Eltern und Betreuer Zwei Welten stoßen aufeinander
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Eltern und Betreuer Zwei Welten stoßen aufeinander
Eltern und Betreuer Zwei Welten stoßen aufeinander Reflexionen zur Kommunikation und Kooperation zwischen Eltern und professionellen Mitarbeitern in Wohnstätten für Menschen mit geistiger Behinderung Diplomarbeit für die Staatliche Abschlussprüfung im Fachbereich Sozialwesen, Studienrichtung Sozialarbeit an der KATHOLISCHEN FACHHOCHSCHULE NRW, ABTEILUNG KÖLN, vorgelegt von Gabriele Kost Matrikel Nr. 210064 am 14.05.2003 Erstkorrektorin: Diplom-Sozialpädagogin, DiplomHeilpädagogin Irmgard Wintgen Zweitkorrektor: Professor Dr. paed. Maximilian Buchka 2 Inhaltsverzeichnis Seite – Vorwort 3 – Einleitung 5 1. Die Familie mit geistig behindertem Kind 1.1. Aspekte heutiger Elternschaft 1.2. Definition der geistigen Behinderung 1.3. Empirische Daten 1.4. Anthropologische Aspekte 1.5. Psychologische Aspekte 1.6. Soziologische Aspekte 1.7. Erfahrungen mit Fachleuten 7 8 8 10 15 18 21 2. Das Heim als „Zweites Zuhause“ 2.1. Der Entschluss 2.2. Die Umsetzung 25 31 3. Wohnstätten für Menschen mit geistiger Behinderung 3.1. Zu den Institutionen 3.2. Zu den Mitarbeitern in den Wohngruppen 36 38 4. Eltern und Betreuer - eine sensible Beziehung auf einem spannungsreichen Feld 4.1. Das Spannungsfeld 4.2. Zu den Rollen 4.3. Zu den Machtverhältnissen 4.4. Zu den Konfliktbereichen 4.5. Resümee 41 43 49 52 56 5. Zur Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen Eltern und Betreuern für den Menschen mit geistiger Behinderung 58 6. Möglichkeiten der Verbesserung von Kommunikation und Kooperation 6.1. Ethische Aspekte in der Begegnung 6.2. Allgemeine Aspekte in der Elternarbeit 6.3. Zur Geschichte der Elternarbeit 6.4. Partnerschaft 6.5. Empowerment 6.6. Verbesserungsperspektiven auf verschiedenen Ebenen 6.6.1. Die Ebene der Mitarbeiter 6.6.2. Die Ebene der Institution 62 68 72 73 78 82 86 7. Konzeptionelle Überlegungen 7.1. Vorüberlegungen 7.2. Konzeptentwurf 89 90 8. Schlussbetrachtung 93 – Literaturverzeichnis 96 – Anhang 3 Vorwort Die Thematik der Zusammenarbeit zwischen Eltern behinderter Menschen in Wohnheimen der Behindertenhilfe und den dort tätigen professionellen Mitarbeitern ist in den letzten Jahren (nicht zuletzt aufgrund der Qualitätsdebatte) zunehmend mehr beachtet und diskutiert worden, wobei sich in allen Veröffentlichungen zu diesem Thema der konflikthafte Zusammenhang beider Lebenswelten widerspiegelt. Die Fachliteratur zu diesem Thema ist nicht umfangreich, was mir auch Prof. Dr. Klauß, der 1993 (zusammen mit Peter Wertz-Schönhagen) das einzige sehr umfassende Buch hierzu geschrieben hat, zu Beginn meiner Recherchen bestätigte. Der Stellenwert der Eltern, der sowohl in der Frühförderung als auch im Kindergarten und in der Schule relativ hoch ist, was sich in verschiedenen wissenschaftlichen Arbeiten und Konzepten zur Arbeit mit ihnen ausdrückt, scheint im Heimbereich viel niedriger zu sein, was m. E. der Realität gerade dieser Eltern nicht gerecht wird und ihre persönliche Situation negiert. Aus eigener Betroffenheit weiß ich um die Brisanz dieses Themas: Die Kommunikation und Kooperation mit professionellen Mitarbeitern einer Wohnstätte für Menschen mit geistiger Behinderung ist Teil meines persönlichen Alltags, seitdem mein mittlerweile erwachsener Sohn in einem solchen Heim vor ca. fünf Jahren sein „Zweites Zuhause“ gefunden hat. Es hat mich sehr gereizt, mich mit diesem Thema im Rahmen dieser Arbeit zu befassen, wobei ich auch meine Erfahrungen aus meinem Praktikum in einem Heim für erwachsene geistig und psychisch behinderte Menschen einbringen konnte. Im Rahmen meines Feldprojektes auf dem Gebiet der Elternarbeit konnte ich viele Gespräche mit den Wohngruppenmitarbeitern zum Thema Elternarbeit führen. Trotz dieser Erfahrungen bin ich sehr dankbar, dass ich über eine große süddeutsche Wohneinrichtung für Menschen mit geistiger Behinderung einen erfahrenen Hausleiter, der für mehrere Wohngruppen im Kinder -und Jugendbereich zuständig ist, zur Mithilfe bei der Bearbeitung meines Themas gewinnen konnte. Aufkommende Fragen und Probleme durfte ich jederzeit mit ihm diskutieren und konnte somit meine Vorstellungen immer wieder an der Realität messen. Ebenfalls vermittelt wurde mir durch diese Einrichtung die Möglichkeit intensiven Gedankenaustausches mit der sehr engagierten Vorsitzenden des dortigen Gesamtangehörigenbeirates. An dieser Stelle möchte ich mich herzlich bei beiden für ihre umfassende Unterstützung bedanken; auch wenn ich beide explizit nur selten erwähne, geht doch ihr Erfahrungsschatz in die gesamte Arbeit mit ein. 4 Einleitung Wir haben eine kleine Schwester, wir haben einen kleinen Bruder. Die sind ein wenig anders als andere Erdenkinder. Sie kamen in diese Welt, an diesen Ort, mit etwas weniger Handgepäck, als wir es mitbekamen. Wir Erwachsene sind so groß in unseren Taten und Worten. Aber unsere kleinen Geschwister werden niemals groß. Es ist für uns so leicht, Kleine und Schwache wegzuschieben und sie mit hilflosen Gesichtern hinter uns zu lassen. Wir vergessen so leicht, dass einmal das letzte Schiff abgeht und dass dann alle Passagiere ihr Gepäck zurücklassen müssen. Dann wird es für diese Kleinen vielleicht am leichtesten, denn sie besitzen nur ein Herz voll Kummer und Freude. Und diese Freude ist so schön und der Kummer so schwer. Aber das haben unsere Geschwister ja schon immer gewusst. Deshalb lass uns ihnen Freude schenken, bis sie an Bord müssen, unsere kleinen Geschwister mit ihren Kinderherzen. (Verfasser unbekannt) Eigentlich könnte es doch so einfach sein: Da das Wohl geistig behinderter Menschen sowohl ihren Betreuern als auch ihren Eltern am Herzen liegt, sollte beide Personengruppen diese Tatsache vereinen und problemlos miteinander kooperieren lassen. Und an ganz vielen Stellen gelingt das sicher auch sehr gut. Aber nach meiner Erfahrung ist die Beziehung beider Seiten zueinander sensibel und fragil, zudem häufig mit unnötig erscheinenden und auch noch eskalierenden Konflikten belastet, unter denen dann alle Beteiligten leiden. Nur vor dem Hintergrund der jeweiligen Lebensoder Arbeitssituation der Beteiligten sind diese Probleme aber auch Chancen und Verbesserungsperspektiven zu begreifen, so dass ich den Titel meiner Arbeit bewusst polarisierend als den „Zusammenstoß zweier Welten“ formuliert habe, was auch mein weiteres methodisches Vorgehen in dieser Arbeit strukturiert. Ich beschreibe zunächst Aspekte aus der Welt der Familie mit geistig behindertem Kind (Kapitel 1), dann den Grund des Zusammentreffens der Eltern und der Mitarbeiter im Heim: den Heimentschluss (Kapitel 2), skizziere im Anschluss daran kurz die andere Welt der Institution mit ihren Mitarbeitern (Kapitel 3) und komme daraufhin zu einem 5 Schwerpunkt meiner Arbeit: der Darstellung der Beziehung zwischen Eltern und Mitarbeitern in verschiedenen Facetten (Kapitel 4). Nach Gedanken zur Bedeutung der Zusammenarbeit für den behinderten Menschen (Kapitel 5) folgen Möglichkeiten der Verbesserung Zusammenhang von auf Kommunikation die und Elternarbeit Kooperation, und wobei ich in diesem Verbesserungsperspektiven auf verschiedenen Ebenen eingehe (Kapitel 6). Im 7. Kapitel stelle ich konzeptionelle Überlegungen zur Elternarbeit in einer Wohnstätte an und beende meine Arbeit mit einer Schlussbetrachtung (Kapitel 8). Anmerkungen: Persönliche Eindrücke, Gedanken und Erfahrungen werden zur Unterscheidung in der Schriftart Times New Roman kursiv vom anderen Text abgehoben, Zitate anderer Autoren in der Schriftart Courier New. Wenn ich in meiner Arbeit den Begriff „Kind“ verwende, ist dies nicht altersspezifisch, sondern auf die familiäre Situation bezogen zu verstehen. Ich verwende sowohl den Begriff des Betreuers als auch des Erziehers synonym für den professionellen Mitarbeiter im Wohngruppendienst, da sich beide Begriffe in diesen Zusammenhängen so eingebürgert haben. Im Interesse einer besseren Lesbarkeit werde ich in dieser Arbeit bei der Bezeichnung von Personen und Personenkreisen stets die maskuline Form verwenden, wobei natürlich immer Vertreter beiderlei Geschlechts gemeint sind. 6 1. Die Familie mit geistig behindertem Kind 1.1. Aspekte heutiger Elternschaft Die Soziologin Elisabeth Beck-Gernsheim hat in ihrem Buch „Die Kinderfrage Frauen zwischen Kinderwunsch und Unabhängigkeit„ (1989) festgestellt, dass die Kinder heutzutage „Kopfgeburten“ sind. Der Kinderwunsch ist mittlerweile eine Art unternehmerischer Entscheidung geworden. Sie muss gut durchdacht werden, weil sie der Legitimation gegenüber dem Lebensumfeld bedarf. Kinder müssen heutzutage zur Optimierung der individuellen Lebensqualität beitragen und sie dürfen - ganz wichtig - die vorgefassten Lebenspläne nicht zerstören. Hinzu kommt noch, dass in den letzten Jahren ein starker Geburtenrückgang zu verzeichnen ist, mit gleichzeitigem starkem Anstieg der subjektiven Bedeutung des (meist einzigen) Kindes für die Eltern. Ein Kind muss nunmehr die Hoffnungen und Erwartungen vieler ungeborener Kinder erfüllen. Das ist schon für das gesunde, leistungsfähige Kind eine schwere Hypothek, die oft nur unter Verhaltensstörungen oder anderen Problemen „abgezahlt“ werden kann. Unter gesellschaftlichem Druck entscheiden sich viele Frauen auch für die Nutzung der praenatalen Diagnostik, wobei schon die Entscheidung für oder gegen diese Möglichkeit zu schweren persönlichen Krisen führen kann. Vielen Frauen ist gar nicht bewusst, dass nicht alle Behinderungen diagnostisch praenatal erfasst werden können, die Diagnostik selbst mit Risiken für Frau und Kind verbunden ist und überhaupt nur wenige Behinderungen chromosomal bedingt sind. Aber gerade die verantwortlichen Frauenärzte raten zunehmend zur Ausschöpfung aller medizinischen Möglichkeiten, um nicht im Falle von Behinderung in Regress genommen werden zu können. „Bei positivem Befund erfolgt in der Regel ein Schwangerschaftsabbruch“ (Cloerkes, 2001: 238). Vor diesem Hintergrund ist nun die meist nicht erwartete und nicht gewünschte Situation der Familie mit einem geistig behinderten Kind zu sehen. 1.2. Definition der geistigen Behinderung Da es keine allgemein gültige und für alle Gebiete verbindliche Definition der geistigen Behinderung gibt (je nach Perspektive oder Profession werden andere Aspekte fokussiert und keine Definition alleine wird der Komplexität der geistigen Behinderung gerecht), möchte ich an dieser Stelle nur die Definition von Heinz Bach anführen, da sie m. E. sehr umfassend ist und man sich gerade auch die praktischen Auswirkungen 7 der geistigen Behinderung auf die Eltern und das Zusammenleben in der Familie vorstellen kann: „Als geistig behindert gelten Personen, deren Lernverhalten wesentlich hinter der auf das Lebensalter bezogenen Erwartung zurückbleibt und durch ein dauerndes Vorherrschen des anschauend-vollziehenden Aufnehmens, Verarbeitens und Speicherns von Lerninhalten und eine Konzentration des Lernfeldes auf direkte Bedürfnisbefriedigung gekennzeichnet ist, was sich in der Regel findet. bei einem Intelligenzquotienten Geistigbehinderte sind zugleich von im unter 55/60 sprachlichen, emotionalen und motorischen Bereich beeinträchtigt und bedürfen dauernd umfänglicher pädagogischer Maßnahmen. Auch extrem Behinderte gehören - ohne untere Grenze - zum Personenkreis“ (Bach 1976: 92). Wenn ich im Folgenden von Familien mit geistig behinderten Kindern spreche, meine ich gemäß dieser Definition also auch immer Familien mit mehrfachbehinderten Kindern in allen Ausprägungen. 1.3. Empirische Daten Über die Gesamtzahl der Menschen mit geistiger Behinderung in Deutschland liegen keine zuverlässigen Angaben vor. Neuhäuser/Steinhausen gehen aber davon aus, dass mit jedem neuen Geburtsjahrgang ca. 0,5 % - 0,6 % geistig behinderte Kinder geboren werden: „Die institutionelle Prävalenzrate dürfte etwa bei 0,5 % liegen, Bundesrepublik d.h. 0,5 % besuchen aller Schulen Schulpflichtigen für geistig in der Behinderte“ (Neuhäuser / Steinhausen 1990: 13). In ihrem „Berliner Memorandum“ zur Fachtagung mit dem Titel „Familien mit behinderten Angehörigen - Lebenswelten - Bedarfe – Anforderungen“ vom Oktober 2001 in Berlin schätzt die Lebenshilfe als größte Elternvereinigung, dass in Deutschland 420.000 Menschen mit geistiger Behinderung leben. Davon sind 185.000 Kinder und Jugendliche, die zu 85 % (das sind 160.000) in ihren Familien leben. Von den erwachsenen Menschen mit geistiger Behinderung, so die Schätzung weiter, leben immerhin noch 60 % (140.000) bei den Eltern oder sonstigen Angehörigen. In Einrichtungen leben bundesweit ca. 12o.ooo Menschen mit geistiger Behinderung. (Bundesvereinigung Lebenshilfe: Berliner Memorandum, 2002: 241) 8 Mit der letzten Zahl korrespondiert auch die Schätzung von Wacker, Wetzler u. a., 1998: „Eigenen Berechnungen zufolge, die auf der Basis der von Infratest vorgelegten Zahlen vorgenommen wurden, ist davon auszugehen, dass von den Menschen mit geistigen Behinderungen und Mehrfachbehinderungen durchschnittlich jeder Vierte in Heimen lebt“ (Wacker, Wetzler u. a., 1998: 298). Nicht jede geistige Behinderung steht gleich bei der Geburt fest, im Gegenteil, viele werden erst später entdeckt. Hierzu nennt Speck unter Bezug auf Eggert folgende Zahlen: Bei 20,9 % aller Menschen mit geistiger Behinderung wird dies bei der Geburt festgestellt, im Durchschnitt aber wird es erst mit ca. zwei Jahren diagnostiziert und bei 25 % entdeckt man es erst nach dem 6. Lebensjahr (vgl. Speck, 1999: 306). Epidemiologisch gesehen finden sich unter den geistig behinderten Kindern mehr Jungen als Mädchen, außerdem sind sie in sozioökonomisch schwachen Familien unverhältnismäßig häufiger anzutreffen als in mittleren und höheren Schichten. „Bei 60 % der Menschen mit geistiger Behinderung, also bei der Mehrzahl, kennen wir die Ursache letztlich nicht“ (Neuhäuser / Steinhausen, 1990: 25). 1.4. Anthropologische Aspekte Unter Bezug auf Bollnow stellen Hensle / Vernooij fest: „Die Begegnung, die Konfrontation mit einem mehr oder weniger beeinträchtigten Leben in unmittelbarem Bezug zu einem selbst und vor dem Hintergrund der optimistischen Erwartungen, erschüttert die geistig- psychischen Grundfesten eines Menschen“ (Hensle / Vernooij, 2ooo: 270). Diese Erschütterung, das Ausmaß elterlicher Betroffenheit und damit die zutiefst menschliche Dimension werden deutlich, wenn die Eltern sich selbst zu Wort melden und über ihr gemeinsames Leben mit ihrem behinderten Kind berichten. In mittlerweile zahllosen Büchern und Zeitschriftenartikeln beschreiben sie meist sehr offen und präzise, welche Veränderungen ihres Lebens sie verarbeiten müssen, was die Behinderung für die ganze Familie bedeutet und wie alle damit umgehen lernen. Da Eltern in der Regel Außenstehenden ihre tiefsten Empfindungen und intimen Gefühle nicht mitteilen, ist gerade diese „Betroffenheitsliteratur“ eine Brücke über den „Abgrund“ (wie es Otto Speck formuliert hat) und kann Professionellen einen Blick in 9 die Innenwelt Betroffener ermöglichen. Gefühlsmäßige Mitbetroffenheit kann dann tragfähige Grundlage solidarischen Handelns bewirken. Der japanische Nobelpreisträger für Literatur 1994, Kenzaburo Oe, hat „...die große Katastrophe seines Lebens, die Geburt seines ersten Sohnes im Jahre 1963, der mit einer Gehirnhernie zur Welt kam“ ( HijiyaKirschnereit, 1994: 232), immer wieder zum Stoff seiner Literatur gemacht. Seine Gefühle angesichts der Geburt des Kindes kleidet er in folgende Worte: „Fünf Wochen lang habe Sohnes gehofft, ich dass nach er der Geburt sterben meines würde....Und missgestalteten keine noch so starke Läuterungskraft wird diese Befleckung je von meinem Leben waschen können, ja, ich glaube, bis zu meinem Tod wird mir dies anhaften“ (Oe 1994: 232). Auf literarischer Ebene hat sich Oe wohl am deutlichsten mit Tötungsphantasien und aber auch konkreten Tötungsabsichten ausei- nandergesetzt. Aber auch im Buch von Pearl. S. Buck findet man diese Gedanken: „Ich hätte den Tod für mein Kind willkommen geheißen, dann wäre es für immer gesichert“ (Buck, 1975: 42). In diesem Buch „Geliebtes unglückliches Kind“ schildert sie sehr sensibel, offen und dabei sehr reflexiv ihre Gefühle als Mutter einer geistig behinderten Tochter. Aus ihren Worten spricht viel Erkennen und Weisheit, wobei es ihr gelingt, auch die Erfahrungen anderer Eltern mit einzubeziehen und ihre Aussagen somit eine gewisse Allgemeingültigkeit widerspiegeln. So kann man z. B. als Außenstehender gut nachvollziehen, dass Eltern nicht dauernd vertröstet oder auf vage Hoffnungen verwiesen werden wollen, sondern froh sind, wenn jemand sich traut, endlich die Wahrheit über die Behinderung zu sagen. Buck beschreibt den Moment als unerträglich. „Vielleicht lässt es sich am besten so schildern, dass ich innerlich verblutete – hoffnungslos“ (1975: 36). Aber sie ist dem Wahrheitsüberbringer dennoch dankbar. Zum Schluss ihres zwar alten, aber, wie ich finde, immer noch sehr aktuellen Buches appelliert sie an andere Eltern mit behinderten Kindern, aber implizit auch an die Unterstützung der Eltern durch Professionelle: „Wenn euch ein kleines Kind geboren wird, das nicht wohl und gesund ist, wie ihr hofftet, sondern verkrüppelt und mangelhaft an Körper und Geist oder vielleicht an beidem, bedenkt, dass es doch immer euer Kind ist. Bedenkt, dass das Kind ein Recht auf sein Leben hat, was für ein Leben das auch sein mag, und dass es ein Recht auf ein Glück 10 hat, das ihr ihm finden müsst. Sei stolz auf dein Kind, nimm es hin, wie es ist und achte nicht der Worte und des Staunens derer, die es nicht besser verstehen. Dieses Kind hat einen Sinn für Dich und für alle Kinder. Du wirst ungeahnte Freude finden, wenn du sein Leben für es und mit ihm vollendest. Erhebe dein Haupt und gehe deinen vorgezeichneten Weg! Ich spreche als eine, die es weiß“ (Buck, 1975: 92). Zu diesen Gedanken und Gefühlen können alle Eltern nur sehr langsam, mühevoll und manchmal auch qualvoll gelangen. Aber alle ahnen um die Notwendigkeit dieser Einstellung für das Kind aber auch für sich selbst und sind unendlich dankbar für „Bausteine“ auf ihrem Weg. Und damit meine ich z. B. gute Beratung durch Professionelle, menschliches Verstehen von Außenstehenden, gute Gespräche, in denen die Eltern mit ihren höchstpersönlichen Bedürfnissen und nicht nur der behinderte Mensch im Mittelpunkt stehen. In diesem Zusammenhang möchte ich fragmentarisch die krisenhafte Auseinandersetzung mit der Behinderung ihres Sohnes von Petra Dreyer in ihrem Buch „Ungeliebtes Wunschkind“ wiedergeben. Ihr dramatisches Buch lässt den Prozess der Annahme sowohl ihrer selbst als auch des schwerbehinderten Kindes sehr transparent und reflexiv erscheinen. Das Buch macht Eltern Mut und zeigt gleichzeitig Außenstehenden auf, was dem Menschen möglich sein kann als Schicksalsannahme und positiver Auseinandersetzung mit extremen Lebensaufgaben. Während ihrer Schwangerschaft hatte Petra Dreyer die normalen Phantasien aller werdenden Mütter: „Mein Wunschkind entstand - ein Superkind, und ich natürlich die tollste Mutter der Welt“ (Dreyer, 1988: 11). Das Kind wird unter Komplikationen geboren und ist geistig schwer behindert. „Nur sein Tod wäre Trost für mich, lieber ein Ende mit Schrecken als einen Schrecken ohne Ende. So ein geschädigtes Kind wollte ich nicht, nein, nein, und nochmals nein“ (13). „Nichts ist mit tollster Mutter der Welt, stündlich versage ich, tue ich irgendetwas, das ihn zum Weinen bringt“ (21). 11 Auf Fragen ihrer Bekannten antwortet sie: „Mein Kind ist schwer körperlich und geistig behindert, wird nie laufen und sprechen sein. können, Jens ist immer ein auf fremde Hilfe angewiesen schwachsinniges Kind, wobei ich schwachsinnig besonders betone, Ausschussware, nur am Leben, um Arbeit zu machen und Schrecken zu verbreiten“ (23). Und sie hasst ihn dafür, dass er nicht „behindert“ aussieht, sondern sehr hübsch ist. Eindrucksvoll und plastisch schildert sie ihren mühsamen Alltag mit Jens, die zahllosen Arztbesuche, die schmerzenden Reaktionen der Umwelt, ihre Hoffnungslosigkeit, ihre aufgewühlten Emotionen. Immer wieder stellt sie sich dieselben Fragen: Welchen Wert hat das Leben meines Sohnes? Warum muss er so leiden? Welchen Sinn kann das alles haben? Aber langsam ahnt sie, dass der Hass auf ihr Kind auch ein Zeichen lebendiger Verbundenheit mit diesem ist. Die Einladung in eine Klinik in Bethel bringt eine langsame Veränderung. „Hier sind wir nicht die Außenseiter, ist die Behinderung Normalität“ (43). Aber sie empfindet Jens weiterhin als „Alptraum“ für sich. In einer Art Selbstanalyse beschäftigt sie sich mit ihrem bisherigen Leben, ihrer Lage mit ihrem behinderten Bruder und aber auch ihrer Zukunft. Die Rückkehr in den Beruf wird durch Jens verändert: „...nichts ist mehr wie vorher, aber es ist deshalb nicht schlechter“ (59). Als Jens sich gegen die intensive Krankengymnastik immer verzweifelter wehrt, bekommt auch sie Zweifel an deren Sinn und lässt sich auch einmal selbst „beturnen“. Und da beginnt sie Jens das erste Mal zu verstehen: „Jens, zum ersten Mal verstehe ich Dein Schreien, schrei weiter, schrei für mich mit, denn ich bin genauso wütend und hilflos wie Du. Nur, ich bin schon die, die ich einmal werden sollte, ich habe schon aufgehört zu schreien“ (67). Geplagt von Schuldgefühlen, aber das erste Mal wieder handlungsfähig und eigenverantwortlich, bricht sie die Krankengymnastik entschlossen ab. In einer lebensbedrohlichen Krampfsituation ihres Sohnes erlebt sie zum ersten Mal, dass sie ihren Sohn wirklich akzeptiert und anerkennt. Sie sieht 12 ihn als ein von ihr völlig getrenntes Wesen, „...dessen Wirklichkeit ich nie ganz werde nachvollziehen können“ (75). Bedauernd stellt sie fest, dass die Trauer wohl Teil ihres Lebens bleiben wird, aber ihr Blickwinkel auf Jens verändert sich allmählich. Empathisch versucht sie sich in ihn hinein zu versetzen und kann dann auch sich selbst und ihr Verhalten besser annehmen. „Erst im Erkennen des eigenen Andersseins, Abweichen von Normen und Regeln, dem Erkennen der eigenen Fehler und Schwächen, habe ich Zugang gefunden zu dem Anderssein meines Kindes, zu seiner Wut, Trauer und Hilflosigkeit“ (117). Am Ende scheint „Zukunft“ möglich: „...ich darf etwas mehr die sein, die ich nun mal bin, und so darfst du etwas mehr sein, der du nun mal bist, die Mauer zwischen uns beginnt zu schrumpfen“ (117). Zahlreiche andere Schriftsteller beschreiben ähnliche Gefühle und Entwicklungsprozesse (z. B. Geppert, Beuys), alle haben mehr oder weniger ähnliche Erfahrungen und Probleme, und auch ich, als Betroffene, finde mich in dieser Literatur sehr oft wieder. Aber jeder Mensch geht anders mit seinen Erfahrungen um, benötigt andere Hilfe oder lässt andere Unterstützung zu. Professionelle Begleitung muss also immer am Einzelfall sensibel orientiert sein, wenn es auch allgemein gültige Strukturen zu geben scheint. Zum Schluss meiner anthropologischen Aspekte möchte ich noch resümierend Dieter Schulz zitieren, dessen anthroposophisch geprägte Gedanken sowohl für die Eltern als auch für die Professionellen ein tragfähiges, sinnstiftendes Handlungsfundament bilden können: „Das Leid, ein Kind zu haben, das anders ist als die anderen Kinder, steht für die meisten Eltern immer wieder im Vordergrund. Dieses Leid, die Mühen und Strapazen, die Eltern durch ihr Kind auferlegt bekommen, zieht sich wie einer von mehreren roten Fäden durch das Leben. Bleibt man bei dieser schmerzvollen Eltern und Wahrnehmung des Kindes stehen, so unerträglich kann wirken. das Die Schicksal der Tatsache der Behinderung des Kindes bleibt bestehen, das seelisch-geistige Erleben der Eltern birgt aber die Möglichkeit der Verwandlung 13 des Leidens Wesentliches andere in sich: vom individuell Reifung, Entwicklung, Unwesentlichen unterscheiden verschiedene Fähigkeiten“ innere zu ( Stärke, können Schulz, und 1999: 128). Ich persönlich kenne keine Familie, die ihr behindertes Kind – trotz oder wegen aller Probleme – nicht als echte Bereicherung ihres Lebens erlebt. Besonders die herzliche Spontaneität, die ehrliche Emotionalität und das einfache Da-Sein des behinderten Kindes macht Freude, genauso das Erleben auch kleinster Entwicklungsschritte des Kindes. So existiert oft eine besonders enge und liebevolle Beziehung zwischen Eltern und Kind. 1.5. Psychologische Aspekte Die Geburt eines behinderten Kindes bedeutet zunächst einmal eine herbe Enttäuschung für die Eltern, deren hoffnungsvolle Phantasien hinsichtlich des Kindes sich auch nicht ansatzweise verwirklichen werden. Die Eltern fühlen sich in ihrem Selbstwertgefühl verletzt, evtl. aus verschiedenen Gründen auch schuldig, auf jeden Fall aber völlig hilflos angesichts dieser neuen Situation, auf die es keine Vorbereitung gab. Eigene Lebenspläne müssen radikal geändert werden, die Beziehung zur Umwelt ist belastet. Der Umgang mit dem behinderten Kind erfordert die Übernahme einer neuen Elternrolle. Die Einstellung der Eltern zum Kind hängt nun von der Verarbeitung der Erschütterung und des inneren Konfliktes ab. Wenn sich die Gewahrwerdung der Behinderung über längere Jahre hinstreckt, kann das Gefühl der Eltern als schleichende, ambivalente Verunsicherung bezeichnet werden. Als ehedem normaler Teil der Gesellschaft haben die Eltern genauso negative Tendenzen gegenüber dem Phänomen „Behinderung“ erlernt, sind aber wahrscheinlich stärker bemüht, diese zu unterdrücken. Die Diskrepanz zwischen dem erträumten „idealen“ Kind und dem „realen“ Kind ist sowohl kognitiv als auch emotional nur schwer zu überbrücken. Das Erleben der Eltern ist sowohl schichtspezifisch geprägt als auch vom Bildungsniveau abhängig. Dabei können drei Hauptformen von Reaktionen auf die Behinderung festgestellt werden: Schockgefühle, Schuldgefühle und Abwehrmechanismen (nach Cloerkes, 2001: 238). Zu diesen Abwehrmechanismen, die nötig sind, um das gestörte innere Gleichgewicht wieder zu erlangen, gehören: Verleugnung, Projektion, Intellektualisierung und Sublimierung, wobei die letzten beiden Mechanismen zur Verarbeitung des ungelösten Konfliktes führen können, wenn es geschafft wird, die realistischen Bedürfnisse des Kindes zu sehen und zu erfüllen 14 (nach Speck, 1999: 309). Speck nennt noch weitere Abwehrmechanismen: Abreagieren von Aggressionen, Ritualisierung und Überbehütung bzw. Verwöhnung. Je stärker sich die Einstellungen und Erwartungen an tradierten Norm- und Wertvorstellungen wie Schönheit, körperliche und geistige Unversehrtheit, Erfolg, Leistung, Selbstständigkeit und Autonomie orientieren, desto größer sind die Enttäuschungen und Konflikte. Dabei spielen der Zeitpunkt des Erkennens der Behinderung, Art, Sichtbarkeit und Schweregrad der Behinderung eine große Rolle. Zur Erklärung der Krisenverarbeitung wurden von verschiedenen Autoren Modelle entwickelt, wobei allen Modellen Phasenbeschreibungen gemein sind. Am populärsten ist das Spiralphasenmodell von Schuchardt, das ein generelles Krisenverarbeitungsmodell darstellt. Sie beschreibt hierin acht Spiralphasen, die sich durch das Eingangsstadium, das Durchgangsstadium und das Zielstadium „hochschrauben“. Diese acht Phasen heißen Ungewissheit, Gewissheit, Aggression, Verhandlung, Depression, Annahme, Aktivität und Solidarität. „Das Bild der Spirale veranschaulicht sowohl die Unabgeschlossenheit der inneren Vorgänge als auch die Überlagerung verschiedener Windungen im Verlaufe des täglichen Lebens und Handelns mit anderen“ (Schuchardt, 1999: 38). Aus Elternsicht birgt dieses prägnante Modell die Gefahr, noch zusätzlich Leistungsdruck auf die Eltern auszuüben. In meinem Erleben kann ich mich zwar in diesen Phasen wiederfinden, was mir das Gefühl gibt, ich bin „in Ordnung“, andererseits hätte ich gerne ein Patentrezept, wie ich die Spiralspitze möglichst schnell erreiche, da mit diesem letzten Schritt ja eine gewisse Immunisierung gegen Trauer möglich zu sein scheint. Für professionelle Fachkräfte ist trotz aller Schwächen dieses Modells hiermit die Möglichkeit gegeben, Trauerprozesse bei den Eltern zu erkennen, zu deuten und so sensibel zu begleiten. Dabei ist wichtig zu beachten, dass jede gefühlsmäßige Reaktion seinen berechtigten Sinn hat, weder zu pathologisieren, zu verhindern oder womöglich zu kritisieren ist. Jonas, die sich besonders um die mütterlichen Probleme mit der Behinderung bemüht hat, sieht die Aufgabe der professionellen Dienste im Behindertenbereich darin, „...die Mütter in der Bewältigung des Traumas der Behinderung zu begleiten und ein Beziehungsangebot zu machen, in dem Trauerprozess und Autonomieentwicklung in der Interaktion erlebbar werden, zur Sprache kommen können und nicht verdrängt werden müssen“ (1990: 153). Dieser Beratungsprozess braucht viel Zeit und Interaktion in konkreter Beziehung. 15 Allgemein ist festzustellen, dass die Verarbeitung kritischer Lebensereignisse ein sehr komplexer und individueller Prozess ist, bei dem individuelle Faktoren (Einstellung, Persönlichkeitsstruktur), situative Faktoren (Lebensumstände, Hilfsangebote) und gesellschaftliche Faktoren (Zugang zu Informationen) zusammenwirken. Jeder professionelle Kontakt sollte auf Stärkung der Eltern (nicht, weil sie schwach sind, sondern weil sie ihre Stärken noch ausbauen können), auf Akzeptanz ihrer Probleme (weil sie reale Probleme haben, die sie aber – mit selbstbestimmter Unterstützung – alleine lösen können) und Unterstützung in ihrer besonderen Elternrolle (weil sie normale Eltern sind, die aber besonders herausgefordert sind) gerichtet sein. 1.6. Soziologische Aspekte Mit ihrem behinderten Kind erleben Eltern sowohl in ihrer Selbst- als auch in ihrer Fremdwahrnehmung, dass ihre Elternschaft von der Norm abweicht, denn die Situation ist erwartungskonträr und traditionslos zu den gesellschaftlich gängigen Lebenssituationen. An dieser Stelle möchte ich meine Betrachtungen der verschiedenen Elternrollen nur auf die Rolle der Mutter beschränken, da sie in der Regel die Hauptbezugs- und Pflegeperson des behinderten Kindes ist und sich ihr persönliches Leben, der Alltag und ihre Lebenswelt am meisten durch die Tatsache der Behinderung und die später beschriebene Heimunterbringung des Kindes ändert. Grundsätzlich ist festzustellen, dass mit der Geburt eines Kindes in vielen Familien wieder die traditionelle Rollenverteilung eintritt. Bei der Geburt eines behinderten Kindes trifft dies in fast allen Fällen zu. „Dem traditionellen Rollenverständnis entsprechend sind Mütter für die Pflege und Betreuung ihres behinderten Kindes verantwortlich, während es in das Ermessen der Väter gestellt ist, inwieweit sie neben ihrer Berufsarbeit häusliche Aufgaben übernehmen“ (Stegie, 1988: 126). Häußler, Wacker und Wetzler haben in ihrer Studie, die nicht nach Art der Behinderung differenziert, zur Lebenssituation von Menschen mit Behinderung in privaten Haushalten festgestellt, dass in über 80 % der untersuchten Haushalte die Pflege überwiegend durch eine Frau als Hauptpflegeperson erbracht wird (1996: 448). Für die Mutter ergeben sich hieraus folgende Konsequenzen: ¾ Erfordernis der permanenten Präsenz für die Bedürfnisse des Kindes, möglicherweise jahrzehntelang und rund um die Uhr. ¾ Aufgabe des Berufes (und damit gravierende ökonomische Schlechterstellung der Familie) und radikale Einschränkung der Freizeit und Freizeitmöglichkeiten. 16 ¾ Je nach Behinderung des Kindes: chronische Schlafdefizite und körperliche Erschöpfungszustände. ¾ Größte psychische Belastung hinsichtlich der Unaufhebbarkeit der Behinderung und ständig neuer Anforderungen und Krisen im Lebenslauf des Kindes. ¾ Schuldgefühle. ¾ Einseitige Konzentration auf das Kind und dadurch Vernachlässigung der anderen Familienmitglieder. ¾ Latente Ablehnungstendenzen und übermäßige Ansprüche gegenüber dem Kind. Für den nochmals getrennt hiervon zu sehenden Kreis der Mütter schwerstmehrfachbehinderter Kinder hat Dorothee Wolf-Stiegemeyer, selbst Mutter einer schwerstbehinderten Tochter, in ihrer Umfrage 1999 bei 62 Müttern solcher Kinder eine deutliche Lebensqualitätsveränderung festgestellt. Ihre Handlungsmöglichkeiten sind sehr eingeschränkt, zwischenmenschliche Beziehungen durch Zeit- und Sozialfaktoren erschwert, Selbstachtung, Selbstsicherheit und Selbstanerkennung werden durch diese Aufgabe tangiert und auch die Lebensfreude kann aufgrund der emotionalen und physischen Belastung schwinden. „Die Gesamtsituation von Müttern besonderer Kinder ist – im Verhältnis zu Müttern „gesunder“ Kinder – eindeutig als eine meist um ein Vielfaches belastetere zu betrachten“ (Wolf-Stiegemeyer, 2000: 12). Es besteht eine hohe und zunehmende Erkrankungsgefahr für diese Mütter. Dieter Schulz beschreibt den Alltag besonders herausgeforderter Mütter folgendermaßen: „Immer wieder beschreiben Mütter diesen Zwang, den täglichen Pflichtenkatalog zu erfüllen, als Berg oder Mauer gegen die man nicht ankommt. Das Gefühl, alles wird zuviel, ich kann es nicht mehr bewältigen, kann plötzlich panikartig auftreten oder, wenn es chronisch wird, aushöhlend und verzehrend wirken. Die Lebensfreude schwindet, die Kräfte nehmen ab, alles färbt sich grau in grau. Routine erfüllt den Alltag und die Seele bleibt auf der Strecke“ (Schulz, 1999: 31). Das gesellschaftliche Postulat der „Mutterliebe“ erfährt in Bezug auf behinderte Kinder noch eine besondere Brisanz und setzt die Mütter mehr noch als „normale“ Mütter unter Druck. Oft folgen die Mütter einem fragwürdigen Idealbild, in dem sie nur sich selbst als fähig sehen können, der Behinderung ihres Kindes gerecht zu werden. So wird oft schon die bloße Inanspruchnahme des Familienentlastenden Dienstes von starken Schuldgefühlen begleitet, und auch die jahre- bis jahrzehntelange innere Tabuisierung des Gedankens an ein „Anschlusszuhause“ für das Kind hat hierin eine 17 seiner Ursachen. Gedanken an eigene Berufstätigkeit oder auch nur ein Hobby werden in oft masochistisch anmutender Weise unterdrückt. Gerade die jungen Mütter heute, oft hoch qualifiziert ausgebildet und mit emanzipatorischem Gedankengut aufgewachsen, empfinden dieses Los als besonders hart. Durch diese Schicksalsrolle fühlen sie sich jeglicher Autonomie beraubt. Im Gegensatz zu den früheren Müttern in vergleichbarer Lage empfinden sie sich in ihrer Hausfrauenrolle durch das behinderte Kind auch nicht „aufgewertet“, ist doch die „Nur“Hausfrauensituation gesellschaftlich und in harter Währung heutzutage wenig wert. Aber bei vielen Müttern wachsen im Laufe der Jahre die Kompetenzen, sie haben oft eine sehr aktive und bestimmende Rolle, die ihnen auch Selbstbewusstsein gibt. Insgesamt ist festzustellen, dass die Belastung für die Mütter von Außenstehenden kaum nachvollziehbar ist, die Leistung nicht einfach als selbstverständlich erwartet werden sollte und dass Beratung und Unterstützung besonders der Mütter Frauenförderung per se ist, ein in Unternehmen und Behörden schon längst, zumindest in Ansätzen verwirklichtes Gesellschaftsziel. Nach dieser längst nicht abschließenden Übersicht über verschiedene Aspekte aus der familiären Welt mit geistig behinderten Kindern skizziere ich nun kurz Erfahrungen der Eltern aus ihrer oft jahrelangen Zusammenarbeit mit Fachleuten in der Behindertenhilfe, aber auch Wünsche der Eltern, die sich hieraus ergeben. Das ambivalente Durchleben der „Mühle der Professionalität“ prägt und formt die Eltern und bildet das Portal, durch das sie dann später auf die Mitarbeiter in den Heimen zugehen. 1.7. Erfahrungen mit Fachleuten „Der Anlass für Begegnung Eltern-Professionelle ist für Eltern das i. d. R. unvorhersehbare Hineingeraten in die „unverschuldete“ Situation, Eltern eines Kindes mit geistiger Behinderung geworden zu sein“ (Dittmann,2000 : 243 ). Und Eltern behinderter Kinder haben unglaublich viele Kontakte mit Fachleuten. Sie verausgaben sich physisch, psychisch und oft auch finanziell, um ihrem Kind möglichst alle Förderund Entwicklungsmöglichkeiten zu eröffnen. Gerade in den ersten Lebensjahren des Kindes ist der Förderdruck als konkreter Ausfluss der elterlichen Verantwortung extrem hoch und wird fatalerweise durch viele 18 Professionelle aus oft sehr egoistischen Gründen noch geschürt. Durch „Ärztehopping“ über „Therapieshopping“ und „Beratungsdschungel“ erleben Eltern oft unzählige Kontakte mit Fachleuten. Gerade in den ersten Jahren ziehen sich die Eltern aufgrund ihrer schwierigen emotionalen Lage sozial sehr zurück, sie versuchen dadurch, wenigstens im engsten Familienkreis handlungsfähig zu bleiben. Ihr oft einziger, aber intensiver Kontakt nach „draußen“ bilden die beschriebenen Besuche bei Fachleuten, deren Reaktionen sie – selbst ratlos, verunsichert und oft auch hoffnungslos – umso tiefgreifender „ausgeliefert“ sind. Hierzu stellt Eckert in seiner Studie fest: „Die Erfahrungen, die die befragten Eltern im Laufe ihres gemeinsamen Lebens mit dem behinderten Kind im Kontakt zu Fachleuten gesammelt haben, weisen ein sehr heterogenes Bild auf“ (Eckert ,2002: 231). Und: „Das Überwiegen positiver Erfahrungen bildet jedoch eine Ausnahme, so dass nach den Berichten der Eltern die Kontakte zwischen Eltern und Fachleuten kritisch betrachtet werden sollten“ (231). Eine Mutter eines dreijährigen mehrfachbehinderten Kindes erzählte mir einmal begeistert von der Krankengymnastin ihres Sohnes, die vor jeder Stunde sie als Mutter fragen würde: „Sie oder er?“ Und manchmal würde sie sich das Recht zu einem Gespräch mit dieser Frau „herausnehmen“, wohlwissend, dass sie nach diesem Gespräch, in dem sie offen Frust ,Ärger und Enttäuschung „ablassen“ könne, bestens gelaunt und wieder seelisch belebt ihr Kind betreuen kann. Wahrscheinlich hat so ein Gespräch für das Kind eine ebenso wichtige entwicklungsfördernde Bedeutung in Form einer zufriedenen Mutter wie die „Krankengymnastik auf neurophysiologischer Grundlage“. Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig der ganzheitliche Blick auf das System Eltern-Kind und das Zutrauen in die Fähigkeit der Eltern ist, sich „zu holen“, was sie brauchen, wenn es ihnen angeboten wird. Weiterhin wichtig für die Eltern sind auf Seiten der Fachleute differenziertes fachliches Wissen mit „Blick über den Tellerrand“ und hohe, menschlich geprägte Einsatz- und Kooperationsbereitschaft der Fachleute, sowie aber auch deren Bereitschaft, sich auf das Kind einzulassen. „Erleben die Eltern des behinderten Kindes, dass ihr Kind von der jeweiligen Fachperson geschätzt und gemocht wird, wirkt sich dies positiv auf ihren Kontakt zu den Fachleuten aus, ist dies nicht der Fall, wird eine Zusammenarbeit deutlich erschwert“ (Eckert, 2002: 233). Wichtige Aspekte beim Aufbau einer tragfähigen Beziehung, die durch gegenseitiges Vertrauen geprägt ist, sind die Wechselseitigkeit des Austausches, die Wertschätzung der elterlichen Kompetenzen durch die Fachleute, Offenheit im Gespräch sowie auch Interesse der professionellen Helfer an der familiären Lebenswirklichkeit, natürlich unter Bewahrung absoluter Verschwiegenheit. Aber das verstärkte Angewiesensein auf 19 institutionelle Angebote durch die besondere Situation mit dem behinderten Kind kann aus Elternsicht beispielsweise als selbstverständliche Notwendigkeit gesehen werden oder aber auch eine verstärkte Fremdbestimmung des familiären Lebens darstellen. Je nach persönlicher Lage der Eltern, nach Stimmung oder Situation kann diese Einstellung variieren, so dass für Fachleute auch immer eine gewisse Unwägbarkeit der elterlichen Bewertung gedanklich präsent sein sollte. Ich selbst empfinde es nach wie vor als Zumutung, dass man wie eine gläserne Familie unzähligen Außenstehenden Einblicke in sein Familienleben geben muss. Die fast überwiegend negative Sicht „unserer“ Familien in der Literatur resultiert m. E. unter anderem auch aus diesen vielen „Fenstern“, die – ungewollt – Eltern Fachleuten geben müssen. Wer das Kind wann und wie zu Bett bringt, wie man die nächtliche „Bewachung“ organisiert, wann man den Haushalt erledigt, wie man das Geld ausgibt , ob und wie man in Urlaub fährt usw. usw., alles Dinge, die normale Familien niemals Außenstehenden offenbaren müssten. Auch wenn man es nicht will.....zwangsläufig muss man sehr viel von sich erzählen bzw. lässt sich implizit vieles erfahren und man weiß nicht, wie der Andere dies einordnet oder auch bewertet. Wer nicht selbst mit einem geistig- oder schwermehrfachbehinderten Kind zusammenlebt, kann einfach vieles nicht nachvollziehen, macht sich falsche Vorstellungen und ordnet so Erzählungen Betroffener vorschnell falsch ein. Erfahrungsgemäß lässt der Förderdruck mit den Jahren deutlich nach, aber die Bedeutung der Fachleute, ihre Meinungen und Ansichten, auch ihre Reaktionen auf das Kind bleiben nach wie vor unverändert hoch, ebenso die Sensibilität der Eltern gegenüber der Umwelt, unter der sie oft leiden müssen (z. B. wegen Tuschelns oder Anstarrens der Mitmenschen), der sie aber auch oft eigene Projektionen unterstellen. Mit diesem emotionalen „hochexplosiven“ Gefühlsgemisch, das den Eltern weder bewusst noch von ihnen intendiert ist, treten sie dann natürlich allen weiteren Fachleuten in ihrem Leben (z. B. den professionellen Betreuern ihrer Kinder in Wohnheimen) entgegen, eine, in der Folge, für alle Beteiligte hochsensible Gratwanderung im Bemühen um ein gutes Verhältnis. Nach wie vor sind für mich alle meinen Sohn mitbetreuenden Fachleute, egal ob Wohnheimbetreuer, die Lehrerin oder der Arzt sehr wichtig. Ob ich will oder nicht, ich werte ihre Aussagen nicht nur auf einer rationalen Ebene sondern „sauge“ sie auch emotional auf. Dabei versuche ich unwillkürlich herauszuhören, wie diese meinen Sohn sehen, ob sie ihn mögen und akzeptieren, was mir z. B bei meinem nichtbehinderten Sohn relativ egal ist. Von anderen Eltern erlebe ich auch oft eine regelrechte Idealisierung z. B. eines bestimmten Lehrers oder Betreuers, der es mit dem Kind 20 besonders „gut kann“ und dadurch schon fast selbst, überspitzt ausgedrückt, eine Legitimation zum „Familienmitglied“ hat. Zwischen den unterschiedlichen Lebenswelten der Familie und der des Heimes steht ein Entschluss, dessen Tragweite für die Familie von Heimseite oft nicht gesehen werden kann, was zu Fehleinschätzungen der Situation der Eltern durch die Heimmitarbeiter führen kann. Mit meinen folgenden Ausführungen möchte ich diesen Entschluss und seine Umsetzung aus Sicht der Eltern näher beleuchten. 21 2. Das Heim als „Zweites Zuhause“ für das behinderte Kind 2.1. Der Entschluss „Als die Zeit fortschritt, wurde es auch offenbar, dass mein Töchterlein seine eigenen Gefährten finden müsse. Die Freunde, die bei mir kamen und gingen, konnten niemals seine Freunde sein. So gut und mitleidsvoll sie waren, empfanden sie doch das Kind als eine Anstrengung, und umgekehrt waren sie wieder eine Anstrengung für das Kind und für mich. Es wurde durch diese Tatsachen klar, dass ich ihm eine Welt suchen und finden und es dann hineinversetzen müsse“ (Buck,1975: 52). So beschrieb Pearl S. Buck ihre Empfindungen, die den Entschluss, ein Heim für ihr Kind zu suchen, reifen ließen. Sie suchte für ihr Kind ein Zuhause, eine andere Welt, „...in der es nicht verachtet und zurückgestoßen würde, wo es sein eigenes Niveau finden, wo es Freunde und Zuneigung, Verständnis und Würdigung haben könnte“ (53). Der Gedanke an ein anderes Zuhause neben der Familie wird von den betroffenen Eltern zumeist jahrelang tabuisiert, oft jahrzehntelang verdrängt. So ist es u. a. auch zu erklären, dass ca. zwei Drittel aller geistig behinderten Menschen auch noch in fortgeschrittenem Alter bei den ebenso alternden Eltern leben. Einen Königsweg gibt es hier für die Eltern nicht: Es gibt keine tradierten oder verlässlichen Regeln, wann der heranwachsende oder erwachsene geistig behinderte Mensch das Elternhaus verlassen soll oder kann, es gibt keinen „normalen“ Weg, kein erprobtes Verhaltensmuster. Auch Empfehlungen von Fachleuten reichen immer noch von der Abgabe sofort nach der Geburt bis zur Feststellung, dass solch ein Mensch doch lebenslang zur Familie gehört, wenn auch in der aktuellen Literatur zu diesem Thema immer wieder, als Ausfluss des Normalisierungsprinzips, darauf hingewiesen wird, dass geistig behinderte Menschen im selben Alter wie andere junge Menschen auch das Elternhaus verlassen sollten. Tatsächlich leben auch, nach Einschätzung von Kemme / Kursawe / Thimm (1999: 5), ca. 16.000 Kinder in Heimen der Behindertenhilfe, obwohl die Familie nach herrschender fachlicher Einschätzung immer noch die beste erste Sozialisationsinstanz darstellt. Gründe für die Heimunterbringung von relativ kleinen Kindern (z. B. aufgrund fehlender ambulanter Hilfen) sind wenig er- 22 forscht und anders zu bewerten als der Auszug von Jugendlichen und Erwachsenen aus dem Elternhaus im Sinne der Ablösung (vgl. Kemme / Kursawe / Thimm, 1999: 8). Kinder bleiben, auch als Heranwachsende und Erwachsene, für ihre Eltern auf eine Art immer Kinder, wie viel schwerer ist es für Eltern geistigbehinderter Kinder, die permanent Unterstützung brauchen, diese als endlich Erwachsene zu sehen und sie „gehen“ zu lassen. Allen Eltern fällt es schwer, ihren Kindern Erwachsensein zu unterstellen, aber Eltern „normaler“ Kinder werden durch diese einfach dazu gezwungen, denn deren natürliche Entwicklung zu Selbständigkeit und damit verbundener Unabhängigkeit sowie ihr gesellschaftlich erwartetes Handeln (Ausbildung, Beruf, eigene Familie) lässt in der Regel keinen anderen Weg zu. „Während Ausbildungsabschluss, Berufstätigkeit, finanzielle Selbständigkeit und Auszug Anhaltspunkte junger Erwachsener Elternhaus durch ablöst, Elternschaft dafür bieten, welchem „selbstständige bieten Anhaltspunkte Beziehungsstruktur in Partnerbindung, für zwischen die Maße sich ein Lebensführung“ vom Eheschließung und emotionale erwachsenen Ablösung Kindern und und ihren Eltern“ (Vaskovics,1997: 33). Im Extremfall der schweren geistigen Behinderung oder schwerstmehrfachen Behinderung gibt es hingegen keinen dieser Anhaltspunkte als Indiz für eine Ablösung des behinderten Menschen von seinen Eltern, was bei diesen völlige Ahnungslosigkeit, wie sie sich nun verhalten sollen, bewirkt. Unter pädagogischen Gesichtspunkten stellt Struck fest: „Eltern müssen die Reifung ihrer Kinder innerlich mitvollziehen, und sie sollten mit dem Bewusstsein erziehen, dass sie sich selbst immer mehr überflüssig zu machen haben“. Und weiter: „Die langsame Ablösung vom Elternhaus ist ein ganz natürlicher Prozess und meistens nur schmerzhaft für klammernde Eltern voller Besitzansprüche an ihre Kinder und solche Mütter und Väter, die ihre Töchter oder Söhne als Partnerersatz missverstanden haben“ (1995: 193). Auch Eltern geistig behinderter Kinder wollen keine „klammernden“, ihre Kinder für eigene Zwecke „missbrauchenden“ Eltern sein, aber: „Wenn Eltern die Behinderung ihres Kindes akzeptiert haben, so fällt ihnen das Loslassen besonders schwer. Sie haben gelernt, das eigene Lebenskonzept so zu verändern, dass das Kind mit seinen Beeinträchtigungen und mit seinem besonderen Unterstützungsbedarf darin einen guten Platz hat“ (Klauß1, 1999: 5). Dabei fällt es den Eltern schwer, die Veränderung ihres Kindes in der Pubertät als „Loslass-Versuch“ zu werten, 23 zumal dann, wenn sie keine Vergleichsmöglichkeit mit Geschwisterkindern haben. „So sieht sich die Bezugsperson häufig einem Jugendlichen gegenüber, der zwar seine Loslösung anstrebt, um seinen Freiraum kämpft und sich dabei wie ein Trotzkind gebärdet, im nächsten Augenblick aber symbiotische Bedürfnisse äußert, Körperkontakt sucht, schmust und unter starken Trennungsängsten leidet“ (Senckel, 1994: 101). Und immer geht es beim „Loslassen“ behinderter Kinder nicht um ein passives „Weggehen-Lassen“ des Kindes, sondern um aktives „Weggeben“ in völlig fremde Hände, ein Unterschied, der im Empfinden der Eltern und auch objektiv sehr schwer wiegt, zumal bei sehr schwer mehrfachbehinderten Kindern. Unter der Überschrift „Loslassen - Gedanken einer Mutter“ beschreibt Renate Helling als Mutter einer schwerstbehinderten 35-jährigen Tochter sowohl ihre als auch die Probleme der Tochter mit dem von Fachleuten so oft unbedacht leichtfertig gefordertem „Loslassen“: „Chantal verstand die Welt nicht mehr. Sie schrie ihren Schmerz des Losgelassenwerdens hinaus.“ Und: „Sind wir froher und glücklicher seitdem wir Chantal losgelassen haben?“ Sie beschreibt, dass sie ihr Kind nun wieder jedes Wochenende bei sich pflegt. Sie selbst hätte das „Loslassen“ weitgehendst wieder aufgegeben, da alle nur darunter gelitten hätten. Und zum Schluss stellt sie die, wohl alle Eltern in vergleichbarer Lage, bewegende Frage: „Aber wer lässt schon ein zweijähriges Kind los in die Obhut vieler fremder Hände?“ (Helling, 2001: 7). Aber auch wenn dann die äußere Ablösung zu klappen scheint und alle können gut mit dem veränderten Beziehungsrhytmus leben; die innere Ablösung braucht wahrscheinlich noch sehr viel Zeit und ist in den meisten Fällen erst mit dem Tod der Eltern endgültig. Die „innere“ Nabelschnur pulsiert immer. Ich kenne viele ältere Mütter, die würden gerne – obwohl ihr Kind schon lange in einem Heim lebt – in dessen „Grab schauen“, bevor sie selbst „gehen“ müssen. Mitarbeiter in Wohngruppen müssen um diese emotionale Befindlichkeit der Eltern wissen und versuchen, Eltern das Gefühl zu geben, es geht auch irgendwann ohne sie gut für das Kind weiter. Damit tragen sie Verantwortung für das, ich nenne es mal „Seelenheil“ der Eltern zu Lebzeiten. 24 (Quelle: „Orientierung“ 1/2003: 11) Nun möchte ich noch einen anderen, sehr wichtigen, die äußerliche Ablösung betreffenden Punkt ansprechen. Nachdenklich hat mich die Studie von Klicpera / Gasteiger–Klicpera über „Einstellungen von Angehörigen und Betreuern zum Leben eines erwachsenen Menschen mit geistiger Behinderung in der Familie und im Heim“ gemacht. Mit durchschnittlich 40% äußerten sich die Angehörigen gegen ein anderes Zuhause für ihr erwachsenes behindertes Kind mit dem Grund, der behinderte Mensch würde den anderen Familienmitgliedern „abgehen“ (Klicpera 1998: 115). Auch ich habe in Gesprächen mit anderen Eltern sehr oft das Gefühl, dass sie ihr behindertes Kind, egal, wie alt es ist, einfach nicht gehen lassen wollen, weil es ihnen so sehr fehlen würde, und ich selbst kenne diesen unglaublich zwingenden Impuls, den alle Eltern kennen, natürlich auch. Dazu gesellt sich noch das Gefühl, dass Fremde das Besondere gerade des eigenen Kindes eh nicht schätzen werden können, so dass eine regelrechte symbiotische Verschmelzung von Eltern und Kind auf Dauer existieren kann. Eltern ist dieser Mechanismus nicht bewusst, zumal im anstrengenden Alltag Gedanken daran oft gar keine Chance haben, erst aufzukommen oder aber rigoros verdrängt werden. Auch die schrittweise Ablösung, wie sie bei normalen Kindern die Regel ist, z. B. durch Übernachtungen bei Freunden, Verwandten, im Kindergarten, mit Freizeitgruppen, bei Klassenfahrten und Schulfreizeiten, ist oft bei behinderten Kindern 25 aus verschiedenen Gründen, die sich unter anderem aus der Schwere der Behinderung ergeben, nicht im normalen Umfang möglich. Erst als mir einmal ein Lehrer nach der ersten Klassenfahrt mit meinem Sohn sagte, ich solle ihn unbedingt öfters alleine Fahrten mit anderen Menschen machen lassen, er habe den dringenden Eindruck, der Junge bräuchte mehr Freiheit und autonome Entscheidungsmöglichkeiten, fiel es mir „wie Schuppen von den Augen“ und ich konnte überhaupt erst einmal ein Bewusstsein für die Autonomiebedürfnisse meines Kindes entwickeln, zu sehr standen bis dahin Pflege, Versorgung und Schutz seiner körperlichen Bedürfnisse im Alltag im Vordergrund. Diesem Lehrer bin ich noch heute dankbar für sein sensibles Beobachten der Kinder und mutiges Ansprechen der Eltern. Ängste, Unsicherheiten, ambivalente Gefühle, Schuldgefühle und Pflichtgefühl lassen den Gedanken an ein weiteres Zuhause für das Kind „undenkbar“ erscheinen.........bis der Gedanke dann doch auf einmal irgendwie da ist! Vielleicht, weil ein Fachmann mal von einem guten Heim erzählte, weil der Klassenkamerad oder Werkstattkollege nun in einem solchen wohnt oder weil ein Elternteil schwer erkrankt ist und die häusliche Situation zu eskalieren droht und Alternativen gesucht werden müssen, aber auch weil der Gedanke an die Zukunft nicht mehr länger verdrängt werden kann. Im Prinzip müssen rationale Gründe die emotionalen Befindlichkeiten „besiegen“, sonst kommt es nie zu dieser, den Alltag und das Leben aller Beteiligten gravierend verändernden Entscheidung. Hinsichtlich des Auszugsalters der behinderten Menschen hat sich in den letzten Jahren eine Änderung ergeben. „Auch konnte ein deutlicher Unterschied zwischen den Elterngenerationen bei der Unterstützung der Ablösung vom Elternhaus festgestellt werden; jüngere Eltern sind eher bereit, die Ablösung als eine selbstverständliche Entwicklung anzusehen und sich bei der Gestaltung der künftigen Wohn- und Lebensform zu engagieren“ (Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, 2002: 102). Diese Entwicklung kann ich auch in meinem Bekanntenkreis beobachten. Trotzdem dauert es oft noch Jahre, bis der Entschluss im Kopf dann wirklich realisiert wird. Dabei sind sowohl die in den letzten Jahren ausgebauten ambulanten Entlastungs- sowie Freizeitangebote als auch das in der Familienkasse oft nicht mehr wegzudenkende Pflegegeld auch noch Gründe für die „Vertagung“ der Entscheidung. 2.2. Die Umsetzung 26 „Eltern, die mit der Frage nach einer Heimunterbringung umgehen müssen, leiden sehr unter dem immer noch verbreiteten gesellschaftlichen Pauschalurteil, man schiebe sein Kind ab“ (Schulz, 1999: 124). Viele Eltern fühlen sich demzufolge auch wie „Rabeneltern“. Dabei ist nichts weniger zutreffend als dieses Bild. Schließlich suchen diese Eltern ja für ihr Kind ein zweites „Nest“ und werfen es nicht einfach, wie Rabeneltern es tun, aus dem „Nest“ heraus. Und dann behalten sie ihr Familienzuhause immer wieder für die zeitweise Aufnahme ihres „Junges“ bereit. „In dieser Phase der Vorbereitung des „Nestwechsels“ müssen die Eltern diesen Schritt nicht immer nur wieder ihrer Umwelt mitteilen, erklären und notfalls immer wieder rechtfertigen, sie müssen auch lernen, mit den Vorwürfen gegen sich selbst, mit ihren Schuldgefühlen und den Impulsen, das Kind doch noch zu Hause zu behalten, zurechtzukommen“ (Heimlich, Rother, 1991: 133). Eine weitere, die Eltern sehr belastende Tatsache sind die in unserer Gesellschaft immer noch sehr negativen Assoziationen mit dem Wort „Heim“. Man verbindet hiermit eher Wegsein, Zwang, Fremdbestimmung und Kälte als Vorstellungen von Zuhausesein, Geborgenheit oder Schutz und Hilfe. Eltern haben bei der Suche nach einem Heim für ihr Kind zunächst einmal i. d. R. keine positiven Bilder und damit konkrete Vorstellungen. „Von der Familie aus erscheint das Heim trotz der in ihm angebotenen Entlastung für die Familie und für den Behinderten, trotz der in ihm möglichen neuen Erfahrungen, trotz aller pädagogisch und therapeutisch spezifischen Stützen als fremd, unpersönlich, unüberschaubar“ (Thiersch, 1989: 222). Dass Heime heutzutage keine Bewahranstalten mehr sind und zumeist mit hohen Ansprüchen, was die Förderung und die Gestaltung der Lebensqualität des Kindes anbelangt, arbeiten, wissen sie nicht und sind darum in besonderer Weise auf sachliche, umfassende Beratung angewiesen. „Heimerziehung kann nicht à priori als schlechtere Möglichkeit bewertet werden; insbesondere mit Blick auf neuere Heimkonzeptionen stellt sie, z. B. für jugendliche oder erwachsene Behinderte eine durchaus angemessene Alternative zur Familie dar“ (Hensle / Vernooji, 2000: 284). Mit diesem Wissen, kritischen Begutachtungen verschiedener Wohnmöglichkeiten aber auch durch Gespräche mit Eltern, die „es schon geschafft haben“, kann die „Heimsuche“ dann gelingen und die Entscheidung hierfür tragfähig werden. Gerade durch Gespräche mit „erfahrenen Eltern“ können die noch suchenden und zweifelnden Eltern erleben, dass das „Heim“ nicht die „Endlösung“ für die ganze Familie bedeutet, sondern dass der weitere Lebensweg aller Familienmitglieder mit Hilfe der Institution positiv gestaltet werden kann. 27 Zur weiteren Umsetzung des Entschlusses gehört dann die Beantragung der Kostenübernahme beim Sozialhilfeträger, was nach meiner Erfahrung in eine unwürdige Prozedur für Eltern ausarten kann. „Noch müssen Eltern ihr Überfordertsein, ihr Scheitern offiziell eingestehen und ärztlich bescheinigen lassen, wenn Eingliederungshilfe übernommen werden soll“ (Klauß, 1995: 444). So habe ich im Zusammenhang mit einer Heimaufnahme eines 15-jährigen eher leicht geistig behinderten Jungen erlebt, wie dessen Eltern, die die Heimaufnahme mit besseren Kommunikationsmöglichkeiten, besserer schulischer und therapeutischer Förderung, adäquater Freizeitmöglichkeiten und mehr Gemeinschaft mit anderen, ebenfalls behinderten jungen Menschen begründeten, vom Kostenträger regelrecht unter Druck gesetzt wurden. Erst nach Vorlage einer psychologischen Bescheinigung über den Gesundheitszustand der Mutter sowie einer schulärztlichen Bestätigung über die Probleme des Geschwisterkindes wurde die Entscheidung der Eltern akzeptiert und die Kostenübernahme ausgesprochen. Selbstverständlich darf eine Entscheidung für ein Heim nur unter sorgfältiger Abwägung aller Interessen, unter Diskussion auch mit erfahrenen Fachleuten getroffen werden, aber die Entscheidung pro oder contra muss m. E. doch den Eltern überlassen werden, die nach meiner Erfahrung niemals leichtfertig mit dieser Entscheidungsbefugnis umgehen. Dass diese erst offiziell ihr „Scheitern“ erklären müssen, obwohl die meisten das gar nicht so sehen, da sie lange Jahre ihrem Kind ein Zuhause und möglichst gute Entwicklungsmöglichkeiten gegeben haben, beeinflusst unmittelbar auch ihre Rolle später den Mitarbeitern im Heim gegenüber. Sie trauen sich anfangs kaum, Wünsche zu äußern, geschweige denn Ansprüche zu haben. Sie müssen sich ja dankbar dafür zeigen, dass die Gesellschaft ihnen als offiziell „Überforderten und Gescheiterten“ unter die Arme greift. Dass sie damit dann auch noch zu offiziellen Sozialhilfeempfängern mit den Verpflichtungen des Offenlegens der Einkommens- und Vermögensverhältnisse wurden ist nochmals eine Rolle, die vielen Eltern mentale Probleme bereitet. Sie fühlen sich nun doppelt stigmatisiert. Doch trotz aller beschriebenen Schwierigkeiten der Eltern mit dem Heimentschluss, trotz aller Zweifel, Vorwürfe und Schuldgefühle ist eine ausschließlich negative, problematische Sicht der Eltern viel zu verkürzt und einseitig. An dem Punkt angekommen: „Zu Hause geht’s nicht mehr“ (Heimlich / Rother, 1991: 9), wobei dies eben nicht nur – wie das Beispiel oben zeigt – familiendefizitär bedingt sein muss, entscheiden sich diese Eltern für den neuen langen Weg, „...an dessen Ende – aber nicht erst nach dem Tod beider Elternteile – der behinderte Mensch in einem neuen zweiten Zuhause lebt, in dem er sich so weit entfalten kann, wie es ihm möglich ist“ 28 (Heimlich / Rother, 1991: 10). Dieser Entschluss ist auch ein Ausdruck von Handlungsfähigkeit, von autonomer Planung, auch von Vertrauen in die Fähigkeiten des Kindes (und mögen sie noch so klein erscheinen!) und aber auch Vertrauen in unsere Gesellschaft, personifiziert durch die zukünftigen Betreuer im Heim. Es kann aber auch die Akzeptanz der familiären Grenzen und der persönlichen Grenzen eines jeden Familienmitgliedes sein, wobei dies eigentlich ein ganz normaler Vorgang ist, den auch normale Familien in Bezug auf ihre heranwachsenden Kinder irgendwann einmal zur Kenntnis nehmen müssen. Es ist weiterhin ein Versuch der Eltern, die „Vereinbarkeit zwischen Familie und Behinderung“ mit Hilfe der Ressource Heim neu zu erschließen und so, mit gesellschaftlicher Hilfe, (endlich wieder) möglichst „normal“ zu leben. Diese Blickweise auf die Eltern, diese also als autonom und handlungsfähig anzuerkennen, ist diametral entgegengesetzt zu den sonst üblichen Ansichten der Heimmitarbeiter, die Eltern als gescheitert oder überfordert zu sehen, und dient unmittelbar als Korrektiv dieser Haltung. In Kapitel „Empowerment“ (6. 5) gehe ich näher darauf ein. Aber es gibt ja auch Gründe für Heimunterbringungen, die für die Eltern sehr schwer zu ertragen sind, etwa wenn sie schwer erkrankt dem behinderten Kind kein funktionierendes Zuhause mehr bieten oder sich den behinderungsbedingten Problemen nicht mehr adäquat stellen können. In diesen Fällen erleben die Eltern die Entscheidung für das Heim als alternativlos und aufoktroyiert, schwere Schuldgefühle, Trauer und Versagensängste können einen kompletten Beziehungsabbruch zum Kind bewirken und nur sensible Begleitung durch die Heimmitarbeiter (als oft einzige Ansprechpartner!) kann noch nachträglich eine positive Fundierung der Entscheidung möglich machen. Gerade diese subjektive Bewertung des Entschlusses gibt den Ausschlag darüber, wie Eltern die Trennung vom Kind verarbeiten und mit welchen Gefühlen sie auch den Betreuern des Kindes gegenüberstehen. Nach meiner Erfahrung erleben die meisten Eltern eine Mischung aus allen diesen Emotionen und Einstellungen. Auch Eltern, die relativ selbstbewusst und überzeugt den Heimentschluss fassen, haben nach der Heimunterbringung Schuldgefühle, Zweifel, Trauer und große Skepsis, ob ihre Entscheidung gut war. Und dabei, so meine persönliche Erfahrung, kann die subjektive Bewertung des Entschlusses täglich wechseln. “Der Trennungsschmerz wird immer mehr oder weniger stark an der Seele nagen, aber auch der kaum zu überbrückende Widerspruch zwischen vernünftiger Entscheidung und dennoch aufkommenden Schuldgefühlen stürzt die Eltern immer wieder in Stimmungsschwankungen“ (St. Martin-Aktuell,2002: 10). Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Heimunterbringung ein weiterer, in seinen Ausmaßen gravierender, Schritt in der Bewältigung der Tatsache der 29 Behinderung ihres Kindes darstellt und damit auch Teil des „Bejahungsprozesses“ (Sporken 1975: 61) ist, der die Unterstützung der Eltern im Sinne autonomer Handlungsfähigkeit in Form von Beratung, Begleitung oder Anteilnahme in Form von Gesprächen erfordert. Weiß stellt zutreffend fest, dass Eltern „... hier unter Umständen in langjährigen Entscheidungsnöten stehen, es kann ihnen vielleicht auch immer schwerer fallen, konkrete Schritte der Ablösung zu vollziehen...bis zu einem Zeitpunkt, wo sie eine solche nicht mehr oder nur sehr schwer selbst treffen können“ (Weiß, 2002: 173). Die spätere Zusammenarbeit mit den Heimmitarbeitern hängt in ihrer Qualität unmittelbar mit diesen Bewältigungsabläufen zusammen und ist somit schon im Vorfeld durch verschiedene Unterstützungsangebote für die Eltern (z. B. Gesprächsangebote an der G-Schule, Netzwerk mit „erfahrenen“ Eltern, gemeinsame Heimsuche mit Fachleuten, Vorgespräche mit Heimmitarbeitern usw.) gerade auch im Sinne der Unterstützung der autonomen Handlungsfähigkeit der Eltern beeinflussbar und vorbereitbar. 3. Wohnstätten für Menschen mit geistiger Behinderung 3.1. Zu den Institutionen Mit der zunehmenden Industrialisierung und der Veränderung der sozialen Strukturen zerfielen die Großfamilien, die bis dato ihre behinderten Menschen selbst betreut hatten, mehr und mehr, so dass für diese hilfsbedürftigen Angehörigen nun außerfamiliär gesorgt werden musste. In ehemaligen Klöstern und anderen großen Gebäuden entstanden viele Heime und Anstalten, die vorwiegend von Pfarrern, Ärzten und Pädagogen gegründet wurden. Nach der katastrophalen nationalsozialistischen Zeit wurden diese alten Anstalten zu modernen Behindertenzentren umgebaut und ab den 60er Jahren entstanden auf Initiative der Elternvereinigung Lebenshilfe dann auch die Werkstätten für Behinderte sowie eine Vielzahl kleinerer und individuellerer Wohnformen. „Wohngemeinschaften und ausgelagerte Wohngruppen für Behinderte entwickeln sich in nennenswerter Zahl erst in den 80er Jahren“ (Thesing, 1998: 63). Heute existiert in Deutschland ein differenziertes System von Wohnstätten mit unterschiedlichen Aufgaben und Schwerpunkten, wobei die Verwendung der Begriffe und Bezeichnungen sehr uneinheitlich und verwirrend ist. Eine häufig getroffene Unterscheidung der Wohnstätten ist die Einteilung in offene und stationäre Formen der Unterbringung: „Wohnstätten im offenen Bereich werden auch als gemeindenahe oder gemeinwesenorientierte Wohnformen bezeichnet, wozu Betreute Wohngruppen, 30 Wohngemeinschaften, Gastfamilien und kleine Wohnheime und ambulant betreutes Wohnen gehören. Als Wohnstätten im stationären Bereich werden Institutionen bezeichnet, die umfassende Hilfen in einem Gesamtangebot bereitstellen, also Therapie, Wohnen, Ausbildung, Arbeit usw. Diese Wohnstätten sind gekennzeichnet durch einen hohen Grad an Spezialisierung und Organisation und durch ihre Größe, hierzu gehören Anstalten, Pflegeheime, Dorfgemeinschaften und Wohnsiedlungen mit einem hohen Versorgungsgrad, aber auch an stationäre Einrichtungen angegliederte Außenwohngruppen (Wohngruppenverbandsystem)“ (Thesing, 1998: 65). Eine Gesamtzahl der Menschen mit geistiger Behinderung, die in diesen Wohnstätten leben, lässt sich nicht genau ermitteln. So geht Mühl davon aus, dass ca. 94.000 überwiegend Erwachsene in Wohneinrichtungen der Behindertenhilfe wohnen (die Lebenshilfe nennt hier die Zahl von 120.000), wobei 90% von ihnen in Heimeinrichtungen mit Rundumversorgung betreut, nur rund 6% gemeindeintegriert in betreuten Gruppen- oder Einzelwohnungen leben, 1% in anthroposophischen Dorfgemeinschaften und fast 2% in sonstigen Wohnformen (vgl. Mühl, 2000: 160). Noch gibt es bundesweit nicht genügend offene Wohnstätten für geistig behinderte Menschen, was auch von vielen Eltern bedauert und angemahnt wird und auch ein Grund ist, ihr möglicherweise schon lange erwachsen gewordenes Kind noch bei sich zu behalten. Sie wünschen sich für ihr Kind, wenn ein normales Leben in Eigenverantwortung schon nicht möglich ist, doch ein möglichst normales Leben, was in individuellen Wohnformen eher möglich sein kann. Es gibt allerdings nach meiner Erfahrung auch sehr viele Eltern, die gerade das umfassende Versorgungsdenken großer Institutionen präferieren, da sie hier ihre Kinder besser versorgt und individueller gefördert sehen. Außerdem empfinden sie die größere soziale Kontrolle innerhalb einer großen Institution als für sich selbst angenehmer und erhoffen sich auch in finanziellen Krisenzeiten Konstanz von diesen Einrichtungen. Es gibt auch Einrichtungen, die in der Trägerschaft von Elternvereinigungen sind und in denen dann durch die (prekäre) Kombination Eltern als direkte oder zumindest indirekte Vorgesetzte der dortigen Mitarbeiter eine besondere Arbeitssituation für diese besteht. Die Auswirkungen dieser Konstellation auf alle Beteiligten sollten m. E. noch mehr erforscht werden, da Eltern hier oft sehr hohe Erwartungen an die gelungene Kooperation haben, dies in der Realität aus professioneller Sicht aber noch schwieriger sein kann, als in anderen Einrichtungen. Das Wesen der geistigen Behinderung erfordert es, dass in allen Wohnformen professionelle Mitarbeiter mehr oder weniger den dort lebenden Menschen helfend zur 31 Seite stehen müssen. Dabei arbeiten ca. die Hälfte aller Heimmitarbeiter im direkten Umgang mit dem behinderten Menschen in den Wohngruppen. Diese Wohngruppen sind für die behinderten Menschen sowohl räumlicher als auch sozialer Mittelpunkt ihres Lebens, für die Mitarbeiter sind sie der Arbeitsplatz. Die Zusammensetzung dieser Wohngruppen wird in der Regel durch die Institution unter verschiedenen konzeptionellen und organisatorischen Erfordernissen geregelt, so dass weder die Bewohner noch die Mitarbeiter hierauf einen entscheidenden Einfluss haben. 3.2. Zu den Mitarbeitern in den Wohngruppen Das Berufsprofil der Mitarbeiter in den Wohngruppen ist uneinheitlich und teilweise diffus. Hier werden sowohl ausgebildete als auch nicht ausgebildete Personen eingesetzt, die sich auch in ihren verschiedenen Bildungsebenen unterscheiden. „Die im ganzen etwa dreißig verschiedenen beteiligten Berufe lassen sich dem sozial- und sonderpädagogischen bzw. sozialtherapeutischen Bereich zuordnen, wie Sozialarbeiter, Sozialpädagogen, Diplom-Pädagogen, Erzieher, Heilpädagogen, Heilerziehungspfleger und Psychologen. Oder es sind Berufe der medizinisch-physiotherapeutischen, pflegerischen oder hauswirtschaftlichen Berufsgruppen“ (Neumann, 1988: 33). 60% der Mitarbeiter haben eine einschlägige Berufsausbildung, 16% besitzen eine Helferausbildung und 24% arbeiten fachfremd oder ohne Ausbildung im betreuerischen Bereich (vgl. Wacker, Wetzler u. a., 1998: 305). „Den größten Teil des ausgebildeten und des in Ausbildung befindlichen Personals machen Heilerziehungspflegerinnen und -pfleger aus, eine Ende der 60er Jahren geschaffene Ausbildung, in der heilpädagogische und medizinisch-pflegerische Kompetenzen verknüpft werden“ (Klaußd, 1999: 242). Im Focus der Ausbildung zum Heilerziehungspfleger steht der behinderte Mensch mit seinen Bedürfnissen und Erfordernissen, Kenntnisse über Betreuung, Pflege, Versorgung und Förderung von behinderten Menschen werden vermittelt. In einem aktuellen Buch zur Heilerziehungspflegerausbildung wird als Tätigkeit auch die Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen und Einrichtungen, die sich der Wiedereingliederung behinderter Menschen widmen, genannt, die Zusammenarbeit mit den Eltern wird in Zusammenhang mit dem Berufsbild nicht erwähnt (jobedition, 1999: 13 ff). Allerdings wird an anderer Stelle die Wichtigkeit der Zusammenarbeit zwischen Angehörigen und Betreuern hervorgehoben. „Es ist grundlegend in der Behindertenhilfe, dass alle Beteiligten zum Wohl des behinderten Menschen an einem Strang ziehen“ (jobedition 1999: 25). Meine stichprobenhafte Umfrage bei Mitarbeitern 32 im Heimbereich ergab ein sehr diffuses Bild, was die Thematisierung der Elternarbeit während der Ausbildung betrifft. Einige hatten wenige Stunden, die sich mit diesem Thema beschäftigten, andere hatten keine Vorbereitung auf die Arbeit mit Eltern. Eine adäquate Beurteilung der Ausbildungslage in Bezug auf dieses Thema kann ich an dieser Stelle nicht abgeben, habe aber die Vermutung, dass dieses Thema in der Ausbildung noch zu wenig Beachtung findet. Die Fluktuation im Berufsfeld der Betreuer behinderter Menschen ist sehr hoch; die durchschnittliche Beschäftigungsdauer beträgt nur 4 Jahre und 10 Monate (so Wacker u. a., 1998: 306), und überwiegend arbeiten darin relativ junge Frauen oft nur bis zur Gründung einer eigenen Familie. Auch dies sind nicht unproblematische Fakten, die die Beziehung zu Eltern tangieren, die Wichtigkeit dieser als Bezugspersonen für ihre Kinder aber betonen. Wie Neumann in seinem Buch „Arbeiten im Behindertenheim“ (1988) eindrucksvoll schildert, haben die Wohngruppenmitarbeiter mit vielen schwierigen Arbeitsbedingungen zu kämpfen, so z. B. mit der oft relativ großen Gruppengröße, den rigiden Zeitplänen, der Hierarchie im Heim und nicht zuletzt mit den eigenen, sie oft überfordernden Ansprüchen an gute Arbeit mit dem behinderten Menschen, wobei dies in der Regel nicht objektivierbar und somit nie „fertig“ ist. Die Gefahr des „Burn-Out“ droht ihnen besonders, wobei hier die Ursachen sowohl in der Persönlichkeit des Helfers als auch in den belastenden Arbeitsbedingungen zu suchen sind (vgl. Buchka, 1994: 146 ff). Abschließen möchte ich meine, in diesem Zusammenhang unter dem Aspekt der Relevanz für die Beziehung zu den Eltern, bewusst kurz gehaltenen Ausführungen zu der Welt der Heime und der Mitarbeiter auf den Wohngruppen mit einem Zitat von Pearl. S. Buck: „Denn die wichtigste Person in einer Anstalt ist, für das Kind und damit für die Eltern, nicht der Leiter, nicht der Mann oder die Frau in der Kanzlei, nicht einmal der Arzt, der Psychologe und der Lehrer, sondern der Pfleger, die Person, der die direkte Betreuung des Kindes obliegt“ (Buck, 1975: 87). 33 4. Eltern und Mitarbeiter - eine sensible Beziehung auf einem spannungsreichen Feld 4.1. Das Spannungsfeld Wie ich schon im Kapitel „Erfahrungen mit Fachleuten“ (siehe 1.7.) beschrieben habe, prägen die Erfahrungen der Eltern deren Verhalten und Gefühle gegenüber den Fachleuten in der Behindertenhilfe. Die Eltern sind hochsensibel und bewerten jedes Verhalten der Fachleute in Bezug auf sich selbst und das behinderte Kind. Aber dies ist nicht der einzige Aspekt, der zu Spannungen zwischen den Betreuern der behinderten Menschen und deren Eltern führen kann. Ein weiterer, auf den ersten Blick selbstverständlicher Unterschied zwischen Eltern und Fachleuten in der Behindertenhilfe, nämlich das Existieren zwei verschiedener Wirklichkeiten, schafft strukturelle Spannung: „Die Lebenswirklichkeit der Eltern und Familien mit einem behinderten Kind ist eine eigene, ebenso wie die Arbeitswirklichkeit der Fachleute eine spezifische ist“ (Weiß, 2001: 210). Eltern müssen ungefragt und ungewollt mit ihrem behinderten Kind leben, Fachleute tun dies in der Regel freiwillig, auch nur zeitweise und unter bestimmten Aufgabenaspekten, bekommen dafür im Gegensatz zu den Eltern soziale Anerkennung und Gehalt. Das hierdurch geprägte Selbsterleben beider Personengruppen hat verschiedene Schwierigkeiten zur Folge, so haben Fachleute oft viel zu hohe Erwartungen an Eltern, Eltern umgekehrt oft zu idealistische Vorstellungen über Fachleute. Weiß betont in diesem Zusammenhang die gegenseitige Anerkennung beider Lebenswirklichkeiten, um sich so gegenseitig nicht zu überfordern. Gerade in den letztlich nicht aufzulösenden, unterschiedlichen Blickweisen liegen die Chancen für den behinderten Menschen, wenn hier dann Synergieeffekte fruchtbar werden können. Um aber überhaupt einen minimalen Grundkonsens für eine gemeinsame Kooperation und Kommunikation zu schaffen, müssen Fachleute einen nicht nur auf den behinderten Menschen gerichteten Blickwinkel erlernen und versuchen, sich in die „Angehörigenperspektive“ einzudenken oder einzufühlen. Konkretisiert auf den Heimbereich bedeutet das, dass gerade in der Ausbildung von Fachkräften in der Behindertenhilfe, also z. B. von Heilerziehungspflegern, aber auch Heilpädagogen und Sozialpädagogen dem Aspekt der Ausbildung in Elternarbeit getragen werden muss. unbedingt Rechnung 34 Ein konkretes Wissen über die Eltern scheinen Erzieher oder Mitarbeiter in Heimen auch erst mal nicht zu benötigen. Sie müssen sich schnell einarbeiten, gewöhnen sich sehr schnell an den Umgang mit dem behinderten Menschen und erleben diese im Prinzip als „geschichtslose“ Menschen, die einfach so sind wie sie sind. Für den behinderten Menschen kann dies eine ganz neue, unbelastete Lebenschance sein. Erst im Laufe der Berufstätigkeit wird den Betreuern bewusst, dass die Bewohner auch noch Familienangehörige sind und dass dieser Kontakt gestaltet werden muss, da der behinderte Mensch dies oft selber nicht kann. Conen stellt hierzu fest: „Aber auch die Dauer der Tätigkeit in der Heimerziehung spielt eine wichtige Rolle in der Einschätzung der Bedeutung von Elternarbeit, denn je länger die Mitarbeiter in den Heimen arbeiten, umso mehr scheinen sie die Relevanz und Bedeutung von Eltern- und Familienarbeit zu sehen“ (Conen, 1992: 10). Die oben genannte hohe Mitarbeiterfluktuation verhindert somit oft schon von vorneherein, dass Eltern und die Zusammenarbeit mit ihnen als bedeutsam erkannt werden. Nach diesen eher allgemeinen Beschreibungen der spannungs- auslösenden Faktoren komme ich unter der Überschrift „Konfliktbereiche“ noch auf konkrete Probleme beider Personengruppen miteinander zu sprechen, wobei Vieles seine Wurzeln in den oben beschriebenen Tatsachen hat. 35 4.2. Zu den Rollen „Mit erfolgter Heimunterbringung sind nicht von selbst alle Probleme gelöst“ (Speck,1999: 321). Vielmehr erleben die Eltern nun Probleme auf einer anderen Ebene. Das Verhältnis zur Institution Heim, zu den dort arbeitenden Menschen muss geklärt und gestaltet werden, aber auch im Rollensystem der Familie muss ein neues Gleichgewicht gefunden werden. Auch Eltern und Kind brauchen nun ein neues Verhältnis zueinander. Ebenso müssen die Eltern mit ihren, die Heimaufnahme begleitenden aufgewühlten Emotionen, ihren Schuld- und Trauergefühlen, ihrem trotz großen Vertrauensvorschusses existierenden Misstrauen gegenüber der Professionalität, der gleichzeitig sie ent- und belastenden neuen Lebenssituation und den äußerst divergierenden Umweltreaktionen klarkommen. Und in dieser für sie sehr prekären Lage haben die Mitarbeiter in den Wohngruppen eine Schlüsselposition, die ihnen wahrscheinlich gar nicht so bewusst ist. Wie sie mit den Eltern umgehen, wie sie dringend notwendige Gespräche über deren Geschichte ermöglichen, was sie ihnen über ihr Kind erzählen....all dies ermöglicht erst die elterliche Bewältigung dieser Situation. Warum dies aber in der Praxis so schwierig und für die Eltern oft sehr unbefriedigend verläuft, ist u. a. auch durch die verschiedenen Rollen beider Personengruppen erklärbar und besonders die Tatsache, dass den Mitarbeitern die Rollen der Eltern nicht bewusst sind bzw. dass sie diese nicht bewusst wertschätzen. Mit der Aufnahme des Kindes im Heim werden die Eltern tendenziell „überflüssig“, da die heimspezifischen Strukturen auf behinderte Menschen ohne Familienanschluss (die es ja auch gibt und zunehmend immer mehr geben wird, da die Eltern ja irgendwann sterben) ausgerichtet sind bzw. auch ausgerichtet sein müssen, um ihre spezifische Aufgabe gegenüber diesen Menschen optimal erfüllen zu können. So ist es kein Wunder, dass Mitarbeiter vorhandene Eltern von vorneherein als „störend“, als „Sand im Getriebe“, als „kontraproduktiv“ betrachten. Ihre eigenen Rollen sind institutionell relativ klar umrissen und legitimiert, die elterlichen Rollen diffus, nicht konkret greifbar und deshalb zunächst weniger wichtig. Dabei liegt die Lösung dieses strukturell verursachten Ungleichgewichtes gerade in der ausdrücklichen Wertschätzung der Rollen beider Personengruppen, wobei beiden „Parteien“ die Stärken des jeweilig anderen erst einmal bewusst gemacht werden müssen, die professionelle Seite dies aufgrund ihres Berufes lernen muss. Welche Rolle nehmen die Eltern nun noch für ihr behindertes Kind ein? Welche Verantwortung haben sie nun noch, was sind weiterhin ihre Rechte und Kompetenzen? Was steht ihnen zu, was dürfen, können und sollen sie noch? 36 Obwohl sie ihr Kind nun überwiegend nicht mehr zuhause wohnen haben, bleibt die wichtigste Rolle, in der sie sich in Nichts von „normalen“ Eltern unterscheiden, bestehen: „Die Eltern haben für ihre erwachsenen Kinder eine ganz zentrale Unterstützungsfunktion. Sie bleiben normalerweise „in Aktionsbereitschaft“, sozusagen „auf Abruf“ und bleiben Eltern in dem Sinne, dass sie ihren erwachsenen Kindern, wenn nötig, Rückhalt gewähren wollen“ (Papastefanou, 1997: 185). Sie sind nach wie vor ein dauernder, emotionaler Rückhalt für ihr Kind. Sie geben ihm weiterhin das Gefühl, dass es zu ihnen gehört, dass sie für es da sind, dass sie es lieben. Sie geben Wärme und Geborgenheit, für die Entwicklung eines Menschen unschätzbare Güter, ohne die ein zufriedenes Leben nicht möglich ist. Gerade weil die Möglichkeit des emotionalen Austausches in quantitativer Sicht abnimmt, erhöht sich der Wert in qualitativer Sicht. Das Kind ist und bleibt Familienmitglied, wenn nun auch die unmittelbare Betreuung und Förderung anderen Menschen obliegt. Bis der behinderte Mensch emotionale Wurzeln in dem neuen Zuhause geschlagen hat, sind die Kontakte zu den Eltern besonders wichtig. Diese kennen ihn von Geburt an, können vieles nonverbal verstehen und manche Reaktion besser einordnen, als dies zunächst Fremde können. Sie können den Mitarbeitern in Gesprächen die Biographie des Kindes nahe bringen und anfangs Dolmetscherfunktionen erfüllen, eine wichtige Brücke zum Einleben darstellen. Mit der „Übergabe“ des Kindes werden die Eltern in neuen Rollen für ihr Kind wichtig, wobei sie aber ihre Hauptrolle als emotionaler Rückhalt behalten. „Die Kunst liegt nicht in der Trennung an sich, sondern im Begreifen, dass man als Eltern in immer wieder neuen Rollen für das Kind wichtig wird“ (Klauß, 1995: 449). Vor dem Hintergrund dieser elterlichen Rolle ist nun auch die Rolle des Betreuers des Kindes im Wohngruppenalltag zu sehen. Sie, so Grimm, soll sich in folgender Haltung gegenüber den Eltern äußern: „Er (der Heilpädagoge, G.K.) muss daher lernen, seine Arbeit mit dem Kind in mancher Hinsicht in Unabhängigkeit von der Entwicklung der Beziehung des Kindes zu seinen Eltern zu sehen. Auch wenn der Mitarbeiter für die Entwicklung des Kindes sehr wichtig ist, auch wenn er zu den Eltern in eine wichtige Beziehung eintritt, so ist dennoch die Einheit zwischen Eltern und Kind von ihm unabhängig und muss von seiner Einwirkung frei bleiben“ (1991: 77). Gerade diese innere Haltung habe ich bei noch keinem der mir durch professionelle Kontakte bekannt gewordenen Mitarbeiter feststellen können. Im Gegenteil, in der Regel behaupten diese genau die Beziehung des Kindes zu den Eltern zu kennen und beurteilen zu können. Entsprechend versuchen sie, in bester Absicht, mit ihrem persönlichen Einfluss korrigierend, kompensierend und sich einmischend auf diese 37 Beziehung Einfluss zu nehmen. Dieses gehört nicht zu ihren Aufgaben und erschwert die Zusammenarbeit mit den Eltern. „Auch da noch, wo er (der Heilpädagoge, G.K.) hilft, Beziehungen zu verbessern, muss er einen Raum akzeptieren, in den er nicht eindringen darf“ (Grimm, 1991: 77). Das bedeutet m. E. letztendlich auch die Akzeptanz einer Beziehung zwischen Eltern und Kind, die aus professioneller Sicht für dieses nicht nur von Vorteil ist. Conen empfiehlt, „...die Eltern als Menschen wahrzunehmen, die zur Zeit das für sie Bestmögliche für/mit dem Kind tun, was nicht immer das Beste für das Kind ist“ (Conen, 1992: 21). Aber natürlich muss auch genau abgewogen werden, wann der behinderte Mensch womöglich geschützt und vor unberechtigten Übergriffen jedweder Art durch die Eltern bewahrt werden muss. In dieser strikten zunächst erst einmal gedanklich notwendigen Rollenbewusstwerdung und Rollentrennung liegt dann die Chance der praktischen und realitätsbezogenen Teamfähigkeit von Eltern und Mitarbeitern im Sinne des behinderten Menschen, der die Stärken beider Seiten gleichermaßen braucht. Aber gerade diese strikte Rollentrennung ist in der Realität sehr kompliziert und hängt auch von der Schwere der Behinderung ab. Aber auch die Eltern selbst sind nicht klar in ihrer Erwartungslage. Sie können „...in paradoxe Spannungsverhältnisse geraten; etwa wenn Eltern, deren behindertes Kind im Heim wohnt, einerseits dazu neigen, HeimerzieherInnen im Verhältnis zu ihrem Kind auf eine distanzierende, professionell-fachliche Rolle festzuschreiben, um damit ihre eigene Bedeutung dem Kind gegenüber aufrechterhalten zu können. Andererseits wünschen sie sich aber auch, dass ihr Kind im Alltag von jemandem betreut wird, der ihm auch emotional gerecht wird“ (Weiß, 1999: 27). Da das „Abgeben“ des Kindes zunächst in der Regel für die Eltern ein ganz konkretes Trauma ist, das sie langsam verarbeiten müssen indem sie sich an den neuen Beziehungsrhythmus gewöhnen, zu den Mitarbeitern Vertrauen schöpfen und aber auch für ihr eigenes Leben ohne die schwere Last des alltäglichen Umganges mit dem Kind neue, befriedigende Perspektiven entwickeln, sind sie zunächst einmal völlig verunsichert, haltlos und aus dem Gleichgewicht. Sie müssen lernen, „...die weitere Begleitung durch fremde Personen anzunehmen und den neuen Lebensabschnitt wohlwollend zu begleiten“ (Stenzig, 1996: 3). Erst im Laufe der Zeit werden sie sich wieder ihrer verbleibenden Hauptrolle bewusst und können auch dann erst wieder selbstbewusster agieren. In ihrer durch keinen Mitarbeiter zu ersetzenden Rolle sind Eltern auch so etwas wie ein „Regulativ“. Sie fordern gegenüber den Betreuern immer wieder die Individualität ihres Kindes ein, wohingegen die Mitarbeiter im Gruppenalltag mehr die Gruppe und 38 das reibungslose Alltagsleben im Blickpunkt haben müssen, obwohl sie selbst auch gerne öfter individualisierend handeln würden und vielleicht unbewusst auch etwas eifersüchtig auf die Eltern sind. Schmidbauer spricht in diesem Zusammenhang davon, dass der versteckte Allmachtsanspruch des Helfers befriedigt werden kann, „...wenn er die wichtigste Person im Leben des Klienten wird“ (Schmidbauer, 1992: 145). “Sie (die Eltern, G.K.) gefährden den Anspruch auf narzistische Allmacht und die totale Verfügung über den hilflosen Pflegling. Endlich bieten sie noch eine Möglichkeit, Aggression indirekt loszuwerden“ (147). Diese Möglichkeit, Aggressionen auf die Eltern abzuwälzen, habe ich in vielen Gesprächen mit Wohngruppenmitarbeitern in dem Heim kennengelernt, in dem ich mein Feldprojekt gemacht habe. Da ich dieses Projekt auf dem Gebiet der Elternarbeit durchgeführt habe, musste ich viel mit den Wohngruppenmitarbeitern über ihre Erfahrungen mit Eltern sprechen und war teilweise entsetzt, welche Feindbilder aufgebaut worden waren. Sobald ich mich allerdings als Mutter eines geistig behinderten Kindes „geoutet“ hatte, wurde mir nicht mehr so viel offen erzählt. Was Eltern nun aber noch konkret mit ihrem Kind machen können, also für welche praktischen Bereiche sie zuständig sind, ist anfangs nach meiner Erfahrung lange ungeklärt. Dabei wäre es gerade zu Beginn der Kooperation sehr wichtig, ganz konkrete Punkte anzusprechen, um wenigstens so den Eltern etwas Handlungssicherheit zu geben. Ich kann mich noch erinnern, dass ich ganz zaghaft angefragt habe, ob ich denn meinem Sohn jetzt noch etwas zum Anziehen kaufen könnte und ob ich denn auch noch mit ihm zum Friseur oder Arzt gehen dürfte. Ich hatte das Gefühl, ich gäbe nun alle „Rechte“ und „Pflichten“ an meinem Sohn auf und damit auch meine Beziehung zu ihm selbst. Alles jahrelang zusammen Erarbeitete und Erlebte schien nun gegenstandslos zu werden. Gerade in dieser ersten, sensiblen Kontaktphase, in der maßgebliche Weichen sowohl für die Eltern als auch für die Mitarbeiter gestellt werden, da jetzt begonnen wird, die verschiedenen Rollen zu gestalten, ist das ausgiebige Gespräch mit den Eltern sehr wichtig. Dabei fände ich es sehr wichtig, den Eltern, auch wenn es banal klingt, zu sagen, dass sie natürlich die Eltern bleiben und auf keinen Fall in dieser Rolle ersetzt werden können. Aber Eltern können auch in „Nebenrollen“ für die ganze Wohngruppe von Nutzen sein und selbst auch in diesen Rollen Befriedigung erleben. So kenne ich eine Gruppe, in der die Fähigkeiten der Väter besonders gefragt sind. Der eine repariert gerne 39 Fahrgeräte der Kinder, der andere informiert als Richter andere Eltern über Pflegegeld oder Betreuungsrichtlinien, der Nächste wird als Zahnarzt gerne in zahnmedizinischen Fragen befragt. Aber auch diese Ressourcen der Eltern können nur dann genutzt werden, wenn Eltern informiert und zum „Mitdenken“ und „Mitleben“ auf der Gruppe aufgefordert werden. Die Gradwanderung zwischen erwünschter Hilfe und unerwünschtem Einmischen ist dabei für die Mitarbeiter der Wohngruppe eine heikle, aber auch herausfordernde, von ihnen zu lenkende Aufgabe. Eine weitere Rolle spielen die Eltern als mögliche Bewerter der Qualität eines Heimes. Durch die sog. Nutzer-Orientierung als zentralem Element der Qualitätssicherung sollen die Empfänger der Dienste soweit möglich in deren Beurteilung einbezogen werden. (Stichworte : Prozessqualität und Ergebnisqualität) Da viele geistig behinderte Menschen häufig selbst nur eingeschränkt ihre Interessen artikulieren können, nimmt die Bedeutung der Urteile der Personen zu, die für sie sprechen können und wollen. Als zumeist auch gesetzliche Betreuer können sie letzten Endes auch über Verbleib oder Nichtverbleib in der Einrichtung entscheiden, was ein wesentliches Recht darstellt. Und abschließend: „Die Rolle von Angehörigen und gesetzlichen Betreuern als bedeutsame Öffentlichkeitsarbeiter wird verkannt. Dieser Aspekt ist auch zu beachten angesichts einer zunehmenden Konkurrenz zwischen den Einrichtungen und Diensten und einer weiteren Angleichung von Angebot und Nachfrage“ (Stenzig, 2003: 39). Welche verschiedenen möglichen Rollen die Betreuer in ihrer täglichen Arbeit auszufüllen haben (z. B. Ersatzmutter / -vater-Rolle, Freund, Pfleger usw.), möchte ich an dieser Stelle nicht näher ausführen, da es mir in erster Linie darauf ankommt, dem „tendenziellen Überflüssigsein“ der Eltern im Heim durch die Beschreibung ihrer Rollen entgegenzuwirken und somit ihren Stellenwert realistisch darzustellen. 4.3. Zu den Machtverhältnissen Im Zusammenhang mit der Heimbetreuung müssen sich die Mitarbeiter grundsätzlich darüber im Klaren sein, dass sie den Eltern gegenüber in einer nicht zu unterschätzenden Machtsituation stehen. Sehr leicht können sie den Eltern das Gefühl geben, alles falsch gemacht zu haben bzw. auch weiterhin alles falsch zu machen. „Professionelle denken, weil sie eine Tätigkeit übernehmen, für die sie ausgebildet sind und bezahlt werden, dass sie in ihr gut und allein zuständig sind und verteidigen dieses 40 Selbstverständnis auch mit Urteilen und Überwältigungsstrategien, in denen sie den Nichtprofessionellen, den Laien, den Nur-Selbst-Betroffenen ihre Nachrangigkeit unterstellen und immer wieder auch demonstrieren“ (Thiersch, 1989: 224). Die Eltern gehen auch selbst zumeist davon aus, dass die Mitarbeiter durch ihre fachliche Ausbildung eine höhere Kompetenz dem Kind gegenüber haben als sie selbst. So kann sich lange Zeit ein Machtgefälle halten und auswirken, das die Kommunikation asymmetrisch formt. Unausgesprochen kann es so permanent zu uneingestandenen Kränkungsgefühlen der Eltern kommen, die sich dann in verschiedenen Bereichen artikulieren können. So erzählte mir die Mitarbeiterin eines Heimes für schwerstmehrfachbehinderte Kinder von einer alleinerziehenden Mutter, die einmal im Monat ihr 10-jähriges Mädchen besuchte, das erst seit einem halben Jahr im Heim lebte. Dabei traute die Mutter sich nicht mehr zu ,sich alleine, ohne die Unterstützung der Mitarbeiter, mit ihrem Kind zu beschäftigen. Sie bestand während ihrer Besuche auf der Anwesenheit mindestens eines Mitarbeiters und wurde dadurch selbst zur Belastung für diese. Erst vorsichtige, ermutigende Gespräche brachten sie so weit, alleine Spaziergänge mit ihrer Tochter zu wagen. Auf keinen Fall wollte die Mutter sie – und sei es auch nur für Stunden – wieder nach Hause holen, da sie fürchtete, sie käme mit dem Verhalten des Kindes (im Gegensatz zu den Mitarbeitern) nicht zurecht, obwohl sie es ja zehn Jahre zuhause alleine gepflegt und betreut hatte. Andere Eltern kompensieren ihre Kränkungsgefühle mit „kleinkarierter Detailverliebtheit“ (z. B. Bemängeln des Haarschnittes, des Sitzes der Brille oder der Länge der Nägel) oder ziehen sich langsam aus der Zusammenarbeit resignativ zurück, schlimmstenfalls aus der inneren Beziehung zu ihrem Kind. Übermächtig empfinden sie das Bewusstsein, ihrem Kind ja eh nicht gerecht werden zu können. Dabei befördern Fortschritte des Kindes im Heim die Unterlegenheitsgefühle der Eltern noch zusätzlich, auch wenn diese Tatsache das Gefühl der „Richtigkeit“ der Heimunterbringung zunächst einmal bestätigt und die Ablösung erleichtert. Die Mitarbeiter sollten vorsichtig versuchen, diese Dinge anzusprechen und dabei den Eltern erklärend vermitteln, dass diese Fortschritte durch die heilpädagogische Förderung vieler Mitarbeiter, durch die strukturierte Sicherheit des gesamten Umfeldes, durch den Umgebungswechsel und die damit verbundene anfängliche größere Wachheit und Sensibilität des Kindes erreicht wurden. (vgl. Grimm 1991) Eine Mutter erzählte mir begeistert, wie ihr 14-jähriger Sohn nun endlich duschen gelernt hätte: Die Mitarbeiterin hätte mittels Strukturierung des gesamten Vorganges das Interesse des Kindes wecken können. So gab sie jeder Aktion eine Zahl, z. B. eine 1 für Shampoo auf die 41 Hand geben, eine 2 für Hand auf den Kopf legen usw. Die Mutter konnte neidlos anerkennen, dass sie selbst darauf nie gekommen wäre, obwohl sie schon seit Jahren alles versucht hätte, ihrem Sohn selbstständiges Duschen beizubringen. Aber sie betonte sofort, dass sie ja die Vorarbeit geleistet hätte: Durch stundenlanges Spielen-Lassen des Kindes mit Wasser konnte sie nach und nach dessen Ängste bzw. ambivalentes Verhalten gegenüber Wasser entscheidend verändern, und das hatte sie einfach intuitiv gemacht. Mitarbeiter können also entscheidend bei der Reduzierung der Unterlegenheitsgefühle der Eltern mitwirken, wenn sie ausdrücklich deren Leistung würdigen (was in diesem Fall die Mutter selbst für sich konnte!), was meiner Erfahrung nach aber sehr schwierig für die Mitarbeiter zu sein scheint. Hier scheinen auch große Ängste der Mitarbeiter vor den Eltern (z.B. weil diese oft sehr viel älter und erfahrener, reifer und evtl. auch sprachlich gewandter sind) eine Rolle zu spielen. Aber gerade diese Ängste sind aus meiner Sicht gar nicht nötig, da die Eltern zunächst einmal sehr froh sind, dass es Menschen gibt, die diesen schwierigen Beruf gewählt haben und hoch motiviert sind, mit den ja oft nicht einfachen Kindern zu leben bzw. zu arbeiten. Sie geben ihr Kind zumeist mit großem Vertrauens- und auch Wertschätzungsvorschuss an die ihnen ja völlig unbekannten Betreuer ab. Je sicherer sich diese dann in ihrer Aufgabe und Kompetenz fühlen, je unverkrampfter und offener ist dann gemeinsame Kommunikation möglich und eben auch die so notwendige Wertschätzung der elterlichen Leistungen. Die Mitarbeiter sollten Gelegenheit finden (z. B. in Fortbildungen oder in der Supervision) ihre Ängste ansprechen zu können, ihre Unsicherheiten zu verbalisieren. Es ist auch für die Eltern sehr schwierig, mit sehr unsicheren, womöglich ängstlich wirkenden Mitarbeitern, die in den Augen der Eltern eigentlich am längeren Hebel sitzen, zu kommunizieren. So kommt es oft entweder zu gar keinem Gespräch oder es entwickelt sich „schief“, mit negativen Folgen für alle Beteiligten. Noch ein weiterer nicht zu vernachlässigender Anlass für mögliche Unterlegenheitsgefühle der Eltern ist häufig die Tatsache, dass die behinderten Menschen nach Besuchswochenenden und Ferien gerne wieder zum Heim fahren und sich dort schnell wieder einleben. So schön das auf der einen Seite für die Eltern ist, so enttäuscht können sie auf der anderen Seite auch sein, wenn sie dies auf sich persönlich beziehen, was gerade in der Anfangsphase sehr kritisch für die weitere Eltern-Kind-Beziehung sein kann. Hier sollte man ihnen, ruhig gezielt dieses Thema ansprechend, sinngemäß sagen, dass die Kinder „...die Gestaltungskraft und Ordnung, den geregelten Tagesablauf, die ihnen gemäßen Anregungen und Beschäftigungen, die Gesamtheit des Lebensrhythmus“ (Grimm, 1991: 76) suchen und brauchen. Dann können sie verstehen, dass das 42 Verhalten des Kindes kein Verlust der Zuneigung zu den Eltern bedeutet, sondern vielmehr ein Wunsch nach umfassender, sie ansprechender Sicherheit als Basis für Weiterentwicklung und ausgefülltes Leben, so dass auch sie für sich wieder ein ausgefülltes Leben ohne Schuldgefühle aufbauen können. Im Folgenden beschreibe ich die Bereiche, aus denen sich die häufigsten Konflikte zwischen den Mitarbeitern und den Eltern ergeben. 4.4. Zu den Konfliktbereichen Ebenso wenig wie die Eltern oder die Mitarbeiter gibt es natürlich auch die Probleme, aber auffallend ist schon, dass sich z. B. viele Auseinandersetzungen um scheinbare Äußerlichkeiten des Kindes drehen. Die Eltern nutzen für ihre Urteilsbildung über das Heim und das Wohlbefinden ihres Kindes zunächst das, was ihnen zur Verfügung steht: das Äußere ihres Kindes, aber auch die Gestaltung des Esstisches, des Zimmers des Kindes oder der Wohngruppe. Durch Schließen von äußeren Erscheinungen auf innere Zustände oder Eigenschaften versuchen die Eltern herauszufinden, wie es den Kindern geht. Und sie befürchten, dass vernachlässigtes Aussehen für Vernachlässigung des gesamten Kindes steht, was sie in ihrer zunächst emotional kritischen Situation nicht auch noch aushalten möchten und können. „So entsteht zuweilen der Eindruck, sie interessierten sich nicht für die fachliche Arbeit der Betreuer, für Beschäftigungsangebote oder Förderung, sondern nur für die äußere Gestaltung des Heimes, organisatorische Fragen oder den Zustand der Kleidung und der Qualität des Essens“ (Klauß, 2001: 8). Durch Generationsunterschiede aber auch unterschiedliche Ansichten, was z. B. die Funktionalität der Kleidung betrifft, können Mitarbeiter und Eltern regelrecht „entzweit“ werden. Deshalb wäre es gut, dieses Thema ruhig öfters – vielleicht so nebenbei – mal anzusprechen. Dann können Eltern verstehen, warum ihr Kind z. B. in etwas eigenwilliger Farbkomposition herumläuft (vielleicht weil es sich diese Sachen selbst herausgesucht und angezogen hat!), einen ganz anderen Haarschnitt als früher hat (der möglicherweise etwas „altersgemäßer“ ist!) oder nur noch schwarze T-Shirts tragen will (da alle in der Gruppe das toll finden!). Eltern sind, so zumindest meine Erfahrung, durchaus nicht auf ihre Vorstellungen „festgenagelt“, wollen aber Erklärungen und offene Antworten haben, und ich finde, die Mitarbeiter sollten nicht erst auf Fragen oder Anmerkungen „warten“, sondern solche Dinge von sich aus ansprechen. Dann fühlen sich die Eltern auch verstanden. Dass die Eltern aufgrund des oft großen Altersunterschieds manchmal auch Probleme mit dem Aussehen der oft jungen Betreuer haben und vorschnell z. B. aus etwas „flippiger“ Kleidung auf Unzuverlässigkeit oder mangelnden Ernst für die Arbeit schließen, lässt 43 sich wohl anfangs nicht verhindern. Nach meiner Erfahrung lösen sich diese elterlichen „Befremdlichkeiten“ dann doch sehr schnell auf, vor allem dann, wenn die Eltern sehen, dass sich ihre Kinder vielleicht gerade zu diesen jungen Leuten hingezogen fühlen und wenn sie auch Gelegenheit haben, den gemeinsamen Umgang miteinander zu erleben, z. B. bei gemeinsamen Unternehmungen oder Festen. Wenn diese äußeren Dinge (bezogen auf das Kind) einen sehr großen Anteil in der Kommunikation mit den Mitarbeitern einnehmen, kann dies aber auch ein Zeichen für Probleme der Eltern auf anderen Ebenen sein, z. B. dass sie mit dem konkreten „Machtverlust“ in Bezug auf ihr Kind nicht zurechtkommen oder mit der Beziehung zu den Mitarbeitern nicht „klarkommen“, sich jedoch nicht trauen, dies zu thematisieren. Aber, so meine Erfahrung, je besser die Kommunikation, je mehr von beiden Seiten erzählt und gefragt wird, desto unwichtiger werden diese Äußerlichkeiten, wenn sie auch immer für die Eltern wichtiger als für die Mitarbeiter bleiben. Und, mit der Zeit, „lesen“ die Eltern das Wohlbefinden ihres Kindes an anderen Parametern ab: „Allgemeine Befindlichkeit / Grundstimmung, Verhalten in der neuen Wohnung, Essverhalten, Veränderung schwieriger Verhaltensweisen und Verhalten beim Übergang vom Elternhaus in die Wohngruppe“ (Fischer, 1998: 134). Mir fiel es anfangs äußerst schwer zu akzeptieren, dass mein Kind nun einfach anders aussah als noch unter meiner „Regie“. Als dann auch noch nach und nach sämtliche, noch sehr kindlich aussehende Kleidungsstücke (von mir gekauft) so langsam „in der Versenkung“ verschwanden und mein Kind nun sehr jugendlich anmutende Hosen und Pullis mit offensichtlicher Begeisterung trug, hatte ich damit zunächst Probleme. Aber später fand ich es gut, dass mir die Mitarbeiter auf diese Weise die Entwicklung meines Kindes, die ich so nicht sehen konnte, transparent gemacht haben. Auch weitere Konfliktpunkte können sich aus dem mangelnden Wissen der Eltern um das Alltagsgeschehen auf der Wohngruppe ergeben. So stellen sie sich anfangs vor, die Betreuung ihres Kindes wäre auf der Gruppe ähnlich individuell wie zuhause und es würden dieselben Maßstäbe gelten. So haben sie dann oft Ansprüche an die Mitarbeiter, die diese nicht oder nur auf Kosten der anderen zu Betreuenden erfüllen können. So habe ich z. B. während meines Feldprojekts in einem Heim für geistig behinderte Erwachsene erlebt, wie eine Mutter sehr enttäuscht und wütend darüber war, dass die Mitarbeiter sich weigerten, eine Therapie bei ihrer Tochter mit stündlicher Gabe von homöopathischen Globuli durchzuführen, weil sie es einfach zeitlich nicht hätten schaffen können. Die Mutter war sehr aufgebracht und hatte diese Therapie einfach 44 schon vorausgesetzt, ohne sich überhaupt Gedanken zur Durchführbarkeit in der Gruppe zu machen. Die Vorsitzende des Gesamtangehörigenbeirats einer großen süddeutschen Einrichtung schrieb mir, wie sie selbst solche Anliegen vorbringt und auch durchsetzt: Wenn sie z. B. möchte, dass ihre Tochter abnimmt, bittet sie die Mitarbeiter um deren Mithilfe, begründet es auch stichhaltig und verrät gleichzeitig auch alle Tricks, mit denen sie selbst bei der Tochter schon Erfolg hatte. Und anschließend bedankt sie sich dann auch bei den Mitarbeitern für ihre Hilfe, schließlich weiß sie um die Schwierigkeit, das Essen bei der Tochter zu kürzen. Ich persönlich kenne auch Eltern, die so tun, als seien sie gegenüber den Mitarbeitern weisungsbefugt. Entsprechend verhalten sie sich auch, und so ist eine gute Beziehung zwischen ihnen und den Mitarbeitern unmöglich. In deren Wahrnehmung überwiegen diese schwierigen Beziehungen dann und der ganze Bereich „Eltern“ wird so oft zum „Roten Tuch“. Eltern sollten m. E. in diese, für sie zunächst fremde und unüberschaubare Welt „eingearbeitet“ werden, und die Strukturen des Heimes sollten ihnen, mit allen Vor- und ehrlicherweise aber auch Nachteilen für den behinderten Menschen, dargelegt werden. Dann könnten schon viele Unsicherheiten oder auf Unverständnis beruhende abwehrende Gefühle verhindert werden und möglicherweise utopische Vorstellungen oder Forderungen von vorneherein geklärt werden. Ich könnte mir hier gut vorbereitende Seminare oder Workshops für die Eltern vorstellen, in denen außer Aufklärung über den Gruppenalltag und die Heimstrukturen auch Angebote für die aktive Auseinandersetzung der Eltern mit ihrer Situation gemacht werden. Hier könnten auch gezielt die Erwartungen der Eltern angesprochen, geklärt und möglicherweise korrigiert werden, und sie könnten auch zu aktivem Engagement z. B. im Angehörigenbeirat motiviert werden. Des Weiteren könnten Treffen mit bereits „heimerfahrenen“ Eltern für alle Beteiligten sehr aufschlussreich und sinnvoll sein. Klauß nennt noch weitere Konfliktbereiche zwischen Eltern und Mitarbeitern, beispielsweise unterschiedliche Auffassungen zur Über- und Unterforderung des behinderten Menschen und keine Möglichkeit, mit Kritik oder Konflikten effektiv umzugehen. Außerdem haben die Erzieher meist nur ein sehr unzulängliches Bild von den Meinungen und Einstellungen der Eltern, weil diese sich überwiegend nicht trauen, Wünsche und Vorstellungen zu offenbaren, und sie selbst meinen, Eltern mit Informationen über ihr Kind „verschonen“ zu müssen, um diese nicht noch mehr zu belasten bzw. Zweifel an der Heimunterbringung zu schüren (vgl. Klauß / 45 Wertz-Schönhagen, 1993: 300 ff). Er zieht ein Fazit, das ich aus eigener Erfahrung nur bestätigen kann: „In der Interaktion zwischen Eltern und Erziehern basiert vieles auf Vermutungen, Projektionen und Unterstellungen aus Unkenntnis der Gegenseite und einer Sprachunfähigkeit untereinander“ (Klauß / Wertz-Schönhagen, 1993: 301). 4.5. Resümee Zusammenfassend kann man sagen, dass vor dem Hintergrund des oben beschriebenen Spannungsfeldes, den asymmetrischen Machtverhältnissen und den Rollenunsicherheiten, also vor dem Hintergrund der gesamten strukturell bedingten Schwierigkeiten, zu denen auch die besondere Arbeitssituation der Mitarbeiter gehört, eine gelingende Kommunikation und Kooperation zwischen den Beteiligten fast schon Zufall oder Glücksache zu sein scheint, womit ich aber nicht ausschließen will, dass es an ganz vielen Stellen sehr gut klappt und, trotz allem, eine echte Kooperation stattfindet. Eine Erforschung dieser Konstellationen unter dem Aspekt der fördernden Bedingungen bzw. Vorrausetzungen könnte in diesem Zusammenhang sehr sinnvoll sein. Unter uns Eltern ist die Zusammenarbeit mit der Gruppe ein wichtiges Gesprächsthema, und so bestätigten mir viele, dass sie es oft als schwierig empfänden, mit den Betreuern zu reden, da diese oft nur Positives oder aber gar nichts vom Gruppenalltag mit ihrem Kind erzählen würden, dass die Mitarbeiter einfach zu jung seien, um mit ihnen über Probleme reden zu können, dass sie sich oft als störend und überflüssig empfinden würden, dass sie zwar öfters was zu „meckern“ hätten, was z. B. das Aussehen des Kindes oder die Kleidung betreffen würde, sich aber oft nicht trauen und somit vieles „schlucken“ würden. Außerdem hätten sie oft das Gefühl, die Mitarbeiter hätten Angst vor ihnen. Deshalb wüssten sie schon gar nicht, wie sie eine Kritik anbringen könnten, weil sie befürchteten, dass dies nun von den Betreuern überbewertet würde. Aber alles in allem „würde es so laufen“ (Originalzitat einer Mutter). Und der Wohnbereichsleiter bestätigte mir auch, dass zu ca. 80% die Zusammenarbeit ganz gut klappen würde, „wenn man die Maßstäbe nicht zu hoch ansetzt.“ Im Interesse ihres Kindes scheinen viele Eltern zu regelrechten Diplomaten zu werden, da es wohl keine beiderseits akzeptierte „Kritikkultur“ (Klauß / Wertz-Schönhagen, 1993: 300) zu geben scheint. Aber es gibt sicher auch Eltern, die sich mit dieser Situation überfordert fühlen und sich, weil sie es nicht anders können, durch Rückzug daraus entfernen. Bentele und Metzger weisen daraufhin, dass auch „...hinter überbetont forschem oder auch überbetont legerem Verhalten seitens der Angehörigen 46 sich Unsicherheit und Angst verbergen können„ (1997: 152). Auch die Vorsitzende des Gesamtangehörigenbeirats schrieb mir, dass sie manche Probleme gar nicht thematisieren würde, wenn die Lösung des Problems kurz bevorstünde, z. B. durch Mitarbeiterwechsel oder Ferien. Und auch ich überlege mir mehrmals, ob ich ein Problem wirklich ansprechen soll, oder ob ich es nicht - auch unter „Verrenkungen“ - selbst lösen kann. Schwierig, so erzählten mir Eltern, wird es dann, wenn sich zu viel „Unausgesprochenes“ ansammelt und nicht angegangen wird. Dann reicht oft schon ein minimaler Dissens, der dann das „Fass zum Überlaufen“ bringt. M. E. sollten die Mitarbeiter in Abständen immer wieder nachfragen, ob die Eltern so weit mit der Betreuung ihres Kindes zufrieden sind, ob sie irgendwelche Problempunkte ansprechen möchten oder ob irgendwas geändert werden soll. Der Gedankenaustausch sollte zum Selbstverständnis werden. Da ich es sehr schwierig finde, die sensible Eltern-Mitarbeiter-Beziehung in allen ihren Facetten adäquat darzustellen, ich diese aber als Dreh- und Angelpunkt der Kommunikation und Kooperation zwischen den Eltern und professionellen Mitarbeitern empfinde, habe ich noch einen fiktiven Briefwechsel entworfen, der die Schwierigkeiten miteinander etwas plastischer darstellen soll (s. Anhang). 5. Zur Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen Eltern und Betreuern für den Menschen mit geistiger Behinderung In ihrer Studie „Leben im Heim“ stellen Wacker u. a. fest: „Über 80 % der Bewohnerinnen und Bewohner pflegen Kontakt zu Angehörigen. Familiäre Beziehungen werden oft auch noch nach langer Aufenthaltsdauer im Heim aufrechterhalten; als „Zuhause“ wird häufig das Leben in der Familie, nicht das Heim empfunden“ (Wacker, 1998: 318). Auch Seifert betont in ihrer „Studie zur Lebenssituation von Menschen mit schwerer Behinderung im Heim“, dass das soziale Wohlbefinden eine zentrale Kategorie von Lebensqualität darstellt und innerhalb dessen gerade Kontakte zu Angehörigen einen hohen Stellenwert haben (vgl. Seifert / Koenig, 2001: 200). „Viele erleben das Treffen mit den Eltern als Höhepunkt im Alltag, der sich positiv auf ihre emotionale Befindlichkeit auswirkt“ (220). Sie weist gleichzeitig 47 darauf hin, dass zu enger Elternkontakt die Ablösung erschweren kann und längere Besuchspausen problematisch für den behinderten Menschen sein können, wenn er den Grund nicht versteht. Die Bedeutung der Eltern (neben ihrer Bedeutung in den verschiedenen Rollen) ist für den behinderten Menschen subjektiv zweifellos sehr hoch, und die Mitarbeiter in den Wohngruppen tun gut daran, sich dies bewusst zu halten und sowohl den Eltern als auch ihren Kindern zu helfen, diese Beziehung adäquat zu leben. „Viele unserer besonderen Kinder und Freunde haben nicht nur Behinderungen, sondern auch spezielle Fähigkeiten. Viele spüren sehr wohl, auch wenn sie es nicht ausdrücken können, ob beispielsweise zwischen den Eltern und den Betreuern im Heim oder in der Dorfgemeinschaft Harmonie, Disharmonie oder gar eine gewisse Rivalität besteht. Im ersten Fall werden Kinder und Erwachsene aufblühen können, andernfalls kommen die betroffenen Menschen in innere Konflikte und leiden möglicherweise sehr darunter. Gemütsschwankungen, auffälliges Benehmen und Entwicklungsstörungen können die Folge sein“ (Heinrich, 1997: 194). Der im „tripolaren Beziehungsgeflecht“ (Klauß / Wertz-Schönhagen, 1993: 20) lebende Mensch kann schwere Loyalitätsprobleme bekommen, wenn er unterschiedliche Erwartungen oder unüberbrückbare Spannungen zwischen seinen Bezugspersonen empfindet. Auch Theunissen erklärt Verhaltensauffälligkeiten geistig behinderter Menschen , unter Bezug auf Bronfenbrenner, aus sozioökologischer Perspektive: „Bekanntlich nehmen Lebenswelten wie Familie, Wohngruppe, Werkstatt, kulturelle Orte oder gesellschaftliche Normen Einfluss auf die Entwicklung eines Menschen und werden auch von ihm reziprok beeinflusst. Diskrepanzen zwischen diesen Systemen, gegenläufige pädagogische Interaktionen oder Intentionen erschweren die Entwicklung des Einzelnen, befördern Konflikte und sind womöglich ein fruchtbarer Boden für Verhaltensauffälligkeiten“ (Theunissenc, 1999: 145). Je nach Schwere der geistigen Behinderung aber auch nach dem Charakter kann der behinderte Mensch so in eine für ihn unerträgliche oder zumindest belastende Lage kommen. Außerdem besteht die Gefahr, dass er verschiedene Positionen gegeneinander ausspielt und so auf seine Art „Macht“ ausübt. Wir haben diese Situationen schon sehr oft mit unserem Sohn erlebt, da er nur zufrieden ist, wenn alle am gleichen Strang ziehen und sich darüber verständigen. Er selbst spricht sehr gut und kann seine diesbezüglichen Bedürfnisse gut äußern. So besteht er z. B. immer darauf, dass wir in seiner Gegenwart den Betreuern den nächsten Abholtag sagen, diesen erklären, warum wir meinen, dass er schon eine 48 lange Unterhose tragen soll, obwohl die Betreuer das noch nicht für nötig erachten, oder dass wir den Betreuern sagen sollen, dass er seine Brille blöd findet, weil sie dauernd rutscht. Er „schickt“ uns oft vor und versucht auf diese Art, seine Bedürfnisse befriedigt zu bekommen. Wir sind häufig in langen Gesprächen mit den Betreuern, um zu eindeutigen und für alle handhabbaren Ergebnissen zu kommen. Unser Sohn braucht unsere „Eindeutigkeit“, und wenn es auch nur in für uns völlig belanglos erscheinenden Kleinigkeiten sein sollte. Dabei scheint es ihm wichtiger zu sein, dass wir auf die Betreuer zukommen und Probleme, die er mit der Einhaltung verschiedener Regeln hat, klären, als dass die Betreuer uns daraufhin ansprechen. Und, noch mal bezugnehmend auf das oben genannte Zitat von Heinrich: Man sollte nicht die ausgeprägten intuitiven Fähigkeiten gerade geistig behinderter Menschen unterschätzen. Auch wenn sie den Inhalt mancher Familiengespräche, in denen das Heim thematisiert wird, nicht verstehen können, so bekommen sie doch Stimmung und Athmosphäre mit. In Anwesenheit des Kindes sollten Eltern also niemals negativ über Betreuer oder bestimmte Verhaltensregeln oder Situationen sprechen, zu groß ist die Gefahr, dass negative Gefühle sich beim Kind aufbauen und dieses dann nicht weiß, wie es mit diesen umgehen soll. Genauso trifft dies natürlich auf die Heimmitarbeiter zu, die niemals Negatives über die Eltern in Anwesenheit des Kindes sagen sollten. Im Gegenteil, wenn der behinderte Mensch diese Gespräche will, sollten sie geprägt sein von Wertschätzung, Respekt und Akzeptanz. In diesem Klima kann das Lösen von Differenzen in Gegenwart des behinderten Menschen für dessen Prob- lemlösungsfähigkeiten Modellcharakter haben. Oft liegt die Lösung von Problemen aber auch in der schlichten Anerkenntnis der „zwei Welten“ und möglicherweise unüberbrückbaren Unterschiede (vgl. Klauß / Wertz-Schönhagen, 1993: 307). Nach meiner Erfahrung kommen sehr viele behinderte Menschen aber gut mit der Trennung der Lebenswelten klar, oftmals besser als die Mitarbeiter (die gerne möchten, dass die Eltern es wie sie machen) und die Eltern (die möglichst viel von ihren Vorstellungen im Heimalltag verwirklicht sehen wollen). Als äußeres Zeichen des „Weltenwechsels“, so erzählten mir einige Mütter, würden sie ihre Kinder zuhause umziehen oder diese würden es von sich aus regelmäßig tun. Auch unser Sohn zieht sich als Erstes zuhause eine Jogginghose an, etwas, was er auf der Gruppe ablehnt. Und wenn er wieder auf der Gruppe ist, will er von uns ziemlich schnell (nach notwendigen gemeinsamen Besprechungen!) nichts mehr wissen. 49 Aber über alle diese Tatsachen hinaus, hat die gelungene, partnerschaftliche Kommunikation zwischen Eltern und Betreuern auch noch weitere, sehr positive „Nebenwirkungen“ für den behinderten Menschen, was ich an dieser Stelle nur kurz skizzieren möchte. So können Betreuer durch Gespräche mit den Eltern diese zu mehr Freiraum für ihr Kind bewegen, können ihnen die Wichtigkeit von freundschaftlichen Beziehungen vermitteln, ihnen zu mehr Vertrauen in die Fähigkeiten des Kindes verhelfen und durch vertrauensvolle Gespräche mit den Eltern diesen beim Umgang mit der Sexualität des Kindes helfen. Außerdem wird eindeutig die Beziehung zwischen Betreuern und Betreutem verstärkt, wenn erstere durch Gespräche mit den Eltern Bedürfnisse des Betreuten ernst nehmen und dessen Sorgen mit den Eltern besprechen (natürlich nur, wenn er dies möchte!). Auch familiäre Probleme belasten oft den behinderten Menschen (z. B. Krankheiten der Eltern, Trennung etc.), so dass es hilfreich ist, wenn Betreuer um die familiären Probleme wissen. Gemeinsames Ziel im Sinne des behinderten Menschen ist der Trialog aller Beteiligten, der aber den funktionierenden Dialog zwischen seinen Bezugspersonen voraussetzt. Zusammenfassend kann man feststellen, dass die gelungene gemeinsame Kommunikation und Kooperation für die behinderten Menschen äußerst wichtig für ihr Lebensgefühl und die Fähigkeit, die zwei verschiedenen Lebenswelten für sich zu vereinen und in beiden heimisch zu werden ist und damit aber auch für ihre persönliche Entwicklung. Eltern und Betreuer sollten sich diese Tatsache immer wieder bewusst machen! 6. Möglichkeiten der Verbesserung von Kommunikation und Kooperation 6.1. Ethische Aspekte in der Begegnung Hermann Baum stellt in seiner „Anthropologie für soziale Berufe“ fest, dass soziale Berufe den Menschen direkt betreffen, und zwar in einer höchst komplexen, ganzheitlichen Form, „... und zwar deswegen, weil es in der Regel um die Lösung von Problemen geht, die existentiell sind, den ganzen Menschen berühren“ (Baum, 2000: 15). Damit die Mitarbeiter zielorientiert und verantwortungsbewusst nicht nur dem behinderten Menschen, sondern auch den, mit diesem eng verbundenen, Eltern 50 gerecht werden können, brauchen sie ein „Bild von einem Menschen“, ein Deutungsmuster auch über sich selbst und andere Menschen, ein sie leitendes Motiv, ein Leitbild im wahrsten Sinne des Wortes. Nirgendwo ist die bewusste Reflexion eines solchen Menschenbildes so zwingend, wie im sozialen Bereich denn, nirgendwo ist die Gefahr so groß, dass „... man sich zugunsten nicht durchschauter Zwecke manipulieren lässt und verantwortungslos handelt“ (Baum, 2000: 16). Schilling ergänzt diese grundsätzliche Bedeutung eines Menschenbildes für die Soziale Arbeit durch weitere Aspekte: So muss seiner Meinung nach auch eine öffentliche Diskussion um dieses Menschenbild möglich sein, die Ziele der Institution müssen mit dem persönlichen Menschenbild vereinbar sein und auch Teamarbeit ist nur aufgrund verbindender Gedanken hinsichtlich eines Menschenbildes möglich (vgl. Schilling, 2000: 173). So einleuchtend und klar die Frage nach der Existenz und der Erfordernis eines solchen Menschenbildes für die Angehörigen in der sozialen Arbeit ist, so offen ist zunächst einmal die Frage nach dem Ursprung, der Ausgestaltung und der Art dieses Menschenbildes. Hinsichtlich der Komplexität dieses Themas möchte ich an dieser Stelle nur zwei verschiedene Ansätze aufgreifen, die ich in diesem Zusammenhang für besonders erwähnenswert halte: An erster Stelle beziehe ich mich auf Emmanuel Levinas (1906 - 1995), dessen Anthropologie des „Anderen“ ein Kernstück seines philiosophischen Denkens ist und der seit einigen Jahren in der Literatur oft in heilpädagogischen Zusammenhängen erwähnt wird. Levinas sieht im Menschen „... ein Lebewesen, das durch seine prinzipielle Hilfsbedürftigkeit geprägt ist, die sich in der schutzlosen Nacktheit seines Antlitzes symbolisiert und wortlos appelliert“ (Baum, 2000: 233). Der helfende Mensch (z. B. in der sozialen Arbeit) muss sich selbst zurückstellen und sich so in den Dienst des „Anderen“ stellen. Der „Andere“ muss verstanden werden, wobei dieses Verstehen auch von Sympathie und Empathie bestimmt ist. Dabei muss der „Andere“ in seinem „Anderssein“ belassen werden, er darf nicht vereinnahmt werden, und dabei erkennt der Mensch dann, dass der „Andere“ für ihn selbst immer fremd sein wird, dass das menschliche Gegenüber in seiner individuellen Einmaligkeit unerkennbar und unfassbar bleibt. Das bedeutet konkret in der Begegnung zwischen Eltern und den Betreuern ihrer Kinder, dass der professionell Tätige die Eltern so 51 „lassen“ muss, wie sie nun mal sind, dass er sie so anerkennen kann, wie sie sich ihm darstellen. Gleichzeitig wäre es natürlich auch wünschenswert, wenn die Eltern diese Fähigkeit aufbringen könnten! Der „Andere“, so Levinas, manifestiert sich im „Antlitz“ (vgl. Levinas, 1998: 221) und „seine Erscheinung ist ein Mehr über die unvermeidliche Erstarrung der Erscheinung hinaus. Dies drückt die Formel aus: Das Antlitz spricht. Die Erscheinung des Antlitzes ist die erste Rede“ (221). Und weiter dann: „Seine Gegenwart ist eine Aufforderung zu Antwort“ (224). Die Existenz der Eltern fordert die professionell Tätigen auf, zu agieren und zu reagieren, sich dieser Beziehung zu stellen. Dabei betont Levinas die Solidarität des Menschen mit dem „Anderen“: „Die Infragestellung meiner Selbst durch den Anderen macht mich dem Anderen in unvergleichlicher und einziger Weise solidarisch“ (224) Gerade diese „Infragestellung meiner Selbst“ durch den „Anderen“ ergibt sich sowohl für die Mitarbeiter (zu jung, zu unerfahren, zu ungebildet etc.) als auch für die Eltern (gescheitert, verbohrt, engstirnig etc.). Doch trotzdem ist partnerschaftliche Solidarität möglich: Im Bewusstsein der eigenen Stärke können die Stärken des Anderen gesehen und anerkannt werden, und der gemeinsame Blick nach vorne auf die Bedürfnisse des behinderten Menschen nach möglichst großer Selbstbestimmung, Entwicklung und Freude am Leben ist handlungsleitend und verbindend für beide Seiten. Dabei liegt der Gewinn für jeden einzelnen Menschen, der Verantwortung für den „Anderen“ nicht nur ausübt, sondern in der Terminologie Levinas „begehrt“, darin, dass er selbst nicht beliebig austauschbar ist. „Die Einzigartigkeit des Ich liegt in der Tatsache, dass niemand an meiner Stelle antworten kann“ (224). Ich möchte es in diesem Zusammenhang nicht bei der rein theoretischen Darstellung dieser anthropologischen Überlegungen bewen-den lassen, sondern ein sich mir aufdrängendes Beispiel schildern: Als ich im Zusammenhang mit den Recherchen zu dieser Arbeit eine Mutter nach ihren Erfahrungen mit den Mitarbeitern befragte, erzählte sie mir folgende, für sie unvergesslich bleibende Begebenheit: Anlässlich einer Schulfeier im Heim ihres 17-jährigen Sohnes beobachtete sie, zunehmend mehr die Fassung verlierend, wie dieser sich immer wieder heiß und innig mit einem älteren Schulfreund küsste und umarmte. Sie fiel aus „allen Wolken“ und war ziemlich verzweifelt, weil sie niemand auf diese Situation vorbereitet hatte, sie keine Ahnung 52 von den sexuellen Bedürfnissen ihres Kindes gehabt hatte und jetzt nicht wusste, wie sie mit diesen neuen Tatsachen umgehen sollte, zumal sie, wie wohl auch „normale“ Eltern, damit gerechnet hatte, dass es „wenigstens“ hinsichtlich der sexuellen Neigungen „normal“ sei. Ziemlich aufgelöst musste sie dann auf die Wohngruppe gehen, um die Tasche für den Wochenendbesuch zu packen, traute sich aber nicht, der Mitarbeiterin dort von ihren aufgewühlten Emotionen zu berichten, da sie sich ja gerne „tolerant“ und „über diesen Dingen stehend“ sehen wollte. Die Mitarbeiterin spürte aber ihre Unsicherheit und fragte sie, wie es ihr denn ginge. Daraufhin traute sich die Mutter, offen ihren Kummer auszusprechen und sich mitzuteilen, was sie wohl nie getan hätte, wenn sie nicht die wohlwollende Haltung der Mitarbeiterin gefühlt hätte. Diese erzählte dann lange von den Erfahrungen der Gruppe mit dieser noch sehr jungen Liebe (weshalb man die Mutter auch noch nicht darüber informiert hatte!), begründete die Umgangsmöglichkeiten der Mitarbeiter mit dieser Beziehung, versuchte Hintergründe und Vorteile dieser Bindung mit der Mutter zu besprechen und ließ diese, ohne Bewertung, alle ihre ambivalenten Gefühle und Befürchtungen aussprechen. Dieses Gefühl „wir beide sorgen uns um Dein Kind und aber auch um Dich“, so die Mutter, ließ diese dann sehr erleichtert wieder nach Hause fahren. Sie konnte sogar „loslassen“ und die weitere Begleitung der Bedürfnisse ihres Kindes zuversichtlich der, wie sie nun ja erfahren hatte, sensiblen und klugen Mitarbeitercrew überlassen. Für sie war es ein echtes Schlüsselerlebnis. Ob die Mitarbeiterin sich ihrer „errettenden“ Bedeutung wohl so bewusst war? Vielleicht war sie nur „gestresst“, weil es zufällig gerade sie traf, dieser Mutter zu antworten? Aber sie hat das weitere Leben und Erleben dieser Mutter entscheidend geprägt und war insofern von einzigartiger Bedeutung für sie. Möglicherweise erschien diese Mutter der noch sehr jungen Mitarbeiterin auch „komisch und unmodern“. Aber dies spielte im Augenblick keine Rolle, sie konnte die Mutter „annehmen“, wie sie nun mal war, und sie in „heilpädagogischer Haltung“ stützen. Weitere grundlegende ethisch / moralische Fundierungen für den Umgang gerade mit den Eltern behinderter Kinder im Heimzusammenhang habe ich im anthroposophisch geprägten Gedankengut gefunden. Hierbei sind besonders die Gedanken von Rüdiger Grimm zur „Therapeutischen Gemeinschaft“ sehr umfassend und gleichzeitig tief greifend (1991). Er beschreibt hierin die notwendige Aufnahme der betroffenen Eltern in die Gemeinschaft zwischen Heimmitarbeitern und den behinderten Menschen, und zwar mit folgender grundlegender Bedeutung für die Eltern: „Unter dem Gesichtspunkt der Schwächung der Umweltbeziehungen vieler Familien mit einem behinderten Kind kann die therapeutische Gemeinschaft im 53 Sinne einer Substitution als Umweltzusammenhang eintreten, der dazu befähigen kann, die Auseinandersetzung und den Kontakt mit der Umwelt neu aufzugreifen“ (20). Auch ich finde diesen Gedanken sehr wichtig, da die Eltern in der sonstigen Umwelt zumeist gezwungen sind, einfach nur zu „funktionieren“ sowie zu versuchen, „unauffällig“ zu leben, und deshalb sehr oft überhaupt kein Raum für die Lebenszusammenhänge und die damit verbundenen Emotionen mit dem behinderten Kind existieren. Das ist schon so, wenn das Kind noch zuhause lebt, erst recht aber, wenn es überwiegend im Heim wohnt und damit im Umfeld der Familie nicht mehr so oft präsent ist. Nichts ist dann so hilfreich, wie Gesprächspartner zu haben, die das eigene Kind wertschätzen, die Entwicklung aufmerksam verfolgen und mit ihm (zeitweise) real zusammenleben. Gerade Familien, die auch wenig präsente Verwandte oder Freunde haben (was durch ihre besondere Situation mit verursacht sein kann) können mit diesen neuen Umwelterfahrungen wieder Hoffnung schöpfen und lernen, sich zu öffnen und soziale Erlebnisse haben. Ihr Familienleben wird durch den Heimzusammenhang erweitert, das Kind bekommt so auch in der Umwelt (wenn es natürlich auch nicht die „normale“ Umwelt ist!) einen Raum und eine Bedeutung. Auch die Frage nach der Elternarbeit und implizit die Frage nach der Art des Umgangs mit den Eltern wird von den Anthroposophen aufgrund deren Menschenbildes vertieft und mit Ausrichtung auf mögliche Sinnhintergründe gestellt: „Elternarbeit richtet sich vielmehr auf die tiefere Betroffenheit, die Eltern fragen lässt, warum gerade ihnen ein behindertes Kind geboren wurde“ (Müller-Wiedemann, 1994: 34). Diese zentrale Frage, die Mütter und Väter jeder für sich und wahrscheinlich auch alle unterschiedlich versuchen zu beantworten, ist ein Lebensthema für diese. Bemühungen um die Eltern, z. B. in Form von institutioneller Elternarbeit durch die Betreuer der behinderten Kinder, können ihnen dieses Thema nicht abnehmen, aber sie können, und das ist schon sehr viel, ein Stück weit „mittragen“ und auch „auffangen“ und somit, im Sinne von Levinas, „eine Antwort geben“. 54 Diese ethischen Aspekte in der Begegnung zwischen den Eltern und den Betreuern behinderter Kinder sind moralische Aufforderungen an die professionellen Kräfte, sich immer wieder um die Kommunikation mit den Eltern, um die Kooperation mit jedem einzelnen Vater, mit jeder einzelnen Mutter zu bemühen, auch wenn es mühsam oder sinnlos erscheinen mag. Der Weg ist hier das Ziel. Dabei, so meine Meinung, muss den Eltern „entgegengekommen werden“, da diese oft noch sehr lange Zeit in der emotionalen und gedanklichen Bewältigung ihrer familiären Situation verhaftet sind. 6.2. Allgemeine Aspekte in der Elternarbeit „Eine Mischung aus Verpflichtung Unzulänglichkeitsgefühlen und zur Dankbarkeit, vielleicht eigenen berechtigten Forderungen und Erwartungen an eine Mitsprache im Heimalltag machen die Kommunikation mit den Erziehern oft kompliziert und schwer verstehbar“ (Klauß / Wertz-Schönhagen, 1993: 192). Umso wichtiger und erforderlicher ist „Elternarbeit“. Verständnisschwierigkeiten Komplikationen lassen sich in können Kenntnis von vermieden werden, Hintergründen und Zusammenhängen vermeiden oder zumindest verringern. Bevor ich später konkret auf Verbesserungsmöglichkeiten auf verschiedenen Ebenen eingehe, möchte ich erst Grundsätzliches zur „Elternarbeit“ darstellen. Den Eltern der Heimbewohner stehen drei große Felder in der Einrichtung offen: „Sie umfassen den Gesamtbereich der heilpädagogischen Arbeit und bestehen in der ¾ Erfahrung der Arbeit mit den Kindern ¾ Begegnung mit den Mitarbeitern ¾ Bekanntschaft und Zusammenarbeit mit den anderen Eltern“ (Grimm, 1991: 78). Das Schaubild auf der nächsten Seite gibt einen Überblick über diese Felder und deutet die inneren Beziehungsmöglichkeiten zwischen ihnen an. 55 Felder der Zusammenarbeit zwischen Eltern und Mitarbeitern im Lebenszusammenhang (Grimm, 1991: 79) Auf allen drei Feldern ergeben sich zahlreiche Berührungspunkte zwischen Eltern und Mitarbeitern, so dass gemeinsame Erfahrungen in Interaktion wachsen können. Die sog. „Elternarbeit“ wirkt in diesen Zusammenhängen wie ein Katalysator auf dem Feld der Gemeinsamkeiten von Eltern und Betreuern und ist gleichzeitig Anschub , Aufrechterhaltung und Intensivierung von Kommunikation und Kooperation und damit unerlässlich in der konkreten Unterstützung der Eltern. Eine allgemein gültige Definition, was unter Elternarbeit zu verstehen ist, habe ich nicht explizit gefunden. Drees z. B. versteht unter Elternarbeit „...das gesamte Interaktionsgeschehen, das Heime mit Eltern verbindet...“ (1998: 78). In der aktuellen Fachliteratur werden verschiedene Synonyme für den Begriff der Elternarbeit gebraucht, so z. B. Zusammenarbeit mit den Eltern, Elternbildung , Familienarbeit oder aber auch Familienorientierung der Institution. Ich benutze in diesem Zusammenhang weiterhin den klassischen Begriff der „Elternarbeit“, da ich ihn einfach immer noch am zutreffendsten finde, er noch am häufigsten in der Praxis verwendet wird und er betont, dass die Bemühungen um ein gutes Verhältnis zu den Eltern und deren Unterstützung und Begleitung ein Teil der Arbeit der Wohngruppenmitarbeiter ist und als solcher auch anerkannt werden muss. Obwohl in der Realität quantitativ weniger vorhanden, ist mit Elternarbeit aber auch die Zusammenarbeit mit anderen Angehörigen gemeint, wobei hier m.E. ,z.B. im Umgang 56 mit den Geschwistern andere Schwerpunkte und Akzente gesetzt werden müssten und anderen Erforderlichkeiten Rechnung getragen werden müsste. Natürlich wäre es schön, wenn mit der „Elternarbeit“ tatsächlich eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Eltern erreicht werden könnte und dies dann auch offiziell so genannt werden könnte, aber dies ist (wie ich später noch erläutern werde) m. E. im Heimbereich der Behindertenhilfe noch nicht realisiert. Im Gegensatz zur Jugendhilfe, wo Elternarbeit die Aufgabe hat, die für Kinder und Eltern negativen Entwicklungsbedingungen zu beseitigen und tragfähige, positive Gefüge zu schaffen, so dass im optimalen Fall nach einem zeitlich begrenzten Heimaufenthalt die Reintegration in die Familie wieder möglich ist (vgl. Drees, 1998: 79 ff.), ist in der Behindertenhilfe (genauer: In Wohnstätten für heranwachsende und erwachsene Menschen mit geistiger Behinderung) Elternarbeit aus anderen Gründen erforderlich: Hier geht es um Unterstützung von Eltern und Kind beim Ablösungsprozess und das Finden neuer, angemessener Rollen, um Unterstützung des behinderten Menschen bezüglich der Kontaktaufrechterhaltung zu seinen Angehörigen und um lebenslange Begleitung der gesamten Familie vom Heim aus. Da, wie in Kapitel 5 beschrieben, Elternkontakt und gute Beziehungen zwischen Mitarbeitern und Eltern für den behinderten Menschen wichtig sind, ist Elternarbeit so gesehen auch eine präventive Maßnahme zur Vorbeugung von Verhaltensstörungen des behinderten Menschen und, überspitzt und etwas polemisch ausgedrückt, auch der Eltern. Anfangs ist besonders die Kontaktpflege wichtig: Alle Beteiligten (Mitarbeiter und Wohngruppeneltern untereinander) müssen sich kennen lernen, Berührungsängste müssen abgebaut, Beziehungen angebahnt und die Kontinuität in der elterlichen Beziehung zum Kind gefördert werden. „Der Erzieher hat quasi die Schlüsselfunktion aller vertrauensbildenden aber auch aller vertrauensstörenden Maßnahmen zwischen Heim und Familie“ (Drees, 1998: 81). Je nach Intensität der Kontaktpflege mittels Telefonaten, Tür- und Angelgesprächen nach den Wochenendbesuchen, Briefen zwischen Gruppe und Eltern aber auch Festen und Feiern kann dies das Klima der Zusammenarbeit und damit auch die emotionalen Befindlichkeiten aller Beteiligten deutlich beeinflussen und verbessern. Gerade „belanglose“ Gespräche sind wichtig, um die Beziehungsebene zu festigen, damit Kritik- oder Konfliktgespräche möglich werden. Eng verbunden mit der Kontaktpflege ist der Informationsaustausch von Eltern und Mitarbeitern über den behinderten Menschen, wobei sich beide als bedeutsam für diesen erfahren können. Vermischen können sich Kontaktpflege und 57 Informationsaustausch mit einer allgemeinen Beratung, beispielsweise bezüglich Erziehungsfragen, Verhaltensmöglichkeiten, aber auch ganz praktischer Art, z. B. in Bezug auf Pflege oder rechtliche Fragen. [Ich möchte mich in diesem Zusammenhang nur auf die pädagogische Elternarbeit beschränken, da in der Regel nur große Einrichtungen auch therapeutische Elternarbeit durch speziell familientherapeutisch ausgebildete Mitarbeiter anbieten können und nach meiner Erfahrung nur wenige Eltern überhaupt eine speziell therapeutische Begleitung wünschen, obwohl sie sicher oftmals sehr sinnvoll und hilfreich wäre.] Elternarbeit geschieht in vielen Formen und auf vielfältige Art, „Formen der Elternarbeit, die wenig strukturiert sind, überwiegen jedoch. Dies lässt auf eine unzureichende Systematik in der Elternarbeit schließen“ (Conen, 1992: 17) und damit evtl. auf wenig Effektivität im Ergebnis. Das Verhältnis zwischen Eltern und Fachleuten in der Behindertenhilfe hat aber auch eine Geschichte, in der die heutige Elternarbeit ihre Wurzeln hat. Um die aktuellen Elternarbeitsansätze unter den Schlagworten „Partnerschaft“ und „Empowerment“ (siehe Kapitel 6.4. und 6.5.) besser verstehen und ihre Intentionen besser einordnen zu können, ist der Blick in diese wechselvolle Geschichte sinnvoll. 6.3. Zur Geschichte der Elternarbeit Die von Speck im Kontext der Erstellung des Kooperationsmodells entworfene Aufteilung der geschichtlichen Entwicklung des Verhältnisses von Eltern und Fachleuten in drei Modelle, „Laienmodell“, „Ko-Therapie-Modell“ und „Kooperationsmodell“ genannt, gilt bis heute als relevanter Überblick und wird in der einschlägigen Literatur als wichtige Grundlage verstanden. Zwar wurden diese Modelle primär im Kontext der Frühförderung entwickelt (da hier als Erstes die Wichtigkeit der Zusammenarbeit mit den Eltern als erster Sozialisationsinstanz erkannt wurde), aber sie sind durchaus eine generelle Beschreibung der Entwicklung des Verhältnisses von Eltern und Fachleuten in heilpädagogischen Zusammenhängen. Das „Laienmodell“ sah die Eltern als Laien und die mit ausschließlicher Fokussierung auf die Förderung behinderter Kinder befassten Fachleute als Kompetenzträger an. Hieraus ergab sich eine strenge Hierarchie bezogen auf die Förderung der Kinder, in 58 der die Eltern nur eine nachrangige Stellung hatten. Sie konnten bei der Förderung ihrer Kinder nur zuschauen und wurden selbst im Prinzip von den Fachleuten ignoriert. Dem Wandel des „Laienmodells“ in ein „Ko-Therapie-Modell“ in den 70er und 80er Jahren liegen unterschiedliche Einflüsse zugrunde. Einerseits wurde die Bedeutung der Umwelteinflüsse auf die Entwicklung von Kindern erkannt, andererseits forderten die Eltern selbst mehr Beteiligung an der Arbeit mit ihren Kindern aber auch mehr die Berücksichtigung ihrer Sorgen. Praktisch bedeutete dies Modell die fachliche Anleitung der Eltern durch Therapeuten und Pädagogen und führte zum Funktionieren der Eltern als „verlängerter Arm“ der Fachleute. Die Nachteile dieses Modells zeigten sich schnell in der Überforderung der Familie sowohl in psychischer als auch zeitlicher Hinsicht. Ihre Identität als Eltern erfuhr in diesem Sinne fremdbestimmte Einflüsse, die für die Eltern Konflikte zwischen den teilweise gegenläufigen Ausrichtungen beider Rollen bedeuten konnten. Zusätzlich zum hohen Förderdruck kamen nun oft noch Schuldgefühle, wenn Eltern die Anforderungen der Therapeuten nicht erfüllen konnten, weil diese die elterliche Lebenswirklichkeit nicht berücksichtigten. Und auch dieses Modell hatte eine asymmetrische Kommunikation zur Grundlage. „Mit der Einsicht in die Grenzen sowohl des „Laienmodells“ als auch des „Ko-Therapie-Modells“ ergab sich ein Handlungsbedarf hinsichtlich der Entwicklung eines alternativen Konzeptes für die Zusammenarbeit von Eltern und Fachleuten“ (Eckert, 2002: 84). 6.4. Partnerschaft Als ein neues, partnerschaftlich orientiertes Modell der Zusammenarbeit bezeichnet Speck das sog. „Kooperationsmodell“, das er in systemtheoretischer Terminologie durch den Erhalt der unterschiedlichen Systeme Elternhaus und Institution, durch gegenseitigen Respekt, Aufeinandereingehen und permanentes Gespräch charakterisiert. „Dies bedeutet, dass beide voneinander voll Kenntnis nehmen, einander ernst nehmen und sich gegenseitig ergänzen. Dabei mag der Experte über das differenziertere und qualifiziertere Wissen und Können verfügen, dies jedoch im wesentlichen in genereller Hinsicht. Was die individuelle Situation aber betrifft, so ist niemand für ein Kind kompetenter als seine Mutter und sein Vater“ (Speck, 1999: 318). Gerade im Verhältnis Heim / Eltern scheint mir der Begriff „Partnerschaft“ (der in letzter Zeit im Bereich der Sonderpädagogik das Wort „Zusammenarbeit“ ersetzt) doch sehr hochgegriffen und die Realität nicht zutreffend wiedergebend. Im Zusammenhang mit 59 der Frühförderung sagt Chatelanet hierzu: „Der Übergang zu neuen, gleichberechtigten Beziehungen zwischen Eltern und Fachpersonen erfordert unserer Meinung nach umfassende Veränderungen in den Einstellungen und Handlungen der Fachpersonen, es sei denn, man tauscht nur Worte aus, ohne Inhalte zu verändern“ (Chatelanet, 2002: 114). Dies gilt ebenso für den Heimbereich. Nach meiner Erfahrung aus zahlreichen Gesprächen mit anderen Eltern und aus dem Praktikum ist gerade im Heimbereich noch großer Handlungs- und Verbesserungsbedarf. Zu groß ist die Versuchung, die à priori ungleich erscheinenden Partner in ihren (bisherigen) Rollen verharren zu lassen und an asymmetrische Machtverhältnisse nicht zu rühren. Aber Veränderungen zeichnen sich ab und die Institutionen werden sich auf diese einstellen müssen, um glaubhaft und effektiv ihr Aufgaben erfüllen zu können. „Wir befinden uns in einer Zeit des Umbruchs, die nicht nur bedeutsame Auswirkungen auf die Arbeit in den Wohneinrichtungen und damit auf die Lebensqualität von Menschen mit Behinderung hat, sondern auch auf die Rolle ihrer Angehörigen. Stichworte Paradigmenwechsel, dazu sind zum Selbstbestimmung, Beispiel: Assistenz, Qualitätssicherung, Nutzerorientierung, § 93 BSHG, Novellierung des Heimgesetzes, das neue Sozialgesetzbuch IX“ (Seifert, 2001: 1). Die Eltern heute sind kritischer, fordernder, selbstbewusster und durch den langen Gang mit ihrem Kind durch Institutionen wie die Frühförderung, den Kindergarten und die Schule (wo der Stellenwert befriedigender Zusammenarbeit mit den Eltern ein viel höherer ist!) kompetenter als früher. Das bestätigten mir auch alle meine Gesprächspartner „vor Ort“. Durch die neuen Medien sind Eltern informierter und durch meist gute Netzwerke können sie sich besser gegenseitig beraten und mitteilen. Gerade wenn es um die Suche nach einem Heimplatz und die Bewertung eines potentiellen Heimplatzes geht, zählt auch, wie die Eltern selbst sich dort aufgenommen fühlen, wie der Umgang mit ihnen persönlich empfunden wird, und dieses Wissen geben sie dann an suchende Eltern weiter. Dem sollte jede Einrichtung Rechnung tragen. Die partnerschaftliche Zusammenarbeit Qualitätsmerkmal der Einrichtungen werden. mit den Eltern sollte zum 60 Es wird nicht mehr ausreichen, die Eltern im Konzept der Einrichtung zu erwähnen und die Zusammenarbeit mit ihnen zu postulieren, wichtig ist die Spiegelung dieser Gedanken im alltäglichen Umgang und die Füllung des partnerschaftlichen Gedankens mit konkreter Arbeit mit den Eltern. An ganz vielen Stellen wird dies sicher auch schon geschehen. Um den Status Quo festzustellen, wären empirische Untersuchungen angebracht, was Eltern und Mitarbeiter selbst unter partnerschaftlicher Zusammenarbeit verstehen und welche Bedingungen hierfür aus ihrer Sicht nötig sind. Dabei ist aus meiner Sicht eine Differenzierung der Zusammenarbeit hinsichtlich der verschiedenen Ebenen der Wohngruppenmitarbeiter und der Institution nötig. Der bereits vorher erwähnte Hausleiter in der süddeutschen Einrichtung sagte mir hierzu, sie würden sich wirklich bemühen, die Eltern als Partner zu sehen, es gäbe aber Eltern, die der Gruppe „Prügel in den Weg“ werfen und dabei oft noch die Elternschaft dominieren würden. Und wenn dann mal was schief laufen würde, wäre es schwierig, enttäuschte Eltern wieder für sich zu gewinnen. Partnerschaften können an Krisen durchaus wachsen, und ich denke, das ist auch in diesen Zusammenhängen möglich. Aber daran, selbst als gleichberechtigter Partner in dieser Beziehung wahrgenommen zu werden, habe ich doch Zweifel. Als Mutter würde ich mir gerade in Krisenzeiten mit der Gruppe einen Ansprechpartner, der eine gewisse Objektivität hat, wünschen, da ich mich, obwohl durchaus ernst genommen, nicht als gleichberechtigter Partner fühle. Ich bin einfach im Alltag nicht dabei und weiß nicht, ob meine Vorstellungen von der Lösung eines Problems, obwohl vielleicht zugesagt, tatsächlich realisiert werden. 61 (Quelle: „Orientierung“ 1/2003: 18) Soweit nicht schon so gehandhabt, wäre eine Verbesserungsmöglichkeit in diesem Zusammenhang z. B. das ständige Angebot an die Eltern, bei Konflikten oder Problemen das Gespräch mit dem Heimpsychologen, einem Sozialarbeiter oder einem Familientherapeuten oder einer sonstigen, gruppenübergreifend tätigen Person suchen zu können. Diese müssen sich nicht rechtfertigen, so dass Machtkämpfe verhindert werden können und Eltern das Gefühl eines Bündnispartners bekommen. Wichtig fände ich, dass dieses Angebot schon bei Heimaufnahme klar mitgeteilt wird und evtl. schriftlich mit Angabe der Person und deren Erreichbarkeit mitgegeben wird. Ein gegenseitiges Kennenlernen sollte möglichst bald im Zusammenhang mit der Heimaufnahme stattfinden, da im Konfliktfall der Kontakt möglichst schnell und unbürokratisch erfolgen sollte. Aber auch die Einrichtung einer Angehörigenvertretung, was bisher wohl nur wenige Einrichtungen, und dabei eher größere, anbieten, könnte Eltern und Institution gerade unter dem Aspekt der Partnerschaft sinnvoll helfen. „Es gibt zur Zeit keine eindeutige gesetzliche Regelung für Angehörigenvertretungen in Heimen und Werkstätten. (...) Es bleibt also den beiden „Partnern“ - Einrichtung auf der einen und Angehörige auf der anderen Seite - überlassen, Antworten zu finden, die den Eltern und Angehörigen, der Einrichtungsleitung, den Mitarbeitern und 62 nicht zuletzt den Menschen mit Behinderung in der Einrichtung gefallen“ (Wiemerc, 2003: 19). Die von mir befragte Vorsitzende des Gesamtangehörigenbeirates schilderte mir die, aus ihrer Sicht, sehr großen Vorteile dieser Institution für die Eltern: ¾ Eltern haben in einem engagierten Angehörigenbeirat (AB) in Krisenzeiten einen relativ objektiven Bündnispartner, mit dem sie vertrauensvolle Gespräche führen können und der ihre Position gegenüber der Institution (sachlich und kompetent) stützen kann. ¾ Die Institution (vertreten z. B. durch den Bereichsleiter) erfährt auf AB-Sitzungen Wünsche, Probleme und Kritik der Eltern und kann dann handeln. ¾ Seit der Novellierung des Heimgesetzes im November 2001 besteht die Möglichkeit für den AB, den aus der Mitte behinderter Heimbewohner gewählten Heimbeirat personell zu unterstützen und somit die Rechte dieser verstärkt zur Geltung bringen. ¾ Der AB wird institutionell unterstützt, die sich hier engagierenden Eltern werden ausführlich über heiminterne Dinge informiert, können an Fortbildungen teilnehmen und diese auch selbst initiieren. ¾ Eltern des AB können in diesem Zusammenhang anderen Eltern Tipps im Umgang mit den Wohngruppenmitarbeitern geben, zwischen diesen vermitteln und aber auch Eltern Fehlverhaltensweisen auf legitime Weise vor Augen halten. Ich persönlich sehe gerade in diesem letzten Punkt die wichtigste Aufgabe des AB, und zwar unter dem Aspekt der Stärkung sowohl der Eltern als auch der Mitarbeiter, denn ansonsten ist es doch sehr schwierig, die Eltern überhaupt in Bezug auf ihre Einstellungen oder Verhaltensweisen zu beeinflussen, obwohl das, nach meiner Erfahrung nicht so selten wirklich nötig wäre. Gleich Betroffene haben hier eine ganz andere Legitimität, Glaub- und Vertrauenswürdigkeit. So betrachtet ist die Einrichtung eines Angehörigenbeirats ein wichtiger Schritt in Richtung Partnerschaft zwischen Eltern und Institution und sollte in allen Einrichtungen der Behindertenhilfe üblich sein. 63 6.5. Empowerment Neben dieser Sicht der Eltern als Partner hat sich in den letzten Jahren der Empowerment-Gedanke entwickelt und mit diesem die Übertragung dieses Konzeptes auf das Verhältnis Eltern-Fachleute. Der Begriff Empowerment, wörtlich etwa zu übersetzen mit „Selbstbemächtigung“ oder „Selbstbefähigung“, bedeutet sinngemäß, dass Betroffene ihre Angelegenheiten selbst in die Hand nehmen können, sich dabei ihrer Fähigkeiten zunehmend bewusst werden und selber Ressourcen nützen können. Er bedeutet eine Abkehr vom Bild des defizitären Klienten, der hilfsbedürftig in Untätigkeit verharrt und keinerlei Kompetenzen hat. „Zentrale Aspekte der Auseinandersetzung mit den Anwendungsmöglichkeiten des Em- powerment-Konzeptes bilden dabei: ¾ Die Übertragung einer Grundhaltung zwischen professionellen Helfern und Betroffenen auf die Zusammenarbeit von Eltern und Fachleuten ¾ Die differenzierte Betrachtung elterlicher Kompetenzen im Verständnis der Eltern als „Experten in eigener Sache“ ¾ Die Konkretisierung der Empowerment-Gedanken auf der Handlungsebene“ (Eckert, 2002: 110). Nun ist es notwendig, die Mitarbeiter in den Wohngruppen für diese Aspekte zu sensibilisieren, ihnen konkrete Umsetzungsmöglichkeiten aufzuzeigen und so reales Handeln mit dem Gedanken des Empowerments im Hintergrund möglich zu machen. So ist es wichtig zu vermitteln, dass die Eltern nicht ausschließlich überfordert, hilflos oder gar „gescheitert“ sind, wenn sie ihrem Kind ein Leben in einem Heim ermöglichen, sondern dass - im Gegenteil - dieser Entschluss auch ein Zeichen von Handlungsfähigkeit, von selbstbestimmter Inanspruchnahme eines sozialen Angebotes und auch von Zutrauen in die Fähigkeit des Kindes, sich zu entwickeln, und mag diese noch so gering sein, bedeutet. Letztendlich ist es auch ein Zeichen großen Vertrauens in die Gesellschaft, also in uns alle. Aber die Mitarbeiter müssen auch wissen, dass die Eltern zunächst sehr verunsichert, emotional stark aufgewühlt und erschüttert sind. Sie nun wieder zu „empowern“ ist Aufgabe der Mitarbeiter, wobei folgende Punkte wichtig und notwendig sind: ¾ Die Mitarbeiter sollten differenzierte Kenntnisse zur Lebenssituation der Eltern besitzen, dabei aber eine gute Balance zwischen professionellem Interesse und dem Anspruch der Familien auf Privatheit finden. 64 ¾ Konkrete praktische Hilfestellung in Form von Tipps oder Beratung für die Lösung alltagspraktischer Probleme zuhause sollte selbstverständlich sein (Dabei ist „Mitdenken“ der Mitarbeiter gefragt und auch die Fähigkeit, „Umsicht“ zu zeigen). ¾ Das explizite Anerkennen der elterlichen Leistungen und Erfahrungen, aber auch das Ansprechen der besonderen Fähigkeiten und Stärken der behinderten Kinder ist äußerst wertvoll für die Eltern. Dies stärkt sowohl Selbstbewusstsein der Eltern als auch die Fähigkeit, sich von ihrem Kind zu lösen. ¾ Dies alles ist nur möglich, wenn die Mitarbeiter eine positive Einstellung zu den Eltern, zu ihrer Arbeit mit ihnen, eine wertschätzende Gesprächshaltung sowie Kenntnisse in Gesprächsführung und Beratung besitzen (Hierzu Näheres in Kapitel 6.6.1). Ziel dieses „Empowerns“ der Eltern ist, ihnen bei der Realisierung eigener Bedürfnisse zu helfen, sie bei der Erstellung eines neuen Lebenskonzeptes zu unterstützen, in dem das behinderte Kind einen selbstverständlichen Platz hat, aber nicht mehr die „Steuerungsfigur“ darstellt. Aber auch der Aspekt der elterlichen Kompetenzen muss den Mitarbeitern konkret verdeutlicht werden, da sich viele diese Tatsache gar nicht vorstellen bzw. sie nicht realisieren können. Wie Theunissen und Garlipp es 1999 treffend beschrieben haben, erwachsen Eltern von geistig behinderten Kindern starke Kompetenzen. Durch das Leben mit den schwierigen Herausforderungen (z. B. ständige Fürsorge und Beaufsichtigung, viele Arztbesuche und Behördengänge, Entwicklung immer neuer Anregungsmöglichkeiten und Suchen sozialer Räume für das Kind, Kontaktsuche zu anderen Betroffenen usw.) entwickeln die Eltern verschiedene Stärken wie Bewältigungskompetenz, Alltagskompetenz, kognitive und fachliche Kompetenz, soziale Kompetenz, Appraisal-Kompetenz und nicht zuletzt große pädagogische Kompetenz (vgl. Theunissen / Garlipp, 1999: 53 ff). Damit verbunden sehe ich auch noch die Entwicklung besonderer Schlüsselqualifikationen der Eltern behinderter Kinder wie Kommunikations- und Koordinierungsfähigkeit, Organisationsvermögen, Verantwortungsbewusstsein, Kreativität und innere Flexibilität Lernbereitschaft und sowie Durchhaltevermögen. Diese Kompetenzen und Qualifikationen zeichnen die Eltern, ohne sie idealisieren oder die Probleme nivellieren zu wollen, aus und prägen auch ihr sonstiges Leben z. B. im gesellschaftlichen Leben, im Beruf und im Privatleben. Wenn Mitarbeiter dieses anerkennen könnten, würde es unmittelbar die Einstellung gegenüber den Eltern und damit die Grundlagen der Zusammenarbeit verändern. Auch 65 nach der Heimaufnahme des Kindes, oder besser gesagt, gerade erst nach dieser Lebensveränderung für die Eltern können ihre Fähigkeiten im Sinne aller Beteiligten zum Tragen kommen und so auch von den Mitarbeitern für sich genutzt werden (siehe meine Rollenbeispiele im Kapitel 4.2.). Wenn Eltern das Gespräch mit den Mitarbeitern über ihr Kind suchen, wenn sie implizit die Individualität ihres Kindes einfordern, wenn sie Kritik beispielsweise am Aussehen des Kindes äußern, geschieht auch all das aus dem intuitiven Wissen um ihre Rolle und ihre Bedeutung für das Kind. Sie wollen damit auch zum Ausdruck bringen, dass das Kind nach wie vor Familienangehöriger ist und auch noch „in einen anderen Stall“ gehört. Auch wenn es bei den Mitarbeitern (z. B aufgrund deren anstrengender Arbeitssituation) dann oft als unangebrachte Kritik ankommt, weil sie es persönlich nehmen, ist es in der Regel so nicht gemeint sondern Ausdruck elterlichen „Empowerments“. Wenn Eltern sich trotz der Rollenprobleme, der asymmetrischen Machtverhältnisse, ihrer Unsicherheit und Bewältigungsprobleme oder der Anpassungsschwierigkeiten an die Heimsituation trauen, ihre Gedanken und Gefühle zu äußern, ist dies unbedingt anerkennenswert und sollte nicht gleich als unangemessen verurteilt werden. Auch Theunissen bemerkt dazu im Zusammenhang mit der Schilderung eines Falles: „Dass beide Eltern dabei den Konflikt mit pädagogischen Fachkräften nicht scheuen, ist ebenfalls ein Ausdruck von Stärke und pädagogisch kompetenter Parteinahme und nicht etwa - wie es helfende nur Berufe auszulegen versuchen - ein psychische Probleme (Verletzungen) Hinweis oder mitunter auf einseitig unbewältigte Durchsetzung von Eigeninteressen“ (Theunissend, 1999: 111). Dabei muss natürlich nicht alles berechtigt sein und kann evtl. wirklich auch Ausdruck von Konflikten auf einer anderen Ebene sein, die die Eltern sich nicht anzusprechen trauen, oder die ihnen so gar nicht bewusst sind, aber dennoch muss das Anliegen unbedingt ernstgenommen werden, auch wenn dies vielleicht nur symbolischen Wert hat. Kritische Eltern sind sich kümmernde Eltern - ein in erster Linie wünschenswertes Faktum! 66 6.6. Verbesserungsperspektiven auf verschiedenen Ebenen 6.6.1. Die Ebene der Mitarbeiter Zur Auflösung der Konflikte zwischen Eltern und Mitarbeitern können nach Klauß und Wertz-Schönhagen (1993) Fortbildungen für Mitarbeiter dienen, die zur Einstellungsund Verhaltensänderung beitragen sollen, da sich die strukturell angelegten Spannungen in Einstellungen und im Verhalten niederschlagen. In diesen Fortbildungen soll den Mitarbeitern Wissen über die strukturell angelegten Probleme mit den Eltern vor dem Hintergrund biographischen und systemischen Denkens vermittelt werden. Sie können sich in solchen Fortbildungen affektiv mit den Eltern und dem gemeinsamen Verhältnis auseinander setzen. Auch Möglichkeiten und Grenzen des eigenen Handelns und des gemeinsamen Handelns mit den Eltern können so erarbeitet werden. Zentral für diese Fortbildungen sind zwei leitende Fragestellungen: 1. „Wie können Aufgaben Erzieher Eltern bei der Bewältigung dieser [z. B. Bewältigung der Behinderung, der Heimunterbringung und der Ablösung, G.K.] unterstützen? 2. Wie können Erzieher sich die positive Einstellung Eltern gegenüber aneignen, die Voraussetzung für diese Hilfestellung und für eine Kooperation mit ihnen darstellt?“ (Klauß / WertzSchönhagen, 1993: 310). „Der Begriff der Einstellung ist eines der zentralen Konzepte innerhalb der Sozialpsychologie. Es handelt sich dabei um ein komplexes Konstrukt, das der Tatsache Rechnung trägt, dass wir allen Menschen und Dingen, denen wir begegnen, mit bestimmten dauerhaften Glaubensannahmen Neigungen, und Dispositionen, Wissensinhalten Empfindungen, gegenübertreten“ (Forgas, 1999: 192). Einstellungen haben eine kognitive, eine affektive und eine conative Komponente, so dass Einstellungsveränderungen jeweils bei diesen drei Komponenten ansetzen müssen. Durch die Vermittlung von Wissen über die Geschichte der Familien mit behinderten Kindern, durch Aufzeigen der strukturell bedingten Probleme zwischen Eltern und Heim aber auch durch Beleuchten der konfliktträchtigen Verhaltensweisen beider Seiten kann die kognitive Einstellungskomponente verändert werden. Ebenso kann sie durch die praxisnahe Darstellung des Empowerment-Konzeptes als grundlegender Haltungseinstellung gegenüber Angehörigen behinderter Menschen sowie hiermit verbundener Gedanken der Partnerschaft mit ihnen positiv beeinflusst 67 werden. Hier könnte man den Mitarbeitern auch ganz konkrete Tipps für partnerschaftliches Verhalten geben. Weiterhin gehören – als affektive Einstellungskomponente – zu einer positiven Einstellung gegenüber den Eltern Einfühlungsvermögen in die Situation und Betroffenheit der Eltern, aber auch Auseinandersetzung mit der eigenen gefühlsmäßigen Beteiligung an der Interaktion. In diesem Zusammenhang könnten z. B. das gezielte gemeinsame Erarbeiten von Literatur Betroffener oder Gespräche mit bereitwilligen betroffenen Eltern hilfreich sein. Aber gerade auch für jüngere Mitarbeiter, die vielleicht selbst noch in Auseinandersetzungen mit den eigenen Eltern verstrickt sind, wäre eine Reflexion dieser Einstellungen wichtig. In diesen Zusammenhang gehört auch die gezielte Förderung bzw. Einübung der Fähigkeiten von Mitarbeitern zur Intuition und Empathie. Dies könnte durch Rollenspiele, Videofeedback und Übungen und Umgang mit kreativen Medien geschehen. Gerade sensible Intuition kann Gespräche mit den Eltern initiieren und Gelegenheiten der Begegnung für das Ansprechen grundlegender Probleme nutzen. „Aus pädagogischer Sicht stellt Intuition eine wesentliche Voraussetzung für das Verstehen des anderen in seiner Eigenheit dar. Neben dieser Verstehensleistung wirkt aber die Intuition immer auch als Impuls, als fruchtbarer Moment für die zutreffende und „richtige“ Handlung des Erziehers oder der Pädagogen“ (Ackermann, 2000: 59). Das gilt insbesondere auch für die Beziehung zwischen Erziehern und Eltern, wo Intuition vielleicht die stärkste Kraft ist, die oft großen Erfahrungsunterschiede, die auseinanderklaffenden Lebenswirklichkeiten und die unterschiedliche Bedeutung der Behinderung des Kindes für die Eltern und die Erzieher fruchtbar zu überbrücken. Gerade Intuition kann die Wahrnehmung der elterlichen Motive schärfen und so vorschnelles Verurteilen elterlicher Verhaltensweisen verhindern. Die conative Einstellungskomponente kann positiv beeinflusst werden durch die Vermittlung von Verhaltenskompetenz und Verhaltenssicherheit an die Mitarbeiter, die dadurch gegenüber den Eltern Vorstellungen von Handlungsmöglichkeiten und Handlungschancen, aber auch die Grenzen ihrer Aufgaben erkennen können. „Erzieher sind keine Familientherapeuten, Familienrichter oder Anwälte“ (Klauß / Wertz-Schönhagen, 1993: 311). In solchen Fortbildungskursen sehen Klauß und Wertz-Schönhagen zahlreiche Möglichkeiten, um die Kommunikation zwischen Eltern und Betreuern effektiv zu verbessern. 68 Kemme (1999: 103) erscheint dies zu einseitig: „Für die Eltern muss ebenso die Möglichkeit Einstellungen ihres geschaffen und Kindes den werden, Konflikten allgemein und sich aktiv bezüglich der der mit ihren Heimaufnahme Zusammenarbeit mit den MitarbeiterInnen auseinanderzusetzen. Nur so werden die Eltern und ihre Sichtweise wirklich ernstgenommen, und es kann sichergestellt werden, dass auch dort direkte Einstellungs- und Verhaltensveränderungen erzielt werden. Die Eltern müssen mit ihren Ängsten und Unsicherheiten als Person ernstgenommen werden“ (1999: 103). [Möglichkeiten hierzu beschreibe ich auf der Ebene der Institution, siehe Kapitel 6.6.2.] Ein weiterer, mir wesentlich erscheinender Aspekt auf der Mitarbeiterebene ist ihre Unterrichtung in Techniken der Gesprächsführung mit Eltern von geistig behinderten Kindern. Klauß forderte 1998 die „Gesprächsführung als sonderpädagogische Basiskompetenz“ (1998: 266 ff.) und stellte fest, dass es sich bei diesen Gesprächen zwischen Eltern und Mitarbeitern sowohl um Teamgespräche als auch um Gespräche unter Konkurrenten handelt. Angesichts dieser Komplexität reicht es, so Klauß, nicht mehr aus, Pädagogen mit einer personenzentrierten Gesprächsführung nach Rogers vertraut zu machen, so wertvoll und notwendig die Variablen der unbedingten Wertschätzung, der Echtheit und Selbstkongruenz sowie des einfühlenden Verstehens nach wie vor sind. Wichtig sind ebenso Kenntnisse über Diagnostik von Gesprächssituationen, über Bedingungen effektiver Teamgespräche, über elternbezogene Themen und Störfaktoren in der Angehörigenarbeit. Dabei ist zur Vermeidung von Kommunikationsproblemen das Beachten verschiedener Gesprächsphasen sehr wichtig. Klauß hebt besonders hervor, dass Gesprächsmoderation eine Kompetenzorientierung (im Sinne von Empowerment) bedeutet: „Wenn ihre [der Eltern, G.K.] Erfahrungen genauso eingeholt, ihre Erklärungen für das Verhalten ihres Kindes ebenso gefragt sind und geprüft werden wie die der Professionellen, wenn bei der Entscheidung berücksichtigt bedeutet, und wird, was wenn bei ein der angestrebtes Planung Ziel der auch für sie Realisierung von Vereinbarungen klare Prioritäten zur Sprache kommen und Möglichkeiten und Moderation (1998: 285). Grenzen für ein berücksichtigt ausgewogenes werden, Verhältnis dann der sorgt die Kompetenzen“ 69 Einstellungsänderungen auf der Mitarbeiterebene und bessere Ausbildung im konkreten Umgang mit den Eltern sind unerlässliche Bausteine auf dem Weg zu einem Heim, in dem sich auch die Eltern heimisch fühlen. Aber erst eine bewusste Wahrnehmung der Eltern und ihrer Bedürfnisse und die Erkenntnis der Relevanz adäquater Elternarbeit auf der Ebene der Institution gibt den Mitarbeitern einen geeigneten Rahmen für ihre Bemühungen. 6.6.2. Die Ebene der Institution „Zu wünschen ist vor allem, dass von den Einrichtungen und ihren Leitungen eine neue Qualität des Zusammenwirkens mit Eltern für nötig erachtet, gewollt, und als Bestandteil der Arbeit der Erzieher anerkannt wird“, forderten Klauß / Wertz-Schönhagen schon 1993 (14). 1998 stellten Schroll-Decker und Kempfle in ihrer Studie „Angehörigenarbeit in Einrichtungen der Behindertenhilfe auf dem Prüfstand (Eine Situationsanalyse aus dem Raum Regensburg)“ fest, dass alle (15) befragten Einrichtungen Angehörigenarbeit als selbstverständlich ansahen. „Manche stellen dabei mehr die Wünsche der Behinderten nach Kontakt zu ihren Verwandten in den Mittelpunkt; andere betonen den intensiven Einfluss von Eltern und Angehörigen, der nicht ausgeklammert werden kann“ (1998: 129). Feste Konzepte zur Elternarbeit, so die Autoren der Studie, gäbe es aber keine, zu individuell seien die familiären Probleme und es sei eher eine bedarfs- und fallorientierte Handlungsweise angezeigt. „Hier steht die Partnerschaftlichkeit als Leitsatz für Angehörigenarbeit an vorderster Stelle“ (129). Nochmals fünf Jahre später hat sich an diesem Leitmotiv der Angehörigenarbeit nichts geändert. Hinzu gekommen ist noch ein weiteres Motiv für diese Arbeit: In unserer heutigen, finanziell schwierigen Zeit für die Behindertenhilfe, müssen die Institutionen auf die Eltern als Ressourcen zurückgreifen können, wenn sie Gelder für die behinderten Menschen fordern. Denn den Eltern kann man keine Vorwürfe machen, wenn sie ein Höchstmaß an Selbstbestimmung für ihre Kinder einfordern, den Institutionen unterstellt man dagegen oft eigene, finanzielle Interessen (vgl. Wiemerd, 2003: 36). 70 Auf institutioneller Ebene sollte also die Verankerung des Postulats nach partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit den Eltern sowohl im Leitbild als auch der Einrichtungskonzeption selbstverständlich sein. Das Erstellen einer eigenen Konzeption für die Arbeit mit den Eltern könnte m. E. Ausdruck der tatsächlichen Umsetzung dieses Postulats und Grundlage für eine echte Familienorientierung der Einrichtung sein. Vor dem Hintergrund meiner, auf der Mitarbeiterebene beschriebenen Verbesserungsvorschläge, sind Angebote von Mitarbeiterschulungen mit den oben beschriebenen Inhalten zwingend notwendig und sollten für alle Mitarbeiter verpflichtend sein. Ebenso notwendig sind ausreichende Zusammenhang. Gruppen- Sinnvoll und wären Einzelsupervisionen ein gewisses in Zeitdeputat diesem und die Berücksichtigung der „zwangsläufigen“ Elternkontakte am Wochenende im Dienstplan. Ebenso sinnvoll könnte die Bereitstellung geeigneter Räumlichkeiten für längere Elterngespräche sein. Der größte Wunsch des von mir befragten Wohnbereichsleiters war die Bitte „um einen kleinen Geldtopf für Elternarbeit, schon ca. 15 Euro pro Bewohner/Jahr wären hilfreich“, wobei mit dieser Bitte die Ebene der Institution verlassen wird. Im Gegensatz zur Jugendhilfe, wo es für die Arbeit mit den Eltern eine gesonderte Finanzierung gibt, zahlt der Kostenträger in der Behindertenhilfe keinen Beitrag für diese Arbeit, ein Faktum, das sich in dieser Zeit auch sicher nicht so schnell ändern wird. Die Institution muss sich in diesem Zusammenhang fragen, inwieweit Gelder anderen Ursprungs (Förderverein, Spendengelder usw.) möglicherweise an dieser Stelle eine sinnvolle Investition darstellen würden. Aber auch Überlegungen, ob die Eltern selbst sich mit einem kleinen Kostenbeitrag daran beteiligen wollen, halte ich für gar nicht so unrealistisch. Die Eltern sollten 1x jährlich zu einem möglichst offenen Gespräch über ihr Kind mit allen dieses betreuenden Fachleuten eingeladen werden, so dass ein interdisziplinärer Gedankenaustausch realisiert wird ( Entwicklungsplanungsgespräch). Das Angebot an die Eltern, eine Angehörigenvertretung zu wählen sollte selbstverständlich sein. Als nicht demokratisch empfinde ich beispielsweise, 71 wenn sich, wie ich es aus einer Einrichtung erfahren habe, die Mitglieder dieser Vertretung automatisch nur aus den Mitgliedern des Fördervereins rekrutieren. Sinnvoll könnte auch die zusätzliche Ausbildung eines engagierten Mitarbeiters zum „Eltern-“ oder „Familienbeauftragten“ sein. Dieser sollte eng mit der Angehörigenvertretung zusammenarbeiten, könnte die Fortbildungen für die Mitarbeiter maßgeblich mitgestalten und wäre Ansprechpartner für Eltern, aber auch für Mitarbeiter. Anschließend an Kemmes Einwand, dass Schulungen lediglich auf der Mitarbeiterebene nicht ausreichen und die Eltern mit ihren Bedürfnissen ernst genommen werden müssen (s. Kapitel 6.6.1.), sowie an meine Ausführungen zu den Konfliktbereichen (s. Kapitel 4.4.4.) plädiere ich für ein speziell an die Eltern der Heimbewohner gerichtetes Angebot. Für relativ „neue“ Eltern sollten regelrechte „Einführungskurse“ angeboten werden, in denen verschiedene Punkte thematisiert werden könnten: ¾ Aufklärung über den Wohngruppenalltag und die Heimstrukturen ¾ (In kleinen Gruppen:) Ansprechen der elterlichen Befindlichkeiten im Umgang mit dem Heim (Ängste, Befürchtungen, Probleme, Wünsche etc.) ¾ Möglichkeiten zur aktiven Auseinandersetzung mit dieser Situation (Gesprächsmöglichkeiten mit „alten“ Eltern usw.) ¾ Infos über therapeutische / seelsorgerische Angebote der Institution und Mitwirkungsmöglichkeiten der Eltern. Sehr gut fände ich auch für Eltern und Wohngruppenmitarbeiter gemeinsame Fortbildungsangebote, z. B. mit den Themen Selbstbestimmung, Sexualität oder Altern des behinderten Menschen. Hierin käme gerade das gemeinsame Bemühen um das Wohl des behinderten Menschen zum Ausdruck. Gerade das Thema „Selbstbestimmung“ ist für viele Eltern behinderter Kinder völlig neu, obwohl es in der Fachliteratur schon seit Jahren diskutiert wird. Wie dies konkret im Gruppenalltag verwirklicht wird, was es konkret bedeuten kann und wie sich alle im Trialog beteiligen können, ist für viele Eltern sicher sehr interessant und bedarf dann eines unmittelbaren Gedankenaustausches mit den Betreuern ihrer Kinder. 72 Elternarbeit in einer Institution ist zu wichtig, als dass sie nur Imagepflege der Einrichtung oder bloße Kontaktpflege zu den Eltern darstellen darf. Sie muss vielmehr auf jeder Ebene die Bedürfnisse der Eltern im Focus haben (sie evtl. auch direkt erfragen!) und sich entsprechend gestalten. 7. Konzeptionelle Überlegungen 7.1. Vorüberlegungen Jedes Konzept für die Arbeit mit Eltern findet seine Grenze in der Tatsache, dass die Eltern und ihre Beziehungen zu ihren Kindern genauso individuell und unterschiedlich sind wie ihre Bedürfnisse und persönlichen Ressourcen. Primär muss sich jeder Kontakt zu den Eltern, jede Unterstützung ihrer Bedürfnisse sensibel am Einzelfall orientieren und Rücksicht auf die individuelle Lebenswelt der Eltern nehmen. Dies ist sicher auch einer der Gründe, warum es z. Zt. noch keine Konzepte für die Elternarbeit in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe zu geben scheint. Meine diesbezügliche Anfrage bei ca. zehn verschiedenen Einrichtungen unterschiedlicher Größe und auch bei der zentralen Abteilung für Wohnen bei der Lebenshilfe in Marburg ergab, dass überall Elternarbeit als immens wichtig erachtet wird, diese in der alltäglichen Arbeit untrennbar mit der gesamten Arbeit verbunden ist, es aber kein explizites Konzept hierfür gibt, sondern dies immer ein wichtiger Punkt im Gesamtkonzept der Einrichtung ist. Um Elternarbeit nicht auf der Stufe bloßen „reaktiven“ Handelns zu belassen, durch eine gewisse Strukturierung zu fundieren, aber auch um die mir möglich erscheinenden Ansätze für die Elternarbeit zusammenzufassen, habe ich den Versuch unternommen, einen (groben) Konzeptentwurf zur Elternarbeit in Wohnstätten für geistig behinderte heranwachsende und erwachsene Menschen aufzustellen, wobei ich dies als den Anfang konzeptioneller Überlegungen oder auch als Baustein auf dem Weg zu einer Konzeption ansehe. Da sich m. E. Arbeit mit Eltern jüngerer Kinder eng an den Entwicklungen in der Jugendhilfe orientieren müsste und anders motiviert ist (z .B. weil eine Rückführung des Kindes in die Familie geplant ist oder noch keine Bindung zwischen Eltern und Kleinkind besteht), gehe ich hierauf in diesem Zusammenhang nicht ein. 73 7.2. Konzeptentwurf Vorwort: Eltern und andere Angehörige gehören zum Leben eines jeden Menschen, und durch die Heimaufnahme bleibt selbstverständlich auch der behinderte Mensch Mitglied seiner Familie. Eltern von Menschen mit Behinderungen sind in einer anderen persönlichen Situation als die professionellen Fachkräfte. Als Betroffene haben sie eine andere Lebenswirklichkeit als die Mitarbeiter der Einrichtung. Respekt, sensible Akzeptanz und Wertschätzung der Eltern in ihrer besonderen Situation muss die Grundlage der Beziehungen zwischen Eltern und Mitarbeitern sein. Elternarbeit ist dabei der Versuch, Eltern in ihrer persönlichen Lage, die gekennzeichnet ist durch die Bewältigung der Tatsache der Behinderung und aber auch der Heimunterbringung ihres Kindes Unterstützung zukommen zu lassen und die Beziehung zwischen Eltern und Kind vom Heim aus adäquat zu unterstützen. 1. Zielgruppe: Primäre Zielgruppe sind die Eltern der Heimbewohner, sekundäre Zielgruppe aber auch weitere Angehörige (z. B. Großeltern, Geschwister), wobei hier spezifische Angebote sinnvoll und nützlich sind. 2. Ziele der Elternarbeit: ¾ Aufbau einer vertrauensvollen und partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit den Eltern zum Wohle des Heimbewohners ¾ Transparenz der pädagogischen und institutionellen Arbeit ¾ Unterstützung des Ablösungsprozesses zwischen Eltern und Kind und damit Unterstützung bei der Findung neuer Rollen ¾ Unterstützung des behinderten Menschen bei der Kontaktpflege zu seinen Angehörigen. 3. Formen der pädagogischen Elternarbeit in der Wohngruppe: ¾ Hierzu gehören sämtliche Maßnahmen, die der Kontaktpflege, dem Informationsaustausch und der Beratung der Eltern dienen, wobei dies von „Tür und Angelgesprächen“ über Elternbriefe, Telefonate, Einzelgespräche, gemeinsame Unternehmungen, Feste, Bildungsmaßnahmen usw. bis hin zu Hospitationen der Eltern auf der Wohngruppe reichen kann. Im Zusammenhang mit der Heimaufnahme ist die Vermittlung von „Eltern-Paten“ und die Mitgabe eines Infoblattes mit sämtlichen relevanten Angaben (Mitarbeiter, Telefonnummern usw.) sinnvoll. ¾ Zu beachten sind dabei zwei Phasen: Die Aufnahmephase, in der Zeit und Raum für längere Gespräche mit den Eltern gegeben sein müssen, und die 74 Fortsetzungsphase bzw. Kontaktaufrechterhaltungsphase, in der flexibel auf mögliche Probleme der Eltern reagiert werden muss. Handlungsleitendes Motiv ist in diesem Zusammenhang sensibles Erfragen der elterlichen Bedürfnisse und die Intention, permanent im Gespräch zu bleiben. Hilfreich kann in diesem Zusammenhang eine offizielle „Sprechstunde“ zu den Abhol- oder Rückbringzeiten der Kinder am Wochenende sein, wobei hier entsprechende Regelungen im Dienstplan erforderlich sind. ¾ Bei unüberbrückbaren Meinungsverschiedenheiten kann die Hilfe einer dritten Person (z. B. Psychologe des Heimes, Sozialpädagoge des gruppenübergreifenden Dienstes etc.) in Anspruch genommen werden. ¾ Die Eltern sind ausdrücklich auf ihre formellen Mitwirkungsmöglichkeiten in der Institution hinzuweisen bzw. zu ermutigen, sich dort zu beteiligen. 4. Formelle Mitwirkungsmöglichkeiten der Eltern: ¾ Angehörigenbeirat der Institution ¾ Teilnahme am jährlichen Entwicklungsplanungsgespräch für den behinderten Menschen. 5. Zusätzliche institutionelle Angebote für die Eltern: ¾ Workshops / Seminare / Kurse mit bestimmten Themen (z. B. Sexualität, Ablösung, Umgang mit der Wohngruppe, Infos über Heimstrukturen, Biographiearbeit etc.) ¾ Begleitung durch Familientherapeuten / Psychologen ¾ Seelsorgerische Unterstützung ¾ Familienbeauftragter. 6. Anforderungen an die Wohngruppenmitarbeiter: Pädagogische Elternarbeit im Sinne dieser Konzeption ist primär Aufgabe der Wohngruppenmitarbeiter, da diese in unmittelbarem Kontakt sowohl mit dem Kind als auch den Eltern stehen. Damit sie diese Aufgabe erfüllen können, sind folgende Maßnahmen nötig: ¾ Fortbildung (Themen: Grundlagen der Elternarbeit, Gesprächsführung) Diese Fortbildung ist für alle Wohngruppenmitarbeiter verpflichtend. ¾ Supervision (Gruppen- / Einzelsupervision nach Bedarf). 75 7. Evaluation: Jährliche Evaluation der Elternarbeit (z. B. durch Befragung der Eltern, Auswertung im Team und Selbstevaluation durch die Mitarbeiter der Wohngruppe). 8. Schlussbetrachtung Wenn Eltern ihr behindertes Kind am ersten Tag im neuen Zuhause an die professionellen Mitarbeiter in einer Wohnstätte für geistig behinderte Menschen vertrauensvoll „übergeben“, sehen sich die Mitarbeiter nicht nur dem Menschen mit Behinderung gegenüber sondern auch einer Schicksalsgemeinschaft, die zumeist zwei große Rucksäcke dabei hat. Der eine enthält eine oft lange, von Höhen und Tiefen geprägte, gemeinsame Lebensgeschichte, verschiedene Versuche der Bewältigung dieses Lebens, der Bewältigung dieser Bewältigungsversuche und aber auch die tatsächliche Bewältigung vieler Krisen, gemeinsame Probleme, Erfahrungen, Erinnerungen, Erlebnisse und letztendlich viele, noch ungelöste und jetzt aufgewühlte Gefühle, die angesichts der radikalen Lebensveränderung besonders virulent werden. Und ganz obenauf liegt die Hoffnung der Eltern auf eine gute Zukunft für die ganze Familie unter neuen Lebensbedingungen (Kapitel 1 und 2). Der andere Rucksack enthält die Kleidung des neuen Heimbewohners. Die Betreuer „übernehmen“ Kind und Kleiderrucksack, gestalten mit dem Kind ihren neuen Arbeitsalltag, bleiben mehr oder weniger lang, mehr oder weniger intensiv, auf jeden Fall aber immer nur zeitweise mit ihm zusammen und ermöglichen dem Kind durch ihren geschulten, ganzheitlichen Blick völlig neue Entwicklungsperspektiven (Kapitel 3). Und die Eltern gehen wieder nach Hause, alleine und schwereren Schrittes, als sie kamen. Denn ihren Rucksack nehmen sie wieder mit, und er ist noch ein bisschen schwerer geworden. Dieser Rucksack, Machtverhältnisse, das Spannungsfeld, strukturell konfliktträchtig Rollenprobleme, angelegte asymmetrische Konkurrenzsituation („Kaukasischer Kreidekreis“), mangelndes Wissen umeinander, dazu evtl noch „normale“ mitmenschliche Probleme (Kapitel 4), – die notwendige, befriedigende Zusammenarbeit zum Wohle des behinderten Menschen (Kapitel 5), aber auch zur Zufriedenheit der anderen Beteiligten ist auf schwankendem Fundament gebaut. Je bewusster sie auf jeder Ebene der Einrichtung im Fokus der Wahrnehmung steht, desto fester kann das Fundament werden (Kapitel 6 und 7). 76 Nach intensiver Auseinandersetzung mit diesem Thema kann ich folgendes Fazit ziehen: Genauso normal wie die Tatsache, dass Eltern ihre Kinder lebenslang begleiten wollen (und sei es auch nur gedanklich), dass sie möglicherweise lebenslang das Thema Behinderung bearbeiten wollen und müssen (weil auch dies normal ist), sollte es für die Mitarbeiter in Heimen normal sein, dass sie um die strukturell bedingten Probleme wissen (weil auch diese normal sind), sich gezielt auf diese Thematik vorbereiten und dann auf die Eltern zugehen können. Während der Bearbeitung der Diplomarbeit kam ich mir selbst oft „wie ein Wanderer zwischen diesen Welten“ vor, hatte teilweise Bedenken, dass ich die Situation zu negativ darstelle (wobei ich in der heutigen Zeit finanzieller Restriktionen die Gefahr der Verschärfung von Konflikten in diesen Konstellationen sehe), hätte selbst gerne noch mehr Lösungsmöglichkeiten im Detail dargestellt (was den Rahmen dieser Arbeit aber gesprengt hätte) und habe besonders die Tatsache der beiden verschiedenen Perspektiven in ihrer letztendlichen Unauflösbarkeit als sehr schwierig empfunden, aber gerade auch als professionelle Herausforderung. Erst nach der Bearbeitung dieses Themas kann ich auch als Mutter viele Situationen mit den Betreuern in einem anderen Licht sehen, eigene Verhaltensweisen hinterfragen und Reaktionen der Betreuer meines Sohnes anders werten als zuvor. Mangelndes Wissen umeinander und die besondere Situation lässt beide Personengruppen noch zusätzlich gegenseitig „niedere“ Motive unterstellen und die jeweiligen Stärken des Anderen zum Vorwurf werden, eine noch zusätzliche, völlig überflüssige und in seinen Auswirkungen fatale Folge (wenn die Eltern z.B. aus Verzweiflung den Kontakt zum Kind ganz abbrechen oder die Mitarbeiter pauschal alle Eltern negativ sehen und die Arbeit mit ihnen ablehnen). Je mehr alle Beteiligten um diese besondere Normalität ihrer Lage wissen, desto entspannter, optimistischer und vielleicht sogar humorvoller können dann alle mit zwangsläufig auftretenden Meinungsverschiedenheiten oder konträren Vorstellungen umgehen und sich dann vielleicht gemeinsam folgenden Gedanken von Karl König anschließen, die dieser in einem Brief an Eltern seelenpflegebedürftiger Kinder formuliert hat: „Was ich aussprechen wollte, wäre etwa das Folgende gewesen: dass Sie, als Eltern, doch versuchen sollten, sich immer mehr und mehr mit unserer Arbeit, die wir hier tun, zu verbinden. Nicht nur, weil wir sie für Ihre Kinder tun, sondern weil sie überhaupt geschieht. Denn im Zusammenhang mit behinderten, zurückgebliebenen und seelenpflegebedürftigen Menschen entsteht 77 ein neues Gleichnis wahrhaftiger Menschlichkeit. Und es sind nicht die Lehrer, Pfleger, Helfer und Ärzte, die dieses neue Gleichnis schaffen; sie bemühen sich nur darum, es sichtbar zu machen, so dass es – mit Goethes Wort - ein offenbares Geheimnis wird. Wirklich aber schaffen es allein die Kinder, die Ihnen und uns anvertraut sind: Ihnen als weitesten Sinne“ (König, 1997: 105). Eltern, uns als Erzieher im 78 Literaturverzeichnis Ackermann, Karl-Ernst: Intuition und Behinderungsbegriff. In: Buchka, Maximilian (Hrsg.): Intuition als individuelle Erkenntnisund Handlungsfähigkeit in der Heilpädagogik, Edition SZH/SPC, Luzern: 2000, S. 45-68. Bach, Heinz : Sonderpädagogik im Grundriß (Heinz Bach u.a.), Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, Berlin : 3. unveränderte Auflage 1976 Baum, Hermann : Anthropologie für soziale Berufe, Verlag Leske und Budrich, Opladen : 2000 . Beck-Gernsheim, Elisabeth: Die Kinderfrage: Frauen zwischen Kinderwunsch und Unabhängigkeit. Verlag Beck, München: 2. Auflage 1989. 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