Das mehrfachbehinderte, sehbehinderte Kind

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Das mehrfachbehinderte, sehbehinderte Kind
Inhalt
Vorwort .......................................................................................................
3
Grundlagen
1. Das mehrfachbehinderte sehgeschädigte Kind ...................
2. Bestimmung der visuellen Funktionen .................................
5
7
3. Lehrplan der Sonderschule für schwerstbehinderte Kinder..
4. Leitlinien für den Unterricht bei Kindern mit erhöhtem
Förderbedarf .....................................................................
5. Ideen für die Grundausstattung einer Klasse ........................
10
12
15
Förderung
1. Sehen beim mehrfachbehinderten Kind................................
16
2. Basale Kommunikation – ein Weg zum Anderen ..................
18
3. Basale Förderklassen (z.B.in Wien) ....................................... 21
4. Sitz - und Liegemöglichkeiten im Klassenraum .................... 23
5. Ein Koffer voller ...
Das Förderkonzept einer Pionierin - Lilli Nielsen .................. 25
6. Wer nicht sprechen kann hat scheinbar nichts zu sagen! ....
7. Bits, Bytes & Co(mputer) .......................................................
28
32
8. Orientierung und Mobilität für mehrfachbehinderte
sehgeschädigte Kinder ..........................................................
35
9. Ich möchte mit dir gehen, aber ..............................................
39
10. Lebenspraktische Fertigkeiten.............................................. 42
11. Wichtige Helfer ..................................................................... 44
12. „Alle Hände voll zu tun“ ....................................................... 45
Therapeutische Zugänge
1. Lilly & Gogo go to school .....................................................
47
2. Hippotherapie = Reiten als Therapie ...................................
50
3. „Nicht nur für die Fisch!“ .......................................................
4. Kom-MUSIK-ation - Ein Weg für Jeden .................................
5. Ist MSE- der neue Schmäh? ..................................................
51
53
55
Beispiele
1. „... denn ohne Georg ist es hier so stinknormal.“ ................
58
2. Christian ................................................................................
62
3. Die Schule aus der Sicht eines Kindes .................................
65
4. Der Weg aus der Isolation .....................................................
67
5. Projektorientierter Unterricht in der Klasse ............................
68
6. „Der Vogel“ ............................................................................
71
7. Meine liebsten Freizeitbeschäftigungen ................................
Anhang
72
Literaturliste ............................................................................
73
Vorwort
VORWORT
N
och vor 20 Jahren galt das alleinige Interesse der Forschung den
verschiedenen Einzelbehinderungen. Mehrfachbehinderungen wurden
als solche nicht diskutiert. Heute ist die überwiegende Zahl der Kinder,
die
in
der
Sehgeschädigtenfrühförderung
betreut
werden,
mehrfachbehindert (60% bis 80%).
Mehrfachbehinderung resultiert aus dem Zusammentreffen einzelner,
bekannter Schädigungen, zwischen denen eine Wechselwirkung besteht.
Daraus entwickelt sich für jedes Kind eine ganz eigene Dynamik.
Durch diese Komplexität und die Schwere der Schädigungen benötigen die
Kinder deutlich mehr Betreuung. Dies betrifft medizinische Versorgung,
pflegerische Hilfe und pädagogisch-therapeutische Förderung. Die Familien
der Kinder, besonders die Eltern, brauchen viel Unterstützung.
Die eindimensionale Sicht von Behinderung wurde mit der Zeit durch ein
Betrachten des komplexen Zusammenwirkens der einzelnen Behinderungen
ersetzt. Jedes Kind, für das der Ausdruck „Mehrfachbehindert-sehgeschädigt“
verwendet wird, ist sehr individuell in seinen Fähigkeiten, Schädigungen und
besonderen Bedürfnissen. Diese Veränderung der Sichtweise ergibt
Konsequenzen für den Unterricht, die Behandlung und Therapie. Es ist
wichtig, dass alle, die mit einem mehrfachbehinderten-sehgeschädigten Kind
arbeiten, ihr Fachwissen zum Wohle des Kindes einbringen und kooperieren.
Ein großer Teil aller behinderten Menschen sind mehrfachbehindert und
stellen somit den Regelfall und nicht die Ausnahme dar.
Eine Schädigung wirkt sich nicht nur in einem einzigen Bereich aus. Sie
beeinträchtigt den Menschen in seiner Ganzheit. Der Verlust des
Sehvermögens zeigt Auswirkungen:
1 beim Lernen
1 in der Mobilität
1 in der Begegnung mit anderen Menschen
1 im Spiel
1 im lebenspraktischen Bereich
Vorwort
Mehrfachbehinderungen stellen hohe Anforderungen an Diagnostik, Therapie
und Unterricht: Man kann nicht einfach aus den beobachtbaren Symptomen
auf die zugrundeliegenden Ursachen schließen. Ebenso ist eine genaue
Prognose über den weiteren Verlauf der Entwicklung schwierig.
Diese schwierige, umfassende Aufgabe darf uns nicht davon abhalten, jedem
Menschen sein Recht auf Leben und Lernen zukommen zu lassen. Das
Recht auf Unterricht und Bildung haben alle Kinder. Grundlagen der
Begegnung sind der respektvolle Umgang mit den Kindern und die Achtung
der Würde jedes Einzelnen. Eine humane Gesellschaft muss sich dieser
Herausforderung stellen.
Das Redaktionsteam
Grundlagen
1. Das mehrfachbehinderte sehgeschädigte Kind
In der englischen Fachliteratur wird der Terminus „Multiple disabilities and
visual impairment“ (MDVI) verwendet. Jedes Kind, für das dieser Ausdruck
verwendet wird ist sehr individuell in seinen Fähigkeiten, Schädigungen und
besonderen Bedürfnissen.
Mehrere auftretende Behinderungen in ihren Auswirkungen nicht additiv,
sondern multiplikation sind. Daher spricht man von der Multiplikation des
Zustandsbildes.
Kinder mit einer Kombination von Schädigungen können in 3 Hauptgruppen
eingeteilt werden:
1
zusätzlich behindert
1
zweifach sinnesbehindert
1
mehrfachbehindert
Der Terminus „zusätzlich behindert“ kann für jene Kinder benutzt werden,
die zu einer Sehschädigung eine zusätzliche Beeinträchtigung haben. Diese
Probleme können Schwierigkeiten beim Lernen bereiten, aber die Kinder
können ähnlich unterrichtet werden wie „nur“ Sehgeschädigte.
Eine additive Behinderung ist z.B. das Zusammentreffen von Blindheit und
Körperbehinderung (Querschnittlähmung). Das Kind kann mit einem Rollstuhl
ausgestattet sein und mit blindenspezifischen Methoden unterrichtet werden.
Zweifach sinnesbehindert: Die am besten bekannte Gruppe sind die
taubblinden Kinder.
Kinder mit der Kombination von Seh- und Hörschädigung haben bestimmte
Kommunikations- und Lernschwierigkeiten. Selten sind sie völlig blind oder
vollkommen gehörlos. Sie brauchen veränderte pädagogische Methoden, die
beide Schädigungen berücksichtigen.
Mehrfachbehinderung kann nicht in einer einzigen Definition erfasst werden,
da jedes Kind eine einzigartige Kombination von Fähigkeiten und
Behinderungen hat. Dabei ist der synergetische Effekt zu betonen, d.h. der
Kombinations- oder Multiplikationseffekt überschreitet die Summe der
einzelnen Behinderungen.
Wegen der engen Verbindung der Entwicklung des Auges und des Gehirns
gibt es eine hohe Häufigkeit von Sehbehinderungen bei Kindern und
Jugendlichen, die schwere Lernprobleme haben. Wenn eine Hirnschädigung
in der Embryonalzeit auftritt, ist auch die Entwicklung des Sehapparates
betroffen.
Grundlagen
Das Zusammentreffen von zwei oder mehreren Behinderungen hat für das
Leben und Lernen meistens interaktive Wirkung. Beispiel für diese
interaktiven Auswirkungen ist das Kind mit Sehschädigung und zerebraler
Lähmung. Die Spastizität, die von der zerebralen Lähmung kommt,
beeinträchtigt das Lernen im taktilen Bereich. Bilder und Symbole, wie sie
sonst für zerebral gelähmte Kinder Anwendung finden, können wegen der
Sehschädigung nicht angewendet werden. Es muss ein neuer individueller
Ansatz in der Pädagogik gefunden werden.
Weltweit gibt es einen Anstieg von Kindern mit Mehrfachbehinderungen. Nach
einer Untersuchung von Martin Häußler in Bayern 1995 gibt es eine Anzahl
von 67 mehrfachbehindert - sehgeschädigten Kindern auf 100 000
Geburten.
Die Anzahl von Kindern, die nur blind oder sehbehindert sind, ist in den
westlichen Industrieländern gesunken. Sowohl die Kinder als auch die
Gesellschaft sind mit neuen Herausforderungen konfrontiert (Challenged
People).
Grundlagen
2. Bestimmung der visuellen Funktionen
Seh- und mehrfachbehinderte Kinder sind Kinder mit speziellen Bedürfnissen.
Diese besonderen Bedürfnisse müssen bei der augenärztlichen Untersuchung
in sensibler Weise berücksichtigt werden.
In der Regel sind die Funktionen des visuellen Systems
1
Sehschärfe
1
Gesichtsfeld
1
Dioptrienanzahl
1
Beidäugiges Sehen
1
Farb-, Kontrastsehen, u. a. m.
bei der augenärztlichen Untersuchung quantitativ exakt
vorausgesetzt der Patient arbeitet gut mit.
bestimmbar,
Selbst objektive Untersuchungsmethoden des Auges wie die Beurteilung
1
der vorderen Augenabschnitte
1
des Augenhintergrundes
1
die Messung des Augeninnendruckes, u. a. m.
erfordern eine gewisse Mitarbeit des Patienten.
Subjektive Angaben und die gewünschte Kooperation sind von einem
sehbehinderten Kleinkind und von einem mehrfachbehinderten Kind nicht oder
nur bedingt zu erwarten. Dennoch ist es möglich, mit viel Zeit, Geduld und
Einfühlungsvermögen Aussagen über die Sehfunktion zu treffen.
Entscheidend bei der augenärztlichen, wie auch bei jeder anderen Beurteilung
ist der allgemeine Aufmerksamkeitsgrad des Kindes:
1
ausgeschlafen oder müde
1
satt oder hungrig
1
gutes Wohlbefinden oder Erkrankung, Infekt, Schmerzen
1
Sympathie oder Ablehnung der Untersuchungsperson
Viele Faktoren bestimmen die Mitarbeit und somit die Aussage über die
visuellen Funktionen des Kindes.
In die augenärztliche Beurteilung miteinbezogen werden:
das spontane aktive Verhalten
1
bewegt sich das Kind krabbelnd oder gehend frei im Raum
1
ist es neugierig und möchte es den Raum entdecken
1
sitzt es teilnahmslos am Schoß der Eltern
Grundlagen
das visuelle Interesse
1
erkennt das Kind Gegenstände oder Spielsachen nach denen es
greift, auf die es zugeht, die es haben möchte
1
wie groß, bunt, kontrastreich, visuell attraktiv sind diese Objekte
die Beobachtungen der Eltern
1
reagiert das Kind auf hell/dunkel
1
nimmt es Blickkontakt auf
1
lächelt es
1
werden Spielsachen visuell oder überwiegend akustisch und taktil
erfasst
1
was sind die Lieblingsbeschäftigungen des Kindes
die visuellen Leistungen werden nicht mit handelsüblichen Sehprobetafeln
bestimmt, sondern mit
1
Spielsachen in verschiedenen Farben
1
gefärbten Holzkugeln in unterschiedlichen Größen, angeboten in
verschiedenen Entfernungen
1
schwarz-weiße Streifenmuster in abnehmender Streifenbreite
1
Lichter und glitzernde Gegenstände
1
Objekte, die sich bewegen oder zusätzlich akustische Signale von
sich geben
allesamt Dinge, für die es sich lohnt zu schauen.
Kein
wesentlicher
Unterschied
zwischen
sehbehindertemmehrfachbehinderten und bei nichtbehinderten Kindern besteht in der
Untersuchung des Augenorgans
1
Brillenglasbestimmung nach Tropfengabe
1
Beurteilung der vorderen Augenabschnitte
1
Untersuchung des Augenhintergrundes
1
Messung des Augeninnendruckes, ...
Sind diese Untersuchungen nicht aufschlussreich genug und ist eine
Differenzierung zwischen Sehbehinderung und geistiger Behinderung zu
treffen, so können mittels elektrophysiologischer Untersuchungsmethoden
die Hirnströme gemessen und Rückschlüsse auf die Sehfunktionen gezogen
werden.
"Wie viel Prozent sieht mein Kind?"
Diese oft geäußerte Frage der Eltern kann im Kleinkindesalter nicht exakt
beantwortet werden. Genaue Prozentangaben sind bei vermuteter oder
bestätigter höhergradiger Sehbehinderung unwesentlich.
Mehrfachbehinderung
Wichtig ist
1
eine rasche Erfassung einer Sehschädigung
1
die gezielte Behandlung einer Augenerkrankung und
1
die rasch einsetzende visuelle Frühförderung zur Stimulierung
des vorhandenen Sehvermögens und zur Aktivierung der übrigen
Sinne.
Dr. Gruber Hildegard, St. Pölten
Grundlagen
3. Lehrplan der Sonderschule für schwerstbehinderte Kinder
(unter besonderer Berücksichtigung der Sehgeschädigtenproblematik; Zitate kursiv)
Der seit 1996 gültige Lehrplan orientiert sich nicht an den Schwierigkeiten und
fehlenden Fertigkeiten und Kenntnissen der Schüler, sondern geht von
vorhandenen Voraussetzungen aus. Nicht der Aspekt der Behinderung
sondern des erhöhten sonderpädagogischen Förderbedarf steht im
Vordergrund.
Im Unterricht geht es darum, der Entwicklung und den Fähigkeiten des Kindes
gerecht zu werden. Dabei sind Inhalte und Ziele nach ihrer Lebensbedeutung
auszuwählen, wobei eine gemeinsame Planung schulischer und
nichtschulischer Bildung in besonderem Maße notwendig ist.
Bei Kindern mit erhöhtem Förderbedarf wird daher eine isolierte Betrachtung
von Sehschädigung nicht zielführend sein. Notwendige Fördermaßnahmen im
visuellen Bereich sind Teile eines ganzheitlichen Unterrichtes. Dies wird
Auswirkungen auf die Auswahl und Zusammensetzung des Personals, seine
Aus- und Weiterbildung, aber auch auf Medien und Ausstattung haben.
Der folgende Überblick kann eine genaue Auseinandersetzung mit dem
Lehrplan nicht ersetzen, doch soll er auf Schwerpunkte aufmerksam machen.
Die Gliederung erfolgt in eine Eingangs-, eine Kern- und eine Übergangsstufe.
Die Schüler durchlaufen diese Sutfen gemäß ihrer Entwicklung wobei die
Übergänge fließend sind. Bei fast allen Schülern ist der gesetzlich mögliche
Weiterbesuch der Schule über das Pflichtschulalter hinaus eine sinnvolle
Maßnahme. Für diese Zeit werden in der Übergangsphase eigene Inhalte
angeführt.
Zentrales Anliegen ist die Vermittlung von Erfahrungen, Kenntnissen, Wissen
und Handlungskompetenzen. Sie sind in folgenden Lebens- und Lernfeldern
anzubahnen bzw. auszuformen:
1
Erfahren, Erleben und Entfalten der eigenen Person
1
Erfahren, Erleben und Auseinandersetzen mit der Gemeinschaft
1
Erfahren, Erleben und Auseinandersetzungen mit der Umwelt
1
Erfahren, Erleben und Auseinandersetzen mit der Sachumwelt
In der Folge wird auf die Aspekte des Lernens, auf begleitende Maßnahmen,
aber vor allem auf die Ansprüche des Kindes, die sich aus der Würde des
Menschen ergeben, eingegangen. Besonders hingewiesen wird auf das Recht
auf Zuwendung, Bildung und Annahme als eigenständige Persönlichkeit.
Grundlagen
Beachtung behinderungsspezifischer Erfordernisse im Unterricht, die
Gestaltung der schulischen Umwelt, Angaben über den Einsatz des
Lehrplanes in anderen Schularten (Integration) und die Bedeutung der
Informations- und Kommunikationstechniken sind besondere Schwerpunkte.
Breiten Raum schenkt der Lehrplan den didaktischen Grundsätzen.
Prinzipieller Ansatz ist das Sammeln lebensunmittelbarer Erfahrungen. Dies
kann durch das Hereinnehmen von Lebenssituationen in den Unterricht oder
durch das Hinausführen der Kinder und der Jugendlichen in das Alltagsleben
geschehen. Wichtig ist jedoch, nicht Leben zu spielen, sondern stattfinden zu
lassen. Es geht nicht um Vorbereitung auf das Leben, die Bedeutung des
Unterrichts liegt darin, dass er selbst Teil des Lebens ist.
Bei der notwendigen differenzierten Förderdiagnostik wird die Abklärung der
visuellen Wahrnehmung und deren Fördermöglichkeit bei jedem Kind eine
Rolle spielen. Zentrale Bedeutung wird sie jedoch bei Kindern mit
Sehschädigung haben. Eine Einbindung entsprechend ausgebildeter
LehrerInnen ist hier unabdingbar.
Bei diesen Schülern begründen die Grundprinzipien der Unterrichtes, die von
der Sicherung der existenziellen Bedürfnisse ausgehen und alle Fassetten der
Persönlichkeitsentwicklung berücksichtigen, die Anwendung spezieller
Methoden für Sehgeschädigte. Exemplarisch seien hier die Schulung des
Sehvermögens, die Schulung der übrigen Sinne, Hilfe beim Erlernen der
Kulturtechniken, die Vermittlung lebenspraktischer Fertigkeiten und das
Training der Mobilität erwähnt. Für die Klärung von Möglichkeiten und
Notwendigkeiten und für deren Umsetzung ist der zusätzliche Einsatz von
Lehrerlnnen für Sehgeschädigte notwendig.
Vielfältige Anregungen für den Unterricht ergeben sich aus der differenzierten
Betrachtung der lebensbedeutsamen Handlungsfelder wie sie in Form von
Strukturgittern in den Lehrplan eingeflossen ist. Aspekte des Lernens und die
Methoden aus der Sicht des Lernenden bilden die Schnittpunkte für Inhalte
von Lernsequenzen. Dies reicht von der sinnlichen Wahrnehmung der eigenen
Person durch Berühren lassen bis zum begrifflich abstrakten Ziel, Dinge des
täglichen Bedarfes vorausschauend besorgen zu können.
Inhalte und Ziele für den Unterricht in Deutsch, Mathematik, Werken,
Hauswirtschaft und Sport werden als Möglichkeit einer Erweiterung des
Unterrichtes angeführt. Besondere Bedeutung misst der Lehrplan dem
Übergang von der Schule in andere Formen des Lebens mit dem Schwerpunkt
der Arbeitswelt zu.
Grundlagen
4. Leitlinien für den Unterricht bei Kindern mit erhöhtem
Förderbedarf
In diesem Heft werden Kinder mit erhöhtem Förderbedarf beschrieben. Wer so
ein Kind kennt, dem wird manches bekannt vorkommen. Aber das Besondere
an dieser Personengruppe ist, dass sie zeigt, wie einzigartig die Menschen
sind und dass niemand einem Anderen gleicht. Deshalb können allgemeine
Hinweise, wie sie nun folgen, nur eine Hilfe sein. Nachfolgend wird versucht,
Aspekte der schulischen Förderung, wie sie auch im Lehrplan beschrieben
sind, exemplarisch aufzuzeigen, um Anregungen für die eigene Situation zu
geben.
Der Aspekt der Zeit
Zeit spielt in der Sonderpädagogik eine entscheidende Rolle. Das betrifft den
Zeitpunkt des Beginnens und Beendens einer Förderung, ihre Dauer und die
Einbettung im Tages- Wochen- und Jahresablauf.
Es ist ein ganzes Jahr als Vorbereitung einzuplanen, um alle Fragestellungen,
die mit dem Schuleintritt zusammenhängen klären zu können: Beratungen
über die geeignete Schule, Durchführung notwendiger baulicher Maßnahmen, personelle Vorsorge (Lehrer, Betreuungsperson), Organisation des
Schulweges und die Ausstattung mit Hilfsmitteln, ... (Siehe Heft 1)
Die gesetzliche Regelung macht leider derzeit eine Rückstellung vom Schulbesuch unmöglich. Trotz dieser gesetzlichen Regelung ist es manchmal für ein
Kind mit Sehschädigung notwendig, individuell einen späteren Zeitpunkt für
die Eingliederung in die Schule zu finden. Dies ist derzeit nur über die
befristete Erklärung der Schulunfähigkeit bzw. die Abmeldung zum häuslichen
Unterricht möglich. Als eine Form der Hilfe beim Übergang in die Schule wird
im Lehrplan die Möglichkeit eines geringeren zeitlichen Ausmaßes der
Anwesenheit im Unterricht vorgesehen. Die Gliederung der Schulzeit erfolgt in
eine Eingangs-, Kern- und Übergangsstufe. Um die besonderen Bedürfnisse
jedes Kindes bzw. Jugendlichen berücksichtigen zu können, ist der Wechsel
innerhalb der Stufen flexibel. Auf dieser Grundlage kann ein individueller
Förderplan erstellt werden.
Über das Pflichtschulalter hinaus besteht für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf die Möglichkeit, in einer Sonderschulklasse freiwillig ein
zehntes, elftes, bzw. zwölftes Schuljahr zu besuchen. Dabei ist auf das
Höchstalter von 18 Jahren zu achten. Für viele Jugendliche ist dies ein
geeigneter Zeitrahmen, um die Eingliederung in nachschulische Einrichtungen
gezielt vorzubereiten und zu begleiten.
Grundlagen
Der Aspekt von Raum und Material
Die Beschaffenheit und die Ausstattung eines Klassenraumes können das
Lernen entscheidend beeinflussen. Eine wohnliche Gestaltung, besondere
Berücksichtigung der Erfordernisse basaler Förderung und erhöhter
Raumbedarf sind Kriterien für die Einrichtung der Klasse (Siehe „Ideen für die
Ausstattung einer Klasse“).
Ein breites Angebot von Spiel- Förder- und Therapiematerial, die
Einbeziehung von Konsumgütern und Dingen des alltäglichen Gebrauches,
aber auch von Tieren und Pflanzen in das Leben in der Klasse sind
Lernanreize und eine Unterstützung der Förderung. Dabei ist auch die
Integration von Informations- und Kommunikationstechniken durch den
Einsatz von Computern miteinzubeziehen. Unterricht außerhalb der Klasse
und der Schule ist im Sinne der lebenspraktischen Erziehung, der Mobilität
und der sozialen Eingliederung eine wichtige Ergänzung. Das kann in der
Gruppe oder im Einzelunterricht sinnvoll sein.
Der Aspekt der Lebensbedeutsamkeit
Das oberste Bildungsziel ist „Leben lernen“. Aufgrund der unterschiedlichen
Voraussetzungen müssen Inhalte und Ziele individuell abgeklärt werden. Ein
weitgehend autonomer, selbstbestimmter Umgang mit unterschiedlichen
Lebenssituationen soll erreicht werden. Bei der Förderung der Lebenspraxis
und der Selbstversorgung, der kognitiven und sozialen Fertigkeiten sowie der
Mobilität ist immer die Frage der Bedeutung für den derzeitigen Alltag und das
zukünftige Leben zu stellen. Nach diesen Kriterien erfolgt auch die Auswahl
von Bildungsinhalten.
Der Aspekt der individuellen Förderung
„Eine differenzierte Förderdiagnostik über mögliche Ursachen, Art und Ausmaß vorhandener Beeinträchtigungen mit Hilfe entsprechender Methoden
bildet die Grundlage aller Bemühungen um Erziehung und Unterricht.
Förderdiagnostik impliziert nicht nur das Feststellen des „IST-Zustandes“,
sondern ebenso den Aspekt der Förderung“ (siehe Lehrplan). Für Lehrer
bedingt das eine andere Form der Vorbereitung auf den Unterricht. Die
Herausforderung besteht darin, eine Vielzahl methodischer Ansätze zu
kennen, zu suchen, zu entwickeln, um möglichst jedem Kind gerecht zu
werden. Die Bedürfnisse des Kindes setzen der Methodenfreiheit Grenzen.
Grundlagen
Der Aspekt des sozialen Umfeldes
Um den pädagogischen, pflegerischen und sozialen Anforderungen bei der
Bildung von Schülern mit erhöhtem Förderbedarf zu entsprechen, ist in der
Regel eine Arbeit im Team notwendig. Dieses kann sich aus Klassenlehrern,
Sonderschullehrern (auch für spezielle Aufgaben wie Sehen, Sprache,...),
Betreuungspersonen und
Therapeuten zusammensetzen. Wesentliche
Voraussetzung für das Lernen ist die „von Vertrauen und Zuwendung erfüllte,
auf Respekt basierende und in einer Atmosphäre des Wohlbefindens
getragene menschliche Beziehung zwischen Kind und Erwachsenem“
(Lehrplan). Daher ist für alle Personen neben der fachlichen Eignung die
Bereitschaft entscheidend, sich auf eine besondere schulische Arbeitssituation
einzulassen.
Angemessene ärztliche Information und Versorgung (Facharzt, Klinik, ...)
sowie eine sonderpädagogische und psychologische Beratung stellen eine
optimale Ergänzung schulischer Betreuung dar.
Die partnerschaftliche Zusammenarbeit von Schule und Elternhaus gibt dem
Kind emotionale Sicherheit und unterstützt eine ganzheitliche Förderung. Sie
hat bei Kindern mit erhöhtem Förderbedarf einen besonderen Stellenwert.
Bei der Entscheidung „Integration oder Sonderschulklasse“ kann nur geraten
werden, die im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten für das Kind beste
Lösung anzustreben, wobei ein Wechsel zwischen verschiedenen
Schulformen nicht ausgeschlossen werden soll.
Grundlagen
5. Ideen für die Grundausstattung einer Klasse
Bereich des Sitzens
und Liegens:
Hängematte,
Bodenmatte,
Matratzen, Sitzsack
Pölster in
verschiedenen
Größen, Formen,
Farben und
Materialien,
Kuscheldecken, ...
Verschiedene
Lagerungskeile,
Lagerungspolster,
Therapierollen, ...
Physiotherapieball,
angepasste Sessel, ...
Stehbrett, Rollator, ...
Materialien zur visuellen Stimulation:
Materialien aus Neonfarben und/oder Schwarzweißmuster, Glitzermaterialien, ...
Ecke oder Raum mit Verdunkelungsmöglichkeit für visuelle Stimulation
Verschiedene Lichtquellen (Taschenlampen, farbige Spots, ev. Schwarzlicht, Projektoren,
...)
Materialien zur auditiven
Stimulation:
Instrumente (Trommel, Resonanzkörper,
Klangstäbe, ...)
CD-Player und Kassettenrekorder mit
Fernbedienung
Klingelball
Materialien zur basalen Stimulation:
Resonanzbrett, Kleiner Raum, Materialien
aus dem Alltag, ... (siehe „Lili Nielsen“)
Tastbrett, Massagegerät
Bällchenbad, Wühlwanne
Riechdosen, Trockenduschen (z.B.
Perlenvorhänge)
Feste Stangen, an denen man
Mobiles und Material aufhängen kann
Materialien zur Kommunikationsförderung:
Bilder, Schalter, PC mit speziellen Programmen, ...
Förderung
1. Sehen beim mehrfachbehinderten Kind
Viele mehrfachbehinderte Kinder gelten als "blind". Sie reagieren nicht auf
optische Reize, greifen nicht nach Gegenständen. Und dennoch: Sehr wenige
dieser Kinder sind wirklich blind, doch nur ständige Beobachtung lässt eine
Einschätzung des Sehvermögens zu, medizinische Befunde geben meist nur
wenig Auskunft. Das Sehvermögen ist nicht allein abhängig von Sehschärfe
und Gesichtsfeld, sondern von vielen anderen Faktoren. Es wird beeinflusst
vom momentanen körperlichen und seelischen Zustand des Kindes. So wird
es in einer Umgebung, in der es sich wohl fühlt, „besser sehen".
Eine falsche Lagerung, Probleme bei der Atmung, Verdauungsbeschwerden
etc. beeinträchtigen möglicherweise das Interesse an visueller Information
oder an Fördermaßnahmen.
Informationen und Beobachtungen all jener, die mit dem Kind leben,
helfen zu einer verbesserten Einschätzung des funktionellen
Sehvermögens.
Es geht nicht nur darum zu wissen, wie viel ein Kind sieht, sondern
Möglichkeiten für individuelle Fördermaßnahmen zu finden.
Anregungen zur Beobachtung:
1
Wie nimmt das Kind seine Umgebung wahr?
1
Welche seiner Sinne setzt es ein?
1
Kann es Informationen verwerten?
1
Auf welche Reize reagiert es?
1
Setzt es aktive Handlungen?
Greift ein Kind nicht nach einem Gegenstand, kann die mangelnde Sehkraft
dafür verantwortlich sein. Es kann aber auch bedeuten, dass es motorisch
nicht dazu in der Lage ist. Vielleicht hat es mangelndes Vertrauen zu den
Leuten, die mit ihm arbeiten, oder es fehlt die Motivation.
Für jede Art des Lernens ist es von Vorteil, Spaß daran zu haben. Ein
mehrfachbehindertes Kind, das gerne im Wasser ist, wird im Bad bessere
Lernbedingungen vorfinden.
Sinnvolles Handeln setzt Denken, Lernen und Erinnern voraus.
Je mehr wir über das Kind wissen, desto eher können wir einschätzen, über
welches Sehvermögen es verfügt und wie es dieses einsetzt. Daraus
resultieren Überlegungen für den Förderplan, die Materialien, die technische
Ausstattung, usw.
Förderung
Visuelle Wahrnehmungsförderung
Das bedeutet die Förderung des aktiven Sehens. Nur in aktiver
Auseinandersetzung des Kindes mit der Umwelt entwickelt sich das Sehen.
Durch die visuelle Stimulation wird die Vernetzung im kindlichen Gehirn
angeregt. Dies wirkt sich auf alle Entwicklungsbereiche aus. Das Kind soll
angeleitet werden, sein visuelles Sinnesorgan häufiger und besser zu nützen.
Visuelle
Wahrnehmungsförderung
ist
keinesfalls
ein
isoliertes
Funktionstraining. Ziel ist die Integration der visuellen Leistung in die
Gesamtaktivität.
Die Entwicklung der visuellen Wahrnehmung verläuft auch bei
mehrfachbehinderten Kindern in bestimmten Regelmäßigkeiten. Dabei
müssen wir aber bedenken, dass sich die Entwicklung immer individuell
vollzieht und in keinen Rahmen pressen lässt. Es geht darum, die
Kompetenz des Kindes zu stützen.
Bei der Förderung mehrfachbehinderter Kinder begegnen uns fünf
Stufen der visuellen Wahrnehmung:
1. Die Wahrnehmung, dass es SEHEN gibt, dass es hell und dunkel gibt,
2. das Aufmerksamsein, die Fähigkeit einen visuellen Reiz zu bemerken.
3. das Lokalisieren, das mit Augen-, und Kopfbewegungen verbunden ist und
ein aktives Hinwenden bedeutet,
4. das Erkennen, Wiedererkennen von Gesehenem, eine erste geistige
Vorstellung über die Dinge der Umgebung,
5. das Verstehen von einfachen Ereignissen, Relevanz und Nutzen von
Objekten.
Leitgedanken für die Arbeit mit mehrfachbehinderten Kindern
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
Du sollst die Perspektive des Lernenden teilen.
Du sollst deine Augen öffnen.
Du sollst Stärken und Fähigkeiten feststellen.
Du sollst dich sensibel auf das Kind einstellen.
Du sollst die Gesamtheit des Kindes sehen.
Du sollst dich mit alle anderen abstimmen.
Du sollst an morgen – an die Ziele denken.
Du sollst das Kind wertschätzen.
Du sollst dem Kind Zeit geben.
Du sollst deine eigene Arbeit, nicht das Kind beurteilen.
Förderung
2. BASALE KOMMUNIKATION – ein Weg zum Anderen
(aus: Texte zur „Basalen Kommunikation“ von Winfried Mall)
Ich stehe vor jemandem und frage mich, wie ich ihn erreichen kann. Er selbst
spricht nicht oder nur so eingeschränkt, dass er sich damit nicht wirklich selbst
mitteilen kann. Seine Mimik oder Gestik hat keinen erkennbaren
Bedeutungsinhalt. Mit meiner Sprache kann er offensichtlich nichts anfangen,
auf mein Lächeln reagiert er nicht, meinem Blickkontakt weicht er aus, meine
Berührungen rufen keine Antwort hervor oder werden gar abgelehnt. Ich habe
das Gefühl, der andere lebt in einer Welt für sich, zu der ich keinen Zugang
finde. Oder aber ich spüre, der andere möchte sich mitteilen, möchte Kontakt
aufnehmen, hat aber keine Möglichkeiten dazu. Es ist keine Kommunikation
möglich, es kommt zu keinem wechselseitigen Austausch. Das Problem ist
sicher vielen bekannt, die mit schwer geistig behinderten Menschen
zusammenkommen.
Zielgruppe
Zielgruppe der basalen Kommunikation sind Menschen, die nicht in der Lage
sind, sich aktiv auszudrücken und mitzuteilen. Bei ihnen wird zwar jede
einfühlsame Betreuerin Hinweise erkennen, wie sie sich fühlen, was ihnen
besonders gefällt und was sie ablehnen. Ausdrucksmittel sind vermehrtes
Lautieren, motorische Unruhe, Schreien oder andere Ausdrucksweisen der
Körpersprache. Jedoch bleiben diese Eindrücke diffus und subjektiv. Oft ist
man auf Mutmaßungen angewiesen, das Gefühl der Distanz und eines
unüberbrückbaren Abgrundes drängt sich immer wieder auf. Die Situation der
unvermittelten persönlichen Begegnung lässt sich nicht herstellen.
Basale Kommunikation möchte keine Methode der Förderung ersetzen,
sondern hat die Begegnung zum Ziel. Der Begriff „basal“ wird hier verwendet
im Sinne der „Voraussetzungslosigkeit“ auf Seiten des behinderten Partners.
Es werden keine Vorbedingungen für Kommunikation gestellt.
Kommunikationskanäle
Über die Kommunikationsweisen, derer wir uns üblicherweise bedienen
(Blickkontakt, Sprache, Mimik, Gestik...), kommt mit einem schwer geistig
behinderten Menschen kaum ein Austausch zu Stande. Nun lässt sich aber
feststellen, dass jeder Mensch irgend etwas tut, und in seinem Tun Auskunft
gibt, wie er sich fühlt, was ihn bewegt. Es ist wichtig, den Mitteilungscharakter
dieser Aktivitäten erkennen. Hier sind die Ansätze der Kommunikation zu
finden.
Selbst wenn Menschen sich nicht bewegen, lautieren und schauen, gibt es
eine ganz zentrale Tätigkeit, die bei jedem zu finden ist - wir atmen.
Förderung
Der Atem bzw. die Art, wie wir atmen, der Rhythmus unseres Atems ist unser
elementarstes Ausdruckmittel. Und hier setzt die basale Kommunikation an.
Der Atemrhythmus drückt nicht nur den momentanen Zustand aus, sondern
auch eine Grundstimmung, ein Lebensgefühl - die Persönlichkeit.
Auffälligkeiten im Atemrhythmus bei schwer behinderten Menschen sind sehr
häufig in Form von Hyperventilation, ungleichmäßigem, stauendem,
pressendem oder verhaltenem Atmen zu finden. Auf basaler Ebene kann
versucht werden, mit dem Partner über den Atemrhythmus in Austausch zu
treten.
Lautäußerungen im Zusammenhang mit der Atmung (Tönen, Brummen,
Lautieren...) sind weitere Kommunikationsformen, die in der basalen
Kommunikation genutzt werden.
Zentrale Kommunikationsmittel sind:
1
1
1
1
Atemrhythmus
Körperkontakt
Bewegung
Stimme
Kommunikationsinhalte sind:
1
1
1
1
die Herstellung eines wechselseitigen Austausches zwischen mir
und dem behinderten Partner auf vorsprachlicher, emotionaler
Ebene
das Vermitteln von Verständnis, Zuneigung und Interesse
der Abbau von Ängsten, Verspannung und Panik
die Öffnung für Beziehung
Durchführung
Bei der Durchführung der basalen Kommunikation ist u.a. Folgendes zu
beachten
1
Sich Zeit nehmen (ca. 15 Minuten, zweimal täglich)
1
Ruhiger, reizarmer Raum
1
Vorsichtiger Körperkontakt: Leib an Leib sitzen, mit der eigenen
Hand den behinderten Partner beim Ausatmen berühren, stets die
Reaktionen des anderen wahrnehmen und sich anpassen, nicht in
mechanisches „Bearbeiten“ verfallen
1
Sehr wenig, leise und behutsam sprechen – nur das ansprechen,
was gerade aktuell ist
Förderung
1
1
1
Sich auf den Atemrhythmus des Partners einstellen und ihn
mitmachen, so „ver-rückt“ er auch sein mag
Ausatmung hörbar machen (brummen, singen, summen...)
Ausdruckselemente des Partners aufnehmen, sie nachahmen und
ihm widerspiegeln, dabei jedoch nicht stereotyp werden
1
1
1
In der Ausatmungsphase Bewegungen vom Partner übernehmen
und neue Bewegungsimpulse setzen
Abwehrreaktionen des Partners respektieren
Das Ende der Sitzung bestimmt der Betreuer, möglichst in einer
ruhigen und gelösten Phase
Basale Kommunikation darf nicht auf Methode beschränkt werden, sie enthält
immer spielerische und kreative Momente und soll nie kritiklos auf jede
Beziehung übertragen werden. Die Echtheit der Begegnung ist zentraler Kern
der basalen Kommunikation.
Basale Kommunikation soll nicht auf begrenzte Situationen eingeschränkt
werden, Begegnung findet überall statt und lässt sich im Sinn basaler
Kommunikation gestalten. Sie hat nicht die Heilung der Behinderung zum Ziel.
Es geht um einen gegenseitigen Zugangsweg und ist Kommunikationsmittel
auf einer basalen Ebene.
Förderung
3. Basale Förderklassen
Behinderte Menschen haben ein unveräußerliche Recht auf Achtung ihrer
Menschenwürde.
Behinderte haben also dieselben Grundrechte wie ander Mitbürger ihres
Alters, womit primär und insbesondere das Recht auf ein angemessenes
Leben gemeint ist, das so normal und sinnerfüllt wie möglich sein soll – alle
Behinderten, ungeachtet des Ursprungs, der Art und Schwere ihrer
Benachteiligungen oder Behinderungen.
Basale Förderklassen wurden in ganz Österreich eingerichtet. Anhand des
Beispiels von Wien wollen wir hier eine mögliche Form vorstellen.
Seit dem Schuljahr 1992/93 werden in den Basalen Förderklassen Wien
schwerstbehinderte SchülerInnen von zwei PädagogInnen in einer Klasse
unterrichtet. Vor zwei Jahren konnte auch am Bundesblindenerziehungsintstitut in Wien eine Basale Förderklasse eingerichtet werden. Mittlerweile
bestehen zwei Vormittagsklassen mit je vier SchülerInnen, die Nachmittagsbetreuung mit vier SchülerInnen ist auch gegeben.
Hauptkriterien für die Aufnahme der SchülerInnen in Basalen Förderklassen
sind Pflegeabhängigkeit sowie geistige und mehrfache Behinderung.
FachbetreuerInnen unterrichten in Teamarbeit mit SonderschullehrerInnen in
einer Klasse. Basale Förderklassen sind im Wiener Regelschulsystem
eingegliedert, sodass Kinder im schulpflichtigen Alter diese Klassen besuchen
können.
Neben der Wahrnehmung über basale Stimulation gehören die Förderung
motorischer Fähigkeiten, Sprachentwicklung, Esstraining und soziales Lernen
zu den Schwerpunkten des Unterrichts. Pädagogische, therapeutische und
pflegerische Elemente fließen zu einer Einheit. Da es das Ziel der individuellen
Förderung ist, das Kind in der Entwicklung seiner Persönlichkeit und
Selbstständigkeit möglichst umfassend und ganzheitlich zu unterstützen, wird
für jedes Kind ein eigener Förderplan entwickelt.
Grundsätzliches Ziel der individuellen Förderung ist die Hinführung der Kinder
zu größtmöglicher Selbstständigkeit, Eigenaktivität, Integration und
Umsetzung erlernter Fähigkeiten, Erkennen und Ausdruck von Vorlieben und
Abneigungen.
Förderung
Möglichkeiten der Wahrnehmungsförderung:
1 somatisch: baden in Wasser und unterschiedlichen Materialien
(z.B. Bohnen), Massage, Lagerung auf verschiedenen Unterlagen
Der Körper steht im Mittelpunkt der Förderung.
1
vestibulär: schaukeln, drehen, wippen
Hilfsmittel wie Wasserbett, Hängematte, Physioball, ..
1
vibratorisch: Musikinstrumente, massieren mit verschiedenen
Massagegeräten.
Das intensive Spüren von Schwingungen steht im Mittelpunkt.
1
akustisch: Geräuschmobiles , Einsatz von Musik und Stimme
Geräusche werden gezielt und geplant angeboten, die aktiv und
bewusst wahrgenommen werden können.
1
visuell: verschiedene Lichtreize, Blitzkugeln, ..
Kinder können zu aktivem Hinschauen, Fixieren etc. gelangen.
1
taktil/haptisch: Greifsäckchen, Mobiles, Wühlwannen, ..
Im Mittelpunkt steht geführtes und eigenaktives Spüren und
Ertasten verschiedener Materialien.
1
oral/gustatorisch/olfaktorisch: Riechdosen, Kausäckchen,
Kostproben unterschiedlicher Lebensmittel.
Neue Eindrücke im Mundraum und Gesichtsfeld sollen für
Differenzierungsfähigkeit und Sensibilisierung beitragen.
Aber auch das Gemeinschaftsgefühl wird gefördert. So erleben die Kinder
gemeinsames Musizieren, Ausflüge, gemeinsame Feiern, etc.
Weitere wichtige Gebiete sind die Ernährung und der medizinischpflegerische Bereich. Im Bereich der Ernährung sind medizinischtherapeutisch orientierte Elemente integriert:
Orofaciale Stimulation, Anbahnen von eigenativem Schlucken, verschiedene
Hilfsmittel wie Schnabelbecher, Griffverstärkungen, Sondieren.
Das Ziel der Tätigkeiten im medizinisch-pflegerischen Bereich ist die
Sicherstellung der physischen und psychischen Stabilität der Kinder und die
Befriedigung von Grundbedürfnissen.
Der graue Alltag ist in einer Basalen Förderklasse nie grau und trist, für
Abwechslung sorgen unsere Schüler und Schülerinnen!
Förderung
4. Sitz - und Liegemöglichkeiten im Klassenraum
Die Auswahl an richtigen und passenden Sitz- und Liegemöglichkeiten im
Klassenraum oder im Schulalltag ist von entscheidender Bedeutung. Noch
wichtiger ist die Auswirkung des Sitzens oder Liegens auf das allgemeine
Befinden des Schülers und damit auf seine Lebensqualität. Jeder Mensch
bringt individuelle Voraussetzungen und Bedürfnisse mit. Bei Sitz- und
Liegemöglichkeiten unterscheidet man zwischen Ruhestellung und Aktivität.
Zur Ruhestellung
Voraussetzung für eine wirkliche Ruhestellung ist die Unterstützung sämtlicher
Körperabschnitte. Das bedeutet, dass nicht nur Oberschenkel, Gesäß, Rücken
und Kopf unterstützt werden, sondern auch Füße, Unterschenkel, Arme und
Hände. Damit dies möglich wird, ist eine Annäherung an eine liegende
Position notwendig. In den meisten Fällen ist es nicht damit getan, die
Sitzgelegenheit nach hinten zu kippen und anzulehnen. Dabei werden selten
die Füße und Unterschenkel genügend unterstützt und fast immer werden
dabei Arme und Hände frei nach unten hängen. Dieses Hängen führt jedoch
zu einer kräftigen Dehnung im Schultergelenk und wird sich binnen kurzer Zeit
schmerzvoll bemerkbar machen.
Diese Prinzipien gelten für einen normalen Rollstuhl, einen Rollstuhl mit
kippbarer Sitzeinheit oder ein anderes beliebiges Sitzmöbel. Weitere
Möglichkeiten, Ruhepositionen einzunehmen, ergeben sich natürlich auf einer
Matte am Fußboden oder auf einer erhöhten Liegefläche. Diese Form der
Ruheposition ist oft bequemer für den Schüler, da sie sehr individuell gestaltet
werden kann.
Auch beim Liegen müssen alle Körperabschnitte unterstützt sein, um
Entspannung und Schmerzfreiheit so weit als möglich zu gewährleisten.
Wichtige Hilfsmittel dazu sind aus Schaumstoff gefertigte Rollen
unterschiedlichen Durchmessers, keilförmige Polster aus dem gleichen
Material in verschiedener Höhe und eine Auswahl von Polstern variierender
Größe und Festigkeit.
Förderung
Zur Aktivität
Meistens ist die Ausgangsposition für eine Aktivität eine mehr oder weniger
aufrechte Haltung. Wichtig ist, dass es dem Schüler möglich ist, die
erwünschte Stellung ohne Anstrengung halten zu können, dann sind die Arme
und Hände zum Manipulieren frei.
Wird diese Schwerpunktverlagerung erreicht, z.B. mit einem Sitzkeil oder einer
leicht nach vorne geneigten Sitzfläche, muss das Gewicht des jetzt nach vorne
geneigten Körpers wieder aufgefangen werden , damit der Schüler sich nicht
der Haltungsarbeit widmen muss.
So ist eine für den Oberkörper ausgeschnittene Tischplatte günstig, damit sich
der Schüler ganz dem Manipulieren und anderen Aufgaben widmen kann.
Zwischen vorderer Abstützung und Rückenlehne ist jetzt eventuell ein Raum
entstanden, innerhalb dessen der Schüler sich relativ frei bewegen kann und
so gute Möglichkeiten findet, sich Haltung und Gleichgewicht auch außerhalb
der Therapiestunden anzueignen. Bei Kindern, die über keine Kopfkontrolle
verfügen, hilft eine Halskrause zur Unterstützung.
Graz, Klaus Janes, Dipl. Physiotherapeut
Förderung
5. Ein Koffer voller ...
Das Förderkonzept einer Pionierin - Lilli Nielsen
Lilli Nielsen arbeitete 30 Jahre lang als Psychologin und Lehrerin mit
sehgeschädigten Kindern. Ausgehend von der Beobachtung, dass etwa 44 %
aller blinden Kinder und Jugendlichen in ihrer Entwicklung weit hinter der
Altersnorm zurückbleiben, suchte sie nach neuen Unterrichtsmethoden und
Lernwegen.
Sie beschäftigte sich intensiv mit den Lernvoraussetzungen des blinden
Kindes mit geistiger Behinderung. Das normal sehende Baby beginnt schon
kurz nach der Geburt, die Welt mit seinen Augen zu erkunden. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass bereits ein acht Tage altes Kind
versucht, das Mienenspiel seiner Eltern zu imitieren. Das blinde Baby mit
geistiger Behinderung nimmt Geräusche, Gerüche und taktile Reize wahr,
aber es kann nicht sehen, woher diese Eindrücke kommen, und es ist ihm
kaum möglich, Zusammenhänge zu entdecken.
Bei blinden Kindern fällt z.B. auf, dass sie ihren Kopf sehr viel später zu heben
und zu kontrollieren lernen als sehende Kinder. Insgesamt bewegen sie sich
weniger als sehende Babys. Dadurch kommen sie in geringerem Maße mit
ihrer Umwelt in Berührung und haben nicht ausreichend Gelegenheit, die
Dinge ihrer nächsten Umgebung wahrzunehmen. Es kann ein negativer
Kreislauf entstehen. Die normale motorische und sensomotorische
Entwicklung verlangsamt sich.
An dieser Stelle setzt L. Nielsen mit ihren Überlegungen ein. Die anderen
Sinne sollen so aktiviert werden, dass die Ausfälle im visuellen Bereich
kompensiert werden. Besondere Bedeutung erhält die Schulung des Gehörs.
Deshalb ist es völlig falsch, blinde Babys mit geistiger Behinderung in gut
gepolsterten Körbchen oder Betten liegen zu lassen. Jedes Geräusch, das die
Kinder selbst erzeugen, wird durch weiche Matratzen, Polster und Kissen
gedämpft und kann deshalb vom Kind nicht wahrgenommen werden. Wichtige
Stimuli gehen auf diese Weise verloren.
L. Nielsen geht es darum, bei den blinden Kindern mit schweren
Behinderungen nicht beim fehlenden Können anzusetzen. Das Kind soll nicht
therapiert und trainiert werden. Vielmehr wird versucht, eine Umgebung zu
schaffen, in der das Kind so stimuliert wird, dass der oben beschriebene
Kreislauf durchbrochen werden kann. Dabei soll das Kind selbst weitgehend
Tempo und Richtung der Förderung bestimmen.
Förderung
Drei Zielbereiche sind L. Nielsen besonders wichtig:
1
1
1
Das Kind soll aus der Passivität herausgeführt werden. Es soll lernen,
seine Umwelt aktiv zu erobern und zu erkunden.
Kommunikation soll über die Entwicklung motorischer Funktionen
angebahnt werden.
Es muss eine Umgebung geschaffen werden, in der sich das Kind
weitgehend selbständig entwickeln kann.
Um das blinde Kind über akustische Reize zu stimulieren, muß eine Umfeld
vorbereitet werden, die Geräusche verstärkt und nicht dämpft. L. Nielsen legt
die Kinder deshalb auf eine sogenannte Resonanzplatte. Diese besteht aus
4 mm starkem Sperrholz und ist am Rand auf eine etwa 3 cm dicke Leiste
aufgeklebt. Durch den Hohlraum zwischen Sperrholzplatte und Boden entsteht
der Resonanzeffekt. Jedes Geräusch, welches das Kind erzeugt, wird dadurch
deutlich hervorgehoben und besser wahrnehmbar. Mit der Zeit wird das Kind
auch begreifen, dass die Geräusche, die es hört, selbst erzeugte Geräusche
sind.
Blinde Kinder können meist sogenannte „Distanzgeräusche“ (z.B. das Klingeln
eines Telefons) hören und unterscheiden. Wenn sie ein solches Geräusch
gern haben, können sie es trotzdem nicht selbst wiederholen. Sie müssen
warten, bis es zufällig wieder ertönt. Auf diese Weise werden die Kinder zu
guten passiven Zuhörern, aber sie lernen nicht, dass sie selbst etwas tun
können, um ihre Umwelt zu kontrollieren. Das hier beschriebene Konzept
basiert deshalb auf der Idee, dass die Kinder lernen, Geräusche selbst zu
erzeugen und interessante zu wiederholen. Nur wenn das Kind genügend
Erfahrungen mit „Nahgeräuschen“ gemacht hat, mit Geräuschen also, die es
selbst produzieren und beliebig wiederholen kann, wird es sich zu einem
aktiven Zuhörer entwickeln.
Alle von L. Nielsen entwickelten Materialien haben das Ziel, die Eigenaktivität
des Kindes zu wecken und zu fördern. Wenn das Kind mit Hilfe der
Resonanzplatte gelernt hat, dass es nach Objekten suchen kann, muss man
ihm immer eine entsprechende Erfolgschance bieten. Deshalb sollten in der
Nähe des Kindes nicht nur einige wenige Gegenstände liegen, sondern
mindestens zwei oder drei Dutzend. Auf diese Weise wird jeder einzelne
Versuch, nach etwas zu suchen, mit Sicherheit zum Erfolg führen. Diese
Erfahrungen steigern die Aktivität des Kindes. Es wird nach einiger Zeit nicht
mehr ständig einen erwachsenen Helfer benötigen, um aktiv zu sein. Dies
bedeutet nicht, dass das Kind keine Spielaktivität gemeinsam mit einem
Erwachsenen braucht. Durch eine Bezugsperson kann das Kind verbale
Förderung
Information über sein Tun, die Gegenstände, mit denen es handelt und die
damit verbundenen Geräusche erhalten. Die anregungsreiche und die
entwicklungsfördernde Umwelt macht Lehrerinnen und Lehrer keineswegs
überflüssig. Jedes Kind muss in der Begegnung mit dem Lehrer/der Lehrerin
erfahren, dass es mit allem, was es tut, akzeptiert wird. Es braucht
menschliches Echo, Kommunikation mit den Bezugspersonen und anderen
Kindern.
Nielsen ist es vor allem wichtig, das Kind aus seiner Passivität
herauszuführen, indem eine Umgebung geschaffen wird, in der sich das Kind
weitgehend selbsständig entwickeln kann. Bei all ihren Überlegungen ging es
Lilli Nielsen nie um ein einseitiges Funktionstraining, sondern sie wollte die
Ich-Identität des Kindes fördern. Ihre Vorschläge setzten voraus, dass die
Erzieherinnen und Erzieher die Gefühle, Wünsche und Besonderheiten der
ihnen anvertrauten Kinder beachten und respektieren. Es gilt, die
Eigenständigkeit eines jeden Kindes anzuerkennen und zu unterstützen. Das
Kind soll sich selbst als aktive Person erleben und nicht nur die Erfahrung
„helfender Hände“ machen. Die eigene Beteiligung soll dem Kind bewusst
werden. Die Lernangebote müssen deshalb so gestaltet sein, dass
selbständiges Lernen ermöglicht wird. Dafür sind Wahlmöglichkeiten
einzuplanen. Auf diese Weise lernt das Kind, eigene Entscheidungen zu
treffen.
Die hier beschriebene Entwicklungsförderung geht von einer ganzheitlichen
Betrachtungsweise aus, die dem Kind mit schwerer mehrfacher Behinderung
Raum läßt, seine eigene subjektive Seins- und Erlebnisweise, seine eigene
Handlungsvollzüge zu verwirklichen. Pädagogische Interventionen erfolgen im
Sinne einer Anregung der Begegnung mit der Umwelt, wobei immer das Kind
mit seinen ganz individuellen Bedürfnissen den Weg weist.
Vertrauen in die Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes ist die Grundlage der
Arbeit. Wichtig für den Erfolg ist die Haltung, mit der hier den Kindern
begegnet wird. Die Achtung vor dem Individuum und die besondere
Wertschätzung jedes einzelnen Kindes sind das eigentliche Geheimnis des
Erfolges.
Zur Unterstützung dieser Ziele entwickelte Lilli Nielsen im Laufe ihrer Arbeit
viele verschiedene Fördermaterialien, wie z.B. den „Kleinen Raum“. Dieser soll
blinde und mehrfachbehinderte Kinder unterstützen eine Vorstellung vom
Raum zu erwerben. Es soll Anregungen erhalten, aktiv zu werden.
In ihren vielen Büchern beschreibt L. Nielsen sehr anschaulich und mit vielen
Beispielen ausgeschmückt, ihre Konzepte. (Literaturliste im Anhang)
Förderung
6. Wer nicht sprechen kann, hat scheinbar nichts zu sagen!
Viele unserer Kinder, die sehbehindert oder blind sind, haben
Mehrfachbehinderungen. Das entspricht einem weltweiten Trend, wonach
60% mehrfache Behinderungen haben. 67 Kinder pro Hunderttausend sind
schwerst mehrfachbehindert sehgeschädigt, in einem basalen Entwicklungsstadium wie ein Baby mit etwa 6 Monaten.
Natürlich können diese Kinder nicht sprechen. Sie können aber über andere
Kanälen kommunizieren. Dies erfordert, dass die Umwelt in der Lage ist,
entsprechend zu reagieren.
Uns ist das Thema Kommunikationsförderung für „nonverbale“ Menschen in
den letzten Jahren sehr wichtig geworden. In Amerika oder auch in
Deutschland hat man dieser Entwicklung durch eigene Beratungsstellen und
Betreuer Rechnung getragen.
Was bedeutet Kommunikation?
Der Wortstamm aus dem Lateinischen „communicare“, bedeutet „etwas
gemeinsam machen machen, Anteil nehmen“. Kommunikation ist kein
einseitiger Vorgang von einem aktiven Sender zu einem passiven Empfänger,
sondern ein Prozess zwischen gleichermaßen beteiligten Partnern.
Nicht-sprechen-können beinhaltet:
1
Reduzierte Information über Gefühle, Personen, Orte,
Bedingungen, nähere Begleitumstände, Gründe, Zwecke
1
Kaum Informationen über Zeitabläufe zu bekommen
1
Reduzierte Erfahrung vom Verstanden werden,
von Umweltbeeinflussung und Lebensgestaltung und von Selbstdarstellung
1
Erfahrungen von extremer Abhängigkeit und Ausgeliefertsein.
Menschen ohne Lautsprache können mit uns über viele
Kommunikationskanäle kommunizieren.
Blickverhalten
Tätigkeiten
verbale und vokale Äußerungen
Gebärden
Körperbewegungen
Mimik
Gestik
Handbewegungen
Atmung, Körpertemperatur, die Muskelspannung und die Körperhaltung
können einen Hinweis auf die Befindlichkeit geben oder Bedürfnisse zeigen.
Wichtig ist zu beobachten, zu reagieren und Zeit zu haben für das Kind.
Förderung
Kommunikationsfunktionen:
Damit ist die Wirkung oder die Absicht gemeint, die hinter dem sichtbaren
Verhalten einer Person steht. Besonders wichtig sind
1
das Verlangen nach Aufmerksamkeit
1
der Ausdruck von Gefühlen
1
der Ausdruck von Protest und von Informationen
1
das Geben von Antworten
Kommunikation hat vor allem zwei Aspekte:
Verstehen und Sich - Mitteilen
„Verstanden zu werden ist die heilsamste Erfahrung, die jemand mit anderen
machen kann.“
„Kinder brauchen Mittel, dass sie sich äußern können, und nicht Mittel, dass
sie funktionieren.“
Ein Dialog besteht aus:
1
angesprochen werden
1
verstehen
1
antworten können
Bei den Kommunikationsmöglichkeiten eines Kindes ist zu klären:
Input: Was wird verstanden? Kann gesprochene Sprache verstanden werden?
Output: Welche Möglichkeiten stehen zur Verfügung , um sich mitzuteilen?
z.B. Ein Kind mit spastischen Lähmungen versteht gesprochene Sprache,
besonders, wenn sie durch Gebärden unterstützt wird. Durch die spastische
Lähmung kann das Kind meist nicht selbst verständlich sprechen, es ist aber
auch die Motorik der Hände meist so beeinträchtigt, dass es selbst keine
Gebärden einsetzen kann.
Die größte Herausforderung liegt für uns darin, Methoden zu entwickeln und
Mittel zu finden, dass sich ein Kind ausdrücken lernt und in der Umwelt etwas
bewirken kann.
In diesem Fall soll das Kind lernen, sich durch Bilder, Symbole, gedruckte
Wörter oder mit der Hilfe eines technischen Kommunikationsgeräts
mitzuteilen.
Ein Kind kann verschiedene Systeme verwenden.
Die Programme in der Sehschulung zielen darauf, Bilder zu erkennen. Bei
entsprechendem Entwicklungsstand und Sehvermögen kann das Kind durch
Verwenden von Bildern anzeigen was es will. Es gibt Systeme, die sogar „ein
Sprechen“ in Sätzen durch mobile technische Kommunikationsgeräte
ermöglichen. Die bebilderten Tastfelder (auch durch taktile Symbole belegbar)
können mit Wörtern und Sätzen programmiert werden, die man auf
Förderung
das Kind individuell abstimmen kann. Drückt das Kind das Feld für die
Mitteilung „Ich habe Durst“, ertönt die Sprachausgabe. Es müssen jedoch die
Voraussetzungen auf kognitiver und emotionaler Ebene vorhanden sein.
Kommunikation mit Worten läuft auf einer Symbolebene ab. Um auf eine
Symbolebene zu kommen, wurde für Kinder, die nicht sehen können, die
Arbeit mit Bezugsobjekten entwickelt.
Bezugsobjekte haben eine bestimmte Bedeutung, die ihnen zugewiesen wird.
(Das kann auch sehr individuell sein.) Sie stehen für etwas, so ungefähr, wie
Wörter für etwas stehen. Sie können verwendet werden
für Aktivitäten: trinken, essen, schwimmen, Musik hören, ....
für Orte: Klassenzimmer, zu Hause
für Leute: die Hand mit Armband steht für die Person, die es immer trägt,
z.B. Frau Lehrerin
Diese Bezugsobjekte werden in einer gefächerten Kiste verwendet oder
hängen auf einem bestimmten Platz. Für das Kind werden Dinge, Ereignisse
und Personen, die erwartet werden, als Symbole in die Kiste gegeben. Es
kann also vorausblicken und sich auf Künftiges einstellen. Umgekehrt hat das
Kind die Möglichkeit, durch Verwenden bestimmter Gegenstände den Wunsch
auszudrücken, z.B. etwas zu essen zu bekommen oder ins Bad zu wollen.
Bezugsobjekte stehen im großen Feld Kommunikation, als Möglichkeit des
Selbstausdrückens im taktilen Bereich.
In der Folge werden die wirklichen Gegenstände durch verkleinerte Symbole
ersetzt und später überhaupt durch tastbare Abbildungen, die je nach
Möglichkeit des Kindes, zur Blindenschrift weiterentwickelt werden können.
Wenn das Kind verschiedene tastbare Formen bereits gut erkennt, können
diese auch auf einem Kommunikationsgerät, das mit Stimme arbeitet,
angebracht werden. Jene Kinder, die nicht tasten können, haben die Chance,
mit einem akustischen Scanning auf das gewünschte Wort zu treffen.
Akustisches Scanning bedeutet: Das Sprachausgabegerät wiederholt alle
programmierten Wörter solange, bis das Kind durch einen Tastendruck ein
Wort auswählt.
Voraussetzung für die Arbeit mit Bezugsobjekten:
1
1
1
Die Fähigkeit, Dinge durch Tasten zu erkennen
Verständnis, dass ein Objekt etwas bedeuten kann
Eine gewisse Erinnerungsfähigkeit
Förderung
Für die Kommunikation, bzw. den Kontakt mit Menschen ohne Lautsprache
können folgende Grundregeln formuliert werden:
Warten lernen:
Ein Mensch ohne Lautsprache braucht
mehr Zeit für seine Äußerung!
Das Thema suchen: Geduldig nachfragen, assoziieren und
zusammenfassen.
Empathisch wahrnehmen:
Das Grundanliegen mit dem
Herzen verstehen und alle
Kommunikationsformen
akzeptieren.
Nichtverstehen signalisieren:
Unklarheiten benennen und
gemeinsam nach alternativen
Ausdrucksmöglichkeiten suchen.
Regelmäßige Bestätigung:
Durch Fragen regelmäßig
überprüfen, ob wir das
Anliegen richtig verstanden
haben.
Das Zusammenleben und Unterrichten von Kindern mit
Sehproblemen ohne Lautsprache erfordert viel Einfühlungsvermögen und Geduld. Geduld, die man auch mit sich selber
haben muss, wenn Fortschritte nicht so schnell erkennbar
sind. Eine große Herausforderung.
Förderung
7. Bits, Bytes & Co(mputer)
Durchdachte didaktische und methodische Überlegungen in Förderplänen und
die Möglichkeiten des Einsatzes von elektronischen Hilfsmitteln bieten ein
großes Spektrum von Maßnahmen zur Förderung von Wahrnehmungs- und
lebenspraktischen Bereichen bei mehrfachbehinderten Kindern. Die
Technologisierung ermöglicht zunehmend bei entsprechenden Kenntnissen
die individuelle Adaptierung der Computer sowohl im Hardware - als auch im
Softwarebereich.
Spezielle Tastaturen, Schalter und Sensoren, verschiedene Joysticks,
Programme, die in Kontrastfarben gestaltbar und akustisch unterstützt
arbeiten, große Monitore, Bildschirmtastatursimulationen in Verbindung mit
Vergrößerungsprogrammen und Kommunikationsgeräte, die akustisches
Scanning anbieten, sind technische Voraussetzungen, die die Arbeit mit
elektronischen Hilfsmitteln ermöglichen, bzw. erleichtern sollen. Bei schwerst
mehrfachbehinderten Kindern kann die Kommunikation und die
Wahrnehmungsorganisation unterstützt werden. Der Einsatz des Computers
stellt nur eine Ergänzung im Rahmen der Gesamtförderung dar.
Training mit dem Schalter
Schalter und Sensoren unterschiedlichster Bauart eignen sich, das Prinzip von
Ursache und Wirkung zu erfahren. Die gezielte Anwendung eines
Eingabegerätes ist die Grundvoraussetzung für die Bedienung eines
Computers oder eines Kommunikationsgerätes. Die Übungen dazu sollen in
spielerischer Form geschehen. In der Anfangsphase darf das Kind keine
negativen Erfahrung mit dem Hilfsmittel machen und sich durch das
Schaltertraining an den Bewegungsablauf gewöhnen. Bei einer Reihe kleiner
Spiele im dreidimensionalen Raum kann das Kind eine Wenn-Dann-Erfahrung
machen und sich als Verursacher der Handlung erleben. Als Training eignet
sich das selbstständige An- und Ausschalten eines Kassettenrecorders, eines
Lichts, das Spielen mit einer elektrischen Eisenbahn, die auf Schalterdruck
losfährt und anhält, oder mit speziell adaptierten Lichtkästen, wo das Kind
optische und akustische Signale steuert und dabei zum ersten Mal mit der
Scanningmethode konfrontiert ist.
Eingabegeräte müssen der Behinderung individuell angepasst werden. Es
eignen sich dafür robuste Flächenschalter, Näherungssensoren, Saug-,
Blassensoren, Schalter mit einstellbarer Betätigungskraft, u.s.w. Bei schwerer
motorischer Beeinträchtigung können diese auch als Computereingabegeräte
verwendet werden.
Förderung
Das anfängliche Training in der Dreidimensionalität ist die Voraussetzung für
die Arbeit im zweidimensionalen Raum, die Arbeit mit dem Computer. Eine
weitere Voraussetzung ist die optimale Zusammenstellung der
Computerkonfiguration – großer Monitor, leistungsfähige Grafikkarte,
akustische Unterstützung der Programme, sorgfältig und richtig gewähltes
Eingabegerät.
Der weitere methodisch didaktische Aufbau wird sich je nach kognitiver
Leistungsfähigkeit in Richtung Erlernen der Kulturtechniken oder
Wahrnehmungsschulung mit dem Schwerpunkt Lebenspraxis und
Symbolkommunikationsaufbau und Training des akustischen Scannings
orientieren.
Schreiben und Rechnen
Neben den gängigen Textverarbeitungsprogrammen gibt es speziell
entwickelte Software, mit denen man ein Schreib- und Rechenheft simulieren
kann. Diese Programme sind besonders vielfältig adaptier- editier- und in
Modulen erweiterbar. Sie sind mit einer integrierten Sprachausgabe
ausgestattet. Zur Unterstützung von sehbehinderten Kindern können nicht nur
geschriebene Texte, sondern auch die Meldungen des Programmes über die
Sprachausgabe ausgegeben werden, die Farbe, die Schrift und die Größe des
Textes sind frei wählbar. Tasten und Tastenkombinationen können mit eigen
Texten belegt werden, häufig verwendete Texte sind dadurch schnell
aufrufbar. Die Rechenheftfunktion ermöglicht das Schreiben von Rechnungen
am Bildschirm in gleicher Weise wie auf dem Papier. Diese
Schreibprogramme sind mit allen Eingabegeräten verwendbar. Das
Tastatursimulationsmodul ermöglicht das Schreiben mit einfachen Schaltern,
Joysticks
und
Maussimulatoren.
Großfeldund
Folientastaturen
(Conceptkeyboard, Intellikeys) für sehbehinderte Kinder mit geringen
motorischen Einschränkungen können als Eingabegeräte verwendet werden.
Wahrnehmung
Es gibt Lern- und Fördersoftware für Kinder, die nicht über die Schriftsprache
verfügen, deren Wahrnehmungsorganisation merklich eingeschränkt ist und
deren Motorik und Sehvermögen stark beeinträchtigt ist. Sie trainieren dabei
die Konzentration, die Reaktionsfähigkeit und nach Möglichkeit auch die
optische Differenzierung.
Kommunikation
Bei Schülern, die nicht sprechen können, schwerst körperbehindert und blind
bzw. hochgradig sehbehindert sind, wird sich der Schwerpunkt im
lebenspraktischen Lernen auf den Aufbau eines Kommunikationssystemes
Förderung
verlegen. Es wird sich die Frage stellen: Wie muss ein elektronisches
Kommunikationsgerät beschaffen sein, damit es den Anforderungen
entspricht? Symbole können nicht ausgewählt werden. Die Auswahl selbst ist
nur mit Hilfe der Bedienung eines Schalters möglich – beide Forderungen
führen zwangsläufig zum akustischen Scanning. Die Auswahl muss über das
Hören, also akustisch erfolgen.
Beispiel: Im eingestellten Takt (z.B. drei Sekunden) sind Stichworte zu hören.
Nach dem Schalterdruck oder dem Sensorklick erfolgt die Aussage eines
Satzes, die zum letzen Stichwort gehört. Die Stichworte sind nur für den
Benutzer bestimmt und werden deshalb über einen Ohrhörer ausgegeben.
Wie bei allen digitalen Kommunikationsgeräten (natürliche Sprachausgabe)
gilt auch hier: Das beste Gerät taugt nichts für den Benutzer, wenn sich
niemand mit großer Bereitschaft und viel Einfühlungsvermögen um das
passende Vokabular kümmert.
SD Hannes Liegle,
Direktor an der Körperbehindertenschule in Salzburg
Förderung
8. Orientierung und Mobilität
Ziel des Unterrichts in O&M ist es, auch einem
mehrfachbehinderten sehbehinderten oder
blinden Kind eine individuelle Selbstständigkeit in der Bewältigung eines Weges zu ermöglichen. Dafür sind oft speziell angepasste
Hilfsmittel notwendig. Nicht alle Kinder schaffen es, mit dem Langstock zurechtzukommen.
Mitunter sind alternative Mobilitätshilfen wie
z.B. ein Therapiewagerl, Kinder- oder Puppenwagen oder ein Sessel dafür
geeignet, um gesichert einen Weg gehen und rechtzeitig Hindernisse
wahrnehmen zu können.
Als wesentliche Voraussetzung für einen effektiven Mobilitätsunterricht gilt die
Motivation des Schülers. Gelingt es, eine gute Beziehung und ein
entsprechendes Vertrauensverhältnis zwischen Mobilitätslehrer und Kind
aufzubauen, so können oft scheinbar unerreichbare Ziele erreicht werden.
Orientierung & Mobilität beginnt nicht erst mit dem Gehen mit dem weißen
Stock, sondern dies umfasst viel mehr und fängt ab dem frühesten Alter an.
Bereits im Gitterbett, im Kinderwagen, am Arm der Mutter wird dem Kind
bewusst, wo es sich befindet und welche Erfahrungen und Erwartungen es
damit verknüpfen kann. Das Kind orientiert sich: WO BIN ICH? Zu wissen, wo
man ist, vermittelt Sicherheit.
Auch wenn das Baby noch nicht eigenaktiv seine räumliche Position
befriedigend verändern kann, so macht es doch die Erfahrung, dass es
verschiedene Orte gibt, die es je nach Bedürfnis erreichen möchte:
WOHIN WILL ICH? z.B. auf den Arm der Mutter, des Vaters.
Sehr früh lernt ein Kind Strategien zu entwickeln, ein Ziel zu erreichen:
WIE KOMME ICH DORTHIN? Durch Schreien, Lächeln, verschiedene
Lautäußerungen macht es auf sich aufmerksam und wird schließlich
hochgenommen.
Diese zentralen Fragen: „Wo bin ich? Wo will ich hin? Wie komme ich
dorthin?“ begleiten jeden Menschen, unabhängig ob sehgeschädigt,
mehrfach-behindert oder nichtbehindert, zeitlebens. Nichtbehinderte
Menschen sind sich dieser Tatsache meist nicht bewusst. Sie lernen es fast
nebenbei, sich zu orientieren und mobil zu sein. Für sehbehinderte und blinde
Menschen ist die Orientierung & Mobilität mit einem erhöhten Konzentrationsund Kraftaufwand verbunden.
Förderung
Geht die Sehschädigung mit einer zusätzlichen Behinderung einher, so erhöht
sich der Aufwand, um sich orientieren zu können um ein Vielfaches. Die
Möglichkeiten der Mobilität sind oft stark eingeschränkt.
Wichtige Bausteine im Mobilitätsunterricht sind die Schulung der
Körperwahrnehmung und des Körperbewusstseins. Das Kind muss seinen
Körper besser kennenlernen, um zu erfahren, was es damit alles machen
kann. Oben – unten, vorne – hinten, außen - innen sind Erfahrungen und
Positionsbegriffe die in der Orientierung immer wieder Bedeutung erlangen.
Unterschiedliche Bewegungserfahrungen verbunden mit Begriffsbildung sind
weitere Bausteine für die Mobilität. Vielen geburtsblinden Kindern ist es nicht
bewusst, wie sie einzelne Körperteile bewegen können. Was es bedeutet, sich
zu bücken, zu drehen, vorwärts, rückwärts, seitwärts zu gehen, zu hüpfen, zu
springen, zu stampfen, zu laufen, zu klettern ..., kann spielerisch erarbeitet
werden. Aus Angst bewegen sich Kinder oft sehr verkrampft und meiden es,
die Knie beim Gehen abzubiegen, obwohl sie motorisch dazu durchaus in der
Lage wären. Das selbstständige Treppensteigen ist sehr häufig mit großen
Ängsten von Seite der Erwachsenen besetzt, welche sich oft auf die Kinder
übertragen. Dass man Stufen sitzend, am Po rutschend und krabbelnd
erarbeiten kann um Sicherheit zu gewinnen, wird vielfach zu wenig
berücksichtigt. Wurden diese grundlegenden Erfahrungen nicht im
Vorschulbereich vermittelt, so ist es in der Schule erforderlich, entsprechende
Fortbewegungsmöglichkeiten auf der Stiege nachzuholen. Nur so kann ein
sehgeschädigtes Kind Sicherheit beim Bewältigen von Stufen gewinnen.
Räume können klein oder groß sein, es können sich darin Hindernisse aber
auch Anhaltspunkte für die Orientierung befinden. Ein begrenzter Raum kann
eine Kiste sein, in die das Kind gesetzt wird und in welcher es Grenzen und
„Mauern“ kennenlernen kann. Aus der Kiste kann es heraussteigen und sich
wieder in sie hineinsetzen. Die Kiste kann geschoben werden und an andere
Hindernisse im Raum stoßen. Mauern und Möbel können Begrenzungen eines
Raumes darstellen, andererseits bieten sie auch manchmal Schutz und
Hilfestellungen, wenn man sich daran festhalten oder an ihnen entlang tasten
kann.
Räume unterscheiden sich: Badezimmer – Fliesen, Waschbecken;
Kinderzimmer – Bett, Spielteppich; Küche – viele Kästen und Laden, Esstisch,
Herd, Geschirrspüler, Geruch nach Lebensmittel; Klassenzimmer – viele
Tische und Sessel, großer Raum; Turnsaal – großer leerer Raum,
Schweißgeruch;
Förderung
Der Schulung aller vorhandenen Sinne wird beim O&M-Unterricht hohe
Bedeutung beigemessen. Durch Riechen, Hören, Tasten ist es möglich zu
erkennen, wo man sich befindet. Durch den bewussten Einsatz aller Sinne ist
es auch möglich, ein angestrebtes Ziel wiederzuerkennen und sich orientieren
zu können.
Die verschiedenen Bodenbeschaffenheiten sind ein weiteres Lerngebiet für
mehrfachbehinderte Kinder. Barfuß oder nur mit Socken kann die Struktur von
unterschiedlichen Böden, Teppichen, Asphalt, Beton, Kies, Wiese besser
erfahren werden. Kinder gehen manchmal sicher auf dem Asphalt, sobald sie
die Wiese spüren, sind sie verunsichert. Die bewusste Unterscheidung des
Untergrundes kann eine wertvolle Orientierungshilfe für das sehgeschädigte
Kind darstellen.
Viele mehrfachbehinderte sehgeschädigte Kinder erreichen nicht jene
Selbständigkeit in der Orientierung und Mobilität, die sehgeschädigte
Personen ohne zusätzliche Behinderung erreichen können. Sie erleben es
aber oft als hilfreich, wenn auch sie frühzeitig die Erfahrung machen können,
mit dem Langstock alleine, d.h. ohne Handhaltung eine Strecke zurücklegen
zu können. Sie haben die Möglichkeit, der Stimme des Erwachsenen zu folgen
und ihr selbstgewähltes Gehtempo zu bestimmen. Unterwegs stoßen sie mit
dem Stock auf Hindernisse und Besonderheiten, die ihr Interesse wecken. Sie
können innehalten und„nachschauen“ worauf sie mit dem Stock gestoßen
sind. Eine perfekte Stocktechnik muss dann zugunsten vieler Erfahrungen, die
über den Stock selbst gewonnen werden können, nachrangig bewertet
werden. Die Motivation, alleine im Freien gehen zu können, wiegt viele
Anstrengungen auf und verstärkt die Bereitschaft, die Umgebung aktiv erleben
und sich darin einigermaßen sicher bewegen zu können.
Förderung
Stets muss beachtet werden, dass die individuellen Möglichkeiten und
Einschränkungen
von
verschiedenen
Faktoren
jedes
einzelnen
mehrfachbehinderten sehgeschädigten Kindes abhängen.
Der Alltag bietet viele Möglichkeiten, Orientierungserfahrungen bewusster
gestalten zu können. Nur wenn ein Kind viele Erfahrungen im „Wo bin ich
jetzt?“ gemacht hat, kann es unterschiedliche Ziele „Wohin will ich?“ finden.
Die Motivation, ein Ziel zu erreichen, kann ihm helfen, das „Wie komme ich
dort hin?“ zu bewältigen.
W?W?W? dies sind zentrale Punkte, die für alle Menschen wichtig sind,
um sich wohlzufühlen. Im besonderen Maße gilt dies für sehgeschädigte
Kinder mit einer Mehrfachbehinderung, da ihre Möglichkeiten, sich
zurechtzufinden oft stark reduziert sind.
Orientierung bietet Sicherheit. Wir können sehgeschädigte Kinder darin
unterstützen, sich im Leben besser zurechtzufinden.
Förderung
I like to walk with you but . . .
9. Ich möchte mit dir gehen, aber ...
Martin Thomas ist Mobilitätslehrer an der RNIB`s Rushton Hall School für
mehrfachbehinderte blinde Kinder. Er überlegt hier die Erfahrungen, geführt zu
werden, vom Gesichtspunkt des Kindes aus.
"Gib mir die Zeit, um bereit zu sein, mit dir zu kommen"
Ich möchte wissen, wer kommt, um mich zu führen. Ich möchte deine Stimme
meinen Namen sagen hören und wohin du mich bringst. Das heißt, dass ich
meine eigene Entscheidung fällen kann, ob ich mit dir komme. Wenn ich
irgendwohin gehen muss, sag es mir und frage mich nicht, da ich ansonsten
nein sagen könnte, und was machst du dann?
Gib mir Zeit, deinen Arm in einer Höhe zu nehmen, die für mich und für dich
angenehm ist.
Ich würde gerne jedem trauen, mit dem ich gehe, aber manchmal kann ich es
nicht. Einige Menschen scheinen mich aus meinem Sessel oder vom Boden
zu ziehen, ohne zuerst etwas zu sagen. Ich bevorzuge es vielmehr, die Zeit zu
haben, um deinen Arm oder deine Hand zu finden und selbst aus meinem Sitz
zu kommen oder nur mit der Hilfe, die nötig ist.
"Laß mich mit meiner eigenen Geschwindigkeit gehen, vermeide mich zu
ziehen"
Denk daran, dass meine Beine nicht so stark und so lang wie deine sind. Ich
kann nicht immer so schnell wie du gehen, aber ich werde dennoch
weitergezogen. Das heißt, dass ich nicht im Gleichgewicht bin oder dass ich
mir Sorgen mache, hinzufallen oder dass du plötzlich fortgehst. Wenn du mich
ziehst, ist alles, an was ich denken kann, wie müde ich werde und nicht, wohin
ich gehe.
Bitte sag mir, wohin ich gehe und was mir auf dem Weg begegnet.
"Schiebe mich niemals von hinten"
Schiebe mich nicht von hinten. Es verleiht mir ein Gefühl, als ob ich etwas
falsch gemacht habe oder dass ich nicht gewollt bin. Ich denke auch, dass ich
nach vorne fallen könnte.
Förderung
"Lass mich dir helfen, die Türen zu öffnen oder zu schließen."
Ich kann Türen öffnen und schließen. Lass mich den Türgriff finden oder lass
mich die Tür aufschieben und hinter mir schließen. Ich möchte dir gerne
helfen, und ich höre dich gerne Danke sagen.
Manchmal, wenn ich allein zu meinem Klassenraum oder Aufenthaltsraum
gehe, verwirrst du mich, indem du mich plötzlich dorthin bringst, wo du denkst,
dass ich hingehe. Halt ein und denke, vielleicht horche ich gerade oder fühle
nach Anhaltspunkten, die mir helfen werden, selbst dorthin zu kommen.
Manchmal wünsche ich mir, du würdest mich mehr selbst machen lassen,
aber bleib nah bei mir, weil ich dich vielleicht brauche, um mich zu bestärken
oder Dinge zu erklären, die mich beunruhigen. Wenn du mich in Gefahr siehst,
sage zuerst meinen Namen, um mich dann ruhig zu stoppen oder stillstehen
zu heißen.
Denk daran, dass ich mich verirre, wenn ich die Wand verlasse, die ich mit
Absicht verfolge. Alle blinden Menschen verirren sich manchmal. Wenn ich
mich verirre, jammere und schimpfe nicht, weil ich mich dann zornig oder
schuldig fühlen kann.
"Wenn du mich verlässt, vermeide, mich mitten im offenen Raum allein
zu lassen."
Bitte, verlass mich nicht im Raum. Ich möchte neben irgend etwas stehen; das
hilft mir, mich sicher zu fühlen.
"Zieh ab und zu meine Schuhe an"
Meine Welt ist nicht die gleiche wie deine. Es könnte mir helfen, wenn du dich
ab und zu in meine Schuhe stellst. Vielleicht erkennst du dann, welche
Unterschiede es gibt. Wenn du es einmal weißt, kannst du mir helfen, mehr
Sinn aus meiner Welt zu machen.
Versuche von jenen, die mich gut kennen, herauszufinden, wieviel ich sehe,
höre und unterstütze mich ohne deine direkte Hilfe. Das wird dir helfen, meine
Reise mit dir bedeutungsvoller zu machen.
Wenn ich in meinem Rollstuhl bin, neigen die Leute dazu, die Türen zu öffnen
oder zu schließen, indem sie den Rollstuhl dagegen stoßen. Ich verdiene eine
bessere Behandlung als diese und außerdem erschrecke ich darüber.
Förderung
Wenn ich mit dem Rollstuhl geführt werde, werde ich verwirrt, denn ich
erwarte, irgendwo gedreht zu werden, aber die Leute schneiden die "Ecken"
so, dass ich nie sicher bin, wohin ich gehe, bis ich dort bin. Wenn du mit 90°
Grad um die Ecke fährst, dann nehme ich zwangsläufig wahr, wohin ich gehe.
Viele Menschen sind viel größer als ich, wenn sie mich in meinem Stuhl
schieben, und ich kann nicht immer hören, was sie mir sagen, besonders
wenn viele Geräusche rundherum sind. Wenn du dich zu mir herunterbeugst,
dann kann ich dich viel klarer hören.
Ich fühle gerne deine Hand auf meiner Schulter. Es erhöht den körperlichen
Kontakt zwischen uns beiden."
Weil ich viel Zeit im Rollstuhl verbringe oder mit meinem Rollator gehe, habe
ich wenig freundlichen Kontakt, wenn ich in der Schule unterwegs bin. Ich
fühle gerne deine Hand auf meiner Schulter, wenn wir zusammengehen.
Außerdem, halten alle meine Freunde, die gehen können, immer deine Hand!
und abschließend
Denk daran, dass du Augen hast! Schau, wohin wir beide gehen und gib mir
bitte genug Platz. Ich weiß, dass ich mit meinem Kopf oftmals in meinem
Leben anstoßen werde, aber ich möchte darauf vertrauen, dass, wenn ich mit
dir bin, das nicht der Fall ist.
Ich freue mich, von Menschen geführt zu werden, die mit mir gehen möchten,
aber bitte, denk daran, ich bin blind!
Übersetzt aus dem Englischen von O&M-Trainer Franz Nagel, Odilieninstitut,
Graz
Förderung
10.
Lebenspraktische Fertigkeiten
Das Ausmaß der Mehrfachbehinderung beeinflusst sehr stark die
Möglichkeiten und Grenzen beim Erwerb der Selbstständigkeit im Erlernen
von Alltagsfertigkeiten (z.B. Körperpflege, Essen, An- und Ausziehen, ...).
Sehbehinderte oder blinde Kinder, die geistig behindert sind, jedoch motorisch
kaum Einschränkungen haben, können Fertigkeiten erwerben, um ihren Alltag
in Teilbereichen selbstbestimmt mitzugestalten.
Als Beispiel sei die Problematik des Essens angeführt: Manche
mehrfachbehinderte Kinder haben enorme Schwierigkeiten feste Speisen zu
sich zu nehmen, da sie nicht richtig beißen und kauen können. Die Gründe
dafür können vielfältig sein und sollen medizinisch abgeklärt bzw. mit einer
Logopädin erörtert werden. Einige Impulse aus der Sicht einer LPF-Lehrerin
sollen Denkanstöße für die Arbeit im lebenspraktischen Bereich geben:
Das Erlernen des selbstständigen Essens erfordert besonders bei
mehrfachbehinderten sehgeschädigten Kindern viel Zeit, Einfühlungsvermögen, Motivation, Kreativität und Flexibilität. Das Experimentieren mit
Lebensmitteln ist dabei sehr wichtig. „Mit dem Essen spielt man nicht“ - dieser
Ansatz ist nicht zielführend. Ein sehgeschädigtes mehrfachbehindertes Kind,
welches mit dem Beißen und Kauen Probleme hat, kann z.B. über Geräusche,
die beim Kauen entstehen, motiviert werden verschiedene Lebensmittel zu
zerbeißen und dabei auf die unterschiedlichen selbst produzierten
Höreindrücke achten. Beim „Üben“ und „Spielen“ müssen die Lebensmittel
nicht gegessen werden, wichtig sind zunächst Beiß- und Kaugeräusche. Die
zerkauten Speisen dürfen ausgespuckt werden. Der Hinweis auf die
unterschiedlichen Geräusche, wenn man ein Stück Karotte, Gurke, Soletti,
Grissini, .... zerbeißt und kaut, muss stets gegeben werden. Eine
Kassettenaufnahme beim Produzieren der Laute und das gemeinsame
Anhören der Beiß- und Kauaktivitäten kann die Motivation enorm erhöhen. Ein
Kausäckchen oder Kauschlauch kann hilfreich sein (Absprache mit MundEsstherapeutin). Aus dem fast übertriebenen „Kauen“ und Zerkleinern der
Speisen mit dem Schwerpunkt des Hörens kann die Bestätigung des Könnens
einer Fertigkeit und der Versuch dieses Können in den Alltag zu integrieren
entstehen.
Förderung
Während sich ein Kind mit dem Kauen abmüht, ist der Grad der Autonomie bei
einem anderen dann erreicht, wenn es alleine mit dem Löffel essen kann. Bei
manchen Kindern kann erreicht werden, dass sie mit Messer und Gabel
Speisen aufschieben und dann essen, ohne zu patzen.
In vielen Fällen kann nicht eine völlige, sondern lediglich eine partielle
Selbstständigkeit im Alltag erreicht werden. Bei einem Kind kann es bereits als
Riesenschritt bezeichnet werden, wenn das Kind beim An- und Ausziehen
mithilft, indem es die Arme hebt, aus dem Ärmel herauszieht usw., bei einem
anderen Kind ist die persönliche Selbstständigkeit dann erreicht, wenn es
alleine die Jacke oder den Pullover aus- oder anziehen kann.
Der Bereich „Lebenspraktische Fertigkeiten“ umfasst ein sehr breites
Spektrum, da darin alle Lebensbereiche wieder zu finden sind.
Variationsreiche Übungsangebote müssen auf die individuellen Vorlieben und
vorhandenen Stärken eines Kindes abgestimmt werden. Lebenspraktische
Fertigkeiten sollten in speziell dafür vorgesehenen Zeiten angeboten, geübt
und dann natürlich in den Alltag integriert werden. Der Hunger ist zwar der
beste Koch, aber gewiss keine gute Voraussetzung für das Erlernen des
selbstständigen Essens.
Zahlreich sind die Möglichkeiten, lebenspraktische Fertigkeiten zu erlernen,
den Inhalten sind wenig Grenzen gesetzt. Der Grad der Behinderung bestimmt
den Bereich des Machbaren.
Beim Erarbeiten von Alltagsfertigkeiten ist die Beziehung zwischen Lehrer/in
und dem mehrfachbehinderten sehgeschädigten Kind besonders wichtig. Ein
wesentlicher Faktor für das Gelingen von partieller Unabhängigkeit ist die
Bereitschaft der Umgebung, besonders der Familie, dies zu unterstützen.
Wenn Selbstständigkeit und eine Unabhängigkeit in Teilbereichen nicht
gefördert und gefordert werden, sehen die Kinder keine Veranlassung, alleine
etwas zu tun. Mühsam erlernte Fähigkeiten gehen verloren, wenn sie nicht
täglich wiederholt werden. Die Selbstständigkeit des Kindes muss ins
Lebenskonzept der Familie passen, damit es größtmögliche Unabhängigkeit
erreichen kann.
Förderung
11. Wichtige Helfer
Der Schulalltag bei Kindern mit erhöhtem Förderbedarf wird in der Regel von
mehreren Erwachsenen gestaltet. Dadurch unterscheidet sich der Unterricht in
Integrations- und Sonderschulklassen grundsätzlich von der Ein-LehrerKlasse. Das Teamteaching wird oft durch die Arbeit von Betreuungspersonen
ergänzt. In der Realität ist die Situation dieser Personen von Bundesland zu
Bundesland, ja von Gemeinde zu Gemeinde sehr unterschiedlich. Der Status
und die Funktion sind nicht klar definiert, die Ausbildung variiert von
Berufsfremden bis Behindertenfachbetreuer oder LehrerInnen. Die Bezahlung
und dienstrechtliche Stellung sind abhängig vom Arbeitgeber.
Deshalb differieren auch die ausgeübten Funktionen und Verantwortungen in
der Klasse. Manche Betreuungspersonen erfüllen rein pflegerische Dienste
oder Aufsichtsfunktionen, andere übernehmen beinahe Aufgaben von
Therapeuten und Lehrern.
Im Idealfall ergänzen sich LehrerInnen und Betreuungspersonen und nehmen
gemeinsam den Bildungsauftrag wahr. Im Lernteam (alle Erwachsenen einer
Klasse) werden individuelle Förderpläne erarbeitet, gemeinsame Ziele
formuliert, methodische Ansätze abgesprochen sowie Kompetenzen und
Funktionen geklärt. Dabei können die Aufgabenfelder immer wieder wechseln.
Die Überprüfung der eigenen Arbeit und die Formulierung neuer Ziele finden in
regelmäßigen Zeitabständen statt. Das gegenseitige Feedback soll eine
Verhaltenskorrektur ermöglichen, ist aber auch eine große Chance zur
Stärkung der Psychohygiene. (siehe „Projektorientierter Unterricht...“ S. ...)
Für Lehrer ergibt sich durch diese Konstellation neben der Veränderung in der
Klasse eine Erweiterung der Aufgaben: Leitung eines Teams, Koordination
unterschiedlicher Tätigkeiten, Organisation von Fortbildung und Moderation
von Treffen.
Förderung
12. „Alle Hände voll zu tun“
Ein Tag im Leben einer Betreuungsperson
7,10 Uhr: Auf dem Weg in die Schule. In meinem Alter.(Fast 40, aber nur
fast). Hätt nicht gedacht, dass mir das Freude bereitet. Mein dritter
Beruf – zum Unterschied von meinen Partnern aus dem Lehrberuf.
Vielleicht ein Vorteil. Denke oft an die Anfänge zurück. War nicht so
einfach. Die berufsbegleitende Ausbildung war toll.
7,30 Uhr: Dienstbeginn. 40 Stunden – Woche. Auch das ein Unterschied zu
den Lehrern. Manchmal Minutenklauberei. Kurzbesprechung mit
Schulleiter und Rita (Klassenlehrerin). Material soll angekauft
werden – aber welches? (Ich werde gefragt!!!)Termin für
Besprechung ausmachen. Jugendamt möchte Informationen über
Oliver – wegen Computer. Machen wir da auch gleich gemeinsam
7,35 Uhr: Lena wird gebracht. Man hört’s. Dieses immer stärker werdende
Schreien muss doch einen Grund haben? Aber welchen? Frage
notieren. Kurzes Gespräch mit der Mutter. Hat’s eilig. Termin an
der Neuro steht. Ob ich wohl mitfahren kann? Rückfrage beim
Chef. Geht klar.
7,45 Uhr: Schulbus kommt. Rita nimmt Lena. Ich hole Oliver. „Oli mit Roli“
sagt Bernd. Wie jeden Tag. Seit Schulbeginn. Könnte dem Chef an
die Gurgel, weil ihm dieser Satz ausgerutscht ist.
8,00 Uhr: „Sitzen“ im Morgenkreis- d. h.: Oliver im Rollstuhl, Lena auf mir,
Michi auf Rita, Bernd am Sessel und Gerd am Boden. Wollen
beruhigende Musik hören. Lena schreit immer lauter. Wird heut
nichts. Gehe mit ihr in unser Ruhe- Eck. Lege sie auf die Matte.
Streicheln. Ruhig erzählen. Wird ruhiger. Rita meint, vielleicht ist
Schreien nur Echo auf den Wirbel und den Stress, den sie am
Morgen hat. Könnte was dran sein.
8,45 Uhr: Sehbehindertenlehrer kommt. Nimmt mir Lena ab. Kann bei der
Besprechung dabei sein. Gibt mir eine Zusammenstellung mit
Übungen für Lena. Scheint was wert zu sein.
Förderung
9,10 Uhr: Bernd hat in die Hose gemacht. Zu spät gemerkt. Ich übernehme
das Putzen. Rita versucht mit Oliver zu essen.
9,40 Uhr: Lena hat sich beruhigt. So sehr, dass sie eingeschlafen ist. Irgend
etwas stimmt doch mit dem Kind nicht! Wir sind ratlos!
10,00 Uhr: Pause. Gehe mit Oliver und Bernd in den Hof. Michi wurde
geschubst. Weint zum Herzzereissen. Rita umarmt ihn. Drama
beendet.
10,30 Uhr: Einkaufen. Gehe mit Michi in den Supermarkt. Geht schon ganz
gut. Milch findet er alleine!!
11,30 Uhr: Lena wird abgeholt. Versuche mit Oliver die Sprachübungen.
Arbeitet konzentriert.
12,10 Uhr: Textiles Werken. Knüpfe mit Michi am Teppich. Entspannung pur.
So lange ich knüpfe und nicht will, dass er es tut.
13,00 Uhr: Schulbus kommt. Haben natürlich wieder einmal vergessen
rechtzeitig Schluss zu machen. Bernd behauptet, Oliver habe seine
Haube. Oliver ist unschuldig. Sie liegt auf der Matte. Nehme die
Schuld auf mich.
13,10 Uhr: Alle sind draußen. Und jetzt einen Kaffee. Frei bis 15 Uhr. Dann
Konferenz. Bin immer dabei. Heute geht’s um die Entwicklung
eines Schulprofils. Fragestellung an mich: „Welchen Platz haben
Betreuungspersonen im System Schule?“
fiktiver Bericht, SD Robert Novakovits
Therapeuthische Zugänge
1. Lilly & Gogo go to school
Lilly & Gogo ist ein Multimediaprogramm zur Seh- und Wahrnehmungsschulung, das unter Beteiligung einer finnischen Augenärztin, einem
Journalisten und Sehbehindertenpädagogen in der Steiermark entstanden ist.
Das Programm besteht aus den stark kontrastierenden Puppen Lilly & Gogo in
verschiedenen Größen,
einem speziellen Video zur Sehschulung,
Bilderbüchern,
Bildkarten,
Dias und einem Computerspielprogramm.
Das Programm wurde von der steiermärkischen Landesregierung finanziell
gefördert und konnte auf vielen internationalen Kongressen vorgestellt werden
z.B. Holland, Finnland, Thailand, Deutschland, Ungarn, Brasilien. Im Schuljahr
1997/98 bekam das SPZ Odilien- Institut einen Innovationspreis auf der
Pädagogischen Messe (siehe Kleine Zeitung 1.11.1997), der sich speziell auf
diese Programm bezog. Sehr gut lässt sich das Programm und vor allem
einzelne Teile davon in der Frühförderung verwenden.
Wie verwendet man das Programm in der Schule?
Aber auch in den Schulen gibt’s Kinder mit besonderen Bedürfnissen. Viele
Kolleginnen arbeiten damit in der integrativen Betreuung mit Kindern, die
sehbehindert oder mehrfachbehindert sind. Oft kommt es dann vor, dass es
Inhalt für die ganze Sonderschulklasse wird.
Im nachstehenden Teil werden Unterrichtsstunden geschildert in denen L & G
in ASO-Klassen zur Anwendung kam.
Lilly & Gogo helfen beim Lernen von lebenspraktischen Fertigkeiten
Als Motivation kann die erste Geschichte des Videos „Lilly zieht sich an“
dienen. Die Kinder sind üblicherweise immer sehr durch die gesehenen
Handlung motiviert und möchten selber agieren.
Die großen Puppen lassen sich sehr gut anziehen. Wir
kommen mit einem Köfferchen voll mit verschiedenen
Kleidern und den Puppen an. Die Kinder beginnen die
Puppen auszuziehen, den Koffer zu öffnen und neue
Kleider zu suchen. Es kann besprochen werden, welche
Kleidung gegen Kälte schützt oder wie Körperpflege sein
kann. In einem Funktionsspiel können Handlungen aus
dem täglichen Leben nachgespielt werden.
Therapeuthische Zugänge
Wir wissen, dass diese Art zu spielen entwicklungsfördernd ist und auch in der
Schule vorkommen soll, wenn die Kinder auf einem bestimmten
Entwicklungsstand sind.
Bilderbücher
Puppen
Puppen in
verschiedenen
Größen
Lilly und Gogo spielen mit Farben
Zur Einstimmung singen und spielen wir das Lied: „Ich seh´, ich seh´, was du
nicht siehst“.
Musikkassette
Die Kinder haben schon die Geschichten im Video gesehen und spielen gerne
mit den Puppen. Diesmal verwenden wir zum ersten Mal die Bilderbücher.
Aus einer großen mit Samt überzogenen Schachtel darf Benjamin Farbkarten
ziehen und sucht das entsprechende Piktogramm. Kinder und Lehrer sitzen
auf dem Boden und haben nun in der Mitte einen großen Haufen einzelner
Seiten der fünf Bilderbücher.
Die Schüler nehmen sich Seiten vom Stoß und erzählen uns welche Situation
sie auf dem Bild sehen. Plötzlich beginnt Georg die roten Seiten auf einen
Stoß zu legen. Bald machen die anderen mit. Die Schüler haben verstanden,
dass Farbe eine Kategorie sein kann und sich zum Ordnen eignet.
Therapeuthische Zugänge
Danach ordnet jedes Kind einzeln die Sequenzen des Bilderbuchs. Sie lernen
auf die Reihenfolge zu achten und begreifen auch den Zusammenhang
zwischen Foto und Abbildung.
Lilly & Gogo als Dias und Bildkarten
Angelika ist ein 14 jähriges geistigbehindertes Mädchen, das eine
Kataraktbrille trägt und an einem Auge eine Lidlähmung hat. Sie kann nicht
sprechen, benutzt aber in gewissen Situationen Laute. Sie hat die Eigenheit
sich Fäden aus Dingen herauszuzupfen und diese vor dem Auge hin und her
zu bewegen. Sie mag die Puppen Lilly & Gogo sehr. Am liebsten zupft sie
ihnen ein Wollhaar aus.
An diesem Tag machen wir die therapeutisch- funktionellen Übungen im
Farbenspielraum der Schule. Wir verdunkeln und schalten das Schwarzlicht
ein. Jetzt sieht man die weißen Puppen mit den Kleidern sehr deutlich.
Angelika spielt mit den Puppen und bewegt sie vor den Augen hin und her. Ich
zeige ein Dia von Lilly als Puppe an der Wand und lasse das Dia durch den
ganzen Raum auf die Puppe hingleiten. Angelika lacht laut und freut sich.
Offensichtlich hat sie den Zusammenhang zwischen Bild und Puppe erkannt.
Als ich ihr die Fotobildkarten anbiete, holt sie sich die entsprechende Karte
dazu.
Das Ziel in der Arbeit mit Angelika ist soziales Zusammenspiel, das Erkennen
von Bildern und das Ausdrücken von Begriffen durch einfache Gesten. Lilly &
Gogo ist ein Material, das sie gut kennt und über das wir durch Bildersprache
oder mit einfachen Gesten„reden“ können.
Dias
Bildkarten
Computerspiele
Mit diesen Situationen verabschieden sich Lilly & Gogo aus dem Schulalltag.
Therapeuthische Zugänge
2. Hippotherapie = Reiten als Therapie
Hippotherapie ist eine spezielle Form der Heilgymnastik, also eine
physiotherapeutische Maßnahme, die ärztlich verordnet und von diplomierten
Physiotherapeuten mit Spezialausbildung durchgeführt wird.
Die dreidimensionale Bewegung des Pferdes entspricht in ihrem Rhythmus
und Ablauf weitgehend der physiologischen Gangbewegung des Menschen.
Dazu kommen Beschleunigungs- und Zentrifugalkräfte, die durch die
Vorwärtsbewegung und Richtungsänderung des Pferdes ausgelöst werden.
Das alles erfordert vom Reiter eine ständige Anpassung an den
Bewegungsrhythmus des Pferdes.
Hippotherapie stimuliert in eindrucksvoller Weise :
1
die symmetrische Körperhaltung
1
Kopf- und Rumpfaufrichtung
1
Haltungsstabilisation
1
Gleichgewicht und Koordination der Bewegung
1
Normalisierung von abnormer Spannung
1
Rotation und Raumorientierung
1
Sensorische Wahrnehmung
Außer der motorischen Verbesserung spielen vor allem die psychischen
Faktoren beim Reiten als Therapie eine bedeutende Rolle. Für viele – vor
allem mehrfach behinderte Kinder und Jugendliche – ist es ein besonderes
Erlebnis, auf dem Rücken des Pferdes getragen zu werden und gleichsam mit
dessen Beinen zu gehen. Meist entwickelt sich eine ganz besondere
Beziehung zwischen Reiter und Pferd. Hier wird der Mensch so akzeptiert, wie
er ist – das Pferd nörgelt nicht, gibt keine Kommentare ab....
Hippotherapie ist mehr als nur reiten, sondern bedeutet
1
sich ganz auf die Bewegung einzulassen
und sich „fallen zu lassen“
1
mitzufühlen und mitzuspüren
1
die Wärme und den Rhythmus des Pferdes
zu empfinden und damit den eigenen
Körper besser wahrzunehmen
Therapeuthische Zugänge
3. „Nicht nur für die Fisch!“
Wasser als Medium zur Erholung und Entspannung, als möglicher Ort für
sportliche Betätigung ist heute allgemein anerkannt und jede größere
Gemeinde, gar Stadt mit etwas Selbstachtung ist heute bemüht, ihren
Bürgerinnen und Bürgern die Wonnen eines beheizbaren Bades auch in der
kalten Jahreszeit zu bieten. Weniger bekannt sind die Möglichkeiten, welche
sich vielen Menschen mit unterschiedlichen Funktionseinschränkungen durch
eine gezielte Nutzung dieser herrlichen Einrichtungen eröffnen würden.
Ich werde mich hier auf Kinder mit Körper - und Mehrfachbehinderung
beschränken mit einem Schwerpunkt auf einer Einschränkung des Sehens.
Zuerst zur Erinnerung ein paar Zeilen über die physikalischen Eigenschaften
des Wassers, die wir für unsere Zwecke nutzen können.
Das archimedische Prinzip
Der Auftrieb eines Körpers ist gleich dem spezifischen Gewicht der von ihm
verdrängten Wassermenge. Bei 35° C ist das spezifische Gewicht von Wasser
0,99g/ccm. Das spezifische Gewicht des menschlichen Körpers liegt im
Durchschnitt aller Körperteile bei 0,97g/ccm, das heißt, wir sind etwas leichter
als Wasser und vorausgesetzt, dass wir unsere Lungen nicht anstatt mit Luft
mit Wasser füllen, schwimmen wir obenauf.
Wasserdruck
Mit zunehmender Wassertiefe nimmt der Druck auf unseren Körper
kontinuierlich zu. Das hat positive Auswirkung auf den Kreislauf, schlecht
durchblutete Füße zum Beispiel werden besser versorgt.
Wärmeleitung
Wasser leitet Wärme wesentlich besser als Luft. Daher ist eine relativ hohe
Wassertemperatur sehr wichtig. Erst bei ca. 34° C im Wasser können wir
unsere Körpertemperatur auch ohne Bewegung halten. Ca. 32° C sind für
Kinder mit Bewegungseinschränkungen sind wünschenswert.
Flüssigkeitsverlust
Bei der relativ hohen Wassertemperatur wird viel Schweiß produziert und ans
Wasser abgegeben. Weiters verursacht der Aufenthalt im Wasser eine
erhöhte Harnproduktion. Beides zusammen kann zu einem beachtlichen
Flüssigkeitsverlust führen, den man besonders bei Kindern mit Ess - und
Schluckproblemen nicht übersehen soll.
Therapeuthische Zugänge
Befinden wir uns dann in diesem Wasser mit 32° fühlen wir uns rundherum
wohlig und warm. Aber die Wassertemperatur ist nicht die entscheidende
Komponente. Wichtiger beim Aufenthalt im Wasser ist die Tonussenkung. Wir
brauchen unseren Tonus (Muskelspannung), um uns entgegen dem Einfluss
der Schwerkraft aufrecht halten und bewegen zu können. Diese
Grundstimmung begleitet uns während unserer ganzen wachen Zeit. Auch
Personen mit Zerebralparese haben eine Grundspannung, die aber oft stark
erhöht ist auf Grund einer fehlerhaften Steuerung durch das Gehirn. Im
Wasser verlieren wir einen Großteil unseres Gewichts, d.h. in diesem
Zusammenhang, dass wir der Schwerkraft kaum ausgesetzt sind. Dadurch
braucht das Gehen auch nicht mit Muskelspannung zu antworten. Der Tonus
sinkt, was sehr wohltuend für unsere Kinder ist. Diese Veränderung geschieht
nach etwa 10 – 15 Minuten im Wasser und bleibt auch noch eine Weile am
Land erhalten. Und noch etwas geschieht: Unter dem Einfluss der Schwerkraft
bekommt das Gehirn laufend Meldung über den Druck auf alle unsere
Gelenke. Dadurch können wir z. B. ohne nachzudenken und nachzusehen
gehen. Im Wasser wo die Gelenke kaum noch der Schwerkraft ausgesetzt
sind, funktioniert das nicht mehr. Die Meldungen laufen jetzt über die Haut.
Fortbewegung erleben wir dabei als höheren Druck in Richtung der
Bewegung, niedrigen Druck oder Sog entgegengesetzt. Gerade für
SchülerInnen mit Sehbeeinträchtigung ist dies eine angenehme und gute
Möglichkeit das ganze Sensorium zu üben und zu erproben.
Sollte eine SchülerIn Angst vor dem Wasser haben, ist es wichtig, mit dieser
Angst ganz behutsam umzugehen. Es gilt sich im Takt ganz langsam ans
Wasser zu gewöhnen.
Alles, was ich hier beschrieben habe, sollte man eigentlich zusammenfassen
und in einen systematischen Übungsablauf einbauen, nicht wahr? Aber
gerade das hat James Mc Millan, ein kanadischer Ingenieur, schon getan und
zur Halliwick-Methode entwickelt. In einem 10-Punkte-Programm kann ein/e
SchülerIn trotz größter Funktionseinschränkungen zum Schwimmen mit
eigenem Schwimmstil kommen. Kurse werden regelmäßig angeboten. Ich
kann nur empfehlen eine dieser einwöchigen Fortbildungen zu besuchen. Es
wird dann sehr viel einfacher für Sie und Ihre Schüler, die Wohltaten des
Wassers auszuschöpfen, denn Wasser ist „nicht nur für die Fisch“!
Nähere Auskünfte bekommen sie am Elisabethinum in Axams, Tirol
Tel: 05234/68277, Klaus Janes
Therapeuthische Zugänge
4. Kom-MUSIK-ation - Ein Weg für Jeden
Berichte und Gedanken eines Rhythmus- und Klangtherapeuten
Mein Tagesablauf
Acht Uhr, zwei Stunden Musiktherapie in einer Sonderschule mit Gruppen die Kinder spielen Klavier und Orgel, es wird getrommelt und dazu gesungen,
ein Gongspieler gibt das Tempo für ein Bewegungsspiel vor, und zum Schluss
wird auf der Bühne noch eine Szene improvisiert, oder ...
Zehn Uhr, zwei Stunden in einem Altersheim, um mit Schlaganfallpatienten zu
arbeiten (musizieren) - mit Pulstrommeln (Handtrommeln indianischer
Herkunft), Leiern, Gongs, Rasseln und besonders der Stimme versuche ich
mit ihnen eine "Rhythmus- und Klangreise" zu erleben und sie dadurch zu
Aktivität und Entspannung (im Wechselspiel) anzuregen, oder sie durch
Impulse und Anregungen von außen zu mehr Resonanz und innerlichem
Hören und Fühlen zu verhelfen und so sich selbst wieder zu entwickeln; ...
Nachmittags, in einer Therapiewerkstätte mit blinden und hörgeschädigten
Jugendlichen, Spastikern, Autisten und ... versuche ich mit der einen Gruppe
zu singen (Volks-, Kinderlieder, Schlager, ...), andere lernen mit mir Instrumente (Flöten, Leier, Gitarre, Klavier, Schlaginstrumente, ...) oder mit der
nächsten Gruppe Musikhören, dazu zeichnen oder tanzen; oder mit
Basalspielen und Singen (Mantras, ...) die Stimme wecken und finden; ein
szenisches Spiel erfinden oder ...
Abends noch trommeln mit einer Gruppe rhythmusinteressierter Leute aus
allen Berufen gemeinsam mit behinderten Menschen.
Diese Vielfalt meiner Arbeit begründet sich aus dem täglichen Versuch, mit
allen Menschen, mit denen ich (arbeite) Musik mache, einen Weg zu finden,
sie auf die Wurzeln der Musik (Rhythmus und Klang) zurückzuführen. In jedem
soll SEINE innere Musikalität geweckt und ausgebaut werden. Es geht darum,
für jeden einen Zugang und Weg zu finden, sich in und mit der Musik zu
beschäftigen, auszudrücken und zu sich selbst zu finden.
Die Wege zur Musik sind grundlegend verschieden, führen aber zu den selben
Wurzeln von Hören und Rhythmus, Raum und Zeit, Körper und Seele,
Wahrnehmung und Ausdruck:
- INAKTIV SEIN (hören und "berieseln"). Für viele ist der erste Schritt
überhaupt hinzugehen, sich einzulassen und dabei zu sein und zuzuhören,
und zu erfahren, was Puls, Tempo, Rhythmus und Klang ist.
Therapeuthische Zugänge
1
NONVERBALE Beschäftigung (Hören und Spielen). Natürliches
Kommunizieren zulassen (mit Instrumenten), ohne Sprache und Intellekt
(Denken).
1
AKTIV SEIN (Spielen / Musizieren / Improvisieren). Ohne Druck des
"Können müssens", dem Erfahren des Chaos und dem Erlernen von
Rhythmus sein SELBST finden.
Auf diesen Grundlagen kann eben auch mit schwerstbehinderten Menschen musikalisch gearbeitet werden
und etwas in Bewegung gebracht werden: Rhythmus
beeinflusst Herz und Nervenbahnen, Klänge und Schwingungen kommunizieren mit den Körperorganen und der
Atmung. Die Stimme bringt mehr Sauerstoff in den Körper, fördert das Meditative und Unbewusste, Hören fördert
auch alle anderen Sinne und ist ein wichtiger Teil der Kommunikation.
Meine musiktherapeutische Arbeit soll dem behinderten, kranken, "aus dem
Gleichgewicht gebrachten" Menschen wieder einen Weg zeigen sich durch die
Beschäftigung mit Rhythmus und Klang, also mit Musik, sich selbst und ihre
Umwelt besser wahrzunehmen, sich "ins Lot / in Schwingung zu bringen" und
ihre Mitte zu spüren.
Musikalisches Gestalten fördert personale Entwicklung und Bewusstsein durch
Atmen, Stimme, Bewegung und Puls. Rhythmisches und melodisches
Gestalten fördert Aktivierung der Hirntätigkeit, sensomotorische Fähigkeiten,
emotionale Ebenen und soziales Verhalten.
"KomMUSIKation": Jeder trägt auf Grund embryonaler Erlebnisse das
Bedürfnis nach rhythmischer und musikalischer Betätigung in sich, daher auch
das Verlangen nach Kult, Zeremonien und Riten (Suche nach Strukturen). Es
gibt kein Richtig oder Falsch, sondern nur die Lust nach Ausdruck und das
Vertrauen in Eigendynamik mit dem Ziel, sich auszutauschen, sich zu
artikulieren und sich wahrzunehmen. Diese Bedürfnisse können in und mit der
Musik von jedem Menschen gestillt werden. So bringt jeder Tag für alle, die an
dieser, musikalischen Arbeit teilnehmen etwas Neues. Ich freue mich schon
auf Morgen.
Therapeuthische Zugänge
5. Ist MSE- der neue Schmäh?
„Multisensory Environment“ ist ein Eigenname, der dafür steht, dass durch
speziell gestaltete Räume die Sinne angeregt werden. Solche Multisensorielle
Räume haben in Österreich phantasievolle Namen bekommen:
Snoezelenraum (Weißer Raum)
Dunkelraum (Dunkel-Licht Raum)
Farblicht(t)raum
Mirabilis
Regenbogenland
Sinnesgarten
Autonomieraum, ...
Manche dieser phantasievollen Begriffe lassen die hohe Begeisterung der
InitiatorInnen durchklingen. Nicht nur skeptische DirektorInnen oder
KollegInnen mussten überzeugt werden, ein entsprechender Raum und vor
allem Sponsoren und Kostenträger mussten gefunden werden.
Wo es hohe Begeisterung gibt, gibt es auch harsche Kritik:
1
Es gibt gar keine Umgebung, die nicht in mehr oder weniger starkem
Maße alle Sinne anspricht und keine ausgeklügelte Raumtechnik kann
Naturerfahrung wettmachen.
1
Oder mit solchen speziellen Ideen wollen sich Sondereinrichtungen
aufwerten und Segregation begründen.
1
Oder richtige Stimulation ergibt sich im Alltag und nicht in speziellen
Kammerln. Von dort gelernten Fähigkeiten gibt es oft keine Übertragung
auf den Alltag.
Doch viele LehrerInnen, ErzieherInnen oder FrühbetreuerInnen schätzen die
Qualitäten einer solchen vielfach stimulierenden kontrollierbaren Umgebung
sehr hoch ein. Viele Begeisterte tun sich aber schwer mit einer Definition
sondern illustrieren die Notwendigkeit durch Fallgeschichten einzelner Kinder
oder Schülergruppen, die gerade dort bestimmte Fähigkeiten gelernt haben
und diese dann auch übertragen lernten. Eine neue Definition erfolgt später.
Eine erzieherische Definition eines MSR (Multisensorieller Raum)muss auch
wirklich den Wert für das individuelle Kind im Auge haben.
In Großbritannien gibt es schon lange verschiedene Multisensorielle Räume:
Snoezelenraum, Dunkelraum, Weißer Raum, Interaktiver Raum, Wasserraum,
Softplayroom und Themenräume.
Therapeuthische Zugänge
Der Weiße Raum basiert auf der Snoezelenidee. 1986 vereinten Hulsegger
und Verheul im De Hartenberg Center in den Niederlanden die Begriffe
Riechen und Dösen zu einer neuen Wortkreation, nämlich „Snoezelen“ (Idee
des „Sinnescafe“).
In diesen Räumen sollte Entspannung und Stimulation für Individuen jeden
Alters geboten werden. Die Philosophie des Snoezelen war ursprünglich auf
die Entspannung und Stimulierung von Erwachsenen mit geistiger
Behinderung ausgerichtet, die in Anstalten lebten und auch das Recht auf
Freizeitgestaltung haben sollten.
Aus dem eher passiven Zugang zum „Snoezelen“ wurde nun durch die
Fortschritte in der Mikrotechnologie ein aktiver. Eine große Auswahl an
Schaltern, die Licht und Musik steuern können, können vom Kind aktiv betätigt
werden.
Im „Weißen Raum“ sind Wände, Boden und Decke weiß. Es gibt Matten,
manchmal
Wasserbetten,
Blubbersäulen,
bunte
Lichtquellen
von
Flüssigkeitsprojektoren u.ä., Musik und Düfte. Das Weiß soll die projizierten
Farben verstärken.
Der Dunkelraum ist hauptsächlich zur visuellen Diagnostik und
Wahrnehmungsschulung gestaltet. So wird der Aufbau von visuellen
Fähigkeiten, wie Aufmerksamkeitsreaktion, visuelles Fixieren und Verfolgen
und Üben der Auge-Hand-Koordination gefördert. Hier ist völlige Dunkelheit
möglich. Schon winzige Lichtquellen, wie kleine Taschenlampen oder spezielle
Dinge wie Fiberglasfasern, verschieden Projektoren mit wandernden
Symbolen, die oft auf Laute reagieren, sind sehr interessant. Durch
Schwarzlicht angeleuchtete Materialien in Leuchtfarben (Spielsachen, weiße
Kleidungsstücke oder bestimmte Stoffe und Farben) haben eine starke
Wirkung, ohne die Lichtquelle sichtbar zu machen. Es ermöglicht das Spiel in
der Dreidimensionalität.
Viele Erfahrungen ergeben sich auch daraus, wenn das Kind dem Lichtschein
oder dem rollenden, leuchtenden Ball nachkrabbelt, den es sonst nicht sehen
würde.
Interaktive Räume geben Kindern, auch wenn sie stark mehrfachbehindert
sind, die Möglichkeit, mittels verschiedener Schalter und Knöpfe selbst Geräte
einzuschalten. So können durch das Drücken von farbigen Schaltern die
Farben der Blubbersäule eingeschaltet werden, oder durch Drücken und
Rollen auf bunten Feldern entsprechende Farben oder Symbole erleuchtet
werden,
die
sich
wahlweise
mit
Tonfolgen
koppeln
lassen.
Stimulationsprogramme am Computer sind durch einfaches Drücken auf den
Bildschirm (Touchscreen) aktivierbar.
Therapeuthische Zugänge
Der Soft-Play-Raum ist ein Raum mit Matten, weichen Raumteilen,
pneumatischen Elementen zum Raufklettern, Abrollen, Hüpfen, ...
Da in diesem Raum viele Gefahrenquellen ausgeschaltet sind, werden neue
Erfahrungen im Bewegungsbereich ermöglicht: Höhe und Tiefe, Bewegung,
Balance und Gleichgewicht, ...
Wasserräume
Strahlend leuchtende Farben werden mit warmem Wasser, Sprudelbecken
und Wassermassagen verbunden. Hierbei kann es unterschiedliche
Zielrichtungen geben: Soll es um Physiotherapie im Wasser oder um
Entspannung und visuellen Stimulation gehen?
Musik-Klangräume
Diese Räume sind oft mit einem warmen Parkettböden ausgestattet, der die
Vibration von Musik und Rhythmus verstärkt und auf den Körper überträgt,
wenn man darauf liegt.
MS-Räume bieten Anregungen für alle Sinne in einer konzentrierten Form
sowie Möglichkeiten für Diagnostik und den Unterricht. Gerade sehbehinderte
Kinder profitieren sehr, wenn Ablenkungsfaktoren ausgeschaltet werden und
sie sich auf eine Aufgabe konzentrieren können. Die Nutzung der Räume kann
in Einzelarbeit, aber auch in Schülergruppen erfolgen.
Ideale MS-Räume sind auf die einzelnen Kinder und deren Möglichkeiten
abgestimmt. Es gibt Räume, in denen jede Wand eine eigene Farbe hat und
dadurch das Vier-Seiten-Konzept herausgearbeitet wird. Für sehbehinderte
Menschen sind gerade visuell betonte Ecken sehr interessant, weil sie durch
die Seheinschränkung Ecken meist als rund empfinden.
Vieles spricht für die Einrichtung von MS-Räumen. Sie sollten aber niemals als
Alternative für das Erleben von Natur oder das Zusammensein mit anderen
Menschen betrachtet werden, sondern als Erweiterung der Möglichkeiten
Sinneserfahrungen zu machen verwendet werden.
Beispiele
1. „... denn ohne Georg ist es hier so stinknormal.“
Georg ist ein Schüler mit elementaren Lernbedürfnissen.
Er hat folgende Möglichkeiten sich zu äußern:
Elementare Berührungen: Angreifen, Festhalten, Streicheln, Klopfen, Wischen,
Ziehen, Drücken, Herziehen, Wegdrücken, Zuwenden, Abwenden.
Äußerungen über die Stimme: mäßig knurrende Geräusche;
Wut: wildes Knurren,
Trauer und Schmerz: Jammern und Weinen;
Freude und Interesse: Lachen und starker Ton;
Unsicherheit, Verwirrung: durch hohe quietschende Töne.
Botschaften aufnehmen über Berührungen, Wahrnehmen von Temperatur,
Geschmack, Geruch, Konzentration, Vibration und eventuell extrem laute
Geräusche.
Auf körperliche Zuwendung reagiert Georg mit Anfassen der
kontaktaufnehmenden Person. Georg erkennt ihm vertraute Personen und
stellt sein Verhalten (Mitarbeit, Zuwendung, ...) darauf ein.
Auf sehr starke Lichtreize reagiert er durch Zu- und Abwendung. Durch
schaukelndes Vorwärts- und Rückwärtsrutschen im Sitzen oder Knien kann
Georg sich am Boden fortbewegen. Es ist ihm möglich, sich in alle Richtungen
zu drehen. Er kann von Sofas klettern, sich an Tischen hochziehen. Auf
Sesseln verschiedenster Ausführungen hält er Balance und steht von diesen
gerne auf, wenn vor ihm ein Tisch steht, an dem er sich festhalten kann.
Mit geringfügiger Unterstützung kann Georg auch einige Schritte gehen. Seine
Balance im Stehen hält er durch Schaukeln und teilweise wippende
Bewegungen, die an ein Hüpfen erinnern. Er wird dabei von jemandem an den
Händen gehalten, die stützende Person macht die Ausgleichs-bewegungen
mit.
Beim Essen gelingt es Georg teilweise die Nahrung mit Gabel oder Löffel in
den Mund zu bringen. Die Speisen werden im Mund zwischen Zunge und
Gaumen zerdrückt und so hinuntergeschluckt. Von Bananen u.ä. kann Georg
abbeißen. Beim Essen benötigt er prinzipiell Unterstützung. Das Trinken aus
einem Becher gelingt ihm einigermaßen. Am WC arbeitet er beim Wickeln
meist kooperativ mit.
In der Hauptschule
In der Hauptschulklasse sind vier Schüler mit Sonderpädagogischem
Förderbedarf (teilweise nach ASO-Lehrplan und SBH-Lehrplan eingestuft),
und dann ist da noch ein Schüler - Georg.
Beispiele
Erschreckt wird er nach seinen Defiziten abgecheckt: „Hört nicht. Sieht nicht.
Spricht nicht. Kann nicht allein essen. Braucht Windeln! Kann nicht Gehen!
Weiß nicht, dass ein Lehrer vorne steht!...“
Als klar wird, dass Georg Epileptiker ist und diese Anfälle auch während des
Unterrichts bekommen wird, machen viele der neuen Kollegen dicht. Vom
Bestehen auf eine Rückführung in die Schwerstbehindertenklasse, über die
Weigerung, jemals in der Klasse mit ihm zu unterrichten, bis zur Feststellung,
man werde sich eben mit diesem Schüler nicht abgeben und der gleichzeitigen
Forderung, dass jederzeit ein Sonderschullehrer während seiner Anwesenheit
dabei sein muss, reichen die Ansagen zu seiner Integration in der
Hauptschule.
Nur mit Mühe kann ein Klassenvorstand gefunden werden, der den Verbleib
von Georg in seiner Klasse leider auch nicht unterstützt. Positive
Unterstützung für die Integration gibt es von einem anderen Integrationslehrer,
von den Betreuungshilfen und von der mobilen Sehbehindertenlehrerin, die
Georg und seine LehrerInnen schon seit 2 Jahren betreut. Täglich kommt eine
Betreuungshelferin für 2 Stunden. Sie nimmt rasch intensiven Kontakt mit
Georg auf und es entwickelt sich bald gegenseitige Zuneigung. Von Seiten der
MitschülerInnen besteht ein positives Verhältnis zu Georg.
Da ich auf den Verbleib von Georg beharre, auch die Behörde dafür plädiert
und die Mutter auf Andeutungen des Direktors nicht reagiert, verebbt die
„Integrationsdiskussion“.
Die Klasse wird zwar als Integrationsklasse, aber dennoch mit äußerer
Leistungsgruppendifferenzierung geführt. Der Unterrichtstag gestaltet sich
auf Grund des Fächerkanons und des häufigen Gruppenraumwechsels sehr
hektisch. Die Schüler mit SPF - alle werden in die 3. Leistungsgruppe
eingestuft bzw. eingeteilt - brauchen den Klassenraum nicht zu wechseln. Mit
der Zeit kehrt mehr Ruhe ein und eine gewisse Routine nimmt ihren Lauf.
Der Unterrichtsablauf für Georg ist immer nach dem gleichen Schema
eingeteilt. In der ersten und vierten Stunde arbeite ich mit ihm, in der zweiten
und dritten kommt eine Betreuungshilfe.
Georg ist selbstverständlich niemals leistungsmäßig , sondern nur
„organisatorisch“ integriert. Er arbeitet gleichzeitig an seinen Schwerpunkten
im selben Raum wie die Mitschüler. Der im Unterricht behandelte Stoff tangiert
ihn nur selten, bei manchen Themen wie Kleidung, Speisen etc. in Englisch
gelingt es, Georg direkt mit einzubeziehen.
Beispiele
Sein spezieller Unterricht umfasst folgende Bereiche:
1
Sitzen auf unterschiedlichen Sitzgelegenheiten (Sessel, Sofa,
Hocker, ...)
1
Ertasten unterschiedlicher Materialien
1
Wahrnehmen von Raumgrenzen im „Little Room“
1
Essenstraining
1
WC-Training
1
Einen besonderen Schwerpunkt bildet die Arbeit an
Kommunikationsmöglichkeiten:
1
Kontakte mit anderen Personen
1
1
1
Aufenthalt neben verschiedenen Personen (z.B. im Sitzkreis)
Gehen etc. in der Klasse, Wandern von einem Schreibtisch zum
anderen
Arbeit im Nebenraum: mit dem BIG BOM (riesige
Holzzungentrommel), - mit technischen Geräten für Lichteffekte,
Vibrationseffekte usw. zur Wahrnehmung von Ursache/WirkungProzessen, - mit der „Resonanzplatte“
Die Angebote geschehen meist parallel zum anderen Unterricht in der Klasse.
Großteils wird frontal unterrichtet, selten gelingen Formen wie Wochenplanarbeit etc. Das Essenstraining wird während der Unterrichtszeit
durchgeführt. In die Pause wird Georg im Rollstuhl sitzend von Mitschülern
mitgenommen.
Zu gemeinsamen Projekten kommt es selten. In der Stunde für Soziales
Lernen werden häufig Spiele durchgeführt, an denen auch Georg teilnehmen
kann. Es gibt in dieser Stunde auch Gelegenheit, Fragen Georg betreffend zu
klären.
Von Seiten der MitschülerInnen wird Georg sehr geschätzt und kaum jemand
möchte ihn missen. Nur wenige SchülerInnen fühlen sich während des
Unterrichts zeitweise durch Georg gestört, vor allem wenn Georg z.B. plötzlich
hohe laute Töne von sich gibt, weint usw. In der freien Zeit gehen sie sehr
wohl auf Georg zu und nehmen Kontakt mit ihm auf.
Oft sorgen sich MitschülerInnen um Georgs Wohlbefinden und sind
beunruhigt, benötigt man doch sehr lange Zeit, seine Äußerungen „richtig“
interpretieren zu können und viele glaubten lange, ihm ginge es häufig
schlecht, er hätte immer wieder Schmerzen.
Beispiele
Einige SchülerInnen beschäftigen sich besonders viel mit Georg, andere
beobachten ihn aus einer gewissen Distanz, aber kaum jemandem ist Georg
egal. Wenn Georg einmal krank ist, wird sehr bald gefragt, was mit ihm los sei,
wann er denn wieder in die Schule kommen werde. Ein Spruch eines
Mitschülers dazu: „... denn ohne Georg ist es hier so stinknormal.“
Die positiven Antworten auf Fragen an die MitschülerInnen von Georg haben
mir die Sinnhaftigkeit seines Dabeiseins, seiner Integration in unsere Gruppe
bestätigt.
Schwerer tun sich hier viele LehrerInnen, Georg als „Hauptschüler“ zu
akzeptieren. So ist die Diskussion über seine Integration am Schulschluss mit
großer Härte geführt worden. Hier reicht die Palette der Meinungen von
massiver Ablehnung gegenüber seinem Schulbesuch, bis hin zur Einsicht,
dass das Gesetz dies eben ermöglicht.
Gerade auf dieser pragmatischen Einstellung, dass bestimmte Fakten
vorhanden sind, könnten Wege gefunden werden, allen Schülern und vielleicht
auch Lehrern möglichst gerecht zu werden.
Hier Kompromisse und Lösungen zu finden, wie im äußerlich differenzierten
Leistungsgruppensystem möglichst gemeinsam / integrativ unterrichtet werden
kann, wird eine Herausforderung für das nächste Schuljahr sein.
SOL Christian Koller
Beispiele
2. Christian
Christian hatte es eilig. So eilig, dass er am 18.4.1991 bereits in der 28. SSW
das Licht der Welt erblickte. Mit seinen 1.000 Gramm kämpfte er von Beginn
weg eindrucksvoll ums Überleben. Und zwar so eindrucksvoll, dass erst
Wochen später klar wurde: "Etwas stimmt mit seinen Augen nicht." Nach
umfangreichen Untersuchungen stand fest – Christian ist beidseitig blind nach
Netzhautschrumpfung und -ablösung. Ein Schock!
Schicksal annehmen hieß es nun. Informationen sammeln. Bei der
Frühförderung für sehgeschädigte Kinder sofort angemeldet und welch Glück bald war ein Platz für Christian frei.
Die nächsten Jahre waren nun geprägt vom Warten auf Christians
Entwicklungsschritte, vom Abwägen, welche Rückstände der Blindheit
zuzuordnen seien und welche nicht. Halb so schlimm bis zu dem Zeitpunkt, als
Christian aggressiv gegen seine Umwelt und gegen sich selbst wurde.
Autistische Züge? Abklären lassen im Zentrum für Entwicklungsdiagnostik mit aller Vorsicht, die für die Aussagen eines so jungen Kindes gelten muss.
Gott sei Dank wurden die Aggressionen wieder weniger und konnte manches
Verhalten als blindenspezifische Eigenart (Stereotypien) abgetan werden.
Dann die Frage nach einem geeigneten Kindergarten. Christian war 3 Jahre
alt, verhielt sich wie ein 1 1/2-jähriger Bub und außerdem war kein
Integrations-Kindergartenplatz frei. Das hieß also ein Jahr warten und
einstweilen weitersuchen. Nach einem Jahr der Suche fanden wir Aufnahme in
einem Montessorikindergarten. Allerdings: ein blindes Kind wurde noch nie
betreut. Aber was soll’s, wir hatten ja auch gelernt damit umzugehen. Für
Christian war das eine große Umstellung. Er öffnete sich vorsichtig für die Welt
und die Mitmenschen.
Seine Entwicklung war verzögert. Mit dem Sprechen lernen hatte er es
überhaupt nicht eilig (positiv formuliert). Christian wurde nun schon bald
sechs, verhielt sich wie ein 2- bis 3-jähriger Bub und nicht wie ein Vorschüler.
Es war höchste Zeit ihn in der Volksschule anzumelden. Christian wurde ein
Jahr vom Schulbesuch zurückgestellt. Alle Gutachten sagten aus, dass
Christians geistige Behinderung ein Faktum ist.
Welche Schule würde er nun tatsächlich besuchen können ? Die Volksschule?
Die Sonderschule? Das Blindeninstitut?
Beispiele
Wenn er integriert werden würde, hätte er einen Blindenstützlehrer und wie
lange? Wäre er überhaupt in der Lage, lesen, rechnen und schreiben zu
lernen? Wohl kaum. Ging es bei Christian überhaupt um „normales Lernen?“
Wir konnten uns sehr vieles noch überhaupt nicht vorstellen. Anstatt eines
erhofften Entwicklungsschubes stellten sich völlig unerwartet einige
epileptische Anfälle bei Christian ein, die sich jedoch medikamentös gut
einstellen ließen.
Im Winter 97/98 war es höchste Zeit, alles für die Schule im Detail zu regeln.
Letztendlich fanden wir eine Montessori-Volksschulklasse, die Christian
aufnahm.
Der Sonderpädagogische Förderbedarf wurde festgestellt, daraus ging klar
hervor, dass Christian in allen Gegenständen nach dem Lehrplan für
schwerstbehinderte Kinder zu unterrichten ist. Obwohl viele PädagogInnen
zweifelten, ob die Integration für ihn möglich sei, wagten wir den Versuch.
Abbrechen kann man den Versuch ja schließlich immer noch ...
Anfang Mai schrieben wir Christian in die Volksschule ein. Die Direktorin
verhielt sich vorsichtig entgegenkommend, aber die Lehrerinnen brachen alle
Bedenken. Bei ihnen war die Vorfreude auf Christian bereits deutlich zu
spüren. Christian gefiel es in der Schule auch auf Anhieb. Die Atmosphäre war
insgesamt sehr ermutigend. Zur Sicherheit beantragten wir bei der Gemeinde
noch eine Helferin für Christians Schulzeit, die knapp vor Schulbeginn auch
tatsächlich bewilligt wurde.
Im Sommer besorgten wir Schultüte und Schultasche mit einem tastbaren
Hasen. Die Nacht vor dem ersten Schultag ließ auch Christian vor Aufregung
nur mehr unruhig schlafen. Er spürte deutlich, dass eine Veränderung in der
Luft lag. Bereits vom ersten Schultag weg konnte man von einer gelungenen
Integration sprechen. Den Eröffnungsgottesdienst ließ Christian nicht aus,
sondern drängte sich lautstark zum Altar vor. Keine Aufregung, nur
Schmunzeln war die allgemeine Reaktion.
Die ersten Schultage verbrachten wir Eltern abwechselnd und unbemerkt von
Christian als stille Beobachter in der Klasse. So konnten wir bisher
unbesprochene Eigenarten bzw. Bedürfnisse Christians erkennen und den
Lehrerinnen und der Helferin erklären. Für sie alle war Christian das erste
blinde Kind. Nach einer Woche wollten Christians MitschülerInnen aber schon
genau wissen, was mit ihm los sei. Der Weg war frei für soziale
"Beziehungen". Es dauerte nicht lang, bis Christian die erste Einladung zu
einem Geburtstagsfest erhielt.
Beispiele
Seither ist er vor allem der Schwarm der Mädchen. Aber auch Otto, der
wildeste Bub der Klasse, reißt sich förmlich darum, ihm die Hausschuhe
anzuziehen. Und das, obwohl Christian schon vieles selbst machen kann und
von den Erwachsenen auch dazu angehalten wird. Der Einstieg in den
Schulalltag war gelungen.
Mittlerweile ist ein halbes Jahr vorbei. Auch zu Hause wirkt Christian
ausgeglichen und froh, und er sagt oft, dass er gerne in die Schule fahren
möchte. Christian hat sein erstes "Zeugnis" erhalten, und daraus lassen sich
u.a. folgende Kenntnisse bzw. Forschritte herauslesen:
Sprache: Sprüche, Gedichte und Lieder gelernt, Begriffe, Gegensätze und
Oberbegriffe gelernt;
Feinmotorik: Flechten, Schneiden, Schrauben, Auf- und Zubinden (Maschen
Knöpfe und Zippverschlüsse), Malen mit Pinsel und Händen;
Kognitive Arbeiten: Dinge merken, wieder finden, erkennen, ordnen und
zählen, Zeitabläufe erkennen;
Orientierung in der Klasse, im Stiegenhaus, im Pausenhof, im Turnsaal;
Turnen: klettern, robben, springen, Purzelbäume, Ballspiele, laufen;
Soziales: Andere Kinder mit Namen kennen gelernt, "Nicht Ärgern" geübt,
Stilleübungen genossen;
Wir alle sind mehr als zufrieden! Wenn wir uns für die Zukunft etwas
wünschen, dann dass die Entwicklung so positiv weiterlaufen soll wie bisher.
• Fam. Valtiner, Mödling
Beispiele
3. Die Schule aus der Sicht eines Kindes
Ich heiße Günter, werde heuer 12 Jahre alt und bin seit meiner Geburt
mehrfach behindert. Die angeborene Stammhirnverkalkung ist der Grund
dafür, dass ich im Rollstuhl sitzen muss, dass ich mit dem Fläschchen
gefüttert werden muss, dass ich nicht so gut sehe, nicht sprechen kann, dass
ich Windeln brauche ...
Ich habe 4 Jahre den Heilpäd. Kindergarten in Deutschlandsberg besucht.
Danach hat sich meine Mama bemüht, mich einzuschulen. Nach Eröffnung
einer Integrationsklasse in Eibiswald durfte ich in meinem Heimatort in die
Schule gehen, und musste nicht jeden Tag nach Graz fahren oder die ganze
Woche, getrennt von meinen Eltern, im Heim verbringen.
Die Schule bietet mir so viel Abwechslung.
In der Früh werde ich vom Schulbusfahrer in die Klasse getragen und in den
Rollstuhl gesetzt. Hier warten schon meine Schulfreundinnen, die mir Schuhe
und Jacke ausziehen. Manchmal versuchen es auch meine Schulfreunde. Oft
fahren meine Schulfreunde mit mir am Gang spazieren.Wenn die Schule
beginnt, zeigt mir meine Lehrerin den Tagesablauf. Das sind ein Bild für den
jeweiligen Tag und Fotos von den Lehrern, die an dem Tag in der Klasse
unterrichten (Religion, Werken) und Fotos zu den einzelnen Gegenständen.
Seit einem Jahr verständige ich mich mit meiner Familie, meinen Lehrern,
Schulfreunden und Pflegehilfen mit Gebärden.
Ich kann ausdrücken was ich tun möchte,
ich zeige, wenn es mir schlecht geht, mir etwas weh tut, wenn die Mitschüler
zu laut sind, wenn ich hungrig bin ...
Im heurigen Schuljahr habe ich Bilder, sogenannte Picture Communication
Symbols (PCS), bekommen, mit denen ich mich in Kombination mit den
Gebärden in ganzen Sätzen ausdrücken kann.
Ich liebe es, wenn mein Computer eingeschaltet wird. Ich darf dann zeichnen,
Lilly und Gogo anziehen, mit dem Flugzeug fliegen und Luftballons
abschießen, Tiere zuordnen usw. Das „Blob“ (ein Computerlernprogramm)
mag ich nicht besonders, weil ich mit meiner Tastatur noch nicht so gut
zurecht komme.
Wenn ich Musik hören will, bekomme ich Kopfhörer aufgesetzt. Wie gerne
würde ich mitsingen. Meine Freude zeige ich, indem ich die Füße energisch
auf und ab bewege und mit dem Oberkörper nach vor und zurück wippe.
Beispiele
Bilderbücher wie die „Flockibücher“ mag ich auch gern. Ich darf selbst
umblättern und die Tiere, die auf jeder Seite versteckt sind, suchen.
Toll ist auch das Bilderbuch für die Sinne. Da gibt es so viele Dinge zu
ertasten und zu sehen.
In Rechnen bin ich auch schon flott. Wenn ich irgendwo eine Zahl höre, dann
zeige ich sie mit meinen Fingern. Ich kann Mengen bis 5 erkennen, Farben
und Formen zuordnen, eine Art Holzpuzzle bauen und Paare finden.
Wenn es mir im Rollstuhl zu langweilig wird,
lasse ich mich auf die große Schaukel legen
oder auf mein „Fahrrad“ stellen. So kann ich
mich in der Klasse selbstständig fortbewegen.
Manchmal sitze ich auch schon auf einem Sessel, weil meine Rückenmuskeln
seit etwa 1 Jahr so gekräftigt sind, dass ich schon ein bisschen ohne Hilfe und
Stütze sitzen kann.
Ich liebe die Schule und die Kinder, und wenn ich zu Mittag von der
Schulbusfahrerin abgeholt werde, ist es mir gar nicht recht und ich zeige
meinen Unmut deutlich.
Nur gut, dass ich morgen wiederkomme!
Beispiele
4. Der Weg aus der Isolation...
Nicole kam mit 7 Jahren in eine Klasse für mehrfachbehinderte, blinde Kinder.
Sie war ein zartes Mädchen, bei dem große Unruhe und Stereotypien auffielen
(Wackeln, Drehen, Augenbohren, Abschlecken der Handflächen).
Ihre Verständigungsart war Schreien, ihr einziges Wort ein undifferenziertes
„Nein“. Sie wirkte sehr verunsichert und jede noch so kleine Änderung der
Situation endete mit einem Zornausbruch, der gekennzeichnet war durch
Aggressionen gegen sich selbst oder andere (Kratzen, Beißen, Zwicken). Am
liebsten hocke sie in ihrer sicheren Ecke. Diese war anfangs mit einem
Teppich, Polstern mit verschiedenen Füllungen, einer Kuscheldecke und
einem Glöckchen ausgestattet. Hier beschäftigte sie sich mit wenigen Dingen.
Sorgfältig suchte sie diese selbst aus. Wichtig war für sie das Geräusch, das
sie damit erzeugen konnte, z.B. ein Scheppern, Klingeln, Rasseln. Das
Beschäftigen bestand aus einem Hin- und Herbewegen des Gegenstandes
nahe am Ohr bzw. einem kräftigen Hineinbeißen. Dem Geschehen rund um
sich schenkte sie scheinbar keine Beachtung.
Essen und Trinken sowie Musik und Rhythmen lockten sie für kurze Zeit aus
ihrer Ecke. Kontakte konnte sie kaum aushalten. Immer deutlicher zeigte sich
ihre gute Orientierungsfähigkeit, Grob- und Feinmotorik sowie ein
Sprachverständnis.
Nach einigen Monaten gesellte sie sich für kurze Zeit zur Gruppe, sprach
einige Wörter nach und ließ in einfachsten „Rollenspielen“ Kontakte zu. Durch
viel Zuwendung fasste sie Vertrauen und wurde zusehends sicherer. So war
es nun möglich, sie konsequent zu neuen Tätigkeiten zu motivieren. Wichtig
war dabei, ihrem lautstarken und aggressiven Protest das Wissen um ihre
Lernfähigkeit entgegenzusetzen.
Heute kann sie sich relativ gut verständigen, zeigt Interesse am
Gemeinschaftsleben, übernimmt auch schon Aufgaben und freut sich über
Kontakte. Im lebenspraktischen Bereich hat sie es zu großer Selbstständigkeit
gebracht. Das Erlernen der Kulturtechniken beschränkt sich auf Vorübungen.
Ihre Aggressionen treten phasenweise noch immer auf, ein schepperndes
Maskottchen begleitet sie auch heute noch bei vielen Gelegenheiten.
Beispiele
5. Projektorientierter Unterricht in der Klasse
Wir sind ein Team, das in den beiden S-Klassen mit 8 schwer beeinträchtigten
Kindern und Jugendlichen in der Allgemeinen Sonderschule Deutschlandsberg in der Weststeiermark arbeitet.
Zusammensetzung der Klassen
Mehrere SchülerInnen sind zum Teil nicht mobil, sie brauchen einen Rollstuhl.
Zwei SchülerInnen sind blind, zwei stark sehbehindert. Zwei von ihnen
kommunizieren mit einer nicht für alle verständlichen Verbalsprache. Alle
unsere SchülerInnen haben ein sehr eingeschränktes Handlungsrepertoire.
Wie sind wir zur Projektarbeit gekommen?
In mehrjähriger intensiver Arbeit merkten wir, dass der wöchentliche
thematische Wechsel weder für die Kinder noch für uns Lehrer und Betreuer
befriedigend war. Es gab zu wenig Zeit für Exkursionen, es gab zu wenig Zeit,
um sich intensiv mit einem Thema auseinander zu setzen.
So entschieden wir uns für das Motto „Weniger ist mehr“. Weniger Themen
bringen den Kindern mehr an Inhalt.
Weshalb so viel Zeit für ein Thema?
Eine Grundvoraussetzung für die Arbeit mit schwer beeinträchtigten Kindern
ist genügend Zeit. Jede Reaktion und Aktion muss abgewartet werden und
basiert immer auf einer persönlichen Beziehungsebene:
„Der Mensch wird zu dem Ich, dessen Du wir ihm sind“ (G. Feuser)
Ein Gegenstand erschließt sich den SchülerInnen nur in der wiederholten
aktiven sinnlichen Auseinandersetzung.
Ein kaltes Stück Kürbis sehen, angreifen, halten, riechen, zum Mund führen,
kosten und -klatsch- liegt es auf dem Boden.
Aus der Sachstruktur der einzelnen Projekte ergibt sich beinahe zwingend ein
Nach-Außen-Gehen zueinzelnen Orten, ein Kooperieren mit verschiedenen
Einrichtungen und ein Besuchen oder Einladen von Personen.
Beispiele
Wie erfolgt die Planung?
Die Projekte werden vorwiegend in den Konferenzen geplant. Das heißt im
Brainstorming-Verfahren werden ungefiltert große, kleine, unmögliche und
durchführbare Ideen gesammelt und am Flipchart festgehalten. Aus dieser
Fülle wird ausgewählt. Für die einzelnen Aktivitäten wird bestimmt, wie und
wann sie erfolgen und wer dafür verantwortlich ist, die Kontakte knüpft,
Änderungen weitergibt, Transporte klärt...
Ein Zeitplan wird erstellt. Während des Projektes fällt manche geplante
Unternehmung flach und Anderes, vorher nicht Bedachtes, eröffnet sich.
Damit jedes Kind bei der Durchführung des Projektes auf seine Kosten kommt,
braucht es einen Förderplan, in dem der IST-Zustand und die langfristigen
Ziele aufgeschrieben sind.
Diese Pläne werden von uns LehrerInnen (KlassenlehrerInnen, Schulleiterin,
Mobile LehrerIn für blinde und sehbehinderte Kinder) in Zusammenarbeit mit
den jeweiligen Eltern erstellt. Die Eltern sind ganz wichtig, denn sie leben mit
ihrem Kind. Aus ihren individuellen Lebensumständen und Einstellungen
heraus werden erstrebenswerte, die Lebensqualität steigernde und
erreichbare Ziele gefunden.
Bei der Durchführung der Projekte sind die Eltern als Begleitpersonen intensiv
eingebunden - ein großes DANKE an dieser Stelle. Kein Lehrausgang wäre
ohne sie möglich, denn eine 1:1 - Betreuung ist notwendig.
Bisher durchgeführte Projekte
Neben den jahreszeitlichen Themen und der Einzelarbeit mit den Schülern
gab es die Projekte
1
Bauernhof (Verkauf am Bauernmarkt),
1
Wasser (Watsu in Bad Radkersburg, das ist eine spezielle
Unterwassermassagetechnik) und
1
Sommeraktion (Verkauf von eigenen Produkten aus dem
Schulgarten am Hauptplatz ⇒ Säfte, Marmeladen, Strohtiere...).
Heuer hatten wir Herbst (Traubenernte), sowie Klänge, Geräusche
(Trommelworkshop). Derzeit läuft das Projekt Reisen und Fahren (Benutzen
öffentlicher Verkehrsmittel und anderer Gefährte ⇒ von der „Schubkarre“ bis
zum dreirädrigen Motorrad).
Beispiele
Ein ganz wesentlicher Punkt bei der Projektarbeit - von der Planung bis zur
Durchführung - ist auch unser eigener Spaß dabei. Die Freude trägt uns durch
die Mehrarbeit und so manche Schwierigkeiten.
Ebenfalls unumgänglich ist die entsprechende Gestaltung der Räumlichkeiten
(Garderobe, Vorraum, Klassenzimmer) mit Farben, Gegenständen,
Materialien, Düften, Fotos...während des Projektes.
Als Stütze der Erinnerung und bleibendes Dokument werden Bilderserien in
Fotoalben angelegt. Alle sehenden Kinder mit Bildverständnis verwenden
diese Alben mit Begeisterung. Ab und zu wird gefilmt und in Zukunft werden
verstärkt Dias angefertigt. Dadurch bekommen auch stark sehbeeinträchtigte
Kinder im Farblichtraum die Farb- und Lichteffekte mit.
Resümee und Erfahrungen
Mit jedem Projekt sammeln Kinder und Erwachsene neue Erfahrungen. Im
alltäglichen Unterricht kann auf diesen Schatz zurückgegriffen werden (z.B.
Signalton vom Zug).
In unbekannter Umgebung und im Kontakt mit neuen Personen überraschen
uns die Kinder immer wieder.
Jeder Mensch, der uns besucht, knüpft Kontakt mit schwer behinderten
Kindern - eine Begegnung findet statt - häufig ist es das erste Mal für diese
außerschulischen Personen.
Projektunterricht ist eine adäquate Unterrichtsform für „unsere“ Kinder, er
entspricht dem Normalisierungsprinzip.
Helene Pilko
Annemarie Koch
Bernhard Reichenfelser
für das Team der ASO – SPZ Deutschlandsberg
Beispiele
6. „Der Vogel“ (Ein Projekt, das mehrere Jahre umfasst)
1 Wir erforschen verschiedene Tastqualitäten:
- weiche Federn
- lange Federn
- flauschige Federn ...
- verschiedene Eier und Nester
1 Wir spüren verschiedene Federn
- auf der Stirn
- auf der Wange
- auf der Hand...
1 Wir experimentieren mit Federn
- Wegblasen
- Befeuchten
- Zerzausen.....
1 Wir hören verschiedene Vogelstimmen
- im Park
- im Wald
- von einer CD ...
1 Wir lernen verschiedene Vögel kennen
- ein Küken in der Hand
- einen Wellensittich im Käfig
- die Enten auf dem Teich ...
1 Wir ahmen die Vogelstimmen und die Bewegungen nach
- Zirpen
- Trillern
- Flattern
- Auf dem Ast hocken oder Stolzieren ...
1 Wir erforschen verschiedene Vogelmodelle
- Erkennen wichtiger Merkmale
- Benennen der Körperteile ...
1 Wir lernen Geschichten und Lieder über Vögel kennen
- Geschichten erzählen
- Geschichten spielen ...
1
Wir besuchen eine Tierhandlung und gehen in den Zoo
Beispiele
7. Meine liebsten Freizeitbeschäftigungen
Michaela, 10 Jahre , Aso Deutschlandsberg schwer mehrfachbehindert, nonverbal
Über Michaelas Lieblingsbeschäftigungen berichtet die Mutter:
„Michaela hat viele Hobbies, sie hat ja sonst keine Arbeit!
Im Bett liegen Finger mit der Rassel im Mund;
Baden, schwimmen im Thermalwasser;
Spazieren gehen;
Autofahren mit lauter Ö-3 Musik;
Auf Besuch gehen zurkleinen Cousine, die mit ihr spielt;
In der Sonne sitzen;
Schaukeln in der Hängematte und auf der Schaukel;
Hüpfen im Hopser;
Kuscheln .“
Angelika, 14 Jahre, ASO Deutschlandsberg, schwerstmehrfachbehindert, blind, nonverbal
Die Mama berichtet über die „Hobbies“
Zeitung „lesen“ und zerreißen, die alltägliche Werbeflut kontrollieren, mit der Schere
zerschnipseln um anschließend damit die Wohnung zu dekorieren;
fernsehen, Musik hören oder einfach zum Fenster hinausschauen.
Im Garten mag Angelika Gras rupfen, Blumen pflücken, Blätter und Äpfel von den Bäumen
holen; Garten gießen.
Außerdem mag sie gern Schwammerln suchen und spazieren gehen.
Jörg-Martin, 15 Jahre schwerstmehrfachbehindert, blind, nonverbal
Jörgi mag sehr gern Musik hören. Durch Lachen oder Schimpfen zeigt er sehr genau, welche
Musik er mag. Absoluter Favorit ist die Musik der Stoankogler.
Seitdem er selbst mit einem Schalter den Rekorder einschalten kann, freut er sich besonders.
Weitere Hobbies: Flirten mit der Freundin seines älteren Bruders. (Wenn er ihre Stimme hört
beginnt er sich zu melden und lacht besonders laut, wenn sie ihm zu essen gibt oder ihn
spazieren führt.
Autofahren: da muß es schnell dahin gehen, beim langsamen Schleichen schimpft er.
Bernhard , 10 Jahre, ASO für schwerstbehinderte Kinder
Mama erzählt: Bernhard geht gerne schwimmen. Er mag gerne in seinem Rollstuhl spazieren
gefahren werden oder liebt es auch im Auto mitzufahren.Er hört sehr gerne Musik oder Märchen
und freut sich sehr, wenn er Seifenblasen zuschauen kann.
Anhang
Literaturliste
Adam Heidemarie: Kommunikation bei nichtsprechenden Kindern mit geistiger
Behinderung. In „Liebe macht erfinderisch.“ Ausgewählte Studien zur
Geistigbehindertenpädagogik, Würzburg 1990
Adam Heidemarie: Mit Gebärden und Bildsymbolen kommunizieren edition
bentheim 1996
Bundesvereinigung Lebenshilfe: Ich will, ich kann! EDV- gestützte
Kommunikation mit schwer behinderten Kindern und Jugendlichen;.
Lebenshilfe Verlag Marburg 1993
Kristen Ursi: Praxis unterstützte Kommunikation, Verlag selbstbestimmtes
Leben, Dortmund 1994
Mall Winfried: Kommunikation mit schwer geistig behinderten Menschen;
Edition Schindele, Heidelberg 1995
Nielsen, Lilli: Der Fiela Förderplan – 730 Fördervorschläge, edition bentheim
1999
Nielsen, Lilli: Schritt für Schritt. edition bentheim 1966
Nielsen, Lilli: Das Ich und der Raum. edition bentheim 1993
Nielsen, Lilli: Bist du blind? edition bentheim 1992
Nielsen, Lilli: Greife und du kannst begreifen. edition bentheim 1995
Ockleford Adam: Objects of Reference; RNIB 1994
Pickl Gonda: „Nonverbale Kommunikationssysteme“ Artikel in „der
Sprachheilpädagoge“ 2 /98, österreichische Gesellschaft für Sprachheilpädagogik
Sacks Oliver: Eine Anthropologin auf dem Mars, Reinbeck 1997
Sevenig Heinz: Materialien zur Kommunikationsförderung von Menschen mit
schwersten cerbralen Bewegungsstörungen, Verlag selbstbestimmtes Leben,
Dortmund 1994
Gebärdensprache mit autistischen und geistig behinderten Menschen; Verlag
Modernes Lernen, Dortmund 1996
Literaturangabe: "Vision for doing", ASSESSING Funcitonal Vision of Learners
who are Multiply Disabled von Stuart Aitken und Marianna Buultjens, Moray
House, Edinburgh 1992
Multisensory Environments, A Practical Guide to the Use of Multi Sensory
Rooms, Paul Pagliano, Georg Fulton Publishers Ltd, London 1999