Jesus Christus im Religionsunterricht
Transcrição
Jesus Christus im Religionsunterricht
Jesus Christus im Religionsunterricht I. Grundsätzliche Anmerkungen Keine Frage: Gott und Jesus Christus bleiben die Mitte des Religionsunterrichtes, selbst dann, wenn nicht explizit davon gesprochen wird. Jesus Christus wird in den religionspädagogischen Materialien als Modell geglückten Menschseins und eines bis zum Tode durchgehaltenen Gottesglaubens vorgestellt. Sein Wirken ist in die jüdische Geschichte und in die Auseinandersetzung mit den damaligen gesellschaftlichen Gruppen hineinverflochten. Er vertraut Menschen, wendet sich Kranken zu, feiert, verhält sich offen gegenüber Außenseitern und gerät schließlich in tödlichen Konflikt mit den etablierten Autoritäten des Hohen Rates und des Pilatus, in deren Zusammenspiel er zum Tode verurteilt wird. Aber er ist „nicht totzukriegen", denn Frauen und Männer bezeugen: Gott hat Jesus vom Tod erweckt. Religionspädagogisch gibt es, besonders in Sekundarstufe I zu diesem historischen Zugang „von unten" kaum eine Alternative. Aus diesem Ansatz folgt allerdings, dass jede „explizite Christologie", d.h. das Verständnis von Jesus als dem „Christus“ und „Sohn Gottes“, zumindest nicht in der gleichen Breite und mit ähnlich kreativen Methoden wie der historische Jesus im Unterricht zur Sprache kommt. Ob die christologischen Konzilien von Nicäa und Chalkedon überhaupt noch im Religionsunterricht explizit thematisiert werden? Mit anderen Worten: Der verkündete Christus verbirgt sich schulisch hinter dem Jesus der Geschichte. Aber schon auf dieser historischen Ebene zeigt sich ein erstes Dilemma. Entspricht der sympathische Jesus, der es allen recht macht, überhaupt dem biblischen Bild von Jesus? Seine harten Gerichtsworte, die Androhung des Zornes Gottes konfrontieren die Menschen mit der Ernsthaftigkeit der Entscheidung für seine Botschaft. Die uns fremden Dämonenaustreibungen nehmen in den Evangelien einen breiten Raum seines Wirkens ein. „Die Menschen zeigen sich von Jesu Wort betroffen. Bestürzt fragen sie: Was ist das für eine Lehre? Was sie beeindruckt, ist nicht zuerst ein einzelner Gedanke oder Satz, sondern die Art und Weise seines Lehrens insgesamt. Es erzeugt den Eindruck einer außergewöhnlichen Souveränität, die die Hörer gleichzeitig anzieht und erschreckt, die sie in jedem Fall beunruhigt und erregt, weil sie sie nicht zu deuten und einzuordnen wissen."1 Diese historisch informierende Ebene zum Leben Jesu erfordert viel religionspädagogische Mühe und bleibt weiterhin notwendig. Als mögliches Ziel eines Unterrichtes kann die Eröffnung einer lebendigen Beziehung zu Jesus Christus zumindest angestrebt werden, obwohl diese Beziehung nur schwer vom Religionsunterricht allein geschaffen werden kann. Wie die Gottesbeziehung dämmert die Christusbeziehung vieler Jugendlicher mit den Jahren leicht in ein deistisches Halbdunkel hinein und bleibt im Erwachsenenalter in dieser religiösen Grauzone. Gott und Jesus Christus werden zwar nicht bestritten, aber sie werden im persönlichen Leben und in der Geschichte der Menschheit nicht mehr als gegenwärtig und lebensorientierend wahrgenommen. Gelingt es, eine Beziehung zu Jesus Christus dauerhafter zu stiften, dann muss diese Beziehung in der Subjektivität der religiösen Einstellung und innerhalb der pluralen Lebenserfahrungen der Schülerinnen und Schüler Gestalt annehmen und dort konkret werden. Schülerinnen und Schüler machen Lebenserfahrungen in dauernder Aneignung und Deutung. Im Licht augenblicklicher Erfahrungen werden vergangene Erfahrungen neu gedeutet. Jede Lehrerin und jeder Lehrer kennt z.B. die Neubewertung des Unterrichts durch ehemalige Schülerinnen und Schüler, nachdem sie neue Lebenserfahrungen gemacht haben. Nur in dieser Vielfalt von Lebenserfahrungen kann eine Beziehung zu Jesus Christus über die Jahre hin aufgebaut werden und muss sich angesichts dieser Erfahrungen und in ihnen bewähren. In dem breiten Spektrum von 1 Heinz Zahrnt: Jesus aus Nazareth. Ein Leben. München 1987, 67. Lebensmöglichkeiten kann Jesus Christus zu dem werden, was er immer war: ein Helfer. „Nicht die Lebenserfahrung macht den Glauben eindeutig, sondern der Glaube lehrt, die Lebenserfahrung in ihrer Vieldeutigkeit zu durchschauen und unter den Bedingungen dieser Vieldeutigkeit dennoch eindeutig zu leben. Das leistet er dadurch, dass er uns mit der Ausrichtung auf Jesus Christus und seine Auslegung Gottes einen Leitgesichtspunkt zur Vernetzung und Kombination unserer Lebensperspektiven und ihrer selektiven Wirklichkeitswahrnehmungen zur Einheit eines individuellen und gemeinsamen Lebenszusammenhangs an die Hand gibt, der uns ermöglicht, uns und unsere Lebenswelt – selektiv und perspektivisch, aber wahrhaft und wirklichkeitsgetreu – so wahrzunehmen, wie wir von Gott wahrgenommen werden.“2 In dieser Perspektive gewinnt Jesus Christus eine größere lebenspraktische Relevanz als andere Bezugspersonen. Positive Erfahrungen von Zuneigung und Gemeinschaft und negative Erfahrungen von Verlassenheit und Leid können in Beziehung zum Gott Jesu Christi geortet und geordnet werden. Maßstab dieser ordnenden Leitperspektive inmitten der Vielfalt der Lebensvollzüge bleibt „der Maßstab der Liebe Gottes" (Ingolf Ulrich Dalferth). Allerdings kann nur in einem langen Lernprozess diese Lebensorientierung an Jesus Christus Gestalt gewinnen. Der Religionsunterricht kann diesen Lernprozess initiieren und begleiten, aber die Beziehung selbst nicht schaffen. Aus diesen theologischen Überlegungen können folgende religionspädagogische Konsequenzen gezogen werden: - Neben der Nähe Jesu zu den Menschen sollte auch die Fremdheit des irdischen Jesus im Unterricht zur Sprache kommen. Er wird niemals „verbraucht" in und mit den bekannten Perikopen. Wie ferne Länder Jugendliche anziehen können, so kann auch der fremde Jesus im Unterricht Schülerinnen und Schüler ansprechen. Nicht immer können und müssen Korrelationen zwischen den Lebenserfahrungen Jugendlicher und Jesus gesucht werden. - Das Gottesverhältnis Jesu, in dem er sich getragen weiß, kann sich für Jugendliche öffnen, so dass sie sich selbst darin gehalten fühlen. Die Beziehung Jesu zu Gott kann zum zentralen christologischen Bezug für Schülerinnen und Schüler werden. Sie dürfen glauben, dass ihr Leben wie das Leben Jesu von Gott getragen bleibt. - Da schon das NT verschiedene Christologien kennt, können im Unterricht entsprechend den Altersstufen verschiedene Zugänge zu Jesus Christus versucht werden. Rudolf Englert unterscheidet als mögliche Stationen einer Jesusbegegnung u.a. „Jesus, der Galiläer", „Jesus, der Mann, der alle Schemata sprengt", „Christus evolutor", „Christus medicus", „Christus, Lamm Gottes". Dieser legitime christologische Pluralismus hat allerdings sein Zentrum in dem doppelten Bezug Jesu zu Gott und den Menschen. Zu dieser Mitte seiner Existenz können die Lebenserfahrungen der Schülerinnen und Schüler in einer meist nicht kontinuierlichen, sondern bruchstückhaften Lebensgeschichte hin orientiert werden. II. Zur Textauswahl: Joseph Ratzinger/Benedikt XVI.: Jesus von Nazareth, Zweiter Teil. Vom Einzug in Jerusalem bis zur Auferstehung. Freiburg im Breisgau 2011. Die folgenden Textauszüge aus den insgesamt langen Kapiteln stellen für die Sekundarstufe II zwei unverzichtbare Schwerpunkte heraus: Passionsgeschichte und Auferstehung. Dabei werden die Texte, die in Sekundarstufe II trotz einiger Fachbegriffe und trotz des dichten Informationsgehaltes mit der nötigen Geduld einsetzbar sind, nicht genau mit Fragen erschlossen, sondern es werden einige inhaltliche Schwerpunkte genannt. 2 Ingolf Ulrich Dalferth: Gedeutete Gegenwart. Tübingen 1997, 91f. 1. Jesus vor dem Hohen Rat und vor Pilatus Hier wird eine klassische Frage des Unterrichtes zum Prozess Jesu thematisiert, warum es zur Verurteilung Jesu durch den Hohen Rat und Pilatus gekommen ist. Die Lerngruppe könnte folgende Aspekte bearbeiten: - Das neue Messiasverständnis bei Jesus als Grund seiner Verurteilung durch den Hohen Rat - Pilatus – ein Vertreter der römischen Staatsmacht - Die Darstellung des unterschiedlichen Verständnisses von Königtum bei Pilatus und Jesus 2. Die Auferstehung Jesu aus dem Tod und die Erscheinungen Das Kapitel zur Auferstehung kann unter folgenden zentralen Fragestellungen zum Auferstehungsglauben bearbeitet werden. - Worum geht es bei der Auferstehung Jesu? Hier geht es um das neue Wirklichkeitsverständnis der Auferstehungserfahrung. Die Wirklichkeit, von Gott geschaffen, wird durch die Auferstehung Jesu neu qualifiziert und zeigt so „eine neue Dimension des Menschseins“. Auferstehung kann nicht in Analogie zu unserem gültigen Wirklichkeitsverständnis erfasst werden. - Die Erscheinungen Jesu in den Evangelien Die Erscheinungen sind „ein Erkennen von innen“, ohne eine nur innerliche oder mystische Erfahrung zu sein. Die Auferstehungserfahrungen haben immer eine Außenseite. Sie sind „wirkliche Begegnungen mit dem Lebenden“, der neu in der Gemeinschaft mit Gott lebt. Seine Seinsweise ist von der „Dialektik von Identität und Andersheit, von wirklicher Leiblichkeit und Freiheit von Bindungen des Leibes“ bestimmt. Dieses dialektische Verständnis ist im Unterricht zwar schwer vermittelbar und bedarf immer wieder neuer Anstrengungen, aber unterhalb dieser Sachebene ist ein adäquates Verständnis der leiblichen Auferstehung kaum möglich. - Zusammenfassung zum Wesen der Auferstehung Jesu und ihrer geschichtlichen Bedeutung Der dritte Textauszug zur Auferstehung ist eine knappe und präzise Zusammenfassung zum Wirklichkeitscharakter des Auferstandenen. Betont wird nochmals der Außenaspekt der Erscheinungen Jesu, denn es hat sich eine wirkliche Begegnung mit dem in einer neuen Dimension lebenden Auferstandenen ereignet, die von den Jüngern bezeugt werden. Albrecht Rieder