Vom Kulturkino zum Grillrestaurant
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Vom Kulturkino zum Grillrestaurant
Vom Kulturkino zum Grillrestaurant Schon nach dem ersten Schritt in den Innenraum des Kino Razzias, umfängt uns die berüchtigte Stimmung aus einer Mischung von geheimnisvollem Stolz, jazzigem Sound und einer kleinen Prise Melancholie. Total überwältigt von dem Charme, lassen wir unsere Blicke von den weißbedruckten, schwarzen Wänden hinüber zu dem DJ Pult, weiter zu den stylischen Couchs und schließlich zu der kleinen aber reizenden Bar, die vor der ehemaligen Leinwand des Kinos steht, schweifen. Die Wände erzählen die Geschichte des nun schon sehr alten Razzias. Das Haus wurde 1920 von Wilhelm Pfister-Picault, als eines der ersten Kinos der Stadt Zürich, entworfen und schliesslich auch gebaut. Mit den weiss getünchten Säulen und den Torbögen erinnert das Haus an einen Griechischen Palast. An den Wänden wurden von einem Maler 14 Fresken gemalt, die von der griechischen Geschichte beeinflusst wurden. Am Anfang wurde das Kino nur für Stummfilme gebraucht, doch später wurde es auch als Pornokino, Theater und Konzertsaal gebraucht. Im Laufe der Jahre zerfiel das alte Haus immer mehr. Es wurde schliesslich renoviert und die wunderschönen Fresken wurden einfach neu verputzt. 1980 übernahm der Student Jürg Judin das Kino Razzia. Obwohl das Kino durch ihn immer bekannter und erfolgreicher wurde, wollte die Besitzerin das Haus auf einmal wieder, um Wohnungen daraus zu bauen. Das traditionsreiche, alte Kino sollte abgerissen werden. In seiner Verzweiflung tat Jürg Judin das Einzige, was das Kino noch retten konnte: 1989 riss er auf gut Glück den Verputz von den Wänden. Er hatte nämlich vor einiger Zeit in der Zeitung gelesen, dass die Wände früher mit wunderschönen Bildern bemalt waren. Zu seiner grenzenlosen Überraschung, kamen die Fresken wirklich zum Vorschein. Das Haus wurde unter Denkmalschutz gestellt, und durfte nicht abgerissen werden. Obwohl Jürg Judin dem Razzia das erste Mal zu grösserem Rum verholfen hatte, wurde er von den Besitzern erntlassen. In den darauffolgenden Jahren blieb das Razzia grösstenteils leer und wurde wieder seinem Zerfall überlassen. Erst 2008 wurde das Kino Razzia nach über 19 Jahren wieder für verschiedene Kulturanlässe für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Beeindruckt wenden wir uns von den Wänden ab und sehen uns im Raum um. Wir sind praktisch die einzigen Besucher im Razzia. Außer uns sitzen noch zwei Herren ende Fünfzig an der Bar und plaudern, vielleicht über alte Erinnerungen an das Razzia, vielleicht aber auch einfach über Familie, Geschäfte oder über das aktuelle Wetter draussen. Hinter der Theke stehen ein Barkeeper und eine Bardame, die sich ebenfalls leise unterhalten, da sie nicht viel zu tun haben. Höflich lächelnd schlendern wir auf die beiden zu. Der junge Mann passt mit seinem hellen Hemd mit schwarzer Weste und locker sitzenden Krawatte perfekt in diese elegant-gemütliche Umgebung. Erst ein Jahr arbeitet er hier und es war bis jetzt die schönste Zeit seiner bisherigen Barkeeperkarriere. „Jeder der hereinkommt, hat diesen ganz besonderen Gesichtsausdruck, halb erstaunt, halb bewundernd.“, auch er habe so reagiert, als er das Gebäude zum ersten Mal betrat, meint er schmunzelnd. Oft wird er in Gespräche mit den Gästen verwickelt, die mehr über dieses Kino wissen wollen. Diesen Austausch geniesst er immer ganz besonders, genauso wie die verschiedenen Anlässe bei denen er mithilft. Da das Razzia nicht mehr hundertprozentig als Kino tätig ist, finden hier auch Modeschauen, Konzerte und kleine Ausstellungen statt. Diese sind für ihn Abwechslung und Herausforderung zugleich. Als der Umbau zur Sprache kommt, verdüstert sich sein Gesicht. Besonders schade findet er, dass der charakteristisch abgeschrägte Boden flach wird. „Denn so sieht man ja nicht mehr, was das Gebäude vor dem Restaurant einmal gewesen war. Dann ist das Kino Razzia entgültig verschwunden.“ Wenn man die Leute auf der Strasse fragt, haben viele schon vom Kino Razzia gehört, doch nur die Hälfte war vor längerer Zeit schon einmal dort und hat sich einen Film angeschaut. Doch alle bedauern, was aus dem Kino werden soll. „Es ist eben etwas ganz besonderes und mit dem Umbau ist es nur noch eines von den vielen `Schickimicki-Restaurants`, die es im Seefeld nur zu genüge gibt“. Leider ist der Umbau unvermeidbar, da wegen dem Denkmalschutz die Ausgaben zu gross sind. Ausserdem ist ein Restaurant immer noch besser, als wenn es leer stehen würde. „Ich werde bestimmt der Erste sein, der das neue Grillrestaurant betritt, aber mit einem weinenden Auge.“ Kellner im Razzia Es gibt jedoch auch noch andere Kinos, die dasselbe Schicksal mit dem Razzia teilen. Eines davon ist das Radium in der Altstadt von Zürich. Dieses Kino wurde um 1907 erbaut und war somit eines der ersten Kinos, das sich in einem mehrfach genutzten Gebäude befand. Die Filme waren ein- oder mehrfarbig koloriert und wurden von Klavierspielerinnen begleitet. Je nach Vermögen des jeweiligen Kinos hörte man ein ganzes Orchester. Damals war das Kino im Allgemeinen etwas ganz besonderes, das von allen Altersgruppen besucht wurde. Nicht selten musste der Klerus oder die Polizei zur Unterhaltung der Leute hinhalten. Bald darauf durften die Kinder die Vorstellungen nicht mehr besuchen, da manche der Meinung waren, es verderbe den Charakter der jungen Leute. Erst 1902 wurde es ihnen wieder erlaubt, jedoch nur in Begleitung eines Erwachsenen. Wie auch das Radium hatten die Kinos dieser Zeit grosse Leuchtreklamen, die ihren Namen anpriesen. Diese wurden entweder nach dem Ort(Kino Bellevue) benannt oder es wurden exotische(Eden) oder technische(Radium) Namen gewählt. Natürlich wurden auch übertrieben, wie zum Beispiel beim Palace, um ihren Ruf zu verbessern. Mit der Zeit wurden auch Namen gewählt mit dem Anfangsbuchstaben „A“, da diese bei einer Auflistung zu oberst stehen und dem Leser als erstes auffallen(Abaton). Die damaligen Kinos waren sehr klein. Heute befinden sich in einem modernen Kino genauso viele Vorstellungsräume wie es vor 90 Jahren in ganz Zürich gab. Aus diesem Grund wird das ehemalige Sexkino Radium auch zu einem zweigeschossigen Laden umgebaut, da der Kinosaal zu klein ist, um weiterhin auf diese Weise genutzt zu werden. Anders als beim Razzia legt der Besitzer grossen Wert darauf, dass ein Teil der Ambiance des Kinos bewahrt wird. So wird zwar der Filmprojektorenraum abgerissen und ein Zwischenboden eingesetzt, doch dieser soll nur auf Säulen stehen und die Wände nicht berühren. Somit entsteht die Illusion von der Ursprünglichen Höhe des Raumes und das obere Stockwerk wird von unten erleuchtet. Auch soll einer der 50-jährigen Filmprojektoren ausgestellt werden, um die Erinnerung an vergangene Zeiten zu wahren. „Ich habe mich ins Gemäuer verliebt“ ehemalige Besucherin über das Kino Razzia Nach langer Zeit wird nun auch das Razzia an seiner Endhaltestelle als Kino angelangt sein. Auch wir haben das Razzia nach unserem Besuch in unsere Herzen geschlossen. Berührt, verlassen wir den Jugendstilraum mit dem Mischpult des DJ’s neben den alten Wandmalereien. Draußen empfängt uns eine kühle Nachtbrise und an der Tramhaltestelle, in dem chicen, modernen aber dadurch auch durchschnittlich gewordenen Seefeld, warten wir noch immer völlig verzaubert aufs Tram. Das Razzia ist ein Ort der einem im Gedächtnis bleibt und an den man gerne zurückdenkt. Allgemeine Bemerkungen zum Text Ich möchte zuerst noch etwas zum Projekt als Ganzes sagen, bevor ich auf euren Text zu sprechen komme: In eurem Fall würde ich das Projekt als gelungen bezeichnen. Aufgrund eurer Arbeitsjournale weiss ich, dass ihr nicht einfach das machen konntet, was ihr am Anfang im Sinn hattet. Ihr musstet euch umorientieren, Interviewpartnern (vergeblich) nachrennen und die ein oder andere Enttäuschen verkraften. Dennoch habt ihr am Ende eine Reportage verfasst und – viel wichtiger – etwas gelernt. Das hoffe ich zumindest... Zum Text selber will ich, neben den Markierungen und Kommentaren auf zwei Dinge hinweisen. Das eine ist etwas, dass ich einmal als Textanlage bezeichnen möchte. Ihr seid ja nicht die einzige Gruppe die sich – mehr oder weniger bewusst – mit der Frage auseinandergesetzt hat, wie mit dem ich/wir umzugehen ist, dass diese Reportagen schreibt. Relativ unaufgeregt macht ihr schon am Anfang klar, dass hier ein 'wir' unterwegs ist, dass etwas über das Kino Razzia erfahren möchte. In meinen Augen funktioniert das gut, es ist nachvollziehbar und logisch. Die zweite Schwierigkeit vor der ihr standet, war wohl diese: Wie lassen sich die Beobachtungen vor Ort mit dem recherchierten Material zusammenbringen? Das habt ihr unterschiedlich gut bewältigt. Den ersten Informationsblock über die Geschichte des Kinos Razzia habt mit der Formulierung 'Die Wände erzählen' sehr elegant eingefügt. Der zweite Teil mit der Geschichte des Films und den anderen Kinos steht aber noch zu sperrig im Text.