Pflanzen im Nachbarrecht

RECHT UND PRAXIS
Pflanzen im Nachbarrecht
Antonia Stutz
lic. iur.
Rechtsanwältin und
Notarin, VOSER
RECHTSANWÄLTE,
Baden
Der Grenzabstand wird bei einem Baum
ne erhebliche Mehrbelastung eingetreten
und einer Pflanzenhecke an der Erdober-
ist. Selbst wenn die Verjährung nach kan-
fläche vom Mittelpunkt des Stammquer-
tonalem Recht eingetreten ist, kann aber
schnitts bis zur Grenze gemessen. Bei einem
bei einer übermässigen Einwirkung durch
Strauch ist der von der Grenze am nächsten
Schattenwurf eine Beseitigung der Pflan-
gelegene Trieb zu messen. Der Eigentümer
zen nach Bundesrecht (Art. 679/684 ZGB)
kann die grenznahen Triebe entfernen, um
verlangt werden.
den Grenzabstand zu vergrössern.
Stellt der Nachbar auf mündliche und
Die Messung der Höhe gestaltet sich ins-
schriftliche Aufforderung hin die rechtmäs-
Viele Hauseigentümer ärgern sich über
besondere im geneigten Gelände oder bei
sige Situation nicht her, ist eine Klage beim
das Laub und den Schattenwurf von Bäu-
Niveauunterschieden schwierig und ist oft
zuständigen Gericht einzureichen. Eine Be-
men und Sträuchern des Nachbarn. Dabei
fehlerbehaftet. Als Grundsatz gilt, dass
seitigung von Pflanzen auf dem Nachbar-
kommen verschiedene Fragen auf: Ist der
vom Fuss der Pflanze (Austritt aus dem Bo-
grundstück mittels Selbsthilfe ist unzuläs-
richtige Abstand eingehalten? Wie oft und
den) bis zur obersten Spitze zu messen ist.
sig und kann Schadenersatzansprüche des
wie weit muss der Nachbar seine Pflan-
Dies gilt auch dann, wenn das benachbarte
Pflanzeneigentümers zur Folge haben.
zungen zurückschneiden? Bin ich anstelle
Grundstück wesentlich höher oder tiefer
des Nachbarn berechtigt, überhängende
gelegen ist. Wurde der Boden künstlich
Kapprecht
Äste abzuschneiden? Hat der Nachbar dies
aufgeschüttet, ist das mutmassliche Niveau
Anders sieht es bei überhängenden Ästen
zu entschädigen?
des ursprünglich gewachsenen Bodens am
und eindringenden Wurzeln aus. Diese
Standort der Pflanze massgebend. Die Höhe
kann der Nachbar, wenn sie sein Eigentum
Abstandsvorschriften
der künstlichen Aufschüttung wird somit
schädigen und auf seine Beschwerde hin
für Bäume, Sträucher und Hecken
zur Höhe der Pflanze hinzugerechnet.
nicht innert angemessener Frist beseitigt
werden, kappen und für sich behalten. Dul-
Die Abstandsvorschriften für Bäume, Sträucher und Hecken sind kantonal geregelt.
Einhalten der Abstandsvorschriften
det der Grundeigentümer das Überragen
Das Einführungsgesetz zum Zivilgesetzbuch
Verletzen Pflanzen die Abstandsvorschriften,
von Ästen auf bebauten oder überbauten
des Kantons Aargau enthält folgende Vor-
hat der Eigentümer diese zu beseitigen oder
Boden, so hat er ein Recht auf die an ihnen
schriften:
so unter Schere zu halten, dass die Vor-
wachsenden Früchte.
schriften eingehalten sind. Der Rückschnitt
Pflanze
Abstand zur Grenze
Hochstämmige Bäume,
kann zu jeder Jahreszeit und unter Umstän-
Das Kapprecht setzt eine Grenzüberschrei-
den auch mehrmals pro Jahr verlangt wer-
tung voraus und gilt auch für Kletterpflan-
den. Der Nachbar kann selbst dann auf ein
zen, Stauden und Hecken. Pflanzen, welche
Nuss- und Kastanienbäume
6 Meter
Zurückschneiden bestehen, wenn die Pflan-
auf der Grundstückgrenze stehen, werden
Obstbäume
3 Meter
ze dadurch Schaden erleidet oder abstirbt.
davon nicht erfasst. Wertlose Einjahres-
Der Anspruch auf Zurückschneiden ist in
pflanzen, insbesondere Unkraut, dürfen
sämtlichen Kantonen unverjährbar.
ohne Weiteres abgeschnitten werden, auch
Zwergbäume, Zierbäume und
Sträucher, nicht höher
als 3 Meter
Reben
wenn keine Schädigung besteht oder keine
1 Meter
1
/2 Meter
Zierbäume,
Für die Klage auf Beseitigung einer Pflanze
Frist zu Beseitigung angesetzt wurde.
im Unterabstand sehen die meisten kantonalen Gesetze eine Verjährung vor. Im
Das Kapprecht ist nur gegeben, wenn eine
Kanton Zürich beträgt die Verjährungsfrist
erhebliche Beeinträchtigung besteht. Ob
beispielsweise 5 Jahre nach der Pflanzung.
die Beeinträchtigung über das gewöhnliche
Der Kanton Aargau kennt dagegen keine
Mass hinausgeht, hängt von der Lage und
gesetzlichen Verjährungsfristen. Der Be-
der Nutzungsweise des Grundstücks ab.
Trennen Pflanzenhecken Gärten, private
seitigungsanspruch kann jedoch wegen
Sie muss von einem normal empfindlichen
Fahrwege, Haus- oder Abstellplätze dürfen
verzögerter Rechtsausübung nach 30 Jah-
Nachbarn unter den gegebenen Umständen
sie bis an die Grenze gesetzt werden.
ren verwirken, wenn in diesen Jahren kei-
als übermässig empfunden werden. Eine
nicht höher als 6 Meter
3 Meter
Pflanzenhecken
nicht höher als 1,80 Meter
12
Wohnwirtschaft HEV Aargau 10-09
1 Meter
RECHT UND PRAXIS
zukünftige Entwicklung ist nur zu berück-
Der kappende Nachbar hat, abgesehen von
sichtigten, wenn dem Nachbarn bei einem
der Möglichkeit, das abgeschnittene Holz
Zuwarten ein Nachteil entstehen würde.
zu behalten, keinen Anspruch auf Ersatz
seiner Auslagen. Ist die Kappung mit Kos-
Einwirkungen durch Laub-, Blüten-, Na-
ten verbunden, muss der Nachbar auf die
delfall, Fallobst, Tropfenfall, Schattenwurf,
Kappung verzichten und stattdessen die
Verhinderung der Aussicht oder durch das
Beseitigung der überhängenden Äste und
Anziehen von Insekten sind normalerweise
eindringenden Wurzeln mit einer gericht-
nicht übermässig.
lichen Klage verlangen.
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Eine erhebliche Beeinträchtigung ist anzu-
Richtiges und gerichtliches Vorgehen
nehmen, wenn der Nachbar in der Benüt-
Prozesse belasten die nachbarrechtliche Be-
zung von Parkplätzen, Strassen oder Wege
ziehung schwer und über eine lange Zeit-
behindert ist, Gartenarbeiten nur noch in
dauer. Oft ist aufgrund der Überlastung
gebückter Haltung vorgenommen werden
der Gerichte nicht mit einem schnellen Ent-
können, ein Bauvorhaben erschwert wird,
scheid zu rechnen. Es empfiehlt sich aus-
unterirdische Sprossen zu ungewünschten
nahmslos, mit dem Nachbarn das Gespräch
Pflanzen führen, Wurzeln den Unterhalt
zu suchen, auf dessen Bedürfnisse einzuge-
oder die Erstellung eines Weges, einer Lei-
hen und nach Möglichkeit eine Vereinba-
tung oder eines Bauwerkes behindern oder
rung zu treffen, die längerfristig für beide
diese beschädigen.
Seiten zu befriedigen vermag.
Mit der Beschwerde ist dem Nachbarn eine
Ist keine aussergerichtliche Lösung möglich,
angemessene Frist anzusetzen. Der Nachbar
muss eine Klage beim Friedensrichter ein-
muss Zeit haben, den Sachverhalt abzuklä-
gereicht werden. Dieser versucht, eine Eini-
ren, den Überhang selber zu beseitigen oder
gung unter den Nachbarn herbeizuführen.
durch einen Gärtner beseitigen zu lassen.
Kommt keine Einigung zustande, kann eine
Weiter ist auf die natürliche Vegetationszeit
Klage beim Bezirksgericht am Wohnort der
Rücksicht zu nehmen. Bei einem Baum soll-
Parteien erhoben werden. Eine direkte Klage
te die Beseitigung des Überhangs zwischen
beim Bezirksgericht ist nur möglich, wenn der
dem 1. November und dem 1. März verlangt
Nachbar sofort die Beseitigung einer einge-
werden. Bei Zierbäumen und Sträuchern
tretenen Störung verlangt. Bei wachsenden
kann eine Kappung in der Regel jederzeit ver-
Pflanzen ist schwierig feststellbar, seit wann
langt werden. Die Frist muss in Tagen, Wo-
eine Störung besteht und ob der Nachbar so-
chen oder Monaten bestimmt sein. Mit einer
fort reagiert hat. Anders sieht dies bei einer
zu kurz angesetzten Frist fängt automatisch
Neupflanzung aus, welche den gesetzlichen
eine angemessene Frist an zu laufen.
Grenzabstand nicht einhält.
Läuft die angemessene Frist ab und wer-
Bei der Geltendmachung einer Beseitigung
den die überhängenden Äste und Wurzeln
bzw. Rückschnitt von Pflanzen, welche seit
nicht beseitigt, kann der Nachbar diese
längerem bestehen, sollte somit der ordent-
selber abschneiden. Dabei dürfen nur so
liche Prozessweg mit vorgängiger Anrufung
viele Äste und Wurzeln gekappt werden,
des Friedensrichters beschritten werden.
die für die Beseitigung der Beeinträchtigung notwendig ist. Ein Rückschnitt der
Äste und Wurzeln ist nur bis maximal zur
Grundstücksgrenze zulässig. Das Abschneiden von Ästen am Stamm ist somit nicht
erlaubt, selbst wenn zukünftige Beeinträchtigungen durch das Nachwachsen der Äste
In der Dokumentation «Bäume und Sträucher
im Nachbarrecht» erhalten Sie nähere Infos.
Erhältlich beim Hauseigentümerverband
Aargau, Stadtturmstr. 19, 5401 Baden, Tel.
056 200 50 50, Fax 056 222 90 18 oder via
www.hev-aargau.ch
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