das brotgutachten

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das brotgutachten
DAS
BROTGUTACHTEN
Jetzt mal weg mit Ideologie,
Vorurteilen, Halbwissen.
Reset. Und dann die Frage:
Wie steht es um unser
wichtigstes Nahrungsmittel?
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Text Christiane Grefe
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D
ie feinsten Unterschiede melden die
Geschmacksknospen bei den Speisen,
die sie am besten kennen. Seit Tausenden von Jahren essen die Menschen
Brot. Heute erspürt die Zunge Widersprüchliches. Sie erkennt das frische
Weizenbrot mit der lockeren, unregelmäßig geporten
Krume. Das grobkörnige, saftige Schwarzbrot, das beim
Kauen ein mildes Malz­aroma entfaltet. Aber immer
häufiger schmecken Brote und Brötchen auch muffig;
die knusprige Kruste zerplatzt im Mund in tausend
Krümel; die Krume ist pappig, strohig oder zäh.
Für viele Menschen ist das ein kleines Drama. Brot
ist hierzulande ein Mythos. Männer essen 66 Kilo im
Jahr, Frauen 55. Treffen sich Deutsche im Ausland,
trauern sie gemeinsam um das Vollkornbrot und tauschen Adressen von Exilbäckern aus. So eine Scheibe
dunklen Brots ist wie ein Stück Heimatscholle. Der
Bäckerverband will die deutsche Brotvielfalt nun von
der Unesco als Weltkulturerbe schützen lassen (und
konkurriert dabei mit einem Antrag der Bierbrauer).
Auf der Website brotkultur.de listet die Lobby mehr als
3000 Sorten auf. Dabei ahnen die meisten, dass diese
Sehnsucht mit der Wirklichkeit nicht mehr viel gemein
hat. Aber ist die Lage wirklich so ernst, dass man das
deutsche Bäckerhandwerk mit Blauhelmen gegen den
Angriff der Backfactorys verteidigen müsste?
Wer in Backstuben und Enzymlabors recherchiert,
mit Gourmets und Verbraucherschützern spricht, trifft
auf eine Welt voller Widersprüche. Man kann heute
Eiweißbrot, Quarkbrot, Joghurtbrot und glutenfreies
Brot kaufen, Jogging-, Weltmeister-, Soja- oder Sodagebäck, Käse-Fächer und Schinken-Käse-Zungen,
Omega-3-Brot mit Fisch­öl. Die Vielfalt verwirrt. Brot
soll nicht mehr nur satt und zufrieden machen, sondern
auch gesund, manchmal sogar klug oder schlank. Es
gibt Edelbäckereien, die ihren Sauerteig anpreisen wie
Manufactum seine Trüffelhobel aus Edelstahl. Und es
gibt die Discounter und Backketten mit ihren Aufbackwaren – die entgegen allen Klischees manchmal gar
nicht so schlecht schmecken. Brot ist zum Symbol geworden für diese verrückte Welt, in der Sein und Schein
oft dicht beieinanderliegen.
Alles. Jederzeit. Überall. So lässt sich der Wandel des
Bäckerhandwerks mit drei Wörtern beschreiben. Michael Decius ist einer von denen, die diese Entwicklung für
einen Fortschritt halten und daran mitverdienen. Der
Großbäcker aus Berlin-Spandau ist ein Großmakler des
täglichen Brotes. Auf Tausenden von Quadratmetern
seiner Kühlhäuser stapeln sich Kartons mit tiefgefrorenen
Teiglingen. Ein Viertel der Backwaren kommt von eigenen Fließbändern. Den Rest liefern Industriebäcker
aus dem Umland zu, aus Polen, sogar aus Frankreich.
Rund 800 verschiedene Backwaren friert Decius’
Firma DewiBack ein, von Roggenbroten und Croissants
bis zu Laugenbrezeln und zahllosen Kuchen. Im Kühl-
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laster reisen die Teigstücke in alle Winkel Deutschlands,
wo sie fertig gebacken werden. Dass das oft keine Profis,
sondern Minijobber oder Verkäufer machen, und zwar
in Umluftautomaten statt in Decköfen wie in der Backstube, ist schon eine mögliche Erklärung dafür, dass
Brötchen manchmal zu trocken herauskommen oder
nicht durchgegart sind. Dafür schätzen die Händler die
Just-in-time-Fertigung. Und die Kunden freuen sich,
wenn sie auch am Nachmittag auf dem Nachhauseweg
noch warme Semmeln bekommen.
Die Tiefkühltechnik ermöglichte es, Teigherstellung und Backen zu trennen. Sie war nach der Einführung von Knetmaschinen und Fließbändern der zweite
Technologiesprung in der Industrialisierung des Backens. Die Folgen: Erst zogen die Brot- und Kuchentheken in die Supermärkte und Bahnhofshallen ein.
Dann machten sich Backdiscounter in besten Citylagen
breit. Inzwischen wird selbst an Tankstellen, in Eisdielen und Kiosken aufgebacken, auch Lidl und Aldi
bieten Brötchen an.
Der Zentralverband des Bäckerhandwerks hat Aldi
wegen irreführender Werbung verklagt. In den Automaten würden Brötchen nur aufgewärmt und nicht
»frisch gebacken«, argumentieren die Bäcker. Doch das
sind Rückzugsgefechte. Unwiederbringlich hat sich ein
uraltes Handwerk in eine Industrie verwandelt, die alles
jederzeit von überall her verfügbar macht. Ciabatta und
Brez’n auf Rügen, Pumpernickel in Stuttgart. »So viel
Mehl ist noch ­
immer die wichtigste Zutat.
Aber mehr als
50 Enzyme, Öle,
und Zusatzstoffe
helfen Bäckern
inzwischen dabei,
ihr Gebäck zu
tunen. Deshalb
schmeckt Brot
nicht unbedingt
schlechter
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3072 Brotsorten
haben Bäcker unter
brotkultur.de re­
gistriert. Die Sorten­
vielfalt wollen sie
als Weltkulturerbe
schützen lassen.
Verbraucher­
schützer lästern
über »Innovations­
rambazamba«
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Brot so billig an so vielen Stellen gab’s noch nie«,
schwärmt der gelernte Konditor und Betriebswirt De­
cius im durchgestylten Verwaltungsgebäude seiner Brot­
fabrik. »Hätte mir das einer vorausgesagt, dann hätte ich
abgewinkt und gesagt: Du spinnst!«
Brötchen für unter 20 Cent, die im Supermarkt
duftend zum Kauf teurerer Waren verführen sollen: Da­
gegen kommt der Bäcker um die Ecke nicht an. Von
55 000 Betrieben vor sechzig Jahren waren 2011 noch
rund 14 000 übrig, und in fünf bis sieben Jahren werden
schätzungsweise weitere 6000 Geschäfte verschwunden
sein. Die Handwerksbäcker ereilt dasselbe Schicksal wie
die Bauernhöfe, von denen ihr Getreide stammt. Schon
heute bedienen sie nur noch ein Drittel des Marktes.
Unter den Niedrigpreisen der Discounter leiden
vor allem kleinere mittelständische Zulieferer. Am
Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat
der Ökonom Ferdinand Pavel die Folgen der Konzen­
tration im Einzelhandel untersucht. Langfristig müssten
kleinere Bäckerunternehmen wohl Abstriche in der
Qualität machen, um noch ins Sortiment der Groß­
händler zu kommen, sagt Pavel. Selbst die größeren
Filialbäcker geraten unter Druck. Deutschlandweite
Ketten jagen sich gegenseitig mit Dumpingaktionen die
Kunden ab. Zwei Brezeln mitnehmen, eine bezahlen!
Die Konzentration beschleunigt sich.
Ein Anlass für falsche Sentimentalität ist das noch
nicht. Früher war keineswegs alles besser. Nie war jeder
Bäcker auch ein Meister seines Fachs. Und die indus­
triell gefertigten Backwaren seien »deutlich besser ge­
worden«, urteilt der Lebensmitteltechnologe Günter
Unbehend vom Max Rubner-Institut in Detmold. Je
größer ein Unternehmen, desto eher könne es für jeden
Bereich eigene Spezialisten beschäftigen: für den Ein­
kauf hochwertiger Rohstoffe, für die beste Verfahrens­
technik, für Vertrieb und Logistik, die Frische gewähr­
leisten. Gewiss, die meisten Bäckereiketten nutzen
Zusatzstoffe und Backmischungen, um die Herstellung
zu standardisieren. »Je größer die Maschinen, desto­
sicherer müssen die Teige sein«, sagt Großbäcker Mi­
chael Decius. In den Knetarmen dürfen sie nicht zer­
reißen und nicht verkleben. Aber auch kleine
Bäckereien schätzen solche Hilfsmittel.
Die Handwerksbäcker, im Betrieb oft auf sich ge­
stellt, müssten alle Aufgaben selbst oder mit der Familie
bewältigen, sagt Günter Unbehend. »Daher werden
auch bei ihnen häufiger Fertigmischungen oder Vorpro­
dukte verwendet. So kann der Kundenwunsch nach
einer größeren Auswahl mit angemessenem Aufwand
befriedigt werden.« Niemand gibt allerdings gerne zu,
dass er Zusätze und Backmischungen einsetzt, die so
wohlklingende Namen tragen wie Fortschritt, ErdnussGripsi oder Ulmer Kraftkorn Malzbrot Plus. Die Illu­
sion von Natürlichkeit soll nicht getrübt werden. Doch
irgendwie muss diese Branche ja auf 1,6 Milliarden Euro
Jahresumsatz kommen. Und sie findet immer ausgefeil­
tere Instrumente, um den sensiblen Prozess der Teigfüh­
rung zu standardisieren, zu beschleunigen und zu ver­
billigen. Leidet darunter die Qualität?
Den Teig säuern, kneten, über viele Stunden ru­
hen, reifen und gehen lassen und dann mit Erfahrung
fürs richtige Timing in den Ofen schieben: So funk­
tionierte das früher. Dabei entstehen nicht nur die ver­
trauten Aromen. In den langwierigen Fermentierungs­
prozessen werden auch unverdauliche Abwehrstoffe im
Getreide abgebaut und seine Nährstoffe aufgeschlossen.
Nur so wird es bekömmlich. Menschen sind nun mal
keine Wiederkäuer wie Kühe, deren mehrkammeriger
Pansen Gräser vorverdaut. Wir Zweibeiner haben Kul­
turtechniken dafür entwickelt.
Zum Backen gehören seit Jahrzehnten auch allerlei
Hilfsmittel: Zucker als Nährstoff für Hefe, Malz zum
Bräunen oder Ascorbinsäure, ein Alleskönner, der bleicht,
stabil und haltbar macht. Seit den siebziger Jahren wer­
den aber auch chemische Verdickungsmittel, Stabilisato­
ren und Antioxidantien verwendet. Sie verbessern die
Maschinentauglichkeit des Teigs. Säureregulatoren ma­
chen das Brot länger haltbar, Hochleistungsemulgatoren
können sein Volumen bis auf den doppelten Umfang
vergrößern. Kunstsauer verkürzt den Gärprozess, der
sonst zwei Tage dauern kann, auf ein paar Stunden.
Je nach Weltbild kann man diese Stoffe als böse
Chemie oder nützliche Helfer betrachten. Die Öko­
trophologin Ulrike Gonder meint, die Beschleunigung
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des Backprozesses geschehe auf Kosten der Bekömmlichkeit. Dem Teig fehle die Zeit, um schwer verdauliche
Bestandteile des Korns ausreichend abzubauen. Der
Lebensmitteltechnologe Lutz Popper hingegen nennt
Enzyme die »guten Freunde des Mehls«.
Lutz Popper arbeitet im norddeutschen Ahrensburg bei den Firmenschwestern Mühlenchemie und
SternEnzym. In den Labors prüfen seine Kollegen im
Auftrag von Getreidemühlen aus aller Welt deren Mehle, um die Natur zu disziplinieren. Denn die Ernten
fallen in jedem Jahr anders aus. Auch die Beschaffenheit
des Bodens verändert den Stärke- und Feuchtigkeitsgehalt des Mehls. Diese und viele andere Eigenschaften
werden in Ahrensburg gemessen, der Teig wird auf verschiedensten Geräten aufgeblasen, durchgerüttelt und
in die Länge gezogen, um zu testen, was er aushält. Dann
machen die Experten Vorschläge, wie man ihn so verbessern kann, dass der Backprozess verlässlich bleibt.
Manchmal reicht es schon, Mehle aus anderen Gegenden oder Jahrgängen beizumischen wie bei einer Cuvée.
Doch immer öfter sollen Enzyme den Rohstoff standardisiert maschinengängig machen.
Rund 30 000 dieser Eiweißwirkstoffe habe man
identifiziert, sagt Lutz Popper, über 30 werden in der
Backbranche verwendet. Proteasen zum Beispiel spalten
das Klebereiweiß Gluten, dadurch wird der Teig elasti-
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scher. Xylanase baut mit demselben Ziel Fette und andere Stoffe ab. Hemicellulasen erhöhen das Volumen.
Andere Enzyme tragen dazu bei, dass das Mehl mehr
Wasser aufnimmt, die Kruste schön fest oder die »Gefrier-Auftau-Stabilität« gesteigert wird. Wenn der Kälteschock den Backprozess unterbricht, kann sich nämlich die Aktivität der Mikroorganismen und Hefen
verändern. Ganze Enzymcocktails bieten die Designer
bei SternEnzym an. Hergestellt werden sie mithilfe von
Bakterien oder Pilzen.
Enzyme sind bei den Herstellern beliebter als andere chemische Hilfsmittel. Sie gelten als natürlich. Dass
bei ihrer Herstellung fast immer Gentechnik im Spiel
ist, hat diesen Ruf nicht beschädigt. Außerdem sind sie
vergleichsweise billig. Amylase zum Beispiel spaltet
Stärke und wandelt sie in Zucker um, der die Hefe
nährt. Das kostet um ein Vielfaches weniger, als den
Zucker direkt zuzugeben – schon weil nur ein Bruchteil
der Menge erforderlich ist. Ein weiterer Vorzug laut Lutz
Popper: »Da Enzyme nach dem Backen zwar noch in
Spuren im Produkt vorhanden, aber nicht mehr aktiv
sind, zählen sie zu den technischen Hilfsstoffen, die
nicht deklariert werden müssen.«
Enzyme gelten zwar mitunter als Auslöser von Allergien. Amylase zum Beispiel kann Bäckerasthma auslösen, wenn man sie einatmet. Am Max Rubner-Institut
Backmischungen
nutzen nicht nur
die Fließband­
betriebe, sondern
auch Handwerks­
meister. Die we­
nigsten reden offen
darüber. Sie wollen
den Kunden die ­
Illusion nicht neh­
men, dass der Laib
Brot etwas Ur­
sprüngliches und
Natürliches ist
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40 DAS STECKT IM BROT
Brot backen war mal eine Handwerkskunst, heute ist es Technologie. Manche
Zutaten dienen nur Werbezwecken. (Die vollständige Liste: bit.ly/zw-brot)
GETREIDE
Weizen, Dinkel, Hafer, Roggen, Mais Ihr Mehl ist der Rohstoff des Brots
Speisekleien Ballaststoffe; Brot gilt damit als »verdauungs­fördernd«
PFLANZLICHE ROHSTOFFE
Quellstärken verlängern die Frischhaltung bei Mehl aus trockenen Jahren
Malzmehle erhöhen die Triebleistung der Hefe; lockern das Gebäck
Malzschrote sorgen für das Malzaroma
Malzextrakte verbessern die Brotkrume (das Innere des Brots)
Vitalkleber (Weizeneiweiß) erhöht das Gebäckvolumen, bindet Wasser
Leinsamen, Kürbiskerne, Sesam machen Brot attraktiver; erlauben
Werbung mit ungesättigten Fettsäuren (Gesundheitsversprechen)
Sojamehl beeinflusst die Porengröße und die Farbe der Krume
Sojaeiweiß verändert die Wasserbindung des Teigs
Kartoffelquellstärke verbessert die Krumenelastizität
Tapiokamehl erhöht die Wasseraufnahme, verlängert die Frischhaltung
Rüben- und Traubenzucker beschleunigen die Hefegärung
Invertzucker, Milchzucker verbessern die Krustenbräunung
Inulin süßt ohne Insulinbedarf; Ballaststofflieferant
MILCH- UND KÄSEERZEUGNISSE
Milchpulver erhöht den Eiweißgehalt; verfeinert die Gebäckkrume
Joghurtpulver erlaubt den Verkauf als »Joghurtbrot«
Quarkpulver erlaubt den Verkauf als »Quarkbrot«
Molkenpulver erlaubt den Verkauf als »Molkebrot«
Milcheiweiß verlängert die Frischhaltung; für die Eiweißanreicherung
FETTE UND ÖLE
Pflanzenöl erlaubt Werbung mit ungesättigten Fettsäuren
Omega-3-Fettsäuren erlauben Werbung mit Gesundheitsversprechen
ENZYME
Amylasen wandeln Mehlstärke in Zucker um; erhöhen die Hefeaktivität
Proteinasen verbessern die Kleberelastizität und die Kruste
Cellulasen, Hemicellulasen verbessern die Kneteigenschaften
Pentosanasen, Xylanasen regulieren die Teigzähigkeit
Lipoxigenasen hellen die Gebäckkrume auf
Glucoseoxidasen verbessern die Teigstruktur
Phospholipasen erhöhen die Gärtoleranz; steigern das Volumen
LEBENSMITTELZUSATZSTOFFE (MIT E-NUMMERN)
Calciumcarbonat (170) lässt die Backmischung besser rieseln
Sorbinsäure (200), Kaliumsorbat (202) Konservierungsstoffe
Essigsäure (260), Natriumacetat (262) beeinflussen pH-Wert; konservieren
Milchsäure (270) verbessert die Brotkrume von Roggenbrot
Propionsäure (280), Calciumpropionat (282) Konservierungsstoffe
Ascorbinsäure (300) verbessert die Backfähigkeit von Weizenteigen
Lecithin (322) Emulgator; erhöht das Volumen und die Gärtoleranz
Citronensäure (330), Citrate (331–333) Säureregulatoren für Roggenbrot
Calciumorthophosphate (341) Nährsalze für Hefe; aktivieren Mehlenzyme
Guarkernmehl (412) erhöht die Wasserbindung und verdickt
Diphosphate (450) lassen die Backmischung besser rieseln
Hydroxypropylcellulose (463) erhöht die Wasserbindung und verdickt
Natriumstearoyl-2-lactylat (481) Emulgator; verbessert die Feinporigkeit
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hält man die Wahrscheinlichkeit allerdings für äußerst
gering, dass die nach dem Backen inaktivierten Reste
noch eine Krankheit auslösten könnten. »Die ungewohnte Ernährung bei Fernreisen ist häufig deutlich
riskanter«, sagt Günter Unbehend.
Risiken sind allerdings nicht nur Kopfsache. »Ich
höre auf mein Bauchgefühl«, gesteht zum Beispiel Sarah
Wiener, »und das sagt mir: Natürlich zu essen ist gesund.
Wir sind schließlich selbst Teil der Natur.« Die Köchin
und Ökomissionarin misstraut allen chemischen wie
enzymatischen Zusätzen, weil ihr Zusammenwirken im
Körper noch nicht ausreichend erforscht sei. Die Industrialisierung des Backens habe »unserem Grundnahrungsmittel die Seele geraubt«, klagt Wiener. Schon beim
Korn setzten Züchter mittlerweile vor allem darauf, dass
es zur technischen Verarbeitung tauge. Beispielsweise
würden Hybridhochleistungssorten mit hohem Glutenanteil bevorzugt, damit der Teig gut hält. Wenn diese
Sorten zusätzlich mit Klebereiweiß angereichert werden
– das melden Wissenschaftler der Washington State University –, steigt womöglich das Risiko einer Unverträglichkeit. Sarah Wiener hat in Berlin jetzt eine eigene
Bäckerei eröffnet, in der alles zusatzfrei und traditionell
hergestellt wird. Und sie unterstützt die Arbeit der Ökozüchter von Demeter, die sich um alte Sorten wie Einkorn, Emmer oder Dinkel kümmern.
Am Ende bleibt die Frage: Welches Brot soll es
bitte sein? Darauf muss wohl jeder seine eigene Antwort geben. Wer das Handwerk unterstützen will, darf
nicht zu Backfactory gehen. Wer sich für überempfindlich hält, sollte nach Brot ohne Zusatzstoffen suchen, muss aber auf Etikettenschwindel achten: Als der
NDR das »Hildegard von Bingen-Brot« analysieren
ließ, das so natürlich wirkt, fanden Lebensmittelanalytiker einen hohen Anteil diverser Zucker, außerdem
Emulgatoren und Enzyme. Öko oder nicht öko? Bei
Brot aus Biogetreide sind zwar weniger Backmischungen und Zusatzstoffe erlaubt, aber genutzt werden sie.
Und Brote mit Biosiegel, deutlich teurer als konventionell hergestelltes Brot, schmecken nicht immer besser.
Wer sie kauft, schont aber indirekt das Grundwasser
und die Böden und spart fossile Energie, weil das Getreide nicht mit Pestiziden gespritzt wird. Wer sich
wiederum um den Klimawandel sorgt, sollte auf regionale Lieferketten achten.
Die Welt des Brots ist unübersichtlich geworden,
und das liegt nicht nur an den Herstellern. Industriebäcker Michael Decius jedenfalls kommt manchmal ins
Grübeln. »Da versucht die Industrie alles, um das Brot
haltbarer zu kriegen«, sagt er, »aber die Konsumenten
schmeißen es nach ein, zwei Tagen in die Tonne.« —
Christiane Grefe liebt kräftiges, pechschwarzes Pumpernickel. Seit ihrer Recherche ist sie fasziniert von dem Rohstoff
Mehl und davon, wie Baguette, Pita, Tortilla oder Naan
weltweit Mensch und Landwirtschaft miteinander verbinden.
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