nazis mit ihren Springerstiefeln auf den am Boden liegenden Mann herumtrampelten. Der Mann wurde mit einer Platzwunde am Kopf ins Krankenhaus gebracht, wo er nach ambulanter Behandlung wieder entlassen wurde. Die Polizei fasste die Männer kurze Zeit später, setzte sie aber in der gleichen Nacht wieder auf freien Fuss. Bei drei der Täter soll es sich um Angehörige der sogenannten Wiesenauer Szene handeln. Zwei von ihnen sollen bereits an den rassistischen Ausschreitungen an Himmelfahrt beteiligt gewesen sein. FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Rassismus - Antirassismus Göttingen, 18.6. 2001 Am 16. Juni gelang es der NPD erstmalig nach vielen gescheiterten Versuchen, in Göttingen zu demonstrieren. Mit einem massiven Polizeiaufgebot sicherte die Polizei die gerichtlich erlaubte Demo der Nazis gegen die mehreren tausend Gegendemonstran- tInnen. Die Polizei "konnte direkte Auseinandersetzungen zwischen Gegendemonstranten und NPDlern verhindern", so ihre Erfolgsmeldung nach offizieller Lesart. Nicht in der Lage sahen sie sich allerdings, MigrantInnen zu schützen, deren Züge Göttingen passierten. Während die Polizei über hundert Gegendemonstranten bis abends festsetzte, die Route der Nazis säumte, freiprügelte und sie schließlich zum Bahnhof eskortierte, holten sie Migrantenfamilien aus den Zü- gen, um die freie Fahrt der Nazis zu gewährleisten. Die betroffenen MigrantInnen mussten den nächsten Zug nehmen. Leider hätte die Polizei nicht genügend Kapazitäten gehabt, um die Fahrt der betroffenen MigrantInnen zu sichern, ließ sie später verlauten. Oldenburg, 21. 6.2001 Als 2 jugendliche Neonazis NPD-Aufkleber an einem Altglascontainer anbringen, stellt ein iranischer Migrant sie zur Rede. Daraufhin zieht einer von ihnen eine Gaspistole und setzt sie ihm an die Schläfe. Der Iraner steht Todesängste aus und schreit laut um Hilfe. Auf der sehr belebten Straße zeigt fast niemand eine Reaktion. Schließlich mischen sich doch zwei Passanten ein und die Jugendlichen ziehen ab, werden kurz nach der Tat von der Polizei gefaßt, jedoch wenig später wieder laufen gelassen. Obwohl die beiden Täter dem 4. Fachkommissariat, das unter anderem für politisch motivierte Straftaten zuständig ist, schon bekannt sind, wollte der Pressesprecher der Oldenburger Polizei, sich nicht darauf festlegen, dass man es mit einem rechtsradikalen Vergehen zu tun habe. Gegen den 18-jährigen Täter laufen jetzt Ermittlungen wegen "Bedrohung", die wegen seines Alters keine schwere Strafe nach sich ziehen werden. Der Iraner empfand diese "Bedrohung" als "Scheinhinrichtung" - ein Tat- bestand, der im Strafgesetzbuch nun mal nicht vorgesehen ist. Den Tätern ist er bereits wieder begegnet, sie wohnen in seiner Nähe. Pattensen, 10.7.2001 Ein Bewohner des Asylbewerberheims in Pattensen entdeckte vor dem Gebäude einen nicht gezündeten Brandbeschleuniger. Der jugoslawische Flüchtlinge verständigte die Polizei, die nun wegen versuchter menschengefährdender Brandstiftung ermittelt. Ein ausländerfeindlicher Hintergrund wird ausnahmsweise mal nicht ausgeschlossen. Langenhagen, 12.7.2001 In der Nacht zum 12.7. hat ein 27-jähriger Deutscher mit einer Holzlatte auf einen 18-jährigen Ukrainer eingeschlagen. Zuvor hatte er gemeinsam mit vier weiteren mutmaßlichen Angehörigen der rechtsextremen Szene verfassungswidrige Parolen und "Ihr Scheiß-Kanacken" gebrüllt. Die Männer wurden von der Polizei vorübergehend festgenommen. Achim, Juli 2001 In Achim wurde auf Betreiben der Nachbarschaft der Bau einer Moschee gestoppt. Begründung: die Erweiterung des schon bestehenden Gebetshauses würde eine Vergrößerung des Verkehrsaufkommens nach sich ziehen, schon jetzt wären die Parkplätze knapp. Dabei handelt es sich keineswegs um ein reines Wohngebiet, in der Straße befinden sich ein Tapetenhandel und eine Wäscherei. Peinlich für den klagenden Nachbarn: bei der Überprüfung des Nachbarschaftkonflikts stellte das Bauamt Verden fest, dass er seinen Anbau "illegal gebaut" und seine Gartenmauer über die Grundstücksgrenze hinaus, auf dem Grundstück der Moschee gebaut hat. Schon im Februar diesen Jahres bekam die muslimische Gemeinde eine Absage auf ihre Bauvoranfrage für die Errichtung eines 20 Meter hohen Minaretts. Der Rat der Stadt Achim begründete dies damit, daß das Vereinsheim damit den Charakter einer überregionalen Moschee bekommen und damit ein erhöhtes Verkehrsaufkommen nach sich ziehen würde. Ottersberg, September 2001 Unbekannte TäterInnen haben auf dem erst im vergangenem Jahr restaurierten jüdischen Friedhof in mehrere Grabsteine Hakenkreuze eingeritzt und einen Grabstein umgestossen und zerbrochen. 69 Rassismus - Antirassismus Siamo tutti Clandestini (Wir sind alle Illegale) Von Niedersachsen nach Genua aus antirassistischer Perspektive Sarah Sahara E r sei einer der “stranieri” (Fremden) gewesen, die ihre Stadt verwüstet hätten, sagt die Frau in der Bäckerei in Genua am Samstag morgen, und meint damit Carlo Guiliano, der am Tag vorher von einem italienischen carabiniere erschossen worden war. Das harte Vorgehen der Polizei gegen die “angereisten Gewalttäter” fände sie richtig, auch wenn das einer der Demonstranten mit seinem Leben bezahlen musste. Da dreht sich ein gutgekleideter Mann in der Warteschlange vor uns um und sagt ”Es war kein Fremder, Signora. Der Tote war ein Sohn unserer Stadt, geboren in Rom, doch jetzt lebte er hier in Genua.” “Aber es hieß doch, er sei Spanier gewesen”, protestiert die Frau noch, dann senkt sich ein betretenes Schweigen über die Umstehenden. Dies blieb nicht die einzige zusammengebrochene Konstruktion über “die Fremden”, die nach altbekannten rassistischen Mustern an allem Schuld sein sollen. Als angebliche Mitglieder eines “Schwarzen Blocks”, dem die Verantwortung für die Gewalteskalation bei den Protesten gegen den G8-Gipfel vom 19. bis zum 21. Juli in Genua zugeschoben werden soll, wurden nach den Aktionstagen fast ausschließlich AusländerInnen verhaftet. Gezielt hielten die Sicherheitskräfte nach Autos mit ausländischen Kennzeichen Ausschau. Die meisten Verhaftungen fanden in den 70 Tagen nach den Protesten außerhalb von Genua statt, zwei TschechInnen wurden sogar noch am 20. August festgenommen. Die systematische Brutalität der staatsbediensteten Sicherheitskräfte gegen alle DemonstrationsteilnehmerInnen ist - nach anfänglicher Funkstille - mittlerweile auch hierzulande Thema in den Medien, in Italien hat sie über Wochen täglich mehrere Zeitungsseiten gefüllt und Massendemonstrationen ausgelöst. Bis auf sieben Menschen, davon fünf Deutsche, waren Anfang Septem- halb von Genua verhaftet worden. Verhaftet wurden sie, als sie das dritte Mal an dem Tag in eine Straßenkontrolle geraten waren, die ersten beiden Kontrollen hatten sie unbeanstandet verlassen können (siehe auch [email protected]). Wieviel Personen trotz Haftentlassung ein Prozess erwartet, ist noch unklar. Es ist zu befürchten, dass schließlich an Einzelnen ein Exempel statuiert werden wird, einer der Deutschen beispielsweise wurde aus dem Gefängnis in ein italienisches Hausarrest entlassen, ihm droht auf jeden Fall ein Prozess. Willkür, systematische Misshandlungen bis zur Folter auf den Polizeiwachen und eine bislang in Westeuropa in diesem Ausmaß unbekannte Brutalität gegenüber DemonstrantInnen mit EU-Pässen Foto: Maria Wöste solche Behandlung durch Siber alle Inhaftierten (z.B. die ge- cherheits- und Grenzpolizeisamte no-border Volx-Theater- Kräfte kennen wir sonst nur geKarawane) freigelassen, denn die genüber Flüchtlingen, vor allem Anklagekonstruktion ließ sich an- bei Abschiebungen. Ebenso wie gesichts des breiten öffentlichen betroffene Flüchtlinge sind wohl Drucks nicht aufrechterhalten - auch ein Teil der in Genua VerTheaterrequisiten, Campingaus- letzten und Verhafteten durch ihrüstung, dunkle oder graue Klei- re Erlebnisse traumatisiert, so dungsstücke erschienen im Licht Freunde und UnterstützerInnen medialer Öffentlichkeit als das, (siehe auch www.indymedia.de). was sie waren: allzu dürftige Indi- Nicht wenige AktivistInnen hazien einer Anklagekonstruktion, ben laut NGO-VetreterInnen in die um jeden Preis nach Schuldi- Genua und den anderen GipfelAustragungs-Orten ihre “demogen sucht. kratische Unschuld” verloren: Zehn der Deutschen z.B. waren “Ihren Glauben an die Möglichmit zwei Campingbussen unter- keit, in demokratischen Ländern wegs und zwei Tage nach den mit demokratischen Mitteln zu Protesten 20 Kilometer außer- kämpfen”, so Riccardo Petrella in FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Rassismus - Antirassismus der Le Monde diplomatique (10.8. 01). In ersten Versuchen einer politischen Einschätzung ist von “regelrecht militärischen Dimensionen” bei den Auseinandersetzungen im Rahmen der sogenannten Anti-GlobalisierungsProteste die Rede, sowohl im Straßenkampf als auch in Form eines “Informationskrieges” im Vorfeld. Nicht nur der Einsatz von Räumpanzern und scharfer Munition, mit der auch geschossen wurde, sind bislang im Kontext sozialer Bewegungen in Westeuropa in dieser Dimension unübliche Mittel der Auseinandersetzung. Ein Toter, mehrere lebensgefährlich und hunderte Verletzte war die bittere Bilanz auf Seiten der Demonstrierenden. gekommen waren - die Atemmaske wegen der erwarteten Tränengas-Einsätze am Gürtel. Neben der Zerschlagung einer transnationalen Widerstands-Bewegung ging es in Genua auch um die Oppositionsbewegung im eigenen Land. Anders als in Deutschland sind in Italien die Auswirkungen eines ungehemmten Kapitalismus akutes Thema: Berlusconis politischen Pläne zur Umstrukturierung der italienischen Gesellschaft in einem Land, das die globale Weltordnung in seinem ökonomischen Gefälle zwischen Nord und Süd Was ist es, was hier so hart be- und umkämpft wird? Offensichtlich ist etwas in Bewegung geraten, was in Ausmaß, gesellschaftlicher Breite und Dynamik die Herrschenden tief beunruhigt. In Genua waren am Samstag 200 000 bis 300 000 Menschen auf der Straße, eine Größenordnung, die die bisherigen Proteste gegen den neoliberalen Kapitalismus weit übersteigt. An jedem der drei Aktionstage in Genua kamen ca. ein Drittel mehr Menschen, als selbst die VeranstalterInnen, das Genua Social Forum (GSF), erwartet Foto: Maria Wöste hatten. In italienischen Zeitungen ist von einer “neuen als Mikrokosmos widerspiegelt, Generation” die Rede. “Neue sind paradigmatisch für den gloGeneration” kann jedoch nicht balisierten Kapitalismus. Die gedeckungsgleich sein mit “jung”, planten Umbauprozesse im Bildenn vor allem überraschend für dungs- und Gesundheitssektor, niedersächsische Genua-Fahre- Angriffe auf die Pensionen und rInnen war die gemischte Alters- die anstehenden Tarif-Auseinanzusammensetzung, die Menge dersetzungen in der Metallinduund die Wut der Menschen, die strie werden zu einem “heißen am Samstag trotz der Todes- Herbst” in Italien führen, so ist es schüsse am Vortag nach Genua von verschiedenen Seiten an- gekündigt. Der Plan der Berlusconi-Regierung sieht vor, Schulen wie Betriebe zu organisieren und Krankenhäuser zu privatisieren Gesundheit und Bildung als “Ware” ist die neue Linie. MigrantInnen- und Flüchtlingspolitik spielt in diesen Auseinandersetzungen eine zentrale Rolle. Das wurde aber in deutschen Medien systematisch ignoriert und ging auch in den Köpfen der Interessierten nach der Gewaltorgie in Genua völlig unter - mit Ausnahme der Interessen des deutschen Innenministers, die Ereignisse in Genua für den Aufbau einer europäischen (Grenz-)Polizei zu nutzen. Das Besondere an den Gipfelprotesten in Genua aber war, dass hier das erste Mal offensiv die Kämpfe und Forderungen der MigrantInnen mit denen der Kapitalismus-KritikerInnen verbunden wurden (vgl. FLÜCHLINGSRAT 75/76, S. 74). Nicht zufällig war deshalb als Auftakt der drei Protesttage der Donnerstag (19. Juli) zum “Tag der MigrantInnen” erklärt worden. Siebzigtausend Menschen kamen und forderten in einem überwältigenden Demonstrationszug, der von Illegalisierten angeführt wurde, Bewegungsfreiheit und gleiche soziale Rechte. Nicht nur die Größe der Demo war unerwartet, auch die mit deutschen Latsch-Demos nicht vergleichbare Lautstärke, Dynamik und gesellschaftliche Breite war euphorisierend. Christliche Gruppen, Basisgewerkschaften, sogenannte Globalisierungs-GegnerInnen, AnarchistInnen und Autonome waren zusammen auf der Straße, es kam zu Solidarisierungsszenen mit den wenigen verbliebenen An71 Rassismus - Antirassismus wohnerInnen, als der Demozug durch die gespenstisch einwohnerleere Stadt zog. “Siamo tutti clandestini”, wir sind alle Illegale, war eine vielbeschworene Parole. Der Charakter dieses Tages war ein völlig anderer als an den beiden folgenden, an denen sich eine ganz andere Dynamik der Auseinandersetzungen Bahn brach. Es läßt sich schwer vermitteln, welche Mischung aus Aufbruchstimmung und Verstörung die widersprüchlichen Erfahrungen in Genua bei Genua-FahrerInnen aus Niedersachsen hinterließen. Anders als von uns erwartet war die Demonstration am Tag der MigrantInnen jedoch nicht bestimmt von MigrantInnen-Selbstorganisation, die Repression im Vorfeld hatte die Zahl der illegalisierten TeilnehmerInnen stark beschränkt. Wie nicht nur die weiteren Ereignisse zeigten, war Genua kein gutes Pflaster für Illegale in diesen Tagen. Die Behörden hatten das G8-Treffen im Vorfeld genutzt, um die Stadt von Illegalisierten und anderen unregistrierten BewohnerInnen zu säubern. Die verfallene Altstadt Genuas, die anders als in anderen europäischen Städten überwiegend von MigrantInnen und Armen bewohnt wird, war systematisch durchkämmt worden. Ein detailliertes AnwohnerInnenverzeichnis diente zur Einlasskontrolle in diesen Teil der Stadt, der während des G8-Gipfels zur ver- botenen “Roten Zone” wurde. Damit wurde in Genua auch ein Exempel statuiert für den künftigen Umgang mit selbstbestimmter Migration - unter Kontrolle bringen, ist das erklärte Ziel: kontrollierte Migration nach kapitalistischer Verwertungslogik. Woche nach den Protesten von Genua präsentierte das Italienische Parlament ein Gesetz, das illegale Einreise unter Strafe stellt, sanktioniert mit Freiheitsstrafen bis zu vier Jahren. Und der Aufbau weiterer Abschiebelager ist geplant. Eines der wohl wichtigsten politischen Ereignisse der letzten zehn Jahre sei die Demonstration der MigrantInnen in Genua gewesen, analysieren vier Autoren am 7. August in der italienischen Tageszeitung Il Manifesto die Ereignisse in Genua. Mit den Illegalisierten sei der Kern der Prekarisierung von Lebensbedingungen und Arbeitsverhältnissen in den Mittelpunkt gestellt worden. Illegalisierte unterliegen superprekären Arbeitsbedingungen, ihnen komme damit eine Vorreiterrolle bei den von der BerlusconiRegierung geplanten gesellschaftlichen Umwälzungen zu. Die DemonstrantInnen hatten die Lebensbedingungen der Illegalisierten auf die eigene Situation bezogen und sich deren Forderungen zu eigen gemacht. Dass dieses im Kontext der Proteste gegen den globalisierten Kapitalismus erkannt und thematisiert und auch noch mit so großer Beteiligung aufgegriffen wurde, sei ein politischer Durchbruch, so Il Manifesto. Die Herrschenden, Berlusconi/Lega Nord/ Forza Italia, stellen die Frage der Migration ebenfalls in den Mittelpunkt. Eine “Siamo tutti Clandestini” - das klingt nach den Ereignissen von Genua in zweifacher Hinsicht wie ein Menetekel: Il-legal gleich rechtlos gegenüber staatlicher Repression wird behandelt, wer sich gegen die herrschende Logik des globalisierten Kapitalismus stellt. Und: Il-legal gleich entrechtet werden zukünftig auch andere Bevölkerungsgruppen. Illegalisierte und Flüchtlinge waren und sind das Experimentierfeld für eine Politik der Entrechtung und einen Umbau der Gesellschaft nach sozialdarwinistischer Verwertungslogik. Wie die jüngste Populismus-Offensive in Deutschland gegen EmpfängerInnen von öffentlichen Leistungen und das neue Migrationskonzept zeigen, sind das keine speziell “italienischen Verhältnisse”. Weitere Informationen: http://de.indymedia.org http://free.freespeech.org http://www.aktionsinfo.de http://www.gbolzaneto.de http://www.lorraine.ch/genua/ http://www.no-racism.net http://www.savanne.ch http://www.linkeseite.de Im-und Expressionen vom Aktionszelten Annli von Alvensleben A ntirassistisches Grenzcamp 2001 bei Kelsterbach am Frankfurter Flughafen: Im Laufe der Woche wächst die Zahl der GrenzcamperInnen auf über 1000 Menschen, die Zelte auf der Wiese zwischen Bundesstraße und Main stehen dicht an dicht, auf der Infowand drängen sich konkurrierende Programmpunkte - Aktionen, Besetzungen, Demos, Diskussionen, Plena, Arbeitskreise... Die inhaltlichen Schwerpunkte liegen, abgesehen 72 von Abschiebungen, bei Genua, Residenzpflicht, ZwangsarbeiterInnenentschädigung, Einwanderungsdebatte, staatlicher Überwachung, rassistischen Kontrollen, campinternen Strukturen und Umgang mit Sexismus. Logistische Vorbereitungen zur Umgehung von polizeilichen Versammlungs- und Demo-Verhinderungsplänen brauchen ebenfalls ihre Zeit. Auch wenn es die Polizeiführung, wohl nicht zu- letzt unter dem Eindruck der Prügelorgien von Genua, offensichtlich nicht auf Eskalation abgesehen hat, muss häufig umdisponiert werden, um an der unglaublichen Menge von Einsatzkräften aus mehreren Bundesländern vorbei zu diversen Zielen zu gelangen. Die Zeltenden kommen aus unterschiedlichen Zusammenhängen aus dem gesamten Bundesgebiet und vereinzelt aus dem Aus- FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Rassismus - Antirassismus land. Von Seiten der Flüchtlinge gibt es Kritik an der Terminierung des Camps, der Zeitraum überschneidet sich mit der Leistungsausgabe in den Sozialämtern. Die meisten campwilligen Flüchtlinge können es sich daher nicht erlauben, zu kommen. Einige sind trotzdem da, hauptsächlich von „the Voice“ und der Brandenburgischen Flüchtlingsinitiative. Aus einem Wohnheim in Schwalbach kommen manchmal für ein paar Stunden größere Gruppen von Flüchtlingen. Fürs leibliche Wohl sorgen eine hervorragende und rund um die Uhr aktive Volxküche, ein Zeltcafé, ein findiger italienischer Eisverkäufer, der zum Leidwesen einiger KundInnen kein Statement zu Berlusconi abgeben will, und der nahe See zur angesichts der Dauerhitze dringend notwendigen Abkühlung. Auch wenn das Gerücht kursiert, es seien „hundert gewaltbereite Randalierer“ unter uns, die Kelsterbacher Schaufenster einschmeißen und Flughafenangestellte verprügeln wollten, ist die Bevölkerung vor Ort im Vergleich zu der der VorjahresCamps an deutschen Ostgrenzen sehr viel empfänglicher für die Anliegen des Camps. Nur vereinzelt ruft es aus vorbeifahrenden Autos „Haut endlich ab“ oder „Zeckenlager“. Samstag morgen, auf dem Weg zum See, werde ich von einem verstörten Kelsterbacher abgefangen, der wissen will, was wir denn am Flughafen vorhaben. Seine Frau arbeitet dort und ist aufgefordert worden, in Zivil zu erscheinen und sich am besten zur Arbeit fahren zu lassen, da sie sonst von den Demonstranten angegriffen und bespuckt würde. Dass wir was gegen den Flughafen machen wollten, sei ja gut. Ach so, wegen der Asylanten, jaja. Übergangslos hält er einen ausführlichen Vortrag über die angeblich unzähligen Kakerlaken am Flughafen. Schließlich klärt sich der Gedankensprung auf: „Die sitzen in den Kulturbeuteln der Asylanten, und wenn meine Frau die kontrolliert, springen sie raus. Deshalb ist das auch ungünstig mit der Privatkleidung, man will die Kakerlaken ja nicht auch noch im Haus haben.“ Ein paar Stunden später, zu zweit beim Campzeitung verteilen in Kelsterbach, treffen wir einen Mann, der sich im Laufe des „meine Meinung dazu wird Ihnen gar nicht gefallen“ Gesprächs als BGS - Beamter zu erkennen gibt. Unsere Ideologie sei ja eigentlich ganz richtig. (?!) Aaaaber. Wir sollten doch mal eine Woche beim BGS verbringen, da würden wir unsere Meinung schon ändern. Vier Kollegen braucht man, um einen Afrikaner abzuschieben, der die Beamten beleidigt und dann auch noch beißt und spuckt und um sich tritt. Was man sich so bieten lassen muss beim BGS, das würden wir ja nicht ahnen. Selbstverständlich sind wir voll des Mitgefühls für misshandelte BGSler und raten zur Abschiebungsverweigerung. („You are not from Ghana, you are from Kelsterbach“) und er konnte bzw. musste gehen („Sie sind ja ein freier Mann“). Am Sonntag soll Demo im Terminal sein. Nicht genehmigt seitens der Fraport, angeblich aus Angst vor einer Behinderung des Flugverkehrs. Die Behinderung übernimmt die Fraport dann selbst, ohne gültiges Ticket kommt niemand mehr in den Flughafen. AbholerInnen, BegleiterInnen und Last-Minute-AnwärterInnen müssen draußen warten. Gerade ankommende Fluggäste brauchen stundenlang, um den Flughafen zu verlassen. „Da ist alles voll mit Polizei, aber die haben keine Ahnung, wo sie die Leute hinschicken sollen!“. Die „radical cheerleaders“ in Pink und Silber werden am Flughafen gar nicht erst aus dem S-Bahnhof gelassen, die Aufgänge sind überzeugend abgeriegelt, Transparente zum Schutz vor Kameras werden unter Schlagstockeinsatz entfernt. Überirdisch sind währenddessen die Zugänge zum Termi- Foto: AntiRaGö Beim Plenum am Samstagabend berichtet ein Mann mit deutschem Pass und ghanaischer Mutter von dem Versuch, sich für ein paar Tage in das Lager im Flughafen einzuschleichen. Er hatte am Freitag einen Asylantrag gestellt und behauptet, aus Ghana zu kommen. Seine Glaubwürdigkeit scheiterte zunächst am Übersetzer, da er keinen der lokalen Dialekte sprechen konnte. Daraufhin wurde unterstellt, er komme aus Kairo, obwohl er kein Wort arabisch spricht. Nach einer höchst unkomfortablen Nacht flog seine Identität dann auf nal von innen von der Polizei, von außen von DemonstrantInnen blockiert. Die Demo versucht, sich bei Laune zu halten. Es gibt klassische Konzerte, als Römer verkleidete CamperInnen veranstalten einen Sklavenhandel, und schließlich stürmt nach zwei Stunden doch noch ein lauter und tanzender Pink-and-Silver-Block aus der S-Bahn ans Tageslicht. Ansonsten lange Rückstaus auf der Straße und eine Menge völlig entnervter Fluggäste. Die Polizei erklärt die rigiden Kontrollen mit „betriebsinternen Gründen“. 73 Rassismus - Antirassismus Nach langen Verhandlungen darf dann doch noch eine Kundgebung in Terminal 3 stattfinden. Die Stimmung ist ausgezeichnet, auch wenn sich das Publikum auf - immerhin zahlreiche - Uniformierte beschränkt. Der Fraport wird angekündigt, wir würden jeden Tag wiederkommen, wenn die Demo am Samstag nicht genehmigt wird. Das Ultimatum läuft bis Donnerstag. Obwohl sich dann unter der Woche nur kleinere Gruppen zum Flugblätter- und Zeitungsverteilen zum Flughafen aufmachen, bleiben die rigiden Abschottungsmaßnahmen gegen alle Nicht-Flugticket-InhaberInnen bestehen. Am Freitag zur Abwechslung mal nicht aus „betriebsinternen Gründen“, sondern „wegen einer Firmenveranstaltung“. Am Mittwoch ist Innenstadtaktionstag unter dem Motto „Attack Kontrollraum!“. Verschiedene kleinere und größere Gruppen tummeln sich in Frankfurt, bela- der Mittagshitze werden wir an der Konstablerwache doch noch eingekesselt, angenehmerweise unter großen Bäumen. Rufen, hüpfen, puscheln und singen lässt es sich aber auch im Polizeikessel. Mit der Zeit wandelt sich die Mini-Demo zur Party, von Umstehenden werden zahlreiche Flaschen Wasser und Eis gereicht, woraufhin die skandierten Sprüche spontan das Thema wechseln: „Wir haben Freunde, und ihr nicht!“ (dabei wird „Freunde“ wahlweise gegen „Schatten“, „Spaß“, „Wasser“ oder „Puschel“ ausgetauscht). Unter der Auflage, zurück nach Kelsterbach zu fahren, werden wir irgendwann in die S-Bahn entlassen. Dort ist rasches Umziehen und bei der nächsten Station Aussteigen angesagt, schließlich will man nicht nach Kelsterbach, sondern zur Aktion im Hauptbahnhof und danach zum Konzert. Auch an anderen Tagen wird die Polizei in der City auf Trab gehalten, z.B. durch den minutiös Foto: AntiRaGö gern Teile des Hauptbahnhofs, kontrollieren Deutsche, tauschen U-bahn-Plakate aus oder verteilen Informationen zum jüngst entdeckten „Staatsbürger-Gen“. Ca. 80 Leute in „Pink-and-Silver“ ziehen mit alten und neuen Sprüchen, Liedern, Choreographien, Cheerleader-Puscheln und Flugblättern durch zwei Kaufhäuser und durch die Zeil. Der Polizei wird das zu bunt, sie versucht es mit halbherzigen Absperrungen, die ohne große Mühe und unter Beifall von PassantInnen einfach überrannt werden. Nach langem Dauerlauf in 74 geplanten Sturm auf die Börse anlässlich der ZwangsarbeiterInnen-Debatte oder Genua-bezogene Besetzungen der SPD-Zentrale und des italienischen Fremdenverkehrsamts. Bei letzterem Event kommen wir zufällig vorbei, auf dem Rückweg von der Residenzpflicht-Demo. Ein Ladenbesitzer auf der anderen Straßenseite verzweifelt am deutschen Staatspazifismus. „Das die das hier dürfen! In Marokko wären die schon längst niedergeschossen worden, oder in der Türkei!“ Zur Abschlussdemo am Samstag scheint sich der Flughafen auf einen kriegerischen Angriff vorbereitet zu haben. Zusätzlich zum inzwischen gewohnten „grünen Gürtel“ um die Terminals ist der Eingang zu Tor 3, hinter dem sich das Internierungslager (Camp-Jargon) für Asylsuchende befindet, von Nato-Draht, Wasserwerfern und einem riesigen Aufgebot an teilweise vermummter Polizei und BGS abgeriegelt. Zwei Stunden lang fahren keine S-Bahnen mehr zum Flughafen, der ICE platzt aus allen Nähten. 2-3000 Leute kommen auf diversen Umwegen zum Demonstrieren, Polizeiketten versperren Pink-and-Silver wieder mal vorübergehend den Weg, diesmal unter Schlagstock- und Tränengaseinsatz. Nach Verhandlungen kommt die Demo mit einiger Verspätung zustande. Leider gelingt es nicht, eine Delegation zu den eingesperrten Flüchtlingen durchzusetzen. Nach 8 Tagen Daueraktion lässt die Energie nach. Nichtsdestotrotz hat auch die Abschlussdemo, wie fast alle anderen Aktionen, ein breites und weitgehend sympathisierendes Medienecho weit über Frankfurt hinaus gefunden. Das Teil-Ziel, die Fraport unter Druck zu setzen sowie Öffentlichkeit zu Abschiebepraxis und Rassismus herzustellen, wurde zweifellos erreicht. Der hessische Innenminister räumt im Nachhinein ein, die Polizei sei von der „beeindruckenden Logistik“ der GrenzcamperInnen überfordert gewesen, natürlich nicht, ohne im gleichen Atemzug alle Protestformen als Krawalle und Randale zu bezeichnen, die über genehmigte Latschdemos hinausgingen. Auch in anderen Ländern fanden diesen Sommer Grenzcamps statt: in Tarifa (Spanien), Polen, Slowenien, Italien und Mexiko. Informationen hierzu gibt es im Internet: www.noborder.de FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Rassismus - Antirassismus Residenzpflichtprozess in Westerstede 320 DM Geldstrafe, dieses Urteil traf das Amtsgericht in einem Verfahren gegen den Asylbewerber Richard N. Der in einer Flüchtlingsunterkunft in Edewecht, Landkreis Ammerland, lebende Asylbewerber hatte gegen die Residenzpflicht verstossen, weil er sich ohne Genehmigung in Oldenburg aufgehalten hat. Nach dem Asylverfahrensgesetz ist es AsylbewerberInnen untersagt ihre Landkreisgrenze bzw. Stadtgrenze zu überschreiten. Wollen sie es dennoch tun, müssen sie vorher eine Genehmigung einholen. Heimatland Kamerun einsetzen zu können. Jedesmal wenn er aufgrund seiner politischen Aktivitäten den Landkreis verlassen will, muß er vorher eine Genehmigung einholen. Allerdings gibt es keinen Anspruch darauf, diese wirklich zu erhalten. Gerade im Zusammenhang mit den Protestaktionen der Karawane in Berlin hat sich wieder gezeigt, daß Ausländerbehörden politische Aktivitäten von Flüchtlingen oftmals eher be- bzw. verhindern: Viele engagierte Flüchtlinge erhielten keine Erlaubnis nach Berlin zu reisen. In dem Prozeß vor dem Amtsgericht machte Richard N. nun deutlich, daß er auch zukünftig nicht ständig solche Genehmigungen einholen wird, wenn er den ihm zugewiesenen Landkreis verlassen will. Mit dieser Aktion zivilen Ungehorsams schließt Richard N. sich der bundesweiten Kampagne der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen in Deutschland an (siehe FLÜCHTLINGSRAT 73). Mit einer Demonstration und anderen Protestaktionen in Berlin hat die Karawane vom 17.-19. Mai ihre Kampagne einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt und weitere Aktionen zivilen Ungehorsams angekündigt. Aber nicht nur politische Aktivitäten werden durch die Residenzpflicht erschwert, auch der ganz normale Alltag. Richard N. wurde verurteilt, weil er in Oldenburg das Flüchtlingscafé be- sucht hatte. Dieser wöchentliche Treffpunkt von Flüchtlingen dient dazu, die jeweiligen Probleme und Schwierigkeiten auszutauschen und gemeinsame Aktivitäten zu planen. Er wollte bei diesem Besuch noch einen Flüchtling zur Ausländerbehörde begleiten, um dort mit seinen Deutschkenntnissen beim Ausfüllen eines Antragsformulars auszuhelfen. Zur Unterstützung von Richard in seinem Verfahren hat sich eine Unterstützergruppe gebildet. Für Mitarbeit und dringend benötigte Spenden: Initiative für offene Grenzen Tel.: 04 41 – 24 81 75 Konto-Nr.: 11 22 70 55 01 Marc Gyampoh, Stichwort “Richard” OLB; BLZ: 280 200 50 Als Vorsitzender der SDF (Social Demokratic Front ) in Niedersachsen muß Richard N. viel reisen, um sich hier im Exil in Deutschland wirkungsvoll für politische Veränderungen in seinem “Rassimus hat viele Gesichter”, so heißt die Kampagne von Pro Asyl zum diesjährigen Tag des Flüchtlings am 28. September. Thema der Kampagne ist die soziale Ausgrenzung von Flüchtlingen am Beispiel von Residenzpflicht und Sachleistungsprinzip. Plakate, Flyer, Postkarten, Materialhefte sind bei Pro Asyl, Postfach 16 06 24 in 60069 Frankfurt/M., Tel.: 069 – 23 06 88 oder im Internet zu bestellen. 75 Rassismus - Antirassismus Erklärung zur rassistischen Ermordung unserer Schwester THE BLACK COMMUNITY IN GERMANY Am 14. Juli ist die 26-jährige Senegalesin N‘deye Mareame FARR in Aschaffenburg von einem Polizisten erschossen worden. Hintergrund ist ein Streit zwischen ihr und ihrem Ehemann, einem weißen Deutschen, der in der Nacht gegen 2.30 Uhr die Polizei gerufen hat, um seine Frau aus der Wohnung werfen zu lassen. Die Frau war in die Wohnung ihres Ehemannes gekommen, weil sie den zweijährigen Sohn abholen wollte, der einige Tage zuvor von dem Mann entführt wurde. Zuvor hatte sie die Polizei vergeblich um Hilfe bei der Abholung ihres Kindes gebeten. Aber als der Mann die Polizei anrief, waren sofort 2 Beamte zur Stelle. Als sie auftauchten und sofort Partei für den Ehemann ergriffen hatten, kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen den zwei Polizeibeamten und der 26-jährigen Afrikanerin. Laut Polizeibericht ergriff die Frau ein Küchenmesser und stach auf einen Polizisten ein. Auf eine Aufforderung des zweiten Polizisten , das Messer fallen zu lassen soll sie nicht reagiert haben. Daraufhin zog dieser seine Dienstwaffe und gab einen Schuß auf die Frau ab, die wenig später im Klinikum Aschaffenburg verstarb. Im Folgendem dokumentieren wir die Erklärung der “Black Community in Deutschland” zu diesem Vorfall. (Red.) W ir fordern Wahrheit, Gerechtigkeit, Entschädigung und ein Ende des staatlich institutionalisierten Rassismus in Deutschland 76 Am 14. Juli 2001 tötete ein deutscher Polizist in Aschaffenburg unsere Schwester Ndeye Mareame SARR. Die Motivation für dieses Verbrechen scheint eine deutlich rassistische gewesen zu sein. Tatsächlich können wir nicht verstehen, wie ein Polizist, der dazu ausgebildet ist, jegliche Situation mit Ruhe und Gelassenheit zu bewältigen, seine Waffe gegen eine Mutter einsetzten musste, die nichts anderes wollte, als zu leben und die Zukunft ihrer Kinder zu sichern. Wir sind verwundert, dass die Polizeidirektion in Aschaffenburg von “Nothilfe” spricht, wo doch die Polizisten zu zweit waren. Wir können nicht glauben, dass die beiden keinen anderen Weg sahen, Schwester Mareame zu überwältigen, als auf sie zu schießen. Dieses Verbrechen ist um so unverständlicher und unakzeptabler, als der Polizist auf viele andere Körperstellen hätte schießen können, um Mareame “unschädlich” zu machen, ohne sie auf so unnötige, kaltblütige und feige Weise zu töten. Für uns steht fest, dass Mareame getötet wurde, weil sie Schwarz ist und weil Schwarzsein für viele Menschen in diesem Land, besonders für Beamten und Polizisten, ein unverzeihliches Verbrechen ist. Deshalb handelt es sich hierbei um den klaren Fall eines groben rassistischen Verbrechens, das als solches gnadenlos verurteilt und um so strenger geahndet werden muss, als der Täter ein Polizeibeamter ist. Des- halb verurteilen wir sehr scharf das verhalten des Staatsanwaltschaft Aschaffenburg, der sich der Interpretation der Polizei anschließen will, die Ermittlungen einstellen und keine Strafverfahren gegen die Polizei-Mörder aufnehmen. Wir verurteilen ebenso die Verschwörung des Schweigens um den Mord unserer Schwester und Freundin Mareame, die von den deutschen Medien und PolitikerInnen betrieben wird. Wann immer einE schwarzeR oder ausländische Mensch hier etwas falsch macht, findet diese Information in ganz Deutschland Resonanz, und die Medien und PolitikerInnen trommeln und singen es in die Welt hinaus, um AusländerInnen und besonders AfrikanerInnen zu kriminalisieren und das “gute deutsche Volk” gegen uns aufzubringen. Doch wenn wir die Opfer von Brutalität und Gewalt durch deutsche BürgerInnen, Beamten und Polizei sind, bewahren alle Stillschweigen. Wenn wir in den deutschen Abschiebeknäste sterben oder bei der Abschiebung von der Polizei getötet werden, stellen sich plötzlich alle blind und taub. Wir verurteilen diese Haltung vehement, da sie eine Komplizenschaft mit den Tätern rassistischer Verbrechen offenbart und diese ermutigt, mit ihrem schmutzigen Geschäft fortzufahren. Doch all dies wird uns weder einschüchtern noch entmutigen, also: FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Rassismus - Antirassismus 1. fordern wir, dass der Polizeibeamte, der unsere Schwester und Freundin Mareame getötet hat, und sein Komplize sofort aus dem Dienst entlassen werden und vor Gericht zur Rechenschaft gezogen werden; 2. halten wir die Polizei, die Stadtverwaltung Aschaffenburg sowie das Innenministerium des Freistaates Bayern politisch verantwortlich für das rassistische Verbrechen, dass durch einen ihrer Beamten begangen wurde; 3. fordern wir den deutschen Staat und die Polizei dazu auf, sich bei den Familienmitgliedern von Ndeye Mareame offiziell zu entschuldigen und ihnen für den Verlust, den entstandenen Schaden und die Traumatisierung der Verwandten eine Entschädigung auszuzahlen. Dies betreffend müssen die Kosten der Überführung des Leichnams in den Senegal und alle Kosten für die Trauerfeierlichkeiten im Senegal und in Deutschland von der Bundesrepublik Deutschland getragen werden; 4. außerdem fordern wir eine umfassende und radikale Aufarbeitung und vollständige Been- digung von rassistischem Gedankengut und Verhaltensweisen, die in der deutschen Gesellschaft, bei der Polizei, in der Verwaltung und in anderen staatlichen Strukturen vorherrschen. Denn das ist der einzige Weg, allen hier lebenden Menschen, egal welcher Herkunft und Hautfarbe, in menschlicher Würde, in Achtung ihrer Freiheit, mit den gleichen Rechten und Pflichten und ohne die Gefahr, Opfer von rassistischer Diskriminierung und Gewalt zu werden, ein gleichberechtigtes Leben in Deutschland zu ermöglichen. Schließlich möchten wir der Familie Mareames unser Mitgefühl ausdrücken und ihr versichern, dass wir sie in dieser schmerzlichen Situation vollkommen unterstützen. Gemeinsam werden wir dafür kämpfen, dass die Wahrheit bekannt gemacht, Gerechtigkeit erreicht und Entschädigung gezahlt wird. Dieser Kampf wird so lange weitergehen, bis die rassistische Politik, die in Deutschland gegen AusländerInnen und besonders gegen Schwarze betrieben wird und diese Art von Verbrechen begünstigt, abgeschafft wird. Der Kampf geht weiter. Komme, was wolle, wir werden siegen. UnterzeichnerInnen: Black Students’ OrganisationBSO e.V., SOS Struggles of Students e.V.-International Hauptsitz, African Refugees Association-ARA, Initiative Schwarze Deutsche-ISD-Bund e.V., ADEFRA e.V.- Schwarze Frauen in Deutschland SOKONI e.V., Amicale des Sénégalais à Hambourg-Verein der Senegalese in Hamburg e.V. Senegalesische Community in Deutschland; Hambastegie-International Föderation Iranischer FlüchtlingeIFIR Kamerunische StudentInnenparlamant in Exil, SOS Struggles of Students-Deutsche Sektion, SOS Struggles of Students-Österreich, SOS Struggles of Students-Portugal. Liebe FreundInnen und MitstreiterInnen, lasst uns bitte wissen, ob ihr diese Erklärung über die rassistische Ermordung von Mareame. Dafür schreibt bitte ein kurze Mail an eine der folgende Adressen: [email protected], [email protected] oder [email protected] Rassimus in den Medien Beschwerdemöglichkeit bei der NLM G r a z i e l l a B o a r o -TT i t z e Graziella Boaro-Titze ist Italienerin und lebt seit mehr als 25 Jahren in Deutschland. Sie gehört als Mitglied dem Flüchtlingsrat Niedersachsen an und vertritt ihn seit Januar 2000 in der Niedersächsischen Landesmedienanstalt für privaten Rundfunk (NLM). Im folgenden Bericht beschreibt sie die Funktion der NLM. (Red.) D ie Niedersächsiche Landesmedienanstalt für privaten Rundfunk ist eine Anstalt des öffentlichen Rechts und hat ihre Geschäftsführung in Hannover. Ein Organ der NLM ist die Versammlung, die sich aus mindestens 41 ständigen VertreterInnen verschiedener Organisationen Niedersachsens, darunter auch der Nds. Flüchtlingsrat, sowie der Landtagsparteien zusammensetzt. Die Versammlung hat weitreichende Kompetenzen und entscheidet u.a. über die Erlaubnis für die Veranstaltung nichtkommerziellen lokalen Rundfunks und Zulassung von Trägerschaften eines Offenen Kanals, auch über die Beanstandung sowie Untersagung der Weiterverbreitung von Rund-funkprogrammen. Desgleichen überprüft die NLM die Ausgewogenheit der angebotenen Rund-funkprogramme auf Landes- und auf Bundesebene und hat hierüber auch Einfluss auf erforderliche Regelungen zur Verhinderung von multimedialer Meinungsmacht. Zur Durchsetzung hat die NLM die behördliche Befugnis zur Androhung eines Bußgeldes und kann festgestellte Verstöße nach 77 Rassismus - Antirassismus dem Ordnungswidrigkeitenrecht mit einer Geldbuße bis zu 500.000 DM ahnden. Was wohl die wenigsten wissen: Jede/r BewohnerIn dieses Landes kann sich mit einer Beschwerde an die NLM wenden, sofern sich die Beschwerde auf eine Sendung im Radio oder Fernsehen bezieht. Dabei ist es unbedeutend, ob sich die Beschwerde beispielsweise auf den Inhalt oder auf die Sendezeit bezieht. Überregional ist die NLM unmittelbar zuständig für den Fernsehsender RTL, d.h. Beschwerden über den Sender werden aus dem gesamten Bundesgebiet direkt abgearbeitet. Be- schwerden über andere Sender leitet die NLM an die Medienanstalten der anderen Bundesländer entsprechend der festgelegten Zuständigkeit weiter. Insofern verfügt die NLM über eine weitergehende Kompetenz als beispielsweise der Deutsche Presserat, denn die Landesmedienanstalten sind auch sanktionsberechtigt. Beschwerden können direkt gerichtet werden an: Niedersächsische Landesmedienanstalt für den privaten Rundfunk, Seelhorststraße 18, 30175 Hannover, Tel.: 0511/28 477-0, Fax: -/ 28477-36, e-mail: [email protected], Internet: www.nlm.de Die Beteiligung von MigrantInnen in Gremien wie beispielsweise der NLM halte ich für überaus wichtig und unverzichtbar. MigrantInnen müssen im Alltag gerade auch in Bereichen wahrgenommen werden und zu Wort kommen, die an sich und bislang zum Größtenteil ausschließlich von VertreterInnen der Mehrheitsgesellschaft besetzt sind. Dabei spielt es im Grunde keine Rolle, welchen Aufenthaltsstatus der/die MigrantIn besitzt. Wesentlich ist lediglich, dass er/sie der Verhandlung folgen kann und dass er/sie an dieser Aufgabe interessiert ist. Kriminalisierung von Flüchtlingsberatung M it der Keule des Rechtsberatungsgesetzes versucht die Rechtsanwaltskammer Stuttgart, gegen den Caritasverband Stuttgart und einen seiner Mitarbeiter vorzugehen. Hintergrund: mit der Beratung von SozialhilfeempfängerInnen, AsylbewerberInnen und anderen sozial benachteiligten Menschen soll Dr. Manfred Hammel in mehreren Fällen gegen das Rechtsberatungsgesetz verstoßen haben. Dieses Gesetz stammt aus dem Jahr 1935 und befugt ausschliesslich RechtsanwältInnen oder zugelassene Rechtsbeistände MitbürgerInnen in rechtlichen Dingen zu helfen. Die Wurzeln dieses Gesetzes liegen im Ermächtigungsgesetz von 1933. Damals wurde mit diesem Gesetz die “Entjudung” der deutschen Anwaltschaft und gleichzeitige Monopolstellung der Rechtsberatung durch die deutsche Anwaltschaft erreicht. Das Landgericht Stuttgart hat am 21. Juni 2001 die Rechtsauffassung des Caritasverbandes zu weiten Teilen bestätigt. Pikant unter anderem: Der Caritasverband hatte im außergerichtlichen Vergleichsverfahren den Mitgliedern der Rechtsanwaltskammer Stuttgart angeboten, Rechtsbera78 tung für Hilfsbedürftige in Caritas-Räumen auf der Basis von Beratungs- und Prozesskostenhilfe durchzuführen. Die Stuttgarter Anwaltschaft war jedoch nicht bereit, unter diesen vom Gesetzgeber vorgesehenen unattraktiven Bedingungen tätig zu werden und erwartete von der Caritas ein Stundenhonorar. Das bestätigt nicht nur Vorurteile gegen Teile der Anwaltschaft, sondern belegt auch, dass sich das Rechtsberatungsgesetz als Mechanismus zur Verhinderung anwaltlicher Beratung für mittellose Flüchtlinge auswirkt. Teile der Anwaltschaft lassen sich offenbar für politische Zwecke instrumentalisieren, wenn sie die rechtliche Vertretung für Flüchtlinge unter den gegebenen Bedingungen gar nicht übernehmen wollen und dennoch Grundsatzstreitigkeiten dieser Art vom Zaun brechen. Das Urteil des Landgericht Stuttgart wurde von der Rechtsanwaltskammer Stuttgart nicht akzeptiert. Der Termin zur Berufungsverhandlung vor dem Oberlandesgericht Stuttgart ist am Freitag den 9. November 2001 14 Uhr. Weitere Infos zum Hintergrund dieses Prozesses und des Rechtsberatungsgesetz allgemein über www.tacheles.de. Auch in Freiburg werden staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren gegen die Flüchtlingsinitiative SAGA (Südbadisches Aktionsbündnis gegen Abschiebungen) wegen angeblichen Verstoßes gegen das Rechtsberatungsgsesetz geführt. Polizeiliche Vorladungen sind insbesondere gegen zwei Personen der SAGA ergangen. Tätig geworden ist hier allerdings nicht die Anwaltskammer, sondern die Verwaltungsbehörden, die den Flüchtlingen ohnehin immer mehr Rechte beschneiden. Offenbar haben die Abschiebebehörden des Regierungspräsidium Freiburg und die Freiburger Außenstelle des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge über längere Zeit angebliche Belege für die im Raum stehenden Vorwürfe gesammelt. Ziel des Vorgehens ist es offenbar, sich mit dem Vorgehen gegen SAGA missliebiger Kritiker zu entledigen und freie Flüchtlingsinitiativen, die nicht die (begrenzten) Privilegierungen der Wohlfahrtsverbände und Kirchen in Sachen Rechtsberatung genießen, einzuschüchtern. Eine Pressemitteilung von SAGA, die die Vorgänge kommentiert, kann bei unserer Geschäftsstelle bestellt werden. FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Kirchenasyl Kirchenasyl Ganz schön mutig Interview mit Pastor Gerrit Weusthof, katholischer Priester in Papenburg/Emsland Das Interview führte Maria Wöste Ü ber 14 Monate lebte die neunköpfige kurdische Familie Gül im Kirchenasyl in der Kath. Kirchengemeinde St. Josef in Papenburg, bis sie schließlich eine befristete Aufenthaltsbefugnis erhielt (nach der sog. Altfallregelung). Doch juristisch ist das Kirchenasyl noch nicht vorbei - im Mai 2001 stand Pastor Gerrit Weusthof wegen des Kirchenasyls vor Gericht. Verstoß gegen das Ausländergesetz lautete der Vorwurf. Gegen eine Geldbuße von 500 DM, zahlbar an ein eigenes Sozial-Projekt, sollte das Verfahren zunächst eingestellt werden, so das außergerichtliche Angebot. Doch der Pastor und die Kirchengemeinde verweigerten die Zahlung, wurden in einem lokal vielbeachteten Prozess zur Zahlung von 4000 DM mit zweijähriger Bewährung verurteilt - und legten Berufung ein. Sie haben jetzt vor Gericht gestanden wegen des Kirchenasyls für die Familie Gül und sind verurteilt worden. Worum ging es da und wie geht es jetzt weiter? GERRIT WEUSTHOF: Wir haben Berufung eingelegt. Weil wir immer noch meinen, das kann so nicht sein. Wir haben dieser Familie in einer Situation geholfen, wo sie in Not war, wo wir der felsenfesten Überzeugung waren, diese Familie kann so nicht ausgewiesen werden, dieser Familie wird es in der Türkei schlecht gehen, das muss noch mal neu geprüft werden, und darum müssen wir der Familie Kirchenasyl verleihen. Und das haben ja auch hier die Behörden anerkannt. Sie hätten ja auch die Familie aus dem Kirchengebäude herausholen können und sie trotzdem abschieben können. Wir haben auch immer versucht, mit denen im Gespräch zu bleiben, und die mit uns, und das ist auch gelungen. Jetzt im Nachhinein sagt die Staatsanwaltschaft: das war verkehrt. Und das kann ja nicht sein. Denn das war ja keine Kurzschlussaktion. Wir haben zunächst das Angebot erhalten, wir sollten 500 DM bezahlen, dann wäre alles erledigt gewesen. Das haben wir nicht gemacht. Auch Herr und Frau Gül sind zu 500 DM Strafe verurteilt worden. Die haben bezahlt, um da nicht zusätzliche Schwierigkeiten zu bekommen. Aber wir als Kirchengemeinde haben gesagt, nein das geht nicht, weil wir in dem Sinne nicht “schuldig” geworden sind. Denn wir haben ja durch unser Verhalten klar gezeigt, was dahinter stand, dass diese Entscheidung übers Gewissen ging, denn wenn dieses nicht wirklich eine Gewissensentscheidung beinhalten würde, dann hätten ja nicht so viele Leute so lange dermaßen Einsatz zeigen können. Die Tatsachen zeigen, dass unsere Entscheidung richtig war. Sie sprechen jetzt immer von “wir”, aber es waren ja erst mal Sie als Person, der da als Priester der kirchenasylgewährenden Gemeinde vor Gericht stand? 79 Kirchenasyl G. WEUSTHOF: Ja, dafür muss erst mal eine Person den Kopf hinhalten. Aber alleine könnte ich ja nichts machen, wenn da nicht viele Menschen die unterschiedlichsten Aufgaben übernommen hätten. Wenn nicht jemand da wäre zum Beispiel für die Kontakte oder jemand, der dafür sorgt, dass der Herd vernünftig angeschlossen wird, dann könnten sie auch nicht vernünftig leben. Es kommt ja nicht nur darauf an, dass jemand da ist irgendwie zum Repräsentieren, sondern auf alle. Und darum muss ich immer ausdrücklich in “Wir”-Form sprechen, sonst wäre das auch ungerecht. Die Kritik bekomme ich nicht allein, auch die Anerkennung bekomme ich nicht allein. Hat es denn keine Angst ausgelöst, als dann die Vorladung ins Haus flatterte? G. WEUSTHOF: Es gibt Schlimmeres. Hier geht es ja wirklich um eine gute Sache, wo man sagt, ich will ein besseres Zusammenleben der Menschen miteinander, auch Menschen der unterschiedlichsten Nationen. Und man weiß, dass dies kein leichter Weg ist, das dieser Weg ein Umdenken erfordert, und auf diesem Weg befinden wir uns. Dafür muss man sich dann einsetzen. Wofür will man denn sonst leben, wenn ich keinen Traum mehr habe, dass Zukunft gestaltet werden kann, und dass ein besseres Miteinander der Menschen und ein größerer Frieden möglich ist. Ich mach den Behörden auch keine Vorwürfe, die müssen ja genauso gut diesen Prozess mitmachen, müssen ja auch in mancher Hinsicht umdenken. Ist ja auch gut, wenn sie das nur wollen. Wir haben ja auch keine schlechten Erfahrungen gemacht, weder mit der Polizei noch mit den Behörden. Die Staatsanwaltschaft steht doch aber jetzt sozusagen auf der anderen Seite der Anklagebank, auf der Sie ja nun sitzen. G. WEUSTHOF: Ich bin ja auch lieber auf meiner Seite als auf der 80 Seite der Staatsanwaltschaft. Wenn die Staatsanwaltschaft uns noch mal deutlich machen will, dass das nicht so einfach ist und das auch mit Mühe verbunden ist, ja dann kann ich das auch dieses Mal noch verstehen. Aber dann hoffe ich auch, dass sie jetzt in der nächsten Instanz sagen wird, wir sehen dieses Engagement ralvikariat und dem Bischof, und auch von der Rechtsabteilung, die haben uns nie Vorwürfe gemacht, sondern eher ermutigt. Als wir dann merkten, dass die das auch unterstützen, dann konnten wir auch eingestehen, dass wir genau das wollten - wir wollen das nicht so eben abtun, so dass wir sagen, es geht uns nur um die einzelne Pfarrer Gerrit Weusthof mit seiner Gemeinde und aufgrund dieses Engagements ist hier Freispruch angesagt. Es muss ja auch deutlich werden, dass das ganze, die ganze Integration nicht in ein paar Sätzen gemacht werden kann, dann ist der Staat tot, egal wo das ist. Gesetze sind dazu da, dass sie den Menschen helfen, ihr Leben zu gestalten. Aber sie können nie genau sagen, so muss es sein, dass ist unmöglich. Und das muss auch uns Menschen klar sein, dass es so nicht geht, das können immer nur gewisse Richtlinien sein. In der Regel gibt es ja bei Kirchenasylen eine kleine Geldstrafe für die Seelsorger der Kirchengemeinde und das wird gar nicht an die große Glocke gehängt. War es denn hier so, dass alle das auch unterstützt haben, einen Prozess in Kauf zu nehmen und das richtig fanden, die Zahlung der Geldbuße zu verweigern? G. WEUSTHOF: Das war so ein bisschen der Clou - zuerst haben wir auch daran gedacht, die Geldbuße zu bezahlen, dann hätten wir unsere Ruhe gehabt. Aber dann hatten wir auch Unterstützung in Osnabrück, dem Gene- Familie, sondern es geht uns auch um einen gewissen Weg, das muss irgendwie auch an die Öffentlichkeit gebracht werden, was da stattfindet. Ich glaub, dass es sehr vielen Menschen gar nicht klar war; sehr viele Menschen haben das zuerst gar nicht verstanden, dass so etwas auch noch verurteilt werden könnte. Denn das leuchtet nun wirklich keinem ein: nun haben wir versucht, was Gutes zu tun, haben versucht, der Familie zu helfen, und das ist auch gut gelungen, und auf einmal wird man verurteilt. Das können sehr viele Kirchengemeindemitglieder nicht verstehen, das kann doch nun nicht sein. Aber das sind dann nun gerade die Prozesse, die man will - man will ja gerne, dass man über das Verhalten, das wir an den Tag legen, redet. Im Grunde sollten wir uns ja so verhalten, dass andere über unser Verhalten angeregt werden, im Guten - dafür leben wir doch. Durch die Verhandlung wird das noch mal wieder wachgerüttelt, die ganze Problematik wird dadurch eigentlich vertieft. Das ist dann auch gut, dass es eine Verhandlung gibt, eine öffentliche Verhandlung, es muss eigentlich noch viel mehr darüber gesprochen werden. FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Kirchenasyl Dieser Prozess war ja schon sehr ungewöhnlich auch in der Öffentlichkeitswirkung, gerade für diese ländliche Region Emsland, hier gibt es sonst keine politischen Demonstrationen. Ich habe die Pressefotos gesehen, wo die katholische Landjugend mit ihren Fahnen vorm Amtsgericht die Seligkeit auch noch nicht erreicht, aber das ist doch ein bedeutsamer Schritt, und ich denke auch eine Ermutigung für andere, ähnliche Schritte zu machen. So etwas mag anstrengend sein, aber letztlich wird es einen Gewinn bringen für beide Parteien. Sowohl für diejenigen, die um Asyl bitten als auch für diejenigen, die derländer, oder? Hat das irgendeine Rolle gespielt? G. WEUSTHOF: Ja, ich bin ausländischer Mitbürger hier. Aber das hat nichts damit zu tun. Am Anfang hat mal einer gesagt, ich sollte doch selbst wieder dahin zurückgehen, ich wäre doch selbst Ausländer. Einigen hat das natürlich wohl aufgestoßen, aber das ist nicht mehr das Problem. Wie sind Ihre Perspektiven fürs Kirchenasyl? Solidaritätskundgebung der Kath. Landjugend vor dem Amtsgericht steht, hundert Leute. Auch die katholische Frauengemeinschaft unterstützte das, dass man vor Gericht zieht und sich dann auch gegen den Staat stellt. Das ist doch wohl sehr außergewöhnlich hier. G. WEUSTHOF: Ja, das ist wohl ungewöhnlich, aber sehr interessant. Hier gab es auch eine große, ganzseitige Zeitungsannonce, zum größten Teil von einem Lehrerkollegium. Der Text lautete: “Gesetze werden für die Menschen gemacht, also sind sie menschlich. Menschlichkeit ist somit Leitlinie von Gesetzgebung und Rechtsfindung. Das Urteil des Amtsgerichts Papenburg vom 17. Mai 2001 gegen Pfarrer Gerrit Weusthof wegen praktizierter Menschlichkeit zu 4000 DM auf Bewährung kann also nicht menschlich sein. Wir schämen uns für dieses Urteil.” Da standen interessante Leute drunter. Der ehemalige Bürgermeister (CDU) hat auch unterschrieben. Der ist eigentlich sonst gar nicht so auf dieser Seite. Auch Ratsleute. Viele haben uns diese Zeitungsseite dann mit weiteren Unterschriften zugeschickt. Insoweit hatte das dann tatsächlich eine große Öffentlichkeitswirkung. Damit ist Asyl verleihen. Die gehen genauso bereichert da raus wie die anderen. Ich wette, dass alle die sich in dem Sinne engagiert haben, froh sind, die Familie Gül etwas kennengelernt und dadurch einen ganz anderen Blick auf viele Dinge bekommen zu haben. Wenn genügend Leute sich zusammentun, ist es möglich, solche Wege zu beschreiten. Wenn der ehemalige CDUBürgermeister eine Anzeige unterschreibt, die sich gegen geltendes Recht wendet, das ist ja geradezu revolutionär. G. WEUSTHOF: Wahrscheinlich will er damit anerkennen, wie sich die Gemeinde engagiert hat. Das heißt ja noch nicht, dass alle Gesetze verkehrt sind. Ich habe das selbst immer damit verglichen: Ich akzeptiere durchaus Ampeln, und dass ich vor roten Ampeln warten muss, aber wenn auf der anderen Seite jemand verblutet, und die Ampel ist rot, dann warte ich nicht darauf, dass die Ampel grün wird. Besonders dann nicht, wenn die Ampel auch noch kaputt ist. Sie sind ja vom Pass her selbst auch Ausländer, sie sind Nie- G. WEUSTHOF: Die haben auch bei Gericht gefragt, ob wir denn noch wieder ein Kirchenasyl machen würden. Ich habe gesagt, das kann ich jetzt so nicht entscheiden, das wird von der Begegnung abhängen. Das könnte gut sein. Damit verstoßen Sie dann gegen die Bewährung, oder? G. WEUSTHOF: Genau, deshalb habe ich gesagt, das kann ich nicht sagen. Das erste ist aus einer Gewissensentscheidung entstanden, das wird dann auch so sein. Natürlich bin ich jetzt um eine Erfahrung reicher und weiß, mit welchen Mühen das verbunden ist, auch um eine Gemeinde dafür zu begeistern. Die würden auch erst zweimal durchatmen vielleicht auch dreimal. Das muss von sehr vielen Menschen mitgetragen werden. Müssen Sie denn die 4000 DM jetzt bezahlen, oder erst, wenn Sie gegen die zweijährige Bewährung verstoßen? G. WEUSTHOF: Ich glaub schon, jetzt noch nicht. Wir müssen jetzt unsere anderen Kosten, die Anwaltskosten usw. zahlen. Aber wenn wir damit die Botschaft Jesu verkünden können, mag es sich ja noch wohl lohnen. Ich bin sehr gespannt, ob irgendwann eine Richterin oder ein Richter den Mut hat zu sagen, wir erkennen das an. Diese Richterin hätte die Chance gehabt, die hätte den Mut haben können. 81 Kirchenasyl Bleiberecht für die Familie Altekin Susanne Ohse, Leben in der Fremde e.V. Goslar S eit November 2000 befindet sich die siebenköpfige kurdische Flüchtlingsfamilie Altekin im Kirchenasyl in Oebisfelde (Sachsen-Anhalt). Über ihre Geschichte gibt eine Petition an den Präsidenten des Niedersächsischen Landtags vom 24.04.2001, die im folgenden zitiert wird, umfassend Auskunft. “Sehr geehrter Herr Wernstedt, wir sind Mitglieder der ev. Kirchengemeinde St. Katharinen in Oebisfelde und wenden uns an Sie mit der Bitte, die kurdische Familie Altekin vor der Abschiebung in die Türkei zu schützen. Celal Altekin (geb. 1. 1. 64) und seine Frau Sultani (geb. 1. 8. 68) reisten am 10. 10. 89 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten einen Antrag auf Asyl. Sie stammen aus der östlichen Türkei, Kreis Nusaybin, Bezirk Mardin. Sie verließen ihr Heimatdorf, weil Herr Altekin sich weigerte, die Rolle eines Dorfschützers zu übernehmen (Mit dieser Rolle ist bekanntlich die Bespitzelung kurdischer Bewohner verbunden). Kurz nach ihrer Flucht brachte Sultani hier in Deutschland ihr erstes Kind zur Welt. Vier weitere Kinder folgten. Am 13.02.1992 wurde der Bruder von Frau Altekin, Ahmet Beyhan, der sich als Gewerkschafter für die kurdische Sache in der Türkei eingesetzt hat, auf offener Straße erschossen. Tatmotiv und Täter konnten angeblich nicht ermittelt werden.) Der erste Asylantrag und der ihrer ältesten Tochter Gülistan wurden 1995 letztinstanzlich abgelehnt. Die Antragsteller wurden vom Gericht auf die sog. “sichere Westtürkei“ als Fluchtalternative verwiesen. Gegen diese Entscheidung legten sie eine Verfassungsbeschwerde ein. Diese wurde jedoch vom Gericht nicht behandelt. Die 82 Möglichkeit einer “inländischen Fluchtalternative“ ist jedoch nachweislich nur theoretisch, da Kurden in der gesamten Türkei schweren Benachteiligungen und Verfolgungen unterliegen. Gleichzeitig stellten sie einen Asylfolgeantrag , der sich auf Herrn Altekins exilpolitische Tätigkeiten bezog. Er war auf mehreren Demonstrationen gegen die Verfolgung und Ausrottung der Kurden in der Türkei als Ordner tätig geworden und hatte Infotische betreut. Desweiteren hatte Celal Altekin Kontakt mit einem Kurden namens Denli, der nach seiner Abschiebung in die Türkei Landsleute denunziert hat, und es ist wahrscheinlich, dass auch Celal Altekins Name auf einer dieser Listen steht. In diesem Falle besteht eine erhebliche Gefährdung für ihn und seine Familie. Im November 1996 fand eine erneute Anhörung vor dem Verwaltungsgericht Braunschweig statt. Das Ergebnis dieser Anhörung war negativ. Obwohl Angehörige der Familie Altekin aus dem gleichen Heimatort als asylberechtigt anerkannt wurden, erhielten Celal und Sultani Altekin dieses Recht nicht zugesprochen. Als auch der letzte Versuch im März 2000, Asyl für die restlichen vier Kinder zu beantragen, scheiterte, sahen sie aus Furcht vor den Folgen einer Abschiebung in die Türkei im Juni 2000 keine andere Möglichkeit mehr, als sich zu verstecken. In der Zeit vom Juni bis November 2000 hat die Familie sechzehnmal ihren Aufenthaltsort gewechselt. Die Kinder wurden aus ihren sozialen Beziehungen gerissen und konnten erst ab Januar 2001 neu beschult werden. Am 23. November 2000 sind Celal und Sultani Altekin mit ihren fünf Kindern zu uns ins Kirchenasyl geflüchtet. Nachdem wir uns eingehend mit der Situation der Familie beschäftigt haben, verstehen wir ihre psychische Belastung (Denli - Listen, Ermordung des Bruders) und ihre Angst vor einer Rückkehr in die Türkei. Wir setzen uns für die Familie Altekin ein, weil wir nicht nachvollziehen können, warum ihr die Bleiberechtsregelung (sog. Altfallregelung) trotz gesetzlich bestehender Möglichkeiten verweigert wurde. Dabei beziehen wir uns vor allem auf die Altfallregelung vom 10.12.1999 (Nds. MBL.2000 S.41). Lange Jahre hatte sich Celal Altekin im Landkreis Goslar, in dem die Familie von 1989 bis 2000 lebte, bemüht, Arbeit zu finden. Als er im Jahre 1999 eine Arbeit bei der Firma Altkleidersammlung Mehmet Kaya in SalzgitterLebenstedt gefunden hatte, dauerte das Genehmigungsverfahren beim Arbeitsamt Braunschweig vom 31.08.1999 bis zum 05.11. 99 (“Vorrang prüfung”, ob ein Deutscher oder EU-Ausländer für diese Stelle in Frage käme). Die am 05.11.99 erteilte Arbeitserlaubnis für den Zeitraum vom 05.11.1999 – 31.01.2000 war jedoch auf 10 Stunden in der Woche beschränkt, so dass Herr Altekin zum Stichtag der o.a. Altfallregelung , dem 19.11.1999, nur eine geringfügige Beschäftigung nachweisen konnte, obwohl das Angebot des Arbeitgebers auf Vollbeschäftigung vorlag , das nur deshalb nicht in Anwendung kam, weil eine rechtzeitige Genehmigung des Arbeitsamtes auf Vollbeschäftigung nicht erteilt wurde. Erst nach zwei (!!) erneuten Anträgen wurde ihm am 18. April 2000 eine Arbeitserlaubnis für Vollzeit bei der Firma Kaya er- FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Kirchenasyl teilt, die ihn dann auch vom 03.05.00 bis Anfang Juni beschäftigte. Hätte bereits am 05.11.1999 eine Arbeitsgenehmigung auf Vollbeschäftigung vorgelegen, oder wäre die im April ausgestellte Genehmigung auf Vollbeschäftigung zum 19.11.1999 erteilt worden, hätte Punkt 2.2.1.a) der Altfallregelung zur Anwendung kommen m ü s s e n ! Es erscheint uns nicht nachvollziehbar, dass Herr Rowold in seinem Brief vom 04.04.2000 eine Bleiberechtsrege lung ausschließt, während das Ar beitsamt am 18.04.2000 jedoch die für das Bleiberecht erforderliche Genehmigung für Vollbeschäfti g u n g a u s s t e l l t . Her r Altekin nahm zum nächst möglichen Zeitpunkt die Vollbeschäftigung auf. Somit war die Familie Altekin am Tage des Abschiebebescheides fi nanziell nicht vom Sozialamt ab h ä n g i g . Diese Arbeit könnte Herr Altekin auch jederzeit wieder aufnehmen, eine entsprechende Bestätigung der Firma Kaya ist dieser Petition als Anlage beigefügt. Aus den obigen Fakten geht her vor, dass durch die langwierigen Arbeitsgenehmigungsverfahren bzw. durch die Einschränkung der zunächst erteilten Arbeitserlaub nis die Anwendung der o.a. Alt fallregelung verhindert wurde. Die Familie Altekin lebt seit elfeinhalb Jahren in Deutschland. Alle fünf Kinder sind hier geboren. Sie haben die Türkei nie gesehen und sind der türkischen Sprache nicht mächtig; ihre Heimat ist Deutschland. Sie sprechen fließend deutsch, besser als kurdisch. Die Türkei ist für sie ein fremdes Land mit einer völlig fremden Kultur. Die Kinder gingen im Landkreis Goslar zur Schule und in den Kindergarten. Und sie tun dieses, dank des Engagements in Sachsen – Anhalt, jetzt wieder. In der Türkei hätten sie erhebliche Schwierigkeiten, die Schule weiter zu besuchen, da sie zum einen die Die 5 Kinder der Familie Altekin mit 2 FreundInnen türkische Sprache nicht beherrschen und die Familie zum anderen kein Geld hätte, den Schulbesuch zu finanzieren. Eine Abschiebung der Familie in die Türkei stellt eine unzumutbare Härte dar, da sie ganz offensicht lich dem Wohl der Kinder zuwider laufen würde, dies widerspräche der Kinderrechtskonvention, die auch von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet wurde. Vor dem Hintergrund des Sachstandes und der uns zur Verfügung stehenden Informationen haben wir uns entschlossen, der Familie seit dem 23. 11. 2000 Kirchenasyl in unserer Kirchengemeinde zu gewähren. Der einz ige Wunsch der Familie ist es, sicher und angstfrei zu leben und in Deutschland den Frieden zu finden, den es in ihrer Heimat auf absehbare Zeit nicht geben wird. Diesen Wunsch begreifen und anerkennen wir, wie wir auch die Gefahr für die ganze Familie erkennen und sehr real wahrnehmen, das fordert uns als Christen. Nach der Ablehnung des Asylfolgeverfahrens vom 01.02.01 möchten wir Sie mit dieser Petition darum bitten, die Entscheidung des Landkreises Goslar aufzuheben und der Familie zu einem Bleiberecht in Deutschland zu verhelfen. Im Falle eines positiven Entscheides ver pflichten sich die unterzeichnenden Mitglieder des Ar- beitskreises sicherzustellen, dass Familie Altekin mindestens bis zum 30.04.2003 keine Sozialhilfe in Anspruch nehmen muss. Der Arbeitskreis Oebisfelde beabsichtigt darüber hinaus, in akuten Notlagen Mittel aus eigener Kraft zur Verfügung zu stellen. Für die Zeit bis zu Ihrer Entscheidung bitten wir, bei der Ausländerbehörde des Landkreises Goslar eine Duldung zu erwirken, damit Herr Altekin unverzüglich die ihm angebotene Arbeit aufnehmen und den Lebensunterhalt für die Familie selbständig bestreiten kann. Vielen Dank und mit freundlichen Grüßen Arbeitskreis Kirchenasyl Oebisfelde” Am 20.06.01 hat es eine Unterredung zwischen Vertretern des Arbeitskreises Kirchenasyl Oebisfelde und dem Landkreis Goslar gegeben, der nach wie vor für die Familie Altekin zuständig ist. Der Verlauf des Gesprächs schien für den Arbeitskreis sehr konstruktiv zu sein. Also sandten sie noch fehlende Dokumente an den Landkreis und wurden dann aber am 30.07.01 mit der schriftlichen Antwort überrascht, dass von Seiten des Landkreises kein Meinungswechsel erfolgt wäre, was die Anwendung der Altfallregelung angehe. Landrat Kopischke (SPD) versteift sich darauf, dass Familie Altekin die Bedingungen 83 Kirchenasyl für die Altfallregelung nicht erfülle, da Herr Altekin sich angeblich erst um die Umwandlung seines geringfügigen Arbeitsplatzes in einen sozialversicherungspflichtigen bemüht habe, nachdem er auch das letzte Asylverfahren verloren hatte. Dies hätte jedoch “unverzüglich” geschehen müssen. Anderslautend hatte das Ausländeramt durch Herrn Rowold während des Gesprächs angedeutet, dass es landkreisintern eine Frist von 3 Monaten nach in Kraft treten der Altfallregelung gegeben hätte, von der aber offiziell niemand informiert worden wäre. Selbst in der Bürgerfragestunde im Kreistag am 20. 08.01 nach dieser Frist, wurde es geleugnet, dass es eine gegeben hätte. In einem erneuten Brief des Arbeitskreises vom 10.8.01 an den Landkreis Goslar weist der Arbeitskreis noch einmal darauf hin, dass Herr Altekin nachweislich das Gerichtsurteil erst am 29.03.00 erhalten habe, während der Antrag auf Erteilung einer Arbeitserlaubnis für Vollzeitarbeit vom 12.03.00 stammt. Der indirekten Drohung des Landkreises, dass die Petition vom 24. 04.01 keine aufschiebende Wirkung habe, hält der Arbeitskreis den Runderlass des Nds. Innenministeriums entgegen, wonach eine Abschiebung während eines laufenden Petitionsverfahrens unzulässig ist. Wichtig ist nun, wie der Petitionsausschuß des Landtages in dieser Angelegenheit entscheidet. Kirchenasyl in Hildesheim Matthäusgemeinde schützt Familie Gündüz Claudia Gayer S eit einigen Monaten befindet sich die 7-köpfige kurdische Familie Gündüz in der Hildesheimer Matthäusgemeinde im Kirchenasyl. Der Kirchenvorstand ist von einer akuten Gefährdung der Familie im Falle ihrer Abschiebung in die Türkei überzeugt und möchte ihr darum ermöglichen, Beschwerde gegen die drohende Abschiebung bei dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof einzulegen. Über die Klage im Asylverfahren wird das VG Hannover voraussichtlich im September entscheiden. Die Gefährdung der Familie Gündüz ergibt sich aus der Tatsache, dass nach Herrn Gündüz in der Türkei gefahndet wird. Die Fahndung wird durch Schreiben des RA Sedat Aslantas und der Gendar meriekommandantur Dargecit bestätigt. Zudem haben sich Herr und Frau Gündüz in Deutschland aktiv politisch engagiert. Das Verwaltungsgericht Hannover lehnte im Klageverfahren die Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz jedoch ab. Zwar sei unbestritten, so das VG, dass nach Herrn Gündüz gefahndet werde, dies begründe jedoch keinen Asylanspruch, da die Fahndung kei- 84 nen politischen Hintergrund habe. Die exilpolitischen Aktivitäten führten nicht zu einer landesweiten Verfolgung. Die Einschätzung des VG Hannover ist nach Ansicht der Kirchengemeinde und des Nds. Flüchtlingsrats nicht haltbar. Denn selbst wenn die Fahndung nach Herrn Gündüz aus nichtpolitischen Gründen eingeleitet wurde, garantiert dies keine Verfolgungsfreiheit. Herr Gündüz wird bei einer Einreise in die Türkei aufgrund der Fahndung festgenommen und verhört werden. Man wird ihn nach seinem Aufenthalt in Deutschland, seinen dortigen Kontakten und Aktivitäten befragen. Gerade da Herr Gündüz und seine Frau sich in Deutschland in vielfacher Weise politisch engagiert haben, besteht die Gefahr, dass er der Anti-Terror-Polizei zwecks weiterer, eingehender Befragung überstellt wird. Aufgrund des umfangreichen Engagements (Teilnahme und Mitorganisation verschiedener Protestveranstaltungen, Hungerstreiks, Demonstration vor dem türk. Konsulat, Auftritt im kurdischen Fernsehen MED-TV usw.) ist es sehr wahrscheinlich, dass die türkischen Behörden davon Kenntnis erhalten haben, sei es durch Auswertung der Presse, Spitzel oder Akteneinsicht in ein Strafverfahren gegen Herrn Gündüz. Aufgefallen ist die Familie Gündüz in jedem Fall wegen der Auseinandersetzungen mit dem türkischen Konsulat um die Registrierung des Kindes Schira. Das Konsulat weigerte sich, das Kind zu registrieren, weil die Schreibweise nicht korrekt türkisch sei. Es forderte die Familie auf, den Namen entsprechend zu ändern, was die Eltern Gündüz jedoch ablehnten. Die Argumentation des VG, das politische Engagement der Familie Gündüz stoße bei den türkischen Sicherheitskräften nicht auf Interesse, da es keinen exponierten Charakter gehabt habe und insbesondere Herr Gündüz eher im Hintergrund zum Gelingen von politischen Veranstaltungen beigetragen habe, wird widerlegt durch die Recherchen des Nds. Flüchtlingsrats zur Rückkehrgefährdung von KurdInnen. Im überwiegenden Teil der von uns recherchierten Fälle war das tatsächliche oder unterstellte politische Engagement der Betroffenen in Deutschland Anlass für Folter und politische Verfolgung nach der Abschiebung/Ausweisung in die Türkei. FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Kirchenasyl Erfolgreiches Kirchenasyl H . -EE b e r h a r d S c h u l t z D as Kirchenasyl der evangelischen Gemeinde BremenHabenhausen (Simon-PetrusKirche) für die kurdischen Eheleuten Mehmet M. (35 Jahre.) und Akide M. (27 Jahre) konnte nach einer positiven Entscheidung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFL) endlich beendet werden. Es wurde seit Dezember 2000 gegen den ausdrücklichen Widerstand aus den Kreisen des Bremer Innenressorts gewährt. Das BAFL nimmt allerdings ein Abschiebungshindernis zunächst nur für drei Monate an. Vorangegangen war ein typisches Schicksal kurdischer Flüchtlingsfamilien: Nach traumatischen Erlebnissen mit den türkischen Sicherheitskräften im Jahr 1996 hierher geflüchtet, konnten die Eheleute das BAFL nicht von ihrem Verfolgungsschicksal überzeugen. Aus Angst vor drohender Abschiebung und der ungewohnten Umgebung hielten sie es in dem zugewiesenen Ort in Seesen am Harz nicht aus, gingen nach Bremen zu Verwandten und begaben sich in therapeutische Behandlung zu Refugio in Bremen. Da sie ihren Aufenthalt in Bremen den zuständigen Behörden nicht mitteilen konnten und wollten, wurden sie als „untergetaucht“ behandelt und das Verwaltungsgericht in Braunschweig stellte das Klageverfahren gegen den ablehnenden Bescheid des BAFL wegen „mangelndem Rechtsschutzbedürfnis“ ein; alle dagegen durchgeführten Rechtsbehelfe waren erfolglos; auch die fachliche Bescheinigung der Psychologin von Refugio, wonach die Eheleute angesichts ihrer posttraumatischen Belastungsstörung außerstande gewesen seien, sich ausreichend um ihr Gerichtsverfahren zu kümmern, fruchtete nichts. Als die Abschiebung konkret anstand, begaben sich die Eheleute ins Kirchenasyl, gleichzeitig haben wir am 19.02.2001 einen Antrag auf Feststellung eines Abschiebungshindernisses wegen der posttraumatischen Belastungsstörung beim BAFL gestellt. Während ablehnende Bescheide in Folgeverfahren beim BAFL in der Regel wenige Tage benötigen, dauerte es diesmal mehr als ein halbes Jahr, bis die positive Entscheidung kam. Danach wird ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG (Absehen von der Abschiebung eines Ausländers, wenn dort in dem Heimatstaat für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht) angenommen; unter der Voraussetzung: • Vorliegen einer ernsthaften psychischen Erkrankung mit dem nachgewiesenen Erfordernis einer Langzeitbehandlung; • bei psychischen Erkrankungen ist in der Türkei ein großer Teil der Kosten von den Erkrankten selbst zu tragen und zusätzliche Gefahr einer Re-Traumatisierung mit “unübersehbaren Folgen des Abbruchs der begonnenen Therapie”. BAFL, Az.: 2641940-163) Wir werden gegen den Bescheid fristgerecht klagen, um ein weitergehendes Abschiebungshindernis zu erreichen. Kirchenasyl schützt E ine Untersuchung der Ökumenischen BAG „Asyl in der Kirche“ hat ergeben, daß die Kirchenasyle in Deutschland überwiegend erfolgreich enden. In den vergangenen 5 Jahren konnten etwa 1.500 Flüchtlinge geschützt werden, in 73 % aller Fälle konnten Abschiebungen dauerhaft oder zumindest vorläufig verhindert werden. „Durch ihren Einsatz erreichten die Gemeinden, dass Zeit gewonnen wurde, um den jeweiligen Einzelfall mit Hilfe einer Klage, einer Petition, einer Härtefallkommission o.ä. neu zu überprüfen. Immer wieder kam es zur Revision von Ent- scheidungen: statt Abschiebungen gab es Anerkennungen der betroffenen Flüchtlinge als Asylberechtigte (nach Art. 16a GG oder § 51 AuslG), als Schutzbedürftige (nach § 53 AuslG) oder als Anspruchsberechtigte für die Altfallregelung. Das wirft kein positives Licht auf das Asylverfahren in der Bundesrepublik.“ Zwei Drittel der Flüchtlingen stammten aus der Türkei, davon waren die meisten kurdischer Herkunft. Die Häufigkeit der Kirchenasyle bleibt konstant, hat keine abnehmende Tendenz, wie dies gele- gentlich angenommen wird. Von 1997-1999 steigt sie sogar deutlich an. Diese Bilanz zum Kirchenasyl deckt sich weitgehend mit einer ersten Erhebung vor fünf Jahren. Allerdings läßt sich eine Entwicklung beobachten: die Kirchenasyle dauern immer länger, da einvernehmliche Lösungen mit den Behörden immer schwieriger werden. Die Fragebögen zum Wanderkirchenasyl in NRW wurden getrennt ausgewertet. Die Untersuchung „Unter dem Schatten deiner Flügel“ kann bezogen werden unter Tel.: 0228/96503-42, Fax: -43 85 Kurdenverfolgung Kurdenverfolgung Alles beim Alten ?! Zum Lagebericht Türkei 07/01 v o n C l a u d i a G a y e r , T ü r k e i -P Projekt, Nds. Flüchtlingsrat L änger als ein Jahr ließ der neue Lagebericht des AA zur Türkei auf sich warten, x-mal wurde er angekündigt, nichts passierte. Am 24.07.01 war er dann endlich fertig. Die lange Verzögerung verwundert um so mehr, als der Bericht im Vergleich zum letzten keine wesentlichen Veränderungen beinhaltet. Hier und da wurden Zahlen aktualisiert, politische Ereignisse erwähnt, und an ein paar Formulierungen wurde gefeilt, ohne dass dies den Inhalt berührt hätte. Im Großen und Ganzen also eine Neuauflage des Berichts aus 2000. Zur Auflistung von Abschiebefällen kamen nur zwei neue hinzu: die Abschiebungen von Hüseyin Calhan und Mehmet Kilic im Oktober 2000, beide Sprecher des Wanderkirchenasyls in NWR. Calhans Abschiebung soll demnach unproblematisch verlaufen sein. Mehmet K.s Angaben zur Verfolgung nach der Abschiebung hält das AA für detailarm und vage. Allein die Art und Weise der fast zweiseitigen Beschreibung des Falls macht klar, dass das AA ihn für unglaubwürdig einschätzt, auch wenn es nicht explizit ausschließen möchte, dass die Angaben Kilic zutreffen. Die Gründe dafür, dass und vor allem wie die Abschiebefälle Calhan und Kilic aufgeführt wurden, sind ziemlich durchsichtig: Als Präzedenzfälle für die angebliche Gefahrlosigkeit einer Abschiebung von WKA-Teilnehmern. Ansonsten werden die alten Abschiebefälle wie gehabt aufgelistet. Dass das Auswärtige Amt aktuelle Fälle von Misshandlung nach der Abschiebung im Lagebericht ignoriert, war bereits 1999 86 Dr. Sema Piskinsüt beim Ärztefeiertag, Diyarbarkir Recherchen des Flüchtlingsrats fanden Eingang in die niederländische Rechtsprechung Die Recherchen des Nds. Flüchtlingsrats zur Rückkehrgefährdung von KurdInnen haben inzwischen auch Eingang in die niederländische Rechtsprechung gefunden. Unter Bezugnahme auf die Dokumentation "Von Deutschland in den türkischen Folterkeller" kommt das Gericht in Gravenhage (Arrondissementsrechtbank te 's-Gravenhage) in seinem Urteil vom 08.02.01 zu dem Schluss, dass nachweisbare exilpolitische Aktivitäten eine Gefährdung im Sinne des Art. 3 EMRK (grausame und unmenschliche Behandlung) nach sich ziehen können. Anders als in der deutschen Rechtsprechung wird der Personenkreis jedoch nicht auf exponiert politisch Tätige beschränkt. Schon der Verdacht auf eine mögliche Beziehung zur PKK gefährde die Betroffenen. Quelle: Vluchtelingen Werk, NL Stevensbeek und 2000 Anlass zur Kritik durch PRO ASYL und Nds. Flüchtlingsrat. Dazu findet sich im Vorspann des aktuellen Berichts neuerdings folgender Hinweis: “Es wird darauf hingewiesen, dass das Auswärtige Amt nicht nur in den genannten Fällen, sondern auch in anderen Fällen, in denen es substantiiert, d.h. unter Angabe von Details um Über prüfung gebeten wurde, Nachforschungen zu behaupteten Misshandlungen Abgeschobener durchgeführt hat. Es ist jedoch nicht Aufgabe des vorliegenden Berichts, darin die Sachverhalte zu a l l e n Einzelfällen, in denen dem Auswärtigen Amt Erkenntnisse vorliegen, zu beschreiben.” Damit gesteht das AA wenigstens an einer Stelle ein, dass mehrere weitere Fälle von Folter und Verfolgung nach der Abschiebung vorliegen. Trotzdem ist es nicht nachvollziehbar, weshalb das AA erstens immer wieder alte Beispiele aus den Jahren 96-99 aufführt, wo längst neuere vorliegen, und zweitens Beispiele nennt, die es nicht für verifizierbar oder glaubhaft hält, andererseits aber Fälle, die vom BAFl, den Gerichten und/oder vom AA selbst bestätigt wurden, überhaupt nicht erwähnt. Eine wesentliche Verschlechterung könnte in der Einschätzung zur medizinischen Versorgung psychisch kranker Menschen liegen. Dem letzten Lagebericht lag noch ein ausführlicher Anhang bei, in dem u.a. stand: “Eine der größten Schwierigkeiten ist die fast völlige Ausweglosigkeit bestimmter betroffener Gruppen (...), adäquate Behandlungsmetho- FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Kurdenverfolgung den/-verfahren in Anspruch nehmen zu können: hierzu gehören traumatisierte Menschen, ver gewaltigte Frauen, Menschen mit Angsttraumata nach Mißhandlungen (...) - um nur einige zu nennen.” Im neuen Bericht wurde das Thema auf zwei Sätze gekürzt, die unter Punkt IV. 3 a. eingefügt sind: “Die Behandlung psychisch kranker Menschen ist in allen Krankenhäusern mit einer psychiatrischen Abteilung möglich. Die Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen kann durch medikamentöse und psychotherapeutische Therapien erfolgen.” Diese plötzliche Kehrtwende sieht schwer nach einem politisch motivierten Versuch aus, die Gewährung von Abschiebehindernissen nach § 53 Abs. 6 AuslG einzuschränken. Angesichts der Tatsache, dass Ärzte, die in der Türkei Folteropfer behandeln, permanent unter Druck gesetzt werden und nur unter erschwerten Bedingungen arbeiten können und die Arbeit des Folteropferzentrums TIHV regelmäßig blockiert wird, mutet die Einschätzung des AA geradezu zynisch an. Erst vor wenigen Tagen bezeichnete die Staatsanwaltschaft Diyarbakir die Behandlung von Folteropfern durch die Menschenrechtsstiftung TIHV als “illegale Aktion” und ordnete eine Beschlagnahmung von Patientenunterlagen an. Ansonsten finden sich Veränderungen, die zwar größtenteils nicht gravierend, so doch erwähnenswert sind. Stand im alten Bericht noch kommentarlos “Die Verfassung garantiert die Unabhängigkeit der Gerichte”, so wurde diese trockene und in der Praxis unrealistische Behauptung nun ergänzt durch die Anmerkung, dass Richter in der Türkei aufgrund ihrer “streng etatistischen Ausbildung” von ganz alleine dazu tendieren, den Staat vor als subversiv empfundenen Davut K. erhielt "kleines Asyl" - die Unterlagen waren doch echt! T ü r k e i -P Projekt Im November letzen Jahres sprang der Kurde Davut K., gejagt von der deutschen Polizei, in panischer Angst vor einer Abschiebung aus dem Fenster der psycho-therapeutischen Beratungsstelle XENION in Berlin. Der damals 17-jährige überlebte den Sturz aus elf Metern Höhe schwer verletzt und lag wochenlang im Krankenhaus. Zuvor hatte das BAFl im Juli 2000 nach der erneuten Flucht des Kurden aus der Türkei die Durchführung eines Folgeverfahrens mit der Begründung abgelehnt, die eingereichten Unterlagen über eine Verurteilung durch das Staatssicherheitsgericht Van 1999 zu 12 Jahren und 6 Monaten Haft seien gefälscht. Dem schloss sich das VG Magdeburg im August 2000 an und lehnte zwei Rechtsschutzanträge ab. So kam es, dass Davut nach einer Fahrkartenkontrolle in der Berliner S-Bahn aus Angst vor einer Festnahme in die Beratungsstelle flüchtete, die daraufhin überfallartig von der Polizei gestürmt wurde. Ende Mai 01 korrigierte nun das BAFl seine Entscheidung: Davut K. erhielt das "kleine Asyl" gem. § 51 Abs. 1 AuslG. Es stellte sich nach Überprüfung seiner Unterlagen heraus, dass die im Asylverfahren vorlegten Dokumente doch echt waren. Das Auswärtige Amt teilte mit: "Die vorgelegten Unterlagen sind echt." Die Entscheidung des BAFl's, seinen Bescheid aufzuheben und damit den Rechtsstreit um Asyl zu beenden, ist erfreulich. Es stellt sich aber die Frage, warum erst eine Verzweiflungstat nötig war, um den öffentlichen Druck so zu erhöhen, dass die Asylgründe Davut's zum ersten Mal gewissenhaft überprüft wurden. Davut hatte Glück und überstand den Sprung aus dem Fenster letztendlich glimpflich. Wäre er nicht gesprungen, säße er vermutlich bereits in einem türkischen Knast. Handlungen zu schützen, ohne dass eine politische Einflussnahme nötig sei. Zur Einschätzung, dass die Presse weitgehend frei berichten kann, ergänzte das AA nun: “... solange Fragen der (sehr weit ausgelegten) Staatssicherheit und die Rolle des Militärs nicht berührt werden”. Zur Sippenhaft heißt es jetzt, dass Familienangehörige häufig zu Vernehmungen geladen werden. Die Aussage stand im letzten Bericht noch im Konjunktiv. Mit der Beibehaltung alter Satzbausteine, die im neuen Bericht durch Halbsätze ergänzt werden, verwickelt sich das Auswärtige Amt zunehmend in Widersprüche, die das Bemühen widerspiegeln, Menschenrechtsverletzungen einzelnen Sicherheitskräften zuzuschustern und den türkischen Staat letztendlich aus der Verantwortung zu nehmen - was nicht recht gelingt: Auf der einen Seite behauptet das AA, nicht der Stand der Gesetzgebung und das geltende Recht seien hinsichtlich der Menschenrechtssituation das Hauptproblem, sondern deren Umsetzung in die Praxis. Auf der anderen Seite stellt das Amt aber fest, dass die Verfassung Grundrechte einschränkt, die Incommunicadohaft “Übergriffe” (sprich Folter) begünstigt und dass es auf dem innerstaatlichen Rechtsweg keine wirksame Rechtsbehelfe gegen Übergriffe gibt. Das heißt: das geltende Recht schafft strukturelle Voraussetzungen für Folter und Repressionen, gegen die man sich praktisch nicht wehren kann. Weiter behauptet das AA, dass die Menschenrechtspraxis an der unzureichenden Beachtung geltenden Rechts durch die Sicherheitskräfte leide, von denen sich der Staat allerdings regelmäßig distanziere. Auf der anderen Seite stellt es fest, dass Menschenrechtsverletzungen der Sicherheitskräfte von staatlichen Stellen bisher nur selten verfolgt werden. Also: Der Staat schafft quasi ein Klima der Straffreiheit für Folterer, Distanzierungen entpuppen 87 Kurdenverfolgung sich damit als Lippenbekenntnisse. Last but not least stellt das AA neuerdings fest, dass Sicherheitskräfte neben der Sicherung des Staates nach außen “eine Schlüsselrolle in der Politik und der inneren Sicherheit” einnehmen. Auf der anderen Seite versucht das AA geradezu zwanghaft, auch weiterhin eine Trennung zwischen Staat und den Sicherheitsorganen zu konstruieren, die es faktisch nicht gibt. Die tatsächliche Rolle des Militärs wird regelmäßig unterschlagen. Die Aufzählung von politischen Ereignissen und Einschätzungen ist selektiv und wird dadurch wertend. Ein Beispiel ist das “Verschwinden” der beiden HADEP’ler Tanis und Deniz in Silopi. Das AA schreibt dazu, dass diese “unbestätigten Meldungen der türkischen Presse” zufolge in ein PKK-Lager im Nordirak verschleppt worden sein sollen. Das hört sich ziemlich nach türkischer Propaganda an. Die Einschätzung von Menschenrechtsorganisationen, dass die beiden von staatlichen Stellen verschleppt wurden, fehlt im Be- Sammelabschiebungen Red. Anfang Juli gab es zum ersten Mal eine Sammelabschiebung von Deutschland aus in die Türkei. 88 türkische Staatsangehörige wurden in Begleitung von 56 deutschen Sicherheitsbeamten per gecharterter Maschine nach Istanbul geflogen, wo sie türkischen Sicherheitsbeamten übergeben wurden. Laut türkischen Medienberichten wurden 25 Abgeschobene, bei denen es sich überwiegend um KurdInnen gehandelt habe sofort verhaftet, weil sie wegen verschiedener Delikte von der türkischen Polizei gesucht würden. Die übrigen sollen nach Überprüfung ihrer Personalien zunächst freigelassen worden sein. Unter den Abgeschobenen sollen sich auch Kranke und Behinderte befunden haben. Eine weitere Sammelabschiebung gab es am 8. August, bei der ca. 4550 kurdische und türkische Flüchtlinge befanden. Unter ihnen befand sich Ali Dasayak, der 60 Tage im Hungerstreik war, um seine Abschiebung in die Türkei zu verhindern, wo er als Militärdienstverweigerer und Sympathisant der PKK gesucht wird (siehe S. 90 ). richt. Überhaupt nicht erwähnt wird z.B., dass Sema Piskinsüt, die als Vorsitzende der Parlamentarischen Menschenrechtskommission Berichte über Folter und Misshandlung auf Polizeistationen veröffentlicht hatte, abgesetzt und durch einen Abgeordneten der nationalistischen und rechtsextremen MHP ersetzt wurden. Gegen Piskinsüt wurde nun ein Verfahren eingeleitet, um sie zur Herausgabe der Namen der Folteropfer zu zwingen. Kein Wort wird verloren über die pogromartigen Ausschreitungen gegen KurdInnen in Susurluk im April 01. Ebensowenig findet der Prozess gegen Frauen Erwähnung, die öffentlich darüber berichtet hatten, dass sie in Polizeihaft vergewaltigt wurden. Die Liste weiterer Beispiel ist lang. Insgesamt ist der Bericht, wie seine Vorgänger, in seinem Grundton nach wie vor diplomatisch zurückhaltend und mehr um Verständnis für die Türkei bemüht, als um eine objektive und realistische Darstellung. Es geht um die Menschen nicht um den Heiligen Staat Delegationsbericht des IPPNW Von 12. bis 21. 3. 2001 fand die 6. IPPNW - ÄrztInnen - Delegation in die Türkei statt. Die Delegationsgruppe reiste nach Diyarbakir, Batman, Mardin, Izmir und Istanbul, wo sie sich mit Ärzten und Anwälten, mit Gewerkschafter n, Lehrer n, Studenten, Kriegsdienstverweigerer n, Menschenrechtler n, Künstler n und Bürgermeistern traf. Der 42-seitige Delegationsbericht enthält neben einer Einschätzung zur Gesundheitsversorgung die Mitschriften der Einzelgespräche, z.B. mit den Ärztekammer n Mardin und Diyarbakir, der Menschenrechts88 Wir dokumentieren im Folgenden die zusammenfassende Einschätzung zur gesundheitl. Versorgung. Der vollständige Text kann über die Geschäftsstelle als Datei oder in der Papierfassung bestellt werden. (Red.) Die Delegation mit Dr. Kizilkan, ein früherer Präsident der Ärztekammer stiftung TIHV, der Anwaltskammer, und eine Auswahl von Meldungen und Artikeln der türkischen Presse zwischen dem 9.3. und 23.3.2001. (...) Ein Schwerpunkt unserer Reisen ist es, Informationen über die Gesundheitsversorgung zu sammeln. Im Südosten ist die Gesundheitsversorgung schlecht. Viele Gesundheitsstationen sind in den Kriegsjahren zerstört oder geschlossen worden. Die noch arbeitenden Gesundheitseinrich- FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Kurdenverfolgung tungen sind schlecht ausgerüstet. Die zunehmende Privatisierung auch im Gesundheitswesen führt dazu, dass moderne Diagnoseund Therapiegeräte in den Privatpraxen und nicht in den öffentlichen Krankenhäusern stehen. Die enorme Zuwanderung von Vertriebenen aus den Dörfern führt dazu, dass es viel zu wenig Ärzte und Pflegepersonal gibt. Zudem kommen viele Ärzte für ein paar Jahre in den Südosten, um sich ein finanzielles Polster zu verschaffen, engagieren sich in dieser Zeit aber nicht für die Probleme in der Region und ihrer Patienten. Kollegen aus der Region, die sich auch für soziale und Menschenrechtsfragen interessieren, werden in ihrer Arbeit massiv behindert. Soweit sie im öffentlichen Dienst sind, können sie jederzeit mit Verbannung belegt werden oder wegen irgendwelcher Vorwände inhaftiert und vor Gericht gestellt werden. Das gilt in noch höherem Maß auch für Hebammen, Schwestern und Pfleger, die sich z.B. in der Gesundheitsgewerkschaft engagieren. Der Arbeitslohn für Allgemeinärzte ist sehr niedrig. Sie haben auch nicht viele Möglichkeiten, durch eine Privatpraxis Geld dazuzuverdienen. So versuchen viele jedes Jahr erneut, die Facharztprüfung zu machen. Dabei gibt es für 30 000 Bewerber 4000 Zulassungen. Die Prüfungen sind schwer, die Ärzte müssen sich ernsthaft vorbereiten und haben so wenig Zeit, sich um ihre Patienten zu kümmern. Der diensthabende Arzt im Krankenhaus in Mardin z.B. versorgt etwa 100 Patienten in 4 Stunden. In der Türkei sind Menschen, die im öffentlichen Dienst arbeiten krankenversichert, ebenso Arbeiter und Angestellte in Fabriken und Betrieben. Selbstständige können sich privat versichern. Die vielen Binnenflüchtlinge sind zumeist Viehzüchter und Bauern, die alles verloren haben, oder Landarbeiter, die schon immer arm waren. Bei einer hohen Arbeitslosigkeit in den Städten, in Batman z.B. 56%, gibt es eine Tayyar Akyol aus Abschiebehaft entlassen T ü r k e i -P Projekt Der 21-jährige kurdische Flüchtling Tayyar Akyol wurde nach einem positiven Beschluss des VG Hannover Anfang August aus der Abschiebehaft entlassen. Bei dem Versuch, über ein Asylfolgeverfahren neue Beweismittel zur drohenden Verfolgung einzubringen, war Tayyar am 03.07.01 nach seiner Anhörung beim BAFl in Braunschweig in Abschiebehaft genommen worden. Das VG Hannover möchte nun im Klageverfahren Recherchen zu den vorgelegten Unterlagen, die das fortdauernde Interesse der türkischen Sicherheitskräfte an Mitgliedern der Familie Akyol deutlich machen, anstellen. Trotz umfangreicher Nachweise über die seit Jahren andauernden Repressionen gegen die Mitglieder der Familie Akyol wurde Tayyar ein Schutzstatus bisher verweigert, unter anderem mit der Argumentation, er sei bei seiner Flucht mit 12 Jahren für die Sicherheitskräfte kein "Unsicherheitsfaktor" gewesen und dies habe sich bis heute nicht geändert. Alle seine nach Deutschland geflohenen Verwandten, darunter seine zwei Brüder, wurden dagegen als politisch Verfolgte anerkannt. Duran Y. erhält kleines Asyl Der Kurde Duran Y., der im Sept. 97 rechtswidrig in die Türkei abgeschoben wurde, erhielt nun nach seiner erneuten Flucht mit Bescheid des BAFl vom 31.07.01 das "kleine Asyl". Das BAFl bestätigte damit die auch vom Türkei-Projekt recherchierte Verfolgung nach der Abschiebung (s. Bericht "Von Deutschland in den türkischen Folterkeller"). große Zahl von mittellosen Menschen, die keine soziale Absicherung haben. Für diese Menschen gibt es die Yesil Kart, die grüne Karte, die beim Gouverneur beantragt werden muss. In Batman z.B. wurden 100 000 Yesil Karts ausgegeben, ca. 250 000 Bedürftige, d.h. Menschen ohne Einkommen und ohne Krankenversicherung, haben keine Kart. Die Kart berechtigt zur kostenlosen Untersuchung und Behandlung in staatlichen Krankenhäusern und Gesundheitsstationen. Sie deckt nicht die Medikamentenkosten. In der Praxis müssen auch Inhaber der Yesil Kart im Krankenhaus einen bestimmten Betrag entrichten, bevor sie einen Arzt sehen. Gegen das Messergeld, das vor Operationen in der Regel an den Chirurgen entrichtet werden muss, geht die Ärztekammer seit längerem vor, es hat sich aber bisher wenig geändert. Die Yesil Kart hat also für die bedürftigen Patienten wenig Nutzen. Der Weg zum Gouverneur fällt ihnen schwer. Aufgrund ihrer Erfahrungen vor und während der Vertreibung haben sie Angst. Sie müssen dort ihre Bedürftigkeit nachweisen. Die Angabe, dass sie aus ihrem Dorf und von ihrem Land vertrieben wurden, führt dazu, dass sie als PKK-Unterstützer beschimpft und häufig auch geschlagen werden. Häufig wird ihnen dann die Yesil Kart auch verweigert, auf die kein Rechtsanspruch besteht. Alle diese Faktoren haben dazu geführt, dass Säuglings- und Kindersterblichkeit im Südosten der Türkei auf das Niveau der ärmsten Entwicklungsländer angestiegen sind. Impfprogramme werden kaum noch flächendeckend durchgeführt. Es gibt Todesfälle an Diphtherie und die Tuberkulose breitet sich wieder aus. In den Metropolen im Westen gibt es eine Gesundheitsversorgung nach westlichem Standard, aber auch nur für den, der sie be89 Kurdenverfolgung zahlen kann. Die Arbeitslosigkeit ist auch hier hoch, erreicht bei den Vertriebenen und Flüchtlingen bis zu 80%. Sie halten sich mit Gelegenheitsarbeiten und Straßenhandel über Wasser. Auch sie können eine Yesil Kart beantragen. Nach der Aussage unserer Gesprächspartner in Izmir und Istanbul bekommen Bedürftige kurdischer Herkunft dort fast nie eine Kart sondern riskieren allenfalls Beschimpfungen, Prügel und Inhaftierung. Dass die Behandlung psychisch kranker Menschen in der Türkei im Argen liegt, steht sogar im Anhang zum Lagebericht des deutschen Außenministeriums. Die fünf Rehabilitationszentren der Menschenrechtsstiftung in Ankara, Istanbul, Izmir, Adana und Diyarbakir arbeiten mit Psychiatern und Psychotherapeuten, die kostenlos Folteropfer behandeln. Auch gibt es ein Netz von Psychiatern außerhalb der Stiftung, die sich mit der Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen auskennen. Sie alle können ihren Patienten keine Sicherheit bieten vor weiterer Verfolgung, vor erneuter Inhaftierung und erneuter Folter. Das macht eine erfolgreiche Therapie nahezu unmöglich. Dazu kommt, dass auch diese Ärzte in ihrer Arbeit ständig behindert und mit Gerichtsverfahren überzogen werden. Petition an Bundestag: Kurdischer Kriegsdienstverweigerer aus Abschiebehaft entlassen T ü r k e i -P Projekt D er kurdische KDV’ler Sedat Baydemir wurde nach Einreichen einer Petition beim Deutschen Bundestag durch den Nds. Flüchtlingsrat und Connection e.V. Ende Mai aus der Abschiebehaft entlassen. Der Landrat des Main-Kinzig-Kreises setzte auf Bitten des Petitionsausschusses die Abschiebung bis zur Entscheidung über die Petition aus. Baydemir hatte gemeinsam mit 40 anderen türkisch-kurdischen Kriegsdienstverweigerern am 1. Dezember 2000 vor dem türkischen Konsulat in Hannover öffentlich seine Kriegsdienstverwei- gerung erklärt. In einer gemeinsamen Erklärung hatten sie deutlich gemacht, dass sie “das Militär und den Militärdienst überall auf der Welt ablehnen”. Zugleich wiesen sie darauf hin, dass die Türkei das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung nicht anerkennt. Angesichts des Krieges in der Türkei riefen sie “die von diesem Krieg betroffenen Menschen auf, nicht an den Verbrechen des Krieges teilzunehmen, Kriegsdienste zu verweigern und Kriegsdienstverweigerer und Deserteure zu unterstützen.” Die Hürriyet denunzierte die an der Aktion beteiligten Verweigerer in einem Artikel tags darauf als Angehörige der PKK. Weder das BAFl, noch das VG Frankfurt in seiner Eilentscheidung prüften die sich daraus ergebenden Verfolgungsgefahren. Die vom Niedersächsischen Flüchtlingsrat und Connection e.V. eingereichte Petition, die zu einer nochmaligen Überprüfung der Verfolgungsgründe von Baydemir auffordert, wurde zwischenzeitlich von weiteren Organisationen unterstützt. Hungerstreik in Büren Edith Diewald I m Abschiebegefängnis Büren befanden sich drei kurdische Flüchtlinge im Hungerstreik, die damit gegen ihre Abschiebung in die Türkei protestierten. Inzwischen ist der Hungerstreik von allen dreien beendet - mit unterschiedlichem Ausgang. Ali Dasayak, der seinen Hungerstreik am 29. Mai begann, ist in die Türkei abgeschoben worden. Dasayak hat den Militärdienst verweigert hat und wurde in der 90 Türkei als Sympathisant der PKK gesucht. Er kam vor 8 Jahren nach Deutschland. Sein Asylantrag wurde abgelehnt, weil in der Bundesrepublik die Verweigerung des Militärdienstes als Fluchtgrund nicht anerkannt ist. Nach über 60 Tagen im Hungerstreik hat die JVA Büren Dasayak, der sich nach einem Schwächeanfall eine Kopfverletzung zuzog, ins Justizvollzugskrankenhaus Fröndenberg verlegen lassen. Am 8. August wurde Ali Dasayak dann im Rahmen einer Sammelabschiebung in die Türkei abgeschoben. Dort wurde er direkt auf dem Flughafen verhaftet. Er verbrachte mindestens zwei Tage im Polizeigewahrsam, wo er mehrfach verhört wurde. Er unterliegt einer Meldeauflage bei der Polizei. Die Freilassung von Dasayak beruht nach Ansicht seines Betreuers Frank Gockel vom Verein Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V., sicherlich auch darin, dass es in den deut- FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Kurdenverfolgung schen Medien ein breites Interesse an diesem Fall gibt und dass daher die türkische Regierung Dasayak nicht einfach inhaftieren oder verschwinden lassen kann. Ismail Genc befand sich seit dem 5. Juli im Hungerstreik. Er beendete diesen, als das Verwaltungsgericht Leipzig feststellte, dass er bis zu einer endgültigen Entscheidung über seinen Eilantrag nicht abgeschoben werden dürfe. Genc sollte, obwohl noch eine Klage im Asylverfahren beim Verwaltungsgericht anhängig war, abgeschoben werden. Das Ver- waltungsgericht entschied am 27.8. über den Eilantrag von Genc. Er darf vorläufig nicht in die Türkei abgeschoben werden. Nun muss die Ausländerbehörde mit der Abschiebung bis zu einer endgültigen Entscheidung der Klage warten. Dies dauert in der Regel bis zu einem Jahr. Eine genaue Begründung der Gerichtsentscheidung liegt noch nicht vor. Erol Akbulut war seit dem 17.6.01 im Hungerstreik und beendete diesen nach 69 Tagen. Er wurde bevor er einen Asylantrag gestellt hatte, von der Polizei wegen illegaler Einreise verhaftet und in Abschiebehaft nach Büren verbracht. Dort stellte er einen Asylerstantrag, der jedoch abgelehnt worden ist. Jetzt hofft er noch auf einen Eilantrag, den seine Rechtsanwältin beim Verwaltungsgericht eingelegt hat. Weitere Informationen über den Hungerstreik der Gefangenen sind unter http:/www.gegenAbschiebehaft.de nachzulesen. VERBOTEN IST, DEN FRIEDEN ZU VERBIETEN Aufruf an die Bundesregierung zur Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) in Deutschland Die in Deutschland immer noch verbotene Kurdische Arbeiterpartei (PKK) hat einseitig und ohne Gegenleistung die Fortführung des bewaffneten Kampfes eingestellt: In Erwartung, dass die aufrichtige Geste des Friedens den Dialog zu einer friedlichen und demokratischen Versöhnung in der Türkei ermöglicht. In der Hoffnung, dass die international anerkannten Rechte auch der Kurdinnen und Kurden in der Türkei und international bestätigt werden. Um den historischen Konflikt endgültig zu lösen, den Krieg zukünftig unmöglich zu machen, um die Türkei auf dem gemeinsamen Weg nach Europa als demokratische Zivilgesellschaft einzurichten. SOLL DIESE GROSSE HOFFNUNG WEITERHIN VERBOTEN SEIN ? • Die Aufhebung des PKK-Verbotes, die erst den freien, offenen Dialog zwischen allen Beteiligten ermöglicht? • Die Annahme des Friedensangebotes als Beispiel für die gesellschaftliche Entwicklung der Türkei? • Die zur Versöhnung ausgestreckte Hand, die nur ergriffen werden kann, wenn allen Partnern des Friedensprozesses zivilgesellschaftliche Anerkennung gilt? • Die erklärte Bereitschaft, die großen Opfer und die schrecklichen Wunden der Vergangenheit gemeinsam aufzuarbeiten? • Der legitime Wunsch, die freie und ungehinderte Tätigkeit der PKK und aller kurdischen Vereine in Deutschland auch zu legalisieren? Die Aufhebung des längst überflüssigen Verbots der PKK sollte den ersten und wichtigsten friedenspolitischen Schritt der Bundesrepublik zur Beendigung des türkisch-kurdischen Konflikts ermöglichen. Die nachhaltige Lösung der Kurdenfrage ist nur unter Einbeziehung aller Parteien und Gruppen aussichtsreich. Das noch geltende Verbot hemmt und ignoriert den strategischen Wechsel der PKK und dessen positive Auswirkungen innerhalb des kurdischen Volkes im deutschen Exil und diffamiert es als eine Menschengruppe “zweiter Güte”. Der innere Frieden in Deutschland, das Zusammenleben zwischen Bürgerinnen und Bürgern unterschiedlicher Herkunft, wird belastet durch ein antiquiertes Verbot, das als ein wesentlicher Stimulus für die anwachsende Ausländerfeindlichkeit in unserem Lande fortwirkt. 91 Kurdenverfolgung Die Aufhebung des Betätigungsverbots der PKK bedeutet einen Verlust nur in Form der Aufgabe eines riesigen geldverzehrenden Überwachungsapparates der Polizeien und Geheimdienste, da die Kurden mit ihrer neuen Strategie ihre Arbeit, ihre Organisationen und ihre Absichten noch stärker öffentlich präsentieren möchten. Die Abschaffung dieses Repressionsapparates bedeutete einen großen Schritt in Richtung auf die Verwirklichung des Friedens und wäre alles das: menschlich, demokratisch und vernünftig. Wir, die Unterzeichner und Unterzeichnerinnen unterstützen das Symposium im Dezember 2001 in Berlin und die Kampagne ”Verboten ist es, den Frieden zu verbieten”. Die Bundesregierung rufen wir auf, Schritte zur Aufhebung des PKK-Verbotes einzuleiten und sich für eine friedenspolitische Lösung der kurdischen Frage einzusetzen. Trägerkreis: YEK-KOM (Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e.V.), IPPNW (Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.), medico international, AZADI e.V. (Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden in Deutschland), Humanistische Union e.V. UnterstützerInnen: Aengenheister, Astrid (Rechtsanwältin); AG Friedens- und Internationale Politik beim Parteivorstand der PDS; Ahues, Rainer (Rechtsanwalt/ Vorstandsmitglied des Republikanischen Anwaltsvereins); Antifaschistische Aktion Lüneburg/Ülzen; Antifaschistische Initiative e.V.; Antifaschistisches Telefon; Arndt, Christian (Pastor); Auernheimer, Prof. Dr. Georg (Uni-Köln); Autonome Antifa (Göttingen); Avras, Peter (Mission-Entwicklung-Frieden St.-Martin, Lahnstein); Baba, Evrim (MdA/PDS); Babel, Christian (PDS); Bakkenes, Bert (Vorsitzender der Stiftung Initiativgruppe Kurdistan, NL); Becker, Helga; Becker, Laura; Becker, Phillip; Berghausen, Dr. Hans Georg (DKP); Biskamp, Elard (Rechtsanwalt); Blüm, Dr. Norbert (CDU/CSU); Bootz, Mariagerogia (Linke Liste, VVN/BdA); Brauns, Nikolaus (Vorstandsmitglied der Deutsch-Kurdischen Gesellschaft e.V. und Vorstandsmitglied der PDS München); Butterwegge, Prof. Dr. Christoph (Uni-Köln); Coskun, Baki (Rechtsanwalt); Dahmer, Prof. Helmut (TU-Darmstadt); Detjen, Jörg (PDS-Gruppe im Rat der Stadt Köln); Die Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen; Diefenbach, Gerhard (Vorsitzender der Aachener Friedenspreis e.V.); Dombrowsky, Christine (Archiv 415 – Die Trikont Bücher in ihrer Zeit); Elturan, Dr. Burhan (Indiana University); Emhart, Doris; Engels, Tim (VVN-BdA Neuss); Europäische Vereinigung von Juristinnen und Juristen für Demokratie und Menschenrechte in der Welt e.V. (EJDM) Düsseldorf; Farahat, Kh. (DGB); Farroklizad, Schalinad (Uni-Köln); Flüchtlingsrat Wiesbaden; Friedensinitiative “Freiheit für Leyla Zana” e.V.; Frisullo, Dino (Italien); Gärtner, Birgit (Journalistin); Gebre, Elias (DGB); Gehrcke, Wolfgang (MdB/PDS); Geisweid, Heike (Rechtsanwältin); Ghassemlou, Dr. Nesmil (Initiative Freiheit für Leyla Zana); Ghassemlou, Dr. Nesmil (IPPNW) ; Gössner, Dr. Rolf (Rechtsanwalt/Publizist); Grubba, Bernd (Büroleiter einer Anwaltskanzlei, Bonn); Grützmacher, Friedel (MdL, B90/Die Grünen); Guzzoni, Hendrijk (Fraktionsvorsitzender, Unabhängige Frauen und Linke Liste), Freiburg; Hartmann, Detlef (Rechtsanwalt); Heim, Michael (Rechtsanwalt); Heiming, Martin (Rechtsanwalt), Heidelberg; Hentges, Dr. Gudrun (Uni Köln); Herrmann, Martina (Unabhängige Frauen, Freiburg); Hervé, Dr. Florence (Autorin); Heydenreich, Carl (Rechtsanwalt); Hübner, Carsten (MdB/PDS); Hummel, Dieter (Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen); Informationsstelle Kurdistan e.V. (ISKU); Internationaler Menschenrechtsverein Bremen e.V.; Junge Linke Wesel; Jungheim, Wolfgang (Pax-Christi, Nassau-Lahnstein); Karb, Doris (Mission-Entwicklung-Frieden St.-Martin, Lahnstein); Kastner, Manfred (DKP/VVN-BdA und ver.di); Kaygisiz, Hasan (Politologe); Keck, Silke (Unabhängige Frauen Freiburg); Kelloglu, Dündar (Rechtsanwalt); Krause, Heike (Rechtsanwältin); Kulturprojekt nn-tv (Bonn); Kurdischer Student(inn)enverband (YXK); Kurdisches Institut für Wissenschaft und Forschung e.V.; Kurdistan Informations-Zentrum e.V. (KIZ); Kurdistan Solidarity Committee UK; Kutzmutz, Rolf (MdB(PDS); Lankisch, Heidi (medienagentur für menschenrechte – mfm); Leukefeld, Karin (Freie Journalistin); Lex, Angelika (Rechtsanwältin, Deutsch-Kurdische-Gesellschaft e.V., München); Lippmann, Heidi (MdB/PDS); Lord Avebury (Mitglied des britischen Oberhauses); Lord Rea (Mitglied des britischen Oberhauses); Luckenbach (Linke Liste, Freiburg); Luppa, Helmut (DGB); Midasch, Rüdiger; Moos, Michael (Rechtsanwalt und 1. Vorsitzender der Vereinigung baden-wüttembergischer Strafverteidiger); Narr, Prof. Wolf-Dieter (Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie); Olbrich, Stefan (Rechtsanwalt); Ostermeier, Michaela (ver.di); Paech, Prof. Norman (Hochschule für Wirtschaft und Politik Hamburg); Paris, Sabine (Rechtsanwältin); Pausch, Johannes (Rechtsanwalt); Peace in Kurdistan Campaign (Großbritannien – UK); Penteker, Dr. Gisela (IPPNW); Pues, Anni (Rechtsanwältin); Putsche, Herwig (Flüchtlingsberater der Diakonischen Flüchtlingshilfe im Main-Kinzig-Kreis e.V.); Radermacher, Lilo (Gewerkschaftssekräterin); Ratzmann, Volker (Rechtsanwalt und Vorstandsmitglied der Vereinigung Berliner Strafverteidiger e.V.); Ritter, Manfred; RoederBode, A. (Mitarbeiter Anwaltskanzlei, Bonn); Rosa-Luxemburg-Bibliothek (Bonn); Roß, Klemens (Rechtsanwalt); Rote Hilfe (Ortsgruppe Duisburg); Rüdenburg, Dagmar (ver.di); Rudolf, Beate (Physiotherapeutin); Sahin, Mehmet; Sayan, Giyasettin (MdA/PDS); Schmidt, Thomas (Mitarbeiter von amnesty international Berlin); Schmidt, Thomas (Rechtsanwalt); Schneider, Dr. Heinz-Jürgen (Rechtsanwalt); Schneider, Thomas (Kolpingfamilie, Lahnstein, St.-Martin); Schudell, Hans-Georg (Rechtsanwalt); Schusterbauer, Dagmar (Pax-Christi, Lahnstein); Seifert, Irene (Rechtsanwältin, Vorsitzende der Vereinigung demokratischer Juristinnen und Juristen e.V); Senol, Sengül (PDS-Gruppe im Rat der Stadt Köln); Siglsteller, Sieglinde (ver.di); Sperling, Roland (PDS); Strutynski, Peter (Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag); Sturkenboom, A. (MOCAKAUK-Amsterdam); Tekce, Hidir (DGB); Treiber-Lehmann, Katja (PDS-Neuss); Uca, Feleknas (MdEP/PDS); van Leemput, G. (Study centre on Turkey, Niederlanden); Viethen, Maria (Rechtsanwältin, B90/Die Grünen); Vogel, Irene (Unabhängige Frauen Freiburg); Volhard, Barbara (Unabhängige Frauen, Freiburg); Waid, Jan (DGB); Wiese, Gisela (PaxChristi, Hamburg); Wildschut, Willem (Solidaritätsgruppe Kurdistan, Niederlande); Wolf, Dr. Winfried (MdB/PDS); Yildirim, Erol (Rechtsanwalt); ZAG Redaktion; Zeitungsprojekt “Nullnummer” (Bonn) Ich / Wir unterstütze/n den Aufruf Name, Vorname Organisation Unterschrift (Bitten unterschrieben zurückzusenden an YEK-KOM; Graf-Adolf-Str. 70a; 40210 Düsseldorf; Tel: 0211 – 17 11 451; Fax: 0211 – 17 11 453; e-mail:e-mail: [email protected]) 92 FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Geteilte Medizin Geteilte Medizin Ausländerrechtliche Aspekte Bleiberecht für traumatisierte Flüchtlinge? Dr. Holger Hoffmann, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht Auf Initiative der niedersächsischen Fachkonferenz (eines bereits seit den 80er Jahren bestehenden Gremiums aus RechtsanwältInnen, FachreferentInnen der Verbände und SozialarbeiterInnen) sind im ersten Halbjahr des Jahres 2001 in Hannover, Göttingen und Stade mehrere Fachtagungen zum Thema “Traumatisierung” durchgeführt worden. Ziel dieser Veranstaltungen war es u.a., gemeinsam mit der Ärztekammer und anderen einschlägigen Berufsverbänden über das Thema “Posttraumatisches Belastungssyndrom” zu informieren und ein Netzwerk von MedizinerInnen zu etablieren, die für Fragen des Flüchtlingsschutzes die nötige Sensibilität und Fachkompetenz aufbringen. Eine Arbeitsgruppe der Fachkonferenz will die Ergebnisse der Tagungen auswerten. Auch weiterhin sollen strukturelle Defizite der ärztlichen Versorgung insbesondere bei Traumatisierten und Folteropfern thematisiert werden und ggfs. in politische Initiativen münden. Gedacht wird beispielsweise an die Durchführung einer Anhörung zu der Forderung nach einem psychosozialen Zentrum. Zunächst einmal jedoch geht es um eine Bestandsaufnahme zur Situation in Niedersachsen sowie zur Klärung der Ausgangsbedingungen. RA Holger Hoffmann hat hierzu in Stade ein Referat über die ausländerrechtlichen Aspekte eines Bleiberechts für Traumatisierte gehalten, das wir im Folgenden dokumentieren. (Red.) 1.) Zunächst soll Begriffsklarheit versucht werden: Was ist ein Abschiebungshindernis? Als “Merkposten” ist wichtig, dass Ausländer, deren Abschiebung ansteht, bereits kein Aufenthaltsrecht in Deutschland mehr haben, d.h. ein Gericht oder eine Behörde hat “unanfechtbar”/rechtskräftig festgestellt, dass die betroffene Person ausgewiesen und zur Ausreise verpflichtet ist. Diese Ausreisepflicht muss vollziehbar und ihre freiwillige Erfüllung darf nicht gesichert sein. Bei der Frage nach einem “Abschiebungshindernis” geht es immer nur darum, ob die örtlich zuständige Ausländerbehörde bei einem unanfechtbar ausreisepflichtigen Ausländer vorübergehend darauf verzichtet, ihn zwangsweise in seinen Heimatstaat zurückzuführen. 93 Geteilte Medizin Ein solcher Verzicht kann darauf beruhen, dass die Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist oder aus bestimmten humanitären Gründen nicht durchgesetzt werden soll. Während dieser Zeit hat der betroffene Ausländer einen Anspruch darauf, eine schriftliche Duldung ausgestellt zu erhalten. Die Ausreisepflicht bleibt jedoch bestehen. Der geduldete Aufenthalt gilt juristisch als “nicht legaler”, d. h. nicht genehmigter Aufenthalt. Grundsätzlich ergibt sich daher nicht die Möglichkeit, ein längerfristiges “gesichertes”/legales Aufenthaltsrecht noch zu erhalten. Die Duldung ist befristet. Sie soll nicht länger als ein Jahr erteilt werden. Die Ausländerbehörde kann jeden Zeitraum zwischen einem Tag und einem Jahr wählen. Regelmäßig werden Duldungen für drei bis sechs Monate erteilt. Gesetzlich vorgeschrieben ist dies nicht, entspricht aber üblicher Verwaltungspraxis beinah aller Ausländerbehörden in Deutschland. Ein tatsächliches Abschiebungshindernis ist beispielsweise gegeben, wenn der Flughafen des Heimatstaates nicht erreichbar ist (militärische Auseinandersetzungen o.ä.) oder die Verkehrsverbindungen allgemein unterbrochen sind, wenn kein Pass oder andere Identitätspapiere vorliegen oder wegen Reiseunfähigkeit die Durchführung der Abschiebung unmöglich ist. Aus Rechtsgründen ausgeschlossen ist die Abschiebung, wenn eines der Abschiebungsverbote oder Abschiebungshindernisse gemäß §§ 51, 52, 53 Abs. 1, 2 oder 4 AuslG vorliegt oder eine Abschiebungssperre während eines Auslieferungsverfahrens besteht (§ 53 Abs. 3 S. 1 AuslG). Wenn beispielsweise durch ein verwaltungsgerichtliches Urteil rechtskräftig im Rahmen des Asylverfahrens entschieden wurde, dass die Abschiebung zulässig 94 ist, darf eine Duldung nur erteilt werden, wenn die Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist oder aufgrund einer bestimmten Erlassregelung, für die die Innenministerien der jeweiligen Bundesländer zuständig sind, ausgesetzt werden soll (§ 55 Abs. 4 AuslG). 2.) Krankheit kann ein Abschiebungshindernis sein. Dabei geht es nicht nur um die Frage, ob “Reisefähigkeit” vorliegt. Dies dürfte nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft jedenfalls in Deutschland im Prinzip immer der Fall sein, weil notfalls auch ein Patient, der an einer HerzLungen-Maschine angeschlossen ist, mit ärztlicher und pflegerischer Begleitung per Flugzeug in sein Heimatland gebracht werden kann. Es lassen sich schwer Fälle denken, in denen tatsächlich keine “Reisefähigkeit” besteht, wenn medizinische Vorsorge- oder Begleitmaßnahmen getroffen werden. Angesprochen ist damit selbstverständlich nur die Frage der “technischen Durchführbarkeit” einer Abschiebung. Für Ausländerbehörden, Sozialbetreuer und Anwälte stellt sich sozusagen “daneben” oder ergänzend dazu stets die Frage nach der Verhältnismäßigkeit und/oder Zumutbarkeit, wenn zwar Reisefähigkeit “hergestellt” werden kann (z. B. Arzt oder Pfleger fliegen mit, Medikamente werden mitgegeben), eine adäquate medizinische Betreuung beim Empfang im Heimatland jedoch nicht sichergestellt werden kann. Bei der Frage, ob Krankheit ein Abschiebungshindernis ist, geht es in der Regel gerade darum, ob eine bereits in Deutschland bestehende Erkrankung eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Heimatstaat wegen der dort unzureichenden Behandlungsmöglichkeiten sich verschlimmert und zu einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib und Leben (im Sinne von § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG) führt. 3.) Das Bundesverwaltungsgericht hat 1997 festgestellt, eine Krankheit begründe jedenfalls dann ein Abschiebungshindernis, wenn wegen der im Heimatstaat unzureichenden Behandlungsmöglichkeiten die Gefahr bestehe, dass die Krankheit sich verschlimmere und zu einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib und Leben, im Sinne des § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG führe. Für den Begriff “Gefahr” sei unerheblich, ob diese sich ausschließlich aus einem Eingriff von außen, einem störenden Verhalten oder aus einem Zusammenwirken mit anderen - auch anlagebedingten - Umständen ergäbe. Die Gefahr der Verschlechterung der Gesundheit könne auch durch die individuelle Konstitution des Ausländers bedingt sein. Der Begriff der Gefahr in § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG sei nicht einschränkend auszulegen. Es genüge, wenn eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür bestehe, dass im Einzelfall eine erhebliche Gefährdungssituation bestehe. Erheblich sei eine solche Gefahr beispielsweise dann, wenn sich der Gesundheitszustand nach der Rückkehr wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtere. Konkret sei eine erhebliche Gefahr, wenn der Ausländer alsbald nach der Rückkehr in diese Lage gerate, weil er auf die unzureichenden Möglichkeiten zur Behandlung seines Leidens im Heimatland verwiesen sei und keine wirksame Hilfe dort in Anspruch nehmen könne (BverwG 25.11.1997 -9 C 58/96 und 29.07.1999 –9 C 2/99). Diese Gefahr kann in einer drohenden Verschlimmerung einer Krankheit wegen ihrer unzureichenden medizinischen Behandlungsmöglichkeit im Zielstaat angenommen werden. Die Verschlimmerung muss “wesentlich” oder “lebensbedrohlich” sein und “alsbald” eintreten (BVerwG, Urteil vom 25.11.1997). Wichtig sind für unseren Zusammenhang die Elemente “indivi- FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Geteilte Medizin duell”, “konkret” und “erheblich”. Gefahren, die der Bevölkerung insgesamt oder bestimmten Gruppen oder einer Vielzahl von Personen im Zielstaat der Abschiebung drohen, gelten nicht als ausreichend, um eine Abschiebung zu verhindern. Beispielsweise kann eine allgemein schlechte Versorgungslage in einem bestimmten Staat nicht zu einem Abschiebungshindernis führen, selbst dann, wenn sie durch persönliche Umstände oder besondere Lebensverhältnisse des betroffenen Ausländers begründet oder verstärkt wird. Soweit es sich um typische Auswirkungen einer allgemeinen Gefahrenlage handelt (z.B. hohes Alter, fehlende Wohnung, geminderte Erwerbsfähigkeit, fehlende körperliche Widerstandskraft, mangelndes Beziehungsgeflecht zu Verwandten und Freunden) führt dies nach der Rechtsprechung nicht zu einem Abschiebungshindernis (BverwG 08.12.1998 – 9 C 4/98). In der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte wird diskutiert, ob Abschiebungsschutz nur dann zu gewähren ist, wenn die erforderliche medizinische Behandlung generell im Herkunftsstaat nicht möglich ist. Dies impliziert, dass Abschiebungsschutz verweigert werden dürfe, wenn sie dem Betroffenen ausschließlich aufgrund seiner finanziellen Situation nicht zur Verfügung steht. Fehlende finanzielle Leistungsfähigkeit bei objektiv bestehender Behandlungsmöglichkeit im Heimatstaat begründet nach Auffassung einiger Verwaltungsgerichte kein Abschiebungshindernis. Formuliert wird, es sei Aufgabe des jeweiligen Staates, dafür zu sorgen, dass seine Staatsangehörigen die für sie notwendige und mögliche medizinische Versorgung auch dann erhalten, wenn sie nur über ein geringes oder gar kein Einkommen verfügen. Diese sozialpolitische Aufgabe könne nicht über die Annahme eines Abschiebungshin- dernisses auf die Bundesrepublik Deutschland “abgewälzt” werden (z.B. VG Augsburg –Urteil vom 25.02.1999 –AU 7 K 98.30453). 4.) a) In der Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte wird eine ärztlich attestierte posttraumatische Belastungsstörung als Abschiebungshindernis im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG seit längerer Zeit anerkannt (vgl. OVG NRW – Beschluss vom 12.04.99 – 17 B 2232/98; OVG Niedersachen – Beschluss vom 22.01.1999 – 13 M 246/99 und Beschluss vom 27.07.1999 – 11 M 2854/99 und Beschluss vom 28.03.2000 – 12 L 4205/97; OVG Saarland – Beschluss vom 20.09.99 – 9 Q 286/98.A und Urteil vom 25.03.98 – 9 R 275/95). Ferner hat beispielsweise das OVG Niedersachen im Beschluss vom 28.03.2000 (der eine Frau aus dem Kosovo betraf, die dort vergewaltigt worden war) den Rechtsgrundsatz aufgestellt, dass dann, wenn sich eine bestehende Krankheit (hier Traumatisierung aufgrund einer Vergewaltigung) in dem Heimatstaat lebensbedrohend verschlimmern würde, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend seien, Abschiebungsschutz gemäß § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zu gewähren sei. Vereinzelt ist in der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ein Anspruch auf therapeutische Behandlung in sicherer Umgebung herausgearbeitet worden, weil eine traumatisierte Person vor weiterer Traumatisierung durch Rückkehr in die Umgebung, in der die traumatische Erfahrung stattgefunden hat, ausländerrechtlich geschützt werden müsse (vgl. OVG Berlin – Beschluss vom 27.06.99 – OVG 8 S 23.98 und VG Neustadt – Urteil vom 06.12.1999–11 K 1618/NW). Das behördliche Ermessen sei in einem derartigen Fall auf Null reduziert, wenn psychotherapeutische Gutachten ergäben, dass eine Rückkehr in das Herkunfts- land die nach wie vor bestehende posttraumatische Störung akut verstärken und insbesondere zu Angstanfällen und Depressivität führen würde. Nach der oben zitierten Rechtsprechung liegt ein “zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis” vor, wenn die im Zielstaat der Abschiebung zu erwartende Rechtsgutbeeinträchtigung in der Verschlimmerung einer Krankheit besteht, unter der der Ausländer/die Ausländerin bereits in Deutschland leidet. Eine solche Gefahr im Zielstaat führt zu einer Duldung nach § 55 Abs. 2, 1. Alternative, wenn ein zwingendes Abschiebungshindernis nach § 53 AuslG gegeben ist. Ein Anspruch auf Duldung besteht im übrigen gem. § 55 Abs. 2, 3. Variante, solange die Abschiebung nach § 53 Abs. 6 AuslG ausgesetzt ist. b) Gemäß der niedersächsischen Erlasslage (NMI-Erlass vom 07.07.1995 “Verfahren bei Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG) ist dann, wenn die Ausländerbehörde, das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge oder ein Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 AuslG festgestellt haben, auf der Grundlage des § 30 Abs. 3 AuslG eine Aufenthaltsbefugnis zu erteilen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind und innerhalb der nächsten sechs Monate voraussichtlich nicht von einem Wegfall des Abschiebungshindernisses ausgegangen werden kann. Allerdings ist nach diesem Erlass weitere Voraussetzung, dass der betroffene Ausländer einen gültigen Pass besitzt oder wenigstens “zumutbare Bemühungen” unternimmt, um einen Pass zu beschaffen. Die Aufenthaltsbefugnis ist auch dann zu erteilen, wenn der Lebensunterhalt nicht durch eigene Mittel gesichert ist, da ein festge95 Geteilte Medizin stelltes Abschiebungsverbot als besonderer Umstand angesehen werden kann, der ein Abweichen vom Regelversagungsgrund des § 7 Abs. 2 Nr. 2 AuslG rechtfertigt. 5.) Wendet man die unter Ziff. 4 a) dargelegten Maßstäbe auf traumatisierte oder früher in Bosnien internierte Flüchtlinge an, sind folgende typische Gefahren zu beachten: a) Zum einen ist die Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit von Personen mit chronischen posttraumatischen psychischen Störungen nicht mit denen gesunder Menschen zu vergleichen. Schon durch den Wegfall der in Deutschland vorhandenen medizinisch-psychotherapeutischen Behandlung, verbunden mit dem erzwungenen Umzug in eine Gesellschaft, welche diesen Flüchtlingen ablehnend gegenübersteht, kann es zu einer Dekompensation mit schwerwiegenden Folgen für die körperliche und geistige Gesundheit kommen. Dieser Effekt wird noch verstärkt, wenn die Existenzbedingungen im Herkunftsland nicht gesichert sind, weil es beispielsweise an Wohnung und Arbeit fehlt und soziale Verelendung droht. b) Auch der jüngste Lagebericht des Auswärtigen Amtes über die Situation in Bosnien-Herzegowina kommt zu dem Ergebnis, dass die Kapazitäten für eine Versorgung der dort bereits lebenden Kranken fehlten. Bei schwer traumatisierten Bürgerkriegsflüchtlingen bestehe daher zur Zeit in Bosnien unter Berücksichtigung des Standes der medizinischen Versorgung und der vielschichtigen psychischen Folgen der Rückkehr unter dem Einfluss der aktuellen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Situation in Bosnien-Herzegowina eine hohe Wahrscheinlichkeit erneuter Traumatisierung, die noch größer werde, wenn weitere Faktoren wie Armut hinzukämen. Rehabilitationszentren in dem vom Bürgerkrieg noch vielerorts 96 zerstörten Lande seien schlecht ausgestattet. Darüber hinaus seien die örtlichen Fachkräfte noch nicht fortgebildet, um den durch den Konflikt hervorgerufenen Traumata und psychischen Störungen wirkungsvoll begegnen zu können. Einer Auskunft der Deutschen Botschaft Sarajevo vom 13.04.2000 an den Caritas-Verband Wiesbaden vom 13.04.2000 ist zu entnehmen, dass zwar fachärztliche Betreuung in kleinmedizinischen Einrichtungen durch einen gastierenden Facharzt, der in der Regel ein- oder zweimal wöchentlich Sprechstunde habe, erfolge. Die Behandlung beschränke sich aber in den meisten Fällen auf ein 10-minütiges Gespräch und Weiterverschreibung von Medikamenten. Eine Psychotherapie im Sinne einer Gesprächstherapie o. ä. finde nicht statt. Zwar gebe es neben den staatlichen medizinischen Einrichtungen, in denen hauptsächlich medikamentöse Therapie praktiziert werde, in manchen Teilen Bosniens, hauptsächlich in großen Städten, einige Hilfsorganisationen, die mit Traumatisierten arbeiten (vorrangig Frauenorganisationen). Rückkehrer finden aber angesichts der gesellschaftlich abweisenden Einstellung ihnen gegenüber auch in solchen Organisationen kaum Halt. Genannt werden in der Auskunft fünf NGO’s, die mit Traumatisierten arbeiten. Die Botschaft warnt davor, die Behandlungsmöglichkeiten Traumatisierter in Bosnien überzubewerten. c) Ferner kann es durch die Rückkehr in eine Umgebung, in der die traumatische Erfahrung stattgefunden hat, zur Retraumatisierung mit einer Aktualisierung des erlittenen Traumas und damit einhergehenden schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen bis hin zur Gefahr des Suizids kommen. Diese Gefahr droht noch erhöht, wenn zu befürchten ist, dass der Flüchtling in eine Umgebung zurückkehren muss, in der erneut gewalttätige Übergriffe drohen. d) Wird daher durch ärztliche oder psychologische Gutachten bestätigt, dass eine der vorgenannten Gefahren droht, liegt ein Abschiebungshindernis vor, welches nicht nur fakultativ ist gem. § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG und damit eine (positive) Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde ermöglicht. Die Innenministerkonferenz hat am 24.11.2000 vor dem Hintergrund der schwierigen Situation in Bosnien beschlossen, “bürgerkriegsbedingt unter schwerer posttraumatischer Belastungsstörung leidenden Flüchtlingen aus Bosnien und Herzegowina den weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet durch Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis zu ermöglichen”. Begründet wird dies mit der Einmaligkeit “der besonderen Bürgerkriegssituation in Bosnien mit “ethnischen Säuberungen”, Internierungslagern, Massenerschießungen und organisierten Massenvergewaltigungen”. Aus diesem Grunde sei eine “Gruppenregelung” gerechtfertigt. Rechtstechnisch ist es so, dass dieser politische Beschluss der Innenministerkonferenz dann in der Folgezeit durch entsprechende Ländererlasse gem. § 32 AuslG jeweils für die einzelnen Bundesländer (teilweise mit unterschiedlichen Voraussetzungen in den Einzelheiten) umgesetzt wurden. Diese Erlasse ermöglichen es den Ausländerbehörden, jetzt von ihrem grundsätzlich bestehenden Ermessen in der Weise Gebrauch zu machen, dass nur noch geprüft wird, ob die im Erlass genannten Voraussetzungen vorliegen. Ist dies der Fall, wird das Ermessen der Ausländerbehörde auf die Entscheidung reduziert, dass die Befugnis zu erteilen ist. In Niedersachsen ist es so, dass Aufenthaltsbefugnisse erteilt werden sollen, wenn die Betroffenen FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Geteilte Medizin • vor dem 15.12.1995 bereits als währleisten, sollen fachärztliche Bürgerkriegsflüchtlinge nach Deutschland eingereist sind und bzw. psychotherapeutische Bescheinigungen mindestens folgende Angaben enthalten: • sich wegen der durch Bürger- • Adressat und Zweck des Attekriegserlebnisse hervorgerufenen schweren Traumatisierung bereits mindestens seit dem 01.01.2000 auf der Grundlage eines längerfristig angelegten Therapieplanes in fachärztlicher oder psychotherapeutischer Behandlung befinden. Niedersachsen hat darüber hinaus festgelegt, dass diese Befristung (01.01.2000) nicht ausschließe, dass eine Einzelfallprüfung auch nach der genannten Frist noch möglich bleibe. Ferner müssen die Betroffenen auch bisher schon auf Grund landesrechtlicher Regelungen oder Einzelfallentscheidungen wegen geltendend gemachter Traumatisierung geduldet worden sein. Die Aufenthaltsbefugnisse gelten für zwei Jahre und können nach Ablauf von zwei Jahren auch dann verlängert werden, wenn das Abschiebungshindernis (Traumatisierung) entfallen ist, d. h. wenn während dieser Frist eine erfolgreiche Behandlung stattgefunden hat. Im Kern bedeutet damit die Regelung den “Einstieg” für die betroffene Personengruppe in einen “Daueraufenthalt in Deutschland”. Mit einbezogen werden die mit einem schwer traumatisierten in häuslicher Lebensgemeinschaft zusammenlebende Ehegatten sowie die minderjährigen oder bei der Einreise noch minderjährigen gemeinsamen Kinder. Für den “Nachweis” der Traumatisierung stellt der niedersächsische Erlass klar: sie müsse durch die Bescheinigung eines Facharztes bzw. Psychotherapeuten oder Psychologen bestätigt sein. Um eine einheitliche Verfahrensweise zu ge- stes, • Diagnose, • Zeitraum und Frequenz der Behandlung, • Befund und Anamnese, ber hinaus wurden aus BadenWürttemberg, Berlin, Bremen und Niedersachsen noch einmal insgesamt 2.527 Personen benannt, die aus anderen Gründen (z. B. Ex-Internierte) schutzbedürftig seien. Auch unter diesen sei aber wiederum eine gewisse Anzahl traumatisierter Flüchtlinge (vgl. Statistik des UNHCR zum Pressegespräch “Zur sozialen Struktur der bosnischen Flüchtlinge in der Bundesrepublik Deutschland”). • Voraussichtliche Krankheits- UNHCR hat weiter darauf hinge/Therapiedauer, • Geplante weitere Behandlung (Therapieplan), • “Besondere Probleme”. Erfüllen fachärztliche Bescheinigungen diese Mindestanforderungen nicht oder bestehen begründete Zweifel an der vorgetragenen und ärztlich bescheinigen Traumatisierung, soll die Ausländerbehörde den Sozialpsychiatrischen Dienst bei dem Gesundheitsamt beteiligen und eine gutachtliche Stellungnahme anfordern. Die gleichen Regeln gelten auch für Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien, die zwar nicht traumatisiert sind, jedoch bereits am 15.12.1995 das 65. Lebensjahr vollendet hatten. Dies gilt allerdings nur unter der Voraussetzung, dass sie in Bosnien keine Familie mehr haben, aber in Deutschland Angehörige mit dauerhaftem Aufenthaltrecht leben und sichergestellt ist, dass keine Sozialhilfe in Anspruch genommen wird. e) Exaktes Zahlenmaterial aus allerneuester Zeit steht mir nicht zur Verfügung. Nach einer Zusammenstellung des UNHCR Berlin vom April 2000 hielten sich zu jenem Zeitpunkt noch 9.958 traumatisierte bosnische Flüchtlinge in Deutschland auf. In dieser Zahl sind auch die Familienangehörigen der Betroffenen bereits mitenthalten. Darü- wiesen, dass beispielsweise Österreich bei einer Gesamteinwohnerzahl von 8,2 Mio. Menschen 66.000 Bosniern ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht gewährt hat. In Schweden (Gesamteinwohnerzahl: 8,9 Mio.) haben 53.000 Bosnier ein Daueraufenthaltsrecht erhalten, in Dänemark (5,3 Mio.) 27.000 und in der Schweiz (7,3 Mio.) ca. 8.000 Menschen. 6.) Letztlich ist nicht zu übersehen, dass die Frage, ob Traumatisierung als Abschiebungshindernis akzeptiert wird, auch und gerade vom “guten Willen” der handelnden Sachbearbeiter bei den Ausländerbehörden oder der in Rechtsschutzverfahren entscheidenden Verwaltungsrichter abhängt. Wie diese “Entscheidungsträger” sich verhalten hängt wiederum nicht zuletzt davon ab, welchen Informationsstand sowohl zur medizinischen Diagnostik und Therapie, als auch zu den Behandlungsmöglichkeiten im Herkunftsstaat sie haben. Hieraus folgt, dass es sich jedenfalls lohnt, argumentativ “zu kämpfen”. Bloße Gefälligkeitsatteste “ohne klare” Diagnostik und Therapievorschläge, die auch eine zeitliche Dimension der Behandlung benennen, sind dabei selten hilfreich. Hingewiesen sei auf die “Grundsätze des Gesundheitsamtes Bremen” zur Begutachtung von Migranten nach § 53 Abs. 6 AuslG. 97 Geteilte Medizin Aachener Appell zur Bedeutung ärztlicher Gutachten für die Abschiebepraxis von Flüchtlingen Schirmherrschaft: Priv. Doz. Dr. phil. Thea Bauriedl, Prof. Dr. Horst Eberhard Richter I m Herbst 2000 wurde der Aachener Friedenspreisträger, Herr H. C., in die Türkei abgeschoben. Der Amtsarzt des Kreises Paderborn hatte ihn in einem Gutachten für reisefähig erklärt, obwohl psychiatrische Fachärzte ihm zuvor bescheinigt hatten, psychisch gefährdet und traumatisiert zu sein. Wir haben als Psychoanalytiker- und PsychotherapeutInnen, die über lange Erfahrung in ihrem Beruf verfügen, das Gutachten des Amtsarztes untersucht. Es stellte sich als fachlich und ethisch unzureichend heraus (Beispiele s.u.). Wir fordern daher eine erneute Begutachtung. 98 Abschiebunqen von Personen befürwortet werden, die zuvor von unabhängigen qualifizierten Vorgutachtern als gefährdet/ traumatisiert bezeichnet wurden und nach Rücksprache mit KollegInnen in ganz Deutschland, die ähnliche Erfahrungen mit berufsethisch kaum hinnehmbaren Gutachten gemacht haben, streben wir eine Verbesserung der Begutachtung von evtl. traumatisierten Migranten/Flüchtlingen an. Hierzu wollen wir zunächst bindende Gutachter-Richtlinien durchsetzen. Wünschen entgegenzukommen, frühzeitig und eindeutig entziehen müssen. Um uns offensiv gegen Fehlentwicklungen wenden zu können, bitten wir Sie um Unterstützung. Teilen sie uns Ihren Namen und Titel, e-Mail-Adresse mit. Aachen, im Februar 2001 Dr. med. Hans Wolfgang Gierlichs, Arzt für Innere und Psychotherapeutische Medizin, Psychoanalytiker, Hahner Str. 29, 52076 Aachen, Tel. (+49) 02408 5585 oder 5589 privat, Fax 02408 959375, , e-mail [email protected] Aus Sorge über eine Zunahme ärztlicher Gutachten, in denen Es erscheint uns wichtig, gerade in Deutschland daran zu erinnern, dass Ärzte zu Unabhängigkeit und Sorgfalt verpflichtet sind und sich der Tendenz, politischen Prothesen verweigert Altersfeststellung unmöglich Mit Leib und Seele Red. Das Sozialamt in Greiz (Thüringen) verweigert einem tschetschenischen Asylbewerber zwei Unterarmprothesen. Der Tschetschene hat im Krieg beide Unterarme verloren und ist beim Toilettengang, beim An- und Auskleiden sowie beim Essen auf Hilfe angewiesen. Da er aber durch Ehefrau und Mutter versorgt wird, ist das Sozialamt der Auffassung, dass „keine absolute Indikation zur Prothesenversorgung“ besteht. Das Sozialamt beruft sich dabei auf das AsylbLG, wonach Leistungen nur gewährt werden sollen, die bei Versagen zu weiteren Gesundheitsgefährdungen und störungen führen würden. (Quelle: taz vom 4.7.01) Red. Die Ärztekammer Hamburg hat in einem offenen Brief das Verfahren mit dem das Alter von Flüchtlingskindern bestimmt werden soll, die keine Papiere vorweisen können, für unzulänglich erklärt. Niemand könne das Alter von jungen Flüchtlingen sicher feststellen, die Untersuchung von Körpergröße, Bart- und Schamhaarwuchs sowie des Knochenund Zahnwachstums ließen keinen sicheren Schluß auf das Alter zu. Ähnliche Einwände hatte auch die Schweizerische Asylrekurskommission in einer Entscheidung im September 2000 erhoben. In Deutschland wird die ärztliche Analyse "zum Politikum, wenn bestimmt werden soll, ob der junge Flüchtling über 16 Jahre alt ist. Dann nämlich wird er im Asylverfahren wie ein Erwachsenener behandelt und bleibt ohne Recht auf juristischen Beistand und persönliche und pädagogische Betreuung." (taz 26.4.01) Unter dem Titel “Mit Leib und Seele – Lebensbedingungen und Behandlung traumatisierter Flüchtlinge” ist die Dokumentation der auch von PRO ASYL unterstützten Fachtagung der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer und Refugio erschienen, die im Oktober 2000 stattfand. Die Dokumentation enthält verschiedene Beiträge zur Bedeutung, Verarbeitung und Behandlung traumatischer Erfahrungen bei Flüchtlingen. Der Schwerpunkt liegt bei der Wiederherstellung von Körperlichkeit der Betroffenen im therapeutischen Prozess. Die Dokumentation ist kostenlos gegen Porto und Verpackung bei Refugio, Gothaer Straße 19, 28215 Bremen, Fax 0421-3760722, e-mail: [email protected]” zu bestellen. FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Asylbewerberleistungsgesetz Asylbewerberleistungsgesetz ALDI nimmt keine Gutscheine von Flüchtlingen mehr an P E d e r U m t a u s c h -II n i t i a t i v e H i l d e s h e i m v o m ? D er Billiganbieter ALDI nimmt ab heute keine Wertgutscheine von Flüchtlingen mehr an. Wie die Firma Accor bestätigte, kündigte ALDI zum 31.07. die Verträge. Accor wurde vom LK Hildesheim beauftragt, die Gutscheine zu drucken und mit den Geschäften abzurechnen. Für Flüchtlinge bedeutet der Ausstieg von ALDI, dass sie in Stadt und Landkreis Hildesheim kaum noch die Möglichkeit haben, in billigen Supermärkten einkaufen zu gehen, da die Gutscheine nur noch in einigen wenigen, zumeist teureren Geschäften akzeptiert werden. Mehrere Supermarktketten verweigern inzwischen die Annahme von Gutscheinen: PLUS stieg im Januar 01 aus dem Gutscheinsystem aus, bei HIT, LIDL, Netto und Marktkauf war ein Einkauf mit Gutscheinen noch nie möglich. Der Grund sind zumeist die hohen Kosten, die die Geschäfte an die Firma Accor für Verwaltung und Abrechnung bezahlen müssen: bis zu 5 % wird ihnen bei Einlösen des Gutscheins abgezogen. Hinzu kommt ein enormer bürokratischer Aufwand. Preisgünstiges Einkaufen wird Flüchtlingen durch das Gutscheinsystem massiv erschwert und ist in manchen Ortsteilen überhaupt nicht mehr möglich. In kleinen Gemeinden müssen Flüchtlinge oft kilometerweite Wege in Kauf nehmen, um überhaupt einen Laden zu finden, der Gutscheine akzeptiert. Vor dem Hintergrund, dass Flüchtlinge ohnehin nur abgesenkte Sozialleistungen erhalten, d.h. 25% weniger als Sozialhilfe, bedeutet gerade der Wegfall von Billiganbietern eine weitere gravierende Verschärfung ihrer ökonomischen Situation. Stadt und Landkreis Hildesheim mussten das Gutscheinsystem gegen ihren Willen im März 1999 auf Weisung des Landes Niedersachsen einführen. Stadt und Landkreis sollten nun den Ausstieg von Plus und Aldi aus dem Gutscheinsystem zum Anlass zu nehmen, beim Land Niedersachsen die Abschaffung der Gutscheine und eine Umstellung auf Bargeld zu fordern. Potsdam fordert Abschaffung von Gutscheinen E inen ersten ermutigenden und nachahmenswerten Schritt in Richtung Abschaffung von Gutscheinen machte die Stadt Potsdam. In einem Beschluss vom 4.7.01 fordert die Stadtverordnetenversammlung von Potsdam die Brandenburgische Landesregierung auf, "• den Runderlass zur Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes so zu ändern, dass die gesetzlichen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um die Gewährung von Geldleistungen zu ermöglichen, • eine Initiative zur bundesweiten Abschaffung des Sachleistungsprinzips in Gang zu bringen." Aus ihrer Begründung: "In vielen Beschlüssen hat sich die Stadt Potsdam dazu bekannt, einen aktiven Beitrag gegen Rechtsextremismus und Rassismus zu leisten. So beteiligt sich die Stadt u.a. an der "Aktion Noteingang", an "Potsdam bekennt Farbe" und "Kein Platz für Rassismus". 99 Asylbewerberleistungsgesetz Dieses Engagement darf sich nicht darauf beschränken, öffentlich rassistisch und rechtsextremistisch motivierte Übergriffe und Tendenzen zu verurteilen. Es bedarf auch der praktischen Unterstützung von Opfern rechter Gewalt und der Schaffung von Strukturen, die die soziale Stellung von Flüchtlingen in der Gesellschaft stärken und die Möglichkeiten für eine Integration verbessern. Die Ausgabe von Wertgutscheinen statt Bargeld diskriminiert Flüchtlinge. Da die Gutscheine nur in wenigen Geschäften, für bestimmte Mengen bestimmter Waren gelten, schränken sie Flüchtlinge in ihrem Lebensalltag erheblich ein. Die meisten Flüchtlinge sind jahrelang in Heimen außerhalb der Innenstädte untergebracht und verfügen über keine Arbeitserlaubnis. Die Beratung durch einen Rechtsanwalt oder der Besuch von Kulturveranstaltungen u.v.a. kann mit Wertgutscheinen nicht bezahlt werden und ist allein aus dem monatlichen Taschengeld (Erwachsene 80,-/Kinder 40,- DM) kaum zu finanzieren. Dadurch ist es für Flüchtlinge sehr schwer, ihre Rechte durchzusetzen und soziale Kontakte zur Gesellschaft außerhalb der Asylbewerberheime zu knüpfen. Diesen Nachteilen für die Flüchtlinge steht für die Stadt Potsdam nicht einmal ein erkennbarer Vorteil gegenüber. Vielmehr entstanden der Stadt Potsdam im Jahr 2000 Mehrkosten von 23.775,DM." Sozialhilfe für Firmenprofite Red. Die deutschen Marktführer bei der sozialen Ausgrenzung und Diskriminierung von Flüchtlingen mit Hilfe von "Sachleistungen" nach dem AsylbLG sind im Gutscheinbereich die französischen Großkonzerne "Accor" (Hotels weltweit: IBIS, Mercure u.a.) und "Sodexho". Beide Konzerne versuchen derzeit auch auf dem britischen Markt in die dort neue Gutscheinversorgung für Flüchtlinge einzusteigen. Sodexho wirbt bei Lebensmittelhändlern mit folgenden Worten: "Verpassen Sie nicht diese gewinnbringende Gelegenheit. ... Sie müssen kein Wechselgeld auszahlen, aber Sie werden den vollen Wert des Gutschein erhalten." Neben der Berliner Chipkarte liefert Sodexho auch Gutscheine an viele Sozialämter in Brandenburg und bundesweit. Die Berliner Chipkartenfirma "Infracard" wurde inzwischen teilweise oder ganz (?) vom Sodexho-Konzern übernommen. Sie liefert Chipkarten u.a. auch an das Sozialamt Osnabrück. Accor liefert Gutscheine an das Sozialamt Berlin-Neukölln, an das Sozialamt Hildesheim u.a.. In Frankreich ist Accor auch unmittelbar an Abschiebungen beteiligt. Zimmer der Hotelkette IBIS wurden an das französische Innenministerium vermietet, das diese als Wartezonen für Abschiebungen nutzt. Die Accor Wagons-Lits Travel reserviert Plätze in Zügen und Flugzeugen für Abschiebungen. Unterstützung bekam Accor vor kurzem von deutschen PolitikerInnen. Abgeordnete der CDU, SPD, FDP und PDS beteiligten sich am 17.6.01 an einer Werbekampagne der Accor Hotellerie Deutschland. Schirmherrin des ganzen war Kanzlergattin Doris Schröder-Kröpf. Der bundesweite Marktführer im Fresspaketebereich ist die bayerisch-thüringische Firma "Meigo" bzw. "Weigl". Die Firma ist bekannt durch konstant unzureichenden Wert (regelmäßig nur 60 % des Sollwerts des AsylbLG) sowie unzureichende und unproportionale Zusammensetzung (Mangelernährung) ihrer Pakete. Anpassung der Asylbewerberleistungen Red. Seit dem Inkrafttreten 1993 wurden die Beträge nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nicht mehr erhöht. Acht Jahre lang stiegen die allgemeinen Lebenshaltungskosten und mit ihnen Löhne, Gehälter und die sozialen Transferleistungen - nur AsylbewerberInnen erhielten keinen Pfennig mehr. 100 Dies ändert sich jetzt: Anlässlich der Erhöhung der Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz werden zu Beginn des Jahres 2002 nunmehr auch die Beträge nach dem Asylbewerberleistungsgesetz angepasst, verkünden die Grünen stolz. Wieviel das letztendlich ausmacht blieb offen. Nach wie vor wird es zu wenig sein. Eine Anpassung an die Preissteigerung von 1993 bis 2001 würde zum 1.1.2002 eine Erhöhung von deutlich über 10 % beinhalten, eine Anpassung an die Erhöhungen der Sozialhilfesätze seit 1993 eine Erhöhung um 8,8 %. FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Service Brief eines Flüchtlings an die Sozialämter in Eschede und Celle Sehr geehrte Damen und Herren, seit 9 Jahren sind wir in Deutschland. Wir haben einen Asylantrag gestellt. Jetzt haben wir seit über 3 Jahren den Duldungs-Status und warten auf eine Entscheidung über unseren Asylfolgeantrag. Seit über 4 Jahren bekommen wir unsere Sozialleistungen mit Wertgutscheinen ausbezahlt. In anderen niedersächischen Landkreisen erhalten Flüchtlinge, die seit über 3 Jahren in Deutschland sind, Bargeld, wie z.B. im Landkreis Hannover. Die gleiche Situation gibt es auch in anderen Gemeinden des Landkreises Celle, wie z.B. in Beedenbostel, Lachendorf usw.. In Eschede sind es nur 2 Einwohner, die länger als 3 Jahre in Deutschland leben und die immer noch Wertgutscheine erhalten. Mit den Wertgutscheinen wird sogar die Sozialhilfe gekürzt und die Preise in den Läden steigen. Es gibt Situationen, in denen man Lebensmittel kaufen muss, die teurer als in anderen Läden sind, weil man den Gutschein vollkriegen muss. Oftmals fahren wir nach Celle um einzukaufen, wir haben dabei Schwierigkeiten den Bus und die Zugfahrkarten zu bezahlen. Man kann keine Fahrkarten, Medikamente, Batterien für Hörgeräte mit Wertgutscheinen kaufen. Mit Wertgutscheinen fühlen wir uns diskriminiert. Service Erlasse Erlasse der BfA vom 19.2.2001 sowie vom 16.3.2001: Kindergeld für Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien und weitere Ausländer ohne Aufenthaltserlaubnis oder -berechtigung Alle aktuellen KG-Infos für Türkinnen und JugoslawInnen, darunter beide KG-Erlasse der Bundesanstalt für Arbeit aus 2001 sowie links zu den amtlichen KGAntragsformularen, zum amtlichen KG Merkblatt usw. sind unter folgender Internet-Adresse zum download online zusammengestellt: http://www.bndlg.de/~wplarre/kindergeld1-010316.htm Wer nicht über einen InternetAnschluss verfügt, kann sich die entsprechenden Unterlagen gegen Unkostenerstattung von der Geschäftsstelle schicken lassen. Erlass des MI vom 4.4.2001 betr. IRAK: Das MI teilt mit, dass “grundsätzlich die freiwillige Rückkehr von irakischen Staatsangehörigen über das Gebiet der Türkei nach Erteilung eines Transitvisums auch mit der Ausstellung eines deutschen Reisedokuments möglich” sei. Die Botschaft der Republik Türkei habe mitgeteilt, “dass für die Erteilung dieser Visa für Inhaber eines Reisedokuments die zentralen zuständigen Behörden in Ankara um entsprechende Genehmigung angesucht [?] werden können”. Soll damit eine Verweigerung von Leistungen nach §2 AsylbLG wegen einer angeblich bestehenden Möglichkeit zur “freiwilligen Rückkehr” begründet werden? Erlass vom 04.05.2001: Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG); Leistungen in besonderen Fällen gemäß §2 AsylbLG Der Erlass beinhaltet eine überfällige Revision des alten Erlasses vom 28.04.2000 zur Anwendung des §2 Abs. 1 AsylbLG, der vielfach auf Kritik stieß und durch verschiedene Verwaltungsgerichte sowie des OVG Lüneburg für rechtswidrig erklärt worden war. 101 Service Das MI gibt nunmehr seine bisherige Auffassung auf, wonach geduldete Flüchtlinge nur dann die Leistungen gem. §2 Abs. 1 AsylbLG (d.h. Leistungen analog BSHG in bar) erhalten können, wenn der Aufenthalt nach §55 Abs. 2 AuslG geduldet wird und die Tatbestandsvoraussetzungen des §30 Abs. 3 und 4 vorliegen. Mit dem neuen Erlass stellt das MI nunmehr klar: “Wenn die ausländerrechtliche Duldung aus humanitären, rechtlichen oder persönlichen Gründen oder wegen eines öffentlichen Interesses erteilt wurde, und eine Abschiebung deshalb nicht stattfindet, dürfte dies auch regelmäßig einer freiwilligen Ausreise entgegen stehen. In diesen Fällen ist davon auszugehen, dass die Ausreise nicht erfolgen kann, weil sie unzumutbar ist.” Wenn die Ausreise aus “tatsächlichen Gründen” nicht möglich ist, erfolgt dagegen keine Besserstellung, “es sei denn, es handelte sich zugleich auch um einen humanitären, persönlichen oder rechtlichen Grund (vgl. hierzu auch OVG Lüneburg, Beschluss vom 18.10.2000 [zu Afghanistan] sowie Beschluss vom 17.01.2001)” [betr. Roma aus dem Kosovo]. Beispielhaft zählt das MI Gründe auf, die zu einer leistungsrechtlichen Besserstellung führen können: Humanitäre und persönliche Gründe: Absehbare Beendigung einer medizin. Behandlung, absehbare Beendigung einer Schul- oder Berufsausbildung, unmittelbar bevorstehende Eheschließung, fortgeschrittene Schwangerschaft, vorübergehende Betreuung eines schwerkranken nahen Angehörigen. Öffentliches Interesse: Person wird als Zeuge benötigt, Staatsanwalt verweigert Einvernehmen zur Abschiebung, Petition mit aufschiebender Wirkung (wenn keine Gerichtsentscheidung vorliegt), Abschiebungsstopp 102 Rechtliche Gründe: Abschiebungshindernisse nach §§51,53 AuslG, Grundrechte, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; beachtliche Asylfolgeanträge; vorläufiger Rechtsschutz Nicht zu einer Besserstellung führen tatsächliche Gründe, wenn keine sonstigen Gründe vorliegen. Zu solchen Gründen zählt das MI z.B.: Unerreichbarkeit des Heimatlandes (keine Flugverbindungen); Reiseunfähigkeit; Ablehnung der Beförderung durch die Fluggesellschaft; fehlende Heimreisepapiere, gestaffelte Abschiebungen wegen fehlender Kapazitäten oder aus Rücksicht auf das Herkunftsland (Kosovo). Kosovo-Albaner/innen fallen in der Lesart des MI also nicht unter §2 AsylbLG. Anders verhält es sich jedoch bei Angehörigen ethnischer Minderheiten wie z.B. Roma. Ausdrücklich stellt das MI nunmehr fest, es stehe “hier mit der Rücksichtnahme auf die fehlende Sicherheit ein humanitärer Grund im Vordergrund, der auch einer freiwilligen Rückkehr entgegenstehen dürfte (so auch OVG Lüneburg, Beschluss vom 19.01.2001)”. Eine ausführliche Kritik des Erlasses von Bernd Tobiassen findet sich im “Informationsdienst Migrationsarbeit in Niedersachsen” Nr. 2/2001, Rundsendung Mai 2001, S. 10ff. Tobiassen weist auf einige kritische Punkte des Erlasses hin, beispielsweise den Ausschluss von AsylfolgeantragstellerInnen, solange über den Antrag auf Durchführung des Asylverfahrens noch nicht entschieden ist. Auch das Vorliegen von Reiseunfähigkeit kann womöglich auf eine schwere Krankheit verweisen, deren Berücksichtigung als humanitärer Grund für die Aussetzung der Abschiebung zu werten wäre. Passlosigkeit ist nicht nur ein tatsächliches Hindernis (so der 12. Senat des OVG Lüneburg, s. Beschluss vom 27.3.2001 - 12 MA 1012/01 -), sondern u.U. auch ein rechtlicher Grund, der einer Abschiebung oder freiwilligen Ausreise entgegensteht (so der 4. Senat des OVG Lüneburg am 28.8.2000 - 4 M 2854/00 -, Beschluss vom 08.02.2001 - 4 M 3889/00 -). Hier werden noch einige gerichtliche Klärungen erfolgen müssen. Für die Praxis wäre allerdings schon viel gewonnen, wenn die Regelungen dieses Erlasses vor Ort eingehalten würden: In vielen niedersächsischen Kommunen werden beispielsweise ganz selbstverständlich weiterhin Leistungskürzungen bei Roma-Flüchtlingen aus dem Kosovo vorgenommen. Erlass des MI vom 22.Mai 2001: Anordnung nach §32 AuslG zur Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen an erwerbstätige Flüchtlinge aus Bosnien und Herzegowina und der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien einschl. Kosovo und Montenegro) Gemäß dem Beschluss der Innenminister vom 10.05.2001 (Quelle: www.mi.sachsen-anhalt.de/imk/i_beschl_2001.htm) erhalten erwerbstätige ausreisepflichtige Staatsangehörige der o.g. Länder eine Aufenthaltsbefugnis, wenn sie sich mindestens seit dem 16.2.1995 ununterbrochen im Bundesgebiet aufhalten und seit mehr als 2 Jahren in einem dauerhaften Beschäftigungsverhältnis stehen. Die Familienangehörigen erhalten auch dann eine Befugnis, wenn sie erst nach dem 16.2.1995 eingereist sind oder bereits zurückgekehrt waren. Auch die mittlerweile volljährig gewordenen unverheirateten Kinder erhalten eine Aufenthaltsbefugnis, wenn “erkennbar ist, dass sie sich auf Grund ihrer bisherigen Ausbildung und Lebensweise dauerhaft integrieren werden”. Versagungsgründe sind Straffälligkeit und “vorsätzliche Hinauszögerung” von Abschiebungen. Flüchtlinge aus Jugoslawien, die vor dem 10.5.1936 geboren wurden und vor Vollendung ihres 65. Lebensjahrs zu FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Service ihren in Deutschland mit dauerhaftem Aufenthaltsrecht lebenden Verwandten eingereist sind, können eine Aufenthaltsbefugnis erhalten, sofern keine Sozialhilfeleistungen in Anspruch genommen werden. Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach dieser Regelung sind nur noch bis zum 30.09.2001 für Personen aus der Bundesrepublik Jugoslawien möglich! Für Flüchtlinge aus Bosnien und Herzegowina ist die Frist bereits am 30.06.2001 abgelaufen. Der Erlass ist - auch per e-mail bei der Geschäftsstelle abrufbar. Erlass des MI vom 23.05.2001: Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach §5 Nr. 10 der Arbeitsaufenthalteverordnung (AAV) an Berufssportlerinnen, sportler, -trainerinnen und -trainer Der Erlass regelt Visumsverfahren, Mindestgehalt und Sachbezüge, Mindestalter, Auflagen, Familiennachzug und Aufenthaltsverfestigung für den o.g. Personenkreis Erlass des MI vom 26.07.2001: Wiederaufnahme der Rückführungen in die Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) Das MI teilt mit, dass Abschiebungen nach Jugoslawien grundsätzlich wieder möglich sind. Grundlage hierfür ist vor- läufig noch das Rückübernahmeabkommen aus dem Jahre 1996 mit einigen Modifikationen, die Ergebnis einer neuen Runde deutsch-jugoslawischer Gespräche zu Fragen der Rückführung und Rückübernahme ausreisepflichtiger deutscher und jugoslawischer Staatsangehöriger sind, die vom 19. bis 20. Juni 2001 in Berlin stattgefunden hat. Jugoslawische Staatsangehörige mit noch gültigen blauen jugoslawischen Pässen können ohne spezielles Rücknahmeersuchen zurückgeführt werden. In Fällen, in denen eine Rückübernahmezusage bereits vorliegt (aus der Zeit vor Beginn des Flugembargos), gibt es nur noch ein auf möglichst 7 Tage verkürztes Prüfungsverfahren durch die diplomatisch-konsularischen Vertretungen. Rückführungen können künftig mit deutschen und jugoslawischen Verkehrsunternehmen, mit Charter- und Linienflügen, mit und ohne Begleitung erfolgen. Vor dem Flugembargo hatte das Monopol hierfür die jugoslawische Fluggesellschaft JAT. Bei einer weiteren Gesprächsrunde bereits im August/September 2001 in Belgrad soll ein neues Rückübernahmeabkommen abgeschlossen werden. “Im Rahmen dieser Gespräche soll auch der Frage näher getreten werden, ob Angehörige ethnischer Minderheiten aus dem Kosovo auch in das übrige Gebiet der Bundesrepublik Jugoslawien zurückgeführt werden können.” (aus dem Erlass des MI) Lageberichte des Auswärtigen Amtes Berichte des Auswärtigen Amtes über die asylund abschieberelevante Lage in einzelnen Ländern (Lageberichte): Das MI weist darauf hin, dass eine freiwillige Rückkehr “nach wie vor” Vorrang vor Zwangsmaßnahmen haben sollte. Bis zum 31.12.2001 würden nach Maßgabe des Erlasses vom 07.12.2000 zusätzliche Fördermittel nach GARP bereitgestellt. Die Rückreise könnte auch auf dem Landweg erfolgen. Duldungen seien aufgrund des zu erwartenden Zeitbedarfs für eine erforderliche Erklärung der “Rückübernahmebereitschaft” durch die jugoslawischen Stellen angemessen zu verlängern, ein Abschiebungstermin sei grundsätzlich anzukündigen. Vorrangig sollten Straftäter und Flüchtlinge abgeschoben werden, für die bereits eine Rückübernahmezusage vorliegt. Vor jeder Abschiebung sei zu prüfen, ob rechtliche oder tatsächliche Abschiebungshindernisse vorliegen. Für Flüchtlinge, die bis 1992 nach altem Recht ihr Asylverfahren durchlaufen haben, ist für die Prüfung von zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG die Ausländerbehörde und nicht das Bundesamt zuständig. Die abgestimmte Niederschrift der deutsch-jugoslawischen Rückführungsgespräche im Wortlaut kann von der homepage von PRO ASYL (Info-Dienst Asyl Nr. 51) runtergeladen werden. Der vollständige Erlass ist auch als Email - über den Flüchtlingsrat beziehbar. Äthiopien 11/2000, Afghanistan 4/2001, Albanien 4/2001, Angola 5/2001, Armenien 4/2001, Aserbaidschan 5/2001, Bangladesch 4/2001, Georgien 4/2001, Indien 3/2000, Irak 2/2001, Iran 4/2001, Jemen 4/2001, Jugoslawien 5/2001, Kongo 3/2001, Mazedonien 6/2001 und ad-hoc-Bericht 26.4.20001,Nigeria 12/2000, Russ. Föderation (Tschetschenien) 4/2001, Sri Lanka 3/2001, Sudan 4/2001, Syrien 2/2001, Togo 4/2001, Türkei 7/2001, Weissrussland (Belorus) 4/2001, Bezug über Nds. Flüchtlingsrat 103 Service Material, Veranstaltungen, Aktionen Dokumentation "Reden über sexuelle Folter kann strafbar sein - Gerichtsverfahren in der Türkei" vom Feministischen Archiv e.V. (Freiburg) und dem Frauenrechtsbüro gegen sexuelle Folter e.V. (Berlin) über ein Verfahren vor dem Istanbuler Strafgericht. Dort sind 18 Frauen und ein Mann angeklagt, den türkischen Staat und die Sicherheitsorgane verunglimpft und verleumdet zu haben. Vorgeworfen wird ihnen, im Juni 2000 einen Kongress zum Thema sexuelle Folter organisiert, dort als Betroffene berichtet, im Namen von Betroffenen gesprochen oder als Rechtsanwältinnen deren Interessen vertreten zu haben. Die Anklageschrift, ein Bericht über den Prozessbeginn und Interviews mit mehreren Angeklagten finden sich in der Dokumentation, die zum Preis von DM 6,- pro Exemplar zu bestellen ist bei: Feministisches Archiv e.V., Adlerstraße 12, 79098 Freiburg, e-mail: [email protected]" http://www.mediensyndikat.de/ prozess/content02.htm iz3w - Sonderheft (September 2001): Gegenverkehr Soziale Bewegungen im globalen Kapitalismus Nicht nur die Demonstrationen von Seattle, Göteborg oder Genua zeigen es: Soziale Bewegungen sind wieder zu einer wichtigen politischen Kraft geworden. Der Protest gegen die globale Durchsetzung der kapitalistischen Ökonomie und die damit verbundene Marginalisierung großer Bevölkerungsgruppen in Nord wie Süd hat ganz unterschiedliche Formen angenommen. Das Sonderheft fragt nach den Gründen für die erneute Attraktivität sozialer Bewegungen, präsentiert Beispiele aus verschiedenen Ländern und 104 diskutiert die jeweiligen politischen Ansätze. Für 10 DM oder 5 Euro zu bestellen bei: iz3w, Postfach 5328, 79020 Freiburg, Tel: 0761-74003, Fax: 0761-709866, email: [email protected], Internet: www.iz3w.org "Willkommen in Deutschland - Entwicklung des Ausländerund Asylrechts in der BRD" Broschüre von Tine Beck, Heide Meyer und Susanne Klauke; zu beziehen bei: edition bodoni, linienstr. 65, 10119 Berlin [email protected] Traumatisierte Flüchtlinge. Zwischen Vergangenheit und Zukunft - Bosnische Bürgerkriegsflüchtlinge in Deutschland. DIM-Net-Schriftenreihe 1. Zu Beziehen bei: DIM-Net e.V., Nonnenstrombergstr. 55, 53757 Sankt Augustin, Tel.: 02241/931621, Fax: 02241/931622; e-mail: [email protected], Internet: www.dim-net.de Broschüre "Angola: Öl, Diamanten, ... Krieg" Die von Connection e.V. herausgegebene Broschüre berichtet umfangreich über den Krieg in Angola und über die Unterstützung der Kriegsparteien durch die Industrieländer. Ein besonderer Schwerpunkt wurde auf Berichte über Aktivitäten gegen den Krieg gelegt. So kommen verschieden Personen und Gruppen aus Angola zu Wort. Der in Berlin lebende Emanuel Matondo von der selbstorganisierten Angolanischen Antimilitaristischen Menschenrechtsinitiative berichtet über Desertion und Kriegsdienstverweigerung. Ergänzt wird dies durch Beiträge zur Flüchtlingspolitik in Deutschland. Connection e.V. hat diese Broschüre im Zusammenhang mit einer Kampagne für angolanische Kriegsdienstverweigerer herausgegeben. Nähere Informationen dazu im Internet: www.Connection-eV.de oder per Post: Connection e.V., Gerberstr.5, 63065 Offenbach, Tel.: 06982375534, Fax: 069-82375535, email: [email protected]. Dort kann auch die Broschüre für 5 DM + Porto bezogen werden. invisible walls - provinzielle Antiflüchtlingspolitik Der Reader der "Projektgruppe Flucht und Migration im neuen Europa" an der Uni Oldenburg setzt sich mit den Themen Lagerpolitik und "Innere Sicherheit"/Soziale Ausgrenzung auseinander, dabei wird insbesondere die Situation in Oldenburg beleuchtet. Der Reader kostet 5 DM und ist zu beziehen bei: Projekt F & M, c/o Asta, Uhlhornsweg 49-55, 26111 Oldenburg Der Rundbrief des Flüchtlingsrat NRW vom Juni 2001 hat das Thema "Demokratische Republik Kongo" als Schwerpunkt. Zu Beziehen beim Verein zur Förderung der Flüchtlingsarbeit in NRW e.V., Postfach 1229, 48233 Dülmen, Tel.: 02594-98 6 43, Fax: 0 25 94 - 98 6 98, mail: [email protected], home: www.fluechtlingsrat.de Ratgeber für Asylberechtigte und Konventionsflüchtlinge 2. völlig überarbeitete Auflage vom Juli 2001, ISBN 3-93400406-7 Hrsg.: Info-Verbund Asyl/ZDWF e.V. Fax: 02284221130, e-mail: [email protected]; Verlag und Vertrieb: IBIS e.V., Alexanderstr. 48, 26121 Oldenburg, Tel.: 0441-88 40 16, Fax: 0441- 9 84 96 06, e-mail: [email protected] Am 30.03.2001 hat die Interkulturelle Bühne Frankfurt das Theaterstück "Regenblume" uraufgeführt. In "Regenblume" FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Service wird geschildert, welche Furcht und Einsamkeit gefolterte Menschen auch noch im nachhinein erleben. Gerade für gefolterte Frauen ist es sehr oft schwer über ihre Erfahrung und Demütigung zu sprechen. "Regenblume" ist eine wahre Geschichte einer Frau die Aufführung in verschiedenen Sprachen löst die Geschichte vom Hintergrund einer bestimmten Gesellschaft oder Kultur. Es werden Gruppen oder Einzelpersonen gesucht, die bereit sind, in ihrer Stadt einen Auftritt für "Regenblume" bis etwa Dezember 2001 zu organisieren. Das Theaterstück selbst benötigt nur sehr wenig Platz, da es von nur einer Schauspielerin gespielt wird. Nach den Aufführungen können Diskussionen mit der Schauspielerin und dem Regisseur geführt werden, so daß auch noch die Themen Flucht, Asyl und frauenspezifische Fluchtgründe berührt werden können. AnsprechpartnerIn für die Planung ist Terre des femmes, Sabine Hensel, Referat Frauenrechte in islamischen Gesellschaften, Konrad-Adenauer-Str. 40, 72072 Tübingen, Tel.: 07071/79 73-0, Fax -22, e-mail: [email protected] Ausstellungen • Labyrinth Europa - Clandestino illegal Thema: Einwanderer ohne Papiere in Europa • Labyrinth Fluchtweg Thema: Migration, Flucht und Bleiberecht Die Erlebnisausstellungen nehmen die BesucherInnen mit auf den Weg, versetzen sie in eine fremde Rolle. Dieser Perspektivenwechsel führt zu einer ganz neuen Sichtweise. Besonders junge Leute sprechen diese multimedialen Ausstellungen an. Eingebaut in GroßraumTrucks sind sie sehr flexibel und immer ein Medienereignis für Aktionswochen und Projekttage. Ausleihe und Vorabinformation gibt's beim VNB, dem Bildungswerk der niedersächsichen NROs: Bahnhofstr. 16, 49406 Barnstorf, Fon 05442-991027, Fax 05442-2241, e-mail: [email protected] , Internet: www. vnb-barnstorf.de und www.CLANDESTINO-ILLEGAL.de CD-ROM "Infonetz Asyl 2000" (Hg. PRO ASYL), Neuausgabe kann ab sofort bei PRO ASYL für 10 DM, zzgl. Versandkosten bestellt werden. Die CDROM enthält eine Vielzahl von Dokumenten und erläuternden Kurztexten zu Flüchtlingsthemen und eine komfortable Suchmaschine. Die enthaltenen Dokumente (einschließlich der des Jahrgangs 1999) können mit jedem html-Browser bzw. dem Adobe Acrobat-Reader gelesen werden. Pro Asyl, Postfach 16 06 24 in 60069 Frankfurt/M., Tel.: 069 23 06 88 oder im Internet www.proasyl.de Deportation-class-Kinospot Am 28.5.1999 stirbt der sudanesische Flüchtling Aamir Ageeb an Bord des Lufthansa-Fluges LH 558 an den Mißhandlungen der begleitenden Bundesgrenzschutz-Beamten. Er ist nicht das erste Todesopfer auf einem Lufthansa-Flug. Im August 1994 starb der Nigerianer Kola Bankole - gefesselt, geknebelt und "medikamentös ruhiggestellt". Konsequenzen für die BGS-Beamten: bisher keine. Und auch die Lufthansa ist mit rund der Hälfte aller Abschiebungen weiterhin der treueste Handlanger dieser tödlichen Abschiebepraxis. Dagegen richtet sich die deportation-class-Kampagne von kein mensch ist illegal. Um den Kino-Spot einer möglichst breiten Öffentlichkeit zu zeigen, macht es Sinn, die örtlichen Kinos anzusprechen. Viele sind bereit, diesen und ähnliche Spots (kostenlos) in den Werbeblock aufzunehmen, wenn sie nett gefragt werden. Die Kosten für die 35-mm-Kopien müssen die Gruppen jedoch selbst aufbringen. Begleitend zum KinoSpot gibt's eine Postkarte / einen Aufkleber, ebenfalls über obige mail-Adresse zu bestellen (100 Stück = 20.- DM). Kurzvideo: Erste Kommentare von Flüchtlingen zum SchilyEntwurf "Flüchtlinge sind die Bauernopfer" - so der Kommentar von Pro Asyl auf den Schily-Entwurf für ein Zuwanderungsgesetz. Ein Kurzvideo mit ersten Stellungnahmen von Flüchtlingen der Flüchtlingsinitiative Brandenburg zum Gesetz bei Umbruch-Bildarchiv. Weiteres: http://www.umbruch-bildarchiv.de/video/gesetze/schilyentwurf.html Eine Bildernachlese zum Grenzcamp 2001 in Frankfurt bei Umbruch-Bildarchiv Weiteres: http://www.umbruchbildarchiv.de/bildarchiv/ereignis/grenzcamp2001.html Bilder von u.a. antirassistischen Aktionen gibt es im Internet unter www.arbeiterfotografie.com Der 50-Sekunden-Kino-Spot ist in verschiedenen Formaten über [email protected] zu bestellen: VHS-Kopie 20.- DM, SVHS-Kopie 25.- DM, 35-mm-Kino-Kopie 100.- DM Ask your local cinema: 105 Service Mitglieder 106 FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 80/81, Oktober 2001 Materialliste Niedersächsischer Flüchtlingsrat 1996 FLÜCHTLINGSRAT Ausgabe 31/32 (Heimliche Menschen - Illegalisierte Flüchtlinge) 6,00 DM 2,00 DM FLÜCHTLINGSRAT Ausgabe 38/39 (Flüchtlingsalltag und Flüchtlingsarbeit in Niedersachsen) „Katalog zur Ausstellung mit Texten zu Migration, Rassismus und Flüchtlingsarbeit sowie 48 Bilddokumenten“ 1997 FLÜCHTLINGSRAT Ausgabe 41 (Festung Europa - Ausländerrecht - „Rückführung“) 4,00 DM FLÜCHTLINGSRAT Ausgabe 42/43 (Bürgerkriegsflüchtlinge - Bosnien - Kosovo) vergriffen FLÜCHTLINGSRAT Ausgabe 44/45 (Kurdenverfolgung - Kirchenasyl - Härtefallregelung) vergriffen FLÜCHTLINGSRAT Ausgabe 46/47 (AVE MARIA für die Menschlichkeit) „Kirchenasyl“ vergriffen FLÜCHTLINGSRAT Ausgabe 48/49 (Kein Mensch ist illegal) Bilanz der nds. Flüchtlings-Sozialpolitik 1997 vergriffen 1998 FLÜCHTLINGSRAT Ausgabe 50 (Forderungen an die neue Landesregierung) vergriffen FLÜCHTLINGSRAT Ausgabe 51 (Kriegsdienstverweigerung und Asyl in Europa) 4,00 DM FLÜCHTLINGSRAT Ausgabe 52 (Rassismus und Strategien gegen Rassismus) vergriffen FLÜCHTLINGSRAT Ausgabe 53/54 (Einmal Folter und zurück) 6,00 DM FLÜCHTLINGSRAT Ausgabe 55 (Die Grenze) „Flüchtlingsjagd in Schengenland“ 8,00 DM FLÜCHTLINGSRAT Ausgabe 56/57 (20 DM für Kirchenasyl !?) 6,00 DM 1999 FLÜCHTLINGSRAT Ausgabe 58 (Ausländerrecht) Grundlagen für die Praxis 6,00 DM FLÜCHTLINGSRAT Ausgabe 59 (Das Leistungsrecht) Grundlagen für die Praxis 6,00 DM FLÜCHTLINGSRAT Ausgabe 60/61 (Grenzen auf für Flüchtlinge) vergriffen FLÜCHTLINGSRAT Ausgabe 62 (Die soziale und rechtliche Situation von Flüchtlingen) 6,00 DM FLÜCHTLINGSRAT Ausgabe 63 (Reise in den Tod) 4,00 DM FLÜCHTLINGSRAT Ausgabe 64/65 (JAHRTAUSENDWENDE) 6,00 DM 2000 FLÜCHTLINGSRAT Ausgabe 66 (Leitfaden für Flüchtlinge) (Kopie des vergriffenen Originals) 10,00 DM FLÜCHTLINGSRAT Ausgabe 67 (Anhörung zum Asylbewerberleistungsgesetz in Niedersachsen) 6,00 DM FLÜCHTLINGSRAT Ausgabe 68 (Geteilte Medizin) vergriffen FLÜCHTLINGSRAT Ausgabe 69/70 (Debatten: Rassismus - Asyl - Einwanderung) 6,00 DM FLÜCHTLINGSRAT Ausgabe 71/72 (Bestandsaufnahme: Flüchtlinge in Niedersachsen) 6,00 DM FLÜCHTLINGSRAT Ausgabe 73 (Leit-/Leidkultur) 4,00 DM 2001 FLÜCHTLINGSRAT Ausgabe 74 (Migrationsarbeit - Flüchtlingssozialarbeit) 12,00 DM FLÜCHTLINGSRAT Ausgabe 75/76 (Modernes Migrationsregime - Umkämfte (T)Räume) 12,00 DM FLÜCHTLINGSRAT Ausgabe 77 (Turkey and Refugees) 12,00 DM FLÜCHTLINGSRAT Ausgabe 78/79 (Staatenlose KurdInnen aus dem Libanon) (Kopie des vergriffenen Originals) 10,00 DM Dreierpack: FLÜCHTLINGSRAT Ausgaben 58, 59 und 62 15,00 DM Sechserpack: FLÜCHTLINGSRAT Ausgaben 41, 56/57, 63, 64/65, 69/70 und 73 20,00 DM 107 Schon in der Mailingliste? Wir sind dabei eine Mailingliste aufzubauen, über die wir Aktuelles wie Presseerklärungen, Aufrufe, Dokumente etc. verschicken. Wer in die Mailingliste aufgenommen werden möchte schicke bitte eine e-mail an [email protected] mit dem Vermerk mailingliste. Bestellbare Materialien Folgende Materialien können als Datei- oder Papierversion (mit Kopier- und Portokosten) unter Angabe der Nummer bei der Geschäftsstelle bestellt werden ([email protected] oder Tel.:05121-15605): 80.1. Schilys Entwurf eines Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung (ZuwG) 80.2. Begründung zum Zuwanderungsgesetzesentwurf 80.3. Teil II der Stellungnahme von Pro Asyl: Anmerkungen zum Referentenentwurf des Zuwanderungsgesetzes von Hubert Heinhold 80.4. Erlass des nds. MI zur Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen an erwerbstätige Flüchtlinge aus Bosnien und Herzegowina und der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien einschl. Kosovo und Montenegro) vom 22. Mai 2001 80.5. Erlass des nds. MI vom 26.7.01: Wiederaufnahme der Rückführungen in die Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) 80.6. Protokoll einer BGS-Kontrolle im Intercity 80.7. Delegationsbericht des IPPNW 80.8. Stellungnahme des Flüchtlingsrats zu den Integrationskonzepten von Bündnis 90/ Die Grünen und der CDU 80.9. Situation in Liberia. Informationen vom UNHCR, Africa News Online und allAfrica.com 80.10. Abschlusserklärung der Konferenz "Papiere jetzt!" am 23.6.01 in Bochum 80.11. Merkblatt für ärztli. Bescheinigungen oder Gutachten 80.12. PE zum Verfahren gegen das südbadische Aktionsbündnis gegen Abschiebungen wegen angeblichen Verstosses gegen das Rechtsberatungsgesetzes Neue e-mail-Adressen des Flüchtlingsrats [email protected] für Gutscheinumtausch-Initiativen [email protected] für Abrechnungen, Formalia, Verwaltungsfragen [email protected] für Bestellungen des Rundbriefs oder anderer Veröffentlichungen [email protected] für Post an den Vorstand [email protected] für fachliche Beratung [email protected] für alle den Rundbrief betreffenden Anfragen, Artikel, Kommentare, etc. [email protected] für alles, was mit dem Türkei-Projekt zusammenhängt [email protected] für unspezifische Sachen und alles, was sonst nicht ankommt Zu den per mail erreichbaren MitarbeiterInnen des Flüchtlingsrats zählen: Kai Weber, Geschäftsführung [email protected] Seyit Gül, Türkei-Projekt [email protected] Claudia Gayer, Türkei-Projekt [email protected] Annli von Alvensleben, Türkei-Projekt [email protected] Dietmar Lousée, Verwaltung [email protected] Edith Diewald, Rundbrief-Redaktion [email protected] Vorstand des Fördervereins Nds. Flüchtlingsrat Norbert Grehl-Schmitt, Mitarbeiter im Caritasverband Diözese Osnabrück [email protected] Anke Egblomassé, Mitarbeiterin des Vereins Nds. Bildungsinitiativen [email protected] Dr. Matthias Lange, Mitarbeiter der Stadt Göttingen [email protected] Dr. Gisela Penteker, Ärztin und Delegierte im AK Flüchtlinge des IPPNW [email protected] Dündar Kelloglu, Rechtsanwalt [email protected] Weitere redaktionelle Mitarbeiterin des Rundbriefs: Bettina Stang, Journalistin [email protected] Die Mitglieder der Ausländerkommission: Ziad El Salhat, Flüchtlingshilfe Wolfsburg Dündar Kelloglu, Rechtsanwalt [email protected] [email protected] Vertreterin in der Landeesmedienkommission ist: Graziella Boaro-Titze [email protected] Die Homepage des Flüchtlingsrats betreut: Klaus Thorn Homepage des Flüchtlingsrats: [email protected] www.nds-fluerat.org