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49 Tages-Anzeiger · Montag, 10. März 2008 KULTUR Kultur in Kürze: Joseph Weizenbaum ist gestorben, und Panic Jugendbuch: Schöne Bücher zu heiklen Themen – und eine neue at the Disco spielten in Zürich. Fassung der Iwein-Sage. 50 51 Leben Digital: Von Ringen aus Netzwerksteckern, Molekülschmuck und mehr. 60 Die Welt der Wörterbücher leuchtet in sonnigem Gelb Der Langenscheidt-Verlag ist 152 Jahre alt, mit grossem Abstand Marktführer für zweisprachige Wörterbücher – und stets vorne dabei bei der technologischen Entwicklung. dem der Muret-Sanders (dasselbe für Englisch) folgte. Langenscheidt stieg ins Schulbuchgeschäft ein, liess 1882 das erste Warenzeichen eintragen (das Design sollte einige Veränderungen erleben!) und landete mit dem «Tornister-Wörterbuch» für den deutschen Soldaten im Krieg 1870/ 71 den ersten Marketing-Hit. («30 Stunden Russisch» war auch im Zweiten Weltkrieg sehr erfolgreich). Von Martin Ebel, München Antike Elektronik im Keller Beim Papst steht eins auf dem Schreibtisch. Der amerikanische Astronaut David Wolf hatte eins dabei, als er in der russischen Raumstation Mir mitflog. In fast jedem Haushalt ist eins vorhanden, mindestens: ein Wörterbuch aus dem LangenscheidtVerlag. Und wenn man in einer Buchhandlung die Sprachabteilung aufsucht, leuchtet es schon von weitem gelb entgegen. Gelb ist seit einem halben Jahrhundert die Signalfarbe des Hauses, dessen Name für zweisprachige Wörterbücher schlechthin steht. An diesem Markt hat Langenscheidt einen Anteil von rund 65 Prozent. Jeder Belletristik-Verlag muss bei einer solchen Zahl gelb vor Neid werden. Aktueller Bestseller ist übrigens ausgerechnet ein eher untypisches Produkt, ein Spass-Wörterbuch: «Frau– Deutsch/Deutsch– Frau» verkaufte sich 1,5 Millionen Mal. Gelb leuchtet es auch, etwas dezenter, eher punktuell, im neuen Verlagsgebäude im Münchner Norden. Neben dem Eingang ein begehbares Riesenwörterbuch, übrig geblieben von den Jubiläumsfeierlichkeiten vor zwei Jahren. Signalgelbe Produkte des Hauses, Normfarbe HKS 5, in Regalen in nahezu jedem Raum. Gelb 1882 ca. 1920 ca. 1930 BILD NASA Der amerikanische Astronaut David Wolf und sein Langenscheidt-Wörterbuch in der russischen Raumstation Mir. und Hexaglot gehören dazu), auf der Säule Reise/Kartografie (Polyglott, die Edelmarke APA und zahlreiche Landund Strassenkartenverlage im Ausland, vor allem in den USA) und schliesslich auf der Säule Wissen/Deutsche Sprache. Letztere steht überwiegend in Mannheim, wo das Bibliographische Institut/ 1956 1986 2002 Rund wird quadratisch: Das Langenscheidt-Logo im Wandel. strahlen die Tulpen neben dem Empfang den Besucher an, gelb ist das Schlüsselbändchen des Pressechefs, und dass auch die Rauchmelder an den Wänden gelb sind – kann das ein Zufall sein? Sehr bewusste Markenpflege In der Geschäftspolitik jedenfalls überlässt man nichts dem Zufall. Markenpflege wird aufmerksam betrieben, seit es das Bewusstsein dafür überhaupt gibt. Und die Marktführerschaft verleitet keinesfalls zum Ausruhen. «Sehr hart kämpfen» müsse man nach wie vor, betont Verleger Andreas Langenscheidt. Der 55Jährige führt seit 1990 die Verlagsgruppe, ein weit verzweigtes Unternehmen, das auf drei Säulen ruht: auf der Säule Sprachen (das ist vor allem Langenscheidt in München, aber auch der Berlitz-Verlag F. A. Brockhaus angesiedelt ist, dort erscheint auch der Duden. Das gesamte Unternehmen, eine reine Familienfirma mit acht Gesellschaftern, machte zuletzt einen Jahresumsatz von 420 Millionen Franken, auf den Sprachenverlag allein entfallen 139 Millionen. 240 Mitarbeiter (von 1400 insgesamt) arbeiten bei Langenscheidt in München, entwerfen neue Lehrbücher, feilen an der Software, planen den Online-Einsatz, arbeiten für den Online-Übersetzerservice und korrigieren. Die Zuverlässigkeit der gelben Wörterbücher ist legendär und eine der Fundamente des Erfolges. Ein anderer ist die Kontinuität. Andreas Langenscheidt, Ururenkel des Gründervaters Gustav, ist erst der vierte Verleger – was eine durchschnittliche Verweildauer von annähernd 40 Jahren bedeutet (sein Vater, inzwischen 87, ist auch heute noch fast täglich im Verlag anzutreffen; Bruder Florian zog sich 1994 aus dem operativen Geschäft für eigene Projekte zurück). Unter Andreas Langenscheidt ist das Unternehmen kontinuierlich gewachsen, vor allem durch Zukäufe. Im Kerngeschäft ist weiteres Wachstum kaum mehr möglich; hier greift dann, wie der Verleger erläutert, das Gesetz des abnehmenden Ertragszuwachses: für jedes Prozent zusätzlichen Marktanteils müsse man ein Vielfaches investieren, das lohnt nicht. Wer könnte einen so grossen, sicher geradeaus fahrenden Tanker bedrängen? Billige Schnellboote zum Beispiel. Das Wissen, das in Langenscheidt-Wörterbücher einfliesst, ist teuer, und der Kunde muss dafür bezahlen, auch für Downloads von Sprachkursen etwa oder Übersetzungsdienste. Im Internet gibt es längst Anbieter, die gar nichts verlangen. Verlagsleiter Rolf Müller, ein gemütlicher Süddeutscher mit einem schnellen Witz, schätzt, dass sich bereits 80 Gratis-Onlinedienste in seinem Bereich tummeln, fünf davon in Deutschland. Ein Beitrag zur Völkerverständigung Diesen Angriffen will man trotzen, daran lassen Langenscheidt und Müller keinen Zweifel, unter Hochdruck wird an Konzepten gearbeitet, die auch eine alternative Finanzierung möglicher eigener Gratisangebote umfassen (durch Werbung oder so genanntes Cross Selling). Aber hier geben sich die Verantwortlichen noch etwas bedeckt; die hohen Wellen, die die Ankündigung des Gratis-Online- Brockhauses geschlagen hat, machen vorsichtig. Dass man bei Langenscheidt nicht gerade Granaten herstellt und auch keine giftigen Chemikalien, sondern Artikel, die der Völkerverständigung dienen: Dessen ist man sich hier sehr bewusst, auch wenn man das Gutmenschenhafte nicht so heraushängt. Es gibt keine Langenscheidt-Stiftung, aber Etliches im Verlag bewegt sich «jenseits des Kommerziellen» (Andreas Langenscheidt). Das reicht von der Betreuung von Minderheitensprachen, deren Lexika selten rentieren, bis hin zu Bücherpaketen für Bibliotheken auch in der «Dritten Welt». (Mangelndes) Verständnis war auch der Urimpuls für die Gründung des Verlages. Gustav Langenscheidt, ein Handwerkerssohn, begab sich 1849/50 nach guter alter Sitte auf Wanderschaft – und musste feststellen, dass er sich in Frankreich kaum verständlich machen konnte. Der Schulunterricht war praxisfern, und Hilfsmittel gab es nicht. Also entwarf er eine Lautschrift, mit deren Hilfe man auch im Selbststudium die Aussprache bewältigen konnte, verfasste «Sprachbriefe» nach einer eigenen Methode und gründete, als kein Verlag diese drucken wollte, selbst einen. Das war 1856. 1866 stand das erste eigene Verlagshaus, ab 1869 erschien der Grosse Sachs-Villatte, ein deutsch-französisches enzyklopädisches Wörterbuch, Das Tornister-Wörterbuch ist ein schmales, graues Bändchen, kaum grösser als ein Reclam-Heft. Ein merkwürdiges Gefühl, es im Keller des Verlagsgebäudes in die Hand zu nehmen, wo es zusammen mit anderen Produkten des 19. und 20. Jahrhunderts in Regalen versorgt ist. Nicht weit davon eine Hebräisch-Enzyklopädie von 1923, viersprachig, dort «Notwörterbücher» für den eiligen Reisenden, Sprachlehrbriefe im Schuber, gebraucht – die ersten noch mit vielen Anstreichungen, die letzten dann unberührt, da hatte der Lerneifer sichtlich nachgelassen. Auch allerlei ästhetischen Wildwuchs zeigt der Gang ins Archiv, Versuche in Hell- und Dunkelblau, bis sich, ausgehend von einer gelben Bauchbinde, über verschiedene Schattierungen das intensive, heutige Chromgelb durchsetzte. Auch antike Elektronik enthält übrigens dieser Kellerraum: den Alpha 8, das erste elektronische Wörterbuch von 1983. Damals war das noch ein Witz, 8000 Einträge hatte das Ding, nicht mehr als ein LilliputWörterbuch, überdies nur mit mühsamer Buchstabiertechnik aufzurufen, das Blättern im traditionellen Buch war allemal schneller und bequemer. Aber Alpha 8 war ein Pionier und wird deshalb im Hause in Ehren gehalten. Technisch ganz vorne zu sein: Das ist bei Langenscheidt auch eine Tradition. Im Jahr 1905 brachte Carl Langenscheidt, Sohn und Nachfolger des Gründers, die erste Sprachlernplatte auf den Markt. Heute kann man auf seinen Blackberry den Duden und ein Grosswörterbuch Englisch laden, aufs Handy Reiseinformationen, und wer weiss, was im digitalen Bereich noch alles erfunden werden wird. Langenscheidt wird auf jeden Fall dabei sein. Über 30 Sprachen hat man im Programm, nicht einmal alle, die in Europa gesprochen werden. Dafür darf sich die Schweiz besonderer Fürsorge erfreuen: Kürzlich kamen «Schweizer Wörterbücher» für Französisch und Englisch heraus, die helvetischen Sprachgebrauch berücksichtigen. Sodass man also «breakfast» oder «petit déjeuner» helvetisch korrekt mit «Morgenessen» übersetzen kann. «Frau – Deutsch»: Der aktuelle Bestseller ist ein Spass-Wörterbuch. Künstlerische Klarheit auf der Bühne, Klartext auch daneben Im Zürcher Opernhaus gehört sie zu den Publikumslieblingen; nun singt Vesselina Kasarova im Kaufleuten Ausschnitte aus ihrer Offenbach-CD. Von Susanne Kübler «Je suis un peu grise», singt in Jacques Offenbachs Operette «La Périchole» die Titelheldin. Vesselina Kasarova klingt in dieser Ariette allerdings mehr als nur ein bisschen beschwipst. Regelrecht besoffen torkelt sie durch die Partitur, findet die Töne irgendwie jeweils doch noch und scheint dabei über die Kurven zu schimpfen, die ihr der Komponist eingebaut hat («chut!»). Was Vesselina Kasarova tut, das tut sie ganz. Ein bisschen lustig, der Spur nach ernst, das ist nicht ihr Stil. Ihre unendlich sehnsüchtige Penelope in Monteverdis «Ritorno d’Ulisse» singt nicht nur ganz anders als die quirlige Rossini-Cenerentola – sie steht, geht und schaut auch an- ders. Und der Octavian in Strauss’ «Rosenkavalier» hat mit Massenets Charlotte nur eines gemeinsam: die vokal wie schauspielerisch ungemein klare, präzise Darstellung. Dabei setzt Kasarova sehr selten auf grosse Gesten; die Klarheit ergibt sich aus dem Detail, aus einem Blick, einer kleinen Umfärbung der Stimme, einem fast unmerklichen Zögern. So ist selbst die Betrunkenheit der Périchole weit mehr als blosser Klamauk – sie ist Kunst von höchster Lebendigkeit. Gold und Glitter Diese Kunst prägt die ganze OffenbachCD, die Kasarova nun zusammen mit dem Münchner Rundfunkorchester unter Ulf Schirmer herausgebracht hat. Der Glanz des Second Empire und die satirische Schärfe, mit der Offenbach diesen Glanz parodierte: in ihrem Gesang ist beides drin. Weil Vesselina Kasarova von stimmlichem Gold auf Glitter umschalten kann, wann immer sie will, weil sie exakt auf der Grenze zwischen virtuos und überkandidelt zu balancieren versteht. Und weil all dieses Gezielte, Durchdachte, Durchge- staltete ihrer Interpretationen nie bloss werden. «Ich kenne die Vorurteile: Bulgakalkuliert wirkt. rien – grosse Stimme – Brüllen – Tot», hat Vesselina Kasarova, geboren 1965 im sie kürzlich in einem Interview gesagt. Sie bulgarischen Stara Zabrüllt nicht einmal in den gora, hat schon immer gedramatischsten Ausbrüwusst, was sie wollte. 1984 chen, die selbstverständhatte sie bereits ein Dilich auch zu ihren Ausplom als Konzertpianistin drucksmöglichkeiten gein der Tasche; eine Aushören. bildung als Sängerin in SoDass Vesselina Kasafia folgte. 1989 erhielt sie rova heute zu den gefragam Zürcher Opernhaus eitesten Mezzosopranistinnen Zweijahresvertrag; nen gehört, erstaunt bei der ist längst ausgelaufen, ihren Fähigkeiten kaum. ihre Auftritte (nicht mehr Selbstverständlich ist es als 50 pro Jahr) hat sie auf dennoch nicht, zumal sie allen grossen Bühnen der sich nie den Gesetzen der Welt. Aber immer noch Vermarktung unterworlebt sie in Zollikon und fen hat. Sie spricht Klarsingt oft auf ihrer Heimtext, auch neben der bühne (in dieser Saison Bühne. So hat im vergandie Carmen, den Octavian genen Sommer ein Interund Rossinis «Italiana in Vesselina Kasarova. view in der «Zeit» für einiAlgeri»). gen Aufruhr gesorgt: Da Ihr Repertoire ist denkbar breit, aber erzählte sie von ihrem Kampf gegen CDausgerechnet slawische Partien kommen Covers, «auf denen ich nicht wiederzuerdarin kaum vor; die hat sie von vornherein kennen war». Sie bezeichnete es als Skangemieden, um nicht darauf festgelegt zu dal, dass sie für ein TV-Porträt nicht nur Geschenke in bulgarischen Waisenhäusern hätte verteilen sollen, sondern auch kochen, «was ich nie tue». Sie sprach von Kollegen, die dem stetig steigenden Druck nicht standhalten und zu Drogen greifen, und von Dirigenten und Regisseuren, die die Sänger zum Forcieren zwingen. (Auch von anderen sprach sie: Von Nikolaus Harnoncourt etwa, dem die Finessen wichtiger sind als die Lautstärke, oder von klugen Regisseuren wie Christoph Loy oder Martin Kusej). Vesselina Kasarova kann sich solche Kritik erlauben, oder besser: Sie erlaubt sie sich einfach, «weil ich den ganzen Affenzirkus nicht brauche». Denn sie bietet auf Bühne und CDs etwas, was nur wenige zu bieten haben: künstlerische Wahrhaftigkeit. Wie immer sie im Einzelfall auch klingen und aussehen mag. Am 12. März um 20 Uhr präsentiert Vesselina Kasarova zusammen mit dem Pianisten Kelly Thomas im Zürcher Kaufleuten einige Offenbach-Arien. Anschliessend ist sie im Gespräch mit Susanne Kübler zu erleben. Jacques Offenbach: Belle Nuit (RCA).