Argentinien: Hoffnungen auf einen Turnaround

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Argentinien: Hoffnungen auf einen Turnaround
03 | 2015
24.11.2015
Argentinien: Hoffnungen auf
einen Turnaround
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24.11.2015
Verfehlte Wirtschaftspolitik
Vor sechzig Jahren war Argentinien eines der
reichsten Länder der Erde, vergleichbar damals mit
Kanada, Australien und den USA. Heute ist der
südlichste Staat der Erde zwar nicht arm, aber im
internationalen Vergleich weit zurückgefallen. Finanz- und Wirtschaftskrisen plagen das Land seit
Jahrzehnten. Die Wirtschaftspolitik der Regierung
Kirchner scheint gescheitert. Der Wahlsieg des
liberal-konservativen Parteienbündnisses „Cambiemos“ – auf Deutsch „Auf zum Wechsel“ läutet
möglicherweise das Ende des Peronismus in Argentinien ein.
Importsubstitution: Eine unselige
Tradition
Protektionismus hat in Argentinien eine lange Tradition und wurde von vielen Regierungen seit
Perón immer wieder als „ultima ratio“ zur Stärkung
bzw. Rettung der heimischen Wirtschaft, insbesondere der Industrie- und Agrarproduktion, gesehen.
Langfristig beeinträchtigt ein solches Wirtschaftsmodell die Wettbewerbsfähigkeit, weil der Innovationsdruck fehlt. Zwar gab es zwischen 1990 und
2009 eine Periode liberaler Wirtschaftspolitik –
diese hat die Regierung von Cristina Kirchner aber
beendet. Heute ist Argentinien eines der am stärksten protektionistischen Länder der Erde. Der Import
von Waren ist mit mannigfaltigen Schwierigkeiten
verbunden. So können Zahlungen für Importe wegen der immer strengeren Devisenbewirtschaftung
nur unter großen Schwierigkeiten geleistet werden.
Darunter leidet sowohl die Produktivität argentinischer Unternehmen als auch das Vertrauen der
deutschen Importeure.
Kein Zugang zu den Kapitalmärkten
wegen ungeklärter Staatsschulden
Argentinien leidet heute noch unter den Nachwirkungen eines Staatsbankrotts aus dem Jahr 2001.
Das Land konnte damals die Verbindlichkeiten aus
seinen Staatsanleihen nicht mehr bedienen.
In der Folge gab es eine Einigung mit 93 % der
Gläubiger über eine teilweise Rückzahlung unter
Minderung des Nominalwerts um 65 %. Dieser
Zahlungsverpflichtung kommt Argentinien nach.
Einige Gläubiger haben sich allerdings dieser Einigung verweigert und bei US-Gerichten im Jahr
2014 ihren Anspruch auf 100 % des Nominalwerts
durchgesetzt. Die noch amtierende Regierung
Kirchner weigert sich, dieses Urteil anzuerkennen
und diese Zahlungen auszuführen. Argentinien ist
deshalb weitestgehend von internationalen Kapitalmärkten abgeschnitten.
Das Ende des „Kirchnerismo“
Der sogenannte „Kirchnerismo“ zog seinen Erfolg
bei der Mehrheit der Bevölkerung Argentiniens vor
allem aus einer großangelegten Umverteilungspolitik von oben nach unten. Das bedeutete unter anderem die Finanzierung umfangreicher Sozialprogramme zur Armutsbekämpfung. Dies geschieht
jedoch über die eigentliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Staates hinaus – ähnlich wie in
den befreundeten Staaten Ecuador und Brasilien.
Der überraschende Wahlgewinner Mauricio Macri
wird mit hoher Wahrscheinlichkeit einen wirtschaftspolitisch liberaleren Kurs einschlagen als
seine Vorgängerin Cristina Kirchner, wenngleich er
nach eigener Aussage an den Grundpfeilern des
sozialen Ausgleichs nicht rütteln möchte. Das mag
auch vor dem Hintergrund der linken parlamentarischen Mehrheit taktische Vorsicht sein – diese
hatte bereits zusammen mit den Gewerkschaften
Widerstand gegen etwaige Sozialkürzungen angekündigt.
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Neuer Weg in Sicht?
Die neue Regierung ist gut beraten, das Land für
Investoren zu öffnen und verspieltes Vertrauen
zurückzugewinnen. Dazu gehört eine möglichst
schnelle Aufhebung der Devisenbewirtschaftung
verbunden mit transparenten Regeln für Importe,
Exporte und Investitionen. Psychologisch wichtig
ist zudem eine schnelle und tragfähige Lösung der
Staatsschulden-Krise auf dem Verhandlungswege.
Rechtssicherheit ist zudem von entscheidender
Bedeutung. Viele deutsche Unternehmen klagen
über das Risiko staatlicher Eingriffe in ihr unternehmerisches Handeln. Diese reichten in Einzelfällen bis zur Enteignung.
Öffnung mit Vorsicht
Für einen tatsächlichen Turnaround ist die strategische Einbindung Argentiniens in das Geflecht internationaler Handelsabkommen unerlässlich. Argentinien ist nach Brasilien das zweitgrößte Mitglied des Mercosur, der aber auf dem Weg der
globalen wirtschaftlichen Integration nicht recht
vorankommt – auch wegen der ablehnenden Haltung Argentiniens. Die neue Regierung sollte in
einem ersten Schritt innerhalb des Wirtschaftsbündnisses eine größere Bereitschaft zur Öffnung
signalisieren. Das würde dem Mercosur bei internationalen Wirtschaftsverhandlungen deutlich mehr
Spielraum ermöglichen.
chen. Dazu gehören neben einer vergleichsweise
gut funktionierenden Infrastruktur die überdurchschnittliche Kaufkraft sowie vor allem die Verfügbarkeit von qualifizierten Fachkräften. Deutsche
Unternehmen sind deshalb nach wie vor am argentinischen Markt interessiert.
Derzeit sind etwa 170 deutsche Tochtergesellschaften und Beteiligungsunternehmen vor Ort. Branchen mit Potenzial gibt es genügend: Sie reichen
von der KfZ- und der Agroindustrie über Chemie
und Pharmazie bis hin zur Umwelt- und Medizintechnik. Auch im primären Sektor, in den Bereichen
Energie, Bergbau sowie Öl und Gas sieht die AHK
Argentinien große Chancen für die Zukunft.
Weiterhin planen nach einer Umfrage der AHK
Argentinien rund 70 % der deutschen Unternehmen vor Ort, ihre Investitionen in Aus- und Weiterbildung zu erhöhen. Zudem sehen ein Drittel der
über fünfzig Betriebe, die dual ausbilden, einen
Anstieg der Ausbildungsplätze für 2016 voraus.
Wenn Mauricio Macri den wirtschafts- und finanzpolitischen Turnaround hinbekommt, kann Argentiniens Wirtschaft bald zum Wachstum zurückfinden. Das Land wird dann als Teil des Mercosur
wieder zu einem interessanten Investitionsstandort
für deutsche Unternehmen – auch als Alternative
zum gerade ebenfalls kriselnden Brasilien.
Ansprechpartner:
Dr. Mark Heinzel
Tel.: 030 20308-2308
Chancen für die deutsche Wirtschaft
Aufgrund der bislang restriktiven Handhabung der
Regularien für Import und Export stehen die
deutsch-argentinischen Wirtschaftsbeziehungen
unter starkem Druck. 2014 nahmen die Einfuhren
aus Argentinien im Vergleich zu 2013 um 5,5 %
auf 1,6 Mrd. Euro ab. Die deutschen Ausfuhren
sanken im gleichen Zeitraum sogar um fast 13 %
auf 2,5 Mrd. Euro. Trotz der Stagnation des Wirtschaftswachstums seit 2012 gibt es dennoch zahlreiche Standortfaktoren, die für Argentinien spre-
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