Weibliche Genitalkorrekturen. Ästhetische Notwendigkeit oder
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Weibliche Genitalkorrekturen. Ästhetische Notwendigkeit oder
Weibliche Genitalkorrekturen. Ästhetische Notwendigkeit oder Verstümmelung? KörperMORAL und LeibETHIK Barbara Maier Universitätsklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Salzburg www.drbarbaramaier.at 1. Einführung: Körperbewusstsein in dieser Gesellschaft: Der Mensch schämt sich, geboren statt gemacht zu sein. Er schämt sich der Tatsache, im Unterschied zu den tadellosen und bis ins Letzte durchkalkulierten Produkten sein Dasein dem blinden und unkalkulierten, dem höchst altertümlichen Prozeß der Zeugung und Geburt zu verdanken. G. Anders (1979) Die Antiquiertheit des Menschen, Beck, München. Körperbewusstsein in dieser Gesellschaft: Buying the „real me“… the fissure between imperfect reality and perfect self-image Beauty magazines tout the procedure of „labial rejuvenation“, in which the lips sourrounding the vagina are snipped into pre-childbirth form. Or perhaps the enhanced body should be seen as the product, and the surgeon`s art as a particular „brand“. (p135) Donna Dickenson (2008) Body Shopping. The Economy Fuelled by Flesh and Blood. Oneworld, Oxford 2. Definitionen: a) (Körper)Moral • (Körper)Moral ist die Summe der Wertvorstellungen zu Körper und Leiblichkeit in einer Gesellschaft und ihren Binnenbereichen, in die wir sozialisiert worden sind...“Binnenmoral“ der Medizin. • Moral ist das uns allen (nur allzu) Vertraute, das wir gewohnt, für das wir oft „betriebsblind“ geworden sind... • Außerdem: In das Moralische (in das Gewohnte) geht ein, daß man für die Befolgung dessen, Beifall bekommt...nehmen doch so viele daran teil... Dabei: Unser Körper(Bewusstsein) – eine gesellschaftliche Konstruktion? Zur Moralisierung unseres Körpers (Bewertungen). In unseren Körper als soziale Konstruktion gehen ein: Inkulturationen des Wissens, der Haltung, der Schönheitsideale, des Umgangs mit unserem Körper,… Beispiele: Beschneidung, Female genital cutting,… Relevanz in allen Beziehungen: Sexualität, Partner, Arzt/In-Patient/In,…formen die Beziehung zum eigenen Körper wie zu dem anderer Menschen. Körpergeschichte(n) Sex und GENDER Dimensionen (anhand von Sexualität, Fortpflanzung, Schwangerschaft und Geburt, Altern,…) Ein Beispiel: Waris Dirie, Die Wüstenblume, Beschneidung als Inkulturation der Frau in eine nomadische Gesellschaft. Moralisches Erfordernis, um in dieser Gesellschaft als Frau (über)leben zu können. Konsequenzen der Beschneidung (als Anwendung einer gesellschaftlich akzeptierten moralischen Wertvorstellung): Verstümmelung in körperlicher/sexueller, psychischer Hinsicht... Menstruationsbeschwerden, Probleme bei der Geburt, Infektionsgefahr, viele Frauen sterben... Ethische Kritik: an den Folgen orientiert: in erster Linie für Betroffene, dann auch für die Gesellschaft, in der sie leben. 2. Definitionen: b) Leib-Ethik Ethik: Analyse der Folgen von Erfüllung von Normen, Wünschen, medizinischen Indikationen • Ethik ist Evaluation der Folgen • Ethik ist kritische Durchleuchtung der VorausSetzungen • Ethik ist Normen/Wertekritik • Ethik ist kontextsensitiv • Ethik deckt Inkonsistenzen, Widersprüche auf • Ethik nimmt konkrete Menschen in konkreten Situationen in den Blick Moral und Ethik: Auseinandersetzung und Vermittlung Anw e MORAL Σ der Wertvorstellungen in einer Gesellschaft Dialektische Prozesse ndu ng Folgen it ik r K he c s i Eth Ethik = Kritik von Moral 3. a) Die Gynäkologie als Teil gesellschaftlicher Körperkonstruktionen. Die Gynäkologie wird nicht müde, immer neue Losungen, Normen und die dazu passenden Therapien auszugeben. Gesundheit und Glück (und sexuelle Erfüllung) werden als machbar gehandelt. Damit weckt sie bei Frauen auch immer neue Hoffnungen und Ansprüche. Eine Spirale gegenseitiger Erwartungen dreht sich so immer schneller und bestimmt das Verhältnis zwischen den Patientinnen und ihren Frauenärzten. S.9 Eva Schindele, Pfusch an der Frau. Krankmachende Normen.Überflüssige Operationen. Lukrative Geschäfte. Fischer TB1993/1997 z.B. Schamlippenverkleinerung ...google 233 Einträge Designer-Vagina Dazu die Psychologin Elisabeth Schütz. Sie hat für operationswillige Damen jedenfalls keine guten Nachrichten: «Eine Operation bringt nicht die erwünschte erotische Attraktivität». Erotik entsteht mit der Akzeptanz des eigenen Körpers. Es geht auch nicht nur um das Gefallen, sondern um die «Lust an der eigenen Lust». ACOG American College of Obstetricians and Gynecologists. Committee Opinion No 378: Vaginal „rejuvenation“ and cosmetic vaginal procedures. So-called „vaginal rejuvenation“, „designer vaginoplasty“, „revirgination“, and „G-spot amplification“ are vaginal surgical procedures being offered by some practicioners. These procedures are not medically indicated, and the safety and effectiveness of these procedures have not been documented. Clinicians who receive requests from patients for such procedures should discuss with the patient the reason for her request and perform an evaluation for any physical signs or symptoms that may indicate the need for surgical intervention. Women should be informed about the lack of data supporting the efficacy of these procedures and their potential complications, including infection, altered sensation, dyspareunia, adhesions, and scarring. Obstet Gynecol. 2007 Sep;110(3):737-8 3.b) Psychosomatik in Gynäkologie und Geburtshilfe: Mein Körper – das bin doch ich? Oder doch nicht? • Ich habe (m)einen Körper (geborgt, gekauft, gemietet,...) „Our bodies - ourselves“. • Ich bin (m)ein Körper... ich erlebe ihn (mich in ihm), überdenke, forme, genieße, konstruiere, rekonstruiere ihn (nach “meinen“ Wünschen, gesellschaftlichen Vorgaben,...) Wer aber sind/werden wir sein, wenn wir uns durch chirurgische Eingriffe verändern lassen (müssen)? • Und mein Körper formt auch mich... Dass „Schönheitsoperationen nicht nur auf ein „besseres“ Aussehen... Operationen im Intimbereich nicht nur auf eine bessere sexuelle Erfüllung ... abzielen. Nicht nur der Busen wird größer, die Schamlippen kleiner, sondern auch unser Selbstbewußtsein. Blonde, Joyce Carol Oates‘s masterpiece is a deeply moving exploration of the inner life of the woman who became Marilyn Monroe and a portrait of American culture hypnotised by ist own myths. P. 52f: „your body is fragile and breakable, like a doll; your body IS a doll; your body is for others to admire and to pet; your body is to be used by others, not used by you; your body is a luscious fruit for others to bite into and to savor; your body is for others, not for you.“ Mein Körper – das bin doch ich? Oder doch nicht? • Unser Körper ist sozusagen das Modem zwischen unserer Seele und der Außenwelt (Mia Vidovic, PMU, 1.JG) Mein Körper ist zu einer Plattform geworden, über die die Seele sich ausdrücken, sich repräsentieren und interpretieren möchte... für sich selbst und andere. • Der Körper individualisiert und sozialisiert ... deindividualisiert und desozialisiert als (m)ein Körper im Vergleich zu anderen Körpern oder auch bloß Körperbildern? Wem gehört mein Körper??? Die Frau beim Frauenarzt: Vielfach steht das Selbstbild der Frau zur Disposition., ihre Integrität, die verschiedenen Rollen in der Gesellschaft…kulturelle Klischeevorstellungen das medizinische Bild vom weiblichen Körper ist keineswegs wertneutral… S.15 die weibliche Geschlechtlichkeit zu definieren, zu normieren, zu kontrollieren… S.23 Eva Schindele, Pfusch an der Frau. Krankmachende Normen.Überflüssige Operationen. Lukrative Geschäfte. Fischer TB1993/1997 Ethik und Ästhetik einer Binnenmoral Dialog? Ist die Beziehung zum eigenen Geschlecht(s teil) chirurgisch herstellbar? 3.c) Zum Geschäft: „Und wie so oft in unserem medizinischen Versorgungssystem sind die wirtschaftlich Interessierten zugleich die Experten, die die Notwendigkeit bestimmter ärztlicher Leistungen feststellen und propagieren.“ …S.21 Eva Schindele, Pfusch an der Frau. Krankmachende Normen.Überflüssige Operationen. Lukrative Geschäfte. Fischer TB1993/1997 3.d) Der schöne, attraktive, ewig junge... Körper. Wir sind schön. Sind wir schön? Was ist Schönheit/Erotik? Ein „open context term“? • Schönheit: „truth by consensus“: Schön ist, was ein repräsentativer Querschnitt von Menschen als schön bezeichnet... S. Niederbrunner, Echo, März 2008,31 • „Schönheit ist ein vermientes Gelände. Schon die Tatsache, dass die einen sie haben und die anderen nicht, macht die Sache brisant.“ U.Renz, Schönheit. 2006, Berlin Verlag • „Schönheit ist ein Affront gegen einen unserer heiligsten Werte: dass alle Menschen mit gleichen Chancen ins Leben starten.“ U. Renz, Schönheit. 2006, Berlin Verlag Ist Lust chirurgisch herstellbar? Operative Kurzschlüsse in einem somatisch monomanen Modell… Somatische Reduktion: In der Gebärmutter sitzt die Hysterie: Hysterektomie ist die Therapie der Hysterie. „Hysterisch“ für eine bestimmte Persönlichkeitsstruktur, die als charakteristisch „weiblich“ angenommen und mit emotionaler Labilität, Reizbarkeit, Suggestibilität, Theatralik,... assoziiert wird. 4. Weibliche Genitalkorrekturen • Medizinisch indiziert: Descensus, Prolaps, ...Fehlbildungen (Scheidenseptum, MayerRockitansky-Küster-Hauser-Syndrom, Hymenalaplasie, • Sind Wünsche nach „Selbstdiagnostik“, nach medialer Persuasion,... medizinisch zu erfüllen? 4.a) Exkurs: Wünsche... • In den alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat... („Der Froschkönig“, Märchen der Gebrüder Grimm ) • Wünsche sollen maßvoll sein, andernfalls werden sie nicht erfüllt oder ihre Erfüllung ist ein Danaergeschenk... („Der Fischer und seine Frau“,...) • Sind auch unsere Wünsche normiert? Was sollen/können/dürfen wir uns wünschen? • Wunsch nach Gesundheit, Schönheit, ,Erotik, erfüllter Beziehung, einem „guten“ Leben • Gibt es auch Wünsche, Normen, die krank machen? Analyse der Folgen von Wunschverwirklichung Dort, wo das Wünschen nicht auf Lebenssteigerung zielt, sondern auf die Vernichtung der Heldin/ des Helden, wandelt es sich zur schicksalsmächtigen Kategorie des Verwünschens. „Dornröschen“, „Schneewittchen“, „Die weiße Schlange“ (Gebrüder Grimm) Dazu die Aussage einer KW-Patientin: „Könnte ich nur vom Wünschen befreit werden.“ Wünschen • Wünschen bezieht sich auf.... Wir freuen uns auf etwas und öffnen uns in unseren Möglichkeiten. Positive Lebensdynamik. • Wenn Wünschen negativ besetzt wird: Angst: was gewünscht wird nicht zu erreichen Neid: zu wünschen, was jemand anderer hat Minderwertigkeitsgefühle: Wünsche nicht realisieren zu können... Wenn ein Wunsch erfüllt werden soll, ist zu fragen, unter Inkaufnahme welcher Folgen das geschehen soll. Ethik: Folgenanalyse Wieviel Kraft ist für den Umgang mit diesen geblieben? Sind die Folgen des Eingriffs belastender als der z.B. ein Schönheits“fehler“. 4.b) Medizinische Indikationen (und ihr ethisches Potential) – Kontraindikationen... Teil medizinischer Binnenmoral • regeln (regelten bisher) ein medizinisches System nach medizinischen Kriterien: waren Orientierungshilfen, ermöglichten eine gewisse („harte“, „weiche“ Indikationen) Transparenz, Nachvollziehbarkeit med. Entscheidungspfade, sprachen Zugangsberechtigung aus,... ihre kritische Anwendung blieb dem Entscheidungsspielraum der Ärzt/Innen überlassen,... • Ökonomisierung: Angebot und Nachfrage ohne die Folgen zu analysieren. Werte-Shifts? 4.c) Wünsche – Kontra – Indikationen (wenn Wunscherfüllung kontraindiziert ist) eine ethisch-kritische Folgenanalyse • Wunscherfüllung fällt aus dem medizinischen System heraus... • Wunscherfüllung in der Medizin gegen die Normen (Indikationen: ethisches Potential) der Medizin verstoßen würde, gegen die medizinische Binnenmoral • Binnenmoral der Medizin und ihrer Bereiche – Bürgermoral... ethisch-kritische Analyse (Folgen, Kontextsensitivität, Inkonsistenzen) Ein anderes Modell: Das Meikirch-Modell Bircher J, Wehkamp K-H (2006) Das ungenutzte Potential der Medizin. Analyse von Gesundheit und Krankheit zu Beginn des 21.Jahrhunderts. rüffer & rub, Sachbuchverlag Zürich. Sachgerechte Gesundheits-/Krankheitsdefinition: Definition von Schönheit/Erotik.... Im Zentrum: Begriff des POTENTIALS mit 2 Komponenten: Biologisch gegebenes und ein persönlich erworbenes Potential. In diagnostischem und therapeutischem Handeln sind beide zu berücksichtigen und in ein Verhältnis zu den Ansprüchen des Lebens und zur Eigenverantwortung zu setzen. Gegen ein objektivistisch-reduktionistisches Krankheitsverständnis Schönheits/Erotik-Verständnis G/K: Ausdruck von Lebensprozessen, narrativ zu erfassen,... Verantwortung des Individuums wie des sozialen Umfelds, sich um sein persönliches Potential zu kümmern... 5.Zsf.: Von der KörperMORAL zu einer personalen ETHIK des Leibes • Unser Körper(bild) ist keine nackte Tatsache, sondern eine vielfach konstruierte Wirklichkeit. • Die Kreationen/Konstruktionen wirken auf unser „Leiben und leben“ und bedürfen einer ethisch-kritischen Bewertung in Hinblick auf die Folgen, die durch sie entstehen.