AC Bericht: Aufzüge im Brandfall pdf
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AC Bericht: Aufzüge im Brandfall pdf
Aufzüge Aufzüge im Brandfall weiter betreiben? Richtlinie VDI 6017 zeigt verlängerte Betriebszeiten auf Friedhelm Meermann, Herbolzheim Im November 2008 wurde die überarbeitete Richtlinie VDI 6017 „Aufzüge; Steuerungen für den Brandfall“ veröffentlicht. In diese Überarbeitung wurden jetzt Möglichkeiten der Fortführung eines sicheren Betriebs bei unkritischen Brandfällen integriert. Sie sind nun als neuer Stand der Technik ausgewiesen. B ereits 2004 erschien die Richtlinie VDI 6017 „Steuerungen von Aufzügen im Brandfall“. Zweck war, Planern, Errichtern, Betreibern, Sicherheitsorganisationen und zuständigen Brandschutz- und Baubehörden Empfehlungen anzubieten, wie Aufzüge ausgerüstet werden können, sodass sie in einem Brandfall automatisch aus der Gefahrenzone herausgehalten oder in eine Bestimmungshaltestelle gefahren werden. Ausgewiesen war aber nur, dass stehende Aufzüge mit einer Brandfallsteuerung im Falle einer Brandmeldung unverzüglich zur Bestimmungshaltestelle fahren und dort stillgesetzt oder fahrende Aufzüge unverzüglich und ohne Unterbrechung die Bestimmungshaltestelle anfahren und dort stillgesetzt werden. Die Bestimmungshaltestelle konnte entweder ● „statisch“ bzw. in „erweiterter statischer“ Weise zuvor zugeordnet oder ● „dynamisch“ mit der Haltestelle vorbestimmt werden, die sich normalerweise in dem Geschoss mit dem kürzesten gesicherten Ausgang direkt ins Freie befindet. Grundsätzlich verblieb es bei der Festlegung, dass im Falle eines Brandes Aufzüge nicht mehr benutzt werden dürfen – ausgenommen Feuerwehraufzüge. Der Vorlage eines sicheren Brandschutzkonzepts für ein Gebäude konnte so am einfachsten entsprochen und deren Umsetzung vollzogen werden. Diskussion der erweiterten Nutzung von Aufzügen im Brandfall Zwischenzeitlich gibt es verstärkt national, europäisch und weltweit Diskussionen, inwieweit Aufzüge – zumindest bei unkritischen Bränden – genutzt und zugleich die Rettungsabläufe bei Bränden optimiert werden können. Diesem Ziel fühlte sich der Beirat des VDI verpflichtet. Er berief einen Expertenkreis mit der Aufgabe, in Ergänzung der bestehenden VDI-Richtlinie weitere Lösungen zu entwickeln. Bei 46 unkritischen Bränden – so die Ausgangssituation der Aufgabenstellung – sollten Aufzüge insbesondere für die Selbstrettung oder Evakuierung von Personen nutzbar gemacht werden. Bestehende nationale und europäische Normen wie die DIN EN 81-1/2, 81-58 (pr), 81-72 und 81-73 waren zu beachten. Die Expertenfolgerungen wurden im Rahmen einer Überarbeitung der Richtlinie 6017 beraten und weiterentwickelt. Grundlage für die neuen Betrachtungen waren – Entstehung von Bränden, Verrauchungen und deren dynamische Ausbreitung, – Definition der unkritischen Brandfälle, – gängiger Schutz von Menschen und Umwelt, – geringe menschliche Branderkennungsfähigkeit, – Brandverhalten von Bauteilen und Konstruktionselementen, Begriffserklärungen Als kritisches Brandereignis wird ein solches bezeichnet, bei dem eine sichere Aufzugsnutzung nicht möglich ist. Eine Anmerkung verweist darauf, dass ein Brandereignis auch immer dann als kritisch gilt, wenn nicht zwischen kritischen und unkritischen Brandfällen unterschieden wird. ● Als unkritisches Brandereignis wird ein detektiertes Brandereignis bezeichnet, bei dem eine sichere Aufzugsnutzung weiterhin möglich ist. ● Verlängerte Betriebszeit ist die Zeit, um die der Aufzug nach Eintritt eines unkritischen Brandereignisses (t o) bis zur Brandfallfahrt weiter betrieben werden darf. ● – zuverlässige Sensoren und Steuerungstechnik einschließlich der Überwachung, – vorausschauende Maßnahmen zur Beherrschung der Abläufe im Brandfall und – Optimierung der Abläufe. Neue Richtlinie VDI 6017 „Aufzüge; Steuerungen für den Brandfall“ Die neue VDI-Richtlinie ist seit November 2008 veröffentlicht. Die ermittelten Möglichkeiten für die Fortführung eines sicheren Betriebs bei unkritischen Brandfällen wurden in die Überarbeitung der bestehenden VDI-Richtlinie aufgenommen und integriert. Sie sind nun als neuer Stand der Technik ausgewiesen. Für Bauherren und Betreiber sowie Planer, Fachunternehmen für die Errichtung und Instandhaltung, Prüforganisationen, Aufsichtsbehörden des Bundes, der Länder und Kommunen sowie den Feuerwehren werden die technischen Möglichkeiten aufgezeigt, um Aufzüge bei einem „unkritischen Brandereignis“ sicher weiterzubetreiben. Bauliche und informationstechnische Voraussetzungen ergänzen die Ausführungen. Betrachtungsweisen und Neuerungen Vier Anforderungsstufen bilden den Kern der Voraussetzungen und die aktuellen Bedingungen in Gebäuden für den verlängerten Betrieb von Aufzügen bei Meldung eines Brandes. Es sind dies die Konzepte A: für den Fall, dass die Betriebszeit für den Aufzug im Brandfall nicht verlängert werden kann. Sofern eine Brandmeldung an den Aufzug erfolgt, wird die Brandfallsteuerung ausgelöst und der Aufzug fährt in seine Bestimmungshaltestelle; B: das einen begrenzten Weiterbetrieb des Aufzugs bei unkritischen Brandereignissen zulässt; TÜ Bd.50 (2009) Nr. 4 - April Aufzüge C: wie Gebäude mittels Aufzug evakuiert werden können. Bei diesen Anforderungen wird auf die im Entwurf vorliegende europäische Richtlinie zur Evakuierung (prCEN/TR81/86 mit dem Konzept eines Evakuierungsaufzugs) verwiesen; D: wie Aufzüge für den Einsatz der Feuerwehren auszustatten sind und genutzt werden können, wobei auf die Ausführungen in der DIN EN 81-72 verwiesen wird. Stufe C und D sind nicht in die Richtlinie aufgenommen worden, sodass das „Neue“ ausschließlich die Stufe B darstellt (Bild 1). Die neue Richtlinie übernimmt im Wesentlichen die bisherigen Ausführungen zur Brandfallsteuerung mit den Schutzzielen, Aufgaben, Aspekten des abwehrenden Brandschutzes sowie den technischen und baulichen Randbedingungen. Sie behält auch die statische, erweiterte statische und dynamische Brandfallsteuerung bei. Ausführlich geht sie auf die Neuerungen – nämlich die Verlängerung der Betriebszeiten und die Grenzen der Betriebszeitverlängerung – ein, ebenso auf die baulichen Voraussetzungen, Energie- und Ersatzstromversorgung sowie Leitungsanlagen und deren Funktionserhalt. In einem eigenen Abschnitt wird die Brandfallfahrt beschrieben. Bei ihr muss sich der Aufzug einerseits gemäß DIN EN 81-73 verhalten. Andererseits wird die Gewährleistung der verlängerten Betriebszeit und deren Bedingungen mit Hinweisen auf die Festlegungen der DIN EN 81-1/2 erläutert. Folgen für die Tragweite Die Sicherheitsrelevanz des Verfahrens für das neue Nutzungskonzept und den Anspruch an die Sicherheit der Aufzüge wird gegenüber bisherigen Verfahren erheblich erweitert. Die Fachplanung hat das geltende Brandschutzkonzept umzusetzen – ggf. unter Berücksichtigung der behördlichen Auflagen. Folglich wird für Planung, Ausführung und Betrieb konkret auf die logische Abhängigkeit der Gewerke und Funktionen untereinander hingewiesen, ebenso auf die Erstellung einer Funktionsmatrix, die die technischen Ausführungen der Schnittstellen zwischen den Gewerken darstellt. Ihr muss die Gefährdungs- und Risikoanalyse beigefügt werden. Anschaulich herausgestellt wird auch, dass Anlagen, Einrichtungen und Komponenten, die zur Verlängerung der Betriebszeit von Aufzügen eingesetzt werden, ihre Funktionen „ständig“ erfüllen müssen. Eine „jederzeitige“ störungsfreie sofortige Erkennung eines „kritischen Brand- TÜ Bd.50 (2009) Nr. 4 - April Bild 1 Ausstattungsstufen im Verhältnis zur Verlängerungszeit. t0 – Brandmeldung, Steuerung des Aufzuges hat enthält keine präventiven Maßnahmen für die Aufzugsfahrt im Brandfall. t1 Stufe A Aufzug fährt entsprechend Steuerungsbefehl in die Zielhaltestelle und bleibt dort stehen. t2 Stufe B Aufzug mit Betriebszeitverlängerung bei unkritischem Brandfall t3 Stufe C In Beratung befindlicher Evakuierungsaufzug nach EN. t4 Stufe D Feuerwehraufzug gemäß DIN EN 81-72. ereignisses“ und deren „Meldung an die Brandfallsteuerung“ kommen hinzu. Die Sicherstellung dieser Funktionsbereitschaft enthält Maßnahmen, die über das Bauordnungsrecht hinausgehen. Sie sind im Einzelnen aufgeführt. Ergänzt sind sie mit dem Hinweis, dass die zunehmende Komplexität bei der Gebäudeautomation es besonders erforderlich macht, die möglichen Wechselwirkungen einzelner Schutzeinrichtungen bei der Gebäudeplanung und -abnahme sowie beim Facility Management zu berücksichtigen. Für die Planung und Realisierung der aufzugstechnischen Schnittstellen bei der Steuerung wird auf die Richtlinie VDI 6013 verwiesen. Ebenso gibt es für die Schnittstellen mit anderen technischen Einrichtungen einen Verweis auf die Nutzung der Matrix gemäß Richtlinie VDI 3819 Blatt 2. Die Ausführung obliegt dem Montagebetrieb der Aufzüge. Dieser hat vor Ausführung der Brandfallsteuerung die Machbarkeit der gestellten Aufgaben zu prüfen. Dies bedeutet – eine erhebliche Zunahme an Verantwortung, zumal hierbei sowohl technische als auch organisatorische Aspekte zu berücksichtigen sind, – ein erweitertes Merkmal in der Zusammenarbeit von Bauherr oder Betreiber mit dem Ersteller des Brandschutzkonzepts, Fachplaner und Montage-/Instandhaltungsbetrieb sowie den zuständigen Behörden des Brandschutzes einschließlich Feuerwehr, – erweiterte Dokumentation, – qualifiziertes Fachpersonals und – qualifizierte Fachbauleitung. Die ganzheitliche Funktionsprüfung und Qualitätssicherung sind aus Sicht des Bauherren und/oder Betreibers zu betrachten. So besteht die Pflicht zur dokumentierten Prüfung der Funktionen der Brandfallsteuerung bei der Abnahme als auch den Wiederholungsprüfungen. Die organisatorischen Maßnahmen haben Bauherr und/ oder Betreiber bezüglich Wirksamkeit sicherzustellen, in der Hausordnung zu beschreiben und durch ebenfalls regelmäßige Prüfungen in Zusammenarbeit mit dem Instandhaltungsbetrieb zu prüfen (Bild 2). Im Anhang enthält die Richtlinie – wie zuvor – Hinweise für – Nachrüstung im Bestand, – Musterprüfprotokoll sowie – beispielhaftes Merkblatt zur manuellen Brandfallsteuerung. Mitglieder des Richtlinienausschusses Fachplaner der Fördertechnik, Fachplaner für Brandschutz und brandschutztechnische Sicherheitskomponenten, Vertreter von Herstellern der Aufzüge und Aufzugskomponenten, von Überwachungsorganisationen NB-Lift/ZÜS, der Brandschutzbehörde und der Feuerwehr, der Versicherungswirtschaft, von Bauherren und Betreibern sowie der namhaften Verbände der Aufzugsbranche (VdMA, VFAInterlift, VmA/GAT und VDI-TGA). 47 Aufzüge Technologien nach neuestem Stand der Technik Die VDI-Richtlinie öffnet den Einsatz neuester Technologien, wie z. B. die elektronisch programmierbaren Systeme PESSRAL. Dies bedeutet, dass damit seitens des Bauherrn oder Betreibers ein Sicherheits-Integritätslevel (SIL) festgelegt werden kann. Die Einteilung und Zuordnung von SIL erfolgt dann auf einer rechnerisch ermittelten Ausfallwahrscheinlichkeit. Sie leitet sich wiederum maßgeblich von der Ausfallwahrscheinlichkeit der im System verwendeten Komponenten ab. Für diese ganzheitliche Betrachtung bei der Verlängerung der Betriebszeit von Aufzügen ist aber zu berücksichtigen, dass darüber hinaus alle möglichen Ausfallursachen in der Funktionskette, z. B. mechanisches Versagen, sichere Informationsübertragung bis zur Notrufleitstelle, Kennzeichnung der Örtlichkeit, beachtet werden. Informationen für die Nutzer der Aufzüge Für die Nutzer der Aufzüge ist eine Information bei Stillsetzung erwünscht. Angeregt wird, das Abschalten an jeder Haltestelle über eine „Außer-Betrieb-Anzeige“ im Etagen-, oder besser Ruftableau anzuzeigen. Hierzu wird ein modernes Einbahnstraßensymbol auf Negativfilm, hinterleuchtet, empfohlen. Deren Wirksamkeit wird erheblich höher eingeschätzt als die bisher verwendeten Piktogramme. Die bei jedem Stör- und Brandfall zu beachtenden fünf W-Fragen runden die Richtlinie ab: – Wer meldet? – Was ist passiert? – Wo ist es passiert? – Wie viele Verletzte gibt es? – Wann ist es passiert? 48 Bild 2 Prüfung einer Brandfallsteuerung im Gesamtsystem mit automatischer Dokumentation. Schlussfolgerungen Eine verlängerte Nutzung von Aufzügen bei Bränden oder Verrauchungen in Gebäuden ist zu einem globalen Thema geworden. Die problembehaftete Benutzung von Treppen oder Aufzügen zeigt beim Szenario eines Brandes oder der Verrauchung die Vorteile der Aufzugsnutzung auf. Dies gilt insbesondere, wenn Folgendes berücksichtigt wird: – statistische Werte über die Behinderung von Personen mit einem Anteil von mehr als 20 % der Bevölkerung, – Verletzungshäufigkeit von Personen beim Treppenbegehen oder – Unmöglichkeit des Treppenbegehens für in ihrer Bewegung beeinträchtigte Personen sowie – Zeitaufwand für eine mögliche Selbstrettung über Treppen gegenüber dem zeitlichen Bedarf der Aufzugsnutzung. Diese Betrachtungen haben sich bisher bei der Gebäudeplanung oder deren ver- tikale Erschließung noch nicht niedergeschlagen. Besonders nachlässig ist dabei die Entleerung der Gebäude über Treppen und deren mögliche Ersatzmaßnahmen wie Aufzüge behandelt worden. Insofern bietet die neue Richtlinie VDI 6017 mit den Empfehlungen für den Einsatz moderner Methoden, Sensoren und Steuerungen wirksame konstruktive und organisatorische Gestaltungsmöglichkeiten zur verlängerten Nutzung der Aufzüge bei unkritischen Bränden. TÜ 814 Friedhelm Meermann, AC GmbH – Anlagen-Contracting für Fördertechnik, Herbolzheim. TÜ Bd.50 (2009) Nr. 4 - April