das brotgutachten
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das brotgutachten
DAS BROTGUTACHTEN Jetzt mal weg mit Ideologie, Vorurteilen, Halbwissen. Reset. Und dann die Frage: Wie steht es um unser wichtigstes Nahrungsmittel? Fotos Gallery Stock Text Christiane Grefe WM03-036 36 27.03.14 12:27 37 Fotos Gallery Stock D ie feinsten Unterschiede melden die Geschmacksknospen bei den Speisen, die sie am besten kennen. Seit Tausenden von Jahren essen die Menschen Brot. Heute erspürt die Zunge Widersprüchliches. Sie erkennt das frische Weizenbrot mit der lockeren, unregelmäßig geporten Krume. Das grobkörnige, saftige Schwarzbrot, das beim Kauen ein mildes Malzaroma entfaltet. Aber immer häufiger schmecken Brote und Brötchen auch muffig; die knusprige Kruste zerplatzt im Mund in tausend Krümel; die Krume ist pappig, strohig oder zäh. Für viele Menschen ist das ein kleines Drama. Brot ist hierzulande ein Mythos. Männer essen 66 Kilo im Jahr, Frauen 55. Treffen sich Deutsche im Ausland, trauern sie gemeinsam um das Vollkornbrot und tauschen Adressen von Exilbäckern aus. So eine Scheibe dunklen Brots ist wie ein Stück Heimatscholle. Der Bäckerverband will die deutsche Brotvielfalt nun von der Unesco als Weltkulturerbe schützen lassen (und konkurriert dabei mit einem Antrag der Bierbrauer). Auf der Website brotkultur.de listet die Lobby mehr als 3000 Sorten auf. Dabei ahnen die meisten, dass diese Sehnsucht mit der Wirklichkeit nicht mehr viel gemein hat. Aber ist die Lage wirklich so ernst, dass man das deutsche Bäckerhandwerk mit Blauhelmen gegen den Angriff der Backfactorys verteidigen müsste? Wer in Backstuben und Enzymlabors recherchiert, mit Gourmets und Verbraucherschützern spricht, trifft auf eine Welt voller Widersprüche. Man kann heute Eiweißbrot, Quarkbrot, Joghurtbrot und glutenfreies Brot kaufen, Jogging-, Weltmeister-, Soja- oder Sodagebäck, Käse-Fächer und Schinken-Käse-Zungen, Omega-3-Brot mit Fischöl. Die Vielfalt verwirrt. Brot soll nicht mehr nur satt und zufrieden machen, sondern auch gesund, manchmal sogar klug oder schlank. Es gibt Edelbäckereien, die ihren Sauerteig anpreisen wie Manufactum seine Trüffelhobel aus Edelstahl. Und es gibt die Discounter und Backketten mit ihren Aufbackwaren – die entgegen allen Klischees manchmal gar nicht so schlecht schmecken. Brot ist zum Symbol geworden für diese verrückte Welt, in der Sein und Schein oft dicht beieinanderliegen. Alles. Jederzeit. Überall. So lässt sich der Wandel des Bäckerhandwerks mit drei Wörtern beschreiben. Michael Decius ist einer von denen, die diese Entwicklung für einen Fortschritt halten und daran mitverdienen. Der Großbäcker aus Berlin-Spandau ist ein Großmakler des täglichen Brotes. Auf Tausenden von Quadratmetern seiner Kühlhäuser stapeln sich Kartons mit tiefgefrorenen Teiglingen. Ein Viertel der Backwaren kommt von eigenen Fließbändern. Den Rest liefern Industriebäcker aus dem Umland zu, aus Polen, sogar aus Frankreich. Rund 800 verschiedene Backwaren friert Decius’ Firma DewiBack ein, von Roggenbroten und Croissants bis zu Laugenbrezeln und zahllosen Kuchen. Im Kühl- WM03-037 37 laster reisen die Teigstücke in alle Winkel Deutschlands, wo sie fertig gebacken werden. Dass das oft keine Profis, sondern Minijobber oder Verkäufer machen, und zwar in Umluftautomaten statt in Decköfen wie in der Backstube, ist schon eine mögliche Erklärung dafür, dass Brötchen manchmal zu trocken herauskommen oder nicht durchgegart sind. Dafür schätzen die Händler die Just-in-time-Fertigung. Und die Kunden freuen sich, wenn sie auch am Nachmittag auf dem Nachhauseweg noch warme Semmeln bekommen. Die Tiefkühltechnik ermöglichte es, Teigherstellung und Backen zu trennen. Sie war nach der Einführung von Knetmaschinen und Fließbändern der zweite Technologiesprung in der Industrialisierung des Backens. Die Folgen: Erst zogen die Brot- und Kuchentheken in die Supermärkte und Bahnhofshallen ein. Dann machten sich Backdiscounter in besten Citylagen breit. Inzwischen wird selbst an Tankstellen, in Eisdielen und Kiosken aufgebacken, auch Lidl und Aldi bieten Brötchen an. Der Zentralverband des Bäckerhandwerks hat Aldi wegen irreführender Werbung verklagt. In den Automaten würden Brötchen nur aufgewärmt und nicht »frisch gebacken«, argumentieren die Bäcker. Doch das sind Rückzugsgefechte. Unwiederbringlich hat sich ein uraltes Handwerk in eine Industrie verwandelt, die alles jederzeit von überall her verfügbar macht. Ciabatta und Brez’n auf Rügen, Pumpernickel in Stuttgart. »So viel Mehl ist noch immer die wichtigste Zutat. Aber mehr als 50 Enzyme, Öle, und Zusatzstoffe helfen Bäckern inzwischen dabei, ihr Gebäck zu tunen. Deshalb schmeckt Brot nicht unbedingt schlechter 27.03.14 12:27 3072 Brotsorten haben Bäcker unter brotkultur.de re gistriert. Die Sorten vielfalt wollen sie als Weltkulturerbe schützen lassen. Verbraucher schützer lästern über »Innovations rambazamba« WM03-038 38 Brot so billig an so vielen Stellen gab’s noch nie«, schwärmt der gelernte Konditor und Betriebswirt De cius im durchgestylten Verwaltungsgebäude seiner Brot fabrik. »Hätte mir das einer vorausgesagt, dann hätte ich abgewinkt und gesagt: Du spinnst!« Brötchen für unter 20 Cent, die im Supermarkt duftend zum Kauf teurerer Waren verführen sollen: Da gegen kommt der Bäcker um die Ecke nicht an. Von 55 000 Betrieben vor sechzig Jahren waren 2011 noch rund 14 000 übrig, und in fünf bis sieben Jahren werden schätzungsweise weitere 6000 Geschäfte verschwunden sein. Die Handwerksbäcker ereilt dasselbe Schicksal wie die Bauernhöfe, von denen ihr Getreide stammt. Schon heute bedienen sie nur noch ein Drittel des Marktes. Unter den Niedrigpreisen der Discounter leiden vor allem kleinere mittelständische Zulieferer. Am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat der Ökonom Ferdinand Pavel die Folgen der Konzen tration im Einzelhandel untersucht. Langfristig müssten kleinere Bäckerunternehmen wohl Abstriche in der Qualität machen, um noch ins Sortiment der Groß händler zu kommen, sagt Pavel. Selbst die größeren Filialbäcker geraten unter Druck. Deutschlandweite Ketten jagen sich gegenseitig mit Dumpingaktionen die Kunden ab. Zwei Brezeln mitnehmen, eine bezahlen! Die Konzentration beschleunigt sich. Ein Anlass für falsche Sentimentalität ist das noch nicht. Früher war keineswegs alles besser. Nie war jeder Bäcker auch ein Meister seines Fachs. Und die indus triell gefertigten Backwaren seien »deutlich besser ge worden«, urteilt der Lebensmitteltechnologe Günter Unbehend vom Max Rubner-Institut in Detmold. Je größer ein Unternehmen, desto eher könne es für jeden Bereich eigene Spezialisten beschäftigen: für den Ein kauf hochwertiger Rohstoffe, für die beste Verfahrens technik, für Vertrieb und Logistik, die Frische gewähr leisten. Gewiss, die meisten Bäckereiketten nutzen Zusatzstoffe und Backmischungen, um die Herstellung zu standardisieren. »Je größer die Maschinen, desto sicherer müssen die Teige sein«, sagt Großbäcker Mi chael Decius. In den Knetarmen dürfen sie nicht zer reißen und nicht verkleben. Aber auch kleine Bäckereien schätzen solche Hilfsmittel. Die Handwerksbäcker, im Betrieb oft auf sich ge stellt, müssten alle Aufgaben selbst oder mit der Familie bewältigen, sagt Günter Unbehend. »Daher werden auch bei ihnen häufiger Fertigmischungen oder Vorpro dukte verwendet. So kann der Kundenwunsch nach einer größeren Auswahl mit angemessenem Aufwand befriedigt werden.« Niemand gibt allerdings gerne zu, dass er Zusätze und Backmischungen einsetzt, die so wohlklingende Namen tragen wie Fortschritt, ErdnussGripsi oder Ulmer Kraftkorn Malzbrot Plus. Die Illu sion von Natürlichkeit soll nicht getrübt werden. Doch irgendwie muss diese Branche ja auf 1,6 Milliarden Euro Jahresumsatz kommen. Und sie findet immer ausgefeil tere Instrumente, um den sensiblen Prozess der Teigfüh rung zu standardisieren, zu beschleunigen und zu ver billigen. Leidet darunter die Qualität? Den Teig säuern, kneten, über viele Stunden ru hen, reifen und gehen lassen und dann mit Erfahrung fürs richtige Timing in den Ofen schieben: So funk tionierte das früher. Dabei entstehen nicht nur die ver trauten Aromen. In den langwierigen Fermentierungs prozessen werden auch unverdauliche Abwehrstoffe im Getreide abgebaut und seine Nährstoffe aufgeschlossen. Nur so wird es bekömmlich. Menschen sind nun mal keine Wiederkäuer wie Kühe, deren mehrkammeriger Pansen Gräser vorverdaut. Wir Zweibeiner haben Kul turtechniken dafür entwickelt. Zum Backen gehören seit Jahrzehnten auch allerlei Hilfsmittel: Zucker als Nährstoff für Hefe, Malz zum Bräunen oder Ascorbinsäure, ein Alleskönner, der bleicht, stabil und haltbar macht. Seit den siebziger Jahren wer den aber auch chemische Verdickungsmittel, Stabilisato ren und Antioxidantien verwendet. Sie verbessern die Maschinentauglichkeit des Teigs. Säureregulatoren ma chen das Brot länger haltbar, Hochleistungsemulgatoren können sein Volumen bis auf den doppelten Umfang vergrößern. Kunstsauer verkürzt den Gärprozess, der sonst zwei Tage dauern kann, auf ein paar Stunden. Je nach Weltbild kann man diese Stoffe als böse Chemie oder nützliche Helfer betrachten. Die Öko trophologin Ulrike Gonder meint, die Beschleunigung Fotos Gallery Stock 38 27.03.14 12:27 Fotos Gallery Stock des Backprozesses geschehe auf Kosten der Bekömmlichkeit. Dem Teig fehle die Zeit, um schwer verdauliche Bestandteile des Korns ausreichend abzubauen. Der Lebensmitteltechnologe Lutz Popper hingegen nennt Enzyme die »guten Freunde des Mehls«. Lutz Popper arbeitet im norddeutschen Ahrensburg bei den Firmenschwestern Mühlenchemie und SternEnzym. In den Labors prüfen seine Kollegen im Auftrag von Getreidemühlen aus aller Welt deren Mehle, um die Natur zu disziplinieren. Denn die Ernten fallen in jedem Jahr anders aus. Auch die Beschaffenheit des Bodens verändert den Stärke- und Feuchtigkeitsgehalt des Mehls. Diese und viele andere Eigenschaften werden in Ahrensburg gemessen, der Teig wird auf verschiedensten Geräten aufgeblasen, durchgerüttelt und in die Länge gezogen, um zu testen, was er aushält. Dann machen die Experten Vorschläge, wie man ihn so verbessern kann, dass der Backprozess verlässlich bleibt. Manchmal reicht es schon, Mehle aus anderen Gegenden oder Jahrgängen beizumischen wie bei einer Cuvée. Doch immer öfter sollen Enzyme den Rohstoff standardisiert maschinengängig machen. Rund 30 000 dieser Eiweißwirkstoffe habe man identifiziert, sagt Lutz Popper, über 30 werden in der Backbranche verwendet. Proteasen zum Beispiel spalten das Klebereiweiß Gluten, dadurch wird der Teig elasti- WM03-039 39 scher. Xylanase baut mit demselben Ziel Fette und andere Stoffe ab. Hemicellulasen erhöhen das Volumen. Andere Enzyme tragen dazu bei, dass das Mehl mehr Wasser aufnimmt, die Kruste schön fest oder die »Gefrier-Auftau-Stabilität« gesteigert wird. Wenn der Kälteschock den Backprozess unterbricht, kann sich nämlich die Aktivität der Mikroorganismen und Hefen verändern. Ganze Enzymcocktails bieten die Designer bei SternEnzym an. Hergestellt werden sie mithilfe von Bakterien oder Pilzen. Enzyme sind bei den Herstellern beliebter als andere chemische Hilfsmittel. Sie gelten als natürlich. Dass bei ihrer Herstellung fast immer Gentechnik im Spiel ist, hat diesen Ruf nicht beschädigt. Außerdem sind sie vergleichsweise billig. Amylase zum Beispiel spaltet Stärke und wandelt sie in Zucker um, der die Hefe nährt. Das kostet um ein Vielfaches weniger, als den Zucker direkt zuzugeben – schon weil nur ein Bruchteil der Menge erforderlich ist. Ein weiterer Vorzug laut Lutz Popper: »Da Enzyme nach dem Backen zwar noch in Spuren im Produkt vorhanden, aber nicht mehr aktiv sind, zählen sie zu den technischen Hilfsstoffen, die nicht deklariert werden müssen.« Enzyme gelten zwar mitunter als Auslöser von Allergien. Amylase zum Beispiel kann Bäckerasthma auslösen, wenn man sie einatmet. Am Max Rubner-Institut Backmischungen nutzen nicht nur die Fließband betriebe, sondern auch Handwerks meister. Die we nigsten reden offen darüber. Sie wollen den Kunden die Illusion nicht neh men, dass der Laib Brot etwas Ur sprüngliches und Natürliches ist 27.03.14 12:27 40 DAS STECKT IM BROT Brot backen war mal eine Handwerkskunst, heute ist es Technologie. Manche Zutaten dienen nur Werbezwecken. (Die vollständige Liste: bit.ly/zw-brot) GETREIDE Weizen, Dinkel, Hafer, Roggen, Mais Ihr Mehl ist der Rohstoff des Brots Speisekleien Ballaststoffe; Brot gilt damit als »verdauungsfördernd« PFLANZLICHE ROHSTOFFE Quellstärken verlängern die Frischhaltung bei Mehl aus trockenen Jahren Malzmehle erhöhen die Triebleistung der Hefe; lockern das Gebäck Malzschrote sorgen für das Malzaroma Malzextrakte verbessern die Brotkrume (das Innere des Brots) Vitalkleber (Weizeneiweiß) erhöht das Gebäckvolumen, bindet Wasser Leinsamen, Kürbiskerne, Sesam machen Brot attraktiver; erlauben Werbung mit ungesättigten Fettsäuren (Gesundheitsversprechen) Sojamehl beeinflusst die Porengröße und die Farbe der Krume Sojaeiweiß verändert die Wasserbindung des Teigs Kartoffelquellstärke verbessert die Krumenelastizität Tapiokamehl erhöht die Wasseraufnahme, verlängert die Frischhaltung Rüben- und Traubenzucker beschleunigen die Hefegärung Invertzucker, Milchzucker verbessern die Krustenbräunung Inulin süßt ohne Insulinbedarf; Ballaststofflieferant MILCH- UND KÄSEERZEUGNISSE Milchpulver erhöht den Eiweißgehalt; verfeinert die Gebäckkrume Joghurtpulver erlaubt den Verkauf als »Joghurtbrot« Quarkpulver erlaubt den Verkauf als »Quarkbrot« Molkenpulver erlaubt den Verkauf als »Molkebrot« Milcheiweiß verlängert die Frischhaltung; für die Eiweißanreicherung FETTE UND ÖLE Pflanzenöl erlaubt Werbung mit ungesättigten Fettsäuren Omega-3-Fettsäuren erlauben Werbung mit Gesundheitsversprechen ENZYME Amylasen wandeln Mehlstärke in Zucker um; erhöhen die Hefeaktivität Proteinasen verbessern die Kleberelastizität und die Kruste Cellulasen, Hemicellulasen verbessern die Kneteigenschaften Pentosanasen, Xylanasen regulieren die Teigzähigkeit Lipoxigenasen hellen die Gebäckkrume auf Glucoseoxidasen verbessern die Teigstruktur Phospholipasen erhöhen die Gärtoleranz; steigern das Volumen LEBENSMITTELZUSATZSTOFFE (MIT E-NUMMERN) Calciumcarbonat (170) lässt die Backmischung besser rieseln Sorbinsäure (200), Kaliumsorbat (202) Konservierungsstoffe Essigsäure (260), Natriumacetat (262) beeinflussen pH-Wert; konservieren Milchsäure (270) verbessert die Brotkrume von Roggenbrot Propionsäure (280), Calciumpropionat (282) Konservierungsstoffe Ascorbinsäure (300) verbessert die Backfähigkeit von Weizenteigen Lecithin (322) Emulgator; erhöht das Volumen und die Gärtoleranz Citronensäure (330), Citrate (331–333) Säureregulatoren für Roggenbrot Calciumorthophosphate (341) Nährsalze für Hefe; aktivieren Mehlenzyme Guarkernmehl (412) erhöht die Wasserbindung und verdickt Diphosphate (450) lassen die Backmischung besser rieseln Hydroxypropylcellulose (463) erhöht die Wasserbindung und verdickt Natriumstearoyl-2-lactylat (481) Emulgator; verbessert die Feinporigkeit WM03-040 40 hält man die Wahrscheinlichkeit allerdings für äußerst gering, dass die nach dem Backen inaktivierten Reste noch eine Krankheit auslösten könnten. »Die ungewohnte Ernährung bei Fernreisen ist häufig deutlich riskanter«, sagt Günter Unbehend. Risiken sind allerdings nicht nur Kopfsache. »Ich höre auf mein Bauchgefühl«, gesteht zum Beispiel Sarah Wiener, »und das sagt mir: Natürlich zu essen ist gesund. Wir sind schließlich selbst Teil der Natur.« Die Köchin und Ökomissionarin misstraut allen chemischen wie enzymatischen Zusätzen, weil ihr Zusammenwirken im Körper noch nicht ausreichend erforscht sei. Die Industrialisierung des Backens habe »unserem Grundnahrungsmittel die Seele geraubt«, klagt Wiener. Schon beim Korn setzten Züchter mittlerweile vor allem darauf, dass es zur technischen Verarbeitung tauge. Beispielsweise würden Hybridhochleistungssorten mit hohem Glutenanteil bevorzugt, damit der Teig gut hält. Wenn diese Sorten zusätzlich mit Klebereiweiß angereichert werden – das melden Wissenschaftler der Washington State University –, steigt womöglich das Risiko einer Unverträglichkeit. Sarah Wiener hat in Berlin jetzt eine eigene Bäckerei eröffnet, in der alles zusatzfrei und traditionell hergestellt wird. Und sie unterstützt die Arbeit der Ökozüchter von Demeter, die sich um alte Sorten wie Einkorn, Emmer oder Dinkel kümmern. Am Ende bleibt die Frage: Welches Brot soll es bitte sein? Darauf muss wohl jeder seine eigene Antwort geben. Wer das Handwerk unterstützen will, darf nicht zu Backfactory gehen. Wer sich für überempfindlich hält, sollte nach Brot ohne Zusatzstoffen suchen, muss aber auf Etikettenschwindel achten: Als der NDR das »Hildegard von Bingen-Brot« analysieren ließ, das so natürlich wirkt, fanden Lebensmittelanalytiker einen hohen Anteil diverser Zucker, außerdem Emulgatoren und Enzyme. Öko oder nicht öko? Bei Brot aus Biogetreide sind zwar weniger Backmischungen und Zusatzstoffe erlaubt, aber genutzt werden sie. Und Brote mit Biosiegel, deutlich teurer als konventionell hergestelltes Brot, schmecken nicht immer besser. Wer sie kauft, schont aber indirekt das Grundwasser und die Böden und spart fossile Energie, weil das Getreide nicht mit Pestiziden gespritzt wird. Wer sich wiederum um den Klimawandel sorgt, sollte auf regionale Lieferketten achten. Die Welt des Brots ist unübersichtlich geworden, und das liegt nicht nur an den Herstellern. Industriebäcker Michael Decius jedenfalls kommt manchmal ins Grübeln. »Da versucht die Industrie alles, um das Brot haltbarer zu kriegen«, sagt er, »aber die Konsumenten schmeißen es nach ein, zwei Tagen in die Tonne.« — Christiane Grefe liebt kräftiges, pechschwarzes Pumpernickel. Seit ihrer Recherche ist sie fasziniert von dem Rohstoff Mehl und davon, wie Baguette, Pita, Tortilla oder Naan weltweit Mensch und Landwirtschaft miteinander verbinden. 27.03.14 12:27 In ZEIT WISSEN steckt noch viel mehr! Lesen Sie in jeder Ausgabe spannende Themen zu: Ernährung • Gesundheit • Umweltfragen • Nachhaltigkeit • Psychologie Jetzt testen! www.zeit.de/zw-natur