10 Sechstausender in 10 Tagen

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10 Sechstausender in 10 Tagen
10 Sechstausender in 10 Tagen
Hart war der Abschied von der restlichen Gruppe in Copiapo im nördlichen Chile. Doch ich wollte
noch einmal hinaus in die Atacama-Wüste, um dort mehrere 6000er zu besteigen. Das endgültige
Ziel kristallisierte sich nach den ersten Erfolgen heraus: 10 Sechstausender in 10 Tagen.
Doch zunächst stand Einkaufen auf dem Plan: Proviant und Kochgas für etwa 12 Tage, außerdem
40 Liter Reserve-Diesel, was zwar verboten, aber unerlässlich ist. Zwischen Copiapo und dem Paso
de San Francisco (Argentinische Grenze) gibt es nicht eine Tankstelle!
Am 8. Dezember ging es also wieder los, fast 300 km hinein in die Atacama, vorwiegend auf
Schotterstrasse. Etwa 20 km vor dem Pass bietet sich dem Auge eine willkommene Abwechslung
und zugleich touristische Hauptattraktion: die Laguna Verde, ein grüner See, außerdem heiße
Quellen, in denen man laut Prospektmaterial unbedingt gebadet haben muss! Tatsächlich erwarten
den Besucher ein paar veralgte Wasserlöcher, eine schäbige Hütte mit Unrat und zwei Toiletten im
Freien; den schützenden Blechverschlag hat der ewige Wind längst zertrümmert. Ansonsten gibt es
auf der Strecke ein paar Minen, zwei Polizeistationen und braune, vegetationslose Berge, soweit das
Auge reicht. Kein Wunder, dass sich kaum eine Menschenseele hierher verirrt. Auf der
Hauptstrasse sind täglich 3 bis 4 Autos unterwegs. Wer will sich hier schon freiwillig aufhalten?
Als ersten Gipfel hatte ich den San Francisco gewählt, direkt neben dem gleichnamigen Pass. Die
Auffahrt zum Roadend auf 5100 m wird nirgends als problematisch erwähnt. Doch schnell
entwickelte sich diese zu einer größeren Herausforderung als der Berg selbst. Die Fahrtrichtung
senkrecht zum Hang, Allrad auf untersetztem Getriebe, die Schotterscherben spritzten von allen vier
Rädern nach hinten. Vollgas … ein paar kleine Hüpfer ... aus ...verdammt! Sollte ich nun diesen
steilen Kartoffelacker, den schmalen Radspuren folgend, wieder rückwärts hinunter? Eine falsche
Lenkbewegung, eine Landung mit dem Fahrzeugboden auf einem großen Stein und das endgültige
Aus wäre besiegelt! Ich genehmige mir zehn Minuten Bedenkzeit. Schließlich richte ich unter allen
4 Rädern entlang der Spur große Steinplatten peinlich genau aus – ähnlich wie Porphyr auf Allgäuer
Terrassen. Ein Versuch. Tatsächlich: Der Jeep zieht durch!
Am Roadend baue ich ein Steinmännchen, ebne einen Zeltplatz, koche und versuche, im abendlich
abflauenden Wind einzuschlafen. Da der San Francisco neben dem Ojos del Salado die meisten
Begehungen aufweist, ist im oberen Teil sogar ein deutlicher Weg zu erkennen. Außer dem lästigen
Gegenanstieg nach der ersten Kuppe erwartet mich ein schöner Aufstieg. Die Aussicht genial, das
Wetter schön, ausnahmsweise kaum Wind! Beim Abstieg begegne ich einigen Gleichgesinnten. Sie
hatten 300 Hm tiefer geparkt und sich die nervenaufreibende Auffahrt erspart, waren aber schon
sichtlich erschöpft. Ob sie den Gipfel noch schaffen würden?
Da ich mir vorgenommen hatte, mich von Osten nach Westen, von 6000er zu 6000er vorzuarbeiten,
stand nun der Incahuasi an. Hierzu musste ich von der Internationalen Hauptstrasse abzweigen und
15 km durch ein flaches Tal nach Süden fahren. Dazu wollte ich mir noch einige Informationen
einholen und vor allem eine (Not-)Telefonnummer, für den Fall, dass ich irgendwo abseits mit
meinem Fahrzeug in Schwierigkeiten geraten sollte. So fuhr ich zurück zur Laguna Verde - doch
niemand war da - und weiter zur nahe gelegenen Polizeistation, wo ich zwei, vermutlich
strafversetzte Beamte antraf, aber feststellen musste, dass diese weder den Weg zum Incahuasi
geschweige denn den Gipfel selbst kannten. Nachdem sie mich als Bergsteiger identifiziert hatten,
wurde sofort meine Besteigungsgenehmigung geprüft und festgestellt, dass der Incahuasi für mich
nicht frei gegeben sei. Vor allem wiesen sie mich darauf hin, dass mein Genehmigungszeitraum am
nächsten Tag abgelaufen sei. Grund genug, sich in einem günstigen Moment möglichst schnell aus
diesen Räumlichkeiten zu verdrücken.
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Zügig führ ich los Richtung Incahuasi. Der erste Versuch, das Tal zu finden, endete in einer
Kiesgrube. Dann entdeckte ich zwei schwache Spuren, denen ich folgte. Der sandige und weiche
Untergrund verursachten ein unheimliches Fahrgefühl. Nach zwei Kilometern öffnete sich vor mir
eine riesige Talsenke. Wenn ich da nicht mehr hinauskomme? Der Mut verließ mich. Ich drehte um.
Den 6000er Incahuasi und damit auch den benachbarten El Fraile legte ich ad acta.
Stattdessen bestieg ich den Pena Blanca und Barrancas Blancas und peilte als nächstes Ziel den
Ermitano an. Zugegeben: die letzten 100 bis 250 Höhenmeter waren an jedem Berg anstrengend,
dennoch hielt ich es für vorstellbar, noch 10 bis 20 solche Gipfel durchzuhalten - wenn nur diese
Anfahrten nicht wären, welche die Psyche weitaus mehr belasteten. Nicht nur der Schotter und die
Steilheit entpuppten sich als Hindernisse, sondern vor allem der weiche Sand! Was tun, wenn das
Fahrzeug versandet?
Bei der Anfahrt zum Ermitano war es schließlich so weit. Es geschah, was nicht geschehen durfte!
Der Jeep sank mit den talseitigen Rädern so tief in den unendlich weichen Sand ein, dass das
Bodenblech satt auflag. Die Verzweiflung war groß, der nächste Abschleppdienst 280 km entfernt.
Zu Fuß würde ich bestenfalls nach 10 oder 20 km auf einen Menschen treffen. Und ob dieser mir
helfen könnte? Eine aussichtslose Situation. Was tun? Beten oder schaufeln? Am besten beides!
Resigniert und hoffnungslos beginne ich mit einem Spaten zu buddeln. Doch selbst dieser scheint
mir nicht gut gesonnen und droht auseinander zu brechen!
Nach einer Dreiviertelstunde liegt das Fahrzeug einigermaßen frei. In der Hoffnung, dass es sich
beim Starten nicht noch tiefer eingräbt, wage ich einen Versuch: untersetzter erster Gang, Gas, und
tatsächlich, das Fahrzeug rauscht aus dem "Sumpf". 6 m Fahrt … und schon stecke ich genauso
drinnen wie zuvor. Wieder schaufle ich etwa 45 Min. Es bleibt nur eine Richtung: Ich muss den
Hang ca. 100 Hm geradeaus hinunter, hinauf komme ich auf keinen Fall. Ich schaffe es, das
Fahrzeug im Sand schwimmend bergab zu lenken und treffe sogar auf eine Spur. Ich scheine
gerettet zu sein! Jetzt nur nicht zu langsam fahren, in „Schwung“ bleiben. Ein kleiner Buckel, das
Fahrzeug hebt sich kurz aus den Federn - wumm! Die Landung weich, aber „fest“. Der Jeep lässt
sich keinen Millimeter mehr bewegen! Der Sand ist unter dem Bodenblech festgepresst und schiebt
sich über die Achsen, die Hinterräder scheinen verbogen. Ist der Jeep jetzt auch noch kaputt? Wenn
ich nicht genau wüsste, dass es nichts bringt - ich würde durchdrehen! Zum dritten Mal fange ich an
zu graben, noch hoffnungsloser als zuvor: zunächst gebeugt neben den Türen, dann liegend unter
dem Auto. Der starke Wind peitscht die Sandkörner in mein Gesicht, der Mund fühlt sich trocken
und sandig an, die Augen beginnen zu verkleben. Ich habe zu wenig gegessen und getrunken, fühle
mich total erschöpft. Kurze Pause. Weiter geht´s. Wieder suche ich Steinplatten als Unterlage und
lasse Luft aus den Reifen, um die Auflagefläche zu vergrößern. Nach etwa einer Stunde starte ich
den ersten Versuch. Ein Wunder! Zügig fahre ich bis in den Talgrund, wo die Bodenoberfläche
etwas härter ist. Dort entdecke ich zwei dicke Holzbohlen, mit denen offensichtlich mal ein Jeep
"gerettet" worden war, und schnalle sie quer über meine Ladefläche.
Doch wohin nun? Die Talflanke wieder hinauf habe ich keine Chance. Auf der gegenüberliegende
Flanke führt der Weg zwar weiter, doch selbst wenn ich dort hinauf käme, stünde mir auf dem
Rückweg wieder der Unglückshang bevor. Wenn ich mich nach unten orientiere, erreiche ich die
Ebenen der beginnenden Laguna Verde und lande vermutlich im Sumpf! Also bleibt nur ein
Ausweg: im Talgrund entlang nach oben. Zum Glück finde ich eine Spur, die knapp nördlich des
Bachverlaufs empor führt. Nahezu mit Vollgas folge ich ihr, kleine Buckel überspringe ich.
Allmählich wird der Untergrund dunkler, Steine lösen den Sand ab, das tief eingeschnittene Tal
wird zum sanften Hochtal. Nach einer halben Stunde stehe ich am Roadend des Ermitano.
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Die letzten Stunden hatten mir jeglichen Mut geraubt, so dass ich eigentlich beschlossen hatte,
meine Unternehmung abzubrechen! Doch nun, am Fuß des Berges …? Doch eines war noch zu
klären: Ich musste sicher sein, dass ich auf dem Rückweg im Bereich des Hochtales von der
nördlichen auf die südliche Talflanke gelange. Wäre der Bachverlauf nur einen Meter steil
eingetieft, käme ich nicht zurück! Also noch einmal umdrehen und suchen! Tatsächlich fand ich
einen Weg, speicherte diesen auf GPS und konnte somit am folgenden Tag, den 12.12.12, beruhigt
den Ermitano angehen.
Die Einsamkeit ist eigentlich gut auszuhalten. Ich fühle mich nicht allein. Es ist, als ob immer
jemand bei mir wäre, als ob mir jemand sagt, was ich zu tun habe. Dabei handelt es sich immer um
Stimmen von Personen die ich von zu Hause gut kenne, Menschen die ich sehr schätze.
So bekomme ich Befehle wie "So, jetzt wird das Zelt aufgebaut" oder "Jetzt wird Travellunch
gekocht". Und jeder Befehl des „anderen“ wird widerspruchslos befolgt. Es herrscht Harmonie und
es gibt nie Streit!
Vier Sechstausender habe ich nun bestiegen. Das ist schon etwas, aber nicht genug, um zufrieden
nach Hause zu fahren! Doch die Vorstellung, noch mindestens eine Woche hier auszuhalten, plagt
mich. Nachts herrschen selbst im Zelt Minusgrade, tagsüber 30 Grad plus, alles ist voller Sand: der
Zeltboden, der Schlafsack, die Kleidung, und sobald man den Reißverschluss öffnet, bläst noch
mehr Sand ins Zelt. Durch die trockene Luft und Kälte beginnt die Haut an den Fingernägeln
einzureißen, trotz Sonnencreme bekomme ich offene Stellen an der Nase und auf der
Lippeninnenseite. Auch wenn die Wunden noch so klein sind, sie entzünden sich und schmerzen bei
jeder Berührung. Der Hals ist trocken, ich kämpfe mit Husten bis hin zu blutigem Auswurf.
Schließlich der Wind: der Lärm der unaufhörlich flatternden Zeltplanen, die ständige Befürchtung,
dass Tüten oder Kleidungstücke weggeweht werden, der aufwirbelnde Staub ... keine Gegend zum
Altwerden!
Mit den "leichten" 6000ern ist es nun vorbei, „hardcore“ ist angesagt. Zuvor tauche ich nochmals
zur gemäßigten Zivilisierung in die Laguna Verde ein. Das Bad in einem der Warmwasserlöcher
empfinde ich trotz der Algen als sehr angenehm. Den vollkommen verstaubten Pickup schleudere
ich solange mit Wasser aus meinem Kochtopf voll, bis die rote Farbe wieder zum Vorschein
kommt. Unterboden und Fahrgestell sind, soweit ich beurteilen kann, in Ordnung! Nur alles voll
Dreck! Nie würde ich in Copiapo einen Autoverleih betreiben - so wie diese Fahrzeuge beansprucht
werden! Zur Innenreinigung benutze ich meine lange Baumwollunterhose - endlich hat auch sie
eine Daseinsberechtigung.
Abschließend schießen mir zwei Feststellungen durch den Magen: Mein Trinkwasser ist nach den
ersten vier Gipfeln zur Hälfte aufgebraucht, und die Tankuhr steht auf Reserve! Plangemäß muss
nun den Tank nachfüllen und den Weg zurück nach Copiapo antreten! Das erste war kein Problem,
aber zurück nach Copiapo wollte ich nicht. Nein, Diesel und Wasser müssen noch reichen!
So ging ich mein nächstes Ziel an: den Ojos del Salado. Schließlich stand da noch eine Rechnung
offen: Vor einer Woche, als ich mit meiner Gruppe dort war, hatte ich wegen eines Infekts nur die
Höhe von 6200 m erreicht!
Die Anfahrt durch´s Ojos-Tal zum Atacama-Camp, dem Basislager am Ojos des Salado, kannte ich
ja schon. Die kritischen Passagen, zwei ca. 300 m lange Sandebenen, hatte ich bereits letzte Woche
mit voll beladenem Pickup bewältigt. So war ich voller Zuversicht, dass es auch heute klappen
würde.
Leider war ich auch hier allein; ein paar andere Bergsteiger hätten mich sicherlich motiviert. Doch
lediglich zwei Polizisten passierten das Lager auf ihrem Patrouillengang hinauf zur Tejoshütte, und
ein Füchslein, das nachts Essensreste in meiner Mülltüte suchte, erschreckte mich furchtbar.
Mein Ziel sind sportliche Begehungen, ohne Hochlager, ohne Fremdhilfe, mit möglichst wenig
Gepäck, was zwar ein größeres Risiko bedeutet, aber dafür Schnelligkeit ermöglicht, welche
wiederum Sicherheit bringt.
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Punkt 6 Uhr startete ich an dem Blechcontainer, wo ich statt eines Campwächters drei Kanister
Trinkwasser vorfand. Schon nach 1 Std. 18 Min. passierte ich die Tejoshütte (Hochlager auf 5800
m), und auf 6000 m empfingen mich bereits kräftige Sonnenstrahlen. Der Wind hielt sich in
Grenzen, so dass ich meine Daunenjacke, die schwere Berghose und die Skibrille unterwegs
deponierte. Nach dem messerförmigen Schneefeld, wo der Weg am schlechtesten ist, hatte ich ein
Tief: weiches Geröll, so steil, dass ich pro 2 Schritte vorwärts wieder einen zurück rutschte, raubte
mir die Kraft. Am sog. Kraterrand angekommen blickte ich entgegen meines Vorsatzes auf die Uhr:
3 Std. 55 Min. Schneller als gedacht. Dies spornte mich an. Ohne weiterhin Energie für später zu
sparen, ging ich nun aufs Ganze. Zunächst eine schöne Wegspur, dann unwegsame große
Felsblöcke, schließlich ein paar Klimmzüge am bereits installierten Fixseil - und schon kauerte ich
als keuchendes Bündel neben der Gipfelbuchschatulle: nach 1650 Hm und 4 Std. 22 Min. 30 Sek.
Nach insgesamt 6 Std. 10 Min. war ich wieder zurück im Basislager bei meinem Fahrzeug.
Sicherlich kein Rekord, aber dennoch eine der schnellsten Besteigungen des zweihöchsten Berges
von Amerika. Ich war zufrieden.
Nun sollte eigentlich ein Erholungstag folgen. War aber nicht möglich! Der geographisch
nächstgelegene El Muerto wartete. Der kleine Diesel-Rest im Tank erlaubte keine großen
Ausflüge. Wegen der unklaren Wegführung konnte ich erst bei Tagesanbruch starten. Etwa 2 km
ging es leicht bergauf-bergab zum eigentlichen Fuß des Berges, dann 1350 Hm über Kies und
Schotter steil bergauf, natürlich weglos. Außer am San Franzisco und am Ojos führt hier auf keinen
6000er ein deutlicher Weg. Meine Beine waren noch etwas schwer, die „Pumpe“ bescheiden
eingestellt, die Motivation mäßig. So erreichte ich um 13 Uhr den Gipfel und wurde mit einer
grandiosen Aussicht auf den Ojos, San Francisco, Erimitano, Tres Cruces … für die Qualen des
Aufstiegs entschädigt.
Ebenfalls an der Zufahrtstraße zum Ojos, ein Stück tiefer im Ojos-Tal gelegen, beginnt der 1150
Hm lange Weg auf den knapp über 6000 m hohen Vicunas. Der Aufstieg gelang erfolgreich und
problemlos, so dass ich das Ojos-Tal nun verlassen konnte und auf der Internationalen Hauptstrasse
ein gutes Stück Richtung Copiapo fuhr.
Als nächstes Ziel stand eines der größten Andenmassive auf dem Plan: die Tres Cruces, zu
deutsch: drei Kreuze. Das südlichste ist mit 6748 m der zweithöchste Gipfel im ganzen Gebiet; das
zentrale, lediglich 100 m niedrigere, gehört ebenfalls zu den ganz Großen, und im Nordwesten liegt
das „nur“ 6030 m hohe Tres Cruces Norte. Dieses kann man, laut Beschreibung, von Norden her bis
auf ca. 5200 m mit den Auto „besteigen“, für mich also gerade recht zur Erholung. Aber meine
immer noch ängstliche Haltung gegenüber weglosen, unbekannten Anfahrten sowie der knappe
Dieselvorrat sprachen gegen diese Variante. Stattdessen beschloss ich, mich dem Massiv von
Westen zu nähern und von einem Lager aus alle drei Gipfel anzugehen.
Schweren Herzens biege ich von der Internationalen Hauptstrasse ab, die so problemlos in vier
Stunden nach Copiapo unter eine warme Dusche führen würde. Die ersten drei Kilometer können
noch als Weg bezeichnet werden, doch dann lassen nur noch einzelne Reifenspuren die Richtung
vermuten. Nach weiteren zwei Kilometern taste ich mich wieder durch ein Areal voller Felsblöcke,
so groß, dass sie jederzeit den Unterbau meines Fahrzeuges zertrümmern könnten. Reifenspuren
sind hier kaum noch erkennbar. Der Mut verlässt mich. Wieder einmal genehmige ich mir zehn
Minuten Bedenkzeit, krame das Satellitentelefon heraus, um von zu Hause „Rat“ zu holen; dort ist
es jetzt 18 Uhr. - Zum Glück war meine Frau nicht erreichbar! Hätte sie gesagt "Dann komm halt
heim" - ich hätte aufgegeben!
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Doch das Wochenende stand bevor, der Rückflug ließ sich so schnell nicht organisieren, also war
die Entscheidung nicht schwer. Eine innere Stimme befiehlt: Schlüssel im Zündschloss drehen, Gas
geben und auf zum nächsten Gipfel! Unglaublich, fast noch 1000 Hm sollte mich das Fahrzeug
nach oben bringen! Mehrmals komme ich an´s Limit, spüre wie alle Viere durchdrehen oder bei
Schrägfahrten langsam nach unten aus der Spur driften. Doch die Schlüsselstellen erlauben kein
Anhalten, nur Mut, Gas, beherztes Lenken - und durch! Laut GPS schaffte ich es bis auf 5188 m sagenhaft! Dann die übliche Prozedur: Liegefläche schaufeln, im Kampf mit dem Wind das Zelt
aufstellen, ein Steinmännchen bauen (weil´s einfach Spass macht), das „Bett“ herrichten, vor dem
Einzug noch einmal pinkeln, Abendessen kochen, schließlich noch ein Blick aus dem Zelt: Der
Mond, nur aus einer ganz schmalen Sichel bestehend, verschwindet dort, wo sich auch die Sonne
zwei Stunden zuvor verdrückt hat. Orion geht auf, das Kreuz des Südens dreht sich im 24-StundenTakt, Canopus, Zentaur, die Magellanschen Wolken … kein einziges Flugzeug! Beeindruckend!
Vom Gipfel des Tres Cruces Sur, meinem ersten „Kreuz“, trennten mich 1560 Hm. Ich wusste, der
Weg würde hart werden, mein Körper baute allmählich ab. Doch ich wollte es schaffen!
Um 5 Uhr morgens breche ich auf. Eine sanft geschwungene Rinne führt 800 Hm hinauf in den
Sattel zwischen Sur und Central. Drei Stunden bin ich bis dorthin unterwegs - und schon ziemlich
müde. Nun muss es nach rechts oben weiter gehen! Aber wo? Das Gelände scheint mir einen
logischen Weg vorzugeben. Nach weiteren 2 1/2 Std. stehe ich auf einem Gipfel. Aber auf dem
falschen! Also wieder 100 Hm zurück, ein eisiges, glattes Schneefeld queren und drüben hinauf.
Äußerst mühsam geht es über unzählige schrankgroße Felsbrocken steil nach oben. Während einer
Pause entdecke ich, dass an meinem Rucksack der Reißverschluss des unteren Deckelfaches offen
ist. Der Autoschlüssel! Ich stecke meine Finger hinein! Nichts! Das darf doch nicht wahr sein!
Nichts! Schock! Plötzlich sehe ich den Schlüssel neben dem Rucksack zwischen Steinen liegen,
unmittelbar daneben führen tiefe Spalten in die Felsblöcke hinein. Glück gehabt!
Ohne den Schlüssel wäre nicht nur die Rückfahrt, sondern auch ein Anruf beim Autoverleih
unmöglich gewesen, da ich sicherheitshalber das Satellitentelefon und meine gesamten Papiere
einschließlich Geld im Auto eingesperrt hatte. Von nun an, so beschloss ich, wollte ich den
Schlüssel nicht mehr mit auf Tour nehmen, sondern unter einem Stein in Zeltnähe deponieren.
Der Gipfelgrat des Tres Cruces Sur entpuppt sich als ein riesiger Acker, bestehend aus bis zu 15 m
hohen Felstürmen. Mal links, mal rechts geht es an diesen vorbei. Nicht auszumachen, welcher der
höchste und somit der Gipfel sein könnte. Plötzlich, ganz hinten, sehe ich auf einem Türmchen
einen ca. 20 cm hohen Stab. Zehn Minuten später bin ich dort - am Gipfel, markiert mit einem
Teleskopstock, daneben die silberne Gipfelbuchschatulle.
Der letzte Eintrag stammt vom Januar 2012. Somit dürfte ich der zweite und vermutlich auch letzte
Besteiger in diesem Jahr sein. 2011 gibt es vier Eintragungen, in den Jahren zuvor noch weniger.
Die Besteigungsraten dieser 6000er sind sehr niedrig, manche betritt das ganze Jahr kein
menschlicher Fuß.
2005 hat die Banco de Chile für alle chilenischen 6000er Gipfelbücher spendiert, verpackt in
großen, mit Schaumstoff ausgelegten Aluminiumkoffern - eine großartige Aktion, die eine saubere
Dokumentation ermöglicht und jedem, der den Gipfel erreicht, ein menschliches Zeichen vermittelt,
einen Gruß von Gleichgesinnten, der das Alleinsein für kurze Zeit vergessen lässt. Leider wurden
offensichtlich nicht alle Gipfelbücher verteilt, zumindest auf drei Gipfeln konnte ich keine finden.
Ganze 8 Stunden habe ich vom Roadend bis auf den Gipfel des Tres Cruces Sur gebraucht. Frust!
Wieder zurück im Lager blätterte ich in meinen Beschreibungen: Als Gesamtbesteigungsdauer
werden mehrere Tage angegeben und bis zu zwei Hochlager empfohlen; vom fast 6000 m hohen
Sattel werden 8 Stunden bis zum Gipfel angegeben. Nach dieser Lektüre konnte ich mit meiner
Leistung doch noch zufrieden sein!
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Jetzt hatte ich "nur" noch der Tres Cruces Central und der Tres Cruces Norte vor mir. Um
Wegstrecke zu sparen, plante ich, den Central zu überschreiten und den Norte gleich anzuhängen:
insgesamt 1850 Hm! Doch für den folgenden Tag traute ich das meinem ausgezehrten Körper noch
nicht zu. Also gönnte ich mir einen Erholungstag, was gleichzeitig bedeutete, dass am 10. Tag beide
Gipfel "fallen mussten".
Während ich am Tres Cruces Sur zwei Paar Schuhe dabei hatte, beschloss ich, die letzten Gipfel nur
mit dem Salomon Speedcross - einem turnschuhähnlichen Outdoorschuh - anzugehen. An meinem
Hochtourenschuh Sportiva Evo hatten sich zwischenzeitlich beide Sohlen gelöst. An den
Gamaschen war der Stahlseilsteg, welcher unter der Sohle durchführt, durchgescheuert. Bei den 150
Euro teuren, ultraleichten Laufstöcken streikte konsequent das Gewinde, so dass ich immer wieder
mit zwei Teilen dastand. Bei meinem bisher kaum benutzten Salewa-Zelt lässt sich der
Reißverschluss nicht mehr richtig öffnen und der völlig unpraktisch konzipierte Zeltsack ist
zerrissen. Aus der ebenfalls nagelneuen Kinley-Schlafmatte entweicht die Luft (schon beim zweiten
Modell hintereinander), so dass noch dazu das Schlafen ziemlich unbequem geworden ist. Beide
Berghosen hatten bereits nach der ersten Felsberührung Löcher. Die Petzl-Tika-Stirnlampe ist so
schmal konzipiert, dass einem ständig die Batterien entgegenfliegen, beim Ein- und Ausschalten
opfert man stets Fingernägel. Bei der sündteuren Suunto X6 ist die Uhrzeit nicht klar erkennbar, der
Wecker ist zu leise, das Licht zu schwach, das Armband eingerissen. Die Scheibe meines neuen
Garmin-GPS-Gerät weist unzählige Kratzer auf, welche das Ablesen der Daten erschweren. Zwar
heizt mein ebenfalls neuer Primus-Eta-Solo-Kocher das Wasser extrem schnell auf, doch der
hochgelobte Piezozünder funktioniert nur jedes zehnte Mal und entfacht dabei eine luftballongroße,
gefährliche Stichflamme. Offensichtlich haben die Sportartikelhersteller vergessen, was Qualität
und Lebensdauer bedeuten.
Trotzdem ließ ich mich von meinem Projekt nicht abbringen und startete um 4 Uhr zum letzten
Aufstieg: noch einmal hinauf zum Sattel zwischen Sur und Central, dann weiter nach links,
Richtung Gipfelbereich, der in der Morgendämmerung schon eindeutig zu erkennen ist. Wind
kommt auf, die Temperatur beträgt minus 15° C. Meine Zehen beginnen, im Speedcross verdammt
kalt zu werden. Ich sehne die Sonne herbei. Noch 700 Hm bis zur höchsten Graterhebung des Tres
Cruces Central. Auf den letzten 150 Hm erwartet mich eine etwas heikle, aber nicht allzu schwere
Kletterei im II. Grad, zwischen brüchigen Felsen und steinhart gefrorenem Schnee. Nach 6 Stunden
erreiche ich den Gipfel. Der Ausblick von oben wird für mich immer interessanter: In acht
Richtungen sehe ich nun Berge, auf denen ich bereits gestanden bin.
Um die Mittagszeit sitze ich wieder tausend Meter tiefer im Sattel vor dem Tres Cruces Norte.
Wieder presse ich etwas zu essen in mich hinein, selbst das Trinken schmeckt nicht. Auch bei den
meisten anderen Touren habe ich nicht einmal 1 Liter getrunken! Nun steht der letzte Akt bevor.
Los geht´s! Nur 400 Hm! Doch diese werden mir nicht leicht gemacht. Der Kies ist weich, bis zu 10
cm sinke ich ein. Mühsam! Erst in der oberen Hälfte wird der Untergrund fester und normal
begehbar. Um 14 Uhr habe ich das geschafft, woran ich oft nicht mehr geglaubt habe: 10
Sechstausender in 10 Tagen!
Ich war glücklich, genoss den Blick auf die grandiose Gipfellandschaft und gönnte mir ein bisschen
Zeit, um „die versteckte Schönheit dieser zeitlosen Trostlosigkeit zu entdecken“ (Hermann
Kiendler). Der Rückweg zum Auto zog sich in die Länge, 6 km Geröllhänge unterhalb des Tres
Cruces Central waren noch zu queren, doch nichts konnte mich mehr aufhalten! Eine warme
Dusche, ein richtiges Essen und ein bequemes Bett in Copiapo waren in greifbarer Nähe ...
Toni Freudig, Dezember 2012
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Die 23 Sechstausender der nördlichen Puna de Atacama
(Umkreis bis max. ca. 80 km um die Laguna Verde)
13 Sechstausender sind von der Internationalen Hauptstrasse (Nr. 31) am besten zu erreichen:
San Francisco, Incahuasi, El Fraile, El Muerto, Ojos del Salado, El Ermitano, Pena Blanca,
Barrancas Blancas, Vicunas, Solo und die Tres Cruces (Norte, Central, Sur).
Eindeutige Anfahrts- und Aufstiegswege gibt es nur am San Francisco und Ojos del Salado,
doch auch hier ist das exzellente Beherrschen von Allradfahrzeugen Voraussetzung.
An allen anderen Gipfel (insbesondere durch die Täler Richtung Incahuasi, El Fraile oder Solo)
sollte man sich nie mit nur einem Jeep heranwagen, um sich in Notfällen gegenseitig Hilfe
leisten zu können. Durch Inanspruchnahme örtlicher Agenturen verringert sich das eigene Risiko.
Die Bergführer und Fahrer kennen jedoch i.d.R. nur die gängigen Strecken (z.B. Ojos oder
San Francisco).
2 Sechstausender befinden sich relativ weit südwestlich (60 km) und sind moderat zugänglich:
der Tres Quebradas und der isoliert stehende Cerro Copiapo
4 Sechstausender liegen zwar noch relativ nahe, erfordern jedoch sehr lange Anmärsche,
weshalb sie ggf. besser von argentinischer Seite anzugehen sind: Cazadero (auch Nevado
Walter Penck), Nacimiento, Del Viento und Medusa. Hier sind sich Kartenherausgeber und
Führerautoren allerdings nicht ganz einig: Laut AV-Karte heißt der Medusa auch del Viento,
während man bei Kiendler den Del Viento 10 km weiter südlich findet.
Diese Berge werden sehr selten besucht; laut Kiendler konnte der Nacimiento 1988 erst seine
zweite Besteigung verzeichnen.
4 Sechstausender liegen weiter im Norden der Laguna Verde, in einer der einsamsten
Anden-Regionen: El Condor (2003 von dem Deutschen S. Salzmann erstbestiegen),
Sierra Nevada (Erstbesteigung im Jahr 2000 von Amerikanern), Colorados und Vallecitos
(1999 von Argentiniern erstbestiegen)
Quellen:
Alpenvereinskarte 0/13. Nevado Ojos del Salado. 2004
Radehose, Eckehard. Traumberge Amerikas. 1996
Kiendler, Hermann. Die Anden. 2007
Biggar, John. The Andes. 2005
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Roadend am San Francisco
Auf dem San Francisco, dem ersten 6000er
Morgenstimmung am Aufstieg zum Pena Blanca
Blick von den Barancas Blancas zum TresCruces-Massiv
Blick von den Barancas Blancas zum Cerro Solo
Hier hilft nur noch schaufeln oder beten
Auf dem Ojos del Salado, dem fünften 6000er
Auf dem Tres Cruces Norte, dem zehnten
6000er
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