Gegen den teuflischen Mechanismus – Aktiv gegen

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Gegen den teuflischen Mechanismus – Aktiv gegen
Gegen den teuflischen Mechanismus – Aktiv gegen Frauenhandel
Inge Bell / Burkhard Haneke
in: Politische Studien, Band 395 55. Jg., Mai/Juni 2004, ISSN: 0032-3462,
Hrsg: Hanns-Seidel-Stiftung e.V.
Geheuer ist ihr dabei nicht, aber sie wird gehen. Sie wird dem Mann folgen, der sie in einer Disco
angesprochen hat, weil sie so schön tanzt, der ihr eine glänzende Zukunft im Westen versprochen
hat, weil sie so charmant ist und jung und frisch... Auch wir haben sie in jener Disco irgendwo in
Weißrusslands Hauptstadt Minsk kennen gelernt und ihr ein Kompliment gemacht, weil sie eben so
schön tanzt und dadurch auffällt in der Menge, so geschmeidig und irgendwie unschuldigverträumt. Als wir daraufhin ins Gespräch mit ihr kommen, erzählt sie uns arglos von ihrer
glänzenden Zukunft – bald wird sie Tänzerin sein, in einem Nachtclub auf Kreta.
Natascha ist 19 Jahre alt, hat engelsgleiche blonde Locken, blau-grüne Augen, den
durchscheinenden Teint und die blitzenden Augen der Jugend. Ein schönes, ein apartes Mädchen –
mit einer kleinen Narbe an der Unterlippe und einem Stupsnäschen, das hierzulande so manch einer
als „typisch russisch“ bezeichnen würde.
Natascha steht kurz vor der Ausreise aus Weißrussland. Der Mann aus der Disco, ein Bekannter
ihrer Freunde, hat sie aus ihrem Dorf abgeholt, in die Hauptstadt Minsk in ein Wohnheim gebracht
und ihr den Pass abgenommen. Er wird sich um ein Visum kümmern. Natascha erzählt er, sie müsse
dann zuerst von Minsk nach Finnland, erst dort könne sie das „richtige“ Visum für Kreta
bekommen. Sie glaubt ihm, denn was versteht sie – ein Mädchen aus der weißrussischen Provinz,
gelernte Köchin – schon von Pässen, Visa-Bedingungen, Botschaften, Konsularabteilungen,
Arbeitserlaubnissen, Schengen-Ländern...? Wir versuchen ihr klarzumachen, dass ein Visum für ein
EU-Land wie Griechenland in jeder griechischen Botschaft beantragt oder ausgestellt werden
könne, da müsse sie nicht erst nach Finnland. Das könne man auch hier in der griechischen
Botschaft in Minsk tun. Sie zuckt ratlos mit den Schultern. So hat ihr das der Mann eben erklärt und
das leuchte ihnen auch ein. Ihnen? Ja, außer Natascha werden noch zwei Mädchen Anfang zwanzig
nach Kreta gehen. Also zumindest seien sie in der engeren Auswahl, denn angeblich würde der
kretische Nachtclubbesitzer bald anreisen, um höchstpersönlich die endgültige Entscheidung zu
treffen... Eine Art „Fleischbeschau“?
„Mit wird das nicht passieren!“
Wir fragen sie, ob sie denn keine Angst habe, zu gehen. Sie könne die griechische Sprache doch gar
nicht, auch sonst keine Fremdsprache, habe keinen Arbeitsvertrag, kenne die Menschen gar nicht,
die sie über Finnland nach Kreta vermitteln wollen. Doch, sagt sie, mulmig ist ihr schon ein wenig,
vor allem weil sie ja als Touristin einreist, aber dann dort arbeiten wird, und das sei ja sicher illegal.
Und mulmig sei ihr auch deshalb, weil der Mann ihr erzählt hat, dass in dem Club auch Prostituierte
arbeiten und die würden viel mehr verdienen als die 450 Dollar, die sie bekommen wird. Aber er
sagte auch, es sei ihre Wahl, ihre freie Entscheidung, sie solle nur das tun, was sie wirklich wolle.
Käme denn auch Prostitution für sie in Frage? fragen wir. Nein, sagt sie entrüstet und mit
aufgerissenen Augen, was wir denn denken, sie ist ein ehrbares Mädchen!
Ob sie denn wisse, dass viele solcher naiver Mädchen wie sie – jung, hübsch, aus Osteuropa und
ohne Chance auf ein gutes Leben in der Heimat – in der Zwangsprostitution landen, gefangen in
einem Club, einem Bordell, zusammengepfercht mit anderen Zwangsprostituierten, vergewaltigt
und gefügig gemacht von Zuhältern, ständig der Gewalt ausgesetzt und weiterverkauft, wenn sie
nicht spuren, ihren Besitzern nicht genug Geld bringen oder nicht nett sind zu ihren Freiern. Dabei
seien sie doch ausgereist, weil sie wie Natascha nur tanzen sollten, oder im Restaurant bedienen
oder im Haushalt helfen... Ja, solche Geschichten kenne sie wohl, aber das würde ihr schon nicht
passieren, man habe ihr versichert, sie solle nur das tun, was sie wirklich wolle, und das sei Tanzen.
Und schließlich sei sie ja auch nur wegen des schönen Tanzes angesprochen worden. Sie sei schon
etwas Besonderes. „Keine Hure“ meint sie abschätzig.
Dieses Verhalten der Realitätsflucht ist so typisch für potentielle Opfer der Zwangsprostitution.
„Mir wird das schon nicht passieren.“ Es ist dieses Gefühl, etwas Besonderes zu sein, das es den
Anwerbern, den Menschenhändler am Anfang des Menschenhandels-Kanals, so leicht macht, die
Mädchen am wunden Punkt zu packen. Ilyana Derilova von der IOM (Internationale Organisation
für Migration) in Bulgariens Hauptstadt Sofia, nennt das den „Prinzessinnen-Komplex“. Weil die
jungen Osteuropäerinnen sich so fühlen, als hätten sie etwas Besseres verdient als diese desolate,
chancenlose, triste osteuropäische Realität, aus der sie kommen, weil sie sich so fühlen, als läge
ihnen die Zukunft zu Füßen, lassen sie sich ein auf die Schmeicheleien und Zukunftsversprechen
der Männer, die sie nicht selten auch noch verliebt machen. Und so gehen sie mit, und so gehen sie
in die Falle. Das „Loverboy-Syndrom“ nennt man diese Anwerbetaktik wiederum in der
Fachsprache jener Regierungs- und Nichtregierungs-Organisationen, die sich mit Menschenhandel
befassen.
Beratung auf schwierigem Terrain
Natascha ist auf unser Drängen bereit, sich von einer Hilfsorganisation in Minsk beraten zu lassen.
Zumindest beraten zu lassen, wenn sie schon nicht abzubringen ist von ihren Auslands-Plänen. In
der Hilfsorganisation „Malinovka“, einem Zentrum für die Prävention und Rückführung von
Zwangsprostituierten, das von „Hoffnung für Osteuropa“, einem Hilfswerk der evangelischen
Kirchen in Deutschland, unterstützt wird, versucht Irina Gruschewaja, eine auch hierzulande
bekannte weißrussische Menschenrechtlerin, dem Mädchen ins Gewissen zu reden. Umsonst. Zu
groß ist Nataschas Hunger nach Leben, nach Ausland, nach Chancen. Und man kann es ihr fast
nicht verübeln.
Weißrussland ist die letzte Diktatur Europas, eine Tristesse, die das Adjektiv „postsozialistisch“
kaum verdient, weil zu viel noch sozialistisch anmutet. Eine deprimierende Diktatur, in der alte
KGB-Strukturen, Nomenklatura-Denkweisen und ein Präsident-Lukaschenko-Kult dominieren, wo
die freien Gewerkschaften zerschlagen wurden, die Presse gleichgeschaltet wird und auch sonst
Menschenrechte nichts gelten. Auf dem flachen Land, von wo Natascha stammt, herrscht hohe
Landflucht, Arbeitslosigkeit, Alkoholismus. In der Hauptstadt Minsk ebenfalls trübe Aussichten,
keine Arbeit, kein Geld, keinerlei Förderung für junge Menschen. Das Klima der Unterdrückung
und Überwachung durch den Staat ist allgegenwärtig. Kein Wunder, dass ein Mädchen wie
Natascha nichts in Weißrussland hält. Die Hilfsorganisation „Malinovka“ selbst wird ebenfalls vom
Staat verfolgt, wie so viele Nichtregierungsorganisationen in Weißrussland, wo jede bürgerliche
Initiative argwöhnisch beäugt und gegebenenfalls dicht gemacht wird. Doch Irina Gruschewaja
kann Natascha zumindest ein paar Tipps mit auf den Weg geben: „Hier, wenn Du schon gehen
musst, dann lern diese Telefonnummern von Hilfsorganisationen vor Ort auswendig. Damit Du sie
immer hast, wenn Dir der Zuhälter Deine Sachen abnimmt und Du nichts mehr hast außer Deinem
Leben. Vielleicht leiht Dir ja einer Deiner Freier sein Handy. Lern auch Deine Passnummer
auswendig, näh Dir eine Kopie des Passes in die Jacke ein, damit Du im Falle einer Flucht leicht
einen neuen beantragen kannst, falls Du Deine Jacke noch haben solltest...“
Natascha wird gehen. „Mir passiert das schon nicht.“ Und wer weiß – vielleicht wird sie wirklich
nur tanzen. Was unwahrscheinlich ist. Denn der neueste Plan des Mittelsmannes lautet nun: nicht
über Finnland, über Moskau wird die Reise gehen. Eine klassische Route, ein einschlägig bekannter
Schleuser-Kanal. Wer weiß, ob die Reise tatsächlich nach Kreta führen oder sonst wo in der EU
enden wird. Dort, wo zahlungskräftige Kunden auf die vermeintlich „naturgeilen“ osteuropäischen
Frauen warten, die ja in den Augen überzeugter westeuropäischer Freier so viel wärmer und
anschmiegsamer sind als die einheimischen Prostituierten, die ihre Rechte und ihre Preise
selbstbewusst festsetzen und verteidigen.
Zwangsprostitution und Menschenhandel
Hunderttausende Kinder, Mädchen und junge Frauen wie Natascha werden jährlich zu Opfern einer
gigantischen Sexindustrie. Nach Schätzungen des Europarats sind es in Westeuropa ca. 200.000
Opfer jährlich, in Deutschland nach Schätzungen des BKA 30.000 jährlich. Skrupellose
Menschenhändler ködern die jungen Frauen und Mädchen mit falschen Job-Versprechungen oder
kidnappen sie einfach. Sie verkaufen sie weiter wie Sklavinnen. Die Frauen reisen unter ihrer
raffinierten Ägide legal als Touristinnen aus oder Schlepper bringen sie illegal über Grenzen.
Zuhälter zwingen sie dann in die Prostitution. Dieser Mechanismus aus Anwerben, Schleusen,
Entführen, Verschleppen und Verkaufen von Frauen aus ihren Heimatländern, um sie dann zumeist
im Ausland mit Hilfe von Gewalt, Bedrohung oder Drogen sexuell auszubeuten, bezeichnet man als
„Trafficking in women“, als Frauenhandel oder als „white slavery“, weiße Sklaverei. Dazu zählt in
erster Linie die Zwangsprostitution, aber auch das Geschäft mit Stripteasetänzerinnen,
Kinderpornografie und gewisse Formen des Ehehandels fallen darunter.
Die weltweit tätige Internationale Organisation für Migration hilft Opfern von Migration bei der
Rückführung in ihre Heimat. Auch Opfern des Menschenhandels. In vielen Ländern Ost- und
Südosteuropas ist das in den letzten Jahren sogar zum zentralen Arbeitsfeld der IOM geworden. In
Mazedonien z.B. wurden bis vor kurzem Flüchtlinge aus dem Kosovo bei ihrer Rückkehr betreut,
nun aber sind es zunehmend verkaufte, geschleuste, zur Prostitution gezwungene junge Frauen und
Mädchen aus ganz Osteuropa, die bei Razzien in den Bordellen Mazedoniens gefasst wurden, wo
sie noch während der Stationierung der KFOR-Friedenstruppen einen moralisch fragwürdigen
„Dienst an der Truppe“ leisten mussten, oder Mazedonierinnen, die in Westeuropa gefasst und
hierher zurück abgeschoben wurden.
„Fürs ganze Leben gezeichnet“
Martin Wyss, Missionsleiter der IOM in Skopje/Mazedonien, berichtet von den Opfern: „Die
Mädchen werden eingesperrt, sie werden kontrolliert, das Essen wird kontrolliert, sie werden häufig
wie Vieh behandelt und sie werden der Freiheit beraubt, sie werden erpresst. Typisches Beispiel:
Zwei verschleppte Rumäninnen, denen es gelang, nach Hause zu telefonieren, und der Zuhälter hat
das mitgekriegt und verstanden, dass die wirklich nicht bereit sind, sich zu prostituieren und quasi
lieber leiden und sich schlagen lassen würden. Und das klappt dann nicht fürs Business. Dann hat
der ziemlich frech die Eltern oder Verwandten angerufen und gesagt: ‚Ihr könnt sie haben für 1300
Euro.‘“
Wyss ist sich sicher, dass das in jedem anderen Kontext ganz klar als Kidnapping, Entführung gilt.
Er weiß, dass dennoch diese Dinge nicht erkannt und auch nicht so behandelt werden. Die
Bekämpfung des Phänomens der Zwangsprostitution steckt noch in den Kinderschuhen. Doch
Organisationen wie die IOM, aber auch Nichtregierungsorganisationen in den westeuropäischen
Zielländern oder osteuropäischen Herkunftsländern betreuen nicht nur Rückkehrerinnen, sondern
sammeln deren Zeuginnenaussagen und versuchen, nach allen Seiten Lobbyarbeit zu leisten. Nach
Martin Wyss gibt es Hunderte von Berichten, in denen die Frauen aufgeschrieben haben, was ihnen
passiert ist. Daraus gehe klar hervor, dass systematisch junge Frauen ihrer Freiheit beraubt und
ausgebeutet werden. „Und wenn sie nicht parieren, werden sie geschlagen und bedroht, mit dem
Tode bedroht“, sagt der IOM-Mann. Man wisse, dass auch Frauen umgebracht werden, einmal ganz
abgesehen von der Aids-Problematik. „Ich würde sagen, eine von zwei Frauen, mit denen wir
sprechen, hat irgendwelche Wunden von physischer Gewalt!“ Die Mädchen und Frauen sind dann
fürs ganze Leben gezeichnet, traumatisiert. Wyss: „Deshalb werde ich wütend, wenn bestimmte
Menschen sagen: Die kommen ja hier nach Mazedonien, um Geld zu verdienen.“
Frauen als „osteuropäischer Exportschlager“
Nicht die Mädchen und Frauen verdienen an dem schmutzigen Geschäft mit dem Frauenhandel, der
sogenannten „weißen Sklaverei“, es sind immer die Männer, die Zuhälter und Mittelsmänner, die
„absahnen“, es sind Albaner, Türken, Serben, Ukrainer, Russen. Die Menschenhandels-Mafia ist
international vernetzt und versteht sich prächtig jenseits nationaler Animositäten. Menschenhandel
ist ein äußerst lukratives Geschäft, weltweit wird damit nach Schätzungen der UN ein jährlicher
Umsatz von über sieben Milliarden Dollar gemacht, mehr als mit Drogen- oder Waffenhandel. Es
ist auch ein weitaus risikoärmeres Business als das mit Drogen und Waffen – und auch die
Investitionen sind gering. Und: die „Ware“ ist viel unauffälliger zu transportieren und leicht zu
beschaffen: denn das wirtschaftliche Elend, die familiäre Not und die Perspektivlosigkeit der
Frauen in Mittel-, Ost- und Südosteuropa sind idealer Nährboden für die falschen Versprechungen
der Menschenhändler. Sie machen den jungen Frauen weis, dass im Westen Zimmermädchen,
Bedienungen und Tänzerinnen händeringend gesucht und gut bezahlt werden, weil das Arbeit sei,
für die sich ein Westmensch mittlerweile zu fein sei. Und die Mädchen glauben das, sehen sie doch
auch im Westfernsehen genau das: schöne Westmenschen in einem schickes Leben aus
Sorglosigkeit und Wohlstand. Doch der Traum vom guten Leben im Ausland entpuppt sich schnell
als Albtraum der Zwangsprostitution.
Frauen und Mädchen sind zum Exportschlager Nr. 1 aus Osteuropa mutiert. Seit dem Fall des
Eisernen Vorhangs 1989 und den anschließenden Kriegen in Ex-Jugoslawien hat der Frauenhandel
explosionsartig zugenommen. Die Mädchen und jungen Frauen kommen vor allem aus jenen mittel, ost- und südosteuropäischen Ländern, wo die Armut besonders groß ist, wo die Tristesse aus
Arbeitslosigkeit, Zukunftsangst und mangelnder Aufklärung über Rechte und Möglichkeiten zu
einer allgemeinen Depression, wenn nicht zur Paralyse führt und wo daher die Versprechungen wie
Verheißungen erscheinen. Sie kommen aus Moldawien, der Ukraine, Weißrussland, Rumänien,
(Ex-)Jugoslawien, Albanien und Bulgarien. Eindeutige Zielregion: die reichen Länder Westeuropas.
Verkaufte Osteuropäerinnen lassen hier mittlerweile ihre Schicksalsgenossinnen aus Afrika,
Südamerika und Asien zahlenmäßig weit hinter sich. Aus der Nachbarschaft Deutschlands zu den
Ländern Mittel- und Osteuropas ergeben sich weitreichende Folgen. Neben den wachsenden
wirtschaftlichen Verflechtungen, der Verlagerung von Arbeitsmärkten und Produktionsstandorten
zeichnet sich gerade der bayerisch-tschechische Raum als „Top-Standort“ für alle Bereiche des
Frauenhandels aus, auch bayerische Polizisten bezeichnen die Grenzregion sowohl diesseits wie
jenseits der Grenzen als Europas größtes „Freiluftbordell“. Tschechiens Hauptstadt Prag ist
mittlerweile zum „Bangkok Europas“ geworden.
Die Opfer werden immer jünger.
19jährige wie Natascha sind schon die Regel, zunehmend werden minderjährige Heranwachsende
und Kinder sehr gefragt bei den Menschenhändlern, weil sie besonders leicht psychisch zu brechen
sind und über einen langen Zeitraum hinweg ausgebeutet werden können. Ein
Kindererziehungsheim in Bulgarien beherbergt derzeit rund 75 Mädchen zwischen 8 und 18 Jahren,
die in Westeuropa Opfer von Zwangsprostitution wurden und dann nach ihrer Abschiebung in diese
Besserungsanstalt gebracht wurden. Unter ihnen auch ein damals 11jähriges Mädchen, das 2002 in
Wien „Onkels“ bedienen musste. Dass das Heim lediglich eine Verwahranstalt ist und diesen
Mädchen keine Zukunft bietet, ist offensichtliches Zeichen dafür, dass die (süd-)osteuropäischen
Herkunftsländer schlicht überfordert sind mit dem neuen Thema des Frauenhandels mit immer
jünger werdenden Opfern.
Nicht zu unterschätzen ist die spezielle Nachfrage nach Kindern durch Pädophile. Eine unrühmliche
Rolle spielt hierbei die Tschechische Republik, bald EU-Staat. Nach einem – Ende 2003
veröffentlichten – eher populärwissenschaftlichen UNICEF-Lagebericht sowie einer soeben
vorgelegten Untersuchung des Netzwerkes ECPAT (End Child Prostitution And Trafficking), die
im Rahmen des EU-STOP-Programms gegen Menschenhandel stattfand, gibt es nicht wenige Fälle
von Kinderhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung – gezielt werden hier Kinder und
heranwachsende Minderjährige ihren pädophilen Freiern aus Deutschland und Österreich in den
entsprechenden Grenzregionen, aber auch in der Hauptstadt Prag zur Verfügung gestellt. Doch die
Tschechische Republik tut sich schwer mit diesem ausländischen Befund. Denn unter dem Motto,
dass nicht sein kann, was nicht sein darf, und schon gar nicht in einem künftigen EU-Land, steckt
man diese Fälle von Kinderhandel und -prostitution eher in der Statistik von Drogenabhängigen.
Dabei berichtet auch Franz Former, stellvertretender Grenzbeauftragter der Polizeidirektion Furth,
von Fällen, in denen die männlichen Mitglieder ganzer Kegelclubs bewusst ins tschechische
Grenzgebiet fahren, um sich einschlägig zu amüsieren – und das auch mit Mädchen, die „deren
kleine Töchter sein könnten, das stimmt mich doch sehr nachdenklich“.
Nun ist die Tschechische Republik innerhalb der ex-sozialistischen Staaten Mittel- und Osteuropas
ein Sonderfall, denn hier werden nicht nur Mädchen und Frauen angeworben und dann in den
Westen gebracht, sondern es geraten auch Opfer von weiter östlich in das Land, die dann in den
Grenzregionen zu Deutschland und Österreich hängen bleiben, weil ja die Kunden zu ihnen
kommen, was für die Mittelsmänner bequemer und risikoärmer ist. Die Tschechische Republik ist
sowohl Herkunfts- wie auch Sende- und Transitland für Opfer von Zwangsprostitution. Das erste
künftige EU-Land mit einer solchen Charakteristik, alle anderen EU-Mitgliedsländer sind
ausnahmslos Zielländer für die Menschenhandelsmafia aus dem Osten.
Frauenhandel ist in den meisten Fällen Organisierte Kriminalität. Die gewalttätigen Zuhälter und
Menschenhändler haben erkannt, dass es etwas Einträglicheres gibt als nur „Frauen auf den Strich
zu schicken“: sie haben begonnen, Frauen und Mädchen zu versklaven und einfach den gesamten
Gewinn einzustreichen. Denn neben der Tatsache, dass Zwangsprostituierte kaum Anteil haben an
dem Geld, das sie verdienen, weil ihnen horrende Summen für Kost, Logis und einfache Mittel des
täglichen Lebens abgeknöpft werden (10 Euro für ein Shampoo) spielt noch das tägliche Soll eine
Rolle. Gekaufte Sklavinnen müssen täglich oft 15 oder 20 Männer bedienen – sieben Tage die
Woche, ohne Unterbrechung. Die Internationale Organisation für Migration veröffentlichte sogar
Bekenntnisse von Opfern, die für ihre Zuhälter bis zu 40 Männer am Tag abfertigen mussten. Keine
professionelle Hure in Deutschland würde so etwas mitmachen.
Schwierige Strafverfolgung
Stichpunkt Deutschland: Menschenhandel ist strafbar nach §180 und 181 des Strafgesetzbuches und
außerdem ein Delikt der Organisierten Kriminalität. Dennoch ist es nach wie vor schwierig,
Menschenhandel effizient zu verfolgen. Auch für Fachleute ist eine Abgrenzung zwischen
Menschenhandel und Förderung der Prostitution oder Zuhälterei schwierig. Die
Strafverfolgungsbehörden beklagen Personalmangel und gelangen mit den aufwändigen,
langwierigen Ermittlungen oft an die Grenzen ihrer Kapazität, Razzien müssen intensiv vorbereitet
werden, die Opfer während und nach dem polizeilichen Zugriff entsprechend aufgefangen werden.
Die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen involvierten Behörden
(Ausländerbehörde, Sozialamt, Europol/Interpol, Behörden im Herkunftsland) ist oft schwierig und
manchmal schlicht unzureichend oder unmöglich, zumal wenn es sich um eine Zusammenarbeit mit
ex-sozialistischen Ländern handelt, mit denen Rechtshilfeabkommen entweder gar nicht bestehen,
oder aber es gibt sie, doch dann dauert ein entsprechender Antrag wiederum Monate, wenn nicht
Jahre. Zudem sind die Menschenhändlerringe exzellent organisiert und verfügen über Geld und gute
Beziehungen in ihren osteuropäischen Herkunftsländern. Und damit lassen sich zumindest dort so
manch ein Polizist bestechen oder so manch einem Staatsanwalt die Beweismittel abkaufen.
Außerdem werden durch Kontaktmänner vor Ort die Angehörigen des Menschenhandelsopfers
skrupellos bedroht, das Opfer selbst erpresst. Oft weiß die Familie in der Heimat ja gar nicht, womit
die Frau Geld machen muss. Nicht wenige Frauen, die aus der Zwangsprostitution befreit wurden,
lassen sich also einschüchtern und damit abhalten von einer in jedem Menschenhandels-Prozess
dringend notwendigen Aussage.
Denn die Frauen haben auch Angst davor auszusagen, weil sie glauben, dass auch hier bei uns die
Polizei, Staatsanwälte und Richter bestechlich sind, so wie sie es aus ihren Herkunftsländern
kennen. Und ihre Zuhälter haben ihnen das ja auch immer wieder eingetrichtert, dass sie sich bloß
hüten sollen vor der Polizei, denn sie seien ja illegal hier und das habe ganz üble Folgen.
Oft kommen Aussagen von Frauen in der Nebenklage auch gar nicht mehr zustande, weil die
Frauen rasch abgeschoben werden. Nur die wenigsten wollen oder können dann zu einem Prozess
wieder einreisen - denn auch dazu müsste eine länderübergreifende Zusammenarbeit reibungslos
funktionieren. Doch wenn vom Zeitpunkt der Bestellung einer bereits z.B. nach Bulgarien
abgeschobenen Frau als Zeugin in einem Prozess in Deutschland nur wenig Zeit bleibt, die Mühlen
des Rechtshilfeabkommens aber langsam mahlen, dann helfen nur unkonventionelle, schnelle
Maßnahmen oder ein hohes Maß an persönlichen Beziehungen der Strafverfolgungsbehörden zu
zuverlässigen Partner in den entsprechenden Herkunftsländern. Doch derartige Wege werden (noch)
selten gegangen.
Also hinkt die Strafverfolgung den Aktivitäten der Menschenhandels-Mafia hinterher. Die Zahl der
Opfer steigt stetig, die der verurteilten Täter hingegen liegt bei nur ca. 10 Prozent. Denn meist wird
bei der Verurteilung auf andere, einfachere Tatbestände ausgewichen, zumal wenn – weil
abgeschoben – keine Zeugin da ist, und so entgeht der Fall der Menschenhandels-Statistik und
macht es auch den Ermittlern unmöglich, Täterstrukturen aufzudecken. Auch die vorhandenen
Instrumente des Zeugenschutzprogramms für Opfer oder die Einziehung der Gewinne der
potentiellen Täter werden im Falle des Menschenhandels noch viel zu selten angewendet. Das
Phänomen der Zwangsprostitution ist wohl noch zu neu, Erfahrungen müssen wohl erst noch „in
der Breite“ gesammelt werden.
Den Opfern helfen – zum Beispiel: Solwodi und Jadwiga
Nichtregierungsorganisationen, die sich um Opfer von Zwangsprostitution kümmern, versuchen
natürlich ständig, nicht nur Aufklärung zu betreiben und durch Lobbyarbeit zu wirken, sondern vor
allem auch, die Kooperation zwischen den Strafverfolgungsbehörden und den Hilfsorganisationen
zu verbessern. So betreibt zum Beispiel die bundesweit tätige Organisation Solwodi e.V. (Solidarity
with women in distress, Sitz in Boppard) nicht nur sieben Beratungsstellen in verschiedenen
Bundesländern (in Bayern: Bad Kissingen), in denen Opfer von Menschenhandel nach Razzien eine
geschützte und anonyme Bleibe finden, psychosozial betreut werden und gegebenenfalls bis zum
Prozess juristisch begleitet werden – was absolut notwendig ist, wenn man bedenkt, wie
traumatisiert die Frauen durch die ständige Gewalterfahrung in den Bordellen oder
Wohn„gefängnissen“ sind und wie wenig sie ihre Rechtslage und Ansprüche kennen. Solwodi e.V.
hat auch im Rahmen eines EU-Projekts gegen Menschenhandel zusammen mit französischen und
belgischen Organisationen eine Studie bei Strafverfolgungsbehörden durchgeführt, damit die
interdisziplinäre und internationale Kooperation zwischen den verschiedenen beteiligten Behörden
verbessert wird.
In München wiederum hat die Hilfsorganisation Jadwiga gGmbH ihren Sitz – eine regional tätige
Organisation, die wie die meisten vergleichbaren deutschen Hilfsorganisationen personell nicht
ausreichend besetzt ist und damit ständig am Rande ihrer Kapazitäten arbeitet. Auch hier werden
Frauen und Mädchen, die Opfer von Zwangsprostitution geworden sind, psychosozial betreut und
auf eventuell bevorstehende Menschenhandelsprozesse vorbereitet. Auch hier weiß man, wie
wichtig es nicht nur für deutsche Ermittler und Richter ist, wenn eine Opferzeugin persönlich vor
Gericht aussagt. Auch die Frau selbst erfährt eine ungeheure Genugtuung und Selbstsicherheit
dadurch, dass ihr Peiniger von einem deutschen Gericht verurteilt wird, dass ihr Leid anerkannt
wird: die Bestätigung, dass sie schuldlos hineingeraten ist in ein Gewaltmilieu, aus dem es ohne
Hilfe von außen – ohne die Hilfe von unbestechlichen Polizisten – kein Entrinnen gegeben hätte.
Das „Aktionsbündnis gegen Frauenhandel“
Die bundesweit tätige Organisation Solwodi e.V. mit ihrer bayerischen Fachberatungsstelle in Bad
Kissingen und die Münchner Beratungsstellen Jadwiga gGmbh haben aktiv und konkret mit der
Betreuung von Opferzeuginnen zu tun. Beide Organisationen sind Mitglieder im bayerischen
„Aktionsbündnis gegen Frauenhandel“, das im Jahr 2000 – maßgeblich unterstützt durch
Renovabis, die katholische Solidaritätsaktion für Mittel-, Ost- und Südosteuropa, gegründet wurde.
Das „Aktionsbündnis gegen Frauenhandel“ versteht sich als ein Netzwerk von Initiativen und
Einzelpersonen, die beruflich oder privat mit den Mechanismen und brutalen Folgen des
Frauenhandels konfrontiert sind.
Dem Netzwerk gehören überwiegend kirchliche – sowohl katholische als auch evangelische –
Organisationen an*, die den Skandal des Frauenhandels als eine besondere Herausforderung für ihr
christliches Engagement begreifen. Diesen Skandal will das Bündnis auf die öffentliche
Tagesordnung setzen und im kirchlichen wie im nichtkirchlichen Leben thematisieren. Konkrete
Schritte dazu sind, die Öffentlichkeit regelmäßig zu informieren und die Politik parteiübergreifend
zu unterstützen, damit Parlamentarier dem Frauenhandel gemeinsam und wirksam entgegentreten
können. Auch sollen Fachleute aus Ost und West zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
angeregt werden. Vor allem aber geht es dem Bündnis darum, Menschen zu vernetzen, die sich
bereits aktiv gegen den Frauenhandel engagieren, und mit ihnen Veranstaltungen, Aktionen und
Kampagnen zu initiieren. So soll schließlich – im Verbund – eine effiziente, unbürokratische und
konzertierte Zusammenarbeit gegen den Frauenhandel möglich werden.
*Dem „Aktionsbündnis gegen Frauenhandel“ gehören neben Renovabis, Jadwiga und Solwodi unter anderem an: der
Sozialdienst katholischer Frauen (SkF), das Diakonische Werk Bayern, Terre des Femmes, der Katholische Deutsche
Frauenbund (KDFB), die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd), das Kolpingwerk Bayern und der Bund
der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ). Insgesamt umfasst das Aktionsbündnis zur Zeit 19
Mitgliedsorganisationen.