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dossier.charts-reform Singles- charts-reform.dossier Wenn Downloads die physischen Tonträger ablösen, verändern sich auch die Charts Treff im Internet München – Seit Jahresbeginn tragen die britischen Charts dem Boom des Digitalmarkts Rechnung. Downloadtracks werden seitdem mitgezählt, selbst wenn sie nicht als physischer Tonträger erhältlich sind. Reaktionen des Handels und der Medien ließen nicht lange auf sich warten. Doch nicht alle Marktteilnehmer begrüßen das neue Erhebungsverfahren. Und langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass die Interessen der verschiedenen Beteiligten durchaus divergieren. Single-Verkäufe in UK seit 1996 80 70 ■ physisches Produkt Single ■ Downloads 60 50 40 30 20 10 0 Angaben in Millionen Stück Quelle: BPI / The Official UK Charts Company 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 Paradigmenwechsel: Seit 2004 geht es in Großbritannien mit Downloadverkäufen steil nach oben, physische Singles stürzen ab Der Plan war seit November 2006 bekannt und wurde zum Jahresbeginn 2007 umgesetzt: Seitdem qualifizieren sich in Großbritannien für eine Platzierung in den Singles-Charts auch Titel, die nur als Download erhältlich sind. Bislang gingen nur Singles in die Wertung ein, die es auch als physische Tonträger im Handel gab. Auslöser für das neue Erhebungsverfahren war die Entwicklung der digitalen Verkaufszahlen: In Großbritannien wuchs der Gesamtmarkt für Singles im Jahr 2006 um 39,7 Prozent auf 66,9 Millionen verkaufte Titel; das ist der beste Wert seit 1999, und er liegt rund doppelt so hoch wie der des Jahres 2004, als der britische SinglesMarkt ein absolutes Tief von 32,3 Millionen Einheiten verzeichnete. Verantwortlich für den Boom ist das Digitalgeschäft, das eine Zuwachsrate von 98,9 Prozent aufweisen konnte – siehe nebenstehende Kurvengrafik. Inzwischen werden rund 79 Prozent aller Singles in Großbritannien digital verkauft. „Die letzten 54 Jahre wählte eine Tonträgerfirma für eine Single einen Track aus, presste ihn auf Plastik und brachte ihn zu einem bestimmten Datum in den Handel“, sagte Chartswächter Steve Redmond vom Dachverband der British Phonographic Industries (BPI) anlässlich der Umstellung. „Von nun an kann 3 9 dossier.charts-reform Händler uninteressant, für einen Onlineanbieter wiederum sinnvoll.“ Die Reaktion von HMV sei daher „logisch und auch London (ks) – Seit seinem Amtsantritt als Director of Communications & Development beim britischen Phonoverband BPI im Frühjahr 2004 verantwortet der ehemalige Chefredakteur der früheren sinnvoll“. Doch der Trend entwickle sich britischen Branchenmagazine „fono“ und „MBI“ auch das Gesicht der britischen Charts. „auch in Deutschland in diese Richtung“. Allerdings stellt der HAMM-Vorsitzende, lung auf das neue System, zum zum erfolgreichen Einbau der MusikWoche: Was sind Ihre der als Geschäftsführender Gesellschafter Beispiel bei den Metadaten? Downloads in die SinglesErfahrungen aus den ersten Redmond: Für uns war die enge Charts. Tatsächlich gab es zwar beiden Charts-Wochen unter den Systemgroßhändler TMI leitet, auch Zusammenarbeit mit CatCo, den vor zwei Jahren Anlaufschwiedem neuen Regelment? die Ausgestaltung der aktuellen MusikBetreibern der Tonträger-Daten- rigkeiten bei der korrekten und Steve Redmond: Nach nur zwei Woche Top 100 zur Diskussion: „Wir müszeitnahen Datenlieferung der bank für die britische MusikWochen zeigen die neuen branche, und mit den Marktfor- Labels an CatCo, inzwischen Regeln bereits erhebliche Aussen uns von dem Gedanken verabschieschern von Millward Brown, die läuft dieser Prozess aber glatt. wirkungen: Alle vier Neueinden, dass es nur eine einzige glückseligMW: Führen Sie Gespräche mit im Auftrag der Official Charts steiger in der jüngsten Hitliste – machende Charts gibt. Wir brauchen als HMV über deren Abschied von Company (OCC) die Verkaufsvon den Künstlern Mika, Just den OCC-Charts? zahlen ermitteln, der Schlüssel Jack, The View und den KlaBasis sicherlich offizielle, objektiv ermitRedmond: Ich finde die Entscheixons – basieren einzig auf den telte Charts; daneben muss es aber Flexibidung von HMV sehr bedauerVerkäufen von Downloads. Zulität in der Ausgestaltung geben.“ Laut lich, die Official UK Singles dem haben wir mit Koopa auf Chart in ihren Geschäften durch Platz 31 eine Band ohne PlatWessendorf hängt die Gestaltung der Hiteine Liste ihrer eigenen Marketenvertrag, die mit der Vermarklisten und die Anzahl der dargestellten tingschwerpunkte zu ersetzen. tung ihres eigenen Downloads Plätze auch vom jeweiligen Betriebstyp Aber HMV ist nicht der erste einen Hit landen konnte. Noch Händler, der diesen Schritt geht. vor drei oder vier Jahren sprades Händlers ab: „Ein innerstädtisches In gewisser Hinsicht stärkt diese chen die Leute über den Tod der Medienhaus braucht eine breitere AusEntscheidung sogar die Position Single oder zumindest über das wahl als ein Verbrauchermarkt auf der der offiziellen Charts als verlässEnde der Singles-Charts. Mit lichster Leitfaden für die VorlieHilfe von Downloadverkäufen grünen Wiese. TMI Group stellt daher ben der britischen Musikfans. hat der Markt für Singles aber schon seit langem seinen Kunden eigene, Trotzdem sprechen wir selbstbinnen drei Jahren sein Voluden Bedürfnissen der Händler angepasste verständlich mit HMV und den men verdreifacht und ist heute anderen wichtigen Händlern spannender als vor zehn Jahren. Charts zur Verfügung.“ Proteste des Handarüber, wie wir unser Angebot MW: Gab es irgendwelche Führt Gespräche mit HMV: delsverbands hatten bereits bei der in für sie verbessern können. Schwierigkeiten bei der Umstel- Steve Redmond Deutschland zunächst vorgesehenen Beimischung von vorab verkauften Downloads in die MusikWoche Top 100 Singles ren, da auch viele unabhängige Händler eine Single jeder Track sein, der zum für eine Kehrtwende gesorgt: Derzeit flieDownload steht. Es kann ein Albumtrack dem Beispiel von HMV folgen dürften. ßen nur solche digitalen Verkäufe in die oder ein Golden Oldie sein oder natürlich „Damit wir keine Lücken in den Regalen deutschen Charts ein, bei denen es zum haben, greifen wir künftig auf unsere ein physischer Tonträger.“ Beim Handel Downloadtrack auch ein physisches Äquieigenen Charts zurück“, sagt Knott. Mit allerdings stieß der Vorstoß des BPI auf valent gibt. Auch Karstadt braucht nicht dieser Begründung trifft er den wunden Widerspruch: Die Handelskette HMV veralle 100 Hits auf einer Liste: Die Musikzichtet in Großbritannien künftig darauf, Punkt des stationären Handels auch abteilungen in den in Deutschland: „Die die von der Official Charts Company (OCC) Filialen des Konzerns aufgestellten Hitlisten in ihren Regalen Ausgestaltung der Charts muss sich an arbeiten mit Chartsoder per Aushang zu präsentieren. Statt Postern von Musikdes offiziellen Hit-Rankings, das HMV seit deren Verwendung Woche, die bei den den 60er-Jahren in den Läden ausstellte, orientieren“, fordert Longplays lediglich 50 Alexander Wessenwill die Kette in Großbritannien und Irland Plätze umfassen und künftig eigene Verkaufslisten präsentiedorf als Vorstandsvorsitzender des Handelssich bei den Singles ren. Das bestätigte Steve Knott noch kurz auf die Top Ten bevor seiner überraschenden Ablösung als verbands HAMM. „Im Managing Director bei HMV: „Wir haben Handel werden die Machen Front gegen Downloads: der HAMM- schränken. In Großbritannien profitieren Charts als Verkaufs- Vorsitzende Alexander Wessendorf (l.) und uns immer genau an die OCC-Charts förderung genutzt, sie der scheidende HMV-Manager Steve Knott derweil erste Newgehalten, nun können wir das aber nicht comer von den neuen mehr tun, da ein gewisser Anteil der geligeben dem Kunden Regularien: So platziert sich in der aktuelsteten Titel nicht mehr als physischer TonOrientierungshilfe und Kaufimpulse.“ Für len Woche mit Koopa ein Act auf Rang 31, träger erhältlich ist.“ Beobachter rechnen Wessendorf gilt: „Es hat nur Sinn, im Hander Downloads in Eigenregie vermarktet. damit, dass die OCC-Hitlisten auf den bridel verfügbare Produkte in den Charts tischen Einkaufsmeilen, der sogenannten abzubilden. Ein nur digital erhältliches Dem Trio aus der Grafschaft Essex gelingt der Charts-Einstieg mit der Single „Blag, High Street, massiv an Bedeutung verlieProdukt in den Single-Charts ist für den Nachgefragt bei Steve Redmond: „Singles-Markt ist heute spannender“ 10 4/2007 charts-reform.dossier von 7 Digital, sieht diesen Erfolg als BeiSteal & Borrow“, die ausschließlich als spiel für die veränderten RahmenbedinDownload erhältlich ist. Verkauft wurde der Titel vor allem von Shops, die der Digigungen im Musikgeschäft: „Jede Band mit einer robusten Anhängerschaft kann nun talvertriebsdienstleister 7 Digital erstellte. Rund 95 Prozent des Absatzes bewältigten den Charts-Einstieg schaffen.“ Wie lange Koopa nun noch ohne Plattenfirma bleibt, zwei von 7 Digital betreute Webshops, über die „Blag, Steal & Borrow“ in den Formuss sich zeigen. Es hätten sich zuletzt maten MP3, AAC und WMA für 77 Pence viele Labels bei ihnen gemeldet, verriet oder umgerechnet 1,17 Euro erhältlich ist. Die Band Koopa besteht bereits seit sieben Jahren und absolvierte in den letzten drei Jahren fast 500 Live-Auftritte. Dennoch unterschrieben die Punkrocker bislang nicht bei einer Plat- Profitiert von den neuen Regeln: die Gruppe Snow Patrol tenfirma. Der Erfolg kam Sänger und Bassist Joe Murphy der BBC – nun über die Eigenpromotion im Internet – Koopa nutzt Networking-Portale und unter anderem eine Firma, die Koopa in der Vergangenheit abgelehnt hatte. Aber mobile Anwendungen, um die über die Jahre aufgebaute Fangemeinde auf dem auch bestens etablierte Acts können von Laufenden zu halten. So informierte den neuen Regeln profitieren: Die Univerzuletzt eine SMS die Fans über die Versal-Band Snow Patrol, mit 1,5 Millionen verkauften Exemplaren ihres Longplayers öffentlichung der neuen Single; das „Eyes Open“ immerhin bestverkaufter briMySpace-Profil der Band verwies auf die tischer Album-Act im Jahr 2006, schaffte Kaufangebote. Ben Drury, Geschäftsführer in der ersten Woche unter den neuen Bestimmungen mit „Chasing Cars“ den Wiedereinstieg auf Platz neun der britischen Singles-Liste, obwohl die Maxi-CD zwischenzeitlich gestrichen wurde. Die Beimischung von Downloads gibt es in Großbritannien schon seit April 2005. Damals hatten die Gorillaz für Ärger gesorgt, als sie von ihrem Titel „Feel Good Inc.“ gerade mal wenige Hundert Vinyl-Singles pressen ließen – ansonsten verkauften die Band und ihr zum EMI-Konzern zählendes Label Parlophone das Stück vor allem als Datei. Kurz vor dem Trick der Gorillaz war zudem die vorab als Download veröffentlichte Coldplay-Single „Speed Of Sound“ von der Charts-Erhebung ausgeschlossen worden – ebenfalls ein EMI-Titel. Schon damals konnte EMI-Manager Tony Wadsworth, der derzeit gerade an die Spitze des britischen Phonoverbands BPI rückt, die Kritik vor allem des stationären Handels nicht nachvollziehen: „Ein Verkauf ist und bleibt ein Verkauf“, postulierte er damals. Diese Einschätzung scheint sich in UK inzwischen durchgesetzt zu haben. Knut Schlinger, Magnus Lauster Nachgefragt bei Alexander Maurus: „Wir haben online teils höhere Verkaufszahlen als im physischen Bereich“ Hamburg – Als Vorsitzender des Charts- und Marketingausschusses der deutschen Phonoverbände beschäftigt sich Alexander Maurus, Managing Director Warner Music Germany, intensiv mit dem Thema Charts. MusikWoche fragte ihn nach dem Stand zum Thema Downloads und deren Charts-Beimischung. MusikWoche: Wie steht der Charts & Marketing-Ausschuss zur Frage, ob nur digital erhältliche Songs in die Singles-Charts dürfen? Alexander Maurus: Wir diskutieren das Thema seit längerem und arbeiten daran, es auch in Deutschland über kurz oder lang möglich zu machen, mit einer digitalen Veröffentlichung in die Charts zu gehen. MW: Wann kann es soweit sein? Maurus: Wann das genau der Fall sein wird, ist schwer zu sagen. Es bedarf doch einiger Überlegungen und technischer Voraussetzungen, aber daran arbeiten wir. Vielleicht schaffen wir es noch in der ersten Hälfte dieses Jahres. MW: Wie sieht der Status Quo bei den Charts-Regeln aus? Maurus: Derzeit werden die digitalen und physischen Verkäufe ab Veröffentlichung des physischen Produkts zusammengezählt; digitale Vorabverkäufe zählen nicht. MW: Wäre eine Umstellung sinnvoll? Maurus: Wir haben inzwischen im 4/2007 Onlinebereich Verkaufszahlen, die teils deutlich höher liegen als im physischen Bereich. Dem müssen wir Rechnung tragen. MW: Gibt es dafür Beispiele? Maurus: Einige. Aus dem Hause Warner zum Beispiel unsere erste Single von P. Diddy, „Come To Me“. Dieser Titel hat weitaus mehr Downloads verkauft als Tonträger. MW: Rechnen Sie mit Reaktionen aus dem Handel, wie sie derzeit in Großbritannien bei HMV zu beobachten sind? Maurus: Das wäre für uns in Deutschland nichts Neues; WOM zum Beispiel hat seit vielen Jahren seine eigenen Charts und stellt diese auch aus. Es gibt eine Vielzahl von Charts von Amazon bis zu iTunes, an denen sich die Kunden auch orientieren. Die von Media Control erstellten Charts erfassen aber alle Verkäufe und sind deshalb für uns von großer Bedeutung, da sie all das zu einer Essenz zusammenfassen und so die nötige Orientierung für die Medien, die Musikindustrie und für den Handel liefern. MW: Was kann die Musikwirtschaft tun, um ähnliche Reaktionen des stationären Handels in Deutschland zu vermeiden? Maurus: Wir stehen im ständigen Dialog mit dem Handel und haben uns auch zu diesem Thema vor einiger Zeit zusammengesetzt und proaktiv Lösungsansätze besprochen. Der Handel, der zum Teil die Breite seiner Chart-Racks bereits zurückgefahren hat, hat sehr sachlich mit uns diskutiert und zeigte sich auch unseren Argumenten gegenüber aufgeschlossen. So bietet die Vorabveröffentlichung eines Downloads uns und dem Handel zum Beispiel auch die Möglichkeit, aus einer gut gesicherten Marktbetrachtung heraus den folgenden Tonträger zu ordern. MW: Kürzlich stand auch die Beimischung von Album-Downloads in die deutschen Longplay-Charts im Fokus – wie ist hier der aktuelle Stand? Maurus: Hier stellt sich die Situation ähnlich dar. Derzeit werden die technischen Voraussetzungen geschaffen, und wir gehen davon aus, dass sich die Beimischung der AlbumDownloads etwa im gleichen Zeitrahmen wie bei den ausschließlich digital erhältlichen Songs umsetzen lassen wird. Bezieht den Handel in die ChartsPlanungen ein: Alexander Maurus 11