Circuit - Ausgabe 01/2011
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Circuit - Ausgabe 01/2011
» Blickpunkt So entsteht ein „Hobbyracing-Bike“, Teil 2 Unterwegs mit einem Reizgerät – oder nüchtern: Fahrbericht Yamaha R6 Text: Martin Doczyck, Matthias Fischer Fotos: Circuit Pics In der vorletzten Circuit-Ausgabe haben wir ausführlich beschrieben, wie Frank Spall seine R6 Cup-Yamaha von 2009 umgebaut und weiter perfektioniert hat. Aber ein Motorrad ist ja nie ganz fertig, auch eine R6 RJ 15 nicht. Während der begeisterte Techniker seinerzeit noch eine im Hinblick auf die Kosten eher „volksnahe“ Variante aufbaute, lud er uns nun ein, das derzeitige Maximum seiner Tuningkunst zu testen. Frank bot uns an, seinen Technologieträger, während zweier Trainings in Hockenheim und am Nürburgring unter die Lupe zu nehmen. Im August wurde das Fahrwerk des Renners komplett auf WP umgerüstet und auch sonst das eine oder andere Detail perfektioniert. Die Bremsanlage wurde nach dem ersten Test in Hockenheim gegen Bembo ausgetauscht, denn die vorher montierten Braking-Stopper arbeiteten alles andere als zufriedenstellend. Unser Mitarbeiter Martin Doczyck hat den rund 28.000 Euro teuren Edel-Umbau bewegt. Hier nun sein Bericht. Als uns Frank im Sommer bat, seinen Technologieträger unter die Räder zu nehmen, hatte ich in der redaktionsinternen LÃÌÕ}Ê`>ÃÊØV]Ê`>ÃÊ>}iÊâV iÊ zu ziehen und damit der „Testfahrer“ zu sein. Prima, dachte ich mir, eine R6 wird dich schon nicht aus den Stiefeln schubsen. Als Frank dann aber am Vorabend zum Training >Ê ÓÎ°Ê Õ}ÕÃÌÊ Ê Vi iÊ `iÊ /ØÀiÊ ÃiiÃÊ/À>ëÀÌiÀÃÊvviÌi]ÊÜÕÀ`iÊV Ê`V Ê ein wenig bleich um die Nase. Zum ersten Mal machte mir ernsthaft Gedanken darüber, wer denn eigentlich für den Schaden eines (von mir...) zu Schrott verwandelten Testfahrzeuges aufkommen würde. Gibt es eine „Haftungsverzichtserklärung“ ging mir durch den Kopf, nach dem ich meinen Kontostand mit dem verglich, was da gerade ins Fahrerlager rollte. Die wichtigsten Modifikationen auf einen Blick Komplettes WP Fahrwerk, das in Zusammenarbeit mit der Firma GL-Suspension von Andi Vogt (siehe Kasten anbei) aufgebaut wurde: U Gabelumbau-WP Closed cartridge, Tauchrohre DLC-beschichtet U WP Federbein 4618 Competition Shock Absorber U WP Lenkungsdämpfer U Marvic-Magnesium-Schmiederäder U Kurbelwelle feingewuchtet, Pleuel und Kolben verwogen, Lagerspiele optimiert, innere Reibung minimiert, Steuerzeiten optimiert, Kit-Zylinderkopfdichtung verbaut, Kupplungsoptimierung Hyperplates (= Alu-Kupplungsscheiben) UÊ <ÕÃ>ÌâÜ>ÃÃiÀØ iÀÊiÀÃÌiiÀ\ÊViÀî UÊ Silikonwasserschläuche und Aluwasserleitungen UÊ Ê,>V}ÊÕvÌvÌiÀ UÊ À>«ÛVÊ/Ì>ÊÌÀØiÀ>>}iÊÌÊÊ Carbon-Endschalldämpfer UÊ 9>> >ÊÌ-ÌiÕiÀ}iÀBÌ UÊ *ÜiÀV>`iÀÊ* xÊ«ÕÃÊ Autotune-Module von Micron Systems UÊ +ÕVà vÌiÀÊvØÀÊ-V >Ì}iÃÌB}iÊ UÊ iÃÊÕ~À>ÃÌi>>}i UÊ ÊÓÊiiÀÃÌÕi UÊ xÊÓäiÀÊiÌÌiÃ>ÌâÊÊ,6Î 47 Diverse Carbon-Teile wie: Raceverkleidung komplett Carbon, Carbon-Kotflügel vorne und hinten, Carbon Verkleidungshalterung, Carbon-Airram-Kanal, Carbon-Rahmen und Schwingenschoner, Carbon-Limadeckelschoner, Carbon-Kupplungsdeckelschoner, Carbon-PickupDeckelschoner, Carbon-Tankprojektoren, CarbonTankseitenabdeckungen, Carbon-Kettenabweiser. Bremsenumbau: Brembo 18er Radialbremspumpe mit Fernversteller, Bremsscheiben vorne von Brembo, Racing/Street vollschwimmend gelagert. Bremsscheibe hinten: Braking Wave. Brems-sattel hinten: ISR Racing Sattel, Halterung/Aufnahme Eigenbau. Stahlflex Bremsleitungen vorne und hinten. Fahrzeug-gewicht fahrbereit: 151 kg (incl. aller Betriebsstoffe ohne Benzin – Tankinhalt ca. 17 Liter). Beim Blick auf diese Liste war mir schnell klar, dass hier alle Register gezogen wurden. Ein komplettes Fahrwerk von White Power; an der Front im neuen closed-cartridgesystem und zusätzlich noch aufwändig zur Reibungsminimierung beschichtet. Hinten `iÀÊ >V Ê iÕiÃÌiÊ -Ì>`Ê `>âÕ}i À}iÊ B pfer sowie Carbon, wohin das Auge schaut. Liebevolle Details (beispielsweise der EinvØÃÌÕÌâiÊvØÀÊ`>ÃÊÌÀ®Ê>V ÌiÊÜiÌiÀÊ>À]Ê das hier ein echter Technik-Freak mit langjähriger Tuningerfahrung seine Hände angelegt hat. Der Motor (Kit-Kopfdichtung, feingewuchtete KurbelÜii]ÊÌ-ÌiÕiÀ}iÀBÌÊiÌV°®ÊÜÕÀ`iÊ>ÕvÊ£ÎÈÊ*-Ê>Ê der Kupplung (128 PS am Hinterrad) gebracht. V Ê LiÃV ÃÃÊ iv>V ]Ê `iÊ }V iÌÊ iiÃÊ LvÕ}iÃÊ âÕÊ }ÀiÀiÊ `>ÃÊ iÊ ÜÀÊ ,>ViÀÊ ja ganz gut...), und trank mit Frank erst mal ein Bier. Frank berichtete mir, dass der Umbau erst wenige Tage zuvor fertig wurde und es sich um eine echte Premiere handelt. Nicht mal er selbst ist mit der R6 bisher gefahren. Dies bedeutete auch, dass eine Fahrwerksabstimmung noch V ÌÊ }V Ê Ü>À°Ê 7ÀÊ >iÊ ØLiÀi]Ê `>ÃÃÊ Frank nach seinen bisherigen Erfahrungen das Set-Up grob vorjustierte, denn aufgrund des sich in Hockenheim eher nass darstellenden Wetters Ü>ÀÊ >À]Ê `>ÃÃÊ iÃÊ Ü> ÀÃV iV Ê V ÃÌiÃÊ iÊ oder zwei trockene Turns zum Testen geben würde. On the track Als ich dann am nächsten Tag auf die Piste fuhr, war ich schlichtweg begeistert. Auch ohne detaillierte Abstimmung des Fahrwerkes konnte ich nur Zufriedenheit feststellen. Ohne jede Nervosität, aber mit frappierender Handlichkeit und Präzision, ist die R6 zu fahren. Bei 250 km/h in der Parabolica einer Erbse ausweichen? Gedacht-gemacht! Jede Linie steht zur Auswahl, denn hier bestimmt der Fahrer 48 und nicht das Fahrzeug den Weg. Obwohl ich ÃÃÌÊi iÀÊ>Ê£äääiÀÊÌiÃiÊ}iÜ ÌÊL]ÊviÊ mir der Umstieg auf die quirlige R6 überhaupt nicht schwer. Die Federelemente sind von der Grundabstimmung her straff, ausreichend gedämpft und gefallen mit einem samtigen Ansprechverhalten und einer erstklassiger Rückmeldung der Fahrbahnoberfläche. Auch in der Bremsphase kam keine (unerwünschte) Unruhe in der Hinterhand auf, obwohl ich dies aufgrund des geringen Gewichtes und der sehr vorderradorientierten Sitzposition eigentlich erwartet hätte. Die Anti-Hopping-Kupplung (AHK) funktionierte unspektakulär gut, war aber durchaus „präsent“ ausgelegt. So stellte ich fest, dass in der Bremsphase kurz nach dem zügigen Wiedereinkuppeln das Hinterrad teils leicht quer >°ÊV Ê«iÀÃV Ê>}Ê`iÃiÊLÃÌÕ}ÊÃi À]Ê erlaubt sie doch trotz AHK über das Hinterrad eine gewisse Bremskraft zu übertragen und so in der Einlenkphase etwas Dynamik übers Hinterrad in den Einlenkprozess zu bekommen. Wer dies nicht mag, muss die Gänge etwas sanfter runter schalten oder aber die Kupplung mitbenutzen. Klar ist auch, dass ein Fahrzeug mit diesem }iÀ}iÊ iÜV ÌÊ Õ`Ê `iÀÊ ÀiëÀÌB~}iÊ Auslegung immer dazu tendiert, an der Hinterhand leicht zu werden. Nach einigen Runden wurde ich dann (trotz nicht geklärter Haftungsfrage) etwas mutiger. Die aufgezogen Pirelli SC2 grippten prima und aufgrund der sehr eng wählbaren Kurvenlinien stellte ich fest, dass selbst deutlich leistungsstärkere 1000er auf der Graden beim Rausbeschleunigen ihre Nachteile hatten. Sie kamen erst wesentlich später ans >Ã]ÊÕ`Ê£ÎÈÊ*viÀ`V iÊ >LiÊÌÊ`iÊ}iÀ}iÊ Gewicht kaum Mühe. Gegen Mitte der Graden schlug dann natürlich die Stunde der mächtigen 1000er Leistungskeule, aber es gibt ja auch noch das Bremsen...! Hatte ich eigentlich schon das geringe Gewicht erwähnt? Kurzum: das Fahren mit Franks R6 macht einfach nur Laune. Toll ist auch, dass der Motor bereits bei ca. 5000 Umdrehungen sauber verwertbare Leistung hat. So konnte die enge Rechts nach der Parabolica mit ungefähr dieser Drehzahl verlassen werden, ohne unbedingt die Kupplung zur Hilfe zu nehmen oder noch einen Gang runterschalten zu müssen. Lochfrei zieht der Motor hoch, um bei 7.500 U/min richtig zuzulegen und dann bei ca. 14.500 U/min ohne den Begrenzer aufsuchen zu müssen das Hochschalten empfiehlt. Ein besonderes Sahnestück muss hier noch erwähnt werden: Die Brembo-Bremsanlage. Unter Verwendung speziell darauf abgestimmter BremboBremsbeläge (Kosten ca. 218 Euro (!) fürs Vorderrad, mit allerdings avisierter zweieinhalbfacher Lebensdauer im Vergleich zu „üblichen“ Racing-Belägen) ergab sich ein fantastisches Bremsverhalten. Egal bei welchem Speed – mit praktisch einem Finger kann jederzeit runter gebremst werden. Jederzeit gibt es eine präzise Rückmeldung der grade >ÃÌi i`iÊ }V iÌiÊ Õ`Ê iiÊ iÃÃiÀ scharfen Druckpunkt. Der übrigens während eines 20-Minuten-Turns unverändert blieb. Der Fernversteller brauchte somit nicht beachtet werden. Dabei ist die Bremse nicht tückisch bissig, so das trotz der hervorragenden Bremsleistung auch im Kurveneingang oder in Schräglage noch leicht übers Vorderrad nachgebremst werden kann, ohne Sorge vor einer zu starken (unbeabsichtigten) Bremskraft haben zu müssen. Am Ende meiner Testfahrt bleibt der Eindruck und die Erinnerung an ein toll aufgebautes Motorrad zurück, und die Überi}Õ}]ÊLÊ`iÀÊëÊÃÊ}À~ÊÃÌÊÜiÊ`iÊÕÃÌ]ÊÃV Ê iiÊ,>iÌiÊiÊ}iÊiiÊâÕÊi° [email protected] ! Für den kompletten Fahrwerksumbau der R6 auf White Power zeichnet Andreas Vogt, Inhaber von GL Suspension Service in Gechingen, verantwortlich. Der „Fahrwerksguru“ betreut mit seinem 2004 gegründeten Unternehmen heute Fahrwerke der IDM und baut an seinem Standort für Endkunden indi-viduelle Fahrwerke auf. Bis 2007 war Andy Vogt als Fahrwerkstechniker für Showa Europe im Fahrerlager tätig und betreute die Fahrwerke im Rahmen der Superbike WM. Seit 2008 ist er Fahrwerkstechniker für Kayaba. WP Produkte vertreibt Andy Vogt, weil er von der +Õ>ÌBÌÊÕ`Ê<ÕÛiÀBÃÃ}iÌÊ`iÃiÀÊiiÌiÊØLiÀâiÕ}ÌÊÃÌ°Ê Mehr Informationen zu GL Suspension Service und WP: www.gl-suspension.de