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02 2011 Bilfinger Berger Magazin 8 Energiewende Flüssiggas aus Hammerfest | 24 Kinder und Karriere Skandinavier schaffen beides | 30 Raumfahrt Dänische Tüftler wollen ins All | 36 Spitzbergen Saatgutbank im ewigen Eis DER NORDEN Labor der Möglichkeiten 2 \\ IMPRESSUM Bilfinger Berger Magazin // 02 2011 // 3 WAS WIR VON NORDEUROPA LERNEN Bilfinger Berger Magazin www.magazin.bilfinger.com Wie kommt es, dass die Skandinavier den anderen Europä- Herausgeber: Bilfinger Berger SE Carl-Reiß-Platz 1 – 5 68165 Mannheim Tel. 0621 459-0 Fax 0621 459-2366 www. bilfinger.com die langen Nächte zu kreativen Höchstleistungen? Wir wis- ern so oft voraus sind? Treibt sie die Kälte zur Eile? Führen sen es nicht. Sicher ist, dass sie sich komplexen Themen mit Frische und Experimentierfreude nähern. So kommt es, dass Dänemark, Norwegen und Schweden oft schon dort angekommen sind, wohin der Rest Europas gerade aufbricht. Verantwortlich: Michael Weber, Bilfinger Berger Chefredaktion: Dr. Daniela Simpson, Bilfinger Berger, Bernd Hauser, agentur.zs Kontakt: [email protected] Gestaltung und Layout: Steven Dohn, Theo Nonnen, Bohm und Nonnen, Büro für Gestaltung Bildredaktion: Helge Rösch, agentur.zs Titelbild: Steven Dohn Bildbearbeitung: Goldbeck Art Druck: ColorDruck Leimen Versandkoordination: Business Service Weber Unser Unternehmen ist seit vielen Jahren an richtungweisenden Projekten in Skandinavien beteiligt. In Hammerfest betreut Bilfinger Berger als Service-Partner Europas größte Gasverflüssigungsanlage. Sie wird eine wichtige Rolle bei der Erschließung der Gasvorkommen im Polarmeer spielen. Am Bau des City-Tunnels im schwedischen Malmö haben wir ebenfalls mitgewirkt. Der Tunnel ist das HerzAUF DER INSEL MELKØYA IM NORDEN NORWEGENS WIRD GAS AUS DEN LAGERSTÄTTEN IM POLARMEER VERFLÜSSIGT. stück eines modernen Stadtumbaus, der Malmö zum Vorbild für andere Industriemetropolen Europas macht. Auch wenn es um Chancengleichheit im Berufsleben geht, sind die skandinavischen Länder vorbildlich. Das Das Bilfinger Berger Magazin erscheint liegt nicht nur am hervorragenden öffentlichen Betreu- zweimal jährlich auf Deutsch und Englisch. ungsangebot für Kinder, sondern ganz besonders an mo- Alle Rechte sind vorbehalten. Namentlich dernen Rollenbildern und flexiblen Arbeitsbedingungen. gekennzeichnete Beiträge geben nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers Zwei norwegische Mitarbeiterfamilien zeigen uns, wie es wieder. Nachdruck und elektronische Ver- gelingt, Familie und Beruf zu verbinden – und was der Preis breitung, auch auszugsweise, sind nur mit Genehmigung der Redaktion möglich. dafür ist. Das Bilfinger Berger Magazin wird auf FSCzertifiziertem Papier gedruckt. Ihr HERBERT BODNER Vorstandsvorsitzender der Bilfinger Berger SE 4 \\ INHALT // 5 16 28 30 36 40 02 2011 Bilfinger Berger Magazin STADTENTWICKLU NG 2 3 4 6 Impressum 24 KINDER, KÜCHE, KARRIERE Editorial Viele norwegische Mitarbeiterinnen Inhalt von Bilfinger Berger haben Kinder Kaleidoskop und machen dennoch Karriere: TITELTHEMA /// DER NORDEN 8 FR AU EN POWER DER NEUE NORDEN Vor siebzig Jahren erzählte Astrid Lindgren ihrer kleinen Tochter am 36 DIE VEREINIGTEN SAATEN 48 offshore-windpark / Bilfinger Krankenbett die Geschichte von Berger baut die Fundamente für einem ungewöhnlich starken und DanTysk in der Nordsee. frechen Mädchen – Pippi Lang- ppp in nordirland / In Belfast wer- Familien eingestellt, und auch die was bleibt, könnte die Menschheit strumpf war geboren. Sie revolutio- den Schulen saniert und erweitert. Väter packen zu Hause mehr an für den Klimawandel schlecht nierte nicht nur die Kinderliteratur, mehr strassen für polen / Ausbau als in den anderen europäischen gerüstet sein. Der Wissenschaftler sondern auch das Rollenbild der Frau. der Nationalstraße 8. Ländern: ein Hausbesuch. Cary Fowler sammelt deshalb weltweit Saaten und lagert sie in 28 MUTTERSÖHNCHEN Weil Männer auf ihre Mama hören, Polarmeers zu heben. Bilfinger Ber- wegen großformatige Porträts in einem eiskalten Felsgewölbe in Spitzbergen ein. 40 HIPPE HÜTTEN auftrag von eads / Montagelinien 50 STRASSEN DER WELT: DIE EUROPASTRASSE 18 Am Südzipfel Norwegens galt die für den neuen Airbus A350 XWB. 49 eu-standards für belchatow / E 18 lange als besonders gefährlich. Das größte Braunkohlekraftwerk Die Strecke war eng und kurvig, mit Europas wird modernisiert. Werkstätten und Produktionshal- Die Norweger verbringen ihre Wo- nur einer Spur pro Fahrtrichtung. texanische ölindustrie / Bau von len: eine Kampagne zur Arbeits- chenenden und Ferien gerne in der Bilfinger Berger begradigte die Stra- Pumpstationen und Tanklagern. sicherheit, die bei den Mitarbeitern Natur, vorzugsweise in der eigenen ße und baute sie vierspurig aus. bye-bye, mates! / Bilfinger Berger ankommt. „Hytte“. Nun erfindet das Hotel Das Projekt ist eine der ersten öffent- trennt sich von seinem Australien- Juvet in der Nähe von Ålesund die lich-privaten Partnerschaften in geschäft. alte Tradition neu. Die Architektur Norwegen. gebäudemanagement / Aufträge galt lange als hässliches Entlein. Mit dem Niedergang der Werftindustrie /// N EWS verschwinden. Mit dem wenigen, hängen bei Bilfinger Berger in Nor- Die drittgrößte Stadt in Schweden 46 PIPPI POWER Immer mehr Nutzpflanzenarten Voraussetzung, um die Schätze des 16 JUNGES MALMÖ diesem Jahr soll sie starten. ARCH ITEKTU R nichts Außergewöhnliches in Skan- Verflüssigung von Erdgas. Sie ist die ger ist als Service-Partner vor Ort. konstruierten eine Rakete. Noch in WELTERNÄH RU NG dinavien. Die Arbeitskultur ist auf Bei Hammerfest in Nordnorwegen steht Europas größte Anlage zur R AUMFAH RT 30 INS ALL UND ZURÜCK versank Malmö in Arbeitslosigkeit. „Jeder kann in den Weltraum unterwirft sich ganz dem Haupt- von BASF, Carl Zeiss und Orange Die Stadtväter setzten auf neue fliegen“, sagten sich die beiden däni- zweck: dem Erleben der Natur. Communications. Infrastrukturen. Heute präsentiert schen Bastler Kristian von Bengtson münchens teuerstes penthouse / sich Malmö als selbstbewusste und Peter Madsen. Also besorgten Auf dem Gelände eines Heizkraft- Kultur- und Bildungsmetropole. sie sich Material im Baumarkt und werks entsteht ein neues Viertel. GROSSE WORTE „Im Norden sind die Völker ja nicht so heißblütig; auch sind sie nicht so hitzig auf Weiber versessen.“ Bilfinger Berger Magazin // 02 2011 // 7 Foto: panoramio.com/Nygaard 6 \\ KALEIDOSKOP IM SCHWEDISCHEN DALARNA WERDEN SEIT JAHRHUNDERTEN SPIELZEUGPFERDE AUS HOLZ GESCHNITZT. SIE SIND ZUM SYMBOL FÜR SCHWEDEN GEWORDEN. Voltaire GLÜCKLICHES DÄNEMARK RAUF IN DEN Es ist gleich, welches der internationalen Rankings man wählt: Die Menschen in den skandinavischen Staaten scheinen besonders öffentlichte, liegt Dänemark auf Platz eins, NORDEN gefolgt von Finnland, Norwegen und Schwe- /// Psychologen der kalifornischen Universität Berkeley sind ei- den. Deutschland landete auf Platz 33, zwi- ner seltsamen Wahrnehmungsstörung auf die Spur gekommen. schen Belize und San Salvador. Sie befragten Probanden, wie lange die Fahrt in bestimmte 500 Der Jakobshavn Isbræ gilt als der am schnellsten arbeitende Kilometer entfernte Städte dauern würde. Die eine Stadt lag im Gletscher der Erde. Täglich schiebt der im Westen Grönlands ge- Norden, die andere im Süden. Für die Reise in den Norden plan- legenen Eisriese zwischen 16 und 40 Meter Eis ins Meer, bis zu ten die meisten Befragten mehr Zeit ein. Die Wissenschaftler ver- 35 Milliarden Tonnen im Jahr. Die abgebrochenen Eisberge des muten, dass „runter in den Süden“ weniger Zeitaufwand sug- Gletschers können mehrere Kilometer lang sein und bis zu tau- geriert als „rauf in den Norden“. send Meter mächtig. zufrieden mit ihrem Leben zu sein. Im „Gallup World Poll“, dessen Ergebnisse das amerikanische Wirtschaftsmagazin „Forbes“ ver- SATTELFESTE SKANDINAVIER MÄCHTIG SCHNELL FALSCH GEPOLT? SCHLACHTENBUMMLER Ein Pferd hat vier Beine und kann trotzdem stolpern. 1. DER GEOGRAFISCHE NORDPOL Die dänische Nationalflagge ist eine der Aus Dänemark ist der Schnittpunkt der Erdachse mit der Erdoberfläche. Von dort aus kann man nur nach Süden blicken. ältesten der Welt. Im Jahre 1219 soll sie während einer schon verloren geglaubten Vertraue auf Dein Glück, aber binde Dein Pferd an. Schlacht gegen die heidnischen Esten vom Aus Norwegen gewendet haben. Damals gingen die Dänen Es ist schwer, ein Pferd zu tränken, das den Kopf nicht niederbeugt. siegreich vom Platz. Aus Finnland “WE ARE RED, WE ARE WHITE, WE ARE DANISH DYNAMITE”, Die wildesten Fohlen werden die besten Pferde. lautet auch der Ruf der dänischen Fußball- Aus Dänemark 2. DER ARKTISCHE MAGNETPOL 3 Himmel gefallen sein und das Kriegsglück 2 ist der Punkt, an dem die magnetischen Feldlinien des Erdmag- 1 netfeldes vertikal zur Erdoberfläche Richtung Erdmittelpunkt stehen. Er verschiebt sich ständig, rund 30 Kilometer pro Jahr. Der Norden, den uns die Kompassnadel anzeigt, ist also immer ein bisschen woanders. 3. DER NORDPOL DER UNZUGÄNGLICHKEIT fans. Häufig hoffen sie jedoch vergeblich auf einen ähnlich glücklichen Ausgang wie da- Das Pferd, das man nicht haben kann, hat immer einen Fehler. mals, als die Flagge vom Himmel herabkam. Aus Dänemark ist der küstenfernste Punkt im arktischen Polarmeer. Seine Koordinaten sind 84°03' Nord, 174°51' West. Von dort sind es 1453 Kilometer nach Alaska, jeweils 1094 Kilometer zum Ellesmere Island (Kanada) und zum Franz-Josef-Land (Russland). 8 \\ ENERGIE Bilfinger Berger Magazin // 02 2011 // 9 DER NEUE NORDEN AM NÖRDLICHSTEN ENDE EUROPAS STEHT DIE GRÖSSTE ERDGASVERFLÜSSIGUNGSANLAGE DES KONTINENTS: SIE IST DIE VORAUSSETZUNG, UM DIE SCHÄTZE DER ARKTIS ZU HEBEN. M AT H I A S B E C K E R / T E X T / / / E R I C VA Z Z O L E R / F OTO S /// In Hammerfest liegen Vergangenheit und Zukunft nah beieinander. Die Vergangenheit ist aus poliertem Marmor und von einem bronzenen Globus gekrönt: Die „Meridiansäule“ markiert die nördliche Grenze der Erdvermessung. Vor 150 Jahren war in dem winzigen Fischernest die Welt zu Ende. Die Zukunft dagegen flackert auf der kleinen Insel Melkøya vor der Stadt: Die Fackel der Erdgasverflüssigungsanlage ist so etwas wie das neue Wahrzeichen von Hammerfest. FRÜHER ARBEITETEN DIE MEISTEN MENSCHEN IM BESCHAULICHEN HAMMERFEST IN DER FISCHINDUSTRIE. HEUTE IST STATOIL MIT SEINER GASVERFLÜSSIGUNGSANLAGE (IM HINTERGRUND) DER GRÖSSTE ARBEITGEBER. 10 \\ ENERGIE Bilfinger Berger Magazin // 02 2011 // 11 TANKER LIEFERN DAS KOMPRIMIERTE FLÜSSIGGAS BIS NACH SÜDEUROPA UND IN DIE USA. RUND 320 DER EXTREM TEUREN SPEZIALSCHIFFE GIBT ES WELTWEIT. DAS RÖHRENLABYRINTH AUF MELKØYA IST WIND UND SALZHALTIGER LUFT AUSGESETZT. ENTSPRECHEND AUFWENDIG IST DIE WARTUNG. Keine zehn Jahre ist es her, da grasten auf Melkøya in zu ihrer Nutzung. Heute erheben sich auf der Insel Melkøya denn bislang werden nur die Gasfelder „Snøhvit“ und den kurzen Sommern ein paar Schafe, und Kabeljau Gastanks, groß wie Wohnblocks. Dort lagern bis zu „Albatross“ angezapft; 2014 folgt mit „Askeladd“ ein hing zum Trocknen in der Sonne. Doch im Sommer 2002 370 000 Kubikmeter Flüssiggas. Gewonnen wird es aus drittes. Die Nummer vier, „Tornerose“, wird gerade holte der norwegische Energieriese Statoil rund 3000 dem Rohgas, das 140 Kilometer entfernt in der Barentsee erforscht. Falls die Gasvorkommen dort ebenfalls ergie- Arbeiter aus 40 Ländern nach Hammerfest, um die gefördert wird. An der Wasseroberfläche ist davon big sind, wird die Flüssiggasfabrik auf die doppelte riesige Verflüssigungsanlage zu errichten. Vor der Stadt nichts zu sehen. Das Gas wird mithilfe von sogenannten Größe wachsen. wurden Camps aufgebaut, sogar Kreuzfahrtschiffe wurden Subsea Templates erschlossen. Das sind auf den Meeres- angemietet, um all die Spezialisten unterzubringen, die boden versenkte vollautomatische Zapfstellen, die das SAUBERES IMAGE helfen sollten, eine wichtige Energiequelle der Zukunft Rohgas aus dem Untergrund fördern und in Pipelines In flüssiger Form schrumpft das Gas auf ein Sechshun- zu erschließen: Im Arktischen Meer wird ein Viertel der leiten, in denen es nach Melkøya strömt. Jeden Tag werden dertstel seines Volumens. Das ist die Voraussetzung weltweiten Öl- und Gasreserven vermutet. Die Erdgasver- dort 13 000 Tonnen veredelt und bei minus 163 Grad dafür, dass es mit Tankschiffen transportiert werden flüssigungsanlage vor Hammerfest ist der erste Schritt Celsius verflüssigt. Die Entwicklung steht erst am Anfang, kann, die bis in die USA verkehren. Die Branche profitiert 12 \\ ENERGIE Bilfinger Berger Magazin // 02 2011 // 13 MASKEN GEGEN KÄLTEBRAND Im Schatten der Tanks zieht Kjetil Kvamme, 36, den Reißverschluss seiner Daunenjacke bis zum Kragen hoch. Er ist in Hammerfest geboren. Die Studienjahre verbrachte er in Bodø, doch dann zog es ihn nach Hause zurück. „Wenn ich über die Anlage gehe, bin ich noch immer fasziniert“, sagt Kvamme. Heute ist er dort Sicherheitsmanager. Sein Arbeitgeber ist BIS Industrier, ein norwegisches Unternehmen von Bilfinger Berger, das die kilometerlangen Rohrsysteme für die Flüssiggasproduktion instand hält und isoliert. Wind und Salzwasser setzen den Leitungen zu, die fast alle im Freien verlaufen. An ihnen zu arbeiten, ist kein Vergnügen. Insbesondere in der 65 Meter hohen, nach allen Seiten offenen „Cold Box“, wo das Gas Schritt für Schritt abgekühlt und schließlich verflüssigt wird, zieht es gewaltig. Zwar zeigt das Thermometer in Hammerfest dank des Golfstroms selten weniger als minus zehn Grad an. Bei Sturm fühlen sich die aber an wie minus 40. Die Arbeiter tragen Masken, um Kältebrand im Gesicht zu vermeiden. Auch die Flüssiggasrohre sind dick eingepackt. Minus 163 Grad Celsius hat das heruntergekühlte verflüssigte Gas. Um solche Temperaturen zu halten, umkleidet BIS Industrier die Leitungen und Ventile mit vielen Lagen unterschiedlicher Isoliermaterialien – eine Wissenschaft für sich. DIE FISCHFABRIK WEICHT DEM KULTURHAUS „Wenn es kalt ist und der Wind um einen herum pfeift, schwindet die Konzentration“, sagt Kjetil Kvamme. „BesonDAS RETTUNGSTEAM ÜBT FÜR DEN ERNSTFALL. SCHWERE UNFÄLLE GAB ES NOCH NIE. von der Diskussion um den Klimawandel. Erdgas verur- ders unsere Gerüstbauer arbeiten manchmal in gefähr- sacht deutlich weniger Kohlendioxidemissionen als Kohle lichen Höhen und an sehr unzugänglichen Stellen.“ Die ei- und Erdöl. In Hammerfest wird das bei der Verflüssigung genen Grenzen richtig einzuschätzen, gehöre daher zu den abgeschiedene CO2 sogar zurück unter den Meeresboden wichtigsten Fähigkeiten. Deshalb schult Kvamme seine gepumpt, 700 000 Tonnen jährlich. Das saubere Image Leute darin, in Not geratene Kollegen zu bergen. „Unser Ziel trägt dazu bei, dass der Weltgaskonsum wächst. Bis 2030 ist es, einen Verunglückten innerhalb von fünf Minuten wird der Anteil des Flüssiggases laut einer Studie der von jedem Ort auf der Anlage in Sicherheit zu bringen“, so Unternehmensberatung A. T. Kearney um durchschnitt- Kjetil Kvamme. Zum Glück musste sein Rettungsteam bis- lich sechs Prozent im Jahr wachsen, die arktischen Lager- her nur zu Übungen ausrücken: Nach dreieinhalb Jahren stätten sollen ihren Teil dazu beitragen. und rund drei Millionen Arbeitsstunden gab es bis auf SICHERHEITSMANAGER KJETIL KVAMME: „FÜR FAMILIEN IST HAMMERFEST EIN IDEALER ORT.“ 14 \\ ENERGIE Bilfinger Berger Magazin // 02 2011 // 15 einige leichte Schnittverletzungen keinen einzigen Unfall. te ich Bedenken, ob meine Frau sich hier wohlfühlt.“ Das Im Sommer sonnen sich Rentiere am Straßenrand und im 70 Mitarbeiter sind ständig für BIS Industrier auf der hatte nämlich bei der ersten gemeinsamen Reise nach Insel tätig. Im Frühjahr, wenn die Anlage einem Rund- Hammerfest gar nicht danach ausgesehen: „Es war mitten Kürzlich haben die Kvammes ein Haus gebaut, bodentiefe um-Check unterzogen wird, wächst die Truppe auf rund im Winter, der Schnee türmte sich rechts und links der Fenster geben eine grandiose Aussicht auf die Bucht frei. 250 an. Die meisten arbeiten zwei Wochen durch und Straße haushoch auf, und dann blieb auch noch das Auto „Das ist ein idealer Ort“, sagt Grete Kvamme, „bis auf die fliegen dann für drei Wochen zu ihren Familien in Süd- stehen“, erzählt Kvamme. Heute, zwölf Jahre später, kann Dunkelheit in den Wintermonaten.“ Von November bis skandinavien. Ein Leben zwischen zwei Welten. sich seine Frau Grete keine bessere Heimat für ihre fünf- Winter gehen die Kinder eisfischen oder auf Schlittentour. Januar sehen die Menschen von Hammerfest die Sonne Doch das große Pendeln könnte für viele von ihnen köpfige Familie vorstellen. Der Kindergarten, die Schule, nicht. Dann spendet die Gasfackel von Melkøya ein fast bald ein Ende haben, denn ganz offenbar wird Hammer- das Büro – kaum ein Weg ist weiter als ein Steinwurf. schon tröstliches Licht. fest als Wohnort interessant. „Als die Anlage gebaut wurde, hatten wir 9000 Einwohner“, sagt Bürgermeister Alf Jakobsen. „Jetzt sind es schon 10 000.“ Restaurants, Hotels, Läden und Taxi-Unternehmen: Jeder Job auf Melkøya zieht mehr als einen auf dem Festland nach sich. Zudem zahlt Statoil umgerechnet rund 20 Millionen Euro Grundsteuer in die Stadtkasse. Eine neue Schule und einen neuen Kindergarten hat sich die Gemeinde bereits geleistet. Die letzte Fischfabrik am Hafenbecken ist dem „Kulturhaus“ gewichen – einem imposanten Glasriegel mit Kino, Theaterstätte, Musik- und Kunstschule. Derzeit werden die Straßen für neue Wasserleitungen aufgerissen, als nächstes will Jakobsen die Bürgersteige beheizen. ZWISCHEN RENTIEREN UND FLÜSSIGGASANLAGE Das Städtchen gewinnt an Attraktivität. Davon erzählt auch Eirihn Keüer, die in Hammerfest geboren wurde und aufgewachsen ist. Als 17-Jährige erhielt sie ein Stipendium für eine Tanzausbildung in St. Petersburg. „Ich musste einfach raus hier“, sagt sie. Zehn Jahre später, im Jahr 2009, bekam sie von Bürgermeister Jakobsen das Angebot, zurückzukommen und im frisch eingeweihten „Kulturhaus“ eine Tanzschule zu betreiben. Sie sagte zu. „Zu Beginn hatte ich 15 Tanzschüler“, erzählt sie, „heute sind es 150.“ Im Gegensatz zu Tanzlehrerin Eirihn wusste BIS-Manager Kjetil Kvamme immer, dass er nach dem Studium zurückkehren würde in seinen Geburtsort. „Allerdings hatALS SIEBZEHNJÄHRIGE ERGRIFF DIE TÄNZERIN EIRIHN KEÜER DIE FLUCHT. HEUTE TRAINIERT SIE DEN NACHWUCHS. IDYLLE IN KÄLTE UND DUNKELHEIT: VON NOVEMBER BIS JANUAR SEHEN DIE MENSCHEN IN HAMMERFEST DIE SONNE NICHT AUFGEHEN. // 16 \\ STADTENTWICKLUNG Bilfinger Berger Magazin // 02 2011 // 17 SCHWEDEN ÖR GÖTEBORG STOCKHOLM ESU ND KOPENHAGEN LUND MALMÖ DÄNEMARK ÖRESUNDBRÜCKE CITY-TUNNEL TRELLEBORG LANGE GALT MALMÖ ALS HÄSSLICHES ENTLEIN. NUN HAT SICH DIE DRITTGRÖSSTE STADT SCHWEDENS NEU ERFUNDEN. C L E M E N S B O M S D O R F / T E X T / / / U F F E W E N G / F OTO S /// Vor zwanzig Jahren versuchte die örtliche Tageszeitung „Sydsvenskan“ den Einwohnern von Malmö mit einer Kampagne Selbstvertrauen einzuflößen. In der Stadt mit ihrem hohen Ausländeranteil ließ die Zeitung T-Shirts mit der Aufschrift drucken: „If you have seen Malmö, you have seen the world.“ Darauf tauchten in Lund, der benachbarten Universitätsstadt, Shirts mit einer spöttischen Antwort auf: „If you have seen Lund, you don’t have to see Malmö.“ Die kleine Begebenheit zeigt, wie die Schweden lange über ihre drittgrößte Stadt dachten. Lund ist gelehrt, Göteborg geschäftig und Stockholm vornehm, Malmö aber war immer das proletarische Schmuddelkind. Anfang der 1960er Jahre lief dort in der Kockums-Werft jeden Monat ein neues Schiff vom Stapel, doch ab den 1970er Jahren war der Niedergang der Industrie nicht mehr aufzuhalten: Das Schmuddelkind wurde zum Sorgenkind Schwedens. BILDUNGSSTANDORT Heute spottet niemand mehr über Malmö. Die Zeiten von JUNGES MALMÖ Fabrikschließungen und hoher Arbeitslosigkeit sind vorbei. Die Stadt strotzt vor Selbstbewusstsein: Sie hat in den vergangenen fünfzehn Jahren einen Wandel durchgemacht, von dem andere Städte mit alten Industrien in Europa lernen können. Die einstige Arbeiterstadt entpuppt sich als eine postindustrielle Universitäts-, Dienstleistungs- und Kulturstadt voller Leben und Dynamik. AM IDYLLISCH GELEGENEN HAUPTBAHNHOF VON MALMÖ STELLEN HUNDERTE VON PENDLERN IHRE FAHRRÄDER AB, UM DURCH DEN NEUEN CITY-TUNNEL ZUR ARBEIT ZU GELANGEN. Als die Stadtväter in den 1990er Jahren erkannten, dass das Industriezeitalter für Malmö unwiederbringlich vorbei war, setzten sie auf neue Infrastrukturen, mit denen 18 \\ STADTENTWICKLUNG Bilfinger Berger Magazin // 02 2011 VIDEOINSTALLATION IN DER METRO der Dienstleistungssektor, Kultur und Bildung gefördert In der neuen Metrostation unter dem Hauptbahnhof blicken die zunächst 5000 Studenten, die fortan das Stadtbild mit- Wartenden in die Weiten der sibirischen Steppe. Sie verlieren sich prägten. Mittlerweile studieren 23 000 junge Leute an der im Dschungel am Orinoco und beobachten die Enge in afrikanischen Universität. // 19 werden sollten. Der Aufbruch wurde sichtbar, als Malmö im Jahr 1998 seine Hochschule bekam, denn mit ihr kamen Wellblechsiedlungen: Auf allen Kontinenten hat die Künstlerin Tania Ruiz Gutierrez Videosequenzen gesammelt. Die Projektions- METROPOLREGION AM ÖRESUND flächen haben abgerundete Ecken wie Zugfenster, die Bilder aus Zur Jahrtausendwende eröffnete die Öresundbrücke, die aller Herren Länder ziehen in endloser Fahrt am Betrachter vorbei: ein wichtiger Motor für Malmös Zukunft wurde. Vorher In der Metro wird Malmö zum Zentrum der Welt. war das Pendeln zum benachbarten Kopenhagen mühsam gewesen, denn es bestand nur eine Fährverbindung. Durch die Brücke rückten Dänemark und Schweden enger IM WESTEN VIEL NEUES zusammen. Die vergleichsweise günstigen Mieten auf Der Westhafen war eine Industriebrache, bis die der schwedischen Seite zogen dänische Familien an und Stadtplaner ihn revitalisierten. „Wir wollten keinen Malmö verjüngte sich weiter. weiteren stillen Vorort schaffen, sondern die Dynamik Im Jahr 2001 lieferte die internationale Bauausstel- der Innenstadt nachempfinden“, sagt der inzwischen lung Bo01 den Startschuss für die Revitalisierung des pensionierte Stadtplaner Hans Olsson. Neben dem Västra Hamnen, des Westhafens. Wo früher die Kockums- Turning Torso wurden vor allem kleine, von unter- Werft lag, schufen nun international bekannte Architek- schiedlichen Architekten entworfene Häuser gebaut: ten Referenzprojekte. Dazu zählt insbesondere das neue „Deshalb gibt es im Westhafen keine Eintönigkeit.“ Wahrzeichen Malmös, der „Turning Torso“ des Spaniers 20 \\ STADTENTWICKLUNG Bilfinger Berger Magazin // 02 2011 MODERNA MUSEET // 21 Santiago Calatrava. Der 190 Meter hohe Wohnturm mit und den Ausblick aufs Wasser leisten können. Auf dem seiner in sich gedrehten Fassade aus weißem Aluminium Sund ziehen Tanker und Containerschiffe vorbei, und die Eine der bekanntesten architektonischen made-Künstler Marcel Duchamp in die ist Schwedens höchstes Gebäude, ein „Symbol für den knapp acht Kilometer lange majestätische Öresundbrü- Neuerungen in Malmö ist die Filiale des Stadt. Jensner sieht sein Museum als Aufbruch unserer Stadt“, sagt Hans Olsson. Als Stadtpla- cke mit ihren mächtigen Pylonen und den harfenförmig Stockholmer Moderna Museet, die Ende Zeichen der Emanzipation Malmös. „Wir ner hat Olsson die Entwicklung des Westhafens mitge- gespannten Stahlkabeln streckt sich in Richtung Kopen- 2009 in einem ehemaligen Gaswerk eröff- wollen die Stadt weiter nach vorne brin- prägt, jetzt ist er pensioniert und führt Touristen durch hagen. In den Stoßzeiten kommen alle zehn Minuten net wurde. Der Direktor Magnus Jensner gen“, sagt der Museumschef. „Wir wol- das Vorzeigeviertel. Mittlerweile trifft sich an der Strand- Züge über die Brücke nach Malmö. Sie tauchen in holt Ausstellungen mit internationalen len nicht nur aus Lund oder Kopenhagen promenade des Westhafens in den Mittagspausen ein den neuen City-Tunnel ein, der sie unter der Stadt hin- Kunststars wie dem belgischen Maler Luc Besucher anlocken, sondern auch aus buntes Völkchen: Studenten aus den nahen Universitäts- durch zum Hauptbahnhof bringt. Der innerstädtische Tuymans oder dem revolutionären Ready- Deutschland.“ instituten, IT-Fachleute der neu angesiedelten Software- Nahverkehr ist durch zwei zusätzliche unterirdische Schmieden und Pensionäre, die sich hier ein Apartment Haltestellen an die Bahnlinie angebunden. So sind mit 22 \\ STADTENTWICKLUNG Bilfinger Berger Magazin // 02 2011 // 23 B I LFI NGER B ERGER I N MALMÖ U N D STOC KHOLM IM SCHWEDISCHEN UNTERGRUND BUNTES MÖLLEVÅNGEN Malmö ist einer der wichtigsten Knoten- „Früher zog, wer es sich leisten konnte, von Mölle- punkte im nordeuropäischen Zugverkehr. vången weg ins Grüne“, erzählt Julia Svensson, die als Auch deshalb wurde Malmös Kopfbahnhof Journalistin der Regionalzeitung „Sydsvenskan“ über zu einem Durchfahrtsbahnhof umgebaut. Stadtplanung und Stadtleben schreibt. „Dann entdeck- Ein zentraler Teil des riesigen Infrastruktur- ten Einwandererfamilien und Studenten die preiswer- projekts ist der 17 Kilometer lange City- ten und großen Wohnungen und machten das Viertel Tunnel, der Ende 2010 in Betrieb ging. lebendig.“ Plötzlich gefiel das Quartier mit seinen Ca- Bilfinger Berger zeichnete für das Kern- fés, türkischen Gemüsehändlern, arabischen Imbiss- stück verantwortlich. Im Rahmen des 350- stuben und Läden mit exotischen Waren auch jungen Millionen-Euro-Auftrags erstellte das Un- Besserverdienenden. Das Lokal „Kaffebaren“ ist einer ternehmen zwei parallele Tunnelröhren der Lieblingsorte von Julia Svensson: Es herrscht ein von je 4,6 Kilometern Länge. Die Röhren ständiges Kommen und Gehen, die Leute sprechen sind durch 13 Quertunnel verbunden, die Schwedisch, aber auch Arabisch oder Englisch. bei einem Notfall die Evakuierung erleichtern. Daneben schuf Bilfinger Berger die Kaverne für die neue unterirdische Bahnstation Triangeln. Auch an anderen großen Nahverkehrsprojekten in Schweden ist Bilfinger Berger beteiligt, insbesondere in Stockholm. Dort baut das Unternehmen an der „Citybanan“ mit, einem sechs Kilometer langen Bahntunnel quer durch die Innenstadt. Während sich die S-Bahn bislang ihre Spur mit dem Regional- und Güterverkehr teilen musste, bekommt sie mit der „Citybanan“ eine eigene Trasse, was die Kapazitäten erheblich erhöht. Für 105 Millionen Euro sprengt Bilfinger Berger einen 1200 Meter langen Abschnitt im Norden der Stadt in den Granit, den Vasatunnel. Dort erstellt das Unternehmen auch eine 700 Meter lange Kaverne für einen Bahnhof unterhalb der bereits der Eröffnung des Tunnels, an dessen Bau auch Bilfinger um fast sieben Prozent – und verjüngt sich dabei. Die bestehenden U-Bahn-Station „Odenplan“, eine der geschäftigsten Stockholms. Berger erheblich beteiligt war, die Stadtzentren von meisten Zuzügler sind unter dreißig, die Geburtenrate Am südlichen Ende der „Citybanan“ baut das Unternehmen einen weiteren Malmö und Kopenhagen auf 30 Minuten zusammen- ist hoch. Fünftausend Kinder kamen im Vorjahr zur Welt, 300 Meter langen Tunnel, allerdings in offener Bauweise. Der Tunnel verläuft gerückt. Zwanzigtausend Berufspendler überqueren täg- ein Rekord. Seit Neuestem hat Malmö die 300 000-Ein- in einem Altstadtbezirk mit denkmalgeschützten Gebäuden, die besonders lich den Sund, Prognosen gehen davon aus, dass sich wohner-Marke geknackt. Das feierten die Bürger im März gesichert werden müssen. ihre Zahl innerhalb der nächsten zehn Jahre nahezu ver- 2011 mit einem großen Fest auf dem Stortorget, dem zen- Bilfinger Berger ist ebenfalls am Ausbau des Autobahnrings im Norden doppeln wird. So verschmelzen Malmö und Kopenhagen tralen Platz in der Altstadt. Sehr viele Gäste waren Kinder. der Stockholmer Innenstadt beteiligt. Für rund 200 Millionen Euro erstellt das So gab es zur Feier des Tages statt Freibier Luftballons und Unternehmen Tunnel in offener Bauweise. Die Trasse führt durch lockeres Gestein, immer mehr zu einer gemeinsamen Metropolregion. Auch Malmö selbst wächst stetig – allein im Jahr 2010 jede Menge Schokoladenkuchen. // eine besondere Herausforderung. Die Arbeiten sollen im Jahr 2015 abgeschlossen sein. (si) 24 \\ CHANCENGLEICHHEIT Bilfinger Berger Magazin // 02 2011 // 25 KINDER, KÜCHE UND KARRIERE EMILIA THINGBO UND KIRSTI GERHARDSEN SIND MÜTTER UND MACHEN DENNOCH KARRIERE. NICHTS AUSSERGEWÖHNLICHES IN NORWEGEN, DENN DIE ARBEITSKULTUR IST FAMILIENFREUNDLICH UND DIE VÄTER SIND MODERNER ALS ANDERSWO. EMILIA THINGBO: „ÜBER EIN LEBEN ALS HAUSFRAU HABE ICH NIE NACHGEDACHT.“ E VA W O L FA N G E L / T E X T / / / A N TO N I A Z E N N A R O / F OTO /// Morgens zählt jede Minute. 6.30 Uhr: Emi- betreuung: Jedes Kind ab dem Alter von einem lia Thingbo schminkt sich im Wohnzimmer, Jahr hat einen Rechtsanspruch auf einen während ihre zweijährige Tochter Sophia ne- Krippenplatz – und das nicht nur auf dem Pa- ben ihr malt und Papa Georg noch unter der pier: 2008 besuchten 87 Prozent aller Kinder Dusche steht. 6.50 Uhr: Emilia schmiert Brote, zwischen einem und fünf Jahren eine Krippe Georg füttert Sophia. 7.10 Uhr: Georg zieht So- oder einen Kindergarten. Während in Deutsch- phia an, Emilia packt die Kindergartentasche. land nicht einmal für 30 Prozent der unter 7.25 Uhr: Vater und Tochter kämpfen mit dem vien die Regel: Junge Mütter arbeiten Vollzeit, Dreijährigen ein Kitaplatz zur Verfügung steht Schneeanzug. Mutter Emilia steht in hochha- Väter packen zu Hause selbstverständlich mit und diese Einrichtungen häufig nur bis zum ckigen Stiefeln und elegantem Mantel bereit. an. Die Zahl der Frauen in Führungspositionen frühen Nachmittag geöffnet haben, herrscht Der Morgen der Familie Thingbo ist durch- ist eine der höchsten, seit 2008 eine Frauen- in Norwegen quasi Vollbetreuung. strukturiert bis ins Detail. Punkt halb acht quote eingeführt wurde. Mehr als 40 Prozent küsst Emilia ihre Tochter: „Tschüss, bis heute der Aufsichtsräte in größeren Unternehmen KINDERREICHTUM LIEGT IM TREND Abend.“ Sie fährt ins Büro, ihr Mann bringt sind Frauen, gleichzeitig liegt Norwegen mit Die kleine Sophia geht ganztags in die Kinder- Sophia auf dem Weg zur Arbeit in den Kinder- einer Geburtenrate von rechnerisch 1,78 Kin- krippe, seit sie zehn Monate alt ist. Ihre Mut- garten. Erst neun Stunden später werden sich dern pro Frau in der Spitzengruppe Europas. ter Emilia schrieb während der einjährigen alle wiedersehen. Der Spagat zwischen Familie und Beruf funk- vom Staat finanzierten Elternzeit ihre Master- Alltag in einer norwegischen Familie. Was in tioniert nur dank moderner Rollenbilder und arbeit im Fach Sicherheitsmanagement. Als einer gut organisierten öffentlichen Kinder- Sophia ein Jahr wurde, kehrte Emilia als Refe- Deutschland eher selten ist, ist in Skandina- VIDEOKONFERENZ MIT TÖCHTERCHEN: DIE KUNDEN STÖREN SICH NICHT DARAN. 26 \\ CHANCENGLEICHHEIT Bilfinger Berger Magazin // 02 2011 rentin für Arbeitssicherheit und Umwelt- ten sollte“, erklärt Johnny, „und ich hatte Lust schutz zurück in ihr Unternehmen BIS Indus- darauf.“ Dass er damit seine nächste Beförde- trier, eine norwegische Tochter von Bilfinger rung aufs Spiel setzt, muss er nicht fürchten. Berger. Wie die meisten Norwegerinnen hat sie Nach der Schule macht Johnny mit den nie über ein Leben als Hausfrau nachgedacht, Jungs Hausaufgaben, kocht und holt Lykke, das erst kein zweites Kind. „Vielleicht in ein paar auch wenn das Managen von Kindern und Be- Töchterchen, vom Kindergarten ab. Wenn Jahren“, sagt sie, „jetzt soll Sophia unsere gan- ruf anspruchsvoll ist. Das sieht sie auch in der Kirsti gegen 16.30 Uhr nach Hause kommt, ze Energie haben.“ Trotz guter Kinderbetreu- Nachbarschaft, wo junge Familien gar drei und brummt die Waschmaschine und das Essen ung, moderner Väter, familienfreundlicher vier Kinder haben: „Eine Frau, die vier Kinder Schule fahren, die dreijährige Lykke im Kinder- dampft auf dem Herd. Dank einer familien- Arbeitszeiten – Familie und Vollzeitjob mitei- hat und arbeitet, muss eine starke Frau sein.“ garten abliefern, dann in der Rushhour zur Ar- freundlichen Arbeitskultur sitzt die komplet- beit. Wenig Schlaf und eine minutiöse inner - te Familie um 17 Uhr am Essenstisch. FLEXIBLE ARBEITGEBER familiäre Zeitplanung sind der Preis für Kinder Aber auch die Männer müssen stark sein. Als und Karriere. Emilia schwanger wurde, kündigte Georg sei- Während Sophia noch badet, liegt die ein Jahr ältere Lykke wenige Kilometer entfernt auf KNAPPE FAMILIENZEIT Als sie sich vor fünf Jahren auf die Füh- Irgendwie reicht die Zeit trotzdem nicht, findet dem Sofa und schläft. Beim Kochen saß sie noch auf der Arbeitsplatte und erzählte dem Vater rungsposition bewarb, war ihr zweiter Sohn Emilia. Nach dem Abendessen sitzt sie im Ba- munter von ihrem Tag. Doch nach dem Essen damals 60 bis 70 Stunden pro Woche im Büro, gerade ein Jahr alt, sie selbst Anfang 30. „Im Be- dezimmer auf dem Rand der Wanne, Sophia hat sie die Müdigkeit gepackt, der lange Tag im das konnte ich mir mit Familie nicht mehr werbungsgespräch sprach ich mit meinem planscht und Vater Georg legt auf dem Wickel- Kindergarten war anstrengend für sie. Johnny vorstellen“, sagt er. Heute arbeitet er für künftigen Vorgesetzten über unsere Familien. tisch das Kapuzenhandtuch zurecht. „Wir ha- bringt sie ins Bett und setzt sich danach mit einen Anbieter von Videokonferenz-Systemen In der Chefetage von BIS Industrier haben fast ben zu wenig Zeit füreinander“, sagt Emilia. einer Zeitung vors Kaminfeuer. Knisternde und ist ab 16 Uhr zu Hause. Manchmal hat er alle Kinder.“ In Deutschland wären die ersten Die paar Stunden zwischen Arbeit und So- Gemütlichkeit. Die Spülmaschine läuft. Kirsti Sophia auf dem Schoß, wenn er – per Video- Fragen: „Und wer kümmert sich um die Kin- klappt am Küchentisch den Laptop auf. konferenz– Kundengespräche führt. Noch nie der? Was ist, wenn sie krank sind?“ Doch Kirs- fast komplett gefüllt. Wenn sie ihre Tochter sei er dafür kritisiert worden: „Kinder gehören tis zukünftiger Chef warb mit flexiblen Ar- schließlich zum Leben.“ Wenn Sophia krank ist, beitszeiten und der Möglichkeit von Heimar- te nach, wann sie gewickelt wurde und wie bleibt er abwechselnd mit seiner Frau zu Hau- beit. Auch dass Kirsti in der Regel gegen 16 Uhr lange sie mittags geschlafen hat. Hin und wie- se. Jeweils zehn Tage im Jahr können beide Feierabend machen wollte, war kein Problem. der gibt es Gespräche mit den Erzieherinnen, Eltern in solchen Fällen bezahlt freinehmen, Wenn während der Arbeitszeit ein Elternge- der Staat übernimmt die Kosten. spräch in der Schule oder eine Vorführung im Manchmal packt Emilia die Sorge, zu wenig phias Schlafenszeit sind mit Kochen und Essen vom Kindergarten abholt, liest sie auf einer Lis- die den Eltern vom Alltag ihres Kindes erzählen. Kindergarten stattfindet, gehen die Eltern für ihre Tochter da zu sein. Deshalb will sie vor- bäude von BIS Industrier im Gewerbegebiet selbstverständlich hin. Das geht nur aus einem von Sandnes bei Stavanger. Kirsti Gerhardsen Grund: „Es gibt ein großes Vertrauen unterei- ist kaum im Großraumbüro angekommen, nander, dass jeder seine Arbeit macht“, sagt schon ist sie umringt von Kollegen, die sie mit sie. Sie selbst hat beobachtet, dass Mütter oft Fragen bestürmen. Als Bereichsleiterin „Ge- besonders effizient arbeiten, weil sie daran ge- sundheit, Sicherheit, Umwelt und Qualität“ ist wöhnt sind, sich knappe Zeit gut einzuteilen. sie eine gefragte Frau: Eine Abteilung hat ein GEFRAGTE FRAU: KIRSTI GERHARDSEN AM ARBEITSPLATZ. nander zu verbinden, fordert auch Opfer. nen Job und suchte sich einen neuen. „Ich war Kurz nach Emilia betritt ihre Chefin das Ge- DIE DREIJÄHRIGE LYKKE TRÄGT IHR KÖFFERCHEN SELBST. DARIN SIND BROTE UND OBST FÜR IHREN LANGEN TAG IM KINDERGARTEN. // 27 Audit und wünscht Unterstützung, Manager INGENIEUR MIT HALBTAGSJOB aus den Niederlassungen treffen sich in Sand- Um 13 Uhr wartet ihr Mann Johnny Gerhardsen nes zu einem Meeting und nutzen die Gele- mit dem Kleinbus vor der Grundschule seiner genheit für ein Gespräch, ein Journalist möch- Söhne. Aksel und Brage kommen mit einer te mehr zur jüngsten Sicherheitskampagne Horde Kinder angerannt und balgen sich um „Mum“ wissen, die Kirsti entwickelt hat (siehe die besten Sitze im Bus. Alle Freunde finden Seite 28). Die Managerin strahlt dennoch Ge- Platz, denn dies ist ein nachbarschaftlicher Ab- lassenheit aus. Um diese Zeit hat sie ihr Or- holservice. Johnny liebt seinen Job als Bauin- ganisationstalent bereits drei Stunden lang genieur, dennoch arbeitet er einstweilen nur unter Beweis gestellt. Um 5.30 Uhr aufstehen, halbtags. In Norwegen haben zwar alle Kinder dann duschen, anziehen, Frühstück vorberei- im Grundschulalter einen Platz in einem Nach- ten. Ab 6.15 Uhr die drei Kinder wecken, beim mittagshort, aber Aksel wollte dort nicht hin. Anziehen helfen, frühstücken, Brote schmie- „Deshalb haben Kirsti und ich überlegt, dass ren, die Söhne Brage, 6, und Aksel, 9, zur einer von uns vorübergehend weniger arbei- IN SKANDINAVIEN WIRD ABENDS WARM GEGESSEN: GEKOCHT WIRD GEMEINSAM. KINDER, KÜCHE UND KARRIERE www.magazin.bilfinger.com // 28 \\ ARBEITSSICHERHEIT Bilfinger Berger Magazin // 02 2011 MUTTERSÖHNCHEN B E R N D H A U S E R / T E X T / / / A N TO N I A Z E N N A R O, B I S I N D U ST R I E R / F OTO S // 29 WEIL MÄNNER BESONDERS AUF DIE MAMA HÖREN, HÄNGEN BEI BILFINGER BERGER IN NORWEGEN GROSSFORMATIGE PORTRÄTS AN DEN ARBEITSPLÄTZEN. /// Wo die norwegische Bilfinger Berger-Tochter BIS Indus- Gerhardsen, um ihre Kampagne vorzustellen: „Wir zeigen trier tätig ist, lächeln Mütter von den Wänden. In Dutzen- keine Models, sondern die Mütter unserer Mitarbeiter, das den Werkstätten, Fabriken, Raffinerien, Bauhallen und geht direkt ins Herz.“ auf Offshore-Anlagen blicken sie aus goldenen Rahmen Fünfzehn Damen hat Gerhardsen fotografieren lassen, freundlich auf das Geschehen herab. Die Plakate sind Teil die zu Hause auf dem Sofa oder am Esstisch sitzen, nichts einer Arbeitssicherheitskampagne, die Kirsti Gerhardsen ist geschönt: „Mütter sind gleichzeitig freundlich und entwickelt hat. In Broschüren gibt es den passenden Slo- bestimmt. Sie kümmern sich“, erklärt Gerhardsen, „das gan dazu: „Denk an alles, was passieren kann. Viele Grüße, spiegelt auch den Geist unseres Unternehmens: Nehmt Mama.“ Bis nach Paris reist Sicherheitsmanagerin Kirsti eure Arbeit ernst und gebt auf euch acht!“ // 30 \\ RAUMFAHRT Bilfinger Berger Magazin // 02 2011 // 31 /// Der Taxifahrer wird misstrauisch: „Da wollen Sie hin?“ Vor ihm liegt die Einfahrt zu einem verlassenen Hafengelände von Kopenhagen, der Wind schlägt ein Gittertor gegen verbogene Zaunpfosten, aus dem Asphalt wachsen Gras und Haselnussbüsche. Am Ende der Straße steht eine rostige Wellblechhalle. Kein Mensch zu sehen. Einen Weltraumbahnhof hatte man sich anders vorgestellt. Nur 15 Minuten vom Kopenhagener Stadtzentrum entfernt entsteht das vielleicht verrückteste Fluggerät dieser Tage: Ein Architekt und ein Ingenieur wollen mit einer Rakete ins Weltall fliegen. Nach Russland, den USA und China wäre das kleine Dänemark also die vierte Nation, von deren Boden ein bemannter Raumflug startet. MEINEN DIE DAS ERNST? Die Türe zur Halle steht offen. „Hallo, ist da jemand?“ – „I am here“, sagt ein freundlicher Glatzkopf, der hinter einer mannshohen Maschine auftaucht – und als wolle Kristian von Bengtson die Zweifel an der Ernsthaftigkeit seiner Mission noch schüren, zündet er sich eine Zigarette der Marke „Rockets“ an. Willkommen in der Raketenschmiede. Kristian von Bengtson, 37, kennt den Blick aus Mitleid und Verwunderung, wenn ein Besucher zum ersten Mal in die Halle tritt. Er weiß, was sein Gegenüber denkt: Das meinen die doch nicht ernst? Doch, Bengtson und sein Kompagnon Peter Madsen, 40, meinen es ernst. „Sie wird fliegen, in drei Jahren, und einer von uns wird da drin sein“, sagt Kristian und zeigt auf die aufgebockte und knallrot gestrichene Raketenkapsel. EIN PROJEKT WIE EINE EHE Sie ist auf den einzigen Dänen getauft, der durch seine Beschäftigung mit dem Weltall bekannt geworden ist, und das ist mehr als 400 Jahre her. Tycho Brahe, ein Zeitgenosse von Johannes Kepler, hat Gerätschaften erfunden, um die Bewegung der Gestirne zu vermessen. Die WELTRAUM uND ZURUcK „Tycho Brahe 1“ soll im Sommer dieses Jahres ZWEI DÄNEN WOLLEN SICH DAS WELTALL GENAUER ANSCHAUEN UND BAUEN SICH EINE RAKETE. den Sternen 30 Kilometer näher kommen. So DAS MATERIAL KOMMT AUS DEM BAUMARKT. hoch wird die Rakete laut Plan bei einem Test fliegen, an Bord vorläufig nur ein Dummy. P H I L I P P M A U S S H A R D T / T E X T / / / U F F E W E N G / F OTO S 32 \\ RAUMFAHRT Bilfinger Berger Magazin // 02 2011 // 33 Bei der amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA arbeitete Architekt Kristian mehrere Jahre an der Entwicklung der Innenausstat- WILLKOMMEN IM ES IST KALT IM WELTRAUMZENTRUM. NUR EIN KLEINER NEBENRAUM IST BEHEIZT. DORT WÄRMEN SICH DIE PIONIERE AUF – UND HECKEN TECHNISCHE LÖSUNGEN AUS. tung von Raumfahrzeugen mit. Vor vier Jahren DÄNISCHEN WELTRAUMZENTRUM! hörte er von Peter Madsen, einem Tüftler, der im Hafen von Kopenhagen gerade sein drittes U-Boot gebaut hatte: Die 18 Meter lange „UC3 Nautilus“ ist das größte privat gebaute U-Boot der Welt. Wer tief kann, der kann auch hoch, dachte Kristian von Bengtson: Er und Peter Madsen verstanden sich auf Anhieb. Die beiden haben in den vergangenen Jahren mehr Zeit miteinander verbracht als mit ihren Frauen, Kindern oder Freunden. „Für ein solches Projekt geht man eine Art Ehe ein“, sagt Kristian. Die Aufgabenteilung: Peter ist für den Antrieb zuständig, Kristian für den Passagierbereich. Die ersten sechs Meter der Rakete mit Verbrennungsraum, Einlassventil und Flüssiggastank gehören Peter, die oberen drei sind Kristians Baustelle. In der Wellblechhalle herrschen an diesem Tag im Frühjahr Temperaturen nahe der Nullgradgrenze. Nur in einem abgetrennten kleinen Büroraum kann sich Kristian ein wenig aufwärmen, bevor er in seinem dicken Overall weiterarbeitet an den Sprengklappen. Sie sollen die vier Fallschirme auswerfen und den Astronauten sicher zur Erde zurück segeln lassen. „Man wird die Erde sehen, wie einen blauen Ball“, sagt Kristian, „es wird ein großartiges Gefühl sein.“ DIE MARINE SPERRT DAS SEEGEBIET Dreiunddreißig Tests am Boden haben die Kompagnons seit Oktober 2008 unternommen, um den richtigen Treibstoff zu finden und die Hitzebeständigkeit des Materials zu prüfen. Vergangenen September sollte die Rakete mit WER TIEF KANN, KANN AUCH HOCH: einer Puppe an Bord zum ersten Mal abheben. DAS SELBST GEBAUTE U-BOOT NAUTILUS. AN VORBILDERN MANGELT ES DEN KOPENHAGENER RAKETENBAUERN NICHT. Das von Madsen gebaute U-Boot zog die Startplattform außerhalb der Zwölf-Meilen-Zone vor Bornholm, wo kein nationales Recht den Start von Raumfahrzeugen regelt. Die dänische Marine half und sperrte das Seegebiet weiträumig ab. „Drei, zwei, eins, null.“ Kristian drückte auf den Knopf – und es geschah das entscheidende Ventil vor dem Zufrieren einen Fehler in der Konstruktion entdeckten, den nichts. Das minus 185 Grad kalte Brennstoffge- bewahren sollte. wir bis zum nächsten Test beheben können.“ misch aus flüssigem Sauerstoff und Polyure- Es hätte die Stunde der Schadenfrohen sein Im Büro von Peter und Kristian hängen thanen zündete nicht. Die Fehleranalyse ergab können. Doch stattdessen riefen Freunde aus fünf Fotos von Raketenpionieren der letzten später: Einer Batterie war der Strom ausgegan- NASA-Tagen an und gratulierten. „Es war ein hundert Jahre. Auch der Russe Konstantin gen. Sie hätte einen Haarföhn angetrieben, der Erfolg“, deutet Kristian das Erlebnis, „weil wir Ziolkowski ist dabei, der als erster Mensch 34 \\ RAUMFAHRT Bilfinger Berger Magazin // 02 2011 // 35 überhaupt über einen Rückstoßantrieb mithilfe von flüssigem Sauer- oder Wasserstoff MEHR INFOS: spekulierte. Auch Raketenpionier Hermann www.copenhagensuborbitals.com Oberth schaut milde lächelnd von der Wand, er plante 1929 eine zwei Meter lange Rakete, die 40 Kilometer hoch fliegen sollte. Es war die Zeit, als Raumfahrt eine utopische Verheißung war und auch Albert Einstein zur Premiere von Fritz Langs Film „Frau im Mond“ ins Kino ging. Doch erst 1961 wurde Juri Gagarin zum ersten Menschen im Weltall. Mit der „Wostok 1“ hob Foto: Jev Olsen er ab und kam nach 108 Minuten heil zurück, nachdem er einmal die Erde in einer Höhe von rund 200 Kilometern umkreist hatte. VIELE DÄNEN FIEBERN MIT Rund 250 Millionen Dollar kostete die NASA im Durchschnitt jeder Start eines Space Shuttle. Dagegen sind die Kosten der Kopenhagener Raumfahrer geradezu niedlich. Ihr Budget für dieses Jahr bis zum neuerlichen Start im Juni beträgt 37 000 Euro. Das Geld kommt zum großen Teil von bislang 1700 Spendern, die in Peter und Kristian wohl ihre Stellvertreter für den eigenen Traum vom Fliegen sehen. Vor allem „Ingeniøren“, die Wochenzeitung der dänischen Techniker und Ingenieure, veranstaltet Fundraising-Vorträge und berichtet regelmäßig über das Projekt, worauf sich häufig Katamaranbauer oder Flugzeugmechaniker mit Tipps an Peter Madsen wenden. DER ERSTE STARTVERSUCH IN DER OSTSEE GING SCHIEF – WEIL DER HAARFÖHN ALS HEIZUNG AUSFIEL. RAKETE AUS DEM BAUMARKT Für die Hobby-Astronauten wäre es nicht schwierig, mit ihrer Idee mehr Geld zu machen. „Red Bull hat bei uns angefragt, ob sie die Rakete als Werbeträger benutzen können“, erzählt Kristian. „Aber wir wollen unabhängig bleiben. Wir wollen zeigen, dass im Grunde jeder in der Lage ist, in den Weltraum zu fliegen.“ Deshalb gibt es in der Kopenhagener Raketenschmiede auch keine Geheimnisse: Die Korkplatten zur Isolierung stammen ebenso aus dem Baumarkt wie die normierten Edelstahlbleche des Raketenantriebs. Jeder, der sich interessiert, kann den beiden bei der Arbeit zu- schauen. Oft sind Studenten der Technik- Vortritt lassen als erstem dänischen Astronau- Das Ventil, durch das der flüssige Sauerstoff Hochschule da und helfen mit. Noch zwei bis drei Jahre, dann ist die „Tycho NICHT NUR FÜR DUMMYS: „IN DREI JAHREN WIRD EINER VON UNS MIT DER RAKETE FLIEGEN.“ ten. „Er hat keine Kinder.“ mit einer Temperatur von minus 183 Grad Cel- Doch erst einmal findet der nächste unbe- sius strömt, hat eine richtige Heizung bekom- Brahe“ ausgetestet für ihren ersten bemann- mannte Startversuch in der Ostsee statt. Das men, und die Stromversorgung wird durch ten Flug, schätzt Kristian. Er wird Peter den eine stärkere Batterie gesichert. Problem mit dem Föhn ist inzwischen gelöst: // 36 \\ WELTERNÄHRUNG Bilfinger Berger Magazin // 02 2011 // 37 /// Vor drei Jahren haben Sie den „Svalbard Global Seed DER SAATGUTTRESOR LIEGT UNTERIRDISCH, IM PERMAFROST. NUR DAS ZUGANGSTOR IST SICHTBAR. Vault“ eröffnet. In dem arktischen Bunker sollen einmal 4,5 Millionen Saatgutproben aus aller Welt eingelagert werden. Warum dieser gigantische Aufwand? Er ist nötig, weil auch die Herausforderungen für die Menschheit gigantisch sind. In den vergangenen Jahrzehnten ist die Artenvielfalt unserer Nutzpflanzen rapide geschrumpft. Tausende Sorten von Weizen, Reis oder Äpfeln, die unsere Vorfahren seit der Jungsteinzeit gezüchtet hatten, sind quasi ausgestorben. Sie existieren nur noch als Saatproben in Genbanken. Was ist der Grund für diesen Verlust? Die moderne Landwirtschaft. Sie ist fraglos eine Erfolgsge- DIE VEREINIGTEN SAATEN schichte, mit ihren effektiven Monokulturen, ihren ertrag- AUCH BOHNEN AUS KOLUMBIEN GEHÖREN ZU DEN SCHÄTZEN, DIE DIE WELTERNÄHRUNG SICHERN KÖNNTEN. CARY FOWLER: „WIR HABEN ETWAS GESCHAFFEN, DAS FÜR DIE EWIGKEIT IST.“ reichen Zuchtsorten. Doch genau darin liegt auch die Gefahr: Wir kultivieren nur noch eine handvoll Supersorten, die unter den heutigen Umständen den besten Ertrag bringen – und riskieren dabei den Verlust aller anderen Arten. Wo ist das Problem? Auf der Bühne der Evolution herrschte doch schon immer ein reges Kommen und Gehen. Darwin hat natürlich recht. Die Evolution sorgt dafür, dass immer jene Arten fortbestehen, die am besten an ihre je- weilige Umgebung angepasst sind. Allerdings kann man bei Nutzpflanzen nicht von einer natürlichen Auslese spre- IMMER MEHR NUTZPFLANZENARTEN VERSCHWINDEN. MIT DEM WENIGEN, WAS BLEIBT, KÖNNTE DIE MENSCHHEIT FÜR DEN KLIMAWANDEL SCHLECHT GERÜSTET SEIN. CARY FOWLER, LEITER DES WELTTREUHANDFONDS FÜR KULTURPFLANZEN- chen. Hier sind es ja die Menschen, die über den Fortbestand der Arten entscheiden. Und sie müssen nun dafür Sorge tragen, dass der Genpool nicht zu klein wird. Evolution ist das Zusammenspiel aus Vielfalt und Auslese. Ohne Vielfalt ist das Spiel aus. VIELFALT, SAMMELT DIE VERBLIEBENEN SAATEN UND LAGERT Sie warnen, wir könnten schneller auf das stillgelegte Saat- SIE IN EINEM BUNKER AUF SPITZBERGEN. EIN INTERVIEW. gut zurückgreifen müssen, als wir uns vorstellen können. Allerdings. Viele der fast verschwundenen Arten könnten für uns schon bald wieder sehr wichtig werden. Etwa we- M A R K U S WA N Z E C K / T E X T / / / M A R I T E F R E - G L O B A L C R O P D I V E R S I T Y T R U ST, gen einer besonderen Hitzeunempfindlichkeit oder einer SVA L B A R D G L O B A L S E E D VA U LT / F OTO S anderen Qualität, von der wir heute noch gar nichts wis- 38 \\ WELTERNÄHRUNG Bilfinger Berger Magazin // 02 2011 // 39 RUND 600 000 VERSCHIEDENE SAMEN SIND IN DEN REGALEN ARCHIVIERT. sen. Die gängigen Reissorten beispielsweise öffnen ihre Blüten ziem- wappnet sind. Eine Sicherheitskopie der landwirtschaftlichen Arten- ist es die sicherste der Welt: ein knapp 130 Meter langer Stollen, auf Was kostet dieses Back-up-System? lich pünktlich um 11 Uhr vormittags – mit Anbruch der heißesten Ta- vielfalt ist für uns die denkbar beste Lebensversicherung. minus 18 Grad Celsius heruntergekühlt und mit mehren Stahltüren ge- Planung und Bau des Bunkers beliefen sich auf neun Millionen Dollar. geszeit. Aber es gibt einige Wildreissorten, die ihre Blüten erst um 4 Uhr Damit sie funktioniert, muss man allerdings die Millionen von Samen sichert. Draußen tummeln sich Eisbären. Sollte einmal der Strom aus- Das hat komplett der norwegische Staat übernommen. Die laufenden nachmittags öffnen oder um 11 Uhr abends. Diese Reisvarianten haben nicht nur einlagern, sondern auch wissen, zu was sie gut sind. fallen, würde die Temperatur des Bunkers wegen des Permafrostbodens Kosten für den Bunker, die Transporte und den Arbeitsaufwand der eine biologische Uhr, die sie Hitze vermeiden lässt. Damit könnten sie Das stimmt. Konservieren ist das eine. Diesen Genschatz nutzbar zu trotzdem nie minus 3 Grad Celsius übersteigen. Alle Genbanken der Genbanken liegen im niedrigen zweistelligen Millionenbereich. Sie einmal unser Überleben sichern. machen, das andere. Das ist die Sache der Saatgutbanken. Deren Wis- Welt sind eingeladen, dort kostenlos Sicherheitskopien ihres Samen- werden vor allem von der Bill-&-Melinda-Gates-Stiftung getragen. Ist Inwiefern? senchaftler müssen mit den vorhandenen Samen herumspielen, müs- bestands zu deponieren. Die Nachfrage ist groß. Denn die Banken in der Bunker erst einmal gefüllt, werden die Kosten merklich sinken. Erinnern Sie sich an die Hitzewelle 2003? In jenem Jahr gab es einen sen herausfinden, zu was sie gut sein könnten. Es gibt Hunderte von den USA, Deutschland und vor allem in den Entwicklungsländern wis- Die Samen der Sorghumhirse zum Beispiel müssen wir nur alle 20 000 Ernteeinbruch von bis zu 25 Prozent! Das Beunruhigende ist: Wenn Banken weltweit, und sie werden damit viele Generationen lang be- sen, dass ihre Schätze jederzeit in Flammen aufgehen, einem Erdbe- Jahre ersetzen. Das ist ein überschaubarer Aufwand. Sie das Jahr 2003 vor dem Hintergrund der prognostizierten Klima- schäftigt sein. ben oder auch – wie Anfang des Jahres in Ägypten – einer Plünderung Die Zeitdimensionen, in denen Sie für dieses Projekt denken, wirken erwärmung von zwei Grad Celsius betrachten, wird es als relativ mo- Wozu dann überhaupt der Saatguttresor? Die Saatgutbanken haben zum Opfer fallen können. Wenn das passiert, ist das wie die Zerstörung auf Außenstehende ehrfurchteinflößend. derates Jahr erscheinen. Wir werden noch viel wärmere Jahre erleben. doch ihre eigenen Bestände. eines Picasso oder Van Gogh: ein endgültiger, unschätzbarer Verlust. Das geht mir selbst genauso. Der Saatguttresor ist etwas, das vollkom- Und wir wissen, dass unsere heutigen Nutzpflanzen dafür nicht ge- Gut, der Seed Vault ist nur eine weitere Lagerungsstätte. Allerdings Wie gut ist der Kühlschrank mittlerweile gefüllt? men über den tagesaktuellen Problemen steht. Ich kann Ihnen kaum Wir haben schon über 600 000 Samenproben eingebunkert. Kom- beschreiben, wie es sich anfühlt, in diesen Stollen hinabzugehen. mende Woche werde ich nach Spitzbergen reisen, um weitere 30 000 Versuchen Sie es. Proben in Empfang zu nehmen: Sendungen aus Syrien, Indien oder Nun denn... Das Gefühl übertrifft um ein Vielfaches jenen Moment, Kolumbien. Auch die erste Lieferung aus Australien wird darunter sein. als ich nach Jahren langer, harter Arbeit meine Doktorurkunde über- Auch der größte Kühlschrank kann nicht die Zeit einfrieren. Wie stellen reicht bekam. So ein Doktortitel ist etwas Berauschendes – für einen Sie sicher, dass das eingelagerte Saatgut in tausend Jahren noch zu ge- Augenblick. Aber am nächsten Morgen wachst du auf und denkst dir: brauchen ist? Was ist schon dabei? Es ist etwas Vergängliches. Mit dem Saatgut- Wir haben in den vergangenen sechzig, siebzig Jahren viel Wissen über bunker ist es ganz anders. Wir haben nach langer, harter Arbeit etwas das Tiefkühlen von Saatgut angehäuft. Von den meisten Samenarten geschaffen, das – an menschlichen Maßstäben gemessen – für die ist bekannt, wie lange sie in etwa unter diesen Bedingungen haltbar Ewigkeit ist. Sie können mir glauben: Da unten, in der Kälte und im sind. Zusätzlich werden die Samenproben alle paar Jahrzehnte von Neonlicht des Bunkers, habe ich einige der glücklichsten Momente ihren Genbanken getestet. Keimt nur noch ein bestimmter Prozentsatz meines Lebens verbracht. der Saat, wird diese Sorte großgezogen, um frische Samen zu ge- Das klingt nach einer sehr emotionalen Beziehung zu ihrem Job. winnen. Es wäre ein Missverständnis zu glauben, man könnte einfach Und ob! Ich liebe meine Arbeit. So sehr, dass ich morgens nicht einmal das Saatgut der Welt auf Spitzbergen abladen, die Tür schließen und einen Wecker brauche, um pünktlich aufzuwachen. EIN 120 METER LANGER TUNNEL FÜHRT ZU DEN RÄUMEN, IN DENEN DAS SAATGUT BEI MINUS 18 GRAD LAGERT. nach tausend Jahren wiederkommen. Wir müssen es ständig im Auge Sie erwachen jeden Tag zur selben Zeit? Wie eine Reispflanze? behalten und austauschen. Der Bunker ist wie ein Lebewesen. Es gibt Noch besser: Manchmal wache ich früher auf und manchmal später. ständige Bewegung – eine Art Stoffwechsel. Je nachdem, was an dem Tag gerade ansteht. // 40 \\ ARCHITEKTUR Bilfinger Berger Magazin // 02 2011 RAUM IST IN DER KLEINSTEN HYTTE DAS HOTEL JUVET ERFINDET DIE NORWEGISCHE HÜTTENTRADITION NEU. DIE ARCHITEKTUR UNTERWIRFT SICH GANZ DEM HAUPTZWECK: DEM ERLEBEN DER NATUR. B E R N D H A U S E R / T E X T / / / K N U T S L I N N I N G , J E N S E N & S KO D V I N / F OTO S 42 \\ ARCHITEKTUR Bilfinger Berger Magazin // 02 2011 /// Nur einen Steinwurf von der Scheibe ent- schleunigt und so die nagelneuen Häuser fernt brüllt der Fluss Valldøla in ewigem Zorn. farblich mit den Birkenstämmen und dem Weiß vor Wut hat er sich in Tausenden von Jah- Bruchholz am Boden verschmelzen lässt. Wie ren in den Gneis gebissen und eine schroffe zufällig scheinen die Bungalows zwischen Schlucht geschaffen, an der das Auge sich lan- Felsen und Bäumen verstreut, doch in Wahr- ge nicht satt sehen kann. Am Hang, direkt vor heit ist die Position jeder einzelnen Behausung dem Fenster, krallen sich Birken und Kiefern mit Bedacht gewählt. Die Glasfronten bieten in mannsgroße Felsblöcke. Üppiges Moos den aufregenden Blick auf Schlucht und Fluss versteckt hier und da die graue Nacktheit der oder eine kontemplativere Aussicht auf Moos Blöcke, die dem Berg Alstadfjellet irgend- und Felsen. Aber kein Bungalow stört den an- wann lästig geworden sind und von ihm abge- deren durch seine Anwesenheit: Sie sind alle so worfen wurden. Jetzt liegen sie hier wie ein platziert, dass jeder Gast die Natur scheinbar Würfelspiel von Riesen. Hinter dem Fluss für sich allein hat. // 43 HOTELBESITZER KNUT SLINNING: „DAS HABEN WIR NOCH NIE PROBIERT, ALSO GEHT ES SICHER GUT.“ erhebt sich der Berg steil wie eine Wand; auf seiner flachen, schneebedeckten Kuppe kann man selbst im August Ski fahren. Das ist der Blick, der den Gast im Hotel Juvet (auf Deutsch Hotel Schlucht) gefangen nimmt. Das Juvet liegt oberhalb des Dorfes Valldal am Norddalsfjord. Anders gesagt: ganz weit draußen. Attraktionen gibt es hier nicht. Außer einer: Landschaft. Und so nennt der Besitzer Knut Slinning seine Herberge gerne auch „Landschaftshotel“. DAS DRAUSSEN IST DRINNEN Knut Slinning, ein drahtiger, unrasierter Mann von 59 Jahren, war früher Lehrer für Betriebswirtschaft. Heute kann man ihn oben auf dem Alstadfjellet auch mal mit Schrotflinte auf der Jagd nach Schneehühnern sehen. Zwei Zitate begleiten sein Leben, erzählt er, und beide passen auf sein Hotelprojekt. Das eine stammt aus Goethes „Schatzgräber“, dem er im Deutschunterricht begegnete: „Tages Arbeit! Abends Gäste! Saure Wochen! Frohe Feste! Sey dein künftig Zauberwort.“ Das andere stammt von Pippi Langstrumpf: „Das haben wir noch nie probiert, also geht es sicher gut.“ Das im Jahr 2010 eröffnete Hotel besteht aus einzeln stehenden Bungalows, erreichbar über Pfade aus knirschendem Kies. Das Kiefernholz der Fassaden ist mit Eisenvitriol gestrichen, das die natürliche Vergrauung beDIE LANDSCHAFT RUND UM DAS HOTEL IST WIE EIN GROSSER ABENTEUERSPIELPLATZ. DIE NATUR ERSTRAHLT HELL WIE AUF EINER THEATERBÜHNE. 44 \\ ARCHITEKTUR Bilfinger Berger Magazin // 02 2011 // 45 An Funktionalität sind die modernen Katen Aber will der Mensch wirklich in dunklen Höh- kaum zu überbieten: Das Doppelbett passt len wohnen, zumal im hohen Norden? „Im bes- genau in die Nische hinein, die sich offen ten Fall ist Architektur Poesie“, erklärt der an den Wohnbereich anschließt. Wer mit dem Architekt Jan Olav Jensen. „Wir wollten unser Rauschen des Valldøla in den Schlaf dämmern Ziel, nämlich den Gast der Natur auszusetzen, will, der öffnet einfach eine Schiebeluke in nicht nur halbherzig verfolgen: Dazu brauch- der Wand, gleich am Kopfende des Bettes. ten wir die dunklen Wände.“ Die Natur er- Anders als im Innern der traditionellen nor- strahlt hell wie auf einer Theaterbühne. Stünd- wegischen Hütten ist das Holz nicht naturbe- lich, minütlich wechselt die Atmosphäre, je lassen. Der gesamte Raum ist mit einer Farbe nach Tageszeit und Wolken. Obwohl die Bun- gestrichen, die an reife Oliven erinnert. Durch galows nur knapp 30 Quadratmeter haben, den dunklen Anstrich fühlt man sich wie in fühlt sich der Gast nicht beengt: Die Glasfron- einer gemütlichen Höhle – oder im Innern ten geben das Gefühl von Platz, Licht und Luft. einer riesigen alten Kastenkamera, die ja ebenfalls den Zweck hat, das Draußen nach NOBLE HÜTTEN drinnen zu holen. „Wir setzen auf eine besondere Zielgruppe: Poor on time and rich on cash“, sagt Hotelier Slinning. Rund 300 Euro kostet ein Bungalow pro Nacht. Bekannte Lifestyle-Magazine wie „Wallpaper“ haben über das Konzept geschrieben, „Le Figaro“ und „The Times“ waren zu Besuch. Bei den Norwegern fällt das Konzept auf fruchtbaren Boden, weil die Begeisterung für die Natur ein wesentlicher Bestandteil der nationalen Identität ist. Über die Hälfte der Einheimischen haben ihre eigene „Hytte“, wo sie Wochenenden und Ferien verbringen – idealerweise einsam und ohne Komfort. Tatsächlich aber bauen sich immer mehr Norweger luxuriöse Zweitdomizile. Es entstehen ganze Siedlungen aus uniformen und überdimensionierten Blockhäusern, die den ursprünglichen Gedanken des Alleinseins mit der Natur ins Gegenteil verkehren. Das Hotel Juvet dagegen erinnert daran, dass Exklusivität keine Frage der Quadratmeterzahl ist, wie schon Friedrich Schiller wusste: „Raum ist in der kleinsten Hütte für ein glücklich liebend Paar.“ DIE WÄNDE IM BAD SIND GELB WIE HUFLATTICH. MINIMALISTISCHER LUXUS IM SPA. KIESWEGE FÜHREN ZU DEN KATEN. // JEDER GAST HAT DIE LANDSCHAFT GANZ FÜR SICH ALLEIN. 46 \\ LITERATUR UND GESELLSCHAFT Bilfinger Berger Magazin // 02 2011 /// Für Renate war sie ein Idol, Guido nennt sie die „erste Liberale“, Verona wollte „sein wie sie“. Was Grünen-Chefin Künast, Außenminis- // 47 , Power Das Urteil focht die Kinder nicht an. Als Pippi Langstrumpf hilft der Welt und auch das Buch 1949 bei Oetinger in Deutschland den Frauen – so sieht es jedenfalls Benja Stig erschien, hatte es sich in Schweden bereits Fagerland, 40, drei Töchter, ehemaliges Model, Pi PP¡ ter Westerwelle und TV-Moderatorin Verona Pooth verbindet, ist die Begeisterung für eine Figur der Weltliteratur, die seit siebzig Jahren Kinder in ihren Bann zieht und manchen Erwachsenen auch: Pippilotta Viktualia Rollgar- dina Pfefferminza Efraimstochter Langstrumpf. „Erzähl mir von Pippi Langstrumpf“, quen- gelte die siebenjährige Karin, die 1941 mit einer Lungenentzündung im Bett lag. „Den Namen hatte Karin in dem Augenblick erfunden“, wunderte sich Astrid Lindgren noch Jahre später. Aber sie begann zu erzählen. Dass die Geschichte von Pippi und ihren Freunden einige Jahre später auch zu Papier gebracht wurde, verdanken Leser einem Unfall. Astrid Lindgren, die während des Krieges in der schwedischen Briefzensurbehörde arbeitete, war auf einem vereisten Gehweg ausgerutscht und hatte sich den Knöchel verstaucht. Die Zwangspause nutzte sie, um Pippis Abenteuer aufzuschreiben. 300 000 Mal verkauft. Doch auch im deutsch- Dänin. Heute ist sie Unternehmensberaterin sprachigen Raum gab es Kritik, insbesonde- in Norwegen. Das Land steht an der Spitze der re aus der Schweiz. Es mangele dem Buch an Gleichberechtigung und Fagerland war eine „kindlich gesundem Humor“, befand eine Bi- der treibenden Kräfte. Wenn man sie fragt, wie bliothekskommission in Basel. „Die originelle sie es schaffte, die Frauenquote durchzuset- Grundidee des Büchleins ist zu originell und zen, sagt sie: „Pippi-Power“. Keine Angst haben, wirkt abstoßend. Wegen all dieser Unzuläng- sich alles zutrauen. „Macht wird nicht gege- lichkeiten lehnen wir dieses berühmte Pippi- ben“, sagt sie, „du musst sie dir nehmen.“ Buch entschieden ab.“ Mit der tendenziellen Überforderung des pädagogischen Personals durch den anarchischen Auftritt Pippis war Astrid Lindgren ver- traut. In Schweden hatte das Buch erst nach starker Überarbeitung des Manuskripts er- scheinen können. Nachttöpfe wurden aus der Geschichte getilgt, und der wilde Umgang mit dem „schrecklichen Benno“ und seinen Kum- panen entschärft. Jede neue Übersetzung traf VOR SIEBZIG JAHREN ERZÄHLTE ASTRID LINDGREN IHRER KLEINEN TOCHTER auf neue Vorurteile und Bedenken. In China AM KRANKENBETT DIE GESCHICHTE VON EINEM UNGEWÖHNLICH STARKEN, gab es Probleme, weil Pippi zu frech mit den UNGEWÖHNLICH FRECHEN MÄDCHEN. PIPPI LANGSTRUMPF REVOLUTIONIERTE Polizisten umsprang. Den Franzosen war das DIE KINDERLITERATUR – UND DAS BILD DER FRAU. Schriftstellerin hatte Lindgren eigentlich Pferd zu groß und wurde zum Pony verkleinert. nie werden wollen, aber nachdem das Büch- Süffisant bat Lindgren ihren dortigen Verle- lein nun einmal geschrieben war, bot sie das ger, ihr doch ein Foto von einem französi- Manuskript dem schwedischen Verlag Bonnier schen Kind zu schicken, das ein Pony eher als an mit der Hoffnung, „dass Sie nicht das Ju- ein Pferd stemmt. gendamt alarmieren“. Der Bitte wurde statt- Allen Widrigkeiten zum Trotz, Pippi setzte PA U L L A M P E / T E X T / / / E D D I K R A F T / CO L L A G E gegeben, nicht aber der nach Drucklegung. sich durch. Wie sollte es anders sein. Inzwi- Eine grandiose Fehlentscheidung, denn ein Jahr schen ist das Buch in über sechzig Sprachen später, 1945, griff der Stockholmer Kinderbuch- übersetzt und weltweit verbreitet. „Pippi Lang- sie Pippi charakterisiert: „Pippi Langstrumpf verlag Rabén & Sjögren zu. Die erste Auflage kous“ heißt es auf Afrikaans, „Pippi Meialonga“ ist ja eigentlich ein kleiner Machtmensch, verkaufte sich prächtig, auch wenn mancher in Brasilien und „Pippi-Ya Goredirey“ in Kurdis- aber sie missbraucht niemals ihre Macht. Nur Pädagoge dem Bändchen wenig abgewann. tan. Wer im Online-Buchhandel nach „Pippi wenn sie zum Eingreifen gezwungen wird, Sinnlos und geschmacklos seien Pippis Aben- Langstrumpf“ sucht, findet fast 1 400 Titel. schaltet sie sich ein. Ansonsten ist sie das teuer, schrieb etwa ein Stockholmer Pädago- Darunter sind beileibe nicht nur die Lind- gutmütigste, hilfsbereiteste und netteste Mäd- gikprofessor; barfuß über Streuzucker zu lau- gren-Ausgaben, sondern Wirtschafts-, Selbst- chen, das man sich nur denken kann. Und fen oder eine ganze Torte zu essen, erinnere findungs- und Emanzipationsliteratur. Pippi soweit ich das beurteilen kann, ist Macht zu „an die Fantasie eines Geisteskranken oder Langstrumpf steht für Kreativität und Gestal- haben und sie nicht zu missbrauchen, das an krankhafte Zwangsvorstellungen“. tungswillen, Spontaneität, Mut und Skepsis. Auch Astrid Lindgren spricht von Macht, wenn Schwerste, was es gibt.“ // 48 \\ NEWS Bilfinger Berger Magazin // 02 2011 // 49 KÜSTEN FER N E GRÜ N DU NG NAC H RÜSTU NG VON KOH LEKRAFTWER KEN TH E SEVEN I N MÜ NC H EN OFFSHORE-WINDPARK BEI SYLT ANPASSUNG AN EU-STANDARDS Gemeinsam mit seinem dänischen Partner Per Aarsleff Im polnischen Belchatow wird Bilfinger Berger Power Services das größte HEIZKRAFTWERK WIRD LUXUSIMMOBILIE wurde Bilfinger Berger beauftragt, die Fundamentfür Braunkohlekraftwerk Europas modernisieren. Das Unternehmen erneuert die In der Münchner City ist Bilfinger Berger mit ei- 80 Offshore-Anlagen des neuen Windparks DanTysk zu Dampferzeuger in sechs Kraftwerksblöcken. Die Anlage wird so an die Um- nem Auftragsvolumen von rund 60 Millionen Euro bauen. Der 70 Kilometer westlich von Sylt gelegene weltstandards der Europäischen Union angepasst. Das Projekt wird in Teil- am Bau eines exklusiven Wohn- und Arbeitsvier- Windpark wird nach seiner Fertigstellung über eine schritten umgesetzt und hat eine Gesamtlaufzeit von 70 Monaten, der Auf- tels beteiligt. „The Seven“ entsteht auf dem Ge- Kapazität von rund 290 Megawatt verfügen. Darüber tragswert beläuft sich auf 460 Millionen Euro. lände eines ehemaligen Heizkraftwerks. Der 56 hinaus haben die Unternehmen im Februar mit der Meter hohe Maschinenturm wird als Industrie- Gründung von 175 Windkraftanlagen für den Windpark denkmal erhalten und zum höchsten Wohnge- London Array im Mündungsgebiet der Themse begon- PUMPSTATION EN FÜ R DI E PI PELI N E bäude der Innenstadt umgebaut. Daneben ent- nen. Das weltweit größte Offshore-Kraftwerk wird im INFRASTRUKTUR FÜR TEXANISCHES ÖLFELD steht auf dem 14 000 Quadratmeter großen lumen von insgesamt 350 Millionen Euro. Das Unter- Im Süden des US-Staates Texas wird Bilfinger Tiefgarage, Kindertagesstätte und einen Fitness- nehmen ist Marktführer bei der Gründung küsten- Berger Industrial Services fünf Pumpstatio- Bereich. Die Penthouse-Wohnung im Heizkraft- nen und Tanklager planen, fertigen und werk gilt als die teuerste Wohnung Münchens. Endausbau eine Leistung von 1 000 Megawatt haben. Für Bilfinger Berger haben die Projekte ein Auftragsvo- MARKTFÜHRER BEI DER GRÜNDUNG KÜSTENFERNER WINDPARKS. ferner Windkraftanlagen in Nord- und Ostsee. Areal ein fünfgeschossiges Atriumgebäude. The Seven verfügt über großzügige Grünflächen, errichten. Die Anlagen sind Teil einer knapp 250 Kilometer langen neuen Pipeline zur ErPR IVATER PARTN ER FÜ R SC H U LEN I N B ELFAST N U R FLI EGEN IST SC HÖN ER schließung des Öl- und Gasfelds „Eagle Ford IN BILDUNG INVESTIERT MONTAGELINIEN FÜR DEN AIRBUS Shale“, einem der größten Vorkommen Im nordirischen Belfast ist Bilfinger Berger Project Bilfinger Berger Industrial Services errichtet Montagelinien für EADS. Der Enterprise Products, der Auftrag hat einen Investments seit vielen Jahren im Bildungssektor jüngste von bislang sieben Aufträgen umfasst Planung, Fertigung, Aufbau Wert von rund 130 Millionen Euro. aktiv. Nun wird das Unternehmen zwei weitere und Inbetriebnahme von Montagelinien für den Airbus A350 XWB und hat Schulen im Rahmen einer öffentlich-privaten Part- ein Volumen von rund 150 Millionen Euro. Davon entfällt rund die Hälfte auf nerschaft finanzieren, planen, bauen und 25 Jahre Bilfinger Berger. Derzeit werden Montagelinien an den Standorten Ham- AUSTRALI ENGESC HÄFT VER KAU FT lang betreiben. Das Lagan College wird saniert burg, Nordenham und Saint-Nazaire aufgebaut. BYE-BYE, MATES! AIRBUS-MONTAGEHALLE IN HAMBURG. Bilfinger Berger hat sich von seiner Beteiligung Valemus Australia getrennt. und erweitert, die Tor Bank School komplett neu gebaut. Das Investitionsvolumen beträgt rund 60 Millionen Euro. der Vereinigten Staaten. Auftraggeber ist Sämtliche Anteile gingen an den australischen Bau- und Immobilienkonzern Lend Lease. Bilfinger Berger ist durch den Verkauf zusätzliche Nettoliquidität von über einer halben Milliarde Euro zugeflossen. Die Veräußerung schafft die STRASSEN FÜ R POLEN finanzielle Grundlage für den weiteren Ausbau des Dienstleistungsgeschäfts. AUSBAU DES AUTOBAHNNETZES Bilfinger Berger Budownictwo ist in ganz Polen GEBÄU DEMANAGEMENT an großen Projekten zum Ausbau des Straßennetzes INTERNATIONALE NACHFRAGE beteiligt. Der neuste Zugang ist ein 23 Kilometer langes Teilstück der Nationalstraße 8 bei Rawa Bilfinger Berger Facility Services hat aus der Industrie Aufträge mit einem Ge- Mazowiecka. Die bislang zweispurige Strecke wird samtvolumen von rund 55 Millionen Euro erhalten. Die BASF hat technische zu einer vierspurigen Autobahn erweitert. Darüber Leistungen an Standorten in 13 Ländern beauftragt. Bei Carl Zeiss übernimmt hinaus entstehen vier Anschlussstellen und 19 das Unternehmen den technischen Gebäudebetrieb für zwei Produktions- Brücken. Die Arbeiten sollen Mitte 2012 abgeschlos- standorte. Für Orange Communications wird Bilfinger Berger sämtliche sen sein, der Auftragswert beläuft sich auf 90 Schweizer Liegenschaften betreuen. Die Verträge haben eine Laufzeit von drei Millionen Euro. bis fünf Jahren. DER MASCHINENTURM WIRD ZUM WAHRZEICHEN. 50 \\ STRASSEN DER WELT Bilfinger Berger Magazin // 02 2011 NORWEGEN EUROPASTRASSE 18 ELCHE DÜRFEN WEITER RÖHREN Die Europastraße 18 führt von Norwegen über Schweden und Finnland bis nach Russland. Ein landschaftlich besonders reizvoller Abschnitt liegt zwischen Kristiansand und Grimstad am Südzipfel Norwegens. Die Straße führt über tief eingeschnittene Fjorde, durch Hügel und Täler weiter nach Oslo. Lange Jahre galt dieser Teil der E 18 als besonders gefährlich. Die Strecke war eng und kurvig, mit nur einer Spur pro Fahrtrichtung. Wenn im Juli die Touristen ins Land strömten und der Verkehr auf 16000 Fahrzeuge pro Tag anschwoll, wurde die Fahrt zum Wagnis. Bilfinger Berger hat die Straße begradigt und vierspurig ausgebaut. Mehr als sechs Kilometer der rund 40 Kilometer langen Trasse verlaufen nun in Tunnels, 60 Brücken überspannen die Landschaft – auch, um möglichst wenig in den Lebensraum von Elchen und Hirschen einzugreifen. Die Strecke ist eine der ersten in Norwegen, die im Rahmen einer öffentlich-privaten Partnerschaft entstand. Bilfinger Berger Project Investments wird den Streckenabschnitt bis zum Jahr 2034 betreiben. (si)