Absolutismus, Aufklärung und Revolution
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Absolutismus, Aufklärung und Revolution
VON 1648 BIS 1793 Absolutismus, Aufklärung und Revolution walt ist eine der wichtigen Errungenschaften des Absolutismus im 17. Jahrhundert. Ihren reinsten Ausdruck findet diese autokratische Herrschaftsform in dem Satz »L´état c´est moi« (Der Staat bin ich), der dem auf Repräsentation bedachten französischen Sonnenkönig Ludwig XIV. zugeschrieben wird. Mit der amerikanischen Menschenrechtserklärung 1776 und der Französischen Revolution 1789 neigt sich das Feudalzeitalter seinem Ende entgegen und die bürgerliche Epoche beginnt. Technische Revolutionen wie die Erfindung der Dampfmaschine weisen den Weg in das Industriezeitalter. Die moderne 20-bändige „Große Weltgeschichte“ präsentiert die Geschichte unserer Welt präzise, leichtverständlich und streng chronologisch. Genaue Einzelinformationen und verständliche Zusammenhangs- und Spezialdarstellungen mit über 8000 Abbildungen machen die Vergangenheit inhaltlich und visuell erfahrbar. Je drei Bände beschreiben die Vor – und Frühgeschichte, die Antike und das Mittelalter. Der Zeitraum von der frühen Neuzeit bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wird in fünf, das 20. Jahrhundert bis zur Gegenwart in sechs Bänden behandelt. ISBN 978-3-902016-85-0 9 7 83 902 01 685 0 Titelbild: Bildnis vom Ludwig XIV der Sonnenkönig; Copyright: gettyimages Absolutismus, Aufklärung und Revolution Die Entmachtung des Adels und des hohen Klerus durch die monarchistische Zentralge- WELTGESCHICHTE VON DEN ANFÄNGEN BIS ZUR GEGENWART W E LT G E S C H I C H T E V O N D E N A N F Ä N G E N B I S Z U R G E G E N W A R T 11 NO- 11 1648 – 1793 Überblick Absolutismus, Aufklärung und Revolution Eine wichtige Errungenschaft des Absolutismus im 17. Jahrhundert ist die Entmachtung des Adels und des hohen Klerus durch die monarchistische Zentralgewalt. Ihren reinsten Ausdruck findet diese autokratische Herrschaftsform in dem Satz »L’état c’est moi« (Der Staat bin ich), der dem auf Repräsentation bedachten französischen Sonnenkönig Ludwig XIV. zugeschrieben wird. Mit der amerikanischen Menschenrechtserklärung 1776 und der Französischen Revolution 1789 neigt sich das Feudalzeitalter seinem Ende entgegen und die bürgerliche Epoche beginnt. Revolution auch auf dem Gebiet der Technik: Die Erfindung der Dampfmaschine weist den Weg ins Industriezeitalter. D ie konfessionelle Spaltung Europas erlebt im 17. Jahrhundert mit dem Dreißigjährigen Krieg ihren blutigen Höhepunkt. Von Böhmen geht ein Konflikt aus, in dessen Strudel kleine Fürstentümer wie große europäische Nationen gleichermaßen hineingezogen werden. Schlachtfeld ist Deutschland. Als die Kampfhandlungen 1648 ohne eigentlichen Sieger enden, sind in vielen Städten ein Drittel aller Einwohner der Soldateska oder indirekten Kriegsfolgen zum Opfer gefallen. Noch schlimmer ist es zum Teil auf dem Land, Felder liegen brach, ganze Regionen sind verwüs tet. Bevölkerungszahl und Wohlstand werden mancherorts erst im 19. Jahrhundert wieder den Stand von vor 1618 erreichen. In religiöser Hinsicht festigt der Westfälische Friedensschluss im Jahr 1648 den Ausgleich der beiden Konfessionen, politisch besiegelt er die Vormachtstellung Frankreichs in Europa. Das deutsche Reich ist hingegen in mehr als 300 souveräne Teilstaaten zersplittert und daher dem Einfluss ausländischer Mächte ausgeliefert. Schwer beschädigt ist vor allem die Stellung des Kaisers, der nicht nur in allen wichtigen Entscheidungen an die Zustimmung seiner Landesherrn gebunden wird, sondern ihnen auch noch vollständige 12 11_012-029_Essay.indd 12-13 die des katholischen Schottlands 1603 unter König Jakob I. vereinigt werden. Die schwelenden Konflikte verschärfen sich, als Karl I. 1625 den Thron des Vaters besteigt. Als typischer Vertreter des Absolutismus ist er der Überzeugung, dass seine Regentschaft durch das Gottesgnadentum legitimiert sei. Als er versucht, das Parlament auszuschalten, die Steuern erhöht, die Redefreiheit beschneidet und politische Gegner verhaftet, nimmt der Unmut in der Bevölkerung zu. Für die ersten gewaltsamen Ausschreitungen sorgt 1637 sein Entschluss, in Schottland den englischen Gottesdienst durchzusetzen. Das Parlament nutzt nun seinerseits die Führungskrise, um gegen enge Berater des Königs vorzugehen. Als sich Karl I. ein letztes Mal gegen das Parlament erhebt und einige Abgeordnete verhaften lässt, rüsten seine Gegner, angeführt vom niederen Adel und den Schotten, zum Bürgerkrieg. Nach mehreren Siegen der Parlamentstruppen unter Oliver Cromwell wird der König 1646 erstmals gefangen, doch ihm gelingt die Flucht. Als er 1648 endgültig geschlagen ist, lässt Cromwell das Parlament von allen politischen Gegnern »säubern«. Vom verbliebenen Rumpfparlament wird der König wegen seines tyrannischen Verhaltens vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt. Am 30. Ja- Landeshoheit zugestehen muss, einschließlich der Gesetzgebungsgewalt, der Steuerhoheit und dem Recht auf freie Bündniswahl. Während sich das benachbarte Frankreich zum Musterland eines zentralisierten Nationalstaates entwickelt, zerfällt das deutsche Reich endgültig in einen lockeren Verband souveräner Einzelstaaten, was sowohl die wirtschaftliche Entwicklung als auch die Herausbildung eines starken Bürgertums erschwert. Ein gewisses politisches Gewicht auf europäischer Ebene haben unter den deutschen Reichsfürsten zunächst eigentlich nur die Habsburger, bald allerdings auch die brandenburgischen Hohenzollern, die unter Friedrich Wilhelm von Brandenburg, dem Großen Kurfürsten, einen steilen Aufstieg erleben und im 18. Jahrhundert der europäischen Großmacht Preußen vorstehen. England wird parlamentarische Demokratie E ngland erlebt im 17. Jahrhundert ein Zeitalter religiöser und politischer Unruhen. Sie deuten sich schon an, als die Kronen des protestantisch geprägten Englands und Absolutistische Herrscherin: Maria Theresia von Österreich (»Kaiserliche Familie«, Martin van Meytens, 1754) 13 04.09.2007 19:19:17 Uhr 1648 – 1793 Absolutismus, Aufklärung und Revolution durch gezielte Ämtervergabe rekatholisieren Verordnungen verschont. So schafft er etwa möchte. Als er 1687 das Unterhaus für aufge- am Hof die traditionelle Bart- und Kaftanlöst erklärt, wenden sich die Parlamentarier tracht des russischen Landadels ab, initiiert an seine Tochter Maria und bieten ihr die die Akademie der Wissenschaften und forKönigskrone an. Als sie ciert die weitere Erschliemit ihrem Gatten, Wilßung Sibiriens. Ausdruck Die »Bill of Rights« gewährt helm III. von Oranien, seines Erneuerungswillens dem Parlament unveräußerin England landet, flieht ist auch die Gründung der liche Rechte und stellt den Jakob II. ins französische neuen, »europäischen« Monarchen unter das Gesetz. Exil. Bevor das neue ReHauptstadt Petersburg gentenpaar inthronisiert im Jahr 1703. Außenpowird, muss es die vom Parlament entworfene litisch beginnt eine neue Zeit: Im Großen »Bill of Rights« unterzeichnen, die Staats- Nordischen Krieg (1700–1721) erobert Zar bürgern und Parlament eine Reihe wichtiger Peter nach anfänglichen Rückschlägen LivRechte sichert und als grundlegendes Doku- land, Estland, Ingermanland und Karelien. ment der parlamentarischen Demokratie in Russland wird damit – auf Kosten Schwedie Geschichte eingehen wird. dens – zur beherrschenden Kraft im Ostseeraum. Trotz aller Reformbemühungen und Modernisierungen bleibt die mittelalEin großer Reformer – terliche Feudalstruktur der russischen GeZar Peter blickt nach Westen sellschaft in Form der Leibeigenschaft bis ins 19. Jahrhundert bestehen. Landbesitzer ie Weichen für eine neue Epoche wer- können uneingeschränkt über »ihre« Bauern den etwa zur selben Zeit auch in Russ- verfügen; sie dürften sie nach Belieben hanland gestellt. Während große Teile Europas deln, tauschen, verschenken oder bestrafen. im 16. und 17. Jahrhundert von Religionskriegen erschüttert wurden, hatte das Land Letztes Aufbäumen und unter Zar Iwan IV., dem Schrecklichen, und Niedergang des Sultanreichs seinen Nachfolgern sein Staatsgebiet in alle Richtungen beträchtlich ausgeweitet. Von den europäischen Mächten wahrgenommen uf seiner Europareise hatte Peter der wird das aufstrebende Reich im Osten aber Große mehrere westliche Höfe besucht, erst unter Peter I., dem Großen, der 1682 auch um Verbündete im Kampf gegen das zum Zaren ausgerufen wird, jedoch erst 1689 Osmanische Reich zu gewinnen. Die Türmit Beginn der Mündigkeit die Regierungs- ken haben den Zenit ihrer Macht im späten geschäfte übernimmt. Als erster russischer 17. Jahrhundert schon längst überschritten. Herrscher reist Peter I. nach Westeuropa, Als es 1672 allerdings im Habsburgerreich um sich persönlich über die neuesten Errun- zu Unruhen kommt, nutzt Großwesir Kagenschaften im Bereich der Wissenschaften ra Mustafa diese Schwächeperiode, um mit und Technik zu informieren. In Amsterdam einem 200 000 Mann starken türkischen Heer arbeitet er inkognito als einfacher Zimmer- noch einmal, wie schon 1529, nahezu unbemann. Zurückgekehrt nach Russland, setzt helligt bis vor die Tore Wiens zu marschieren. der Zar eine Vielzahl von Reformen durch; Im Sommer 1683 kommt es zu einer zweimokaum ein Lebensbereich bleibt von seinen natigen Belagerung, die die Eingeschlossenen D Reiterstandbild Peters des Großen auf dem St. Petersburger Dekabristenplatz (Etienne-Maurice Falconet, 1778) nuar 1649 stirbt der Monarch vor seinem Londoner Palast unter den Augen einer riesigen Menschenmenge auf dem Schafott, eine ungeheure Provokation gegen die Idee des gottgegebenen Königtums. England ist zwar nun formell eine Republik, aber das erhoffte goldene Zeitalter des Parlamentarismus bleibt aus. Die Regierung von Oliver Cromwell trägt eher die Züge einer Militärdiktatur. Die Verfassung von 1653 verschafft ihm als »Lordprotektor« eine fast diktatorische Macht. Desillusioniert beschließt das Parlament nach seinem Tod 1658, zur Monarchie zurückzukehren. Nachdem der in Frankreich lebende Sohn des gestürzten Regenten garantiert hat, dass er sich dem Parlament unter14 11_012-029_Essay.indd 14-15 werfen und keine absolutistische Herrschaft anstreben will, kann er im Mai 1660 unter dem Jubel der Bevölkerung als König Karl II. nach England zurückkehren. Trotz der nun einsetzenden kulturellen Blüte kommt England innenpolitisch nicht zur Ruhe. Als die Regierung Karls II. entgegen aller Versprechen absolutistische Züge annimmt, setzt das Parlament 1679 die »Habeas-Corpus-Akte« durch, die alle Engländer vor willkürlichen Zugriffen des Staates schützt und als ein Meilenstein auf dem Weg zum Rechtsstaat gilt. Noch stärker spitzen sich die Kontroversen unter seinem Nachfolger Jakob II. zu, der offen mit dem Absolutismus sympathisiert und das Land A 15 04.09.2007 19:19:19 Uhr 1648 – 1793 Absolutismus, Aufklärung und Revolution nur mühsam bis zur Ankunft polnischer, sächsischer und bayerischer Truppen überstehen. Die anschließende Schlacht am Kahlenberg, bei der das numerisch überlegene osmanische Heer vernichtend geschlagen wird, bedeutet einen Wendepunkt im langen Konflikt zwischen Europa und den Türken. Angeführt von ihrem Volkshelden Prinz Eugen gelingt es den Österreichern, die Truppen des Sultans in einer Reihe von Schlachten erst aus Ungarn, wenig später auch aus Serbien und der Kleinen Walachei zurückzudrängen. Während auf der einen Seite die Fundamente für die Entstehung der königlichen und kaiserlichen »k. u. k. Monarchie Österreich-Ungarn« gelegt werden, ist der Niedergang des einst so stolzen osmanischen Imperiums nicht mehr aufzuhalten. Die großen Kolonialmächte und die Reiche in Asien M ittel- und Südamerika sind nach wie vor fest in spanischer bzw. portugiesischer Hand, Kanada wird von Frankreich beansprucht. Nachdem die Engländer die schwedischen und niederländischen Kolonisten in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erfolgreich aus Nordamerika verdrängt haben, kommt es zu Beginn des folgenden Säkulums immer häufiger zu gewaltsamen Konflikten mit den französischen Siedlern. Die divergierenden Kolonialinteressen spitzen sich 1754 zum »French and Indian War« zu, einem blutigen Kolonialkrieg, in den auch zahlreiche Indianerstämme verwickelt werden. Da die europäischen Nationen, allen walt in allen wichtigen Staatsangelegenvoran die Briten und Niederländer, heiten ganz auf seine Person konzentriert. auch stark am asiatischen Handel beÜberzeugt vom königlichen Gottesteiligt sind, erkennen die Großreiche gnadentum, entscheidet Ludwig XIV. im Osten die Gefahr, auch poliüber Krieg und Frieden, Steuern und tisch beeinflusst zu werden. JaGesetze, über Verwaltungsangelepan unternimmt erste Schritte, genheiten und juristische Fragen. sich der westlichen Einflüsse Adäquater Ausdruck seiner unzu entziehen, indem es die umschränkten Herrschaft ist der japanischen Häfen für fast ihm zugesprochene Satz »L’état alle Europäer sperrt; neben c’est moi«, »der Staat bin ich«. den Chinesen sind einzig die Der politisch entmachtete Adel Niederländer auch weiterhin wird durch rauschende Feste willkommene Handelspartner. entschädigt, die in ihrem Pomp In China wird der letzte Mingund ihrer Verschwendung ohne kaiser durch die Mandschu vom Beispiel sind. Thron gestoßen, die sich nicht Die theoretische Definition dienur das ganze Reich, sondern ser unbeschränkten Herrschaft anschließend auch Korea und geht auf den französischen Phidie Mongolengebiete unterlosophen Jean Bodin zurück, der tan machen können. Ein ähnim 16. Jahrhundert die Majestät lich mächtiges Reichsgebilde des Königs als die höchste, entsteht im 17. Jahrhundert von Gesetzen gelöste Gewalt in Indien unter dem Mobeschrieb und damit zum gulherrscher Aurangseb. Staatstheoretiker des AbsoBereits seine Vorgänger Ende einer Dynastie: Steinsoldat auf lutismus wurde. Die Macht beherrschten die nördliche einer Minggrabstätte in Beijing des Sonnenkönigs beruht Hälfte des Subkontinents. auf dem Heer, dem BeamAber erst Aurangseb dehnt das Mogulreich tentum und der katholischen Staatsreligion. bis fast an die Südspitze des Subkontinents Mit Gewalt stellt der Monarch 1685 die kaaus und schafft damit den bislang größten tholische Glaubenseinheit wieder her, indem Machtblock der indischen Geschichte. er eine halbe Million Hugenotten aus dem Land vertreibt. Seine aggressive Außenpolitik zielt darauf ab, die politischen Grenzen Höhepunkt des Absolutismus Frankreichs mit den natürlichen in Einklang zu bringen – den Pyrenäen und dem Rhein. as Zeitalter des Absolutismus erlebt Gegenüber dem durch den Dreißigjährigen in Europa seinen Höhepunkt, als der Krieg geschwächten deutschen Reich fällt es französische Sonnenkönig Ludwig XIV., Frankreich nicht einmal schwer, seine Geder bereits im Kindesalter gekrönt worden bietsansprüche durchzusetzen. war, nach dem Tod des Ministers MazaUnter Ludwig XIV. wird Frankreich unrin 1661 auch faktisch die Macht im Staat umstritten zum kulturellen Mittelpunkt übernimmt. Als Regent verschafft er sich eine des Kontinents. Der europäische Adel lernt ungeheure Macht, indem er die höchste Ge- Französisch, die Fürsten lassen wenig un- D Die Befreiung von Wien in der Schlacht am Kahlenberg im Jahr 1683 (zeitgen. Gemälde von Pierre-Denis Martin) 16 11_012-029_Essay.indd 16-17 17 04.09.2007 19:19:23 Uhr Absolutismus, Aufklärung und Revolution versucht, den Prunk und die bis ins Absurde übersteigerte Etikette am französischen Hof möglichst detailgetreu zu imitieren. Dies alles ungeachtet der Tatsache, dass der wohl berühmteste Vertreter des Hauses Bourbon sein Land an den Rand des Staatsbankrotts führt. Allein der Bau seines monumentalen Schlosses in Versailles verschlingt Unsummen, hinzu kommen die immensen Ausgaben für einen 4000 Personen umfassenden Hofstaat, die endlosen Feste und für ein gewaltiges Heer, das der kriegslustige Monarch für seine ständigen Feldzüge braucht. Ganz Europa liegt im Erbfolgekrieg D a der Krieg im Absolutismus als ein legitimes Mittel der Politik betrachtet wird, toben in Europa zwischen dem späten 17. und dem ausgehenden 18. Jahrhundert fast ständig militärische Auseinandersetzungen. Im Unterschied zu den religiös motivierten Kämpfen des 17. Jahrhunderts werden sie nun allerdings fast immer durch dynastische Streitigkeiten im Zusammenhang mit purer Machtgier ausgelöst. In einer ganzen Serie von Kriegen gegen die Niederlande und das Heilige Römische Reich gelingt es beispielsweise Ludwig XIV., sein Reich erheblich auf Kosten der Nachbarn auszudehnen. Im Spanischen Erbfolgekrieg (1701–1714) um das Erbe Karls II., des letzten Habsburgers auf dem spanischen Thron, verbündet sich Österreich mit Großbritannien, den niederländischen Generalstaaten, Portugal und den wichtigsten Mächten im Heiligen Römischen Reich, darunter Preußen, um die drohende Hegemonie der Bourbonen auf dem Kontinent abzuwenden. Auf Seiten Frankreichs stellen sich nur der Kurfürst von Köln und Max Emanuel von Bayern, der sich Gebietsgewinne aus dem habsburgischen Besitz, vielleicht sogar die Kaiserkrone erhofft. 18 11_012-029_Essay.indd 18-19 Hofhaltung und Machtpolitik des Sonnenkönigs Ludwig XIV. dominieren die europäische Staatenwelt (Gemälde von Hyacinthe Rigaud, Louvre, Paris, 1701). Da sich die antibourbonische Allianz trotz ihrer militärischen Überlegenheit nicht entscheidend durchsetzen kann – nicht zuletzt aufgrund der diplomatischen Annäherung zwischen England und Frankreich –, behauptet sich der Bourbone Philipp V., ein Enkel des französischen Königs Ludwig XIV., auf dem spanischen Thron. Im Frieden von Utrecht (1713) muss er allerdings auf die Vereinigung mit Frankreich verzichten. Habsburg und Hohenzollern U nter allen Ländern im Heiligen Römischen Reich erwächst Österreich im 18. Jahrhundert nur ein echter Rivale, und das ist Preußen. Das einstmals bescheidene 1648 – 1793 Kurfürstentum hatte in der zweiten Hälfte entscheidend zu festigen. Damit erreicht des vorangegangenen Säkulums unter dem Österreich seine bisher größte territoriale Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm eine Ausdehnung. Im Konzert der europäischen rasante Entwicklung genommen. 1688 war Großmächte wird es noch 200 Jahre lang Friedrich III. seinem Vater auf den Thron eine führende Rolle spielen. Um eine erneute gefolgt. Wie fast alle Landesherrn dieser Epo- Aufteilung der Hausmacht zu verhindern, che hatte auch er sich beim deutschen Kaiser erlässt Kaiser Karl VI. im April 1713 die um eine Erhöhung seines persönlichen Stan- »Pragmatische Sanktion«, in der die Unteildes – und damit auch des Hauses Hohenzol- barkeit des habsburgischen Erbes zunächst lern – bemüht. Fast zehn Jahre lang war er mit zum Hausgrundsatz und ab 1724 sogar zum seinem Wunsch auf taube Ohren gestoßen, österreichischen Staatsgrundgesetz erklärt bis der deutsche Kaiser angesichts des sich wird. Um den Zusammenhalt der Erblanabzeichnenden Spanischen Erbfolgekrieges de tatsächlich auch dauerhaft zu gewähren, auf die Gewinnung loyaler Bundesgenossen ergänzt der Kaiser den jahrhundertealten angewiesen war. Ende 1700 gewährte der Grundsatz der männlichen Erbfolge trotz Regent Kurfürst Friedrich III. den ersehnten massiver Proteste einzelner Landesfürsten Königstitel – gegen die Zusicherung eines durch die Möglichkeit einer legitimen Erb8000 Mann starken Truppenkontingents folge im weiblichen Stamm. und die preußische Stimme bei der nächsten Kaiserwahl. Da das Herzogtum Preußen alPreußen stellt Österreich lerdings noch immer in Polen lag, weitab von den reichsdeutschen Besitzungen der Hohenzollern im Rheingebiet und in Brandenburg, ur wenige Wochen vor der Veröffentlidurfte sich der vormalige Kurfürst bis 1772 chung der Pragmatischen Sanktion hatnur »König in Preußen« nennen, nicht »von« te in Preußen der »Soldatenkönig« Friedrich Preußen. Dessen ungeachtet ließ König Fried- Wilhelm I. die Nachfolge seines prunksüchrich I. seine Erhebung mit rauschenden Festen tigen Vaters angetreten, um aus dem absoim Stile des Sonnenkönigs feiern. lutistisch geprägten Hohenzollernreich den Die Habsburger hatten nach der zweiten »preußischen« Staat im eigentlichen Sinne Belagerung Wiens 1683 unter ihrem Feld- zu formen: mit einer starken Armee, einem herrn Prinz Eugen große Teile Ungarns klar strukturierten und äußerst disziplimit Slawonien und Siebenbürgen erobert nierten Beamtenapparat und einer merkanund waren dadurch zu tilistischen Wirtschaftspoeiner europäischen Großlitik. Friedrich Wilhelm I. Die zuvor meist religiös motimacht aufgestiegen. Im verbessert aber auch die vierten Auseinandersetzungen Spanischen Erbfolgekrieg Lage der Bauern, lässt ers weichen im 18. Jahrhundert können sie zwar nicht verte Dorfschulen gründen dynastischen Streitigkeiten. hindern, dass ein Bourbound beseitigt einige der ne den spanischen Thron ständischen Vorrechte des besteigt, aber dafür gelingt es ihnen, durch Adels. Völlig versagt er allerdings in seiner den Zugewinn der Spanischen Niederlande Rolle als Vater gegenüber dem musisch beund sämtlicher spanischer Nebenländer in gabten Kronprinzen Friedrich. Die anhalItalien – Mailand, Mantua, Neapel, Sardini- tenden Konflikte zwischen den beiden gipfeln en – ihren Status als europäische Großmacht 1730 in einer gescheiterten Englandflucht des N 19 04.09.2007 19:19:25 Uhr Absolutismus, Aufklärung und Revolution jungen Monarchen, der zur Strafe auf Geheiß des Königs bei der Enthauptung seines engsten Freundes und Fluchthelfers Hans Hermann von Katte zusehen muss. Obgleich sich der sensible Thronfolger, der später den Beinamen »der Große« oder auch »der Alte Fritz« bekommen wird, in seinen reichen Provinz schließen sich auch andere europäische Gegner Österreichs dem Preußenkönig an, während sich die Niederlande und England auf Seiten der Donaumonarchie stellen. Die Kämpfe dauern, mit Unterbrechung, bis Dezember 1745. An ihrem Ende erkennt Friedrich den Gatten Maria Der Preußenkönig Friedrich II., der Große, bei einer Parade in Potsdam (Radierung von Daniel Chodowiecki, 1777) Jugendjahren ganz der Kunst und den Geis teswissenschaften verschreibt, unter anderem auch mit Voltaire korrespondiert, erweist sich Friedrich II. bereits unmittelbar nach seiner Thronbesteigung 1740 als äußerst machtbewusster und auch skrupelloser Herrscher. Da in Österreich erstmals das Prinzip der Pragmatischen Sanktion zur Anwendung kommen soll, nutzt er die prekäre Situation der designierten Thronfolgerin Maria Theresia bedenkenlos aus: Er bietet ihr preußische Unterstützung bei der Durchsetzung ihrer dynastischen Interessen, fordert aber als Preis Schlesien. Nach ihrer Absage und der anschließenden preußischen Besetzung der 20 11_012-029_Essay.indd 20-21 Theresias, Franz I., als römisch-deutschen Kaiser an und erhält im Gegenzug Schlesien. Durch diesen Territorialgewinn steigt sein Land zur zweiten deutschen Großmacht neben Österreich auf. Sieben Jahre Krieg in Europa, Amerika und auf den Weltmeeren I n Nordamerika spitzen sich unterdessen die Auseinandersetzungen zwischen den französischen und britischen Siedlern zu. Die beiden Brennpunkte der heftigen Konflikte sind die 1710 von britischen Truppen 1648 – 1793 eroberte Provinz Akadien in Kanada und das Tal des Ohio River, das für die Franzosen als Bindeglied zwischen den nördlichen und südlichen Besitzungen eine zentrale strategische Rolle spielt. Nachdem diplomatische Vermittlungsbemühungen in Paris 1750 scheitern, nehmen die Kriegsvorbereitungen und Scharmützel auf beiden Seiten zu. Als ein junger Offizier namens George Washington – der später zum ersten amerikanischen Präsidenten werden soll – im Mai 1754 einen Präventivangriff auf ein Camp französischer Soldaten befiehlt, um diese an einem vermeintlichen Überfall zu hindern, rüsten beide Seiten unverhohlen zum Krieg. 1755 beginnt ein erbarmungsloser Kleinkrieg am Rande des britischen Kolonialgebiets, in dem zahllose englische Zivilisten von Franzosen oder den mit ihnen verbündeten Indianern überfallen und ermordet werden; die Engländer zahlen diese Attacken mit gleicher Münze heim, indem sie blutige Rachefeldzüge gegen Franzosen und Indianer ausführen. Die Schauplätze der erbitterten Kämpfe zwischen Engländern und Franzosen liegen aber nicht nur in Nordamerika, sondern auch in Indien und Westafrika, auf den Weltmeeren und in Europa, wo die Auseinandersetzungen die Bezeichnung »Siebenjähriger Krieg« erhalten. Ein taktisches Bündnis zwischen Preußen und England führt 1756 zu einer Annäherung zwischen den traditionellen Gegnern Österreich und Frankreich. Ausgelöst werden die Kriegshandlungen, als Friedrich II. seine Truppen in Sachsen einmarschieren lässt, damit Russland und Schweden auf den Plan ruft – und die junge Großmacht Preußen um ein Haar ins Verderben stürzt. In den folgenden Jahren kommt es zu zahlreichen Kämpfen zwischen allen beteiligten Kriegsparteien. 1761 kämpft Preußen an drei Fronten gegen die Schweden, Russen und Österreicher und hat großes Glück, dass die Gegner nicht zu einem koor- dinierten und zweifellos finalen Schlag gegen das militärisch erschöpfte Land ausholen. Die unerwartete Wende bringt 1762 der Tod der Zarin Elisabeth Petrowna, weil ihr Nachfolger, Zar Peter III., dem Preußenkönig einen großzügigen Frieden offeriert, dem sich auch Schweden anschließt, sodass Friedrich II., von zweien seiner Gegner befreit, mit vereinten Kräften die österreichischen Verbände aus Sachsen und Schlesien zurückdrängen kann. Im Februar 1763 werden der »French and Indian War« und der »Siebenjährige Krieg« innerhalb von fünf Tagen durch Friedensschlüsse zwischen Frankreich und England bzw. zwischen Preußen und Österreich beendet. Der große Gewinner ist England, das abgesehen von New Orleans den gesamten nordamerikanischen Kolonialbesitz der Franzosen übernimmt und damit zur weltweit führenden Kolonialmacht aufsteigt. Die Franzosen erhalten als Entschädigung einige Karibische Inseln und eine Reihe von – bereits verlorenen – Handelsstützpunkten in Afrika und Indien. Spanien bekommt Kuba und die Philippinen, muss allerdings Florida an England abtreten. In Mitteleuropa fällt Schlesien endgültig an Preußen. Vernunft wird zum Leitprinzip T rotz der rigorosen Machtpolitik und der zahllosen Kriege ist das 18. Jahrhundert auch das große Zeitalter der Aufklärung, jener auf dem Gedanken der Vernunft aufbauenden Geisteshaltung in Philosophie und Wissenschaften, die eine übergreifende und umwälzende gesellschaftliche Bewegung einleiten wird. In einer Abwendung vom feudalis tischen Weltbild stellt sie die Vorstellung von der Position des Menschen in der Welt auf eine neue Grundlage: Nicht mehr der allmächtige Gott, sondern das vernunftbegabte Individuum steht im Mittelpunkt aufklärerischer Be21 04.09.2007 19:19:27 Uhr Absolutismus, Aufklärung und Revolution trachtungsweise. Ihren Ausgang nimmt die Aufklärung bereits im 17. Jahrhundert. Der niederländische Philosoph Baruch Spinoza bezeichnet das Streben nach Erkenntnis als Basis des sittlichen Vervollkommnungsstrebens. Grundlage seiner pantheistischen, von dem französischen Naturwissenschaftler René Descartes beeinflussten Philosophie sind mathematische Gesetzmäßigkeiten. Staatstheorien der Philosophen D er englische Philosoph John Locke leugnet »angeborene« Ideen. Alle Erkenntnis sei das Ergebnis von Beobachtung und Sinneswahrnehmung. Aus eigener Einsicht unterwerfe sich das Individuum höheren Gesetzmäßigkeiten. Im Staatsgebilde unterscheidet Locke Legislative (Gesetzgebung) und Exekutive (Staatsgewalt). Auf der Basis der politischen Verhältnisse in Großbritannien popularisiert er die Theorien der Aufklärung und setzt sie in politische Forderungen um. In seiner Naturrechtslehre betont Locke das Recht eines jeden Menschen auf Leben, Freiheit und Eigentum als unveräußerliches Naturrecht. Der auf freiwilliger Basis in einem Gesellschaftsvertrag errichtete Staat soll diese Rechte garantieren. Aus diesen Grundsätzen zieht Locke den berühmten Schluss, dass jedes Volk gegenüber einer verfassungswidrigen Regierung ein Recht auf Widerstand habe. Von England aus greift die Aufklärung nach Frankreich über, wo sie im 18. Jahrhundert in ihrer rationalistisch-materialistischen Ausformung ihre stärkste Verbreitung findet. Auf den Juristen und Philosophen Montesquieu geht die Lehre von der Gewaltenteilung zurück. Neben Legislative und Exekutive weist er in »De l’esprit des lois« (Vom Geist der Gesetze, 1748) der richterlichen Gewalt eine eigenständige Rolle zu ( Judikative). Durch 22 11_012-029_Essay.indd 22-23 Jean-Jacques Rousseau (Gemälde von Nicholas de Largiliere, Uffizien, Florenz, 1710 seine Vorstellung von der Verschränkung der drei sich kontrollierenden Gewalten zu einem System des Gleichgewichts wird er zum Vordenker des modernen Verfassungsstaates. Drei Jahre nach »De l’esprit des lois« erscheint in Frankreich der erste Band der epochalen »Enzyklopädie« von Denis Diderot und dem Multitalent Jean Le Rond d’Alembert. Der Genfer Philosoph Jean-Jacques Rousseau, einer der Mitarbeiter der »Enzyklopädie«, entwickelt in seiner Schrift »Du contrat social« (1762) ein Gesellschaftsmodell, das von einer direkt praktizierten Demokratie ausgeht: Das Volk sei der Souverän, zugleich Regierung und Gesetzgeber. Entschieden werde nach dem Gemeinwillen. Sein lebenslänglicher Widersacher in theoretischen Dingen ist Voltaire, der wohl berühmteste Vertreter der französischen Philosophie, der im Unterschied zu Rousseaus kulturkritischer Natur- und Ursprungsphilosophie den Wert der Kultur und Bildung betont. Im deutschen Sprachraum beschäftigt sich der Königsberger Philosoph Immanuel 1648 – 1793 Kant mit staatstheoretischen Überlegungen. In Anlehnung an die Ideen der britischen und französischen Denker geht er von der Schaffung einer »bürgerlichen Gesellschaft« aus, welche dem einzelnen Staatsbürger ein Höchstmaß an Freiheit belässt. Die Grenzen der Freiheit des Einzelnen sind durch die Vereinbarkeit mit der Freiheit des anderen definiert. Die Regierungsart, welche diese Grundsätze in die Tat umsetzen kann, nennt Kant »republikanisch«. Mit seinem philosophischen Hauptwerk, der »Kritik der reinen Vernunft« (1781), beginnt eine neue Epoche in der Philosophiegeschichte. In der »Kritik der praktischen Vernunft« (1788) formuliert er ein oberstes Sittengesetz, das die Pflichterfüllung ins Zentrum der sittlichen Wertordnung stellt. Seine Vorstellungen beeinflussen wesentlich die preußischen Reformer zu Beginn des 19. Jahrhunderts, die sich auch die Ideen des Schweizer Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi von einem modernen Volksschulwesen zu eigen machen werden. Voltaire, einer der maßgeblichen Vordenker der Auf klärung (Wachspuppe, Institut et Musée Voltaire, Genf) Bürgertum wird zur tragenden Säule I n ihrer Entwicklung zunächst auch von Adligen getragen, gestaltet sich die Aufklärung zu einer vorwiegend bürgerlichen Emanzipationsbewegung. Die Herausbildung eines Bildungsbürgertums und frei wirtschaftender bürgerlicher Eliten löst in den am weitesten entwickelten Staaten Europas das den sozialen Status bestimmende ständische Merkmal der Geburt allmählich ab. Stattdessen rückt unter dem Vorzeichen der rechtlichen staatsbürgerlichen Gleichstellung und eines erweiterten Bildungszuganges das Prinzip der Leistung und des Berufes in den Vordergrund. Dieser Prozess der Individualisierung beginnt im 18. Jahrhundert zunächst in der oberen Mittelschicht der Gebildeten und strahlt von dort ins gesamte Bürgertum, aber auch in Adelskreise aus. Zwar kann sich der Adel noch bis ins 19. Jahrhundert hinein namentlich in Deutschland als politische und militärische Elite behaupten; dennoch müssen mehr und mehr auch Junker, Freiherren, Barone und Grafen akzeptieren, dass ihnen in ihrem Karrierestreben als Beamte oder Offiziere mittlerweile eine immer stärker werdende bürgerliche Konkurrenz zugewachsen ist. Doch auch wo die adligen Privilegien erhalten bleiben, ist kaum zu übersehen, dass sich das bildungsbewusste Bürgertum ökonomisch immer stärker zur tragenden Säule der modernen Gesellschaft entwickelt. Zum Prozess der Individualisierung gehört die Herausbildung einer Eigensphäre. Die Interpretation der Welt – und auch ihre Veränderbarkeit – ist eine Sache des Einzelnen geworden. Der unbegrenzte, teilweise naive Fortschrittsglaube erhält in Zirkeln und Vereinen unter Gleichgesinnten immer neue Nahrung. Auch der Bereich von Kultur, Kunst und Wissenschaft ist in diesem 23 04.09.2007 19:19:32 Uhr Absolutismus, Aufklärung und Revolution Geiste geprägt: Der Typus des – im nicht 17 000 Russen schlagen ein ihnen deutlich abschätzig gemeinten Wortsinne – Dilet- überlegenes türkisches Heer von 150 000 tanten, der sich als Liebhaber, Sammler und Mann bei Kagul. Wichtige türkische Stützambitionierter Laie mit den unterschied- punkte am Schwarzen Meer werden besetzt, lichsten Wissensgebieten beschäftigt, wird auch Bukarest und das Gebiet um das Asowzum charakteristischen Vertreter dieser sche Meer. Aber noch kühner ist ein anderes bürgerlichen Kultursphärussisches Unternehmen: re. Im gesellschaftlichen Unter Führung von AdmiDie neue bürgerliche Elite unLeben tritt neben die an ral Alexej Orlow, der von terwirft sich nur der Erkenntnis den Königs- und Fürstenbritischen Seeoffizieren des Verstands und dem selbst höfen zelebrierte Lebensunterstützt wird, segeln auferlegten Leistungswillen. art mit ihrem verfeinerten zwei Geschwader der Lebensgenuss ein betont russischen Ostseeflotte bürgerlicher Moralismus. Zudem gewin- über Gibraltar ins östliche Mittelmeer. Bei nen auf klärerische Geheimgesellschaften Çezme vor der anatolischen Küste kommt es wie Freimaurer und Rosenkreuzer in ganz im Sommer 1770 zu einer Schlacht, die für Europa Anhänger und Einfluss. die türkische Flotte mit einer Katastrophe Gleichzeitig entwickelt sich als Gegenströ- endet. Ab sofort spricht Europa nur noch mung zum Rationalismus ein ausgeprägter vom »kranken Mann am Bosporus«. Der Gefühls- und Freundschaftskult. Litera- Niedergang des Osmanischen Reichs ist berischer Höhepunkt dieser »sentimentalen« siegelt, während Russland triumphiert. ÖsPhase innerhalb der aufklärerischen Bewe- terreich beobachtet die russischen Gewinne gung ist Goethes früher Roman »Die Leiden an der Donau allerdings mit Sorge und des jungen Werthers« (1774), das wirkungs- versucht, Preußen zu einer antirussischen vollste Werk des »Sturm und Drang«. Allianz zu bewegen. Als Friedrich II. wenig Interesse zeigt, verbündet sich Österreich mit der Türkei, allerdings ohne weitergeMachtkampf am Schwarzen Meer hende Folgen. Mit Feldmarschall Alexander Suworow ch glaube«, hatte Voltaire seiner Brief- steht Katharina ein genialer Feldherr zur Verfreundin Zarin Katharina II. geschrieben, fügung. Mit seiner Taktik der aufgelockerten »wenn die Türken je aus Europa vertrieben Schützenkette und des Überraschungsangriffs werden, dann wird es durch die Russen ge- im Zusammenwirken von Infanterie und Arschehen.« Der Herrscherin ist diese Vorstel- tillerie gelingt es ihm, die russische Armee lung durchaus nicht unangenehm; denn das, an die Erfordernisse der modernen Kriege was man später das »Griechische Projekt« mit ihren riesigen Massenheeren anzupassen. der großen Katharina nennen wird, sieht in Als Suworow im Juli 1774 nur noch 300 km der Tat die Vertreibung der Türken aus Eu- vor Konstantinopel steht, unterschreiben die ropa, die Eroberung Konstantinopels und Türken bei Kütschük-Kainardschi, einem die Wiedererrichtung eines »oströmischen Dorf in der Dobrudscha, einen FriedensverReichs« unter russischer Herrschaft vor. trag, der Russland Gebietsgewinne von emiSultan Mustafa III. erklärt der Zarin 1768 nenter wirtschaftlicher Relevanz einbringt. den Krieg. Daraufhin dringen russische Den russischen Handelsschiffen steht fortTruppen in die Donaufürstentümer ein, an der Weg ins Schwarze Meer offen und I 24 11_012-029_Essay.indd 24-25 1648 – 1793 Allegorie der russisch-türkischen Seeschlacht bei Çezme 1770 (Gemälde von Theodorus de Roode, 1771) dadurch auch der Weg ins Mittelmeer. In die Geschichte geht dieser Friedensschluss aber auch aus einem anderen Grund ein, denn Russland wird nun Schutzmacht aller orthodoxen Christen auf dem Balkan. Mit dem Frieden von 1774 steht nicht nur ein großer Teil des südlichen Steppenlandes unter Katharinas Herrschaft. In den Bestimmungen wird auch die Unabhängigkeit des Khanats der Krim, des letzten Tatarenreichs auf europäischem Boden, von der türkischen Oberhoheit festgelegt. Der Besitz der Krim lockt Katharina. Sie annektiert die fruchtbare und sonnige Halbinsel im Schwarzen Meer 1783, während gleichzeitig der Bau einer Schwarzmeerkriegsflotte zügig vorangetrieben wird. Noch einmal versuchen die Türken der russischen Expansion einen Riegel vorzuschieben, indem sie 1787 der Zarin erneut den Krieg erklären. Sultan Abdul-Hamid marschiert in die Ukraine ein. Die russische Armee ist schlecht gerüstet, es fehlt an Proviant und Uniformen, Schießpulver muss aus den Niederlanden eingeführt werden. Trotzdem erringt Suworow erneut bedeutende Siege. Die erschöpfte Türkei gibt schließlich nach. Im Frieden von Jassy muss sie im Winter 1791/92 nicht nur die Annexion der Krim anerkennen, sondern auch das Gebiet an der Schwarzmeerküste zwischen Bug und Dnjestr abtreten. Die Neuenglandkolonie emanzipiert sich E ngland hat sich im »French and Indian War« gegen Frankreich durchgesetzt. Dass dieser Sieg jedoch einen hohen Preis hat, zeigt sich spätestens, als das Parlament 25 04.09.2007 19:19:35 Uhr 1648 – 1793 Absolutismus, Aufklärung und Revolution die Kriegskosten zunehmend auf die Kolonien abzuwälzen versucht. Seit dem Friedensabkommen 1763 zieht Großbritannien die Steuerschraube in seinen nordamerikanischen Kolonien immer fester. Außerdem sollen Gesetze und Zölle die Entstehung einer konkurrenzfähigen Wirtschaft in Übersee verhindern. Die Forderungen der neuenglischen Kolonisten nach Mitbestimmung im britischen Parlament werden in London hingegen konsequent überhört. Der Zorn darüber bricht sich erstmals 1773 bei der berühmten »Boston Tea Party« Bahn, als die Teeladung dreier Handelsschiffe von als Indianern verkleideten Siedlern im Hafenbecken versenkt wird. 1774 organisiert sich der Widerstand auch politisch: Die 13 Neuenglandkolonien Massachusetts, New Jersey, New York, Rhode Island, Connecticut, New Hampshire, Delaware, Pennsylvania, Virginia, Maryland, North Carolina, South Carolina und Georgia schicken ihre Delegierten zum ersten amerikanischen »Kontinentalkongress« nach Philadelphia, wo die Versammelten einen Handelsboykott gegen England beschließen. Amerika wird unabhängig I m April 1775 fallen bei Lexington und Concord die ersten Schüsse zwischen amerikanischer Miliz, einer aus Freiwilligen bestehenden Bürgerwehr, und britischen Soldaten. Der Kongress beginnt daraufhin mit der Aufstellung einer Armee. Den Oberbefehl übernimmt George Washington, ein Gutsbesitzer aus Virginia, der im »French and Indian War« noch für England gekämpft hatte. Ende August erklärt der englische König Georg III. die Neuenglandkolonien zum Rebellengebiet. Unter Berufung auf die Lehren von John Locke antworten die ame26 11_012-029_Essay.indd 26-27 rikanischen Kolonien am 4. Juli 1776 – dem heutigen Nationalfeiertag der USA – mit der Proklamation ihrer Unabhängigkeit. Zu Beginn des Krieges versuchen die Briten die Zentren des Widerstandes zu besetzen und einzelne Kolonien abzuspalten. General William Howe nimmt im September 1777 Philadelphia ein und treibt Washington, der im Oktober bei Germantown mit 3500 Mann nur knapp der Vernichtung entgeht, nach Nordwesten zurück. Aber schon kurz darauf tritt die Wende ein: Die Amerikaner können die von Kanada vorstoßenden Briten bei Saratoga stoppen und zur Kapitulation zwingen. Auch die diplomatischen Bemühungen, Frankreich für die amerikanische Sache zu gewinnen, tragen erste Früchte: Anfang 1778 schließt Frankreich ein Bündnis mit dem amerikanischen Kongress, dem auch Spanien und die Niederlande beitreten. Die junge Republik hat damit drei Vertreter der alten Ordnung auf ihrer Seite, die im Grunde nichts anderes beabsichtigen, als Großbritannien zu schaden. Die allmählich eintreffenden französischen Truppen stärken die amerikanische Kampfkraft; immer wieder gelingt es der französischen Flotte, die britische Blockade zu durchbrechen. Die Entscheidung fällt relativ unvermittelt im Spätsommer des Jahres 1781. Ein Großteil der britischen Truppen liegt beim Hafen Yorktown in Virginia und kontrolliert von dort das Hinterland. Als Washington erfährt, dass sich ihm eine französische Flotte von der Karibik her als Unterstützung nähert, verlegt er starke Einheiten nach Virginia. Gemeinsam schließen die Amerikaner und Franzosen die Briten in Yorktown ein. Am 19. Oktober 1781 müssen die Belagerten die Waffen strecken. Angesichts der Kriegsmüdigkeit im eigenen Land stimmt das britische Unterhaus Anfang 1782 gegen die Fortsetzung des Krieges. Zähe Verhandlungen führen schließlich am 3. September 1783 zum Frieden von Versailles. Großbritannien akzeptiert offiziell die Unabhängigkeit seiner vormaligen Neuengland kolonien. Die Jahrhundertrevolution – Sturm auf die Bastille A uch in Frankreich, wo der »aufgeklärte Absolutismus« des 18. Jahrhunderts niemals Fuß fassen konnte, brodelt es. Durch eine halbherzige Reformpolitik gerät die Monarchie unter Ludwig XVI. in eine schwierige Position zwischen den Vertretern des Ancien Régime und den Anhängern einer Reformpolitik, die sich im Rahmen der entstehenden »bürgerlichen« Öffentlichkeit außerhalb des Hofes formiert. Im Zentrum der Reformdiskussion stehen unter anderem die Praxis des Ämterkaufs und das französische Finanzsys tem. Die anachronistischen Steuerbestimmungen der absoluten Monarchie gewähren Adel und Klerus noch immer Steuerfreiheit, bürden dafür aber dem 3. Stand, der inzwischen längst das ökonomische Rückgrat des Landes bildet, das gesamte Steueraufkommen auf. Die ohnehin schon angespannte Stimmung in Paris erreicht einen Siede- In der Schlacht von Yorktown besiegt George Washington 1781 die Briten (Gemälde von Auguste Couder, 1836). 27 04.09.2007 19:19:41 Uhr 1648 – 1793 Absolutismus, Aufklärung und Revolution punkt, als der König am 11. Juli 1789 den populären Finanzminister Jacques Necker entlässt. Drei Tage später, am 14. Juli 1789, erstürmt die Bevölkerung der Hauptstadt die Bastille. Das mittelalterliche Stadtgefängnis ist kaum noch belegt, aber es gilt als Symbol der absolutistischen Herrschaft. Am Abend dieses Tages erhält der Begriff der »Revolution«, der ursprünglich aus der Astronomie stammt und die ewigunveränderliche Bahn eines Himmelskörpers bezeichnet, durch ein Wortspiel erstmals seinen modernen, uns geläufigen Sinn. Als nämlich der Duc de la Rochefoucault-Liancourt dem König von den Ereignissen an der Bastille berichtet und dieser ausruft »C’est une révolte!«, korri- giert ihn Rochefoucault-Liancourt mit dem Ausspruch »Non, Sire, c’est une révolution!«, und er meint damit: Was dort an der Bastille begonnen hat, ist so unaufhaltsam wie der Lauf der Sterne. In Paris kommt es zu schweren Kämpfen, doch schon bald lenkt der König ein und zieht die Truppen ab. Im August beseitigt die Nationalversammlung Feudalrechte, Steuerprivilegien und Kirchenzehnten, wenige Tage später kommt es zur feierlichen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte. Als viele Adlige die Flucht ergreifen und ausländische Fürsten gegen die Revolutionäre zu mobilisieren versuchen, tragen sie damit zur Radikalisierung der Bewegung bei. Im Juni Die Dampfmaschine von James Watt läutet ein neues Zeitalter ein (Illustration auf einer Zigarettenkarte, 1915). 1791 scheitert ein Fluchtversuch der Königsfamilie, drei Monate später wird das Land per Verfassung zur konstitutionellen Monar chie. Neuerlich angeheizt wird die revolu tionäre Stimmung im Frühjahr 1792 durch die drohende Intervention ausländischer Truppen. Der Sturm auf die Tuilerien bringt im Sommer die radikalen Jakobiner an die Macht, die den König vor Gericht stellen. Am 21. Januar 1793 stirbt Ludwig XVI. wegen geheimer Verbindungen zum Feind auf dem Schafott und es beginnt der »Terreur«, die Schreckensherrschaft der von Maximilien de Robespierre angeführten Jakobiner und der Guillotine. Tausende werden in den folgenden Monaten wegen vermeintlichen Verrats an der Revolution hingerichtet. Dampfmaschine weist den Weg in ein neues Zeitalter R Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789 (Gemälde der französischen Schule, Versailles, 18. Jh.) 28 11_012-029_Essay.indd 28-29 evolutionär sind aber nicht nur die politischen Ereignisse in den Vereinigten Staaten von Amerika und in Frankreich, sondern auch die Neuerungen im Produktionssek- tor, die ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts – ausgehend von Großbritannien – zu einer radikalen Neustrukturierung der abendländischen Gesellschaft führen. Nicht mehr Fürstenhöfe oder Universitäten sind die Motoren des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, sondern die Fabriken von Glasgow, Edinburgh, Manchester und Birmingham. Erfinder und Fabrikanten, allesamt Männer der Praxis, kombinieren in einer für Europa zu diesem Zeitpunkt noch einzigartigen Symbiose Wissenschaft und Produktion. Die neuen, der Praxis zugewandten Forschungsfelder heißen Kraftmaschinentechnik, Chemie und Elektrizitätslehre. 1764 baut der Handweber James Hargreaves im Auftrag eines Unternehmers eine Spinnmaschine mit mechanischem Antrieb. 1765 erfindet James Watt die Dampfmaschine, 1782 fügt er ihr ein Schwungrad bei. Die Dampfmaschine ermöglicht es, unabhängig vom Ort oder einem bestimmten Klima, große Mengen von Energie zu erzeugen. Die industrielle Revolution wird den Übergang von der Agrar- in die moderne Industriegesellschaft bewerkstelligen und das Europa des 19. Jahrhunderts prägen. 29 04.09.2007 19:19:44 Uhr