S. 241–246 - Folio Verlag

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S. 241–246 - Folio Verlag
F RANZOBEL
[ M OZARTS K OPF ODER WIE SICH DIE M USIK IM
MENSCHLICHEN K ÖRPER ABBILDET ]
D
ie Zeit geht nicht, sie überrennt und überwälzt uns.
Nachdem die Stadt Wien beschlossen hatte, die Gelegenheit des
250sten Geburtstages von Wolfgang Theophrast Gottlieb Seicherl
Mozart zu nutzen, nicht nur ein pompöses, exorbitantes Fest zu feiern,
nein, ein ganzes Mozartjahr auszurufen, das natürlich nur nebenbei
den großen Komponisten selbst, in erster Linie aber die noch viel
größere Stadt Wien, diese Welthauptstadt der Musik, diese zehnjährige Heimstätte Mozarts ehren sollte, die so fürsorglich mit ihm und
seinen sterblichen Überresten umgegangen war, dass heute niemand
mehr weiß, wo er begraben liegt. Nachdem die Stadt Wien also beschlossen hatte, eine Mozartjahr-Organisationsges.m.b.H. zu gründen, die auch gleich mit einem Intendanten versehen worden war, der
keinen Augenblick zögerte, sich inspirieren zu lassen, um im ersten
Musenkusstaumel ein umfangreiches Programm zu komponieren,
welches darauf hinaus lief, dass im Grunde jedes Jahr ein Mozartjahr
sei, wir uns nicht in einem Mozartjahr, sondern in einem Mozartjahrtausend befänden, der vorerst aber einmal in einem Akt grenzenloser
Güte beschloss, Mozart durchzusetzen, alles mit ihm zu durchsetzen,
ihn in die Schulen, Kindergärten, Tagesheimstätten und Horte zu
bringen, ebenso in die öffentlichen Verkehrsmittel, Gefängnisse, Altenheime, Zoos, Spitäler, Supermärkte, Bahnhofstoiletten, Bushaltestellen, Kasernen, und überhaupt an alle bekannten und unbekannten
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Orte, nachdem sogar ein Wir-beschallen-den-Weltraum-mit-MozartProgramm initiiert worden war, sich zahllose Ausstellungen und
Symposien ankündigten, man also mit dem Musikalischsten, dem
Vermozartesten, dem Allermozarteskesten rechnen musste, obwohl
oder gerade weil ständig betont wurde, dass man von Mozart nie
genug bekommen könne, nachdem also all dies und noch viel mehr
passiert war und der Mozart-Overkill schon wie eine gigantische
Tsunami-Welle drohend an der Tür stand und die Kleine Nachtmusik
summte, kam ein boshafter, ein perfider, ein widerlicher, kleinlicher
und unbedeutender Mensch darauf, dass man ja nicht nur nicht wisse,
wo die große Stadt Wien den kleinen Amadeus verscharrt habe, ja,
verscharrt, sagte er, verscharrt wie einen Hund, sondern man auch
keinerlei Vorstellung von seinem Äußeren habe. Was eine Katastrophe
sei, denn tatsächlich könne Mozart ausgesehen haben wie irgendwer,
wie Guido Westerwelle, André Heller oder Hella von Sinnen. Wie ein
polnischer Gewerkschaftsführer, ein zypriotischer Tennisspieler oder
ein skandinavischer Hammerwerfer? Im Laufe der Zeit hatten sich
sämtliche Mozartbildnisse, angefangen vom Bild des kleinen, am
Schoße der Kaiserin Maria Theresia sitzenden und diese charmant in
den Busen zwickenden Wolferl, über das berühmte Salzburger Familienbildnis mit Vater, Nannerl und Pimperl bis zum angeblich vom
Schwager angefertigten Porträt am Klavier, als mehr oder weniger
gelungene Fälschungen herausgestellt.
Während man von Bach und Schubert sehr genaue Vorstellungen
hat, man von jeder Unebenheit im Gesichte Beethovens und Schumanns weiß, man sogar Haydn und Salieri genauestens beschreiben
kann, bleibt Mozart im Dunklen. Eine Katastrophe! Das letzte, einzigartige, nicht gestohlene und nicht rückzuerstattende Kulturgut Österreichs ohne Gesicht? Der größte, der bedeutendste Komponist aller
Zeiten ein Mann ohne Aussehen? Ein Dummy?
– Eine Ungeheuerlichkeit, tobte, als diese Schreckensnachricht zu
ihm durchdrang, der gerade am Laufband pfosende Wiener Bürgermeister. Wie kann man jemanden ehren, von dem man nicht einmal
weiß, wie er ausgesehen hat? Am Ende stellt sich noch eine Ähnlichkeit
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mit Jörg Haider oder Elisabeth Gehrer heraus. Das geht nicht! Von
Wien weiß man ja auch, wie es aussieht, von Wien kennt man jedes
Grübchen, jede Furche, jedes Bächlein, jeden Kanaldeckel, alles. Das
geht nicht! Der Bürgermeister schnaubte wie ein Fiakerpferd, sein
Kopf war röter als das Wiener Wappen, aus den Froschaugen spritzte
Wiener Wut spitzer als der Turm des Stephansdoms, spritziger als
Veltliner, Schweiß rann von seiner Stirn wie flüssig gewordenes
Schlagobers von einer warmen Sachertorte: Das ist das Schlimmste,
trocknete er sich ab, das ist noch ärger als der Verein der Stehachteltrinker oder der Klub zur Förderung der Dummheit, die wir beide
jahrelang besten Gewissens subventioniert haben.
– Wen meinen Sie, unsere Partei? Wenig super für alle?
– Werden Sie nicht frech.
Eine unangenehme Stille trat ein, wie von Beethoven komponiert.
Niemand wusste, wie sie zu durchbrechen war. Bis sich endlich einer
ein Herz fasste:
– Wir könnten Fälschungen anfertigen lassen, meinte das Mitglied
des Stadtsenates, um die Lage zu entspannen. Geldfälscher aus Bulgarien könnten wir engagieren, Gesichtmodellierer aus den Werkstätten
der Madame Tussaud, Anatome aus Deutschland, Schrumpfkopfeinkocher aus Sumatra.
– Der Wiener ist nicht blöd und wird es auch nicht werden wollen,
sagte der Bürgermeister und drehte die Augen gen Himmel, wo ein
Schriftzug hing „Die Pflicht ruft – lasst sie schreien“.
– Rumänen?
– Hören Sie auf!
– Und wenn wir sagen, Mozart war ein flexibler, ein wandelbarer
Mensch – auch in seinem Äußeren?
– Seien Sie still! Und Sie? Warum lächeln Sie die ganze Zeit? Sie
geht diese Geschichte doch am meisten an, fauchte der immer noch
am Laufband rennende, wie ein Hamster dreinsehende Bürgermeister
in Richtung Mozartjahr-Intendanten.
– Ganz einfach, lächelte der, weil das Problem schon gelöst ist.
– Wie? Ich verstehe nicht. Der Bürgermeister nahm sein um den
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wulstigen Nacken gelegtes Handtuch, auf dem groß der Name seiner
Partei prangte „Wenig super für alle“, tupfte sich ab.
– Die Lösung steht vor Ihnen.
– Wo?
– Hier!
– Sie? Das ist aber wenig super.
– Jawohl. Weil nämlich ich, der bescheidene, unbedeutende Intendant des Wiener Mozartjahres dafür gesorgt habe, dass bei allen Ankündigungen, allen Aussendungen für das Mozartjahr – und das waren
viele, ungeheuer viele – immer mein Bild zu sehen war, der Kopf des
kleinen, unbedeutenden Generalintendanten der Mozartjahr-Organisationsges.m.b.H., was allmählich dazu geführt hat, dass man mich
mit Mozart zu identifizieren begann. Verstehen Sie, die Menschen
haben so lange und so oft mein Gesicht gesehen, bis sie begonnen
haben, mich nicht nur mit dem Mozartjahr, sondern mit Mozart selbst
zu identifizieren.
– Sie?
– Wenn ich spazieren gehe, winken mir die Leute, Hallo Wolferl,
rufen sie, sogar die Mozartartikelindustrie hat schon begonnen, mein
Konterfei auf Tonträger, Stoffbären, Kaffeehäferl, Mozartkugeln zu
setzen. Verstehen Sie, man hält mich für Mozart. Mich! Laufend
bekomme ich Werbegeschenke, werde um Wortspenden gebeten. Erst
kürzlich hat mich die große österreichische Illustrierte zum zweitwichtigsten Österreicher gewählt.
– Und wer war der wichtigste? Ich? Der verschwitzte Bürgermeister
lächelte erwartungsfroh.
– Nein, Hermann Maier.
– Der? Das ist ja absurd, brummte der Bürgermeister.
– Aber es stimmt.
– Sie und Mozart? Bitte!
– Wenn es so ist.
– Und sind Sie musikalisch?
– Kein bisschen!
– Können Sie singen? Klavier spielen?
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– Nicht die Bohne.
– Das macht nichts, Sie müssen ein Konzert geben. Die Stadthalle
wird randvoll sein. Was rede ich, das Stadion. Wir lassen Mozart
auferstehen. Wir sagen, Sie sind der Mozart des 21. Jahrhunderts und
geben ihre Stimme dem Wiener Bürgermeister. Voilá!
So kam es, dass der Generalintendant der Wiener MozartjahrOrganisationsges.m.b.H. bald von Wien, von Österreich, ja, allmählich von der ganzen Welt für Mozart gehalten wurde. Das ganze
Budget der Wiener Mozartjahr-Organisationsges.m.b.H. wurde dafür
eingesetzt, den Generalintendanten als Mozart durchzusetzen. Natürlich gab es anfangs Widerstände, sich sträubende Musiker, Professoren, sukzessive aber griff die Indoktrinierung, verschmolz der Gesichtszug des lächelnden, grauhaarigen Mozartintendanten mit dem
Namenszug Mozart, konnten selbst Musikkenner und Dirigenten den
Namen Mozart nicht mehr aussprechen, ohne unwillkürlich an das
Gesicht des Generalintendanten zu denken. Sogar die Kleine Nachtmusik, die Zauberflöte und die Symphonien ließen alle sofort an das
Gesicht des Generalintendanten denken. Mozart und er wurden eins.
Nun entsprach der Generalintendant aber weiß Gott keinem Mozart-Bild: flaches Gesicht mit dünnen Lippen, eine unauffällige Teetrinkernase, die eine eckige Beamtenbrille zierte, so dass er mehr einem
alt gewordenen Klassenprimus glich als einem Komponisten; mehr
einem Statistiker, den die Zeit mit neuen Formeln überrollt hatte, als
einem Künstler. Er sah aus wie ein ausrangierter, erfolglos gebliebener
Politiker, dem seine Parteifreunde dieses Mozartjahr-Ausgedinge verschafft hatten, diesen im Grunde lächerlichen Intendantenposten, ohne
damit zu rechnen, dass Wolfgang Kisum, so hieß der Generalintendant,
diesen Posten zu einem derartigen Erfolg würde nützen können. Wolfgang Kisum nämlich war ehrgeizig. Immer schon. Er war so ehrgeizig,
dass seine Bekannten von ihm sagten, man könne, hätte er den Auftrag,
sich einen Schreibtischstuhl rektal einzuführen, richtig fühlen, wie er
das ganze Zimmer einsauge – was sie hoffentlich symbolisch meinten.
Nun aber hatte Wolfgang Kisum alias Wolfgang Theophrast Gottlieb Seicherl Mozart es geschafft. Wie hatte er immer gesagt: „Viele,
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die Talent haben, verausgaben sich, sind faul. Daher setzen sich nur
die Untalentierten durch, hat jeder eine Chance, auch ich.“ Wie wahr!
Bald gab er Konzerte vom Band, erlangte Kult-Status in Asien, wurde
im Orient mit Erdöl aufgewogen, in Russland mit Erdgas, bekam in
Amerika ganze Städte geschenkt, war Stargast in unzähligen Talkshows, lebte ein glamouröses, glanzvolles Leben, bis ihn eines Tages
aus heiterem Himmel der rücksichtslose Blitz der Vorsehung erschlug.
Die Schöpfung, diese gestrenge, diese unerbittliche, keinen Spaß verstehende Musikliebhaberin, musste diesem Unfug ein Ende setzen und
löschte mit ihrer überdimensionalen Delete-Taste nicht nur Wolfgang
Kisum samt seiner Seele für alle Ewigkeiten, sondern auch alle falschen
Mozartbildnisse. Einen kleinen Schnalzer machte es, und schon waren
überall dort, wo eben noch Mozartköpfe geprangt hatten, nur noch
taube, weiße Flecken. Wie von einem Staubsauger der Wahrheit waren
alle Fälschungen eingesaugt. Doch damit nicht genug, verwandelten
sich nun auch noch die Menschen, aber nicht in leere Flecken, sondern
in Mozarte, ja, in Mozarte, die aussahen wie ein Ei. Was für ein Ei?
Eines, das dem anderen gleicht.
Mit einem Schlag waren alle einsfünfzig groß, hatten dicke, rote,
mit großen Eiterpusteln versehene Knollennasen, wulstige, aufgesprungene Lippen, kleine Schweinsäuglein, Pockennarben, Furunkel,
fettig hingeklatschte Haare und hielten sich für ein Genie. Eine
Katastrophe, müsste man denken, ein heilloses Trauerspiel. Nicht aber
in Wien, dieser Welthauptstadt der Musik und verkappten Genies, wo
die Verwandlung gar nicht auffiel, man seither glücklich und zufrieden
lebte – wie eh und je in einer Mischung aus Verbitterung, Grant und
Glück. Mozart sei Dank.
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