Transformation räumlicher variabler Koordinaten

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Transformation räumlicher variabler Koordinaten
K. R. Koch, Bonn, H. Fröhlich,
Essen, und G. Bröker, Essen
Transformation räumlicher
variabler Koordinaten
Für die Transformation im dreidimensionalen
Raum werden sowohl die Koordinaten des
Startsystems als auch die des Zielsystems als
Zufallsvariable angesehen. Die Parameter der
Transformation werden dadurch geschätzt, dass
durch die Einführung zusätzlicher unbekannter
Parameter für die Koordinaten des Startsystems
die Transformationsgleichungen in die Beobachtungsgleichungen des linearen Modells überführt
werden.
1 Einleitung
Die ebene und die räumliche Helmert-Transformation,
auch orthogonale Transformationen genannt, führen
unmittelbar auf die Beobachtungsgleichungen des
linearen Modells, wenn man die Koordinaten des Startsystems als feste Größen ansieht und die Koordinaten
des Zielsystems als Zufallsvariable. Im Allgemeinen
muss man aber annehmen, dass nicht nur die Koordinaten des Zielsystems, sondern auch die Koordinaten des
Startsystems Zufallsvariable darstellen, die eine Kovarianzmatrix oder eine Gewichtsmatrix besitzen. In diesem
Fall tritt in jeder Transformationsgleichung mehr als
eine Beobachtung auf, und die Schätzung der unbekannten Transformationsparameter entspricht dem Allgemeinfall der Ausgleichungsrechnung (SCHMID und
HEGGLI 1978; BLEICH und ILLNER 1989; FRÖHLICH und
GAHR 1990), der auch Gauß-Helmert-Modell genannt
wird (WOLF 1978).
Bei der Koordinatentransformation für Punkte in der
Ebene oder im dreidimensionalen Raum sind aber die
Beziehungen zwischen den Beobachtungen und den unbekannten Transformationsparametern derart beschaffen, dass zwar mehrere Beobachtungen in einer Transformationsgleichung, dass aber eine bestimmte Beobachtung jeweils nur in einer Transformationsgleichung
auftritt. Die gleiche Situation tritt ein, wenn die Koordinaten von Punkten in der Ebene oder im dreidimensionalen Raum gemessen werden und wenn an die Punkte
Kurven in der Ebene oder Kurven oder Flächen im dreidimensionalen Raum angepasst werden sollen. Auch
dann tritt jeweils eine bestimmte Beobachtung nur in einer Beziehung zwischen den unbekannten Parametern
der Kurven- oder Flächendarstellung und den Beobachtungen auf. Durch die Einführung zusätzlicher unbekannter Parameter für die Beobachtungen und ihre Fehler kann man dann diese Beziehungen in die Beobachtungsgleichungen des linearen Modells überführen
(KOCH 2000B, S. 88). Man gewinnt dadurch den Vorteil,
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dass die statistischen Verfahren, die für das
lineare Modell entwickelt wurden, wie robuste Parameterschätzung, Ausreißertests, Festlegung von Konfidenzregionen für die unbekannten Parameter oder Hypothesenprüfungen, unmittelbar angewendet werden
können. Dieses Vorgehen soll im Folgenden erläutert
werden. Die Helmert-Transformation ebener variabler
Koordinaten ist bei KOCH (2000A) beschrieben.
Das lineare Modell wird dadurch abgeleitet, dass ausgehend von Näherungswerten linearisiert wird. Zur Beschaffung von Näherungswerten haben SCHMID und
HEGGLI (1978) ein elegantes Verfahren angegeben, das
die nichtlinearen Transformationsgleichungen mit neun
unbekannten Parametern durch lineare Gleichungen
mit zwölf unbekannten Parametern ersetzt. Aus den
Schätzwerten im linearen Modell für die zwölf unbekannten Parameter unter Berücksichtigung sämtlicher
Punkte folgen dann die Näherungswerte für die neun unbekannten Parameter der nichtlinearen Transformation.
Falls Näherungswerte gewünscht werden, ist dies der
Weg, der im Folgenden beschritten wird, da die Näherungswerte aus den Koordinaten sämtlicher Punkte bestimmt werden. Weitere Möglichkeiten, die Näherungswerte zu berechnen, bestehen darin, die von SCHWARZ
(1991) oder GRAFAREND und MADER (1993) abgeleiteten exakten Lösungen der dreidimensionalen Transformation zu benutzen. Außerdem kann man von beliebigen Näherungswerten ausgehen und bis zur Konvergenz
iterieren, wie von BLEICH und ILLNER (1989) vorgeschlagen wird. HEINDL (1986) leitet eine exakte nummerische Lösung der dreidimensionalen Helmert-Transformation ab, allerdings ohne statistische Aussagen zur Lösung.
2 Beobachtungsgleichungen für die
dreidimensionale Transformation
Enthält der Vektor xsi die dreidimensionalen Koordinaten des Startsystems eines Punktes i und der Vektor xzi
die Koordinaten des Zielsystems des Punktes i, ergibt
sich die dreidimensionale Transformation der Koordinaten des Punktes i zu, siehe zum Beispiel SCHMID und
HEGGLI (1978) oder KOCH (1999, S. 42),
(2.1)
mit
(2.2 )
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Hierin bedeuten p die Anzahl der zu transformierenden
Punkte, t der Vektor der unbekannten Translationsparameter tx, ty tz, M die Matrix mit den unbekannten Maßstabsparametern mx, my, mz und R die Drehmatrix, die
sich aus der Drehung R3(γ) in der x1,x2-Ebene um den
unbekannten Winkel γ, aus der Drehung R2(β) in der
x1,x3-Ebene um den unbekannten Winkel β und aus der
Drehung R1(α) in der x2,x3-Ebene um den unbekannten
Winkel α ergibt. Die dreidimensionale Transformation
(2.1) beinhaltet also neun unbekannte Parameter.
Für die Koordinaten des Startsystems werden jetzt die
unbekannten Parameter x–si eingeführt, die durch die Koordinaten xsi des Startsystems und ihre Fehler esi bestimmt werden. Man erhält dann anstelle von (2.1), falls
ezi die Fehler der Koordinaten xzi des Zielsystems bedeuten,
(2.3)
(2.4 )
mit
Mit den Gewichtsmatrizen Pz und Ps und dem Varianzfaktor σ2 erhält man die Kovarianzmatrizen der Beobachtungen aus
(2.11)
Die Koeffizientenmatrix X des linearen Modells folgt
mit (2.8) und (2.9) zu
(2.12)
Besonders bei einer größeren Anzahl zu transformierender Punkte ist die Koeffizientenmatrix X schwach besetzt, sie enthält also sehr viele Nullen. Besitzen die Gewichtsmatrizen Pz und Ps in (2.11) Diagonalstruktur,
was häufig der Fall sein wird, also
(2.5)
Nach einer Linearisierung von (2.3) ergeben sich zusammen mit (2.4) die Beobachtungsgleichungen des linearen Modells (KOCH 2000B, S. 85), in dem die bekannten Verfahren zur Parameterschätzung, zur Hypothesenprüfung und zur Bereichsschätzung angewendet
werden können.
Zur Linearisierung führt man Näherungswerte für die
neun unbekannten Transformationsparameter und für
die unbekannten Koordinaten x–si des Startsystems ein
(2.6)
mit
dann ist auch die Normalgleichungsmatrix schwach besetzt, so dass bei ihrer Speicherung und Inversion die
Nullen berücksichtigt werden können, siehe zum Beispiel GEORGE und LIU (1981). Angesichts der Speicherkapazität und der Rechengeschwindigkeit der modernen Rechner wird das allerdings kaum erforderlich sein.
Aus den linearen Beobachtungsgleichungen (2.8) folgen
dann die Parameterschätzung, die Bestimmung von
Konfidenzregionen oder die Prüfung von Hypothesen
mit den Verfahren des linearen Modells.
3 Programmtechnische Realisierung
Näherungswerte für x–si sind notwendig, da zur Verbesserung der Näherungswerte iteriert werden muss (KOCH
1999, S. 156). Für die erste Iteration ergeben sich die
Näherungswerte aus den gegebenen Koordinaten, also
(2.7)
Die Linearisierung führt auf die Beobachtungsgleichungen des linearen Modells
(2.8)
mit den an der Stelle der Näherungswerte berechneten
Ableitungen
(2.9)
und den Beobachtungen
(2.10)
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(2.13)
Für die erläuterte Methode zur Transformation dreidimensionaler Koordinaten, die sowohl im Startsystem
als auch im Zielsystem als variabel angesehen werden,
wurde das Programm NTA_3D, neuer TransformationsAlgorithmus, entwickelt. Es erlaubt, alternativ neun
oder, falls mx = my = mz in (2.2) gesetzt wird, sieben
Transformationsparameter zu schätzen. Der Fall, dass
die Koordinaten des Startsystems als feste Größen eingeführt werden sollen, ist ebenfalls vorgesehen. Als
Schätzverfahren stehen die robuste L1-Norm-Schätzung
zur Verfügung und die übliche Parameterschätzung, die
die L2-Norm minimiert. Für beide Schätzverfahren sind
Ausreißertests vorgesehen, so dass Ausreißer sowohl
unter den Koordinaten des Startsystems als auch unter
den Koordinaten des Zielsystems gesucht werden. Falls
die Berechnung von Näherungswerten gewünscht wird,
erfolgt sie nach der bereits in der Einleitung erläuterten
Methode von SCHMID und HEGGLI (1978).
Die Werte der Koeffizienten der linearen Beobachtungsgleichungen (2.8) betragen für die Translationsparameter Eins, die Werte aus den Differentialquotienten
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in Bi und Ci hängen dagegen von den Dimensionen der
Koordinaten des Startsystems ab. Ebenso folgen die
Werte der Beobachtungen aus den Dimensionen der
Koordinaten. Um beim Bilden der Normalgleichungen
Rechenungenauigkeiten zu vermeiden, wird daher bei
den internen Berechnungen die Dimension der Koordinaten derart gewählt, dass ihre Werte in der Nähe
von Eins liegen. In dieser Dimension werden auch die
Gewichte (2.13) ausgedrückt, da angenommen wird,
dass die Gewichtsmatrizen in (2.11) Diagonalmatrizen
sind.
Getestet wurde das Programm anhand einer Reihe von
Beispielen, das das von HEINDL (1986) gewählte Beispiel
der Koordinatentransformation von vier Punkten einschloss, für das keine gute Näherungslösung für die
Transformationsparameter vorlag. Dieses Beispiel befindet sich auch bei BLEICH und ILLNER (1989). Es ergab
sich Übereinstimmung mit den Ergebnissen von HEINDL
(1986).
Literatur
BLEICH, P. und M. ILLNER (1989): Strenge Lösung der
räumlichen Koordinatentransformation durch iterative Berechnung. Allgemeine Vermessungs-Nachrichten 96:133–
144.
FRÖHLICH, H. und F. GAHR (1990): Dreidimensionale
Koordinatentransformation. Vermessungsingenieur 41:146–
148.
GEORGE, A. und J. W. LIU (1981): Computer Solution of
Large Sparse Positive Definite Systems. Prentice-Hall,
Englewood Cliffs.
GRAFAREND, E. W. und A. MADER (1993): Robot vision based on an exact solution of the three-dimensional resectionintersection. In: LINKWITZ, K., V. EISELE und H.-J. MÖNICKE (Hrsg.): Applications of Geodesy to Engineering.
Springer, Berlin, 376–388.
HEINDL, G. (1986): Ein neuer Weg zur Berechnung dreidimensionaler Helmert-Transformationen. Reihe A, 103.
Deutsche Geodätische Kommission, München.
KOCH, K. R. (1999): Parameter Estimation and Hypothesis
Testing in Linear Models, 2nd Ed. Springer, Berlin.
KOCH, K. R. (2000A): Beispiele zur Parameterschätzung,
zur Festlegung von Konfidenzregionen und zur Hypothesenprüfung. Nr. 87. Mitteilungen aus den Geodätischen Instituten der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität,
Bonn.
KOCH, K. R. (2000B): Einführung in die Bayes-Statistik.
Springer, Berlin.
SCHMID, H. H. und S. HEGGLI (1978): Räumliche Koordinatentransformation. Mitteilungen Nr. 23. Institut für Geodäsie und Photogrammetrie an der ETH, Zürich.
SCHWARZ, W. (1991): Ein strenges Verfahren zur Berechnung der Transformationsparameter bei der räumlichen
Koordinatenumformung. Vermessungswesen und Raumordnung, 53:372–384.
WOLF, H. (1978): Das geodätische Gauß-Helmert-Modell
und seine Eigenschaften. Z Vermessungswesen, 103:41–43.
Adressen der Autoren:
Prof. Dr.-Ing., Dr.-Ing. E. h. mult. KARL-RUDOLF KOCH
Institut für Theoretische Geodäsie
AVN 8-9/2000
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Nussallee 17
53115 Bonn
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr.-Ing. HANS FRÖHLICH
Universität GH Essen
Fachbereich Vermessungswesen
Henri-Dunant-Straße 65
45131 Essen
E-Mail: [email protected]
Dipl.-Ing. (FH) GEORG BRÖKER
Admiral-Scheer-Straße 32
45128 Essen
Zusammenfassung
Für die Transformation der Koordinaten von
Punkten im dreidimensionalen Raum werden
sowohl die Koordinaten des Startsystems als
auch die Koordinaten des Zielsystems als
Zufallsvariable angesehen. Die Parameter der
Transformation werden dadurch geschätzt, dass
durch die Einführung zusätzlicher unbekannter
Parameter für die Koordinaten des Startsystems
die Transformationsgleichungen in die Beobachtungsgleichungen des linearen Modells überführt
werden. Man gewinnt damit den Vorteil, dass die
für das lineare Modell entwickelten statistischen
Verfahren, wie robuste Parameterschätzung,
Ausreißertests, Berechnung von Konfidenzregionen oder Hypothesenprüfungen, unmittelbar für die räumliche Transformation anzuwenden sind. Die programmtechnische Realisierung
der Methode mit L1-Norm-Schätzung und Ausreißertest im Start- und Zielsystem wird
beschrieben.
Abstract
For the transformation of coordinates of points
in the threedimensional space the coordinates of
the starting system as well as the coordinates of
the final system are considered as random variables. The parameters of the transformation are
estimated by introducing additional unknown
parameters for the coordinates of the starting
system so that the observation equations of the
linear model are obtained. This gives the advantage that the statistical methods developed for
the linear model like robust estimation, outlier
tests, computation of confidence regions or
hypothesis testing can be immediately applied
to the threedimensional transformation. The
realization of the method with L1-norm estimation and outlier tests in the starting and the final
system by a computer program is described.
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