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JAN W EIL ER M EIN LE BEN AL S M EN SCH FOL GE 95 Meine Schreibsklaven M anchmal fragen mich die Leute, wie ich das ganze Pensum eigentlich schaffe: Die Lesungen, Romane, Hörspiele und dazu noch jede Woche diese Kolumne hier. Es sei ja geradezu unmenschlich, finden sie und daraus spricht eine gewisse Bewunderung, die mir sehr schmeichelt, denn sie lässt mich als fleißig erscheinen. Und die Deutschen mögen nichts lieber als Fleiß, Tugend Nummer eins. Kombiniert man sie mit weißen Zähnen, kann man in diesem Land alles erreichen, das ist das Erfolgsrezept von Dieter Bohlen. Nachdem ich nun gerade gestern wieder einmal gefragt wurde, wie ich denn bloß diese Vielzahl von Aufgaben bewältige, halte ich es heute für meine Pflicht, mit diesem FleißMissverständnis ein für alle mal aufzuräumen. Tatsache ist: Ich schreibe gar nichts. Ich lasse schreiben. Im Süden von München habe ich eine zugige Scheune angemietet, in der je nach Auftragslage zwischen 12 und 25 schlecht bezahlte Lohnschreiberinnen und Lohnschreiber für mich schuften. Sie sitzen jeweils zu zweit an einem Tisch und brüten den lieben langen Tag an Kolumnen, Hörspielen, Romanen, Drehbüchern, Gebrauchsanweisungen, Packungsbeilagen und Grußkarten, die anschließend in meinem Namen an Auftraggeber in ganz Deutschland verschickt werden. Für die Spezialdisziplinen beschäftige ich Fachkräfte, zum Beispiel eine pensionierte Deutschlehrerin, die für mich Leserbriefe an Programmzeitschriften verfasst und einen Nürnberger Polizisten, der im Nebenerwerb drei Mal die Woche versaute Witze für mich erfindet sowie einen früher investigativ tätigen Journalisten aus Hamburg, der nach einem Spesenbetrug keine Anstellung mehr fand und nun für mich allerhand Blödsinniges im Internet googelt. Heute schickte er eine Notiz, der zufolge ein deutscher Mann täglich 178 Gramm Brot esse (Frauen: 133 Gramm), im Jahr seien das knapp 65 Kilo. Aha. Soso. Meine eigene Arbeit besteht nur noch darin, dass ich mittags reinkomme und die Ergebnisse kontrolliere. Dann müssen meine Schreiberchen ausdrucken was sie haben und sich in einer Reihe anstellen. Ich überfliege ihre Texte und schmiere mit meinem Filzstift darin herum. „Nochmal!“ schreibe ich rein, oder „was soll das?“ oder „Idee gut, Ausführung dürftig.“ Aber ich kann auch loben, das motiviert meine Kräfte. Allerdings sollte man damit haushalten, sonst machen die sich selbständig und schreiben auf eigene Rechnung. Oder sie werden abgeworben von einem Kollegen. Harald Martenstein ist zum Beispiel Herr über einen Getreidespeicher in Hamburg, wo mehr als ein Dutzend kleine Martensteine tagein tagaus bei kargem Lohn tippen bis die Tastaturen glühen. Axel Hackes Mannschaft sitzt in einer Kaserne in Schwabing, Hans Zippert lässt in einer stillgelegten Fabrik bei Frankfurt im Akkord schuften. Er gilt als besonders harter Hund. Einer seiner ausgemergelten Sklaven, studierter Philosoph und sehr sauber, bewarb sich einmal bei mir und behauptete, Zippert würde nicht einmal heizen im Winter, man habe für ein kleines bisschen Wärme die Füße auf den Drucker stellen müssen. Die Knochenmühle des deutschen Kolumnenwesens sei das gewesen. Ansonsten kann und möchte ich über die Arbeitsbedingungen in den Manufakturen der Kollegen nichts sagen. Ist mir auch egal. Ich behandele meine Angestellten anständig. Es gibt ein kleines Grundgehalt und Zeilengeld für alles, was veröffentlicht wird. Natürlich dauert das immer seine Zeit, denn gerade neue und junge Autoren müssen zunächst den richtigen Sound finden und damit vergeht schon mal ein halbes Jährchen, in denen Schmalhans Küchenmeister ist. Ich selbst schreibe nur noch Rechnungen und Kündigungen. Heute habe ich wieder so einen Fehleinkauf vor die Tür gesetzt, einen Blogger aus Berlin, digitale Boheme, dass ich nicht lache. Nur gemeckert hat der und er wollte im Café arbeiten. Wo kommen wir da hin? Neinnein, meine Leute sitzen schön in der Scheune beisammen. Immerhin bin ich wie der Herr Grupp von Trigema einer von jenen Industriellen, die nur und ausschließlich in Deutschland fertigen lassen. Ich hatte auch mal einen Betrieb in Österreich, das kostete weniger Geld, aber die Ergebnisse waren von unverkäuflicher Melancholie und zudem durchsetzt mit alpenländischen Idiomen, die ich hernach mühsam wieder beseitigen musste. Und dafür habe ich echt keine Zeit.• 5. FEBRUAR 2009