Gerlingen, den
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Westdeutscher Rundfunk Intendantin Frau Monika Piel Appellhofplatz 1 50667 Köln 03. Mai 2011 Offener Brief: WDR/ARTE Produktion „Manege frei“ Sehr geehrte Frau Piel, der WDR genießt in der deutschen Medienlandschaft einen exzellenten Ruf für seinen kritischen Journalismus und seine inhaltlich hochwertigen Reportagen. PETA Deutschland e.V. ist daher in höchstem Maße entsetzt über die vollkommen undifferenzierte und einseitige Darstellung des Themas Wildtiere im Zirkus, welches in der fünfteiligen WDR/ARTE-Produktion „Manege frei“ vom 25. bis zum 29. April behandelt wurde. Die gänzliche Ausblendung vorhandener konträrer Standpunkte und die offensichtliche Parteinahme für die Zirkuslobby stellt ein Versäumnis journalistischer Grundprinzipien dar, wie dies im öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den letzten Jahren nicht mehr zu beobachten war. Es wäre eine Untertreibung zu behaupten, dass dieses Thema seit vielen Jahren von Experten, der Politik, den Tierschützern, der Öffentlichkeit und den Zirkusbetrieben äußerst kontrovers diskutiert wird. Jedoch kam in der TV-Reihe „Manege frei“ weder eine einzige kritische Stimme zu Wort noch wurde im Rahmen der Sendung über die vielfach dokumentierten und wissenschaftlich beschriebenen physischen und psychischen Erkrankungen von Wildtieren berichtet, die in der Regel durch ein Leben im Zirkus verursacht werden. Journalistisch und wissenschaftlich völlig untragbar ist darüber hinaus die durch eine Gegenüberstellung von Filmsequenzen versuchte Implizierung, dass es Wildtiere besser in Gefangenschaft hätten als in freier Natur. Häufig wurde die freie Natur verfälscht als lebensfeindliche Umwelt dargestellt und in darauffolgenden Szenen ein Zirkus als sichere Zuflucht verherrlicht. Aufgrund von - - zahlreichen Fällen dokumentierter Tierquälerei und Fällen schwerer Misshandlungen von Tieren in deutschen Zirkusbetrieben1 sehr zahlreich dokumentierten Verstößen gegen die Leitlinien für die Haltung von Tieren in Zirkusbetrieben in deutschen Zirkusbetrieben2 sehr zahlreich dokumentierten gefährlichen Unfällen und Ausbrüchen von Tieren aus einem Zirkus3 zahlreichen Veröffentlichungen von renommierten Wildtierexperten und Zoologen, die die Unmöglichkeit einer artgerechten Haltung von Wildtieren im Zirkus wissenschaftlich begründen4 dem aus pädagogischer Sicht verheerendem Bild, welches Kindern vermittelt wird, wenn sie Wildtiere in kleinen Käfigen sehen, die unter Einsatz von Peitsche, Stock und Elefantenhaken gedemütigt werden5 hat/haben - - - - sich die Bundestierärztekammer 2010 gegen die Haltung von Wildtieren im Zirkus ausgesprochen6 der Bundesrat bereits 2003 in einem Entschließungsantrag ein grundsätzliches Verbot von Wildtieren im Zirkus gefordert7 die Stadt Köln im Jahr 2008 ein Verbot für Zirkusbetriebe auf städtischen Flächen erlassen, die dort mit Wildtieren auftreten wollen. Ähnliche Verbote gibt es in München, Stuttgart, Heidelberg und weiteren Städten8 sich einer repräsentativen Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung zufolge der Großteil der Bevölkerung in Deutschland mit einer Zweidrittelmehrheit im Oktober 2010 gegen die Haltung von Wildtieren im Zirkus ausgesprochen9 die Parteien Die Grünen, die SPD und Die Linke im März 2011 im Bundestag erneut für ein grundsätzliches Verbot von Wildtieren im Zirkus gestimmt10 Österreich im Jahr 2005 die Haltung von Wildtieren im Zirkus verboten, nachdem namhafte österreichische Zoologen ein entsprechendes Gutachten veröffentlichten. In 12 weiteren europäischen Staaten ist die Haltung von Wildtieren im Zirkus ebenfalls verboten oder stark eingeschränkt11 alle großen deutschen Tierschutzverbände in einer gemeinsamen Erklärung an die Bundesregierung im Oktober 2010 ein Verbot der Wildtierhaltung in Zirkusbetrieben gefordert12. Zusätzlich zu den vorgenannten, nicht erwähnten Fakten wurden konkret in den einzelnen Sendungen wichtige, für die Zirkusbetreiber unangenehme Informationen zurückgehalten, die aber mit einem Minimalaufwand an Recherche direkt zutage kommen. So wurde beispielsweise im zweiten Teil der TV-Reihe über Elefanten „versäumt“, davon zu berichten, dass - - - - - fast 100% der ca. 70-90 Elefanten in deutschen Zirkusbetrieben Wildfänge sind, die alle in einer grausamen und schmerzhaften Prozedur für die Haltung in Gefangenschaft gefügig gemacht wurden13 (Stand 2003) die Lebenserwartung von Elefanten in Gefangenschaft, insbesondere bei afrikanischen Elefanten, deutlich geringer ist als bei ihren Artgenossen in freier Wildbahn14 mindestens die Hälfte aller Elefanten in Gefangenschaft unter Fußerkrankungen leidet, die zu schwerwiegenden Behinderungen oder sogar zum Tod führen können. Fußentzündungen und Arthritis sind die häufigsten Gründe für das Einschläfern von Elefanten in Gefangenschaft15 von 1980 bis 2010 alleine 24 Unfälle nur mit Elefanten in Deutschland bekannt geworden sind. Im gleichen Zeitraum gab es weltweit 104 Zwischenfälle mit Elefanten im Zirkus wobei 44 Personen getötet und 141 Menschen verletzt wurden16 die Direktorin des mehrfach in der Sendereihe erwähnten Circus Krone Frau Christel Sembach-Krone bereits wegen Tierquälerei rechtskräftig verurteilt wurde. Gutachtern zufolge führten die Zirkusbedingungen bei den Elefanten des Circus Krone zu schmerzhafter Arthritis, zu eitrigen Abszessen und zu schweren Verhaltensauffälligkeiten. Alle Elefanten bei Krone sind in freier Wildbahn gefangen und weben stereotyp mit ihren Körpern. Dies ist eine durch die Gefangenschaft bedingte Verhaltensstörung, unter der sie sehr leiden.17 Ferner kritisieren wir die pseudowissenschaftliche Methodik, mittels einer Speicheluntersuchung den Gemütszustand eines Tieres erfassen zu wollen. Diese in der TVReihe durchgeführte Entnahme der Speichelproben ist weder repräsentativ noch kann aus den Ergebnissen ein Rückschluss auf das Wohlbefinden der Tiere gezogen werden. Die Art und Weise der Präsentation der Ergebnisse soll dem Zuschauer vermitteln, dass es Wildtieren im Zirkus gut ginge. Erkenntnisse über das Wohlbefinden eines Wildtieres in Gefangenschaft mit einem Hormonwert aus einer Speichelprobe zu gewinnen ist jedoch ein groteskes Unterfangen. Die Probleme der Gefangenschaft von Wildtieren im Zirkus sind derart komplex und vielschichtig, dass es einer ganzen Reihe von Untersuchungen bedürfte, um annähernd zu einem Ergebnis zu kommen. Die Art und Weise der Bildzusammenschnitte von verletzten Tieren in freier Wildbahn im Gegensatz zu scheinbar gesunden Tieren im Zirkus weisen manipulativen Charakter auf. In der ersten Sendung über Raubkatzen wird ein derartiger Zusammenschnitt (Min. 10:00) zwischen einem verletzten Löwen in freier Wildbahn und dem Löwen Masai im Circus Krone mit folgender Erläuterung kommentiert: „So gesehen belegt Masais Haarpracht, dass er sich wohlfühlt in dieser Umgebung.“ Weitere Sprecher-Kommentare wie beispielsweise „Raubkatzen sind nicht auf die Wildnis angewiesen“ (Sendung 1/5, Min. 41:45) oder in Bezug auf die Seelöwen (Sendung 3/5, Min. 06:20) „gemessen am kalifornischen Alltag sind die Aufstiege in der Manege geradezu bequem“ runden das Bild einer unseriösen und tendenziösen Darstellungsweise ab. Sehr geehrte Frau Piel, aufgrund der vorgetragenen Fakten und Argumente erwarten wir in Bezug auf die Sendereihe „Manege frei“ von den Programm-Verantwortlichen von WDR und ARTE eine inhaltliche Korrektur. Wir fordern Sie höflich auf, in den jeweiligen Mediatheken bzw. bei etwaigen zukünftigen Wiederholungen oder Ausstrahlungen auf anderen Kanälen, etwa den „Dritten Programmen“, in einem neuen, hinzugefügten Teil auf die Kritik von Experten, Politik und Tierschutzverbänden zu verweisen. Ebenso muss diese Kritik auf den ARTE- und ARD/WDR-Internetseiten zu finden sein, auf denen die Sendung angekündigt wird oder bereits beschrieben ist. Wir bitten Sie um Ihre Stellungnahme. Mit freundlichen Grüßen Peter Höffken Referent Tiere in der Unterhaltungsindustrie PETA Deutschland e.V. Tel. 07156 / 17828-18 Email: [email protected] Nachweise: 1) http://www.peta.de/web/wildtierdressur.2987.html http://www.veganblog.de/2011/03/29/schockierendes-undercover-video-elephant-im-zirkusgrausam-gequalt/ 2) Allein in Berlin stellten Veterinäre im im Jahr 2009 in den Berliner Zirkuszelten mehr als 200 Verstöße gegen die Haltungs- und Tierschutzgesetze fest. http://www.bz-berlin.de/aktuell/berlin/keine-wildtiere-mehr-im-zirkus-article1159509.html „Laut Auskunft des BMELV gab es in Deutschland zwischen 2000 und 2003 über 1077 Beanstandungen zu Zirkustierhaltungen (dabei fehlen die Zahlen aus Berlin und SchleswigHolstein).“ http://www.animal-public.de/index.php? option=com_content&task=view&id=244&Itemid=22 3) http://www.peta.de/web/zirkusunfaelle.3028.html 4) http://www.peta.de/web/wildtierdressur.2987.html (Experten-Zitate zur Elefantenhaltung im Zirkus, unten, exemplarisch) 5) Kinderpsychologe Prof. Dr. Melvin E. Levine in der PETA-Broschüre „3 gute Gründe nicht mit Kindern in den Zirkus zu gehen“ 6) http://www.bundestieraerztekammer.de/btk/pressestelle/pressemitteilungen/pm_05_2010.htm 7) http://www.peta.de/web/entschliessungbund.2120.html 8) http://www.peta.de/web/verbotwildtiereimz.2105.html 9) http://www.peta.de/web/home.cfml?viewfile=1&fn=8537BE877F97&mod=view&execute=1 10) http://www.peta.de/web/wildtierverbot_im.4327.html 11) http://www.peta.de/web/verbotwildtiereimz.2105.html 12) http://www.prowildlife.de/sites/default/files/Antwort%20Verb%C3%A4nde%20an %20CDU_Wildtierverbot.pdf 13) http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,261580-2,00.html 14) http://www.prowildlife.de/ElefantenZooZirkus 15) Prof. Dr. Fred Kurth in „Vorschläge zur Beobachtung an Zirkuselefanten http://www.peta.de/web/home.cfml? viewfile=1&fn=5813AE7F35F9&mod=get&CFID=986aa13f-3f9d-4ab2-916c06e40cd0f62c&CFTOKEN=0 16) Daten der European-Elephant-Group. http://www.elefanten-schutz-europa.de/ 17) http://www.peta.de/web/home.cfm?p=3262