von Gaetano Donizetti - Kunstuniversität Graz
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von Gaetano Donizetti - Kunstuniversität Graz
„Il dolce suono“ oder Kunst des Belcanto am Beispiel der Oper „Lucia di Lammermoor“ von Gaetano Donizetti Künstlerische Masterarbeit Zur Erlangung des akademischen Grades Master of Arts (MA) An der Kunstuniversität Graz vorgelegt von Katsiaryna Melnikava Künstlerische Betreuer: Univ.Prof. Mag.art.Joanna Borowska-Isser Wissenschaftliche Betreuer: Ao.Univ.Prof. Dr.phil. Renate Bozic Graz, 2015 Inhaltverzeichnis Vorwort …………………………………………………………………………………1 Einleitung ……………………………………………………………………………….2 1. Der Begriff „Belcanto“……………………………………………………………….….3 2. Claudio Monteverdi ………………………………………………………………….….4 3. Neapolitanische Schule ………………………………………………………………....5 4. Die Belcantoopern im 19. Jhd. …………………………………………………….……9 5. Meister der italienischen Oper 5.1. Gioachino Rossini ……………………………………………………………..…….10 5.2. Vincenzo Bellini …………………………………………………………………..…11 5.3. Gaetano Donizetti ………………………………………………………………..…..12 6. „Lucia di Lammermoor“………………………………………………………………....13 7. Die Wahnsinnsszena der Lucia aus dem 3. Akt „Il dolce suono… Argon gl’incensi …“15 Literaturverzeichnis und Notennachweis…………………………………………………..21 Bildverzeichnis …………………………………………………………………………….23 Vorwort „Belcanto ist eine Kunst! Eine Gesangskunst. In Italien meint man mit Belcanto zunächst einmal, schön zu singen! Es geht aber natürlich nicht nur um Stimmtechnik und Schönheit, sondern auch um Stil beim Belcanto, denn es gibt ja verschiedene Arten des Belcanto. Dennoch, ganz allgemein gesprochen, bleibe ich dabei: Belcanto meint vor allem und in erster Linie schön zu singen!“: so lautet das das Zitat von Renata Scotto aus dem Buch „Mythos Primadonna“ von Dieter David Scholz. Was ist aber Belcanto und wie hat es sich entwickelt? Um geeignete Antworten zu finden, habe ich mich entschieden, meine Masterarbeit diesem Thema zu widmen und anhand von Gaetano Donizetti „Lucia di Lammermoor“ zu untersuchen. Ich danke Ao.Univ.Prof. Dr.phil. Renate Bozic für die aufgezeichnete Betreuung der Arbeit und Univ.Prof. Mag.art.Joanna Borowska-Isser für die gesangstechnischen Erläuterungen diverser Fachbegriffe. 1 Einleitung Der Titel „ „Il dolce suono“ oder Kunst des Belcanto am Beispiel der Oper „Lucia di Lammermoor“ von Gaetano Donizetti“ beschreibt das Thema vorliegender Masterarbeit. Um eine Oper der Belcanto-Zeit heute so interpretieren zu können, wie es sich der Komponist vielleicht vorgestellt hatte, wurde das Thema von „der Begriffsdarstellung des Belcanto“ bis zum „Meister der italienischen Oper“ chronologisch dargestellt. Im Rahmen dieser Chronologie wurden Komponisten wie Claudio Monteverdi, Nicola Porpora, Antonio Vivaldi, Alessandro Scarlatti und drei große Meister des italienischen Belcantostils - Gioachino Rossini, Vincenzo Bellini, Gaetano Donizetti dargestellt und ihr Verdienst in der Entwicklung des Belcantostils erforscht. Im Kapitel „Neapolitanische Schule“ werden nicht nur die Konservatorien des 17.Jhds in Neapel erwähnt, sondern auch Ausbildungssystem und Phänomen der Kastraten beschrieben. Als Kern der Arbeit wird die berühmte Wahnsinnsszene der Lucia aus der Oper „Lucia di Lammermoor“ als Inbegriff der Gattungsgeschichte erläutert. 2 1. Der Begriff Belcanto. Belcanto [italien. “schöner Gesang“], Bezeichnung für den vor allem in Italien gepflegten virtuosen Gesangsstil des 17.-19. Jhs. bei dem Wert auf vollkommende Tongebung, Klangschönheit und Ausgeglichenheit der Stimme gelegt wurde.1 Das Wort Belcanto hatte in der Musikgeschichte verschiedene Bedeutungen. Zunächst bezeichnete man den Italienischen Gesangsstil des 18. und Beginn 19. Jhs. In der Folge verwendete man den Begriff hauptsächlich für die Ausprägung des Gesangsstils der großen romantischen Oper von Bellini bis Verdi. In der Blütezeit des Belcanto war der Begriff selbst als Terminus nicht bekannt. "War von bel canto die Rede, so meinte dies lediglich „schöner Gesang“ ohne Bezug auf ein bestimmte, gesangstechnische, kompositorische und ästhetische Aspekte umfassendes Konzept kunstvollen Singens." 2 Der Terminus selbst findet sich erstmalig in den 1820er Jahren in Giovanni Pacinis 3 Unterrichtsprogramm für seine Gesangsstudenten in Lucca. Als weiteres Beispiel der Begriffsentwicklung ist auf ein Gespräch Rossinis im Rahmen einer Gesellschaft zu verweisen, in dem er sich Gedanken über den Verfall der Gesangskunst im Allgemeinen machte. Überliefert ist sein Ausruf " Ahi, noi!perduto il bel canto della patria!“4 Rossini definierte den Begriff Belcanto anhand dreier Stilmerkmale: "das Instrument, die Stimme also; die Technik; die Mittel sich ihrer zu bedienen; der Stil, der aus Geschmack und Empfindung resultiert" 5 Rossini nahm damit die drei wesentlichen Elemente der Italienischen Gesangsschule vorweg. Darunter versteht man im Wesentlichen die Formung der Stimme, die Erarbeitung der Technik sowie Interpretation und Gestaltung. Letztgenannte Begriffe bestimmen im Wesentlichen den Belcanto Stil im heutigen Sinne so wie die individuelle Rollengestaltung unterschiedlicher Künstler. 1 F.A.Brockhaus GmbH «Der Brockhaus.Musik“, Neue Stalling GmbH, Oldenburg 2001, S.77 Allgemeine Enzyklopädie der Musik „Die Musik in Geschichte und Gegenwart“, herausgegeben von Ludwig Finscher; Sachteil 1; Bärenreiter ; S.1347 3 Giovanni Pacini (1796 – 1867): italienischer Komponist, der im Gegenzug zu Verdi oder Rossini kein Opernerneuerer war, konnte aber alte und neue Stilmittel der Opernkonzeption kunstvoll verbinden. Besonders die Gestaltung der Ensembles ist beachtlich. Darüber hinaus gründete er eine private Musikschule und widmete sich der Dramaturgie und Musiktheorie. 4 MGG. S.1347 5 Ebda. S.1347 2 3 Immer bedeutender wurde die Technik und die gesangstechnischen Darstellungsmittel zum Beispiel portamento, die unterschiedlichen Arten der agilita (Geläufigkeit), Arpeggien, chromatische Läufe, gehaltene Töne, die messa di voce. Von besonderer Wichtigkeit wird zunehmend die vollkommene Beherrschung der Technik. Der Vortragstil war im Laufe der Geschichte immer wieder von diversen "Moden" geprägt. (Interpretationsänderungen im Laufe der Zeiten). Der Vortragstil lag somit hauptsächlich in den Händen der Gesangspädagogen und Solisten. Als Beginn der Belcantoära betrachten einige Forscher den Italienischen Sologesang des frühen 17.Jhs., die Venezianische Oper oder das Oratorium um zirka 1660, so wie die Glanzzeit der Kastraten mit ihrer stupenden Technik und unerreichten Vortragskunst. 2. Claudio Monteverdi (1567-1643)6 Der Italiener Claudio Monteverdi (Claudio Giovanni Antonio Monteverdi) ist einer der bedeutendsten Komponisten des 17 Jhs., den man zu den Begründern der Gattung Oper zählt. Seine szenischen und kompositorischen Neuerungen gelten als revolutionär und begründeten die Charakteristik der Oper als szenische und musikalische Einheit. 1.ClaudioMonteverdi Er war der erste, der das Potenzial der Oper als Gesamtkunstwerk mit Gesang, Tanz und handlungsunterstreichender Instrumentation begriffen hat. Monteverdi nimmt die Errungenschaften der „Camerata Fiorentina“ und Jacopo Peris 7 auf. Durch die Entwicklung des Dramas in Musik erfindet er eine neue Klangform. Er verwandelte Rezitative in eine flexible, reine Melodie mit langen Linien und nutzte die Ausdruckskraft des Wortes für die Imitation menschlicher Empfindungen. Monteverdi verwendet Rhythmus, Dissonanz und instrumentale Farbe für die 6 7 Vgl.Rodolfo Celletti „Geschichte des Belcanto“, Bärenreiter Kassel, Basel 1989 Jakopo Peri (1561-1633) italienischer Komponist, der 1598 seine erste Oper „Dafne“ geschrieben hat. 4 Realisierung der dramatischen Handlung. Er hat den verzierten Gesang entsprechend bestimmter Emotion oder szenischer Gegebenheiten eingesetzt. Keiner seiner Vorgänger und Zeitgenossen konnten Stimmung und Emotionen in der Musik so farbig darstellen. Monteverdi hat auch neue Techniken der Instrumentation, besonders für Streichinstrumente, wie pizzicato und Tremolo entdeckt, um die notwendige Spannung, Leidenschaft und emotionale Intensität zu schaffen. Monteverdi hat als erster die Rolle des Orchesters in der Oper ausgeprägt. Durch ihn erhielt jedes Instrument einen bestimmten Charakter: Bläser und Percussion erzeugen militärische Stimmung, Schäferszenen werden von der Flöte charakterisiert, Bratsche und Laute zeichnen sentimentale Episoden. Betreffend Gesang nimmt der Belcanto Monteverdis eine Schlüsselfunktion ein: für die Menschen verwendet er einfachen, unverzierten Gesang „parlar cantando“ und für die Götterwelt hingegen das „cantar parlando“.8 „Monteverdi kodifiziert damit das Prinzip, dass sich die Figur aus Mythos und Fabelwelt von der des gewöhnlich Sterblichen unterscheiden muss durch eine idealisierte, das heißt, nicht alltägliche und realistische Vokalsprache. Als dann die Librettisten und Komponisten (auch Monteverdi) außer den Göttern noch historische Persönlichkeiten aus der griechischrömischen Welt auf die Bühne brachten, behandelten sie diese, indem sie ihnen eine allegorische und idealisierte Sprache gaben, wie die antiken Gottheiten.“ 9 3. Neapolitanische Schule. Die Neapolitanische Opernschule entstand etwas nach der römischen und venezianischen. Das Teatro di San Carlo wurde hier erst viel später in den 1660er Jahren gebaut. Es war ein prächtiges Gebäude, wo die besten Plätze (Mezzanine und Logen) für den Adel und das Parterre für städtische Öffentlichkeit bestimmt waren. Am Anfang wurden dort florentinische, römische und venezianische Opern aufgeführt. Doch bald darauf bildete sich in Neapel eine eigene Schule. 8 9 Rodolfo Celletti „Geschichte des Belcanto“, Bärenreiter Kassel, Basel 1989, S.33 Ebda. S 13 5 Eine sehr große Rolle in der Entwicklung der Neapolitanischen Schule haben so genannte Konservatorien gespielt. Die Entstehung stand in Zusammenhang mit der großen Armut im 16 Jh.. Das gemeinsame Ziel war nicht nur verwaiste oder obdachlose Kinder zu betreuen, sondern ihnen Ausbildung und religiöse Erziehung zu ermöglichen. Im 17 Jh. entwickelte sich das Musikleben in Italien merklich, was sich in der Gründung etlicher Konservatorien widerspiegelte. Auch die Kirche profitierte von den Studierenden: daher nahm die Musikausbildung in den Konservatorien in der Praxis eine wichtige Rolle ein. Es waren die Konservatorien "Santa Maria di Loreto", wo Nicola Porpora und Domenico Cimarosa ausgebildet wurden, "Pietà dei Turchini", "Sant'Onofrio a Capuana" und "Poveri di Gesù Cristo", wo Giovanni Battista Pergolesi und Domenico Scarlatti ausgebildet wurden. Im Laufe des 17. Jhs. wurden auch in Venedig so genannte Ospedali bedeutsam, die sich von Krankenhäusern zu musikalischen Konservatorien entwickelten. Durch Lehrer wie Nicola Porpora, Domenico Cimarosa, Bonaventura Furlanetto, Johann Adolf Hasse und andere wurden virtuose Sängerinnen und Instrumentalistinnen ausgebildet. Auch Antonio Vivaldi (1678-1741), venezianischer Komponist und Violinist der Barockzeit, betreute das Orchester in Ospedale della Pietá und schrieb dafür seine zahlreichen Violinkonzerte und Sonaten. Trotz der schlechten Lebensbedingungen der Schüler waren die Anforderungen ihrer Ausbildung sehr hoch. Sie spielten verschiedene Instrumente und die talentiertesten erhielten Kompositionsunterricht. Die besten Studenten des Studienabschlusses wurden Lehrer ihrer jüngeren Kollegen. Schüler von Konservatorien kannten besonders gut die Geheimnisse der Gesangskunst. Schon im Kindesalter sangen sie im Kirchenchor und manchmal auch solistisch. Unter den Schülern befand sich die besondere Gruppe der Kastraten. Kastration galt als ehrenvoll und Chance für eine große Gesangskarriere. Sollte sich die Stimme nicht entsprechend entwickelt haben, gab es noch die Möglichkeit, sich zum Priester oder Instrumentalisten ausbilden zu lassen. Junge Kastraten genossen eine fundierte Ausbildung in Konservatorien und wurden nach katholischen Traditionen erzogen. Ursprünglich war das Ausbildungssystem auf Erziehung 6 neuer Sänger für die Kathedralen ausgerichtet. Aber auch die Oper profitierte zunehmend und genoss wachsende Popularität. Somit vollzog sich auch der Wandel zur Verweltlichung. Sechs oder sogar zehn Jahre brauchten junge Kastraten für ihre Stimmausbildung. Heute kann man sich schwer vorstellen, wie diese faszinierenden Kastratenstimmen geklungen haben. Obwohl es eine einzige Aufnahme von einem der letzten Kastraten, Alessandro Moreschi, gibt, die zwischen 1902 und 1904 gemacht wurde, lassen nur Aussagen von Zeitgenossen erahnen, wie Caffarelli, Francischiello, Pacchiarotti oder Farinelli geklungen haben mögen. Neapel war um 1650 die größte Stadt Italiens. Deshalb fand auch hier die Oper schnell große Beachtung. Neben Francesco Provenzale – einem lokalen Opernkomponisten – war vor allem Alessandro Scarlatti (1660 – 1725) für die Entwicklung der Neapolitanischen Schule für ein halbes Jhd. bedeutend. In der Musikgeschichte etwas vernachlässigt, ist die weitere Entwicklung des Belcanto ohne ihn undenkbar. Scarlatti komponierte eine Unzahl von Vokalwerken. Mehr 2. Alessandro Scarlatti als 64 Opern sind noch handschriftlich erhalten. Das Besondere in Scarlattis Opern ist die Einführung einer 3sätzigen Sinfonie „schnelllangsam-schnell“. Diese Form der Sinfonie wurde bald zur Norm und trug zur Entstehung der Klassischen Sinfonie bei. Anders als bei seinen Zeitgenossen konnte Scarlatti erstmals menschliche Leidenschaften und Gefühle in Musik ausdrücken. Dies findet sich in der Melodie, in der reichhaltigen Harmonie mit Dissonanzen und Modulationen sowie spannungsgeladenen Gesangslinien. Scarlatti stärkt die Rolle der Rezitative, in dem er den Text plastisch ausformt und wichtige Worte mit bildhaften Koloraturen versieht. In seinen Opern findet die Da capo Arie ihre erste große Ausprägung. Diese Da capo Arien bilden abwechselnd mit Rezitativen die musikalische Struktur der Oper. Auch Kretzschmar charakterisiert die Merkmale der Scarlattischen Opern folgendermaßen: „ Der Welt Scarlattischer Opern liegt in der Individualität des Künstlers, der dahinter steht. Gleichwohl ist er für die neapolitanische Schule einflussreich geworden und kann als ihr 7 Gründer bezeichnet werden. Die Bevorzugung der Da capo Arie geht auf ihn zurück. Zweitens aber ist er der Vater eines leidenschaftlichen Stiles, der mit den Neapolitanern zum ersten Male im Musikdrama auftritt. Es ist ein anderer als der Monteverdische. Dieser stützt sich auf dissonante Harmonie und auf rasche, rhythmische Bewegung, der Scarlattische ruht auf breiten, imposanten Rhythmen und auf dem Gebrauch großer Intervalle in dem Themen.“10 Ein weiteres Hauptmerkmal der neapolitanischen Schule ist vor allem die virtuose Gestaltung der Gesangslinien. Zur Gesangsstimme kommt nicht selten auch ein Soloinstrument hinzu, zum Beispiel die Trompete. „ Die volle künstlerische Kraft wird der Ausbildung der Gesangmelodie gewidmet, sie soll bedeutend, eigen sein, fesselnd, wenn nicht durch inneren Gehalt, so durch äußere Reize. Und diesen Reiz fand man im Figurenwerk, in der Koloratur.“11 Ein weiterer wichtiger Vertreter der neapolitanischen Schule, der die Kunst des Gesanges zu virtuoser Ausprägung brachte, war Nicola Porpora (1686-1768). Seine Musikausbildung machte Porpora in Neapel (1696 bis 1706) im Conservatorio dei Poveri di Gesù Cristo. Er galt als der beste Gesangsmeister in Italien und hat am Conservatorio Sant’Onofrio (Neapel) unterrichtet. Sein Verdienst war die Ausbildung auch solch berühmter Schüler wie die Kastraten Farinelli (Carlo Broschi), Antonio Uberti (der wurde als Porporino bekannt) und Caffarelli (Gaetano Majorano). Als Komponist trat er mit der Opera Seria, wodurch er vor allem interessante technische Motive der Singstimme mit interessanten Orchestereffekten verband. Porporas Spezialität war die Aria di bravura, die er zum Entwicklungshöhepunkt brachte. Auch die Aria cantabile in Porporas Opern ist bedeutend: er verband graziöse Melodik mit volkstümlichen Anklängen. Die Handlung in seinen Opern findet in den Rezitativen statt, während die Virtuosität die Musik hauptsächlich auf die Gesangslinie 3. Nicola Porpora 10 11 konzentriert ist. Hermann Kretzschmar „Geschichte der Oper“, Breitkopf & Härtel, Leipzig 1919; S.167 Ebda, S.173 8 5. Die Belcantoopern im 19. Jhd.. Zu Beginn des 19. Jhds. ist die Opera seria nach der Form Metastasios12 noch immer dominierend. Die wichtigste Veränderung auf der Bühne vollzieht sich aber durch das Verschwinden der Kastraten. Dadurch standen die Komponisten vor neuen Herausforderungen. In Italien zentrierte sich die Opernszene eher im Norden, wurde jedoch auch im Süden nachgeahmt. Das Bedürfnis an neuen Opern – auch für das Publikum aus niederen Sozialschichten – nahm im ganzen Land zu. Die Oper verließ höfische Kreise und wurde zu einer Kunst für einen immer größeren Teil der Bevölkerung. Da die Oper zunächst keinem festen dramaturgischen Konzept folgte, kam es lediglich zur Abfolge austauschbarer Musik-Nummern. Daher konnten Teile verschiedener Opern auch willkürlich ausgetauscht werden, sodass Sänger zu ihren Auftritten mit so genannten "Koffer Arien" anreisten. Darunter versteht man Arien, die speziell und effektvoll für ihre individuelle Stimme passend waren. Diese Arien konnten also in jede der gerade gespielten Opern aufgenommen werden. Die Werke wurden auf Grund dieses Virtuosentums immer beliebiger und entfernten sich vom Original. Der erste Komponist, der dieser musikalischen Beliebigkeit ein Ende setzte, war Gioacchino Rossini. 12 Pietro Metastasio (1698-1782) italienischer Dichter und Librettist. 9 6. Meister der italienischen Oper 6.1. Gioachino Rossini (1792-1868)13 Trotz mehr oder weniger erfolgreicher Versuche seiner Zeitgenossen gelang Gioacchino Rossini die bedeutendste Opernreform seiner Zeit. Der Durchbruch erfolgte 1813 vor allem mit seinem dramma eroico "Tancredi". Rossini fand hier nämlich neue Lösungen zur Konzeption der Italienischen Oper. Bisher waren die Schemen in ihrem konventionellen Aufbau sehr ähnlich. Neu waren etwa die Verwendung neuer Opernstoffe, die 4. Gioachino Rossini Vorstellung neuer Libretti mit bisher unbekannten Charakteren oder die Schilderung von dramatischen Situationen. Wie Dichter die Sprache verwenden, um Emotionen und Inhalte zu beschreiben, gelang dies Rossini mit Noten, indem er Emotionen nun auch musikalisch entsprechend erlebbar macht: Verstärkt durch entsprechenden Orchestereinsatz zeigt Rossini Perfektion in der Balance zwischen Dramatik, Lyrik und musikalischer Gestaltung. Rossini hat auch den formalen Aufbau der einzelnen Nummern erneuert. Eine Beliebigkeit der Gesangsnummern wich der Virtuosität des Szenenaufbaus mit Rossinis typischen Steigerungen. Vokale Akrobatik wurde zwar auf die Spitze getrieben, wie zum Beispiel im Finale 1 (Sextett) der „ Italienerin in Algier“ oder „La cenerentola“ (2. Akt, Sextett) „questo e un nodo affil luppato“, folgte aber erstmals einer von ihm festgelegten Ordnung. Rossinis wichtigste Erfindung war die 4 teilige „soloscena“: darunter versteht man einen einleitenden Abschnitt, eine kunstvolle Arie im langsamen Tempo, gefolgt von einem Übergang und die Cabaletta. In den Duetten, die ähnlich wie Arien konzipert sind, konnte der lyrische Mittelteil auch weggelassen werden. Vgl.: The New Grove: „Meister der italienischen Oper“, aus den Englischen von Anette Holoch, Verlag J.B. Metzler, Stuttgart, Weimar 1993; Hermann Kretzschmar „Geschichte der Oper“, Breitkopf & Härtel, Leipzig 1919; Rodolfo Celletti „Geschichte des Belcanto“, Bärenreiter Kassel, Basel 1989 13 10 Auch die Instrumentierung seiner Partituren gestaltete Rossini mit neuartigen Klangwechseln und farbreicher Harmonik. Das Orchester erlangte eine neue Rolle über reine Begleitung hinaus und unterstützte auch den Handlungsablauf. Obwohl seine Musiksprache einfacher ist als später bei Verdi oder Puccini, so ist es der „affetto“, also die Emotion des Moments, der seine Arien unverwechselbar macht. Umso mehr ist jetzt der Ausdruck des Sängers gefragt, jenseits von reinen Koloraturpassagen. Rossini ergänzt also Noten mit Ausdruck und Stimmung und gibt dem Interpreten somit Freiheit, seine Persönlichkeit zu zeigen. Anstatt simpler Wiederholungen von Arienpassagen werden Kadenzen und Variationen eingeführt, in denen der Sänger seine Stimmmöglichkeiten zeigen kann. 6.2. Vincenzo Bellini (1801-1835) Verdi berichtet über Bellini: „Er ist reich an Gefühl und einer Melancholie von eigenem, individuellem Zuschnitt. Auch in seinen weniger bekannten Opern, in La Straniera, in Il Pirata, gibt es lange, lange Melodien, wie sie vor ihm noch keiner erfunden hat.“14 Ähnlich eine Äußerung Wagners, der eines Abends Themen aus Opern Bellinis spielte und meinte: „Das ist wirkliche Passion und Gefühl, und es soll nur die richtige Sängerin sich hinstellen und es singen, und es reißt hin.“15 5.Vincenzo Bellini Hier noch ein Zitat von Ulrich Schreiber, der in diesem Zusammenhang feststellt: „Man kann diesen Tribut an den Melodiker Bellini sogar so deuten, dass der Ältere dem Jüngeren den Weg gewiesen hat. Dann würde Normas Entschluss, aufs Schafott zu steigen, Isoldes Liebestod vorwegnehmen.“16 Ulrich Schreiber, Opernführer für Fortgeschrittene: „Die Geschichte des Musiktheaters“, Bärenreiter, Kassel 2002, S.235 15 Ebda. S.234 16 Ebda. S.234 14 11 Was war nun neu im Werk Bellinis? 1801 in Catania geboren, gilt er als Erfinder des „Melodramma tragico“, der romantischen Italienischen Oper. Gemeinsam mit seinem Librettisten Felice Romani (der sich an der schon eingangs erwähnten Opera seria des Metastasio orientierte) erarbeitete Bellini einen „neuen Stil“, der sich von jenem Gioacchino Rossinis unterscheiden sollte. Als Gegensatz zu dessen verzierten, koloraturgespickten Vokallinien fand Bellini eine ruhige, syllabische Melodik mit Textbezug („jede Silbe ein Ton“), um den Textvorlagen Romanis gerecht zu werden. Bellinis Opern verschwanden im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts immer mehr von den Spielplänen, ehe sie dank einzelner Wiederbelebungsinitiativen wieder in die Spielpläne Einzug hielten. Zur den noch regelmäßig gespielten Opern gehört La Sonnambula („Die Nachtwandlerin“). Norma, Bellinis meistgespielte Oper, ist vor allem durch „einfache“ Melodik und romantische Empfindsamkeit geprägt. In Bellinis I Puritani, entstanden 1835 im Théatre-Italien, knüpfte der Komponist stilistisch bei Norma an, in welcher er die bis dahin übliche Folge einzelner Nummern und Arien aufgegeben hatte. So bereitet er den Auftritt Arturos im ersten Akt mit romantischen Hörnerklängen vor, lässt aber wider Erwarten keine Arie folgen. Vielmehr werden Szenenblöcke konstruiert, die auf einen Höhepunkt zusteuern: So hat Verdi in Rigoletto (Quartett, Bella figlia dell’amore) das gleiche Verfahren angewendet wie zuvor Bellini in der Tenorszene A te, o cara („Zu dir, Geliebte“) in Puritani. Bellinitypische „melodie lunghe, lunghe, lunghe“, wie Verdi sie nannte, prägen auch Elviras Arie Qui la voce sua soave – Vien, diletto, in welcher sie die Liebe zu Arturo und ein glückliches Ende herbeisehnt. G. Donizetti (1797-1848)17 Als Donizettis Karriere begann, beherrschte noch Rossini vollständig die italienische Opernszene. Auf Grund seines Status und seines formelhaften und reich verzierten Stils, mussten die meisten Opernkomponisten dieser Zeit im Rossini Stil komponieren. Auch Donizetti passte sich diesem Stil an, auch wenn er durch geschickte Reformen einer neuartigen Dramaturgie der Soloszenen Individualität zeigen konnte. Vor allem in seinen Vgl.: The New Grove: „Meister der italienischen Oper“, aus den Englischen von Anette Holoch, Verlag J.B. Metzler, Stuttgart, Weimar 1993; Hermann Kretzschmar „Geschichte der Oper“, Breitkopf & Härtel, Leipzig 1919 17 12 Komödien wurde sein Rang nie im Frage gestellt, während er im tragischen Genre auf Grund der Vielzahl seiner Opern selten revolutionär Neues erfand. Donizetti gelang es aber, durch eine größere Vielfalt der Ausdrucksmittel und durch intensiv ausgeprägte Gefühlsdarstellungen, etwa in großen Soloszenen und Ensembles, die Belcanto Oper bedeutend weiter zu entwickeln. In Donizettis Instrumentation kommen neu solistische Passagen für Blasinstrumente zum Einsatz. Konzertante und obligat 6. Gaetano Donizetti geführte Instrumente leiten eine Szene ein, verdeutlichen die Stimmung und Atmosphäre der Handlung. Auch wenn die Orchesterbehandlung teilweise etwas trivial wirkt, umso meisterhafter gestaltete Donizetti den Ausdruck der Singstimme. Im Gegensatz zu Bellini waren Donizettis Gesangspassagen meist individuell auf die Qualitäten der vorgesehenen Sänger abgestimmt. Zum Beispiel konnte Giuditta Pasta oder Ronzi de Begni in den ausdrucksvollen Finali von „Anna Bolena“, „Maria Stuarda“ oder „Roberto Devereux“ brillieren. 7. „Lucia di Lammermoor“ Am 26. September 1835 im Theatro San Carlo, Neapel, wurde die Oper "Lucia di Lammermoor" mit Fanny Tacchinardi-Persiani als Lucia, Gilbert-Louis Duprez als Edgardo und Domenico Cosselli als Arturo uraufgeführt. Es war ein riesiger Erfolg oder sogar ein Triumph. Ein Chronist berichtete: „Die Menschen waren wie rasend […] man hörte das Schluchzen der Menge“.18 Und so berichtete Donizetti selber in einem Brief über die Premiere: „ Lucia ist über die Bühne gegangen und gestatte, dass ich so schamlos bin und dir die Wahrheit sage. Sie hat gefallen, sogar sehr, wenn ich dem Applaus und den Komplimenten, die ich erhalten habe, Glauben schenken darf. Ich wurde viele Male vor den Vorhang gerufen, und die Sänger ebenso.“19 Auf der Grundlage einer Erzählung "The Bride of Lammermoor" von Walter Scott 18 19 Wilhelm Zentner: „Lucia von Lammermoor“, Philipp Reclam jun. Stuttgart 1960, S.6 Olaf Matthias Roth „Donizetti. Lucia di Lammermoor“, Henschel Bärenreiter, Leipzig 2014, S.89 13 (1771-1832) wurde Donizettis "Lucia di Lammermoor" komponiert. Am Anfang des 19. Jhds hat kein anderer Schriftsteller so großen Erfolg gehabt wie er. Durch ihn erlangte die so genannte "Schauerromantik" ihre größte Ausprägung. Scott gilt außerdem als Erfinder der historischen Romane und die wichtigsten Kennzeichen seines Schreibstils sind das Fantastische, abenteuerliche Handlungen, Naturschilderungen, wie zum Beispiel die schottische Landschaft mit ihren Bergen, Wäldern und Seen. Auch einige Opern dieser Zeit greifen Scotts erzählerisches Werk auf. In seinem Roman „The Bride of Lammermoor“ schildert er das historische Kolorit des 17 Jhds. nicht, aber im Mittelpunkt stehen erfundene Figuren mit ihren Charakteren und psychologischen Beziehungen. Das war natürlich ein Vorteil für einen Textdichter wie Salvatore Cammarano (1801-1852), der Scotts Roman bearbeitete und damit eines seiner wirkungsvollen Libretti schuf. Er schrieb Libretti auch für solche Komponisten wie Saverio Mercadante (1795-1870), Giovanni Pacini (1796-1867), Giuseppe Verdi (1813-1901). Die bekanntesten Opernlibretti aus seiner Feder sind unter anderen die Opern "Luisa Miller" oder " Il trovatore". Diese Opern und " Lucia di Lammermoor" sind nach dem gleichen dramaturgischen Schema gebaut und weisen eine starke Verwandtschaft der dramatischen Situationen auf. Aus Scotts Braut Lucy wurde Lucia. Im Italienischen ist der Vorname Lucia etymologisch mit dem Licht "luce" verbunden. Donizetti war sich dessen bewusst: Lucia ist in der Dunkelheit einer religiös dominierten Gesellschaft eine Lichtgestalt, die den Menschen einen Weg aus ihrer Verwirrung weist: „Das Licht, das sie bringt, ist nicht von dieser Welt. Und deshalb muss die Lichtbringerin in dieser Welt auch nicht für gleichberechtigt genommen werden“20 Das besondere an Cammarano ist, dass der Schlüssel zum Verständnis des Werkes nicht die große Wannsinnszene ist, sondern das letzte Bild als Symbol für den ganzen Untergang einer Epoche. Entgegen dem Prinzip der Finalarie der Sopranistin ist der Schluss der Oper dem "primo uomo" vorbehalten. Die Geschichte erzählt von einer schottischen Gräfin, die durch Familienstreitigkeiten und das politisch motivierte Vorhaben ihres Bruders von ihrem Geliebten getrennt und einem anderen Mann anvertraut wird, diesen in der Hochzeitsnacht umbringt und deswegen den Verstand verliert. 20 Werner Ohlmann: „Oper in vier Jahrhunderten“, Bärenreiter Stuttgart/Zürich, S.293 14 8. Die Wahnsinnsszene der Lucia aus dem 3. Akt „Il dolce suono… Argon gl’incensi …“. Ein dramatischer und musikalischer Höhepunkt in Donizettis Meisterwerk ist die Wahnsinnsarie der Lucia aus dem 3. Akt. Lucia steht allein, da sie merkt, dass sie nicht nur von ihrem Bruder, von ihren Vertrauten hintergegangen, manipuliert und als politisches Mittel benutzt wurde, sondern auch von ihrem Geliebten Edgardo, der knapp nach dem unterschriebenen Vertrag kommt und sie verflucht. In dem Moment verliert sie den Boden unter den Füßen. Sie hat ein ganz empfindliches Nervenkostüm. Die Gefühle, die sie empfindet, sind sehr extrem. Sie ist seelisch gefährdet. Wenn man an einen so gefährlichen Endpunkt kommt, dann kann der Wahnsinn ausbrechen und bei ihr kommt es in einer gewaltsamen Form. Donizetti bereitet ihre Arie geschickt vor: der Auftritt Raimondos unterbricht das Hochzeitsfest mit der schrecklichen Nachricht über den Mord an Arturo im Brautgemach. Dann erscheint Lucia in einem blutigen Nachthemd in Wahnsinn verfallen. Dieser schockierende Auftritt verstärkt den dramatischen Klang der Musik dieser Szene. Jetzt wird allen bei dem Fest Anwesenden klar, dass sie Arturo umgebracht hat. Schon die ersten Akkorde verdeutlichen die düstere Stimmung der Szene in c-moll. Dann fängt Lucia ihren Gesang in kleinen chromatischen Schritten auf Il dolce suono mi colpi di sua voce (der süße Ton seiner Stimme hat mich berührt) an: 15 Statt einer bravuorösen Arie werden einzelne Arienteile im Laufe der Scene zu einer dramatisch ausgestalteten Nummer verbunden. Diese ungleiche Form deutet auf ihren gespaltenen und zerrissenen innerlichen Zustand. Im Wahnsinn ist Lucia ganz unberechenbar wie die Abfolge der Musik. Die Arie ist in ihrem Ausdruck quasi ein unrealer Dialog zwischen Lucia und Edgardo. Es folgt ein Rezitativ mit einer Melodie der Soloflöte. Die Streicher verdeutlichen mit dem Tremolo die angespannte Situation. Die kleinen und verminderten Terzen in Lucias Gesangslinie äußern ihre Furcht und Unsicherheit: Das Rezitativ entwickelt sich zu einem Dialog zwischen Lucia und der Flöte, ihrem imaginären Gesprächspartner. In der Urfassung der Oper war anstatt der Flöte eine Glasharmonika21 vorgesehen, was noch stärker das überirdische Element „Un’armonia celeste“ verdeutlicht. Glas wirkt sehr fragil und unreal. Vor der Uraufführung hat Donizetti aus praktischen Gründen wieder die Flöte eingesetzt. 21 Glasharmonika, ist ein Reibeinstrument, das von Benjamin Franklin 1761 aus den Glasspiel entwickelt wurde. Besteht aus verschiedenen ineinandergeschobenen Glasglocken, die auf einer gemeinsamen Achse lagern und durch das Berühren der Glockenränder mit einem feuchten Finger durch ein Pedal gespielt wird. Bekannt ist auch eine Glasharfe, die aus mehreren Trinkgläsern besteht und durch kreisende Bewegungen mit dem nassen Finger am Rand gespielt werden. 16 Es folgt eine langgezogene Passage, verziert mit vielen Gesangsvariationen: Dann beginnt die eigentliche Arie „ Ardon gl’incensi… „ im 6/8 Takt in Tempo Largetto. Lucia fühlt sich schon befreit, glaubt in der Kirche zu sein und sieht die Fackel der Priester. Sie träumt vom gemeinsamen Leben mit Edgardo und sieht die Hochzeitzeremonie vor ihrem inneren Auge. Es folgt ein langes Duett mit der Flöte und wirkungsvollen Echos. Es entsteht eine enorme Wirkung zwischen Gesangsstimme und Instrument. Noch nie zuvor wurde Wahnsinn so einzigartig komponiert. An dieser Stelle entsteht die Möglichkeit für eine umfangreiche Kadenz. Bekannt dafür ist heute eine aus den von vier herausgegebenen Heften von Luigi Ricci (1893-1981), die den Titel „Variazioni-cadenze-tradizioni“ tragen. Diese Bände enthalten verschiedenste 17 Kadenzen, Ornamente und Variationen der Belcantoära, zusammengestellt nicht nur aus Ornamenten, die Sängerinnen wie Giuditta Pasta, Regina Pacini oder Maria Malibran verwendeten, sondern auch Kadenzen und Variazionen, die von Komponisten selber stammen. Die am häufigsten gesungene Kadenz hören wir in der Interpretation von Maria Callas oder auch von Edita Gruberova: 18 Joan Sutherland oder Ada Sari benutzen hingegen stark individualisierte Formen wie folgende Kadenz: 19 Es gibt auch die Version von Adelina Patti, berühmte Interpretin des 19. Jhds, aus Riccis Heft: Enrico tritt hinzu und bemerkt Lucias Wahnsinnszustand. Es folgt Lucias Cabaletta als Moderato im Dreivierteltakt „Spargi d`amaro pianto il mio terreste velo“ (Vergieße bittere Tränen über meine sterblichen Reste, ich werde im Himmel für dich beten). Es klingt froh. Auch die Musik, die man hört in Es Dur, ist gar nicht dramatisch. Alles ist von ihr abgefallen. Bis zum Ende der Cabaletta folgen mehrere mit Triller verzierte Passagen mit chromatischen aufsteigenden und fallenden Melodien, die in Triolen-Bewegung sich entwickeln. Das zeigt die befreite und erlöste Seele der Lucia. Nach dem Mord gibt es keine andere Alternative als Selbstmord. Die Cabaletta wirkt durch ihren tänzerischen Rhythmus wie Lucias Abschied von dieser Welt. Lucia beendet ihre Szene mit einem Spitzenton, meistens dem hohen es (je nach Fassung). Obwohl Donizetti die wirkungsvollste Wahnsinnszene komponiert hat, gab es bereits vor ihm ähnliche Wahnsinnsvertonungen, zum Beispiel Elvira in „ Il Puritani“ von Vincenzo Bellini oder Azzur in Rossinis „Semiramide“. 20 Literaturverzeichnis und Notennachweis: 1. Peter Berne, ein praktisches Lehrbuch für Sänger, Dirigenten und Korrepetitoren: „Belcanto“, Wernersche Verlagsgesellschaft, Neustadt/Weinstraße 2008 2. Olaf Matthias Roth: „Donizetti. Lucia di Lammermoor“, Seeman Henschel GmbH&Co. KG, Leipzig 2014 3. F.A.Brockhaus GmbH «Der Brockhaus.Musik“, Neue Stalling GmbH, Oldenburg 2001 4. Allgemeine Enzyklopädie der Musik „Die Musik in Geschichte und Gegenwart“, herausgegeben von Ludwig Finscher; Sachteil 1; Bärenreiter 5. Rodolfo Celletti „Geschichte des Belcanto“, Bärenreiter Kassel, Basel 1989 6. Hermann Kretzschmar „Geschichte der Oper“, Breitkopf & Härtel, Leipzig 1919 7. Wilhelm Zentner „Lucia von Lammermoor“, Philipp Reclam jun. Stuttgart 1960 8. Werner Ohlmann „Oper in vier Jahrhunderten“, Bärenreiter, Stuttgart/Zürich 1984 9. W.H. Riehl: „Zur Geschichte der romantischen Oper“, Weltgeist-Bücher VerlagsGsellscheft m. b. H., Berlin 1928 10. Augus Heriot: „The castrati in Opera“, Calderbooks, London 1960 11. Erna Brand-Seltei: “Belcanto”: Heinrichshofen´s Verlag, Ansterdam 1972 12. Ellen Taller: „Gaetano Donizetti – Moment und Prozess“, Peter Lang, Bern 2005 13. Patrick Barbier: „Histoire des Castrats“, Bernard Grasset, Paris 1989 14. The New Grove: „Meister der italienischen Oper“, aus den Englischen von Anette Holoch, Verlag J.B. Metzler, Stuttgart, Weimar 1993 15. Ulrich Schreiber, Opernführer für Fortgeschrittene: „Die Geschichte des Musiktheaters“, Bärenreiter, Kassel 2002 21 16. Carolyn Abbate, Roger Parker: „Eine Geschichte der Oper. Die letzte 400 Jahre“, aus den Engl. Von Karl Heinz Siener und Nikolaus de Palezieux, Vlg. C.H. Beck oHG, München 2012 17. „Illustrierte Geschichte der Oper“, herausgegeben von Roger Parker, aus den Engl. Von Ute Becker, Dieter Fuchs und Dorothee Göbel, Verlag J.B. Metzer, Stuttgart, Weimar 1998 Notennachweis: 18. Luigi Ricci „Variazioni–cadenze-tradizioni” Vol.1, Ricordi, Milano 1937 19. Gaetano Donizetti “Lucia di Lammermoor” Klavierauszug, Ricordi, Milano 1960 22 Bildverzeichnis: 1. de.wikipedia.org/wiki/Claudio_Monteverdi#/media/File:Bernardo_Strozzi__Claudio_Monteverdi_%28c.1630%29.jpg , 04.10.2015 2. simple.wikipedia.org/wiki/Alessandro_Scarlatti#/media/File:Alessandro_Scarlatti.jpg, 04.10.2015 3. de.wikipedia.org/wiki/Nicola_AntonioPorpora#/media/File:Nicola_Antonio_Porpora.jpg, 04.10.2015 4.www.memo.fr/Media/Rossini.jpg, 04.10.2015 5. stiftung-rosenkreuz.org/text/casta-diva-bellini-callas-bartoli-gottin/, 04.10.2015 6.www.google.at/search?q=donizetti&biw=1412&bih=751&noj=1&source=lnms&tbm=isch&sa=X &ved=0CAcQ_AUoAWoVChMI8eO_g-SDyAIVxrQaCh2mvQkf#imgrc=fJ4ZzaBWZWChZM%3A, 04.10.2015 23