„Centre de Santé“ der Clemensschwestern in Kaduha, Ruanda von
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„Centre de Santé“ der Clemensschwestern in Kaduha, Ruanda von
Bernhard Tenckhoff Don´t forget Rwanda Die Missionsstation „Centre de Santé“ der Clemensschwestern in Kaduha, Ruanda von 1973 bis 2011 Engel für Afrika (Monika Pichol) 1 Impressum Herausgeber: Barmherzige Schwestern (Clemensschwestern) e.V. Gestaltung: Druckerei Stelljes, Münster Druck: Druckerei Stelljes, Münster Auflage: Erscheinungsjahr:April 2012 2 Farben Ruandas Die Flagge Ruandas wurde offiziell am 25. April 2001 Blau symbolisiert Glück und Frieden. Das Volk des eingeführt. Sie wurde von Alphonse Kirimobenecyo, Landes muss um den Frieden kämpfen, welches ihnen einem einheimischen Künstler und Techniker, entwor- das Glück und eine stetige wirtschaftliche Entwicklung fen: bringen wird. Grün symbolisiert die Hoffnung auf Wohlstand dank Die goldenfarbene Sonne und ihre 24 Strahlen stehen der ausgewogenen Nutzung der Kraft des Volkes für das Licht, welches allmählich das gesamte Volk Ruandas und der Ressourcen des Landes. erleuchtet. Dies setzt sich in die Einheit, Transparenz und Kampf gegen Ignoranz um. Gelb steht für die wirtschaftliche Entwicklung. 3 4 Inhalt Inhalt • Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 • Geben und empfangen - Gedanken zu einer Plastik aus Ruanda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 • Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 • 1. Teil: Ruanda 12 Geographie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Klima. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Flüsse, Nilquellen, Geologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Religion und Religiosität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Bildung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Gesundheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Markt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Wohnen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Ein Familientag auf dem Land . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Der Völkermord (Genozid) von 1994 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Zeugnisse christlicher Glaubensstärke. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 • 2. Teil: Die Missionsstation der Clemensschwestern 28 Der weite Weg nach Kaduha . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Wie alles begann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Das Centre de Santé wird eingerichtet. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 5 Inhalt Clemensschwestern nehmen die Arbeit auf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Ausbau des Centre de Santé. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Das neue Wohnhaus für die Schwestern wird errichtet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Der Genozid erreicht Kaduha. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Clemensschwestern verlassen Ruanda. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 Wiederaufnahme der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Das Flüchtlingslager von Kaduha. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Der Tod von Schwester M. Agnetis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Waisenkinder im Centre de Santé . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Besuche aus der Heimat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Kernsanierung des gesamten Areals. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 Die Gesundheitsreform in Ruanda. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 • 3. Teil: Vorbereitung zur Übergabe des Centre de Santé 64 Übergabe des Centre de Santé an die Teresian Carmelites. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .80 Weitere Unterstützung durch die Clemensschwestern und Ruandafreunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 • Schlussworte aus Münster und Kerala. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 • Schlusswort des Autors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 • Literaturhinweis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 • Kurzbiographie Bernhard Tenckhoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 6 Vorwort Vorwort Es waren zwei Freunde unseres damaligen Direktors Von 1973 bis 2010 war Schwester M. Milgitha dort; Vienenkötter, Bischof Gahamanyi von Butare und Pa- Schwester M. Ignatis mit zwischenzeitlicher Unter- ter Bettentrup, die uns Clemensschwestern gebeten brechung von 1973 bis 1982; Schwester M. Quirina, haben, eine Missionsstation in Ruanda zu gründen, ebenfalls mit kurzer Unterbrechung, von 1976 bis um den von Armut geplagten Menschen in dem Land 1998; insgesamt acht Monate, von 1978 bis 1979, war zu helfen. Da wir Clemensschwestern kein Missions- Schwester M. Ferdinande in der Station. Sie kam spä- orden waren und sind, wurde diese Bitte zunächst ter noch einmal für zwei Monate; Schwester M. Gil- eingehend diskutiert. Die Entscheidung für die Grün- truda ein Jahr, von 1982 bis 1983, und Schwester M. dung der Missionsstation fiel uns umso leichter, da Agnetis von 1985, mit zweijähriger Unterbrechung, bis sich Schwestern in unserer Gemeinschaft fanden, die zu ihrem Tod am 31.10.1995. bereit waren, nach Ruanda zu gehen. Eine neue Herausforderung in der Geschichte der Clemensschwes- Darüber hinaus erhielten die Schwestern viel unter- tern konnte beginnen. stützenden Besuch aus der Heimat. Schwester M. Milgitha gehört heute nicht mehr unserer Gemeinschaft Schwester M. Ignatis und Schwester M. Milgitha an. Für ihren Einsatz sei ihr an dieser Stelle gedankt. machten sich 1973, nachdem sie in Belgien einen Ebenso gilt der Dank allen Schwestern, Helfern und Französisch-Sprachkurs absolviert hatten, auf den Helferinnen für ihre unermüdliche, uneigennützige langen Weg in ein uns bis dahin weitestgehend unbe- und vielfach ehrenamtliche Unterstützung. Nament- kanntes Land. Nach ihrer Ankunft in Ruanda erlernten lich benennen möchte ich unsere „Afrikabeauftragte“, sie zunächst über sechs Monate in einer Schule der Schwester Mariata, und ihr danken für all ihre Unter- „Weißen Väter“ die Landessprache „Kinyarwanda“. stützung mit Herz und mit Hand. Mitte 1974 begannen sie die Arbeit im Centre de Santé (Gesundheitszentrum) Kaduha. Schwestern folgten in den nächsten Jahren. Mehrere Der demographische Wandel und der Zeitgeist machen auch vor uns Clemensschwestern nicht Halt. Der daraus resultierende, fehlende Nachwuchs und eine 7 Vorwort fortschreitende Überalterung stellen für viele Ordens- die „Congregation of Teresian Carmelites“ künftig die gemeinschaften eine große Herausforderung dar. So lebensnotwendige medizinische Versorgung der Men- müssen auch wir Clemensschwestern uns der Situati- schen in dem kleinen Bergdorf weiter gewährleisten. on stellen und uns von Einrichtungen trennen, die lan- Wir Clemensschwestern beendeten damit im März ge in unserer Obhut lagen. Ein schmerzlicher Prozess 2011, nach 38 Jahren, unseren Einsatz in dem schö- ist dies besonders immer dann, wenn sich eine solche nen, aber sehr armen Land. Wie wir es den indischen Einrichtung in einer der ärmsten Regionen der Welt Schwestern und unseren vielen Freunden in Ruanda befindet. In unserem Fall ist es das Gesundheitszen- versprochen haben, werden wir die Arbeit im Gesund- trum „Centre de Santé“ in Kaduha. Die gesundheits- heitszentrum Kaduha auch weiterhin beratend beglei- und altersbedingte Ablösung von Sr. M. Milgitha stand ten und mit Hilfe unseres Kreises der „Ruandafreun- an. Eine Clemensschwester, die in der Lage und de“ die Durchführung von sozialen Projekten finanziell bereit war, nach Ruanda zu gehen, konnte aus den unterstützen. vorgenannten Altersgründen nicht gefunden werden. Erschwerend kam hinzu, dass das Gesundheitsminis- Es ist mir eine große Freude, dass unser Ruanda- terium von Ruanda neue, weitergehende Anforderun- freund, Prof. Bernhard Tenckhoff, sich bereit erklärte, gen an die Arbeit in den Gesundheitszentren des Lan- die „38 Jahre der Clemensschwestern in Ruanda“ in des gestellt hat und wir diese neuen und erweiterten einem Rückblick zusammenzufassen. Für seine en- Aufgaben nicht mehr in vollem Umfang erfüllen konn- gagierte, ehrenamtliche Unterstützung über viele Jah- ten. Dem Gesundheitszentrum drohte deshalb die re bis heute sei ihm gedankt. Schließung durch das Ministerium. Das wollten wir mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln verhindern. Münster, im Januar 2012 Überglücklich waren wir Clemensschwestern daher, als es gelungen war, das Zentrum einer uns freundschaftlich verbundenen Ordensgemeinschaft aus In- Schwester Charlotte Schulze Bertelsbeck dien zu übergeben. Mit qualifizierten Schwestern wird Generaloberin 8 Geben und Empfangen Gedanken zu einer Plastik aus Ruanda Der Empfangende greift nicht gierig zu, sondern würdig, zurückhaltend, so, als wolle er sich erst vergewis- Zwei Menschen hocken am Boden. Der eine bietet sern, dass er sich nichts vergibt und dass er mit der eine Schale dar, der andere greift hinein – zögernd. Aufnahme der Gabe seine Freiheit nicht verliert. Er ist zurückgelehnt, aber gerade dadurch ganz offen für die Die Figuren sind stilisiert. Alles Unwesentliche ist weg- Bewegung des anderen. gelassen. Sie können alt oder jung sein, Mann oder Frau, arm oder reich. Es sind einfach zwei Menschen, Bemerkenswert: Keiner sieht auf die Gabe. verbunden durch eine Gabe. Aber die Haltung der bei- Ist diese im Grunde nebensächlich? den Menschen ist sehr ausdrucksstark. Die eigentliche Begegnung dieser beiden Menschen Schauen wir beide Figuren an: findet oberhalb der Schale statt. Sie sehen einander Derjenige, der die Schale anbietet, hat nicht die Hal- ins Angesicht und begegnen sich mit den Augen. tung eines Gebenden. Nicht von oben herab gibt er, sondern von unten herauf. Er hat sich auf das Niveau Der Gebende gibt sich selbst und er meint den an- des Empfängers begeben. Ja, seine Haltung ist so de- deren. Der Empfangende scheint zu fragen: Meinst mütig, dass man ihn für einen Bettler halten könnte. du mich? Und mit dem langsamen Griff in die Schale empfängt er den anderen. Wäre die Schale nicht gefüllt, so könnte man annehmen, der Gebende sei der Empfangende und der an- Die beiden Gestalten sind eine Anfrage an uns: dere würde etwas in die Schale hineinlegen. Wie ist unsere Haltung, wenn wir Menschen etwas geben? Geben wir ein Almosen von oben herab? Sind Gespannt, fast bang, schaut der Gebende den ande- wir uns bewusst, dass bei einer Begegnung im Grunde ren an, so, als hinge für ihn alles davon ab, ob der jeder gibt und empfängt? Sehen wir, wenn wir geben, andere zugreift und die Gabe wertschätzt. das Angesicht des anderen? Meinen wir wirklich ihn? 9 Geben und Empfangen Wahrscheinlich haben wir noch manches zu lernen, im Geben und im Empfangen, damit wir Gastgeber und Gäste sein können. Begegnung zwischen der stellvertretenden Generaloberin, Schwester Margret Trepmann, und Nathalie Mukamazimpaka, die 1981 in Kibeho, Ruanda, mehrere Erscheinungen unserer „Jungfrau und Gottesmutter Maria“ hatte. Einführung Einführung Ein altes ruandisches Sprichwort sagt: Ruanda vielfach wie im Paradies. Das Land vermittelt dem Reisenden den Eindruck einer friedlichen Welt „Ganz gleich, wo der liebe Gott sich tagsüber auf- im Einklang von Mensch und Natur mit dem Schöpfer. hält, nachts kommt er immer zum Schlafen nach Auf den zweiten Blick erkennt man aber recht schnell Ruanda.“ die ständige Präsenz der bitteren Armut, besonders unter der Landbevölkerung. Mit ihrer tiefen Religiosi- Wer einmal das landschaftlich wunderschöne Ruanda tät besteht sie den täglichen Kampf ums Überleben. bereist hat und in die strahlenden Augen der Kinder Nur sehr langsam entwickelt sich unter der von vie- blicken konnte, der versteht dieses Sprichwort nur zu len Stammesfehden heimgesuchten Bevölkerung ein gut. Fühlt man sich doch im ländlichen Bereich von - für unsere Sichtweise der Grundbedürfnisse des 10 Menschen - entsprechender Lebensstandard. Der notwendigen Übergabe der Station an eine indische seit wenigen Jahren mit vielen Fremdmitteln erreichte Ordensgemeinschaft konnte die Zukunft des Centre Aufschwung in der Hauptstadt Kigali hat derzeit einen de Santé zum Wohle der armen Landbevölkerung ge- starken Preisanstieg zur Folge. Das führt indirekt zu sichert werden. einer weiteren Verarmung der Landbevölkerung, da viele Güter für diese Menschen unerschwinglich wer- Mit dieser Schrift soll versucht werden, das 38 Jahre den. Sie erhalten im Gegenzug für ihre einfachen land- dauernde segensreiche Wirken der Clemensschwes- wirtschaftlichen Produkte aber nicht mehr Geld. Erst tern auszugsweise zusammenzufassen. Zunächst soll mit den Jahren, so ist zu hoffen, wird ein akzeptabler dem Leser jedoch Ruanda mit seiner Landschaft, sei- Wohlstand auch außerhalb der Hauptstadt ankommen. nen Menschen, deren Religiosität und Kultur, näher Die Landbevölkerung wird daher noch sehr lange auf gebracht werden. Im zweiten Teil wird versucht , einen fremde -unsere- Hilfe angewiesen sein. Erschwerend repräsentativen Überblick über die Besonderheiten zum genannten Entwicklungsprozess kommt noch die des Centre de Santé Kaduha (in der Zeit ab 1973) zu tiefe Kluft, welche der Völkermord (Genozid) von 1994 geben, um im dritten Teil die künftige Ausrichtung zu zwischen den bedeutenden Stämmen des Landes beschreiben. aufgerissen hat. Nach dem Genozid war im Nationalmuseum zu lesen: Wann kann Gott wieder in Ruanda schlafen gehen? Es bleibt zu hoffen, dass der eingeleitete Versöhnungsprozess den Stämmen auf längere Sicht ein Leben miteinander ermöglicht. Das dürfte ein sehr langwieriger Prozess sein, der immer wieder von aufflammenden Zwistigkeiten unterbrochen werden könnte. Die Missionsstation der Clemensschwestern ist von diesen politischen Wirren nicht verschont geblieben. Während des Genozids musste die Station für kurze Zeit verlassen werden. Unmittelbar nach dem Krieg wurde die Arbeit jedoch fortgesetzt. Durch den Genozid hat sich der Arbeitsalltag im Gesundheitszentrum allerdings verändert. Die große Zahl der Flüchtlinge in der Region Kaduha führte über einige Monate zu einem kräftezehrenden Einsatz, der die Schwestern an den Rand ihrer Belastungsfähigkeit brachte. Aller Einsatz hat aber erkennbare Früchte getragen, denn heute ist das Centre de Santé in der Region Kaduha die „Hilfsstation“ in allen gesundheitlichen Angelegenheiten. Täglich kommen viele hilfsbedürftige Menschen dorthin. Oft gehen sie dafür weite Wege. Mit der Das Leben der Landbevölkerung in der Region Kaduha ist von Einfachheit und Armut geprägt. 11 1. Teil: Ruanda Ruanda, ein Land im Herzen Afrikas: Sanfte, grüne Hügelketten durchziehen Ruanda, un- Kaum größer als ein Herz, gemessen an der terbrochen von weiten Flusstälern. Das Klima ist früh- Größe dieses Kontinents. linghaft mild, die Menschen sind sehr freundlich. Die Ein Land, in dem einst Milch und Honig flossen. vielen Kinder des Landes begegnen einem Fremden - Und Blut - immer mit einem lachenden Gesicht. Ruanda ist aber (Hanna Jansen) eben auch ein sehr armes Land, seine Bevölkerung lebt fast ausschließlich von der Landwirtschaft. Die winzigen bäuerlichen Betriebe reichen heute kaum zur Selbstversorgung der Familie. Handwerk, Handel und Industrie sind nur wenig entwickelt, Ruanda hat keine nennenswerten Bodenschätze. Der einzige Reichtum Ruandas sind seine Kinder. Durchschnittlich acht Kinder haben die ruandischen Familien; sie gelten noch heute als Segen und Glück der Familie. Die ruandischen Staatsgrenzen waren bereits vor dem Auftreten der europäischen Kolonialmächte weitgehend gefestigt. Unter der Regentschaft von Kigeri Rwabugiri, der von 1853 bis 1895 in Ruanda als König herrschte, setzten sowohl begrenzte regionale Expansions- als auch staatliche Zentralisierungstendenzen ein. Vormals autonome, kleinere Regionen im Westen und Norden wurden dem Herrschaftsgebiet Rwabugiris einverleibt, die staatliche Macht zentralisiert. Außerdem begann innerhalb des Herrschaftsgebiets eine stärkere Differenzierung der Bevölkerungsgruppen. 12 Ruanda Ruanda Dabei erlangte die überwiegend mit Viehzucht befasste lonialherren banden die Tutsi als lokale Machtträger in Volksgruppe Batutsi, „Tutsi“ genannt, die im 15. Jahr- das System ihrer indirekten Herrschaft ein. hundert von Nordosten eingedrungen war, mit ihren nur 12 % zunehmend Macht über die Ackerbauern Bahutu, Im Verlauf des Ersten Weltkriegs übernahmen die Bel- die als „Hutu“ bezeichnet werden, und mit etwa 87 % gier nach einer Reihe begrenzter Gefechte faktisch die die Mehrheit der Bevölkerung stellen. Die „Twa“ (1 % Macht in Ruanda, noch bevor sie ihnen 1919 in der Pa- der Bevölkerung) genannte, dritte Gruppe (Batwa), die riser Friedenskonferenz offiziell zugestanden und Ru- als Jäger und Sammler lebten, spielten bei dieser Ver- anda 1923 vom Völkerbund zum Machtgebiet Belgiens änderung der Herrschaftsbeziehungen keine Rolle. Im erklärt wurde. Die Belgier setzten die indirekte Herr- Reich Rwabugiris entwickelte sich der Begriff „Tutsi“ schaft fort. Auch sie hielten die ungleiche Machtvertei- mehr und mehr zu einem Synonym für Angehörige lung zwischen Hutu und Tutsi für das Ergebnis einer der herrschenden Schicht eines sich herausbildenden rassischen Überlegenheit der Tutsi. Die neuen Kolo- Zentralstaats, während der Terminus „Hutu“ zum Na- nialherren führten ein System der Zwangsarbeit ein, men für die Gruppe der Beherrschten wurde. mit dessen Hilfe sie das Land wirtschaftlich ausbeuten wollten. Sie individualisierten zudem die Ansprüche Mit Beginn ihrer Kolonialherrschaft (1899–1919) in- ihrer Macht gegenüber den Einzelnen, indem sie den terpretierten die Deutschen die abgestuften Sozialbe- Einfluss von Clans durch Verwaltungsreformen zu- ziehungen in Ruanda auf der Basis der rassistischen, rückdrängten. Zu den folgenreichsten administrativen in Europa entwickelten Hamitentheorie. Sie gingen Maßnahmen der Belgier gehörte 1934 die Ausstellung davon aus, die Tutsi seien vor Jahrhunderten in das von Ausweispapieren im Gefolge einer Volkszählung. Gebiet der Afrikanischen Großen Seen eingewander- Diese Dokumente fixierten die ethnische Zugehörig- te Niloten, die kaukasischen, und damit europäischen keit jedes Einzelnen, war er nun Twa, Hutu oder Tutsi. Völkern, verwandt seien. Dies begründe ihre Herr- Die ethnische Zuordnung aller Ruander war fortan in schaft über die als weniger hoch stehend wahrgenom- Verwaltungsregistern festgeschrieben. Die Unterschei- menen „negriden“ Ethnien Zentralafrikas, zu denen in dung der Menschen nach sozialem Status und wirt- den Augen der Deutschen die Hutu gehörten. Die Ko- schaftlichen Aktivitäten wurde zu einer nach Rassen. Ruanda 13 In der Zwischenkriegszeit förderte die katholische Ruanda ist mit 349 Einw./km² der am dichtesten be- Kirche in ihren Missionsschulen die Tutsi stärker als völkerte Staat in Afrika (Deutschland 232 Einw./km²). die Hutu. Diese schulische Ausbildung bot den Tutsi Er grenzt an Burundi, die Demokratische Republik die Perspektive, in die Landesverwaltung einzutreten, Kongo, Uganda und Tansania. denn der Unterricht in Französisch bereitete sie darauf vor. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wan- Mit einer Größe von 26.338 km² ist Ruanda so groß delte sich das Selbstverständnis der Missionare. Sie wie das Saarland und Mecklenburg-Vorpommern zu- verstanden sich zunehmend als Helfer und Sprach- sammen (NRW 34.078 km²). Die inzwischen über 10 rohr der unterprivilegierten Hutu, nicht mehr als För- Millionen Menschen (Stand 2010) leben überwiegend derer der Tutsi-Elite. Die Schulen boten verstärkt auch auf dem Land. Etwa zwölf Prozent (Stand 2010) der für Hutu den Zugang zu westlicher Bildung. Der ent- Bevölkerung leben in den Städten. stehende Hutu-Klerus gehörte zur Elite der Hutu, die zunehmend ein Gegengewicht zur Tutsi-Herrschaft Die Versorgung der Menschen mit Lebensmitteln und bildete und auf politische Teilhabe und Demokratisie- die medizinische Betreuung sind mit die größten Prob- rung des Landes drängte. leme Ruandas. Besonders bei der medizinischen Betreuung ist Ruanda auf die aktive Unterstützung durch qualifizierte Kräfte aus dem Ausland angewiesen. Ein 14 Ruanda großes gesundheitliches Problem ist Aids. Viele Men- von diesem Aufschwung in der Hauptstadt bisher noch schen fallen der Krankheit zum Opfer. Als eine der Fol- nicht. Deshalb muss gesagt werden: gen steigt die durch den Krieg bereits hohe Zahl von Waisen- und Straßenkindern weiter an. Ein nationales „Was Ruanda heute vorgibt zu sein, Krankenversicherungssystem befindet sich derzeit im und was Ruanda wirklich ist, Aufbau. Dies wird zu einer Ausweitung und Verbesse- sind immer noch zweierlei.“ rung der medizinischen Betreuung führen und letztlich die Gesundheitsquote positiv beeinflussen. Es bedarf noch der Aufbauarbeit vieler Jahre, bis das Land eine volle Selbstständigkeit bei vertretbarem Le- Inzwischen sind gut acht Prozent der Bevölkerung bensstandard für alle Bürger hat. Die extreme Über- mit elektrischem Strom versorgt, mit Wasser sind es bevölkerung verlangsamt diesen Prozess sehr. derzeit etwa neun Prozent (Stand 2010). Trotz dieser erschreckend niedrigen Zahlen gehört Ruanda zu den Da Ruanda ein fast reines Bergland ist, lassen sich aufstrebenden Ländern in Afrika. Ruanda entwickelt landwirtschaftliche Arbeiten nicht mit Maschinen sich zur Finanzdrehscheibe von Zentralafrika. In der durchführen. Somit wird alles in mühevoller Handar- Hauptstadt Kigali eröffnen derzeit große internationa- beit getätigt. Die Arbeit auf den Feldern erledigen fast le Banken ihre Filialen. Es fehlt dem Land jedoch an ausschließlich die Frauen. Die Kinder hüten das Vieh, Investitionen durch ausländische Industrieunterneh- holen Wasser und gehen in die Schule. Zum Spielen men. Dies ist zum großen Teil Folge der seit Jahren bleibt ihnen wenig Zeit. Für viele Eltern ist es schwer, andauernden Energiekrise und der damit fehlenden das Schulgeld zu bezahlen. Da sind die Menschen Versorgungssicherheit. Die Landbevölkerung profitiert auch auf Spenden aus dem Ausland angewiesen. Das immer grüne Land der 1000 Hügel Ruanda 15 Das Schulsystem befindet sich, als eine Folge der Kolonialherrschaften, noch immer im Aufbau. Auch hier ist das Land auf Hilfe von außen angewiesen. Viele Menschen im Land leben von Gelegenheitsarbeit. Die Arbeitslosenquote liegt nach vorsichtigen Schätzungen bei über achtzig Prozent. Das Bemühen der Regierung, Arbeitsplätze zu schaffen, ist ein langwieriger Prozess. Trotz dieser finanziellen Notlage und der hohen Arbeitslosigkeit ist die Kriminalitätsrate gering. Fremde können sich im Land sicher fühlen. Hauptsächlich die ungünstige Lage und fehlende Attraktionen sind es, die Touristen davon abhalten, nach Ruanda zu kommen. Auch hier ist die Regierung um eine Verbesserung bemüht. Berggorillas sind eine der wenigen touristischen Attraktionen Ruandas. Geographie Klima Der Großteil Ruandas ist ein Hochland mit einer Aufgrund der Höhe ist das Klima trotz der Äquatornähe durchschnittlichen Seehöhe von 1.500 Metern. Der eher mild-feucht. Das heiße äquatoriale Tageszeiten- gesamte Höhenbereich reicht von etwa 1.000 Metern klima wird vom jahreszeitlichen ostafrikanischen Klima bis zum 4.507 Meter hohen Karisimbi, einem der Vul- überlagert und durch die große Höhenlage gemildert. kanberge im Norden. Von der ostafrikanischen Küste Die mittlere Tagestemperatur liegt bei 24 °C, in den ist das Land 1.200 Kilometer entfernt, dient aber we- Trockenzeiten bei 28 °C. Es gibt keine größeren Tem- gen seines guten Straßennetzes dennoch dem Transit peraturschwankungen übers Jahr, doch variieren die für manche Exporte aus der Demokratischen Republik Temperaturen mit der Höhenlage. Es gibt zwei Regen- Kongo. zeiten, entsprechend den ostafrikanischen Monsunregen etwa zwischen September und Dezember (durchschnittlich 27 % der Jahresniederschlagsmenge) sowie zwischen Februar und Anfang Juni. Zwischen März und Mai fallen 40 % der jährlichen Niederschläge. Das Klima und vor allem die Niederschläge weisen jedoch große Unregelmäßigkeiten auf. Anormale Trockenzeiten, überreichlich Regen und Hagel bedrohen immer wieder die Ernten und sorgen für Hungersnöte. Ruanda liegt unmittelbar unter dem Äquator. Das bedeutet eine Tag-und-Nacht-Gleiche mit Sonnenaufgang um 6.00 Uhr und Sonnenuntergang um 18.00 Uhr. Es gibt keine Dämmerung: Mit dem Sonnenuntergang bricht binnen Minuten die schwarze Dunkelheit herein, mit Teilweise aktive Vulkane im Grenzgebiet zum Kongo 16 Ruanda Sonnenaufgang ist heller Tag. Flüsse, Nilquellen und Geologie gischen Kolonialzeit) und seit 1994 Englisch, das vor In einer Höhe von 3.000 - 4.000 Metern verläuft die af- allem von den aus Tansania und Uganda zurückkeh- rikanische Hauptwasserscheide zwischen den Quell- renden Langzeitflüchtlingen eingeführt wurde. In den gebieten des Weißen Nil und des Kongo. Den größten Handelszentren wird auch das ebenfalls zu den Ban- Teil von Ruandas Westgrenze bildet der Kiwusee, der tusprachen gehörende Kisuaheli gesprochen, das in zum System der ostafrikanischen Grabenbrüche ge- Ruanda aber nur als Fremdsprache erlernt wird. hört und daher sehr tief ist. Im Grenzgebiet zum Kongo und zu Uganda liegen die bis 4.500 Meter hohen Im Oktober 2008 erklärte die Regierung, dass in den Virunga-Vulkane, auf denen in mittlerer Höhe die sel- kommenden Jahren der Schwerpunkt im ruandischen tenen Berggorillas leben. Im Osten bilden die ausge- Bildungswesen vom Französischen auf das Englische dehnten Akagera-Sümpfe und eine lange Reihe von verlagert werden solle. 2009 wurde dies umgesetzt. Seen eine natürliche Grenze zum heutigen Tansania. Schulprüfungen und Unterricht finden beispielsweise in englischer Sprache statt. Damit wird angestrebt, Ruanda wird von zwei Nilzuflüssen geprägt, dem vom das Land politisch und wirtschaftlich enger an Ostafri- Burundi-Grenzgebiet kommenden Akanyaru und dem ka zu binden. im südwestlichen Bergland entspringenden Nyabarongo. Letzterer entspringt als Rukarara auf 2.700 Metern Seehöhe nahe der Wasserscheide zum Kongo und Religion und Religiosität fließt wie sein Nebenfluss Mwogo zunächst von Süd Religion nach Nord, um sich dann unweit der Virunga-Vulkane Der einheimische Ahnenkult - Ryangombe - tritt zwar nach Südosten zur Hauptstadt Kigali zu wenden. Die- öffentlich nicht in Erscheinung, wird jedoch neben den se abrupte Laufänderung erklärt die Geologie durch später eingeführten Religionen von einem beträcht- tektonische Verschiebungen der Erdkruste bei der lichen Teil der Bevölkerung weiterhin praktiziert. Es Entstehung des Ostafrikanischen Grabens und der handelt sich dabei ebenfalls um eine monotheisti- Virunga-Vulkane. sche Religion mit einem Schöpfergott - Imana - und einer großen Persönlichkeit - Ryangombe -, der ein Der bei Kigali bereits schiffbare Nyabarongo und der Mittler und irdischer Repräsentant Gottes war. Wegen Akanyaru vereinigen sich südlich der Stadt auf etwa der gewissen Parallelen zu Jesus waren die Ruander 1.500 Metern Höhe zum Akagera, der das Land nach während der Kolonialzeit vergleichsweise leicht für Osten durchquert und nach Passage des Rugwero- den christlichen Glauben zu gewinnen. Im Norden des Sees auf etwa 250 Kilometer die Landesgrenze zu Landes - wie auch in Uganda und der Demokratischen Tansania bildet. Der hier nordwärts gerichtete Fluss Republik Kongo - gibt es noch den Nyabingi-Kult, in knickt am Dreiländereck zu Tansania und Uganda dessen Mittelpunkt eine Frau steht. abermals scharf nach Osten ab, um später in den riesigen Victoriasee zu fließen. Protestanten, gegenwärtig bis zu 38 %, sind durch zahlreiche verschiedene Kirchen vertreten (darunter Anglikaner, Presbyterianer, Adventisten, Methodisten Sprache sowie Baptisten). Die Muttersprache nahezu aller Ruander ist die Bantusprache Kinyarwanda. Etwa 88 % der Einwohner Schon seit der deutschen, vor allem aber seit der beherrschen ausschließlich diese Sprache. Weitere, belgischen Kolonisation nach dem Ersten Weltkrieg, offizielle Amtssprachen sind Französisch (seit der bel- wurde das Land christlich missioniert, was zu einer Ruanda 17 Dominanz des Katholizismus führte, dem kurz vor Aber auch andächtig: dem Völkermord etwa zwei Drittel der Bevölkerung In den Reihen sitzen dicht gedrängt Männer, Frauen, angehörten, gegenwärtig bis zu 55 %. Charismatische Jugendliche und Kinder. Die Kirchenlieder kennen Gruppen und viele neue Kirchen (Wiedergeborene schon die Jüngeren auswendig und singen kräftig mit. Christen und Erweckungskirchen) hingegen konnten Die Menschen haben ein Verlangen nach Religion, die sich seit dem Völkermord im Land ausbreiten. Kirchen sind gefüllt. In den Gemeinden der Hauptstadt Erste Muslime kamen mit arabischen Sklavenhändlern gibt es bis zu fünf Messen am Sonntag. In vielen Ge- Ende des 19. Jahrhunderts ins Land, doch erst mit der meinden müssen die Menschen vor der Tür stehen, deutschen Kolonialmacht ließen sich ostafrikanische weil die Kirche zu klein ist. Muslime nieder. Zum Islam bekennen sich inzwischen mindestens 4 % der Ruander. Einige Pfarreien in Ruanda haben bis zu 50.000 Christen. Da die Bevölkerung im Land ständig wächst, werden auch immer mehr Kirchen erforderlich. Zum Religiosität Glück gibt es viele Berufungen und somit jedes Jahr In Gott verwurzelt: eine große Zahl von Neupriestern. Doch die Kirchen in Alltag in den Dorfkirchen von Ruanda: Es herrscht ein Ruanda leben auch vom Engagement der Gläubigen. reges Kommen und Gehen in der Kirche. Die Seiten- Zahlreiche Menschen sind in das christliche Leben türen der einfachen Backsteinkirchen stehen während eingebunden. Viele haben sich christlichen Gemein- des gesamten Gottesdienstes offen. Von draußen schaften angeschlossen. Einige Gruppen treffen sich dringen der Geruch von Feuer, das Meckern von Zie- regelmäßig zum Gebet in der Kirche. Andere sind als gen und das Lachen von Kindern hinein. Wenn ein Katecheten tätig und übernehmen verschiedene Auf- Handy klingelt, verlässt der Besitzer zum Telefonieren gaben innerhalb der kleinen Basisgemeinden: Sie sind die Kirche und kommt kurze Zeit später zurück. Frau- als Gruppenleiter tätig, unterweisen die Menschen im en wickeln in den Bänken ihre Babys, Kinder laufen christlichen Glauben, helfen bei der Lösung von Kon- vor die Tür und klettern auf oder unter den Jeep des flikten und organisieren Hilfe für Witwen und Waisen. Pfarrers. Es geht lebhaft zu im Gottesdienst in den Dorfkirchen von Ruanda. Bildung Besonders die jungen Menschen in Ruanda sind sehr intelligent und wissbegierig. Sie nutzen jede sich bietende Möglichkeit, zur Aus- oder Weiterbildung, erhoffen sie sich davon doch eine Verbesserung der Lebensqualität für sich und ihre Familien sowie einen sicheren Arbeitsplatz. Die öffentlichen Bildungsausgaben betrugen 4,1 % des Bruttoinlandsproduktes im Jahr 2008. 70 % der erwachsenen Bevölkerung kann lesen und schreiben, wobei der Anteil an Analphabeten bei den Frauen höher liegt. Öffentliche Grundschulen sind gebührenfrei Bei den Gottesdiensten am Sonntag sind die Kirchen stets bis zum letzten Platz gefüllt. 18 Ruanda geworden. 94 % aller Jungen und 97 % aller Mädchen besuchen wenigstens für einige Jahre die Grund- Gesundheit Da eine Frau, wie bereits gesagt, um die acht Kinder zur Welt bringt, bestehen Pläne auf politischer Ebene zur Einführung einer „Drei-Kinder-Politik“. Das fällt, gemäß der Grundeinstellung der katholischen Kirche, den kirchlichen Gesundheitszentren schwer. Die katholischen Bischöfe von Ruanda haben gegen das nationale Projekt ihr Veto eingelegt. „Kinder zählen bringt Unglück“, sagt ein ruandisches Sprichwort, und „Wo sieben satt werden, reicht es auch für ein achtes.“ Aber eben diese völlig überalterte Einstellung beschert nicht nur Ruanda, sondern ganz Afrika zunehmend Die Schüler müssen immer in der Schuluniform zum Unterricht erscheinen. Mittags gibt es in den Sekundarschulen ein einfaches Essen. Probleme. Mehr als zwei Drittel der Bürger in Ruanda sind unter 18 Jahre! Diese Jugend braucht eine reelle Perspektive. Wird, was zu erwarten ist, in Ruanda schule (Stand 2010). Für die sechs Jahre dauernde nicht die Produktivität nennenswert gesteigert, so wird Grundschule besteht inzwischen Schulpflicht. Daran mit den Jahren aus der Jugendarmut eine Altersarmut anschließend besteht die Möglichkeit eines Besuches mit allen gesellschaftlichen und sozialen Folgen ent- der drei bis sechs Jahre dauernden Sekundarschule, stehen. In mehreren Ländern Afrikas geht dazu die welche entweder zum Besuch einer Universität berechtigt oder eher berufsbildenden Charakter hat. Da die Sekundarschule schulgeldpflichtig ist, kann sie nur von wenigen Kindern besucht werden. Die Schulklassen sind mit bis zu 50 Kindern völlig überfüllt. Die Kinder sind verpflichtet, eine einheitliche Schuluniform zu tragen. Für die Schulkleidung und das Lernmaterial müssen die Eltern aufkommen. Das ist gerade in den armen ländlichen Regionen vielen Eltern nicht möglich. Es gibt eine Universität und eine Technische Hochschule, an der der Autor dieser Dokumentation über Jahre das Themenfeld „Ingenieurmanagement“ lehrte. Kinder werden im ländlichen Bereich noch immer als der Reichtum der Familien angesehen. Ruanda 19 Jugend bereits auf die Straße. Sie fordert verstärkt ein Recht auf angemessenen Wohlstand durch Arbeit. Unerlässlich ist ein Umdenken dahingehend, dass Ruanda zunehmend die psychologischen und sozialen Werte der Kinder empfindet, statt von ihnen vornehmlich einen ökonomischen Nutzen zu erwarten. Nicht möglichst viele, sondern möglichst gebildete, im Leben erfolgreiche stärken das Ansehen und die soziale Sicherheit der Eltern. Schlüsselworte dazu lauten: Familienplanung und Bildung. Ruanda hat mit der Bildungs- und Gesundheitsreform hierzu einen guten Weg eingeschlagen. Die Regierung hat die Gesundheitszentren in die Pflicht genommen, sich verstärkt in eine zukunftsweisende Patienten werden in den ländlichen Krankenhäusern immer durch Angehörige betreut und verpflegt. Familienplanung einzubringen. Den Gesundheitszentren und den Bildungseinrichtungen schen werden von der Zahlung des Beitrags befreit. fällt damit für die Zukunft Ruandas eine Schlüsselrol- Alle weiteren Bürger des Landes zahlen jährlich 3.000 le zu. Nur über Familienplanung und Bildung hat das RWF, das entspricht etwa 3,70 €. Aber selbst dieser völlig überbevölkerte Ruanda auch eine Überlebens- geringe Beitrag ist für die vielen kinderreichen Famili- chance. en noch unerschwinglich. Mit der Einführung der Gesundheitsreform stehen auch die Gesundheitszentren Auf einen Arzt kommen etwa 18.000 Menschen. Die vor neuen, großen Herausforderungen. Das soll am durchschnittliche Lebenserwartung beträgt rund 57 Beispiel des Centre de Santé Kaduha nachfolgend Jahre für Männer, für Frauen 58 Jahre. 31 % der näher dargestellt werden. Das Gesundheitsministeri- Frauen nehmen Gesundheitsdienste bei der Geburt um sieht die Reform als eine Möglichkeit, der Welt zu in Anspruch. 18 % der unter 5-jährigen Kinder sind beweisen, dass das Land auf dem Weg zu Wohlstand fehlernährt (Stand 2010). Die Sterblichkeit der unter und Stabilität ist. 5-jährigen Kinder beträgt etwa 7,6 %. Die HIV-Prävalenz an der Gesamtbevölkerung wird mit 2,9 % angegeben; sie ist in den sexuell aktiven Bevölkerungstei- Kultur len jedoch höher. Musik, Tanz und Poesie in einheimischer Sprache sind wichtige Kunstformen in Ruanda. Die Menschen In Ruanda wird mit deutscher Hilfe ein neues Kran- lieben es, bei allen Gelegenheiten zu singen und zu kenkassensystem aufgebaut. Dadurch ist künftig für tanzen. Oft geschieht dies ganz spontan als Zeichen alle Menschen eine notwendige medizinische Be- des Dankes und der Freude. Prosa, Theater und bil- treuung gewährleistet. Der Anteil der gesetzlich kran- dende Künste sind traditionell weniger ausgeprägt. An kenversicherten Bevölkerung hat sich dadurch in den Kunsthandwerk sind zum Teil sehr fein ausgearbeitete letzten Jahren stark vergrößert und liegt bei derzeit Flechtarbeiten typisch. In jüngerer Zeit werden auch 91 %. (Stand 2010). Alle als arm eingestuften Men- Werke von Malern verbreitet. 20 Ruanda Ein Grund zum Tanzen findet sich immer. Der bis zu 10 km weite Weg zum Markt wird gerne in Kauf genommen. Besonders für die einfachen Leute, die auf den Hügeln Schuhe werden repariert. Der Markt ist natürlich Um- wohnen und nicht viel Gelegenheit zum Feiern haben, schlagplatz für die neusten Nachrichten, alles, was ist das Singen und Tanzen während des Gottesdiens- in der Gemeinde passiert ist, wird weitschweifig dis- tes von sehr großem Wert. kutiert. Erst am späten Nachmittag kehren die Menschen mit den nicht verkauften oder neu erstandenen Produkten nach Hause zurück. Markt Ein großes Ereignis für jede Familie ist der ein- bis zweimal wöchentlich stattfindende Markt in den Ge- Wohnen meinden. Aus allen Ecken der Region kommt die Be- Etwa 12 % der Menschen in Ruanda leben in den völkerung schon früh am Morgen auf dem Marktplatz Städten. Sie wohnen in einfachen Häusern, die dicht zusammen, um ihre Waren anzubieten oder die Dinge aneinander gebaut werden, um die verfügbare Fläche zu kaufen, die zu Hause nicht selber hergestellt wer- optimal zu nutzen. Täglich versuchen Menschen, vom den können. An diesen Tagen sind Wege und Straßen Land in die Städte zu ziehen, da sie sich dort Arbeit gesäumt von Menschen, die über viele Kilometer ihr und ein besseres Leben erhoffen. Meist werden sie Produkt auf dem Kopf zum Markt tragen. Meist können jedoch enttäuscht und ziehen nach einiger Zeit wieder nur ein Korb voller Maniok oder Süßkartoffeln, eine zurück aufs Land. Bananenstaude oder einige Eier verkauft werden, da die kleinbäuerlichen Betriebe nur geringe Überschüs- Auf dem Land gibt es nur wenige Siedlungen wie in se erwirtschaften. Auf dem Markt werden die Waren Europa. Alle Versuche der Regierung, die Menschen auf dem Boden ausgebreitet und dann beginnt das in Siedlungen zusammenzuführen, sind bisher ge- geduldige Warten auf Kunden. „Fliegende Händler“, scheitert. Damit ist der Aufbau einer Infrastruktur für Schneider und Schuster, bieten auf dem Markt ihre die Landbevölkerung sehr schwer realisierbar. Auf Dienste an; schnell wird ein Kleidungsstück geändert, dem Land leben die Menschen seit ewigen Zeiten in Ruanda 21 Die meisten Menschen leben am Stadtrand in engen Häusern. Kaum vorstellbar, dass in dem Haus eine ganze Familie lebt! und einen Tisch, in den Schlafräumen meist nur für die Eltern ein Bett. Viele Kinder schlafen mit Bastmatten auf dem Fußboden, oft ohne Decke. Die Kinder drängen sich zu mehreren auf einer Matte aneinander und wärmen sich gegenseitig. Das Leben der Familie spielt sich im Wesentlichen vor dem Haus auf dem Hof ab. Ein Familienalltag auf dem Land Der Morgen dämmert, Uwimana, die Frau des Bauern Munyakazi, hat gerade ihr jüngstes Kind gestillt und erhebt sich von ihrem Lager, um die fünf älteren Häuser auf dem Land werden mit selbstgeformten Ziegeln erstellt. Später werden sie von außen verputzt, damit die Familie nicht als arm gilt. Kinder zu wecken. Mukamusoni, ihre älteste Tochter, kehrt das Haus und den Hof, während der 12-jährige Kagabo und der 8-jährige Niyonsaba mit dem Wasserbehälter zur Quelle gehen. Die beiden müssen sich schlichten Häusern inmitten ihrer Felder. Nahezu alle beeilen, denn um 8 Uhr beginnt die Schule, und bis Gehöfte, die fast immer das Wohnhaus, ein kleines dahin sind noch 6 km Fußmarsch. Uwimana will heute Nebenhaus zum Kochen und für Vorräte, sowie einen mit ihrer ältesten Tochter auf dem Feld Süßkartoffeln kleinen Stall umfassen, sind eingerahmt von Hecken pflanzen. Die 6-jährige Mukasine und der 4-jährige und Bananenhainen, so dass jede Familie praktisch Gahungu bleiben bei der Schwiegermutter, die schon für sich lebt. Die meisten Häuser sind nur zu Fuß über lange nicht mehr auf den Feldern arbeiten kann. Heute schmale Pfade zu erreichen. Die Einrichtung ist ex- wird sie während des Mattenflechtens die Kleinen ver- trem einfach, im Wohnzimmer gibt es einige Stühle sorgen und auf die drei Ziegen aufpassen. Uwimana, 22 Ruanda nen Teller. Später geht Munyakazi noch zu seinem Nachbarn, der seinen Freund zum Bananenbier eingeladen hat. Es ist dunkel geworden. Uwimana sitzt im Hof, zwei Nachbarinnen sind für einen Augenblick vorbeigekommen. Morgen ist Markttag, die Frauen verabreden, gemeinsam zu gehen. Uwimana will fünf Eier und Süßkartoffeln verkaufen, denn sie braucht Geld für Petroleum, ein Stück Seife und etwas Salz. Der Mond steht höher, es ist Zeit zum Schlafen, denn morgen ist wieder ein ereignisreicher Tag. Der Völkermord (Genozid) von 1994 Am 20. April 1994 um 20.30 Uhr wird das Flugzeug Auch beim Wäschewaschen ist die Frau von ihren Kindern umgeben. des ruandischen Staatspräsidenten Juvenal Habyarimana beim Landeanflug in Kigali von zwei Raketen getroffen. Er, sowie der mitreisende Präsident von Bu- den Jüngsten auf dem Rücken, und ihre Tochter ma- rundi und weitere sieben hohe Beamte kommen bei chen sich auf den Weg zum Feld. Jede transportiert ein diesem Attentat ums Leben. Unbeschreibliche Gewalt Büschel Setzlinge auf dem Kopf und eine Hacke auf bricht in Kigali und im ganzen Land aus. Die Präsiden- der Schulter. Munyakazi hat schon bei Morgengrauen tengarde und die Volksmilizen bringen alle um, die sie das Haus verlassen. Der Zaun um das Gehöft muss als Feinde bezeichnen: Angehörige der Volksgruppe repariert werden. Nun schlägt er mit der Machete das der Tutsi sowie andere, die sie als Verräter ansehen. nötige Holz in einem Eukalyptuswäldchen. Uwimana und ihre Tochter haben hart gearbeitet, das Süßkar- Ruanda hat vor dem 07.04.1994 etwa 7,5 Millionen toffelfeld ist bestellt. In 4 Monaten kann man auf eine Einwohner. Über 50 % davon sind Katholiken, 20 % gute Ernte hoffen. Am frühen Nachmittag kommen gehören anderen christlichen Konfessionen an, 2 % Mutter und Tochter nach Hause, es wird Zeit für die sind Muslime und der Rest gehört zur traditionellen, Hausarbeiten. Mukamusoni geht nicht mehr zur Schu- animistischen Religion. Heute sieht die Bilanz des le. Sie musste in der 3. Klasse die Schule verlassen, Grauens etwa so aus: Um die 1 Million Menschen sind um der Mutter im Haushalt und bei den Feldarbeiten umgekommen, grausam ermordet oder den Kriegs- zu helfen. Jetzt wäscht Mukamusoni noch einige Klei- handlungen zum Opfer gefallen. Über 2 Millionen sind dungsstücke, während Uwimana mit den drei jüngsten in die Nachbarländer geflohen, die größte Gruppe da- Kindern auf Brennholzsuche geht. Zurückgekommen von nach Goma in Zaire (dem heutigen Kongo), wo bereiten Mutter und Tochter das Abendessen vor. Ge- Zehntausende an Epidemien gestorben sind. Gut 2,5 kocht wird auf einer Feuerstelle über drei Steinen, auf Millionen sind vertriebene Inlandsflüchtlinge, die in denen ein Tonkrug mit den Zutaten steht. Zu essen elenden Lagern dahinvegetieren, gut 800.000 davon in gibt es heute Bohnen, Süßkartoffeln und Maniokblät- der Region Kaduha. Ein Teil der Bevölkerung wird von ter. Vor dem Dunkelwerden hat sich die Familie wieder der FPR (Tutsi-dominierte Armee) in Überwachungs- vollständig versammelt. Gemeinsam wird das Abend- lagern gehalten, vielleicht mehr als eine halbe Million. essen eingenommen. Für die Kinder steht in der Mitte Die Zahl der Waisenkinder überschreitet sicher auch eine hölzerne Schüssel, die Eltern haben ihren eige- eine halbe Million. Ruanda 23 Drei Bischöfe, über 100 Priester und über 250 Ordens- Bildung einer Übergangsregierung unter Beteiligung leute (Schwestern, Brüder, Mitglieder von Laieninstitu- der FPR vorsah. Diese Regierung kam nie zustande, ten) wurden umgebracht. da die politischen Parteien in einen regierungsfreundlichen und einen FPR feindlichen Block gespalten wa- Wie konnte es zu diesem grausamen Drama von Ge- ren. Die Jugendverbände der ehemaligen Einheitspar- walt kommen? Es gibt dafür wohl keine logische Erklä- tei MRND, die Interahamwe, und die der extremsten rung, die das Ausmaß des Grauens erklärlich machen Hutupartei, der CDR, die Abahujumugambi, wurden kann. Noch viel weniger sollte man versuchen, das immer radikaler. Geschehene zu beschönigen oder gar zu entschuldigen. Einige Hintergründe können aber helfen, die Über Radio Television Libre de Mille Collines „RTLM“ Wurzeln dieser Ereignisse besser zu erkennen. wurden die Leute lange genug vorbereitet und ihnen die Überzeugung eingeredet, dass der Konflikt zwi- Seit über vier Jahrhunderten leben in Ruanda die schen Tutsi und Hutu bestehe. Das heißt, man hat, Hutu, Tutsi und Twa zusammen. Sie sprechen diesel- vereinfacht gesagt, den Kampf um die Macht auf be Sprache und haben in vielem die gleiche Kultur. Stammesebene heruntergeholt. So hat man die alten Die Volksgruppe der Tutsi hat es erreicht, durch eine Domänen geweckt, denen jeder der Bauern im letzten straff organisierte, absolute Monarchie das Land zu Winkel des Landes ausgeliefert ist. Die jugendlichen regieren. Der König und die wichtigsten Chefs kom- Kampfgruppen existierten beim MRND und CDR. Sie men aus ihren Reihen. Die Mehrheit der Bevölkerung, waren die Sammelstellen von ideologisch geschulten die Hutu, erklären in einem Manifest, dass sie mit der jungen Leuten, welche auch militärisch geschult wur- allgemeinen Rolle des Dienens nicht mehr zufrieden den, indem man sie genügend Erfahrungen sammeln sind. Sie wurden in ihrem Bemühen von der katho- ließ bei Demonstrationen, Attentaten und Terrorismus lischen Kirche und der belgischen Kolonialregierung gegen Oppositionelle. Keiner wurde dafür je verurteilt unterstützt. Es kam zu blutigen Unruhen, bei denen und bestraft. Tausende von Tutsi getötet wurden. Ein Teil von ihnen floh ins Ausland, vor allem nach Uganda. Der Seit dem 7./8. April 1994 machten die Milizen zusam- König und führende Politiker gingen ins Exil. Bei den men mit der Präsidentengarde Jagd auf die Oppositi- ersten freien Wahlen 1960 wurde eine Regierung mit on und daraufhin auf alle Tutsi ohne Unterschied, auf Hutu-Mehrheit gebildet. Seitdem haben die Tutsi vom Männer, Frauen und Kinder. Zur Belohnung durften Ausland aus wiederholt versucht, durch Waffengewalt die Täter plündern, stehlen und mitnehmen, was ih- zurück an die Macht zu kommen. Sie wurden aber im- nen gefiel. Die Milizen wurden mit Waffen und Hand- mer zurückgeschlagen. granaten (vornehmlich aus China) ausgerüstet. Ein Teil operierte an Straßensperren und ein Teil „reinig- Am 1. Oktober 1990 griff die FPR Ruanda von Ugan- te“ die Stadtteile von „Komplizen“. Jeder Tote, jedes da aus an. Nach zunächst großen Erfolgen konnte geplünderte Haus wurde so bezeichnet. Der Chef der sie wieder zurückgeschlagen werden. Sie verlegte Straßensperren (ein früherer Holzkohlenhändler) ent- sich auf Guerillaangriffe von der ugandischen Grenze schied über Leben und Tod. Aufgehetzte Jugendliche, aus und gewann langsam an Boden. Die Bevölkerung zu denen sich die kleinen Diebe, Schwarzhändler und wurde mehr und mehr aus den Grenzgebieten vertrie- Gelegenheitshändler gesellten, schlugen die Leute ben und Anfang 1990 lebten über 1 Million Flüchtlinge mit Steinen und Knüppeln. Andere wurden erschos- in Vertriebenenlagern. Im August 1993 kam es zum sen oder mit Küchenmessern erledigt. Das Vergnü- Friedensvertrag von Arusha, der unter anderem die gen, andere zu morden, war offensichtlich bei man- 24 Ruanda Der Völkermord in Ruanda erzeugte darüber hinaus erhebliche regionale Probleme. Nachdem die RPF die Hutu-Machthaber vertrieben, damit den Völkermord beendet und eine neue Regierung gebildet hatte, flohen im Sommer 1994 Hunderttausende Hutu in den Osten von Zaire (Demokratische Republik Kongo). Unter den Flüchtlingen waren viele Täter, die anschließend zur Wiedereroberung Ruandas rüsteten. Die ruandische Armee nahm diese Aktivitäten mehrfach zum Anlass, um im westlichen Nachbarland zu intervenieren. Zeugnisse christlicher Glaubensstärke Es war die Hölle! Inmitten der Hölle, die sich in Ruanda austobte, gab es viele Zeugnisse christli- chen Jugendlichen vorhanden. RTLM unterstrich in cher Glaubensstärke. Hier seien zwei Augenzeugen- den permanenten Durchsagen immer wieder, dass berichte geschildert. die Tutsi-Rebellen keinen Hutu, besonders keine Studierten, am Leben ließen. Bei den Milizen mussten die Felicitas Niyitegera, eine Ruandesin aus dem Hu- Jugendlichen zu Beginn vielfach zum Töten gezwun- tustamm, ungefähr 60 Jahre alt, war als „Auxiliaire de gen werden, zum Beispiel bei den Angriffen auf die mit l ´Ápostolat“ - Helferin einer katholische Laiengemein- Tutsi überfüllten Kirchen. Dort mussten Soldaten die schaft - in Gisenyi. Sie und ihre Mitschwestern hatten Jugendlichen anschreien, weil die zögerten, auf die Tutsi-Flüchtlinge in ihr Haus aufgenommen. Ihr Bruder Leute loszugehen. Die Kämpfe weiteten sich schnell war Kolonel in der ruandischen Armee in Ruhengeri. auf das gesamte Land aus. Er ahnte, dass sie sich damit in Gefahr befand und forderte sie telefonisch auf, zu verschwinden und so Im Verlauf und im Nachgang der Ereignisse wurden dem sicheren Tod zu entgehen. die Vereinten Nationen (UN) und Staaten wie die Sie antwortete ihm mit folgendem Brief: „Lieber Bru- USA, Großbritannien und Belgien wegen ihrer Untä- der, danke, dass du mir helfen willst. Aber anstatt mein tigkeit kritisiert. Dabei stand die Frage im Mittelpunkt, Leben zu retten und die 43 Personen alleine zu las- aus welchen Gründen keine frühzeitige humanitäre sen, für die ich verantwortlich bin, habe ich mich ent- Intervention erfolgte, beziehungsweise warum die vor schieden, mit ihnen zu sterben. Bete für uns, dass wir Ort stationierten Friedenstruppen der Vereinten Natio- bei Gott ankommen und sag „Auf Wiedersehen“ an nen, die United Nations Assistance Mission for Rwan- unsere alte Mutter und unseren Bruder. Wenn ich erst da (UNAMIR), bei Ausbruch der Gewalt nicht gestärkt, bei Gott angekommen bin, dann lege ich Fürbitte für sondern verkleinert wurden. Gegen Frankreich wurde dich ein. Pass auf dich auf. Danke, dass du an mich überdies der Vorwurf erhoben, sich an den Verbre- gedacht hast. PS: Und wenn Gott uns rettet, wie wir chen beteiligt zu haben. es ja hoffen, dann werden wir uns demnächst wiederRuanda 25 sehen. Deine Schwester Felicitas.“ habe ihnen gesagt: „Hört mal, Kinder, die Menschen Ihr Bruder hat diesen Brief am 12.04.1994 bekommen. sind böse in diesen Tagen. Sie haben euren Vater und In den Tagen ist es ihr gelungen, vielen Menschen Oliver umgebracht. Sicherlich werden sie euch auch das Leben zu retten, indem sie alle über die Grenze holen. Aber habt keine Angst! Ihr werdet schon etwas schmuggelte. Am 21.04. sind die Milizen angekommen, leiden müssen, aber danach werdet ihr Papa treffen um alle mit einem Lastwagen zum Friedhof zu bringen. und Oliver auch, denn es gibt ein anderes Leben mit Da sagte Felicitas zu ihren Mitschwestern: „Die Stunde Jesus und Maria. Dann werden wir alle zusammen der Wahrheit ist gekommen, auf geht´s.“ Sie sind dann und froh sein können.“ Am nächsten Tag hat man dann gemeinsam auf den Lastwagen gestiegen, singend und die Kinder abgeholt. Diejenigen, die sie mitgenommen betend. Auf dem Friedhof angekommen war das Ge- haben, berichteten, sie seien sehr ruhig und mutig meinschaftsgrab schon vorbereitet. Die Mörderbande gewesen.“ Marie-Therese wirkte bei dem Bericht aus- hatte aber Angst vor dem Kolonel und wollte Felicitas geglichen und ruhig. Sie ist eine wahre Christin. retten. Einer sagte zu ihr: „He du, hast du keine Angst zu sterben? Du siehst doch, dass es hier ernst ist und „Wahre Versöhnung in Ruanda“ zur Sache geht. Du wirst als Letzte getötet.“ Da sie alle Eine Ordensfrau berichtet vom Dienst doch angesehene Personen waren, wurden sie durch der Kirche in Afrika Gewehrschüsse umgebracht. Insgesamt waren es 30, Von Carmen Elena Villa die erschossen wurden. Danach hatte die Killerbande ROM, 13. Oktober 2009 Felicitas noch einmal retten wollen. „Nein“, sagte sie, „ihr habt alle meine Mitschwestern umgebracht, also „Einem durch grausame Menschenrechtsverletzun- hat es keinen Sinn, dass ich am Leben bleibe!“ Sie war gen, Kriege und soziale Nöte gequälten Kontinent wie dann an der Reihe, die Einunddreißigste. Ihr Bruder Afrika kann die Kirche Heilung, Befreiung und Versöh- kam an, als sie schon entkleidet ins Gemeinschafts- nung schenken.“, meint Sr. Geneviève Uwamariya grab geworfen worden war. Er hat das Grab noch ein- vom Institut „Santa Maria von Namur“ in Ruanda. Sie mal aufmachen lassen und sie dann in würdiger Weise sprach bei der II. Sonderversammlung der Bischofs- bestattet. Seine Abschiedsworte: „Felicitas, du wolltest synode für Afrika und ließ die Teilnehmer dabei an ih- sterben, so bete jetzt für uns.“ ren persönlichen Erfahrungen teilhaben: Die Ordensschwester verlor selber Angehörige beim Völkermord Marie-Therese aus dem Hutustamm war Lehrerin in in Ruanda im Jahr 1994, einem der blutigsten Ereig- Zaza, Emmanuel, ihr Mann, war Tutsi und Facharbeiter nisse des 20. Jahrhunderts. Zwischen 800.000 und ei- im Schulbereich von Zaza. Sie hatten vier Kinder, drei ner Million Menschen wurden in der Zeit vom 6. April Jungen und ein Mädchen. Am Sonntag verschwand bis Mitte Juli 1994 in Ruanda ermordet. In annähernd Emmanuel mit seinem ältesten Sohn und versteckte 100 Tagen töteten Angehörige der Hutu-Mehrheit etwa sich. Montagnacht kamen sie nach Hause, um sich zu 75 Prozent der in Ruanda lebenden Tutsi-Minderheit verabschieden. Am 12.04. wurden sie verfolgt und um- sowie moderate Hutu, die am Genozid nicht teilnah- gebracht. Die Mutter bekam die Nachricht, als sie mit men oder ihn zu verhindern suchten. Unter den Er- ihren drei Kindern bei ihren Eltern war, weil „man“ bei mordeten waren auch Sr. Uwamariyas Vater und viele ihr plündern kam. Am 13.04. holten dann die Männer ihrer Verwandten. Im Rahmen der Synode berichtete auch ihre zwei anderen Söhne, um sie umzubringen. sie von einem Erlebnis, das drei Jahre nach dem Blut- Am folgenden Tag berichtete die Mutter den zwei Or- bad stattfand. densschwestern, die alles bezeugten: „Ich bin glücklich, Am 27. August 1997 begab sie sich gemeinsam mit denn ich habe die beiden Jüngeren gut vorbereitet. Ich einer „Gruppe der göttlichen Barmherzigkeit“ zu ihrem 26 Ruanda Geburtsort Kybuye und traf dort auf Gefangene, die fen, der zuhören würde, dass auch er inneren Frieden sich am Völkermord beteiligt hatten. Das Treffen dien- wiederfinden kann.“ te als Vorbereitung auf das Heilige Jahr 2000. Wäh- Von diesem Zeitpunkt an sammelte Sr. Uwamariya rend des Beisammenseins machte Sr. Uwamariya zugestellte Botschaften von Sträflingen, in denen die eine Einladung: „Wenn Du ein Opfer warst, biete Ver- Überlebenden um Vergebung gebeten wurden. Insge- gebung an und verzeihe denen, die Dir das angetan samt 500 Briefe kamen zusammen. Nachdem einige haben.“ Nur auf diesem Weg würde das Opfer von der Briefe beantwortet wurden und bei Sr. Uwamariya ein- Last der Verbitterung befreit werden, und der Verbre- trafen, entstanden Freundschaften zwischen einigen cher von der Last, ein Übel angerichtet zu haben. Gefangenen und ihren früheren Opfern. Die Häftlinge „Sofort stand ein Gefangener auf und bat um Verge- konnten echte Verzeihung erfahren. Daraus entstan- bung“, berichtete Sr. Uwamariya. „Ich war wie verstei- den auch Treffen der Opfer. „Das waren Maßnahmen, nert, als ich einen Freund der Familie wiedererkannte, die vielen dazu dienten, Versöhnung zu erleben.“ der mit uns gemeinsam aufgewachsen war. Er gestand Im Dorf von Sr. Geneviève Uwamariya gibt es sehr mir, dass er meinen Vater getötet hat. Er nannte mir viele Witwen und Waisenkinder. Seit 1994 wurde es Details über den Tod meiner Geliebten.“ Sr. Uwamari- von den Häftlingen wieder aufgebaut. Vereinigungen ya umarmte ihn und sagte: „Du bist und wirst weiterhin ehemaliger Häftlinge, die in unterschiedlichen Pfarrei- mein Bruder sein.“ Die Ordensfrau berichtet, dass sie en geboren wurden, arbeiten dort mit den Überleben- fühlte, wie eine Last von ihr genommen wurde: „Ich den zusammen und laut Sr. Uwamariya funktioniert fand wieder inneren Frieden und dankte dem, den ich es sehr gut. „Man versucht, in jedem Liebe aufblühen umarmte“, so Sr. Uwamariya. Zu ihrer Überraschung und innere Heilung folgen zu lassen, die Befreiung er- rief der Häftling aus: „Gerechtigkeit kann ihr Werk voll- möglicht.“, so Sr. Uwamariya. „Das ist es, warum die bringen und mich zum Tod verurteilen, aber nun fühle Kirche in unseren Ländern wichtig ist: weil sie ein Wort ich mich frei!“ Sie fügte hinzu: „Ich wollte jedem zuru- anzubieten hat, das heilt, befreit und versöhnt.“ Täglich kommen bis zu 250 Patienten zum Gesundheitszentrum. Sie gehen dafür bis zu 15 Kilometer zu Fuß! Ruanda 27 Die Missionsstation 2.Teil: Die Missionsstation der Clemensschwestern Ende 1973 reisten die ersten zwei Clemensschwestern nach Ruanda und begannen nach einer kurzen Ein- • Schulung von Laien als Geburtshelfer gewöhnungszeit 1974 ihre Tätigkeit in der einfachen • Betreuung Kranker in Gefängnissen und kleinen Gesundheitsstation in Kaduha. Innerhalb • Starthilfe für zurückkehrende Flüchtlinge weniger Jahre bauten sie die Station, mit finanzieller • organisatorischen und finanziellen Hilfe beim An- Unterstützung aus der Heimat, zu dem heutigen Ge- welche Waisenkinder aufgenommen haben bau von Nahrungsmitteln. sundheitszentrum - Centre de Santé Kaduha - aus. Viele Schwestern folgten in den nächsten Jahren, sei es zum Besuch oder, um über eine längere Zeit dort Der weite Weg nach Kaduha zu arbeiten. Sie alle erlebten viele Höhen und Tiefen, Kaduha liegt nahe der Grenze zum Kongo, etwa 130 die ein Einsatz in der Mission mit sich bringt. km westlich der Hauptstadt Kigali. Der Weg dorthin führt über sandige Pisten und benötigt viel Zeit. Be- Die primären Aufgaben im Gesundheitszentrum be- sonders in der Regenzeit ist die Strecke teilweise standen in der: unpassierbar. In der gesamten Region leben die gut • ambulanten Versorgung Kranker mit möglicher 350.000 Menschen fast ausschließlich von der Land- stationärer Behandlung wirtschaft. Kaffee und Tee sind, neben den allgemei- • Führung der Mütterschule nen Nahrungsmitteln, die wichtigsten Produkte. Eine • Impfaufklärung und Durchführung der Programme Familie auf dem Land erwirtschaftet auf ihrem kleinen in der Station und in den zwei Außenstationen Grundstück damit ein durchschnittliches Einkommen • Leitung eines kleinen Waisenhauses mit Kriegs- von einem Euro pro Tag. bzw. Aidswaisen ab 1994 • Hilfsleistung wie Nahrung, Kleidung und Schulgeld Die überwiegend katholischen Einwohner von Ka- für Kinder, die in ruandische Familien vermittelt duha haben ihre Heimat in der Kirche und in starken wurden familiären Bindungen. Der Tagesablauf ist geprägt • Schulung und Betreuung von ehrenamtlichen von der Landarbeit. Der fehlende elektrische Strom in Mentoren, die sich um die Familien kümmern, den Häusern lässt abends keine besonderen Aktivitä- 28 Die Missionsstation der Clemensschwestern der Clemensschwestern In der Regenzeit ist oft über Tage kein Durchkommen nach Kaduha möglich. Der tägliche Gang zur Wasserstelle ist überwiegend Aufgabe der Kinder. ten mehr zu. Das hat sich 2011 geändert. Kaduha ist Den Mittelpunkt der Gemeinde bildet die Pfarrkirche an das Stromnetz angeschlossen worden. Damit ist mit dem dazugehörigen Gemeindehaus. Der in 2009 eine spürbare Verbesserung der Lebensqualität inner- neu errichtete, überdachte Marktplatz wird an jedem halb des Dorfes erreicht. Die über alle Hügel verteilten Donnerstag zum Mittelpunkt aller Menschen der ge- Familien werden jedoch noch Jahre auf elektrischen samten Region. Strom warten müssen. Wasser muss immer noch von den Quellen geholt werden. Schule, Kirche, Gesund- Das Leben und Arbeiten spielt sich im Innenhof ihrer heitszentrum und einige weitere Gebäude im Ort wer- von Sträuchern umgebenen Hütten und auf den kleinen den inzwischen über selbstverlegte Rohrleitungen von Feldern in der Nähe ab. Die Feldarbeit wird überwie- den Quellen versorgt. gend von den Frauen und Mädchen besorgt, während Die Missionsstation der Clemensschwestern 29 die Jungen die Kühe und Ziegen auf die Weide treiben. Spätnachmittags findet sich die Familie wieder ein. Man sitzt vor dem Holzfeuer im Hof und isst, die Männer trinken dabei selbstgemachtes Bananenbier, ein für unsere Verhältnisse undefinierbares Gebräu, das uns so schmeckt, wie es riecht und aussieht. Die Menschen auf dem Land pflegen in der Regel nur einmal am Tag zu essen. Die Mahlzeiten bestehen fast jeden Tag ausschließlich aus Pataten (Süßkartoffeln), Sorgho (Getreide) und Kochbananen. Letztere werden behandelt wie unsere Kartoffeln. Selten gibt es Früchte wie Ananas oder Gemüse, da diese Produkte lieber, so wie auch Kaffee oder Tee, verkauft und getauscht werden. Missionsarbeit vor Ort: Auch in dem kleinen Bergdorf Kaduha lassen sich die Kinder gerne fotografieren. Als Haustiere werden Hühner, Ziegen und Rinder gehalten. Die Hühnereier werden ebenfalls verkauft, dies besonders, da man glaubt, sie machten unfruchtbar. Die sehr mageren ruandischen Kühe liefern nur etwa 1 bis 1 ½ Liter Milch pro Tag. Erstrebenswert ist daher eine europäische Kuh. Diese ist aber nur für etwa 800 Euro zu haben, ein in der Regel unerschwinglicher Preis. Milch, Fleisch und Felle der Ziegen verbraucht man selber. Das Ziegenfell dient noch vielfach als Trage für das Baby, das bei allen Arbeiten der Mutter auf ihrem Rücken seinen Platz hat, bis es laufen kann. Wie alles begann Schwestern der Ordensgemeinschaft „Chanoinesses de St. Augustin“ aus Belgien bauten 1965 in Kaduha, unmittelbar neben der Pfarrkirche, ein großes Schwesternhaus in der Hoffnung, viele ruandische Mädchen in ein Noviziat aufnehmen zu können. Es kamen auch viele junge Mädchen zum Eintritt in die Ordensgemeinschaft. Diese verließen aber bald nach der Noviziatsausbildung in Brüssel den Orden wieder. Sie hatten in Belgien ein Stück von der Welt gesehen, die sie vorher nicht kannten, und erkannt, dass sich noch andere Berufsmöglichkeiten ergaben. Nur insgesamt drei Schwestern blieben in der Gemeinschaft. Es Die Kirche von Kaduha hat eine traurige Geschichte. Nun ist sie wieder Mittelpunkt der Menschen in Kaduha. 30 Die Missionsstation der Clemensschwestern war für den Konvent und viele europäische Missionsstationen, die gerne einheimische junge Leute in ihre Das Hüten der Tiere erledigen ebenfalls meist die Kinder. Die heranwachsenden Kinder übernehmen bereits früh Verantwortung für die Familie. So tragen sie wie selbstverständlich ihre jüngeren Geschwister. Gemeinschaft aufnehmen wollten, eine harte Lehre. trum, und das zugehörige Wohnhaus als zu klein für Solch ein Verhalten hatten die Europäer nicht erwar- den Fall, dass, wie geplant, noch weitere Schwestern tet. Die in Kaduha verbliebenen Schwestern widmeten kämen. Sie lehnten daher das Angebot ab. Seit dem sich den größten Teil des Tages dem Gebet. Sie hal- Auszug der belgischen Schwestern befindet sich in fen auch in der Pfarrkirche und in der Jugendseelsor- den Gebäuden die Sekundarschule Don Bosco, die ge. Die übernommene Versorgung von Kranken in der ebenfalls zur jetzigen Diözese Gikongoro gehört. angrenzenden Station sowie den Dienst in der Schule, stellten sie ein, da das gemeinsame Gebet, ihr Haupt- Den vielen hilfsbedürftigen und kranken Menschen in anliegen, nicht mehr durchgeführt werden konnte. Die der Region Kaduha konnte durch den Rückzug der Ordensschwestern gaben kurz nach dem Eintreffen Schwestern aus der Krankenbetreuung nicht mehr der Clemensschwestern ihre Missionsstation ganz hinreichend Hilfe zuteil werden. Provisorische Lösun- auf und kehrten nach Belgien zurück. Das Schwes- gen brachten nicht den notwendigen und erhofften Er- ternhaus wurde zunächst den Clemensschwestern folg. Die einzige, weltliche Krankenschwester, Arlette, zur Übernahme angeboten. Diese befanden das Areal versuchte, die Betreuung aufrecht zu erhalten, war als zu groß und ungeeignet für ein Gesundheitszen- aber alleine mit der Aufgabe völlig überfordert. Das Gelände der belgischen Schwestern war nicht geeignet für das neue Gesundheitszentrum. Heute ist in den teilweise verfallenen Gebäuden die Sekundarschule eingerichtet. Sie ist dringend renovierungsbedürftig, nur fehlen auch dazu die Mittel. Die Missionsstation der Clemensschwestern 31 Arlette inmitten der Clemensschwestern und mit Pater Bettentrup Die „Baumeister“ der Missionsstation der Clemensschwestern von Kaduha: Bischof Gahamanyi und Direktor Vienenkötter Die Suche nach einer ausländischen Ordensgemein- Herrn Direktor Vienenkötter war Ruanda nicht unbe- schaft, die bereit war, die kleine Station zu überneh- kannt. Bereits 1960 war er dort und hatte ein Herz für men, begann. Land und Leute. Er setzte sich deshalb persönlich für das Gelingen der Mission ein. Aus den anfänglichen Gesprächen zwischen dem in Ruanda tätigen Pater Bettentrup (Gemeinschaft der Bei einem Besuch von Bischof Gahamanyi 1972 in „Weißen Väter“) und Bischof Gahamanyi von Butare Münster wurde konkreter über die Mission gespro- erwuchs der Wunsch, den ihnen bekannten Bischof chen. Der Bischof weilte für einige Wochen im Müns- von Münster und Direktor Vienenkötter zu bitten, terland und wurde dabei von der jungen Schwester M. Schwestern einer Ordensgemeinschaft nach Ruanda Milgitha in einem roten VW Käfer durchs Land gefah- zu entsenden, um dort eine Missionsstation zu grün- ren. Er war von Sr. M. Milgitha angetan und hatte es den. Pater Bettentrup reiste im Auftrag von Bischof nicht schwer, bei ihr das Interesse an der Missionsar- Gahamanyi nach Münster. Bischof Tenhumberg von beit zu wecken. Es mussten aber noch der Bischof von Münster brachte ihn über Direktor Vienenkötter mit Münster und die Oberen der Gemeinschaft überzeugt den Clemensschwestern in Verbindung. werden. Dies führte zu intensiven Gesprächen, waren die Clemensschwestern doch kein Missionsorden und hatten daher berechtigte Befürchtungen, Schwestern so weit in die Welt zu entsenden. Auch fehlte der Gemeinschaft jegliche Erfahrung zu Einsätzen im Ausland, besonders in dem zu der Zeit noch unbekannten, fernen Ruanda. Vom II. Vatikanischen Konzil her wurde den Nicht- Missionsgemeinschaften angetragen, die Diaspora oder ein Missionsland ideell, finanziell und, wenn möglich, Bischof Tenhumberg 32 Bischof Gahamanyi Die Missionsstation der Clemensschwestern auch personell zu unterstützen. Diesem Aufruf des Konzils wollten die Clemensschwestern folgen und gaben auch aus dem Grund der Bitte des Bischofs den Organismus, für eine Zelle des Organismus, wi- von Butare statt. dernützlich wäre. Diese entsetzliche Widernützlichkeit kennen Sie besser als ich. Egoismus der Zelle heißt am Mit Schwester M. Ignatis erklärte sich eine weitere Ende Zerstörung, und das heißt aber Krebs. Und da- Schwester bereit, nach Ruanda in die Mission zu ge- von, von dieser Verzweiflung, ist heute die Menschheit hen. Anfang 1973 wurde mit den Vorbereitungen be- bedroht, und in diese Situation hinein stellt sich nun der gonnen. Die Schwestern gingen zunächst für einige Herr, hat er sich zu allen Zeiten gestellt, von Ewigkeit Monate nach Belgien, um die französische Sprache zu Ewigkeit. Er ist der, der vom Vater gesandt ist. In der zu erlernen. Kirche spielt das Wort von der Sendung eine entscheidende Rolle. Der Herr hat es so formuliert: „Wie mich Am 04. September 1973 fand dann die Aussendungs- der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“ Und so ist es feier für die Schwestern statt. Die nachfolgende An- selbstverständlich für das Leben der Kirche gewesen, sprache während der Eucharistiefeier hielt Herr Dom- wenn Gemeinschaft sich gebildet hatte, wenn sie sich kapitular Stammkötter: so gefestigt hatten, ihre Aufgabe ihnen klar geworden ist, dann knieten Einzelne aus der Gemeinschaft nie- Meine lieben Mitchristen! der und ließen sich stellvertretend für Gott und für die Meine lieben Schwestern! Gemeinde die Hände auflegen, sie ließen sich salben, Unser Diözesanbischof hat mich gebeten, heute Mor- die Gemeinde betete über sie und dann wurden sie ge- gen noch einmal seinen Gruß, seinen Dank, seinen sandt, dann erhielten sie Anteil an der Sendung, die der Glückwunsch und seinen Segenswunsch für die Zu- Herr vom Vater für die sündige, gebrochene, schuldige, kunft zu bringen, Ihnen allen, vor allem aber denen, die vor allem für die leidende Welt empfangen hatte. Und heute ausgesandt werden im Namen des Herren. das, was am Anfang der Schöpfung gestanden hat, im Advent Christi gestanden hat, was zu allen Zeiten in der Unsere Welt, in der wir heute leben, bietet ein seltsam Kirche lebendig gewesen ist, das vollzieht sich in dieser zerrissenes Bild. Die Kirche, noch mehr aber die Orden Stunde: Sendung vom Herrn, Sendung vom lebendi- in der Kirche, haben eine doppelte Aufgabe, immer und gen Gott für den Dienst an den Menschen. Eine solche heute: zunächst einmal, Zeugnis ablegen von der Abso- Stunde braucht nicht viele Worte. Der Herr selber hat lutheit Gottes. Er hat im Leben des Menschen den ers- auf die entscheidende Stelle in der Schrift verwiesen ten Rang. Er ist der Erste und der Letzte. Davon muss und hat sie selbst in seine Hände genommen: „Der gezeugt werden. Dann aber haben die Orden die Aufga- Geist des Herrn ruht auf mir, denn er hat mich gesalbt. be, klar zu machen, dass im Leben des Menschen die Er hat mich gesandt, den Armen die Heilsbotschaft zu erste Sorge der Mitmensch ist, die erste Sorge der Men- bringen, den Gefangenen die Freiheit, den Blinden das schen. Wenn wir heute unsere Welt sehen, dann stößt Augenlicht zu verkünden, die Geschlagenen in Freiheit uns manches ab, aber wer die Augen der Liebe hat, zu setzen und ein Gnadenjahr des Herrn auszurufen.“ sieht hinter politischem Extremismus, sieht sogar hinter Darin ist die Sendung dieser Stunde enthalten und von totalem Sexualismus die große Not des Menschen, den der Sendung des Herrn ist diese Stunde, die wir nun Menschen, der von der Verzweiflung bedroht ist. Und mit bewegten Herzen feiern, ein Stück, das mit großer gar nicht zu unrecht. Wenn vielfach ungeschrieben das Freude erfüllt, mit herzlicher Mitmenschlichkeit, mit Ju- Gesetz der Wirtschaft das Gesetz des Handelns ist, bel und mit Dank gegen den lebendigen Gott. An die- dann muss im Menschen Verzweiflung sein. Und diese ser Sendung des Herrn hat diese Stunde ihren Anteil. Verzweiflung schreit in solchen Formen. Egoismus ist Wenn wir als Priester den Einsetzungsbericht spre- für den Menschen so widernützlich, wie Egoismus für chen, im Namen Christi und in der Person sprechen, Die Missionsstation der Clemensschwestern 33 Ankunft der Schwestern in Ruanda Das anfängliche, bescheidene Wohnhaus wird bezogen. dann sprechen die beiden Schwestern, die heute die Das Centre de Santé wird eingerichtet Sendung erfahren, in einer besonders intensiven Weise Während des ersten Besuches von Direktor Vienen- mit dem Herrn und mit uns, und die Worte lauten: Für kötter in Kaduha wurden die allgemeinen Grundsät- euch und für alle. Und wir miteinander sprechen zu den ze für die Arbeit der Schwestern und den Ausbau der beiden in unserem Beten und unserem Bitten heute: Station mit Bischof Gahamanyi abgestimmt und fest- Für euch. Amen.“ gelegt. Die nachfolgende Aktennotiz dazu wurde von Direktor Vienenkötter nach seiner Rückkehr aus Ru- Die Schwestern traten, gestärkt durch die Segnun- anda verfasst: gen und Gebete, die lange Reise nach Ruanda an. Ihr erstes Ziel war Butare, eine kleine Stadt im Süden des Landes an der Grenze zu Burundi. Butare war auch der Sitz der Diözese von Bischof Gahamanyi. • Die Klemensschwestern sind grundsätzlich bereit, nach Kaduha zu gehen. • Schwester M. Ignatis übernimmt die Verantwor- In der „Cela“, einer Schule der „Weißen Väter“, soll- tung für das Centre Nutritionell und Schwester M. te zunächst die Landessprache Kinyarwanda erlernt Milgitha für das Dispensaire. werden. Ein vom Gesundheitsministerium geforder- • Sie wünschen, dass Arlette noch solange bleibt, tes, erweitertes Fachpraktikum war in der Gesund- wie es für beide Seiten zuträglich ist, damit die heitsstation von Muganza zu absolvieren. Wegen der Schwestern richtig eingeführt werden; sicherlich unbefriedigenden Versorgungssituation entschieden drei Monate, wenn nötig länger. sich das Ministerium und die Diözese jedoch für ei- • Die Schwestern würden es nicht für ausgeschlos- nen direkten Einsatz in Kaduha und den Ausbau des sen halten, wenn sie auch in Zukunft mit Arlette Centre de Santé. Das einsame Bergdorf lag Bischof zusammenarbeiten. Gahamanyi besonders am Herzen, da er in der Re- • Die Schwestern werden zunächst, und wahrschein- gion geboren wurde. Die nötige Abstimmung mit dem lich auch in Zukunft, im Haus wohnen, das jetzt Mutterhaus in Münster erfolgte durch den Bischof. Arlette bewohnt. Das Kloster der Chanoinesses Somit erreichten Sr. M. Ignatis und Sr. M. Milgitha im wäre nach deren Fortgang frei für eine andere Auf- Frühjahr 1994 Kaduha. Dieser Ort sollte nun für lange gabe. Jahre die Heimat der Clemensschwestern sein. 34 Die Missionsstation der Clemensschwestern tet würde. Die Schwestern möchten jedoch keine falschen Forderungen an die Pfarrei stellen, sondern sind um eine gute Zusammenarbeit bestrebt. Die Clemensschwestern nehmen die Arbeit auf Zunächst bezogen die Schwestern das kleine, bescheidene Haus, das von der weltlichen Krankenschwester Arlette bewohnt wurde. Sofort wurde mit der Arbeit und dem Ausbau des Centre de Santé begonnen. Die Station bestand aus dem Dispensaire (Krankenstation) und dem Centre Nutritionell (Mütterschule). Im Direktor Vienenkötter bemühte sich mit Bischof Gahamanyi in den ersten Jahren stets selber um das Wohl der Schwestern. • Wenn jedoch eine dritte Klemensschwester dazukommt, würde die jetzige Wohnung zu eng sein. • Die Klemensschwestern möchten in der Diöze- Dispensaire werden täglich 150 bis 250 Menschen versorgt. Die Kranken, die von nah und fern - oft bis zu 15 km - kommen, sind elend. Häufig haben sie den Weg mit hohem Fieber zurückgelegt. Wird ein Kranker transportiert, geschieht das durch die jeweilige Dorfgemeinschaft mittels selbstangefertigter Tragen. se Butare keinerlei Besitz erwerben. Wenn die Chanoinesses für das Haus der Krankenschwes- Die Kranken erhalten die notwendige Therapie in Form tern ein Entgelt von etwa 7.000 DM wünschen, von Tabletten, Injektionen, Verbänden und Einreibun- so möchten die Klemensschwestern, dass das gen. Für jede Behandlung haben die Patienten 20 Wohnhaus Eigentum der Diözese Butare wird, die FRW (etwa 3 Cent) zu zahlen. Falls erforderlich, erfolgt Klemensschwestern können der Diözese Butare die Unterbringung in dem kleinen Hospital der Station. beim Ankauf helfen. Auch fahren Mitarbeiter regelmäßig in die umliegen- • Wenn die Chanoinesses Kaduha verlassen, soll den Bergregionen, um dort Impfungen durchzuführen. die Diözese die Klemensschwestern als Verant- Der Alltag hat sich bei wortliche für das Dispensaire und das Centre den Schwestern sehr Nutritionell bei dem Gesundheitsministerium an- bald eingespielt und sie melden. Alle rechtlichen Angelegenheiten mit dem haben sich in Kaduha Gesundheitsministerium sollen über die Diözese gut eingelebt. Schnell abgewickelt werden. wurden Kontakte mit • Es muss noch der zuständigen Behörde gemeldet der Kirchengemein- werden, dass die beiden Schwestern ihr Prak- de und Bevölkerung tikum in Kaduha beenden möchten und nicht in geschlossen. Muganza, wie zuerst vom Gesundheitsministerium waren die Schwestern vorgesehen war. herzlich Überall willkommen, • Es ist Sorge zu tragen, dass die beiden Schwestern erhofften sich doch alle mindestens das eine oder andere Mal in der Woche Menschen in der Regi- eine Heilige Messe haben, indem sie entweder die on eine Verbesserung Arbeitszeit der Messe anpassen können oder dass der medizinischen Ver- ein Gottesdienst außerhalb der Arbeitszeit eingerich- sorgung. Ausgabe von Medikamenten Die Missionsstation der Clemensschwestern 35 Schwester M. Ferdinande tritt die lange Reise nach Ruanda an. Sie hat später viel zu berichten. Das kleine Gesundheitszentrum um 1973 Die tägliche Arbeit im Dispensaire und im Centre Nu- Auch kann es sein, dass ein Kranker nachts zum Arzt tritionell hat Sr. M. Ferdinande, die 1978/79 für acht gebracht werden muss, oft auch eine schwangere Monate und später noch einmal für zwei Monate in Frau, wenn sich Komplikationen bei der Entbindung Kaduha war, in ihrem umfassenden Bericht anschau- einzustellen drohen. Ich weiß nicht, wie oft das schon lich dargestellt. Mit einigen Auszügen aus dem Bericht geschehen ist, während alle ruhig schliefen, dass soll der Alltag im Zentrum dargestellt werden: dann die verantwortliche Schwester aus dem Bett heraus musste, um in dunkler Nacht einen Kranken weg- Dispensaire - Krankenstation - zubringen. Das geschieht dann folgendermaßen: Ein Das Dispensaire war ursprünglich eine reine Entbin- Wächter kommt ans Tor, gibt unserem Nachtwächter dungsstation, wurde aber schon früh ausgeweitet einen kleinen Zettel, auf dem der Bescheid steht, dass zu einer Krankenambulanz. Später kam ein kleines ein Kranker die Hilfe der Schwester braucht. Unser Hospital dazu. Solch ein Dispensaire steht in Ruanda Hauswächter schellt bei uns an, begleitet dann die meist unter der Leitung einer Krankenschwester, nicht Schwester durch die dunkle Nacht zum Dispensaire eines Arztes. In unserem Fall ist es Sr. M. Milgitha. Sie und leuchtet ihr dabei mit seiner Lampe. Wenn die ist in der Lage, die sehr häufig auftretenden Krankhei- Schwester Glück hat, ist die Angelegenheit mit Tab- ten wie Malaria, Würmer, Tbc, Lepra und viele andere, letten zu erledigen. Andernfalls muss sie die oben be- die mit Hilfe einfacher Laboruntersuchungen erkannt schriebene Fahrt antreten. werden können, zu behandeln. Sobald es sich aber um Operationen, Knochenbrüche oder um nicht ohne Mit der Pflege im Hospital sieht es folgendermaßen weiteres erkennbare Gebrechen handelt, muss der aus: Kranke in einem Auto zu einem Arzt gebracht werden. Es geht um vieles bequemer als bei uns in den Kran- Doch dieser ist weit entfernt, wenigstens für Kaduha: kenhäusern. Hier braucht man nur verhältnismäßig 50 km schlechte Wegstrecke sind da zu bewältigen. wenig Personal für die Krankenpflege. Alles Übrige Kostbare Stunden gehen fürs Fahren verloren. machen die Angehörigen selber. Jeder Kranke bringt 36 Die Missionsstation der Clemensschwestern mindestens eine Person aus seiner Familie mit, die für Die Mütter der Gemeinde Kaduha besuchen mit ihren ihn sorgt, die ihm Essen kocht und ihm zu trinken gibt, Kindern im Vorschulalter einmal monatlich diese Schu- wenn es notwendig ist, oder ansonsten die dienstbe- le um zu lernen, wie sie ihre Kinder nach dem Entwöh- reite Schwester holt. Auch braucht man kein Personal nen ernähren müssen. Gerade diese Phase der Ent- für die Küche oder zur Zubereitung des Essens. Wie wöhnung ist für das Kind die am meisten gefährdete schon gesagt, für die Mahlzeiten sorgen die Angehö- Zeit, besonders in einem armen Land wie Ruanda, in rigen selbst. Es gibt für sie Kocheinrichtungen, einfa- dem es so wenig Abwechslung in der Ernährung gibt. che, offene Feuerstellen draußen im Hof. Dort sitzen In ihrer großen Unwissenheit machen sich die Müt- sie dann und bereiten die Speisen für sich und die ter wenig Sorge, was sie ihrem Kind zu essen geben, Patienten vor: Eine sehr bequeme Einrichtung, die es wenn es nicht mehr gestillt werden kann: Es muss das in ganz Afrika gibt. Die Angehörigen sind so stark mit essen, was alle Erwachsenen täglich essen, nämlich ihren erkrankten Familienmitgliedern verbunden, dass Bohnen und Patate. Wenn das Kind diese Kost nicht sie sie nicht verlassen, wenigstens im Normalfall. Es verträgt, verliert es schnell an Gewicht. Es stellen sich gibt natürlich auch schlimme Ausnahmen. Störungen ein, besonders durch Eiweißmangel. Es ist sehr anfällig für jede Krankheit. Masern, zum Beispiel, Wenn man am Abend oder bei Nacht mal das kleine sind dann todbringend. Und viele Kinder fallen diesen Hospital betritt und sich fragt, wo bleiben die denn alle, Schwierigkeiten zum Opfer. In der Mütterschule nun es sind doch gar nicht so viele da, da sieht man sie wird diesem Übel entgegengearbeitet. Miteinander be- dann neben ihren kranken Angehörigen auf dem Bo- reiten die Frauen dann ein gutes Mahl für die Kinder, in den kauernd, einfach auf einer Matte liegend, in eine dem alle wichtigen Nährstoffe wie Eiweiß, Kohlehydra- Decke eingerollt und tief schlafend. Manchmal wagt te, Mineralien, Vitamine und Fett enthalten sind. es auch einer, sich in ein freies Bett zu legen. Aber das ist verboten, das dürfen sie nicht, dann müssen sie Die Mütter sind, entsprechend ihren Wohngemein- Strafe zahlen. Die freien Betten sind deshalb auch nur schaften, nach Hügelgruppen eingeteilt. Täglich, von nackte Eisengestelle ohne Bettzeug. Da kann man montags bis freitags, kommt eine Gruppe von ca. fünf- genau so gut auf dem Boden liegen. zig Frauen für einen Vormittag. Jede Gruppe kommt einmal im Monat und das drei Jahre lang. Laut Pro- Bei Nacht sorgt dann ein Nachtwächter eigens für das Hospital, damit alles in Ordnung ist. Und wenn ein Patient ruft, so erscheint erst der Nachtwächter mit der Lampe und fragt nach dem Begehren. Und wenn Schwierigkeiten bei dem Patienten auftreten, wird die diensthabende Schwester gerufen, die ein eigenes Zimmer in dem Hospital hat und dort schlafen darf, bis sie gerufen wird. Centre Nutritionell - Mütterschule Als ich nach Kaduha kam, wurde ich gebeten, ein wenig mitzuhelfen in dieser Mütterschule. So lernte ich, nachdem ich vier Wochen zur Eingewöhnung im Land verbracht hatte, was es auf sich hatte mit dieser Mütterschule. Ich möchte hiermit ihr Programm vorstellen: Unterricht in der Mütterschule Die Missionsstation der Clemensschwestern 37 gramm soll es morgens um 8.30 Uhr beginnen, und zwar mit dem Kinderwiegen. Dann folgt die Besprechung mit der jeweiligen Pflegerin über den Zustand des Kindes, das Vorzeigen dessen, was die Frauen zu Hause für ihr Kind gekocht haben, die Nachfrage in Form eines kleinen Examens, ob auch der Gruppe die Nährwerte bekannt sind. Dann folgen zwei Stunden Belehrung über Ernährung und Hygiene, über Krankheiten und über Gartenbau. Und während der Unterweisung wird das gemeinsame Mahl für die Kinder gekocht. Die Frauen müssen dazu selbst Zutaten mitbringen, ebenso das Brennholz. Sie kochen das Gemüse selbst unter der Aufsicht einer unserer Angestellten. Nach der letzten Unterrichtsstunde geschieht dann die Verteilung von Lebensmitteln sowie Das Essen für die Mütter wird auf einer einfachen Kochstelle hergerichtet. auch des Gemüses für die Kinder. Wer aber am Morgen sein Examen nicht bestanden hat, empfängt nicht Brief von Schwester M. Ferdinande an die Mit- zwei Knöpfe als Bewilligung der Lebensmittel und schwestern in der Heimat muss dann leer ausgehen: eine sehr gefürchtete, aber Kaduha ist besonders in den ersten Jahren auf Grund gerechte Strafe. fehlender Kommunikations- und schlechter Postwege von und nach Münster nur sehr schwer zu errei- Um 12.30 Uhr ist die Schule beendet und die Frauen chen. Allen Schwestern wurde die große Distanz sehr gehen dann wieder nach Hause. Oft haben sie einen schnell bewusst. Es entwickelte sich dadurch ein Ei- weiten Weg zu Fuß, mehrere Stunden. Doch bringen genleben, das nicht immer nur Vorteile brachte. Die sie es fertig, wenn es sein muss, ohne Uhr pünktlich Verantwortung für die Mission drückte vielfach sehr zur Stelle zu sein. stark auf den Schultern der Schwestern. Sie lernten aber, damit umzugehen und den Kontakt zur Heimat Betreut werden die Frauen von ruandischen Mädchen, so gut wie eben möglich aufrecht zu erhalten. Viele die selbst nur eine dreimonatige Ausbildung in einer Briefe, besonders aus den Anfängen, bezeugen das eigens dafür eingerichteten, praktischen Mütterschu- Bedürfnis der Schwestern, die Verbindung zu den Mit- le erhalten haben. Als ich anfangs dort war, waren es schwestern der Gemeinschaft und der eigenen Fami- fünf Mädchen und ein Mann. Die fünf Mädchen sorg- lie stets aufrecht zu erhalten. Beispielhaft soll das mit ten für die Unterrichtung der Frauen und für die Pfle- dem nachstehenden Brief, den Schwester M. Ferdi- ge der unterernährten Kinder in dem kleinen Hospital. nande an die Jubilarinnen der Gemeinschaft schrieb, Der Mann war zuständig für die Feldarbeit und zeigte dargestellt werden: den Frauen, wie sie auf dem Feld arbeiten mussten. Diese sechs Leute waren meine Mitarbeiter während Liebe Jubilarinnen des Frühjahrs 1979! meines Aufenthaltes in Kaduha. Mit ihnen habe ich Da ich ja nicht mit Euch zusammen, wenigstens mit manch schöne, aber auch viele, sehr viele, schwere einigen von Euch, den großen Tag Eures Jubels mit- Stunden verbracht mit der Arbeit und Sorge um die feiern kann, will ich wenigstens Euch meinen, sowie Frauen. auch Schwester M. Milgithas Gruß und Glückwunsch zukommen lassen! Gott sei Dank fand ich unter all 38 Die Missionsstation der Clemensschwestern meinen Sachen und Büchern den Zettel, auf dem alle ben wurde und die Räder schrecklich rutschten. Da Jubiläen dieses Jahres aufgezeichnet sind. So bin ich hat es mächtig gespritzt. Von oben bis unten war ich nun im Bilde und schreibe ganz schnell, damit mein voller rotem Matsch, wie getauft! War ja auch gerade Brief Euch wenigstens noch in der Jubel-Oktav er- Ostern! Als wir dann zu Hause ankamen, nach Stun- reicht! Die Schwestern in der Verwaltung des Mutter- den, war ich wie eine Mumie mit getrockneter Lehm- hauses, die ja, Gott sei Dank, stets bereit sind, all un- schicht bedeckt. Brauchte mich nur abzustauben!!! Ein sere frommen Wünsche zu erfüllen, bitte ich hiermit, weiteres Hindernis wird für die Reisenden dies sein, diesen meinen Brief zu vervielfältigen und einer jeden am 18. Mai, dass die Flüsse über die Ufer getreten von Euch zukommen zu lassen. sind, dass die Brücken überschwemmt sind. Wenn sie dann glücklich den 4 Stunden langen Weg bis vor Ki- Große Geschenke kann ich nicht machen, die be- gali (153 km) geschafft haben, trotz aller Hindernisse, kommt Ihr auch sicher zur Genüge, mein Geschenk kann es ihnen passieren, dass sie doch noch wieder sei einfach nur dieses: Euch ein wenig erzählen von umdrehen, oder einen großen Umweg machen müs- hier, wie sehr das Interesse für Afrika vorne ansteht. sen, da gesagt wird, der große Fluss vor Kigali hat Dann kann wohl noch was werden aus unserer Euthy- die Brücke überschwemmt, es ist kein Durchkommen. mia-Station. Wenn Euch also, liebe Schwestern, dieser mein Brief noch rechtzeitig erreicht, so wisst Ihr, sie haben den Es ist von hier aus schwierig, Post abzuschicken. Man Weg trotz allem geschafft. So ist das hier in Afrika. muss erst eine Autofahrt von 1 ½ bis zwei Stunden machen, um zur Post zu kommen. Briefträger, - die gibt es Doch nun auch mal was Schönes von hier. Schön ist hier nicht! Da muss mal jeder sehen, wie er seine Post es vor allem, dass das Leben hier ruhiger verläuft. Das erhält, beziehungsweise wegbekommt in die nächste kommt mir sehr zugute, da ich hier nun erst richtig Stadt. Doch ist nachbarliche Hilfe eine sehr geschätz- merke, wie sehr ich in Deutschland gerannt bin. te Einrichtung hier; wer eine Fahrt macht, sagt es oft den anderen und fragt, ob er was zu besorgen hat. So Die Abende stockdunkel bei Kerzenlicht, weil es im fährt just am 18.05. eine Schwester aus der Nachbar- Moment auch wenig Petrol gibt für den Lichtmotor, schaft in die Heimat nach Europa, da nimmt sie meine sind herrlich lang. Statt der ewigen Autogeräusche, Post mit. Gebe Gott, dass sie durchkommt mit dem die es zu Hause immer gibt und die man dort schon Auto nach Kigali, der Hauptstadt von Ruanda, von wo gar nicht mehr hört, hört man hier bis ins stille Zim- das Flugzeug startet. Es ist nämlich jetzt Regenzeit, mer das Gezirpse und Gegurgele von allerhand Gril- die „Straßen“ – sprich schlechten Wege - sind dann len, Unken und solchem Getier, das beim Dunkelwer- noch um einiges schlechter als sonst: aufgeweicht von den erst lebendig wird. Das erinnert mich stark an die vielem Regen, überschüttet von Erdmassen und um- Abende meiner Jugendzeit, als unsere ganze Fami- gestürzten Bäumen und allem, was da so die Hügel lie bei gutem Wetter draußen saß und den schönen hinabschießt bei den starken Regenschauern! Und Abend genoss. Und wenn dann hier mal wirklich ein da es hier nicht so was wie Straßenwacht oder ADAC Auto vorbeifährt, so ist man, wie früher, versucht auf- gibt, macht so schnell niemand was, damit die Straße zuspringen, ans Fenster zu gehen, um zu sehen, was wieder frei wird. Auch wir beide, Schwester M. Milgi- es für ein Auto ist und wohin es fährt. In vielen Dingen tha und ich, haben schon einige Male festgesessen im ist hier die Zeit um 30-40 Jahre zurück und für uns Matsch mit dem Auto. Da müssen hilfsbereite Leute Christen die Gelegenheit, die vielfach große Unkennt- für einige Groschen schieben, bis es wieder geht! Ein- nis der Menschen hier in gute Bahnen zu lenken. Das mal geriet ich hinter den Wagen, als gerade gescho- sieht dann praktisch so aus, dass wir ihnen den Wert Die Missionsstation der Clemensschwestern 39 des Lebens zeigen, wie Güte, Gerechtigkeit, Ehrlich- die alle von mir wollten. Doch nun verstehe ich vie- keit, gegenseitiges Helfen, Einsatz der eigenen Person les mehr. Kann auch schon etwas die Sprache, oder für den Anderen bis zum Ende der Kraft. Das ist alles Französisch, das die Kinder ja in der Schule schon hier längst nicht selbstverständlich, vielmehr ist nur in den ersten Jahren lernen. Ganz begierig sind sie, jeder, der es schon zu etwas gebracht hat, bestrebt, auch mal ein deutsches Wort zu hören und zu lernen. sein bisschen zu mehren, wie er nur kann, auch auf Wenn sie es aussprechen können, ist der Jubel groß. Kosten anderer, und ja nicht danach zu sehen, wann da einer was von ihm will, weil er arm und krank ist. Freundlichkeit und Aufgeschlossenheit gegenüber Das habe ich so richtig bei meinen Mitarbeiterinnen in Fremden als Gast erfahren wir hier auch beim Besuch der Mütterschule erlebt. in den Familien, die wir ja von der Mütterschule aus machen müssen. Wenn wir dann eingeladen werden, Doch wollte ich eigentlich nur was Schönes von hier in den „Hof“ treten zu dürfen, Platz zu nehmen auf berichten, z.B. wie freundlich man andererseits mit- dem sicher einzigen Stuhl, den es im Haus gibt, natür- einander ist. Der Gruß hier ist eine sehr eindrucks- lich nach der üblichen Begrüßung, dann kann man mit volle Weise der Begegnung, die wir gar nicht mehr ihnen sprechen, auch mal fragen, wie es den Kindern kennen. Jeder will jeden, besonders wenn er etwas geht, fragen nach dem „Garten“ und ob sie auch alles höher steht, also etwas besser gekleidet ist als der sachgerecht angelegt haben. Sie freuen sich darüber andere, begrüßen, nicht nur eben „Guten Tag“ sagen, und geben willig Auskunft. Dann folgt der Abschied: sondern zuerst eine mehr oder weniger intensive Um- Mann und Maus gehen mit, oft ein ganzes Stück Wegs armung(!!!), dann das Handschütteln, die Frage nach bis zur nächsten Familie, dann beginnt zunächst die dem Wohlergehen, Frage nach Neuigkeiten, dann ei- Frau, meist stets mit einem kleinen Kind auf dem Arm, nige Zeit Schweigen mit häufigem „Hm, hm“ und dann zu bitten, „Auf Wiedersehen“ sagen zu dürfen, spä- vielleicht, wenn wirklich nichts mehr zu sagen ist, gibt ter einige andere der größeren Personen, zuletzt der man sich nochmal die Hand und geht mit guten Wün- Mann. Einmal, als es stark regnete und der Weg kaum schen auseinander. Nun ist es schlimm, wenn es je- passierbar war, nahm der Mann seine Hacke mit, ging mand mal eilig hat aus irgendeinem Grund. (Aber das vor uns, um den Weg freizuschaufeln. Vorher hatte mir ist eigentlich nur bei uns verrückten Europäern der die Frau ihren Wanderstab in die Hand gegeben, da- Fall!!!!) Denn diese Begegnungen gibt es x-mal auf mit ich auch gut laufen könne und nicht ausrutsche. einem Weg von ca. einem Kilometer. Da darf sich nie- Ob es so was bei uns noch gibt??? mand vornehmen, bis dann und dann am Ziel zu sein oder er muss entsprechend mehr Zeit einkalkulieren. Und nun ist schon mein Briefpapier bald auf der Da wollen so viele begrüßt werden, wollen wissen, wo 2. Seite voll. man hingeht (Das zu fragen ist hier keine Unhöflichkeit.). Wollen was Neues erfahren oder geben. ... Be- Ich denke, Euch hiermit eine große Freude bereitet sonders für uns Weiße ist es sehr wichtig, jedem Zeit zu haben, liebe Jubilarinnen, da ich weiß, wie gern zu schenken, der uns die Hand geben und begrüßen Ihr aus dieser Euch so fremden Welt etwas hört. Ich will, vor allem Kindern. Wenn ich mal spazieren gehe, wünsche Euch die Freundlichkeit und Zufriedenheit, habe ich gleich eine ganze Traube von Kindern hinter die die Menschen sich hier trotz aller Armut und auch mir, auch wenn ich ihnen nichts zu geben habe, nicht Drangsale bewahrt haben und grüße Euch nochmals einmal Worte, weil ich nicht genügend ihre Sprache ganz herzlich, zusammen mit Schwester M. Milgitha, kenne. Schön ist das manchmal. Am Anfang aber hat in Liebe es mich mächtig geängstigt, da ich nicht wusste, was Eure Schwester M. Ferdinande 40 Die Missionsstation der Clemensschwestern Anmerkungen des Autors: Ausbau des Centre de Santé In dem umfangreichen Bericht und dem Brief von Die vorhandenen Räumlichkeiten reichten schnell Schwester M. Ferdinande steckt viel Wahres über nicht mehr aus, um dem stetigen Anstieg der Patien- die Menschen in Ruanda, deren Mentalität und deren tenzahlen und der Frauen in der Mütterschule gerecht Miteinander. Zum Glück konnte sich die Landbevöl- zu werden. Immer häufiger erfolgten Behandlungen kerung ihre Kultur bis heute weitgehend bewahren. unter freiem Himmel. Die Patienten hatten teilweise Aber auch der für die Menschen in Ruanda bekann- über Stunden außerhalb des Zentrums auf die Be- te Neid untereinander und deren Missgunst spiegeln handlung zu warten. Vor allem während der Regen- sich in den Texten wieder. Wie gerne habe ich Auszü- zeiten führte das vielfach für die Kranken zu einer ge davon übernommen und mich bei einem Besuch weiteren Beeinträchtigung ihrer gesundheitlichen Si- mit Schwester M. Ferdinande über ihre Erlebnisse in tuation. Die Räumlichkeiten waren nicht nur zu be- Kaduha unterhalten. Hatten wir uns doch viele Din- grenzt, sie waren auch völlig überaltert und renovie- ge zu erzählen. Ihre tiefen positiven, aber auch ne- rungsbedürftig. Zügig wurde daher damit begonnen, gativen Eindrücke über ihren ersten, achtmonatigen erste Pläne für die Erweiterung und die Umgestaltung und den weiteren, zweimonatigen Aufenthalt sind ihr des Gesundheitszentrums zu erarbeiten. Es sollte noch allgegenwärtig. So manch eine ihrer Aussagen den zeitgemäßen Anforderungen entsprechend aus- hat mich sehr nachdenklich gemacht, deckten sie sich gebaut und modernisiert werden. Ein kleines Hospital doch meist mit meinen eigenen Erfahrungen und Er- war zu errichten und die Mütterschule musste integ- lebnissen. riert werden. Das Mutterhaus in Münster erklärte sich Der von Hand gezeichnete Bauplan dient als Grundlage des neuen Centre de Santé. Die Missionsstation der Clemensschwestern 41 Das neue Wohnhaus für die Schwestern wird errichtet Schon bald nach ihrer Ankunft in Kaduha stellten die Schwestern fest, dass es ihnen nicht möglich war, mit mehreren Personen in dem kleinen Haus zu wohnen, das den belgischen Schwestern gehörte. Dies besonders, wenn mit Sr. M. Quirina im November 1976 noch eine Das Zentrum strahlt in neuem Glanz. dritte Schwester nach Kaduha kommen würde. Auch für Besucher stand bereit, die Kosten des Aus- und Umbaus zu überneh- kein geeigneter Platz zur Verfügung. Die hygienischen men. Mit der Planung und Bauleitung wurde der Bau- Verhältnisse und das fehlende Wasser beeinträchtig- meister der Diözese Butare, Bruder Gratian, betraut. ten die Lebensbedingungen zu sehr. Das Mutterhaus Nach vielen Gesprächen wurde von ihm, natürlich von hatte sich daher bereit erklärt, nach der Finanzierung Hand, ein Bauplan gezeichnet und zur Genehmigung des Centre de Santé auch die Finanzierung eines eingereicht. Der Plan ließ die damalige Einfachheit neuen Wohnhauses zu übernehmen. Die Planung und der Ruander auch in diesen Dingen erkennen. Detailpläne, wie wir sie in Deutschland schon immer kennen oder gar statische Berechnungen gibt es nicht. Fast täglich war an der Baustelle über die Ausführung „zu verhandeln“. Alle erforderlichen Materialien konnten in der Umgebung beschafft werden. Viele hilfreiche Hände aus der Gemeinde Kaduha waren für die Errichtung erforderlich. Dies war sehr willkommen, verdienten sich die überwiegend Arbeitslosen in der Region so doch etwas Geld zum Lebensunterhalt. Das gab ihnen ein besonderes Selbstwertgefühl. War es doch etwas ganz Besonderes für sie, in dem einsamen Bergdorf, „IHR“ Gesundheitszentrum selber zu errichten. Das neue Wohnhaus der Schwestern 42 Die Missionsstation der Clemensschwestern Das neue Wohnhaus sollte genügend Platz für die Schwestern und Gäste bieten. Bauleitung erfolgte ebenfalls durch den Baumeister schaffen werden. Auch sollte es ihnen, durch Baustil der Diözese Butare, Bruder Gratian. Mit dem Wohn- und Ausstattung, ein Heimatgefühl vermitteln. In kur- haus sollte den Schwestern eine Stätte der Ruhe und zer Zeit war das Gebäude errichtet. Besinnung zum Ausgleich für ihre tägliche Arbeit geFortan verfügten die Schwestern über ein Wohnhaus nach „europäischem“ Standard. Auch das nun endgültig fertig erstellte Centre de Santé war beispielhaft für Ruanda und bot den Mitarbeitern und Patienten optimale Bedingungen. Bei der Abrechnung der Bauarbeiten gab es einige „für Afrika übliche“ Probleme. Die Schwestern lernten dadurch einen vorsichtigen Umgang mit Geldern, die von Deutschland überwiesen werden. Alles klärte sich aber letztlich auf und der Einweihung durch Bischof Gehamanyi stand nichts mehr entgegen. Bischof Gahamanyi weiht das neue Wohnhaus ein. Die Missionsstation der Clemensschwestern 43 Der Genozid erreicht Kaduha des Besuches war der Unterricht in der Schule gera- Das neu geschaffene Centre de Santé wurde von al- de wieder aufgenommen worden. Noch immer lagen len Patienten und Mitarbeitern sehr schnell angenom- an dem Ort verstreut Kleidungsstücke und Knochen. men und mit Leben erfüllt. So vergingen die Jahre und Einige Schüler spielten ganz in der Nähe mit verstreu- ein gewohnter Alltag eines unermüdlichen Einsatzes ten Rippenknochen anderer getöteter Kinder. Der Kir- stellte sich ein. Besucher kamen und gingen. Sie alle chenkomplex wies Spuren gewaltsamen Eindringens erhellten den Alltag der Schwestern und brachten In- und verzweifelter Lebenskämpfe auf. Der Küchenbe- formationen aus der Heimat. Viele, selbst zwischen- reich war, wahrscheinlich durch eine Granate, in die menschliche Probleme die eine solche Mission in der Luft gesprengt, einige Türen aufgebrochen worden. „Einsamkeit“ auch unter den Schwestern zur Folge An den Wänden waren blutige Fingerabdrücke und hatte, galt es in all den Jahren zu lösen. Ab etwa 1990 von Schlägen mit Macheten herrührende Spuren zu änderte sich, bedingt durch aufflammende politische erkennen. Fenster und Türen waren übersät mit Ein- Konflikte unter den Volksstämmen der Tutsi und Hutu, schusslöchern. jegliches Leben und Wirken in Ruanda. Auch der Alltag, Kurz nachdem die Nachricht vom Tod Habyarimanas und damit die Arbeit im Centre de Santé, veränderte eingetroffen war, begannen „Intellektuelle“ das Ge- sich in einem zunächst nicht eindeutig identifizierba- rücht zu streuen, Tutsi bereiteten sich darauf vor, Hutu ren, schleichenden Prozess. Es kam zu vermehrten zu ermorden. Unterpräfekt Joachim Hategikimana for- Spannungen unter Patienten und Mitarbeitern. Immer derte am 7. April aus Gikongoro Nationalpolizisten an. wieder erfuhren die Schwestern von kriegerischen Es wurden drei Polizeibeamte entsandt, die jedoch, Auseinandersetzungen zwischen den Tutsi und Hutu. anstatt Tutsi zu schützen, noch am selben Abend vier Die Informationen wurden mit der Zeit immer konkre- von ihnen festnahmen, weil sie angeblich die Aus- ter und die Sorge um die eigene Sicherheit wuchs, bis gangssperre verletzt hatten. Die vier, unter ihnen zwei letztlich 1994 der Bürgerkrieg in einer ganz besonde- Angestellte des landwirtschaftlichen Entwicklungs- ren Härte und Brutalität Kaduha erreichte. projektes von Gikongoro, wurden von den Polizisten mehrere Tage lang in Haft gehalten und während die- Der nachfolgende, authentische Interviewbericht von ser Zeit brutal zusammengeschlagen, bevor man sie „Human Rights Watch“ beschreibt das Massaker in wieder auf freien Fuß setzte. Kaduha: Der Unterpräfekt rief mit Beginn der Krise seine Un- Die Kirche in Kaduha liegt hoch auf einem Hügel. tergebenen zusammen und wies sie – ähnlich wie es Oberhalb befindet sich eine Grundschule und unter- der Präfekt getan hat - an, sicherzustellen, dass In- halb die Sekundarschule, ein Gesundheitszentrum formationen der Befehlshierarchie folgend nach oben und ein Militärkrankenhaus. Als das Team von Human gemeldet würden, vom Zellenvorsteher über die Ge- Rights Watch den Ort im Februar 1995 besuchte, hat- meinderatsmitglieder und Bürgermeister bis hin zum ten die Behörden erst kurz zuvor Hunderte Leichen Unterpräfekten. Nach Angaben eines Verwaltungs- exhumiert, nachdem Regenfälle die Erde über drei beamten mussten sie jedem Vorfall nachgehen und flachen Massengräbern nahe der Kirche abgetragen reagieren, wenn etwas passiert war, nicht jedoch im hatten. Auf zwei Bahren, die jeweils rund 27 m maßen, Vorfeld tätig werden. lagen zwischen 500 und 1.000 Leichen. Ab dem 8. April, als der Unterpräfekt wegen der Tötung in der Kirche von Mushubi in Muko Ermittlungen In der Nähe der Schule gab es noch andere Mas- aufnahm, begann er auch, Angreifer festzusetzen. Als sengräber, weitere zwölf befanden sich entlang der Hategekimana auf eine Gruppe stieß, die ein Tutsi- Straße zwischen Kirche und Schule. Zum Zeitpunkt Haus belagerten, nahmen er und die ihn begleitenden 44 Die Missionsstation der Clemensschwestern Polizisten die Verfolgung der Angreifer auf, feuerten ten. Die ersten Tutsi, die in Kaduha eintrafen, stamm- Schüsse auf sie ab und töteten einen von ihnen. Eine ten aus entfernten Regionen. Die in der unmittelbaren Woche später, am 15. April, gelang es dem Unterprä- Umgebung der Kirche lebenden Tutsi begaben sich fekten, gemeinsam mit einigen Polizeibeamten, eine erst um den 14. April dorthin, nachdem ihnen Hutu große Menge zu entwaffnen, die sich gerade auf dem aus dem Bergland Übergriffe angedroht hatten. Viele Masizi-Markt versammelte, um Tutsi anzugreifen, wel- Tutsi flüchteten auf eigene Initiative hin in die Kirche, che sich in das Bürgermeisteramt von Musange ge- andere mit Hilfe öffentlicher Verwaltungsbeamter, so flüchtet hatten. Nach Auskunft von Augenzeugen gab wie diejenigen aus Musebeya. Der Bürgermeister von die Polizei Schüsse in die Luft ab, woraufhin die Men- Muko – möglicherweise auch einige seiner Amtskol- ge auseinanderstob und so viele Speere, Macheten, legen - hatte sich zunächst geweigert, den Tutsi bei Knüppel und andere Waffen zurückließ, dass damit ihrer Flucht nach Kaduha behilflich zu sein, hat seine fast ein ganzer Raum hätte gefüllt werden können. Meinung aber später geändert und sie ermutigt, sich Die Verantwortung, in seinem eigenen Amtssitz den dorthin auf den Weg zu machen. Einige Überleben- Tutsi Schutz zu gewähren, mochte Hategekimana hin- de glauben, dass die Behörden bei einem Treffen mit gegen nicht übernehmen. Ein Zeuge, der am 9. April dem Unterpräfekten den Beschluss gefasst haben, gegen 18.00 Uhr zusammen mit einer Gruppe Tutsi die Tutsi nach Kaduha zu locken, um sie in einem ein- aus Muko in der Unterpräfektur eintraf, berichtete: Wir zigen großen Massaker, anstatt weiterhin in kleinen sind dorthin gegangen, weil es der Sitz der Regierung Gruppen, umzubringen. Ein solcher Beschluss hätte war und wir glaubten, dort Zuflucht zu finden. Die dem Muster, dem das Morden in anderen Teilen des Hoffnung mag um so größer gewesen sein, als Hate- Landes folgte, durchaus entsprochen. Hategekimana gekimana selbst aus Kaduha stammte und die Men- postierte fünf Polizisten an der Kirche, um die Tutsi schen darauf vertrauten, dass er in seinem Heimatort zu beschützen. Etwa eine Woche lang blieb die Lage keine Massaker zulassen würde. Der Unterpräfekt ruhig, und die Tutsi kehrten bei Bedarf in ihre Häuser sammelte die Macheten und Speere, die die Tutsi bei zurück, um ihre Nahrungsmittelvorräte aufzufüllen. sich trugen ein, erklärte der Gruppe, dass er sie nicht Eine Zeugin berichtete: aufnehmen werde, und geleitete sie zur Kirche von Kaduha. Zu diesem Zeitpunkt waren die Kirchen noch „Während dieser Zeit standen sich Hutu und Tutsi nicht Schlachthöfe geworden, und die Tutsi suchten weiterhin nahe. Hutu brachten Essen und das Vieh, aus freien Stücken im Gotteshaus Zuflucht. das ihre Tutsi-Nachbarn zurückgelassen hatten. Ei- Als die Anschläge von einem Hügel auf den nächs- nige Menschen gingen selbst in ihre Häuser zurück, ten und von einer Gemeinde auf die andere übergrif- um Dinge zu holen, die sie zuvor nicht mitgenommen fen, war es für die Tutsi nicht mehr möglich, in ihren hatten.“ Häusern zu bleiben. Auch wurde es zunehmend für Die Zeugin gab des Weiteren an, dass sich die Situa- sie schwierig, bei ihren Hutu-Nachbarn Unterschlupf tion am 17. April, kurz nachdem auf nationaler Ebene zu finden. Angreifer in Muko beispielsweise drohten, eine aggressivere Politik beschlossen worden war und sie würden Hutu dazu bringen, jeden Tutsi, den sie mit Oberfeldwebel Ntamwemezi ein neuer Beamter versteckt hielten, zu töten. Anfänglich waren es Hun- der Nationalpolizei den Dienst in Kaduha angetreten derte, später Tausende Tutsi aus den Gemeinden hatte, dramatisch geändert habe. Sie fuhr fort: Musebeya, Muko, Karambo und Musange, die im „Vom 17. April an verwehrten sie den Menschen, Nah- Pfarrzentrum von Kaduha, in der Kirche selbst, in den rungsmittel zu bringen, und die Tutsi konnten die Kir- angrenzenden Schulen, im Gesundheitszentrum und che nicht mehr ungehindert verlassen. Sie wurden von in sämtlichen sonstigen umliegenden Gebäuden lager- Personen, die Sperren eingerichtet hatten, angehal- Die Missionsstation der Clemensschwestern 45 ten. Solltest du dich entschlossen haben, hinaus zu zu suchen und anschließend wieder zu kommen. gehen, nach Hause zu gelangen, um etwas Essen zu Am selben Tag spürte der aus Burundi stammende holen, konnten sie dich töten. Einige Menschen, die Gemeindepfarrer Robert Nyandwi eine Tutsi-Lehrerin hinausgegangen waren, wurden umgebracht.“ in ihrer Wohnung auf, in der sie sich versteckt gehal- Am 18. April sollen der neu eingetroffene Oberfeld- ten hatte. Die Lehrerin wohnte in der Nähe einer Bar, webel der Nationalpolizei und der Unterpräfekt Tutsi die als CDR-Treffpunkt bekannt war. Von dem Priester gezwungen haben, das Gesundheitszentrum zu ver- erfuhr sie, dass der Angriff von der Bar aus gestartet lassen und sich in den Kirchenkomplex zu begeben. werden würde. „Ich bringe dich zum CND2.“, soll der Schwester Milgitha, die das Zentrum leitete, wurde Priester insistiert haben - eine ironische Anspielung lediglich gestattet, schwerkranke Tutsi bei sich zu be- auf das nationale Parlamentsgebäude in Kigali, das halten. der RDF als Hauptquartier diente. Die Lehrerin erin- Ab dem 18. April nahm der Unterpräfekt keine Verhaf- nert sich: tungen von Personen mehr vor, die Tutsi angriffen. Am „Er packte mich an den Arm und zerrte mich auf die 20. April beobachtete ein Verwaltungsbeamter, dass Straße. Wir machten uns zu Fuß zur Kirche auf. Doch „überall Gruppen waren, die sich zusammentaten, als wir den Weg erreichten, sah ich eine riesige Men- um nach Kaduha zu ziehen, um das Lager, das heißt, ge von Menschen, die Bananenblätter trugen und Ma- die an der Kirche lagernden Tutsi, zu vernichten“. Der cheten mit sich führten. Ich riss mich von ihm los und Unterpräfekt hörte auch auf, in der Nachbargemein- rannte davon. Ein Freund hielt mich in seinem Haus de Musange junge Menschen anzusprechen, die ihm versteckt. Der Gemeindepfarrer Rober Nyandwi wollte nicht bekannt waren, die aber behaupteten, aus der mich der Menge, die sich zum Angriff auf die Kirche Gegend zu stammen. Der Zeuge berichtet weiter: vorbereitete, ausliefern.“ „Ich sah, dass diese jungen Menschen, die Militäruni- Das Morden begann schließlich am 21. April noch form trugen, Fremde waren. Aber ich konnte da nicht vor dem Morgengrauen, als Angreifer Granaten in ein wirklich nachhaken. Ich konnte mich nicht mit dem Haus warfen, in das sich mehrere männliche Tutsi ge- Militär anlegen, vermutete aber, dass sie insgeheim flüchtet hatten, unter ihnen jene vier, die am 7. April geschickt worden waren. Sie stammten nicht aus un- verhaftet und geschlagen worden waren. Bei Tages- serer Gegend, das konnte ich sehen. Ich fragte den anbruch gingen Tausende Menschen aus Musebeya, Chef der Nationalpolizei, einen Mann aus Ruhengeri, Muko und anderen Gemeinden zum Angriff über, un- doch der sagte nur: „Mach dir keine Sorgen“.“ terstützt von Nationalpolizisten, Soldaten in Zivil und Nach Angaben eines anderen Zeugen durchsuchte ehemaligen Militärs. Nachdem sie mehrere Stunden der Unterpräfekt noch am selben Tag die Kirche von Schüsse abgefeuert und Granaten geworfen hatten, Kaduha nach Waffen. hielten die Angreifer eine Weile inne, um auf Muniti- Am 20. April, kurz vor Mittag, plünderte eine Men- onsnachschub zu warten. Während dieser Zeit setz- schenmenge den Viehbestand und anderes Eigentum ten sie das Morden mit Macheten, Speeren, Knüppeln der an der Kirche lagernden Tutsi. Es gelang den Tutsi, und anderen Waffen fort. Ein Zeuge, der sich ganz in die Angreifer zurückzuschlagen, ohne dass jemand zu der Nähe versteckt hielt, erinnert sich: Tode kam. Die zur Bewachung der Kirche abgestell- „Ich konnte Gewehrsalven und Granatenexplosio- ten Nationalpolizisten sollen die Angreifer zurückge- nen hören, außerdem das Schreien von Menschen, schlagen haben, möglicherweise weil sie erkannten, die getötet wurden. Die Angreifer feuerten Schüsse dass die Menge nicht groß genug war, um die Tutsi zu ab und warfen Granaten in die Menge. Anschließend bezwingen. Einige Zeugen gaben an, die Nationalpo- rückten die Mörder in Gruppen vor und töteten mit tra- lizisten hätten den Angreifern geraten, nach anderen ditionellen Waffen alle noch lebenden Menschen. Es 46 Die Missionsstation der Clemensschwestern begann am frühen Morgen des 21. April und dauerte lassen, eine stumme Warnung vor den Konsequenzen den gesamten Donnerstag und Freitag an. Am Freitag jeglichen Widerstandes. suchten sie vorwiegend noch Personen, die sich ver- Simba, einer der politischen Führer, hielt sich einen steckt hielten.“ Tag vor dem großen Angriff, in Begleitung von Militär- Ein anderer Zeuge, der sich in der Kirche befunden führern, in Kaduha auf. Nach Aussagen von Zeugen hatte, berichtete: „Mit der Granatenexplosion sei das traf er zusammen mit einer Militäreinheit aus Gikon- Signal zum Angriff gegeben worden.“ „Die National- goro ein, um die Kirche erstmals mit Schusswaffen polizei, die uns angeblich beschützen sollte“, so seine anzugreifen. Die Angriffe in Kaduha wurden von Mi- Schilderung, „war in der Landwirtschaftsschule unter- litärpolizisten unter der Befehlsgewalt von Oberfeld- gebracht. Als wir aufwachten und feststellten, dass wir webel Ntamwemezi, von ehemaligen Militärs und von umzingelt waren, versuchten wir, uns zu verteidigen. ortsansässigen, noch im aktiven Dienst befindlichen Wir waren mehr Leute als sie, und so gelang es uns, Soldaten ausgeführt. Ein Zeuge bemerkte zur Rol- sie zurückzudrängen, indem wir sie mit Steinen be- le der Soldaten und Nationalpolizisten, die erst eine warfen. Doch die Nationalpolizei kam zu ihrer Verstär- Woche zuvor von Diensteinsätzen in anderen Teilen kung herbei. Sie begann, die Menge zu organisieren, Ruandas nach Kaduha zurückgekehrt waren: „An der feuerte Schüsse ab und warf Granaten.“ Kirche sah ich ausschließlich Nationalpolizisten in Der Zeuge flüchtete gegen 11.00 Uhr mit einer gro- Uniform. Die anderen Soldaten und Nationalpolizis- ßen Gruppe von Menschen – er schätzte deren Zahl ten trugen als Tarnung Zivilkleidung, hatten aber Ge- auf etwa 1.000 – in Richtung Südosten. Eine andere wehre bei sich. Ich habe sie selbst gesehen.“ Auch Gruppe konnte sich ebenfalls aus der Umzingelung die Hinterhalte, mit denen Flüchtlingsgruppen abge- befreien und ergriff die Flucht nach Nordosten. Bei- fangen wurden, sowie die Verfolgung und Exekution de Gruppen sahen sich mit Angreifern aus dem Mili- einzelner Überlebender, wurde von den Militärs orga- tär und der Zivilbevölkerung konfrontiert, die entlang nisiert. Unterstützt wurden sie dabei von den Milizen, der Straße auf sie warteten. In Kaduha war kurz zuvor unter ihnen Gruppen, die von außerhalb stammten, eine neue Rundfunkantenne installiert worden, wo- wie beispielsweise jene, die am 2. April in Musange durch es sich für die Polizei womöglich einfacher ge- gesehen worden waren. Oberschüler aus dem Nor- staltete, ihre Einheiten über die Flüchtlingsbewegun- den Ruandas, die vorübergehend in Kaduha lebten, gen zu informieren. Als Militärs sich den flüchtenden und Mitarbeiter des Gesundheitszentrums haben sich Tutsi in den Weg stellten, befahlen sie diesen, sich auf ebenfalls an dem Blutbad beteiligt. Ein Zeuge berich- den Boden zu setzen, und begannen anschließend, tet, Oberfeldwebel Ntamwemezi habe einem Schüler, auf sie zu schießen und mitten in die Menge hinein der sich als bester Mörder hervorgetan hatte, eine Granaten zu werfen. Geldprämie von 30.000 ruandischen Francs (etwa Am selben Tag ermordeten in Kaduha Angreifer den 40 €) ausgehändigt. Der Pfarrer, Pater Nyandwi, soll, stellvertretenden Staatsanwalt Oscar Gasana, dessen nach Angaben desselben Zeugen, den Schüler mit ei- Frau, die Tutsi war, und mehrere Kinder der beiden. ner Radiokassette belohnt haben. Ähnlich wie andern- Gasana zählte zu den moderaten Hutu. Vor Ausbruch orts spielten auch in Kaduha Intellektuelle, unter ihnen des Völkermordes hatte er sich geweigert, an tutsi- Lehrer und Schulinspektoren und Geschäftsleute mit feindlichen Maßnahmen mitzuwirken. Er galt als eine Zugang zu Fahrzeugen, bei der logistischen und or- derjenigen Personen, denen es hätte gelingen kön- ganisatorischen Unterstützung des Völkermords eine nen, in Kaduha Widerstand gegen den Völkermord zu maßgebliche Rolle. organisieren. Seine und die Leiche seiner Frau wur- Bei den weitaus meisten Angreifern handelte es sich den einige Tage lang nackt auf der Straße liegen ge- um einfache Bürger aus Kaduha und den angrenzen- Die Missionsstation der Clemensschwestern 47 waren ebenfalls zahlreiche Tutsi ermordet worden, entweder gleich während der Angriffe oder später auf der Flucht. Ein Zeuge berichtete: „Diejenigen Tutsi, die nicht am ersten Tag getötet worden waren, wurden überallhin verfolgt, bis man schließlich auch sie umbrachte.“ Bis zu 11.000 Menschen verloren so in wenigen Tagen in Kaduha ihr Leben. Viele Mörder konnten auch in Kaduha gefasst werden. Sie kamen in Ruanda in Gefängnisse, die bis heute noch extrem überfüllt sind. Clemensschwestern verlassen Ruanda Kriegsverbrecher in ihrer typischen Kleidung auf dem täglichen Weg zur Arbeit Das Abschlachten der Tutsi durch die Hutus hatte in Kaduha gerade ein Ende erfahren, da verbreitete sich die Nachricht, dass die den Gemeinden, insbesondere aus Musebeya und Tutsi-Armee (FPR), von Norden kommend, auf Kad- Muko. Nach Schätzungen eines Zeugen waren alleine uha zu marschiere und täglich an Boden gewinne. Sie rund 400 Menschen aus Musebeya gekommen, um trieben immer mehr Hutu vor sich her, die aus Angst zu plündern und zu morden. Am Tag nach dem ersten versuchten, in andere Gegenden oder ins benachbar- Angriff waren die Organisatoren daran zu erkennen, te Burundi und Zaire (Kongo) zu flüchten. In Kaduha dass sie neue Kleider trugen, die sie den Opfern ent- befürchteten nun viele Menschen einen Racheakt der wendet hatten. Tutsi an allen, die den Hutu in irgendeiner Weise bei Bis Ende April hatten die Angreifer in Kirchen, Schu- dem von ihnen durchgeführten Massaker Unterstüt- len, Gesundheitszentren und Gemeindezentren Tutsi zung gewährt hatten. Von offizieller Stelle gewarnt, niedergemetzelt. Zu diesem Zeitpunkt, so ein Verwal- mussten aus Sicherheitsgründen für einige Zeit auch tungsbeamter, „waren fast alle Lager vernichtet“. Bei die Clemensschwestern Kaduha verlassen und nach kleineren Zwischenfällen, draußen in den Bergen, Deutschland zurückkehren. Es zeigte sich jedoch, dass die Tutsi-Armee mit besseren Waffen ausgestattet war und die Hutu ihnen nichts entgegenzusetzen hatten. Die Tutsi kämpften sich damit immer schneller vor, vermieden es aber, sich durch ein „Abschlachten“ an den Hutu zu rächen. Ihr Bemühen war es, die Macht in Ruanda zu übernehmen und die Schuldigen des Massakers vor ein Gericht zu bringen. Die Vereinten Nationen richteten kurz nach dem Krieg in Arusha (Tansania) einen Kriegsgerichtshof ein. Er Die Dorfgemeinschaft richtet über einer Kriegsverbrecher. Er muss in der rosa Gefangenenkleidung vor ihnen aussagen. 48 Die Missionsstation der Clemensschwestern ist noch heute mit der Aufarbeitung der Geschehnisse des Genozid befasst. Viele Mörder sitzen seit der Zeit Diese Frauen saßen fast drei Jahre unter extremen Bedingungen in diesem Gefängnis, bis über einen Menschenrechtler ihre Unschuld bewiesen werden konnte. in Gefängnissen, weitere kommen immer noch dazu. Wiederaufnahme der Arbeit Um die Vielzahl der kleineren Vergehen der Bevölke- Den Tutsi war es, bei allem was sie an brutalen Morden rung zu ahnden und um den Versöhnungsprozess zu erleben mussten, gelungen, weiteres unnötiges Blut- fördern, wurden in jedem Ort Laiengerichte (Gacaca) vergießen zu vermeiden. Kurz darauf haben sie in Ru- unter der Leitung von Dorfältesten eingesetzt. Ihre anda die Macht übernommen und eine Militärdiktatur Aufgabe ist die Aufarbeitung aller Geschehnisse. Alle eingerichtet. Die Clemensschwestern konnten es da- Bürger der Orte wurden verpflichtet, an den Sitzungen her wagen, wieder nach Kaduha zurückzukehren, um der Gacaca teilzunehmen. Ein Kriegsverbrecher wur- ihre Arbeit fortzusetzen. Glücklich waren sie, dass das de nur zum Gacaca zugelassen, wenn er sich vorher gesamte Centre de Santé während ihrer Abwesenheit schriftlich für schuldig erklärt hatte. Über sein Straf- nicht zerstört und geplündert wurde. Viele Flüchtlinge maß entschieden nach eingehendem Verhör die Dorf- hatten sich auch in dem Gesundheitszentrum einge- ältesten zusammen mit der Gemeinschaft des Ortes. funden. Ihnen galt es nun vorrangig zu helfen. Die Gacaca wurden auch sehr kritisch gesehen: Kamen doch auch viele Unschuldige ins Gefängnis, die das System oder die Gemeinschaft nicht mehr haben wollte. Sie wurden daher letztlich wieder abgeschafft. So haben Frauen bei der Landarbeit ein kleines, bis dahin unbekanntes Massengrab entdeckt. „Das Grab sollte nicht existieren“, deshalb kamen die Frauen ins Gefängnis. Man warf ihnen vor, die Menschen selber getötet zu haben. Menschenrechtler konnten diese Frauen später wieder freibekommen. Das ist nur ein Beispiel dafür, unter welch emotionalem Druck sich die Bevölkerung Ruandas befand und teilweise immer noch befindet. Flüchtlinge im Gelände des Centre de Santé Die Missionsstation der Clemensschwestern 49 Das Flüchtlingslager von Kaduha Viele Hutus flüchteten vor den Tutsi bei deren Ein- und Vormarsch in Ruanda und sammelten sich in großen, selbsterrichteten Lagern, so auch auf den Hügeln rings um Kaduha. In der gesamten Region sollen es bis zu 800.000 Menschen gewesen sein. Die Vereinten Nationen begannen noch in 1994 damit, die „wilden Lager“ aufzulösen und die Menschen in ihre Heimatorte oder andere Lager zu transportieren. Somit waren alle Flüchtlingslager in der Region Kaduha bereits Anfang 1995 wieder aufgelöst. An Normalität war aber noch lange nicht zu denken. Zu tief war die Kluft zwischen Hutu und Tutsi und zu Die Flüchtlinge errichteten sich einfache Hütten. groß der angerichtete Schaden. Viele Organisationen helfen seit der Zeit dem Land beim Wiederaufbau. Auch die Clemensschwestern leiteten eine große Hilfsaktion ein. Sie konnten dabei auf den Kreis der Ruanda-Freunde als Spender zählen. Zu Advent 1994 schrieb Sr. Mariata an die RuandaFreunde in Deutschland: Aus Ruanda, dem Land der 1.000 Hügel, ist ein Land der „1.000 Schrecken“ geworden; dort ist das Furchtbarste und Schrecklichste geschehen, was die Welt in diesem Jahrhundert erlebt hat. Ruanda ist das größte Massengrab in Afrika, Ruanda ist das größte Flüchtlingslager der Welt. Im Februar 1995 kam Sr. Mariata von ihrem ersten Besuch in Ruanda nach dem Völkermord zurück und schickte den folgenden Brief an den Kreis der Ruanda-Freunde: Am 26. Januar landeten Schwester Agnetis und ich pünktlich um 7.45 Uhr auf dem Flughafen in Kigali, Ruanda. Wir waren in dem Land, das wir so sehr liebten und das uns im vergangenen Jahr über die Medien und Augenzeugenberichte in furchtbarer Weise so nahe gekommen ist. Den Augenblick, als meine Füße den 50 Die Missionsstation der Clemensschwestern Auf allen Hügeln um Kaduha lebten die Flüchtlinge in unerträglichenVerhältnissen. Flüchtlingslager wurden um und in Kaduha bis Ende 1994 aufgelöst, die Flüchtlinge wurden in ihre Heimat oder in andere Flüchtlingslager mit Hilfe der UNO gebracht. Dieses Bild und dieses Geschehen habe ich mit eigenen Augen noch sehen können, es spielt sich täglich weiter ab. Seit dem 7. Januar ist unsere ambulante Station wieder in Betrieb. Mit den noch lebenden und neuen Mitarbeitern gilt es neu anzufangen. Täglich kommen Kranke, Arme, Menschen, die ihre Angehörigen suchen, Bittsteller; sie sprechen über ihre Sorgen und Nöte und erwarten Hilfe, bekommen auch Hilfe, soweit es un- Die Vereinten Nationen führen den Rücktransport der Flüchtlinge von Kaduha durch. seren Schwestern möglich ist. Bei allem steht immer die bange Frage im Raum: Ist auch dieser Mensch ein Mörder? Boden dieses Landes berührten und mir Halt nach Neben der Arbeit in der Station kümmern sich die acht Stunden Flug gaben, kann ich nicht mit Worten Schwestern auch um die Kirche in Kaduha, in der beschreiben. fast 2.000 Menschen ermordet wurden und in der an- Glücklich waren wir, als wir mit all den guten Wün- schließend eine große Plünderung stattfand. schen, Gaben und Hilfen, die uns mit auf den Weg Mit viel Liebe ist die Kirche von den äußeren Spuren gegeben wurden, den Zoll passiert hatten. der Gräueltaten gereinigt und am 23. Dezember von Am Abend um 19.00 Uhr erreichten wir unsere Station Bischof Gahamanyi gesegnet worden, unter Anteil- in Kaduha und konnten es nicht fassen, dass das Euthy- nahme der Lebenden und im Schutze der UNO und miahaus (Wohnhaus unserer Schwestern) keine Kriegs- des Militärs. Auch das Priesterhaus und die Gebäude spuren zeigte, obwohl rundherum Kirche, Pfarrzentrum der Pfarrei sind ausgeraubt und zerstört. Unter Anlei- und viele Hütten geplündert und zerstört waren. tung der Schwestern beginnen die Aufräumarbeiten Lassen Sie mich nach zwei Wochen Ruanda das von und Renovierungen. den Erlebnissen in Worten fassen, was mir möglich Wie erstarrt stand ich mit meinen Mitschwestern an ist. dem großen Massengrab und bin ein Stück über den Als Schwester Milgitha und Schwester Quirina nach Hügel mit den vielen kleinen Grabhügeln gegangen. dem furchtbaren Morden in Kaduha und Aufenthalt Auch das Leid der Mitarbeiter ist mitzutragen. Eine im Krieg bis Mitte Juni, dann Flucht und Aufenthalt in Angestellte hat sechs Geschwister und ihre Eltern ver- Deutschland, am 2. September wieder in der Missi- loren, eine Angestellte hat ihren Mann im Gefängnis. onsstation ankamen, waren dort in der näheren Um- Everist, der seit 1973 unseren Schwestern treu zur gebung 200.000 Flüchtlinge, die von Ärzten ohne Seite steht, hat seine drei Kinder in Zaire, acht Mitar- Grenzen versorgt wurden. In der Präfektur Gikongoro beiter sind getötet worden. – dazu gehört Kaduha - waren 800.000 Flüchtlinge. Am Tag meiner Ankunft sind in der Präfektur siebzig Unsere Station war weder geplündert noch zerstört, Menschen ermordet worden. Das Morden geht tagtäg- einige Getreue hatten alles bewacht. lich weiter. Die Freude des Wiedersehens mit den noch Leben- Unsägliches Leid ist über die Familien, die Menschen, den war groß. Jetzt galt es Hand anzulegen. Die gekommen: in jeder Familie sind Tote zu beklagen, in Die Missionsstation der Clemensschwestern 51 jeder Familie sind Mörder, bekannt oder unbekannt. In jeder freien Minute und während unserer Tischzei- Täglich werden Menschen verhaftet; so wurden ten bis spät in die Nacht haben unsere Schwestern Schwester Milgitha, die zu Besorgungen in Kigali war, immer wieder darüber berichtet, was sie mit eigenen drei Männer aus dem Auto heraus verhaftet, darunter Augen gesehen, mit ihren Ohren gehört und bei jeder ein Angestellter und zwei Rechtsanwälte. Begegnung immer noch von Menschen hören. Dazu In den Gefängnissen ist Platzmangel, alle sind über- gehört auch an jedem Tag die Freude über das Wie- füllt: für die meisten gibt es nur Stehplätze. Einen win- dersehen eines Menschen, den man nicht mehr unter zigen Einblick konnte ich in die Gefängnisse von Kigali den Lebenden glaubte. Es ist ein ständiges „Suchen“ und Butare nehmen. Wir haben uns jeweils bis zum und „Fragen“ nach Menschen. Gefängnisdirektor durchgearbeitet und erhielten für 10 Auf meine Frage, was konkret jetzt getan werden Minuten eine Besuchserlaubnis, d. h. die uns bekann- kann, soll, muss, – sagten meine Mitschwestern: Es ten Gefangenen wurden herausgeholt, dabei gelang muss einfach alles getan werden. Einige Beispiele sei- mir aber ein Blick durch die offene Tür hinter die Ei- en genannt: sengitter. Unterwegs hatten wir immer Straßensperren Es muss Kindern geholfen werden, ihre oder eine neue zu überwinden, manchmal wurden wir durchsucht. Familie zu finden; jede Familie braucht eine Starthilfe In der Hauptstadt Kigali ist das Leben mit den Flücht- zum Hüttenbau, für Nahrungsmittel und Kleidung; sie lingen aus Uganda und Burundi wieder eingekehrt. benötigen Samen und eine Hacke, um das Feld zu be- Zwischen den vielen zerstörten Häusern und Hütten stellen, sie benötigen medizinische Versorgung. werden die geplünderten Waren und Lebensmittel aus Die größte Hilfe ist nicht materieller Natur, sie heißt: aller Welt angeboten. Ohne zu verurteilen an die Menschen zu glauben und In Ruanda waren 162 verschiedene Hilfsorganisatio- mit ihnen zu hoffen, dass der große Graben des Miss- nen im Einsatz. Derzeit sind noch 100 Organisationen trauens und der Hass untereinander überwunden wer- im Land. Über 5.000 UNO-Soldaten geben der Bevöl- den kann. kerung einen gewissen Schutz; in Kaduha selbst sind Eine Augenzeugin sagte mir: 150 UNO- Soldaten aus Sambia stationiert, ebenso 50 Soldaten der neuen Armee APR. Im Auftrag der UNO „Alles, was mit Liebe gegeben wird, sind 80 Vertreter der Menschenrechtskommission und geht nicht verloren.“ 80 Zivilpolizisten – darunter auch Deutsche - im Land, um das Rechts- und Polizeiwesen mit aufzubauen. Wenn wir diesem Wort in uns Raum geben, wird unse- In der Hauptstadt soll es nur noch einen Rechtsanwalt re sichtbare materielle Hilfe ein Baustein für den Frie- geben. Es herrscht Mangel an Ärzten, Rechtsanwäl- den werden. ten, Polizisten, Priestern, Lehrern usw.; sie sind ent- Im Namen von Schwester M. Milgitha, Schwester M. weder getötet, geflüchtet oder im Gefängnis. Vertreter Quirina und Schwester M. Agnetis – sie ist nach zwei der Europäischen Union waren im Land. Die EU will Jahren dort wieder im Einsatz - sage ich ein herzliches sich am Wiederaufbau beteiligen. und persönliches DANKE für all das, was mit Liebe Das Schul- und Ausbildungswesen liegt völlig brach, gegeben ist und weiter getan wird. nur die Primarschulen sind wieder geöffnet. Auch unsere Mütterschule, die zur ambulanten Station gehört, Vergelt´s Gott und herzliche Grüße ist noch nicht wieder in Funktion. Unsere Waisenkinder sind in Heimen bzw. Kinderdörfern untergebracht und werden von uns noch weiter unterstützt. Eine Angestellte sorgt für sieben Kinder, die in unserer Station leben. 52 Die Missionsstation der Clemensschwestern Eure - Ihre Schwester Mariata Kreuz der Kapelle im Euthymia-Haus von Kaduha Der Tod von Schwester M. Agnetis furchtbarer Weise heimgesucht hatte, zählte sie und Kurze Zeit nach dem Genozid und ihrer Rückkehr ihre Mitschwestern zu den ersten Deutschen, die nach nach Kaduha verstarb am 31. Oktober 1995 Schwes- Ruanda zurückgekehrt sind, um den Ärmsten und ter M. Agnetis an Herzversagen als Folge einer Mala- Verlassensten in der tiefen Provinz beizustehen. Der ria. Der plötzliche Tod kam für alle sehr überraschend. Sous-Präfekt und die drei Bürgermeister von Kaduha Schwester M. Agnetis kam am 27. Juli 1985 nach Ka- und den umliegenden Gemeinden haben dies mir ge- duha und blieb dort bis zum 06.02.1993. Gesundheits- genüber am 31. Oktober in Kaduha in eindrucksvoller bedingt musste sie für einige Zeit in die Heimat reisen. Weise gewürdigt. Am 25. Januar 1995 kehrte sie nach Ruanda zurück. Die hohe Achtung, die den Clemensschwestern in Der Deutsche Botschafter schrieb an die Generalobe- Kaduha entgegengebracht wird, war auch der Grund rin, Schwester M. Pacis: für deren Hilfsbereitschaft, ohne die es der Botschaft (Auszug aus dem Brief vom 07. November 1995) nicht möglich gewesen wäre, die sterblichen Überreste von Schwester M. Agnetis so schnell auf den Weg Zum Tod von Schwester M. Agnetis möchte ich Ihnen in die Heimat zu bringen. im Namen der Deutschen Gemeinde in Ruanda und in meinem eigenen unser tief empfundenes Beileid Mit dem Ausdruck meiner ausgezeichnetsten Hoch- aussprechen. Schwester M. Agnetis hat sich in bei- achtung bin ich Ihr Ihnen ergebener spielhafter Weise in den Dienst des Nächsten gestellt. August Hummel Nach Krieg und Genozid, der ja Kaduha in besonders Botschafter Die Missionsstation der Clemensschwestern 53 Die Generaloberin Schwester M. Pacis informierte von dort nach Münster geholt. den Kreis der Ruandafreunde: Schwester M. Quirina, die mit einer ruandischen Münster, den 04. November 1995 Krankenschwester Schwester M. Agnetis in den letzten Stunden beigestanden hat, gilt unser besonderer „Wir sterben nicht an einer Krankheit; Dank. Danken möchte ich dem Deutschen Botschafter Gott ruft uns!“ in Ruanda und den deutschen Freunden, aber auch Worte aus der Predigt unseres Bischofs den vielen Ruandern, die Schwester M. Quirina zur Seite standen und ihr Trost gaben. Die große Trauer Sehr geehrte Freunde und Wohltäter, in Ruanda um Schwester M. Agnetis konnten Schwes- in großer Betroffenheit teile ich Ihnen mit, dass am ter M. Milgitha und ich bei unserer Ankunft erfahren. 31. Oktober 1995 gegen 05.00 Uhr unsere Schwester Für mich ist es noch unfassbar, wie diese Menschen M. Agnetis in Kaduha-Ruanda an einem akuten Herz- nach allem „Erlebten“ in der Lage waren, mit uns zu versagen infolge einer Malaria verstorben ist. trauern. Wir sind davon überzeugt, dass sich Schwester M. Wir können das, was sehr schmerzlich und auch noch Agnetis fürbittend für Ruanda und seine Menschen unbegreiflich ist, nur annehmen in der Gewissheit, dass einsetzen wird. Das mag alle trösten, die sie dort und immer und überall Gottes Wille an uns geschieht. hier schmerzlich vermissen und ihr über den Tod hin- Schwester M. Milgitha, die aus Anlass des Geburts- aus verbunden bleiben. tages ihrer 89-jährigen Mutter hier zu Hause weilte, ist heute morgen mit Schwester Mariata nach Kaduha Die feierliche Beisetzung fand am 09.11.1995 statt. zurückgeflogen. Schwester M. Agnetis wird am Sonn- Die nachfolgende Predigt hielt Herr Spiritual Hövels: tag mit Sabena überführt und von uns am Flughafen in Brüssel abgeholt. Am Vortag von Allerheiligen starb Schwester M. Agnetis in Kaduha im afrikanischen Staat Ruanda. Wenn Sie, Was uns alle betroffen macht, verbindet uns noch Schwester Pacis, in Ihrem Brief an Ihre Mitschwestern stärker im Gebet. am 31. Oktober schreiben: „In Betroffenheit teile ich In dieser Verbundenheit grüße ich Sie mit unseren Euch mit, dass heute Morgen gegen 5.00 Uhr unsere Schwestern in Afrika und mit Schwester Mariata Schwester M. Agnetis an einem akuten Herzversagen herzlich infolge der Malaria gestorben ist.“, dann haben Sie mit Ihre Schwester M. Pacis diesen Worten der Betroffenheit ausgesagt, was in vielen von uns innerlich ist: Das hat uns tief getroffen. Eine Schwester Mariata, die sofort nach Bekanntwerden Schwester sagte mir: „Zunächst war ich ganz verwirrt, des Todes nach Ruanda reiste, schrieb dazu: als ich die Nachricht hörte. Dann habe ich geweint und Am 31. Oktober erreichte uns in der Morgenfrühe dann habe ich gebetet.“ Alle, die Schwester M. Agnetis aus Ruanda die Nachricht, dass Schwester M. Agne- gekannt haben, sei es als Familie oder viele Bekannte, tis nach einer nur wenige Tage andauernden Krank- Verwandte, Angehörige, wie man es so sagt Freunde heit (Malaria) verstorben ist. Schwester M. Milgitha, und Bekannte, und vor allem Sie, liebe Schwestern, die aus Anlass des 89. Geburtstages ihrer Mutter in hat die schmerzliche Nachricht vom plötzlichen Tod Deutschland weilte, und ich sind, so schnell es ging, eben betroffen gemacht. mit der nächsten Sabena nach Ruanda geflogen. Das brutale Morden um das Haus der Schwestern Als wir in Kigali landeten, wurde Schwester M. Agnetis ging fast wie ein Wunder an ihnen vorüber. Ist es nicht mit der gleichen Maschine nach Brüssel überführt und schlimm, dass man nicht einmal genau die Zahl weiß, 54 Die Missionsstation der Clemensschwestern wie viele sich gegenseitig getötet haben, man spricht Berufung und der Entschluss, sich für die Aufgabe in von etwa einer Million. Die Schwestern blieben ver- Afrika, in Kaduha, Ruanda, zur Verfügung zu stellen, schont. Und dann überfällt eine tückische Krankheit bis zum Tod. Schwester M. Agnetis, sie stirbt an deren Folge. So Bis zum Tod. Seit 1975, mit Ausnahme von zwei Jah- nüchtern sehen wir das mit irdischem Blick. So nüch- ren wegen Krankheit, war sie dort tätig, vor allem auf tern kann man das vielleicht als Aktennotiz vermerken, der Krankenstation. Eine Mitschwester von ihr sagte sie stirbt in Folge einer tückischen Krankheit. Aber der mir: „Sie liebte Afrika, und die Afrikaner liebten sie“. Getaufte sieht nicht nur mit dem irdischen Blick. Der Ich fragte in diesen Tagen zwei Mitschwestern von Getaufte sieht mit dem Blick, mit dem Auge des Glau- Schwester M. Agnetis: „Wer war denn diese Schwes- bens; und das des Glaubens nimmt wahr, was Jesus ter?“ Da sagte jemand von Ihnen, wie man so sagt: soeben im Evangeliumstext sagte: „Wenn du glaubst, „Sie war totgut.“ Sofort wiederholte diese Schwester: wirst du die Herrlichkeit Gottes schauen.“ Was für ein „Sie war einfach gut.“ Eine zweite Schwester sagte mir: Wort! Wenn du glaubst, wirst du Gottes Herrlichkeit „Zurückhaltend im Wesen, von tiefer Frömmigkeit, die schauen. Und einige Verse weiter heißt es, dass Jesus sie nach außen hin kaum zeigte, geprägt, einfach in den toten Lazarus ruft und sagt: „Lazarus, komm her!“ ihrer Art, - jetzt kommt das Wort wieder -, war sie eine Das heißt doch wohl: Die Fessel des Todes möge dich gute Ordensfrau.“ verlassen. Der Tote vernahm die Stimme dessen, der Liebe Mitchristen, gibt es etwas Größeres, als über Leben ist und Leben schenkt, und kam heraus aus der Menschen sagen zu können: Er ist ein guter Mensch, Enge des Todes. Und vor dieser Sicht ist es verständlich, sie war eine gute Ordensfrau? Was Besseres kann man dass in dem eben erwähnten Brief, oben ein markan- über Menschen nicht sagen. Der Lateiner sagt, wenn tes Wort steht, ein Wort unseres Bischofs: „Wir sterben man etwas Gutes sagt: „Benedicere.“ Und wir über- nicht an Krankheit, Gott ruft uns.“ Ich weiß nicht, wie es setzen dann wieder Benedicere: Segen, Gesegnete. Ihnen geht? Mir geht das Wort nicht so leicht über die Du warst eine von Gott gesegnete Schwester, Schwes- Lippen. Wir sterben nicht an Krankheit, Gott ruft uns. ter M. Agnetis, und Gott möge dir Teilhabe schenken Aber Gott hört nie auf, Menschen zu rufen. Muss es an der Fülle seines Segens. nicht genau im Augenblick des Todes so sein, dass er ruft: Dürfen wir es dann nicht sagen: der Mensch stirbt nicht an einer Krankheit, Gott ruft uns? Schwester M. Agnetis, die im Leben offen und sensibel war für das Rufen, für die Stimme Gottes, wird auch im Augenblick des Todes gehört haben: Schwester M. Agnetis, komm heraus aus der Enge des Todes. Sie hat sich zeitlebens bemüht, dem Ruf Gottes zu folgen; durch die Taufe wurde sie gerufen in die große Glaubensgemeinschaft der Christusglaubenden. Und dann hat sie durch ihre erste Profess 1966 und die ewige Profess 1970 bekundet, dass eine besondere Berufung an sie ergangen ist zum Ordensleben, als Clemensschwester. Gottes Ruf. Aufmerksam bleibend reift in ihr dann die innere Diese Afrikaner liebten Schwester M. Agnetis und sie liebte die Afrikaner. Die Missionsstation der Clemensschwestern 55 Schwester Mariata und Schwester M. Quirina mit „ihren“ Kindern Auch die schöne Kleidung der Kinder kam von den vielen lieben Helfern aus Deutschland. Waisenkinder im Centre de Santé Die Landbevölkerung sagt, wie bereits angesprochen: Vor der Übergabe des Centre de Santé an die indischen Kinder sind der wahre Reichtum Ruandas, sie bringen Schwestern sind die wenigen, noch verbliebenen Kinder Glück und Hoffnung in die Familien. Sie sind Arbeitskraft von Schwester M. Milgitha aus dem Centre de Santé in und Ernährer der Eltern und Großeltern. Zu oft durchle- andere Heime gebracht worden. Nach dem Willen des ben Kinder aber ein grauenhaftes Schicksal. Viele Seu- Gesundheitsministeriums dürfen verständlicherweise chen und Krankheiten führen nicht nur zu einer hohen künftig keine Waisenkinder mehr in Gesundheitszentren Kindersterblichkeit, auch sind oft die Eltern davon be- leben. Die Infektionsgefahr ist einfach zu hoch. Trotzdem troffen. Nicht immer ist die Dorfgemeinschaft dann in der lassen die Schwestern die Straßen- und Waisenkinder Lage, die Hinterbliebenen aufzunehmen und zu versor- der Region Kaduha nicht aus ihrer Aufmerksamkeit. Sie gen. Findet sich niemand, so landen sie häufig auf der bemühen sich weiter um ihr Wohlergehen und helfen bei Straße. Diese am Rande der Zivilisation lebenden Kinder der Vermittlung in Heime und Familien. brauchen stets Hilfe. Durch die seit etwa 1990 begonnenen, kriegerischen Auseinandersetzungen ist die Zahl der Waisenkinder aber sprunghaft angestiegen. Nach dem Besuche aus der Heimat Ende des Genozid sind daher Waisenkinder auch von Von Beginn der Mission in Kaduha an sind regelmäßig den Schwestern in Kaduha aufgenommen worden. Sie Besucher aus der Heimat nach Ruanda gereist. Alle lebten im Centre de Santé, bis sie in Familien gegeben hatten sie das Bedürfnis, den Schwestern im Centre werden konnten oder als Heranwachsende in Jugendhei- de Santé bei ihrer Missionsarbeit zur Seite zu stehen men eine neue Heimat fanden. Mitarbeiter des Centre de und ihnen ein Heimatgefühl zu vermitteln. Diese star- Santé kümmerten sich stets um die Kinder. Sie versorg- ke Unterstützung tat den Schwestern gut. Viele Reise- ten sie mit allem Notwendigen und sorgten dafür, dass sie berichte, Niederschriften und Tagebücher sind in der die Schule besuchten und ihre Hausaufgaben machten. Zeit verfasst worden. Sie alle spiegeln die Erlebnisse Immer wieder wurden Kinder abgegeben und es kamen in eindrucksvoller Weise wider. Sie vermitteln auch neue hinzu. Es war stets eine kleine Gemeinschaft, zwar das Bedürfnis der Reisenden, alles Erlebte für sich leidgeprägt, jedoch mit strahlenden Augen. noch einmal zu verarbeiten. 56 Die Missionsstation der Clemensschwestern 2004: Erste Reise von Schwester Christel in endlich auch unsere Glückwünsche loswerden, denn Begleitung von Schwester Mariata Schwester M. Milgitha hatte Geburtstag. Die ersten Ihren ersten Besuch stattete die Generaloberin, zwei Nächte verbrachten wir in Kigali, in einem Hotel, Schwester Christel Grondmann, im Juli 2004 in Ka- das nach dem Krieg gebaut worden ist, einfach aber duha ab. Dabei wurde sie, wie später auch in 2007, sauber. Für mich war zu dieser Zeit alles noch wie ein von Schwester Mariata begleitet. Nach ihrer Rückkehr Traum. Am Sonntag lernte ich Kigali kennen. So groß, schrieb sie folgende Zeilen: wie die Stadt ist, hätte ich sie mir nicht vorgestellt, aber viele Menschen sind nach dem Krieg hier hingezogen, Liebe Schwestern, weil sie Angst haben. Nach Aussagen von Schwester heute vor einer Woche bin ich wohlbehalten von Ru- Mariata hat sich viel verändert in den Jahren. Es wird anda zurückgekommen. Wenn ich jetzt an meinem viel gebaut und es ist sauberer geworden. Schreibtisch im Mutterhaus sitze, wandern meine Ge- Am Montag sah die Stadt ganz anders aus. Es waren danken oft zurück in das Land, das so weit weg war unendlich viele Menschen, Motorräder und Autos un- für mich, und zu den Menschen, die mir fremd waren. terwegs. Jeder fuhr und ging so, wie er wollte, aber es Ich weiß, dass viele von Euch diese Reise im Gebet ging alles gut. Ich war froh, hier nicht fahren zu müs- begleitet haben, und dafür möchte ich Euch ganz herz- sen. Nach vielen Besorgungen machten wir uns am lich danken. Für mich war es eine große Unterstützung frühen Nachmittag auf den Weg nach Kaduha. An der und gab mir Halt. Über diese Zeit in Ruanda habe ich, Stadtgrenze fuhren wir durch den ersten Kontrollpos- wie ich es häufiger mache, ein Tagebuch geführt. So ten. Dann ging es langsam immer mehr bergauf. Un- möchte ich Euch heute teilhaben lassen an dieser Rei- terwegs sah man Menschen, die vom Markt kamen se, indem ich das Tagebuch wieder zur Hand nehme oder andere, die ihre Schubkarren mit Zuckerrohr vor und darin blättere. Mit ziemlichem Unbehagen habe sich her schoben. Je höher wir fuhren, umso besser ich mich mit Schwester Mariata und Herrn Burlage am wurde die Luft. In Kaduha sind immer um die 28 Grad, Samstag, dem 20.06.2004 auf den Weg nach Brüssel aber es weht ein frischer Wind und morgens ist es gemacht. Schnell war das Gepäck eingecheckt und empfindlich kalt. Kaduha liegt etwa auf 2.000 m Höhe. wir hatten viel Zeit, uns den Flughafen anzusehen. Um Kigali liegt in einem Kessel und von daher ist es dort 10.30 Uhr begaben wir uns dann endlich mit Brussels feucht-schwül. Eine Stunde fuhren wir über eine recht Airlines in die Luft. Da ich einen Fensterplatz hatte, gute Straße und dann bogen wir rechts ab auf die Pis- konnte ich viel von der Landschaft sehen, Luxemburg, te. Ja, das war schon eine besondere Erfahrung, denn den Bodensee, die schneebedeckten Alpen. Es ging gegen diese Piste ist ein Feldweg bei uns noch gut. nach Athen runter über das Mittelmeer. Wir erreichten Wir waren zu Beginn der Trockenzeit dort und so wur- Afrika, ich sah Kairo. Dann erblickte ich die endlose de viel Staub aufgewirbelt auf dem Weg, der von Sand, Wüste. Dieses Bild hat mich sehr beeindruckt und mir Steinen und Schlaglöchern bestimmt wird. Nach eini- fiel das Buch von Saint Exupéry „Stadt in der Wüste“ ger Zeit hatte ich mich aber gut an diese Fahrweise ein. Ab dann wurde es ruhiger in mir. Als die Sonne gewöhnt und das blieb auch die weitere Zeit so. Etwas unterging, überflogen wir den Viktoriasee und bei Dun- anderes nahm mich viel mehr gefangen: die wunder- kelheit erreichten wir um 18.40 Uhr unser Ziel: Kigali. schöne und atemberaubende Landschaft. Viel Grün, Kaum hatten wir die Passkontrollen hinter uns und war- Bananenplantagen, Sorghofelder, Nadelwälder, Fel- teten noch auf unser Gepäck, entdeckten wir Schwes- der mit Süßkartoffeln und Wälder lösten sich ab. Man ter M. Milgitha. Es gab eine herzliche Begrüßung und sagt ja, dass in Ruanda das Paradies ist, zumindest, mit ihrem Geleitschutz kamen wir schnell durch den dass Gott hierher zum Schlafen kommt. Um so schwe- Zoll. Wir fuhren zu ihrer kleinen Wohnung und konnten rer konnte ich mir vorstellen, dass vor 10 Jahren ein Die Missionsstation der Clemensschwestern 57 solch fürchterlicher Krieg hier gewütet hat. Auf Spuren ßen stehen können. Sie werden von Frauen versorgt, davon traf ich in den folgenden Tagen immer wieder. die eine Ausbildung haben oder angelernt wurden. Bei Zur Zeit ist Ruanda relativ ruhig. Es befinden sich aber uns haben sie aber eine Verdienstmöglichkeit, denn immer noch über 100.000 Menschen in den Gefäng- die Arbeitslosigkeit im Land ist sehr groß. Nur ein Bei- nissen, es gibt jeden Tag neue Verhaftungen, viele spiel: Eine Krankenschwester verdient im Monat 20 Verbrecher werden noch gesucht und das Geschehe- Euro. Die Währung ist aber sehr schlecht, 1 Euro sind ne sitzt tief in den Menschen. Der Kongo im Westen 700 ruandische Franc. Wir haben unsere Ambulanz rüstet auf, um das Land zu überfallen, und in Burundi besucht und ich sah davor Frauen mit ihren Kinder sit- im Süden herrscht Bürgerkrieg. Dieses schöne Land zen, die an Eiweiß- und Vitaminmangel leiden: für mich wird ein Pulverfass bleiben. Gegen 17.00 Uhr erreich- ganz schwer zu verstehen, da es im Land so viele Süd- ten wir die Station und die Begrüßung beginnt mit viel- früchte gibt, die wir bei uns teuer bezahlen müssen. fältigen Umarmungen. Ja, da stehen sie, unsere Kinder Jetzt haben wir ein Grundstück gepachtet, wo den in ihrer Sonntagskleidung, singen, klatschen und Müttern gezeigt wird, wie diese Pflanzen angebaut schauen uns mit großen Augen an. Ein kleiner Junge werden. Später soll es Kurse geben, wo ihnen beige- ist ganz verstört, da er jetzt drei Milgithas vor sich hat. bracht wird, wie sie die Früchte zum Essen verarbeiten In den nächsten Tagen wird er aber ganz anhänglich. können. Da sind viele kleine Schritte erforderlich, um Nachdem ich kurz unsere Station angesehen habe, zum Erfolg zu kommen. Wir haben das (Militär)Kran- beginnt meine erste Nacht in Kaduha. Ab dem nächs- kenhaus von Kaduha besucht, das vor dem Krieg von ten Tag beginnen für mich ganz reiche und lehrreiche Algerien aufgebaut worden ist. Es ist großzügig und Tage. Wir sind viel mit Schwester Milgitha und ihrem weitläufig, aber innen gleicht es mehr einer Ruine. Al- Fahrer unterwegs und ich bekomme so einen Eindruck les, was nur abmontiert werden konnte, ist weg. In die- vom Land, von den Menschen, von dem, was im Auf- sen Räumen ist auch unsere Mütterschule unterge- bau ist und von dem, was noch fehlt. Wir besuchen die bracht, zu der täglich 40-60 Frauen kommen. Sie Räume, in denen unsere Kinder untergebracht sind. werden während der Schwangerschaft beraten, und Zur Zeit betreuen wir 48 Kinder in der Station. Die älte- wenn es Komplikationen gab, an das Hospital verwie- ren sind Kriegswaisen und ich habe gefragt, woher die sen. Auf Wöchnerinnenstationen muss man alles ver- anderen kommen. Ein Teil sind Aidswaisen oder haben gessen, was wir von deutschen Krankenhäusern ken- selber Aids. Andere kommen aus zerrütteten Familien, nen. Uns wurde ein Neugeborenes gezeigt mit einer ein Elternteil hat den Krieg überlebt und hat jetzt eine Spina bifida. Für dieses Kind gibt es keine Hilfe, es neue Beziehung. Da sind die Kinder über, nicht gewollt. wird sterben. Es wird hier aber auch viel Gutes getan In Ruanda gibt es auch einen Frauenüberschuss, der und den Frauen geholfen. Der Arzt hat mir das ganze ein Problem ist. Für eine afrikanische Frau ist es wich- Krankenhaus gezeigt, es hat mich sehr betroffen ge- tig, Kinder zu bekommen, und so ist es jetzt auch macht. Zum Schluss sind wir durch die technische Ab- manchmal ganz gleich, von wem die Kinder sind, teilung gegangen: ein Sono- und ein Röntgengerät. Hauptsache, sie hat welche. So gibt es immer wieder Diese können aber nur abends gebraucht werden, weil Kinder, die auf der Straße und im Busch leben. Das dann das Krankenhaus Strom hat. Ich erlebe hier aber kleinste bei uns war 4 Wochen alt, ein kleines Mäd- auch noch etwas, was mich froh gemacht hat. In einem chen. Ihre Mutter war bei der Geburt an einer Gerin- Raum war eine Veranstaltung für Animateure. Das sind nungsstörung gestorben. Da gibt es in Kaduha keine Frauen und Männer, die wir hier als Mentoren bezeich- Hilfe, weil alle medizinischen Möglichkeiten weit weg nen würden. Sie werden ausgebildet, um staatliche sind. Ich erlebte, dass wir unseren Kindern wirklich Programme, Informationen weiterzugeben und zu kon- eine Zukunft geben, damit sie später auf eigenen Fü- trollieren. Das ist sehr wichtig, denn die Menschen hier 58 Die Missionsstation der Clemensschwestern in dem kleinen Dorf sind nur durch sie zu erreichen. Sie Beim jetzigen Treffen bekamen sie alle 5 Kilogramm sind auch wertvolle Helfer bei Impfungen und Konsulta- Bohnen mit für ihre Familien. Beim nächsten Treffen tionen in den Außenstationen. Diese Aufgabe machen sollen die Kinder, die noch keine Ziege haben, eine be- sie ehrenamtlich und müssen dafür so manchen Tag kommen. Eine Ziege gibt etwas her für die Familie, sie opfern. Als Lohn bekommen sie an diesem Tag eine liefert Milch. 75 Ziegen müssen gekauft werden, eine Flasche Limo, ein Foto mit uns, und das war eine große Ziege kostet 20 Euro. Dieses Geld ist wirklich gut ange- Ehre für sie. Dieses Projekt, meine ich, kann man nur legt, weil damit Kinder unterstützt werden, die zu den unterstützen und das haben wir auch mit einer kleinen Ärmsten gehören. Ich könnte noch viel erzählen und Gabe getan. Weiter bin ich in der Realschule oberhalb schreiben, aber dieser Bericht gibt schon einen kleinen unseres Hauses gewesen. Hier werden zur Zeit 420 Einblick vom augenblicklichen Leben in Ruanda. Eins Schüler unterrichtet, im Alter von 12 bis 25 Jahren. Die- muss ich aber doch noch erzählen. Am letzten Abend ser Altersunterschied ist durch den Krieg bedingt, weil in Kaduha wurde für uns ein Abschiedsfest gegeben, es da keinen Unterricht gab. Die neue Regierung legt das von unseren Kindern und Mitarbeitern gestaltet aber viel Wert darauf, dass die Kinder zur Schule ge- worden ist. Die Kinder waren wieder alle in ihren Sonn- hen. Viele Schüler/-innen wohnen auch in der Schule. tagskleidern, die Frauen in ihrer wunderschönen, tradi- Sie schlafen mit 30 bis 40 Personen in einem Raum tionellen Tracht und die Männer im Sonntagsstaat. Das und die sanitären Anlagen sind völlig mangelhaft, weil Programm dauerte zwei Stunden lang. Jede Gruppe die Wasserversorgung unzureichend ist. Die Klassen- führte etwas auf. Was mich am meisten angesprochen räume haben Möbel, wie man sie bei uns im Schulmu- hat, war eine Pantomime der Schulkinder: „Leben in ei- seum findet, nur viel verbrauchter. Die jungen Men- ner afrikanische Familie“. Man kann das Gesehene gar schen sind aber froh, hier zu sein und etwas lernen zu nicht schildern, wir hätten es für Euch filmen müssen. können. Sie sind ja die Zukunft Ruandas. Zweimal bin Für mich wird es ein unvergesslicher Abend bleiben. ich mitgefahren zu Außenstationen, über eine endlose Als wir unter einem wunderbaren Sternenhimmel zu un- Piste und waghalsige „Brücken“, aber immer durch eine serem Haus gingen, leuchtete über uns das Kreuz des anziehende Landschaft. Auf den Außenstationen fan- Südens. Am nächsten Tag hieß es Abschied nehmen den Impfungen und Konsultationen statt. Bei einer Imp- und die Fahrt ging nach Kigali. Um 19.40 Uhr hebt un- fung helfe ich mit, obwohl ich kein Wort verstehe, aber ser Flieger ab in Richtung Brüssel. Da spüre ich sehr, mit einem Helfer geht das gut. 21 Kinder sollen es sein, dass ein Stück meines Herzens in Ruanda geblieben aber zum Schluss waren es 53. Schwester Milgitha ist. Ich habe das Land und die Menschen lieben ge- führt inzwischen die Konsultationen durch und das ist lernt. Am letzten Tag in Kaduha bekam ich eine Karte, auch ein gutes Projekt. Neben unseren Waisenkindern auf der zwei Wörter stehen: „Gira Amahoro“ – „Gehe in werden von uns noch ca. 250 Kinder betreut, die nach Frieden“. Ja, Frieden wünsche ich diesem Land und je- dem Krieg und auch jetzt noch in Familien gegeben dem einzelnen Menschen, der dort lebt. Mir ist auf die- wurden. Alle drei Monate kommen diese Kinder mit ih- ser Reise klar geworden, dass wir diesen Menschen ren Erziehungsberechtigten zum Gespräch. Häufig gibt helfen müssen. Sie leben mit einer neuen Hoffnung, es Probleme im Miteinander, da Kinder wie Erwachse- und diese gilt es zu unterstützen, damit sie fähig wer- ne traumatisiert sind. Ist ein Kind krank, bekommt es den, ihr Leben selber in die Hände zu nehmen. Da kann einen Zettel, mit dem es sich auf unserer Station mel- ich nur allen danken, die dieses Werk unterstützen und den kann und dort kostenlos behandelt wird. Ansonsten es mittragen. müssen die Kinder auch für medizinische Leistungen zahlen. Diese Kinder dürfen aber nicht zur Belastung Mit einem frohen und dankbaren Gruß der Familien werden, denn sie haben keinen Status. Eure Schwester Christel Die Missionsstation der Clemensschwestern 59 2007: Zweite Reise von Schwester Christel in en breit macht. Begleitung von Schwester Mariata Als ich vor 3 Jahren dort war, war es ein Land im Auf- Im Juni 2007 reisten die Generaloberin, Schwester bruch, heute ist es ein Land mit vielen Problemen. Der Christel, und Schwester Mariata nach Ruanda, um Deutsche Botschafter sagte uns in einem Gespräch: anlässlich des 200-jährigen Bestehens der Gemein- „Das Land wird in den nächsten 5 bis 10 Jahren drei schaft die Jubiläumskerze in der Kapelle des Euthy- Probleme haben, die es selber nicht lösen kann: die mia-Hauses zu entzünden und das Jubelfest auch im Überbevölkerung, die Nahrungsmittelversorgung und fernen Ruanda mit einem gemeinsamen Gottesdienst der steigende Energiebedarf. In Ruanda leben derzeit zu begehen. Aus dem Rundschreiben von Schwester 5 Millionen Menschen, aber nur 3 Millionen kann das Christel nach ihrer Rückkehr an die Mitschwestern sei- Land selber ernähren. Wenn es so weiter geht, wer- en einige Ausschnitte wiedergegeben: den es in 10 Jahren 15 Millionen Menschen sein. Da ist die Hungersnot vorprogrammiert.“ (Anmerkung des Liebe Mitschwestern, Autors: 2011 sind es bereits 11 Millionen Einwohner!) am Sonntag bin ich gesund und dankbar mit Schwes- Die Anzeichen dafür werden jetzt schon deutlich. Wir ter Mariata wieder in Brüssel gelandet. Es waren für haben ein SOS-Kinderdorf besucht, das bislang von mich 12 reiche und gefüllte Tage in einem ganz ande- Amerika mit Lebensmitteln versorgt wurde. Die Hilfe ren Land. wurde eingestellt, weil das Geld für den Neubau des Danken möchte ich Euch allen für Euer begleitendes Flughafens und der amerikanischen Botschaft ge- Gebet bei dieser Reise und für all das, was ihr für Ru- braucht wird. Zum anderen will der Präsident von Ru- anda tut. anda, dass die Bevölkerung selber für sich sorgt. Die Ruanda ist ein Land voller Schönheit, aber auch ein Grenzen dabei sieht er nicht. Land der Gegensätze, ein Land, das zum Spielball der Großmächte geworden ist, und wo sich viel Misstrau- Die Kapelle im Euthymia Haus 60 Die Missionsstation der Clemensschwestern Eure Schwester Christel Das Plakat ist für die Ausstellung zur 200-Jahrfeier der Clemensschwestern erstellt worden. Die Jubiläumskerze wurde von Schwester Christel und Schwester Mariata nach Kaduha gebracht und in der Kapelle des Euthymiahauses angezündet. Die Missionsstation der Clemensschwestern 61 Die Kernsanierung des Centre de Santé und des Wohnhauses Bei ihrem zweiten Besuch 2007 hatte Schwester Christel noch ein weiteres Geschenk in ihrem Reisegepäck: die endgültige Zusage, dass im Rahmen des 200-jährigen Bestehens der Clemensschwestern die Mittel für eine Kernsanierung des gesamten Komplexes in Kaduha zur Verfügung stehen. Nach etwa 30 Jahren, seit dem Neubau und der Erweiterung, war dies zum Substanzerhalt und zur Modernisierung auch dringend erforderlich. Über Monate beherrschten nun täglich bis zu 100 Mitarbeiter der Firma Pirard aus Kigali das Geschehen in dem Areal. Sie begannen in der Gesundheitsstation und renovierten als Letztes das Wohnhaus der Schwestern. Über fast zwei Jahre wurde in Provisorien gelebt und gearbeitet. Die Arbeiter der Firma Pirade. Auch das Baumaterial wurde bemängelt. Das ging nicht ohne Konflikte vonstatten. Schwes- unter Leitung des Autors verhandelt. Alle Bauleiter ter M. Milgitha fühlte sich mit der gesamten Situation und die Juristen beider Seiten waren zugegen. Letzt- überfordert und bat den Autor um seine Unterstützung. lich konnten ein tragbarer Kompromiss und ein nicht Er stellte in Abstimmung mit dem Bauunternehmer ei- unerheblicher Nachlass erwirkt werden. nen neutralen Bauleiter ein, der fortan zusätzlich die Arbeiten begleitete. Dies half, viele Mängel unmittel- Fortan erstrahlten alle Gebäude in neuem Glanz und bar zu erkennen und nachzubessern. Auch bei der verliehen dem Zentrum eine ansprechende Atmo- Abrechnung zeigten sich viele Ungereimtheiten. Über sphäre. Zum größten Teil konnte ein europäischer drei Tage wurde daher in Kigali mit dem Unternehmer Standard realisiert werden. Das Centre de Santé war damit gleichsam für eine künftige Übergabe an eine andere Ordensgemeinschaft hergerichtet. Die Gesundheitsreform in Ruanda Bereits Anfang 2004 fanden erste Gespräche zwischen dem Gesundheitsministerium und der „Deutschen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit“ (GTZ, heute GIZ) zu einer grundlegenden Gesundheitsreform und dem Aufbau einer für alle Bürger zugänglichen, nationalen Krankenkasse statt. Ein Ziel der Reform war, die Gesundheitsvorsorge aller Bürger von Ruanda zu verbessern. Im Vordergrund der GeDie Renovierungsarbeiten werden von Bauleiter Charles zusätzlich kontrolliert. 62 Die Missionsstation der Clemensschwestern sundheitsreform stand die Weiterentwicklung der Gesundheitszentren zu Polikliniken, in denen eine umfas- Gesundheitsministerium zeigte Verständnis für die Situation von Schwester M. Milgitha und räumte für das Centre de Santé eine Übergangszeit bis Ende 2010 ein. Die Einführung des nationalen Krankenkassensystems veränderte zusätzlich die Situation in den Gesundheitszentren. Das Bestreben der Regierung von Ruanda ist es, sowohl mit der Gesundheitsreform, als auch mit dem Krankenkassensystem eine für ganz Afrika vorbildliche Gesundheitsprävention und Gesundheitsbetreuung zu bewirken. Besonders der armen Landbevölkerung soll damit der kostenfreie Zugang zu den Dienstleistungen der Gesundheitszentren und zu den Krankenhäusern ermöglicht werden. Alle Bürger Ruandas müssen Die neue Mitarbeiterin der Krankenkasse sich krankenversichern lassen. Werden Personen bei der Registrierung als „arm“ eingestuft, übersende ambulante Versorgung und soziale Betreuung nimmt der Staat den Krankenkassenbeitrag. Ansons- der Patienten erfolgt. Die Einweisung von Kranken ten ist pro Person derzeit ein Jahresbeitrag von 3.000 und Verletzten in Krankenhäuser hat nur zu erfolgen, FRW (3,75 €) zu entrichten. Das hört sich wenig an, ist wenn die Notwendigkeit dazu in den Gesundheitszen- aber für eine Familie auf dem Land, mit vielen Kindern tren festgestellt und bescheinigt wurde, oder im akuten und nur geringem Einkommen, eine enorme Summe. Notfall. Diese Vorgehensweise wurde als geeignete Durch viel „Propaganda“ versucht das Gesundheits- Möglichkeit gesehen, bei dem enormen Ärztemangel ministerium, den Bürgern die Notwendigkeit der Ver- in den ländlichen Bereichen eine Grundversorgung zu sicherung zu verdeutlichen. In einem Gespräch erläu- gewährleisten. Die an die Gesundheitszentren gestell- terte die Gesundheitsministerin Dr. Agnes Binagwaho ten Aufgaben wurden wesentlich erweitert. Umgehend dem Autor ihre Ziele, besonders hinsichtlich der künf- wurden auch soziale Themen, wie zum Beispiel die tigen Eigenfinanzierung der Gesundheitszentren über Verringerung des Bevölkerungswachstum durch in die Krankenkassen. Bis zur endgültigen Realisierung diesem Werk bereits genannte Familienplanung, ein- ist es aber auch da noch ein weiter Weg. In jedem Ge- schließlich Empfängnisverhütung, und eine verstärkte sundheitszentrum ist seit Anfang 2008 ein Mitarbeiter Aidsprävention, in das Programm aufgenommen. Alle der Krankenkasse installiert. Er überwacht den ord- Mitarbeiter mussten durch umfangreiche Schulungen nungsgemäßen Ablauf der Dienstleistungen im Sinne auf diese Aufgaben vorbereitet werden. Natürlich hatte der Kasse und leitet die Abrechnung ein. Nachdem das auch für die Leitung des Centre de Santé Konse- Schwester M. Milgitha im September 2010 ihre Arbeit quenzen. Schwester M. Milgitha gab gegenüber dem in Kaduha beendet hatte, wurde, in Abstimmung mit Gesundheitsministerium zu verstehen, dass sie sich dem Caritasdirektor der Diözese Gikongoro, auch im nicht in der Lage sehe, diese neuen Anforderungen Centre de Santé Kaduha eine Mitarbeiterin der Kran- im vollem Umfang zu erfüllen; inzwischen sei auch kenkasse eingesetzt. ihre Ablösung geplant und das Zentrum solle einer anderen Ordensgemeinschaft übergeben werden. Das Die Missionsstation der Clemensschwestern 63 Vorbereitung zur 3. Teil: Vorbereitung zur Übergabe des Centre de Santé Es ist bisher in dieser Dokumentation zu Recht schon Ordensgemeinschaft wurde im Mutterhaus der Cle- viel Positives über das Wirken von Schwester M. Mil- mensschwestern gemeinsam mit Schwester M. Mil- githa berichtet worden. Um die Neutralität und Ganz- githa beschlossen. Sie stimmte zu, Prof. Bernhard heitlichkeit zu wahren, darf aber an dieser Stelle nicht Tenckhoff die Leitung dieser Mission zu übertragen verschwiegen werden, dass Schwester M. Miltgitha, und ihn bei der Durchführung zu unterstützen. Je kon- neben aller Hilfs- und Einsatzbereitschaft, sehr be- kreter sich jedoch der Zeitpunkt der Übergabe näher- stimmende Wesenszüge besitzt. Ihr teilweise patriar- te, umso konsequenter lehnte sie es ab, Kaduha zu chalischer Führungsstil führte bereits von Beginn der verlassen. Das Verhalten von Schwester M. Milgitha Mission an immer wieder zu zwischenmenschlichen erschwerte in der Folgezeit die Mission sehr. Konflikten. Zeitzeugen und Wegbegleiter von Schwester M. Milgitha haben darüber ausführlich berichtet. Sie verweigerte sich fortan gänzlich gegenüber ihren Auf deren wortgetreue Wiedergabe soll hier im Sin- Obrigkeiten und war zu keinen Gesprächen bereit. ne aller Betroffenen verzichtet werden. Bereits 1981 Alle Vermittlungsversuche, besonders durch den Bot- wurde eine Delegation der Ordensgemeinschaft, mit schafter der Bundesrepublik Deutschland in Ruanda, Flugscheinen ausgestattet, nach Ruanda entsandt, Herrn Elmar Timpe, erwirkten keine Einsicht. Ebenso um die zerstrittenen Schwestern nach Deutschland lehnte sie alle Angebote zur Übernahme einer an ihre zurückzuholen. Da es dem Bischof von Butare da- altersbedingte Konstitution angepasste Aufgabe in Ru- mals nicht möglich war, kurzfristig andere Schwestern anda ab. Letztlich blieb den Generaloberen und dem als Nachfolgerinnen zu finden, wurde auf sein Bitten Bischof von Münster, entsprechend dem Kirchenrecht, hin der Rückruf auf unbestimmte Zeit aufgeschoben. keine andere Wahl, als Schwester M. Milgitha aus der Nachdem 1998 die vorletzte Clemensschwester von Ordensgemeinschaft zu entlassen: ein schmerzlicher Kaduha in die Heimat zurückkehrte, konnte keine Prozess für alle Beteiligten. Schwester M. Milgitha lebt Schwester mehr gefunden werden, die bereit war, in heute als Privatperson Paula Kösser in Kigali. Möge die Mission nach Afrika zu gehen. Schwester M. Milgi- ihr ein friedvoller Lebensabend beschieden sein. tha war fortan alleine dort tätig. Diese Aussagen sollen dem besseren Verständnis der Die Übergabe des Centre de Santé an eine andere nachfolgenden Ausführungen dienen. 64 Vorbereitung zur Übergabe des Centre de Santé Übergabe des Centre de Santé staatliches Gesundheitszentrum geschaffen. Das sollte, laut Bischofskonferenz von Ruanda, unbedingt verhindert werden. Da sich der Bischof von Gikongoro alleine außer Stande sah, das Problem zu lösen, bat er das Mutterhaus der Clemensschwestern um Hilfe. Dieses Begehren wurde auch von dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Bischof Alexis Habiyambere, den Clemensschwestern angetragen. Zur Abstimmung der Vorgehensweise fand am 01. Juni 2008 eine Besprechung im Mutterhaus der Clemensschwestern statt, an der die Generaloberin, Schwester Christel Grondmann, ihre Vertreterin, Schwester Bemühen um eine Lösung für Schwester M. Milgitha: Gesundheitsministerin Dr. Agnes Binagwaho, Botschafter Elmar Timpe und die Stellvertreterin der Generaloberin, Schwester Margret Margret Trepmann, Schwester M. Milgitha und Prof. Bernhard Tenckhoff teilnahmen. Dem Vorschlag von Schwester M. Milgitha Da das Centre de Santé Kaduha der katholischen Kir- folgend sollte er versuchen, für ihre Nachfolge eine che und somit zur Diözese Gikongoro gehört, erhöhte Ordensgemeinschaft in Indien zu finden. Bernhard das Gesundheitsministerium den Druck auf Bischof Tenckhoff sagte zu, diese Aufgabe ehrenamtlich zu Augustin Misago, eine Fortführung der Station durch übernehmen. Nachdem der Generalrat der Clemens- eine geeignete Ordensgemeinschaft in der vorgegebe- schwestern auch seine Zustimmung gegeben hatte, nen Zeit zu vollziehen. Sollte es dem Bischof nicht ge- wurde ihm die Vollmacht zur Leitung der Mission er- lingen, würde in der Region durch das Ministerium ein teilt. Vorbereitung zur Übergabe des Centre de Santé 65 66 Vorbereitung zur Übergabe des Centre de Santé Vorbereitung zur Übergabe des Centre de Santé 67 68 Vorbereitung zur Übergabe des Centre de Santé Vorbereitung zur Übergabe des Centre de Santé 69 Während Bernhard Tenckhoff sich bemühte, über sei- zu und stellte die Kontakte zu mehreren Ordensge- ne bestehenden Kontakte von Deutschland aus eine meinschaften her. Es folgte in den nächsten Tagen ein Verbindung zu den ihm bekannten und benannten in- intensives Besuchs- und Besprechungsprogramm. dischen Ordensgemeinschaften aufzunehmen, ergab Mit der „Congregation of Teresian Carmelites“ gab es sich eine glückliche Fügung. Bei einem Spaziergang eine erste, konkrete Annäherung. Die Generalleitung in seinem Wohnort Ostbevern begegneten sich Bern- signalisierte ihre Bereitschaft, sich des Themas anzu- hard Tenckhoff und die seinerzeit an der Loburg tätige, nehmen. indische Schwester Nicy. Ihr wurde das Anliegen der Clemensschwestern erläutert. Sie sagte, dass der zu- Am Rande der Besprechung machte Schwester M. ständige Bischof, Dr. Francis Kallarakal von Kerala, im Milgitha gegenüber einer Generalrätin die Anmerkung, tiefen Süden Indiens, ihr Onkel sei. Gerne sei sie be- dass sie Kaduha nicht verlassen möchte, sondern le- reit, den Kontakt zum Bischof herzustellen. Innerhalb diglich durch die Schwestern eine Unterstützung er- weniger Tage erhielt Bernhard Tenckhoff eine Einla- warte. Dies führte zunächst zu einigen Irritationen. dung zum Besuch in Kerala. Umgehend wurde mit der Die Generaloberin, Mother Daphne, unterbrach die Vorbereitung der Reise begonnen. Sein Wunsch war Sitzung und bat um Bedenkzeit bis zum nächsten Tag. es, dass Schwester M. Milgitha ihn auf der Reise be- Auf die Frage der Abgrenzung zwischen Sr. M. Milgi- gleitet. Die Generaloberin richtete zusätzlich ein offizi- tha und den Teresian Carmelites wurde am folgenden elles Begehren an den Bischof. Tag die Festlegung aus dem Mutterhaus der Clemensschwestern bestätigt, dass ein eindeutiger Schnitt mit Am 20. April 2009 machten sich Schwester M. Milgitha der Übergabe zu vollziehen sei. Den Teresian Car- und Bernhard Tenckhoff von Ruanda aus auf den Weg melites obliege die Entscheidung, ob und wie lange nach Kerala. Sie wurden am Flughafen in Cochin von nach der Übergabe des Centre de Santé Schwester mehreren Priestern und Schwestern herzlich empfan- M. Milgitha noch zur Einarbeitung verbleibe. Die Ge- gen. Am Abend des ersten Tages kam auch der Bi- spräche und der nun konkreter werdende Zeitpunkt schof zur Begrüßung. Er sagte seine Unterstützung der Übergabe führten zu der vorgenannten Kehrtwende in der bisherigen Unterstützung durch Schwester M. Milgitha. Durch ihr ablehnendes Verhalten gerieten in den folgenden Wochen die Gespräche mit den indischen Schwestern ins Stocken. Bernhard Tenckhoff wurde daher im Herbst des Jahres gebeten, erneut nach Kerala zu reisen, um den Kontakt mit den Teresian Carmelites wieder aufzunehmen. Bei der Reise wurde er von Schwester Mariata begleitet. Die Wiederaufnahme vertrauensvoller Gespräche ist ihnen, zur Freude aller Hoffnungsträger, und dank der Das erste Gespräch im Mutterhaus der Teresian Carmelites in Kerala 70 Vorbereitung zur Übergabe des Centre de Santé guten Unterstützung durch Schwester Mariata, gelungen. Vorbereitung zur Übergabe des Centre de Santé Am 20. April 2009 machten sich Schwester M. Milgitha und Bernhard Tenckhoff von 71 - Ferner befindet sich im Cen- tre de Santé ein Waisenhaus. Die Kinder bleiben dort bis zum jugendlichen Alter, wenn vorher keine Vermittlung erfolgt. Sie werden durch geeignete Mitarbeiter betreut und besuchen die öffentlichen Schulen. - Das gesamte Centre wurde in den vergangenen zwei Jahren kernsaniert und befindet sich in einem gepflegten und technisch einwandfreien Zustand. - Die laufenden Betriebskosten werden zum größten Teil vom Bischof Dr. Francis Kallarakal wollte sich einen Überblick über die Situation verschaffen. Er hat dazu die Gäste zum Gespräch bei Tisch geladen. Mutterhaus über Spendengelder erbracht. Für einige Mitarbeiter Die nachstehende Aktennotiz gibt den Besprechungs- übernimmt der ruandische Staat die Entloh- verlauf wieder: nung. Zusätzliche Aufwendungen, wie z. B. für die Renovierung der Gebäude oder den Erwerb Aktennotiz über das Gespräch im Mutterhaus der von Fahrzeugen, werden durch das Mutterhaus „Congregation of Teresian Carmelites“ am 18. No- erbracht. vember 2009 in Cochin, Indien - Das gesamte Personal beläuft sich auf zeitweise bis zu 50 Personen. Einige wenige davon Teilnehmer sind qualifizierte Krankenpfleger und Kranken- An der Besprechung hat der gesamte Generalrat der schwestern. Teresian Carmelites unter Leitung der Generaloberin, - Sr. Milgitha leitet das Centre de Santé. Sie ist Mother Daphne, teilgenommen. Schwester Mariata seit 1973 in Ruanda und ist ausgebildete Kran- und Prof. Tenckhoff nahmen für die Clemensschwes- kenschwester. - Da Sr. Milgitha annähernd 74 Jahre alt ist, wird tern teil. eine Ablösung erforderlich. Dies ist auch auf Besprechungsverlauf Grund ihres Gesundheitszustands dringend 1. Zunächst wird den Sitzungsteilnehmern die angeraten. gegenwärtige Situation des Centre de Santé - Verständlicherweise fällt Sr. Milgitha der Über- erläutert. Die wichtigsten Punkte dazu sind: gang und das Loslassen schwer. Sie wird - Die derzeitigen Aufgabenschwerpunkte des daher, ihrem Wunsch entsprechend, in Ruanda Centre de Santé sind die Gesundheitsvorsorge bleiben dürfen und eine andere Aufgabe wahr- sowie Betreuung von Schwangeren und Kran- nehmen. ken. Ebenso werden in der Region Kaduha Impfungen durchgeführt. Die Aufgabenstellung in der Region Kaduha. Wasser bekommt das hat sich über die Jahre stets weiterentwickelt. Centre über eine eigene Quelle, Strom über Eine Anpassung an ein künftiges nationales einen Generator und Solaranlagen. Gesundheitsprogramm ist erforderlich. 72 - Die Infrastruktur entspricht den Gegebenheiten Vorbereitung zur Übergabe des Centre de Santé - Derzeit stehen im Centre drei Autos zur Verfü- gung. Sie befinden sich alle in einem einwand- da“. Die Clemensschwestern werden bemüht freien Zustand. sein, diesen Kreis auch in Zukunft aufrecht zu - Das Euthymiahaus verfügt über 10 Räume, Küche, Bad, WC und einen großen Wohnraum erhalten. - In Ruanda befindet sich ein nationales Krankenversicherungssystem im Aufbau. Diese sowie eine Kapelle. - In einem Nebengebäude, das noch nicht reno- Versicherung wird künftig die Kosten für die viert wurde, stehen zusätzlich 6 Zimmer, Bad Behandlung der Patienten im Centre de Santé und Toilette sowie ein Gemeinschaftsraum zur mittragen. - Die Kosten für den laufenden Betrieb sind Verfügung. - Unmittelbar neben dem Centre befindet sich eine katholische Kirche, in der täglich Gottes- damit in den ersten Jahren weitestgehend gedeckt. - Der genaue Zeitpunkt der Übergabe wird durch dienste abgehalten werden. - Im Dorf Kaduha befinden sich, in unmittelbarer Nähe zum Centre, ferner eine Grund- und Hauptschule, ein Kindergarten und ein Militär- die Teresian Carmelites in gegenseitiger Absprache festgelegt. - Den Teresian Carmelites bleibt es ferner überlassen, den Zeitraum für eine Einarbeitung zu krankenhaus. - Lebensmittel können auf dem wöchentlich bestimmen. stattfindenden Markt oder in einer der Städte 3. Mittels Powerpoint- Präsentation wird den Teilneh- erworben werden. mern die Region und das Centre de Santé näher 2. Nach der Diskussion über die gegenwärtige Situa- dargestellt. Ebenso werden Informationen über tion werden Rahmenbedingungen für eine Über- die Kultur des Landes und die politische Situation gabe erörtert. Diese sind: gegeben. - Sowohl Weihbischof Ostermann, Münster, als auch Bischof Misago, Gikongoro, erhoffen sich Fazit der Besprechung eine zügige Lösung, um keine Lücke entste- Die Teresian Carmelites sind gewillt, den Clemens- hen zu lassen. Beide Bischöfe werden sich mit schwestern zu helfen und bekunden ihre Absicht, das entsprechenden Briefen an Mother Daphne Centre de Santé zu übernehmen. Um eine endgültige wenden. Entscheidung fällen zu können besteht der Wunsch, - Die Generalleitung der Clemensschwestern hat eine örtliche Besichtigung vorzunehmen und Gesprä- in ihrer Sitzung am 09.06.2008 beschlossen, che mit den zuständigen Personen, wie Bischof Mi- das Centre de Santé einer anderen katholi- sago, zu führen. Der Besuch in Ruanda soll bereits schen Ordensgemeinschaft zu übergeben. kurzfristig im Januar oder März 2010 erfolgen. Mother - Die Übergabe wird zwischen beiden Mutterhäu- Daphne bittet Prof. Tenckhoff, sie als ihr Vertrauter bei sern vertraglich geregelt und erfolgt im gegen- dieser Reise zu begleiten. Dies wird ihr durch Herrn seitigen Einvernehmen. Tenckhoff zugesagt. - Weihbischof Ostermann stellt aus der Abteilung Weltkirche einen Betrag von 20.000 Euro als Erstfinanzierung für die indische Ordensge- Cochin, den 18 . November 2009 meinschaft zur Verfügung. - Derzeit erhält das Mutterhaus regelmäßig Spenden aus einem „Freundeskreis für Ruan gez. Sr. Mariata Kemper gez. Prof. Bernhard Tenckhoff Vorbereitung zur Übergabe des Centre de Santé 73 Auch der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Bischof Alexis Habyiambere, die Staatssekretärin im Gesundheitsministerium und heutige Ministerin, Dr. Agnes Binagwaho, und der apostolische Nuntius von Ruanda, Erzbischof Guido Pecoravi, sprachen ihre einladende Bitte an die Schwestern aus. Nun konnte mit der konkreten Vorbereitung der Übergabe begonnen werden. Zu weiteren Umringt von vielen Menschen fühlten sich die Schwestern in Kaduha schnell heimisch. Bei dem Besuch von Mother Daphne und ihrer Stellver- Detailabstimmungen reiste Bernhard Tenckhoff erneut nach Kerala, Indien. Der nachstehende Bericht gibt die Ergebnisse wieder: treterin Sr. Francina in Ruanda wurden sie seitens des Generalrats der Clemensschwestern durch Schwester Bericht über die Gespräche in Kerala Margret und Schwester M. Bernwarde sowie Bernhard vom 10. - 16. April 2010 Tenckhoff begleitet. Die Schwestern wurden durch den Die erneute Reise von Bernhard Tenckhoff nach Ke- Priester der benachbarten Kirchengemeinde, Father rala diente der Repräsentanz bei der Einführung von Bernard, die Mitarbeiter des Centre de Santé und viele Bischof Dr. Francis Kallarakal zum neuen Erzbischof Menschen der Gemeinde herzlich begrüßt. Sie fühlten von Verapoly und der abschließenden Klärung von sich direkt zu den Menschen hingezogen, ließe sich Grundsätzen zur Übernahme des Centre de Santé in doch für sie das Leben der Menschen und die Natur Kaduha durch die Teresian Carmelites. Außerdem er- des Landes mit ihrer Heimat Kerala vergleichen. Die folgte eine Anfrage zur befristeten Entsendung („Aus- Besichtigung des Centre de Santé und die Gespräche zeit“) von Sr. M. Milgitha nach Kerala. Zu den Themen mit den Mitarbeitern vermittelten den Schwestern die fanden Gespräche mit dem Erzbischof, Mother Daph- Gewissheit, dass sie keine Einarbeitung benötigten. ne, Fr. Robbin und Sr. Bincy statt. Alle anstehenden Aufgaben seien ihnen aus der umfangreichen Missionsarbeit in verschiedenen Ländern 1. Folgende Grundsätze zur Übernahme des Centre der Welt bestens vertraut. Mother Daphne sagte zu, de Santé wurden abgestimmt: zur Übernahme des Centre de Santé die Genehmi- - Die Teresian Carmelites werden das Centre de gung ihrer Generalrätinnen und ihres Bischofs zu er- Santé übernehmen. Der genaue Zeitpunkt wird wirken. Bei einem Besuch in der Diözese Gikongoro in dem Gespräch zwischen Sr. Charlotte und betonte Bischof Augustin Misago erneut seine Einla- Mother Daphne Ende April/Anfang Mai festgelegt. dung an die Schwestern, nach Ruanda zu kommen. Eine kurzfristige Entsendung wird angestrebt. 74 Vorbereitung zur Übergabe des Centre de Santé - Es werden zunächst fünf Schwestern nach Kaduha kommen. Mindestens eine der Schwestern soll deutsch sprechen. Die An- zuständigen Stellen kooperieren und zusammenarbeiten. - Mit Bischof Augustin Misago von Gikongoro sprachen zur Auswahl erfolgen derzeit durch sind die Eigentumsfragen (Grundstück/Gebäu- Mother Daphne. Zwei Schwestern haben sich de) abschließend zu klären. schon bereit erklärt, nach Ruanda zu gehen. - Drei der Schwestern sind für die Arbeit im - Auf Basis der Grundsatzvereinbarung mit den Clemensschwestern werden die Teresian Car- Centre de Santé vorgesehen, die anderen zwei melites ein Zusatzabkommen mit dem Bischof sollen in der Schule unterrichten und in der Ge- Augustin Misago anstreben. meinde helfen. Alle Schwestern verfügen über - Bischof Augustin Misago setzt das Gesundheitsministerium und alle weiteren staatlichen die erforderlichen Qualifikationen. - Die Schwestern werden auch missionieren. Es ist vorgesehen, zu einem späteren Zeitpunkt Stellen über die Veränderung in Kenntnis. - Die Entsendung von Sr. Christel und Bernhard Tenckhoff für die Übergangszeit wird erbeten. eine Schwesternschule zu eröffnen. - Alle Schwestern sollen durch die Lehrer der Der Zeitraum wird sich aus dem Umfang der Sekundarschule in Kaduha Sprachunterricht in Arbeiten ergeben. Sr. Christel wird im Centre Kynarwanda erhalten. Der Rektor der Schule de Santé unterstützen. Bernhard Tenckhoff hat dazu bereits seine Zusage gegeben. unterstützt bei den Alltagsaufgaben im Außen- - Auf Grund einiger Aussagen von Sr. M. Milgitha verhältnis. am Rande der Besprechung im April 2009 in - In etwa zwei Jahren soll ein weiterer Konvent in Kerala und ihres Verhaltens bei dem Besuch Nyundo/Kinunu mit ebenfalls fünf Schwestern von Mother Daphne und Sr. Francina in Ka- gegründet werden. Die Schwestern planen, duha sehen die Schwestern keine Möglichkeit dort das neue Gesundheitszentrum von Bischof einer kooperativen Zusammenarbeit mit ihr. Sie Alexis zu leiten und in Schulen und Gemeinden bitten darum, dass Sr. M. Milgitha das Centre tätig zu werden. de Santé vor dem Eintreffen der indischen - Ebenfalls in etwa zwei Jahren sollen Priester folgen, die neben der Betreuung der Schwes- Schwestern verlassen hat. - Zur Übernahme des Centre de Santé soll an- tern auch in den Gemeinden und der Missi- lässlich des Besuches von Mother Daphne in onarsarbeit tätig werden. Dazu wird Mother Münster eine Grundsatzvereinbarung zwischen Daphne zur gegebenen Zeit mit Erzbischof den Clemensschwestern und den Teresian Francis sprechen. - Die Übergabe der 20.000 Euro von Bischof Carmelites unterzeichnet werden. - Nach der Unterzeichnung informieren die Clemensschwestern die erforderlichen Stellen. Ebenso ist der Kreis der Spender zeitnah zu Ostermann soll nach Unterzeichnung der Vereinbarung erfolgen. - Die Clemensschwestern werden sich bemühen, den Sponsorenkreis für einige Jahre aufrecht informieren. - Die Teresian Carmelites legen Wert darauf, ihre zu erhalten. Eigenständigkeit und Unabhängigkeit sowohl gegenüber dem Bischof von Gikongoro als 2. Zur Entsendung von Sr. M. Milgitha nach Kerala auch dem Gesundheitsministerium von Ruanda wurde folgendes abgestimmt: zu wahren. Sie werden alle fachlichen Vorga- - Es besteht die Bereitschaft, Sr. M. Milgitha für ben des Ministeriums befolgen und mit den einige Zeit zur Erholung in Kerala aufzunehVorbereitung zur Übergabe des Centre de Santé 75 men. Erzbischof Francis hat seine Zustimmung erteilt. - Die Ordensgemeinschaft der Passionistinnen würde die Betreuung übernehmen. Sie würden Sr. M. Milgitha ein abwechslungsreiches Programm für einige Wochen/Monate vorschlagen. - Ihre Unterbringung wäre vermutlich im Konvent der Passionistinnen im Abertin Animation Center in Kottapuram. - Eventuell anfallende Kosten sind durch die Clemensschwestern zu tragen. Die Bereitschaft zur Übernahme des Centre de Santé in Kaduha durch die Congregation of Teresian Carmelites ist bestätigt. Auf der Grundlage sind im nächsten Schritt alle Formalitäten zu erledigen. Damit tritt die Übergabe in die entscheidende Phase. Dies gilt auch für die Ablösung von Sr. M. Milgitha. Der durch die Clemensschwestern angestrebte Zeitpunkt ist erreicht. Die Forderung des Gesundheitsministers von Ruanda, das Centre de Santé in 2010 an eine indische Ordensgemeinschaft zu übergeben, wird ebenfalls erfüllt. Ostbevern, den 23. April 2010 gez. Prof. Bernhard Tenckhoff Wie auch mit dem nachfolgenden Schreiben des Weihbischofs Friedrich Ostermann verdeutlicht, bemühten sich viele Persönlichkeiten darum, dass Sr. M. Milgitha den Weg für die indischen Schwestern frei macht und ihr eine entsprechende anderweitige Aufgabe zuteil wird. Im September 2010 verließ sie das Centre de Santé, Kaduha. Der Ankunft der indischen Schwestern und der Unterzeichnung einer „Kooperationsvereinbarung“ zwischen den Teresian Carmelites und den Clemensschwestern stand nun nichts mehr im Wege. 76 Vorbereitung zur Übergabe des Centre de Santé Vorbereitung zur Übergabe des Centre de Santé 77 78 Vorbereitung zur Übergabe des Centre de Santé Vorbereitung zur Übergabe des Centre de Santé 79 Übergabe des Centre de Santé an die Teresian chen Applaus und festlichem Gesang begrüßt. Die Carmelites Clemensschwestern wurden mit gleicher Herzlichkeit Mit großer Freude und viel Eifer machten sich die Mit- und einem Dank aus Kaduha verabschiedet. Vor der arbeiter des Centre de Santé, Priester und Helfer der Kirche gab es viele erste Kontakte der Schwestern mit Kirchengemeinde sowie Lehrer und Schüler der Se- den Gemeindemitgliedern. kundarschule daran, alle Vorbereitungen zur Übergabe zu treffen. Alles wurde hergerichtet, geputzt, Lie- Anschließend ging es gemeinsam zur feierlichen der und Tänze wurden einstudiert, der Gottesdienst Übergabe ins Centre de Santé. Nach den Anspra- wurde vorbereitet. Es sollte ein Festtag für Kaduha chen von Bischof Augustin Misago, Sr. M. Bernwarde werden. Die Einladungen zur Teilnahme an der Feier und Mother Daphne erfolgte die offizielle Übergabe ergingen an die Vertreter der Gemeinden, der Regie- des Centre de Santé durch Sr. M. Bernwarde und Sr. rung, des Ministeriums und die Kirchenvertreter. Am Mariata an die Congregation of Teresian Carmelites. 13. März 2011 war es so weit. Die Schwestern waren Symbolisch wurde ein Bild der seligen Schwester M. einige Tage zuvor in Kigali eingetroffen und am Flug- Euthymia und eine handgefertigte Osterkerze an Mo- hafen von Schwester M. Bernwarde, Schwester Ma- ther Daphne überreicht. Mother Daphne gab in ihrer riata und Bernhard Tenckhoff in Empfang genommen Dankesrede bekannt, dass die Schwestern in Kaduha worden. Gemeinsam fuhr man zunächst zum Bischof den Namen „Euthymia-Carmel-Convent“ erhalten. von Gikongoro, um sich bei ihm offiziell anzumelden, Das erfüllte alle mit Stolz. Das segensreiche Wirken um dann weiter zur neuen Heimat, Kaduha zu rei- der Clemensschwestern in Ruanda wurde damit be- sen. endet und eine hoffnungsvolle Zukunft mit den Teresian Carmelites begann. Es wurde noch ein langer Tag Der Tag begann mit einem ergreifenden Gottes- mit viel Gesang, Tanz und guten Gesprächen. dienst in der voll besetzten Kirche. Bischof Augustin Misago zelebrierte die Messe mit vier weiteren Pries- Zum Abschied richtete der Priester von Kaduha, tern. Die neuen Schwestern wurden der Gemeinde Father Bernard, den Appell an die Clemensschwes- Kaduha vorgestellt und von ihnen mit einem herzli- tern: Ankunft der Schwestern in Ruanda. Bernhard Tenckhoff inmitten von (v.l.) Sr. Catharine, M. Daphne, Sr. Bernwarde, Sr. Mariata, Sr. Joyce, Sr. Martha, Sr. Sneha 80 Vorbereitung zur Übergabe des Centre de Santé Herzliche Begrüßung durch die Mitarbeiter im Centre de Santé: Das lange Warten und die Zeit der Ungewissheit hatten ein Ende. Die Ansprache von Bischof Augustin Misago wurde von Father Bernard ins Englische übersetzt. Vorstellung der Schwestern vor der Gemeinde „Don´t forget Rwanda!“ Die Clemensschwestern sagten zu, sich auch weiter- der Gemeinde kann zusätzlich aufgenommen werden. hin unterstützend um das Centre de Santé und die Viele Projekte sind bereits geplant. All diese Aktivitä- Menschen in Kaduha zu bemühen. Bis heute pflegt ten wollen die Clemensschwestern auch in den kom- das Mutterhaus einen engen Kontakt zu den Schwes- menden Jahren mit der Unterstützung durch den Kreis tern in Kaduha. Die Schwestern Sneha, Jocy und der Ruandafreunde fördern. Die Menschen in Kaduha Martha haben sich schnell in Kaduha eingelebt. An- haben diese Unterstützung nicht nur verdient, sie fang 2012 kamen noch zwei weitere Schwestern dazu. haben sie auch dringend nötig. Damit ist ihr Konvent komplett und die Arbeit innerhalb Übergabe des Centre de Santé und der mitgebrachten Geschenke. Links im Bild der gute Freund und Helfer, Father Bernard, Priester der Gemeinde Kaduha Bis in den Abend wurde gefeiert. Die Schülerinnen und Schüler der Sekundarschule verdeutlichten den Gästen mit Tänzen und Gesang die Kultur des Landes. Vorbereitung zur Übergabe des Centre de Santé 81 Artikel von der Redakteurin Maria Meik der und die von Münster aus mit Sponsorengeldern unter- Westfälischen Nachrichten vom 03.06.2011 stützt wurde, wie Generaloberin Schwester Charlotte berichtet. MISSIONSSTATION AN INDISCHE ORDENSFRAUEN ÜBERGEBEN Schwester Quirina ist 86 und längst aus Afrika ins Mutterhaus an der Raphaelsklinik zurückgekehrt. Schwes- Schwester Maria Euthymia nun auch in Ruanda ter Milgitha ist ausgeschieden, und die Schwestern Ignatis und Agnetis sind gestorben. Allesamt haben sie sich im Gesundheitszentrum im Armenhaus Ruandas die Ärmel im Dienst des Nächsten aufgekrempelt. Münster - Wunder gibt es immer wieder... Schwes- Einer, der sich in Ruanda wie in seiner Westentasche ter Maria Euthymia um Fürsprache bei Gott zu auskennt, der dem Land und den herzlichen Men- bitten - darauf vertrauen nicht nur die Clemens- schen eng verbunden ist, ist Bernhard Tenckhoff. „Seit schwestern. Jetzt hängt ein Bild ihrer selig ge- 2003 fahre ich jedes Jahr bis zu sieben Mal nach Ru- sprochenen Mitschwester sogar in Kaduha, etwa anda“, erzählt der Professor aus Ostbevern, der Ent- 150 Kilometer von Kigali entfernt, der Hauptstadt wicklungshilfe erster Güte leistet. von Ruanda in Zentralafrika. Und seit zwei Monaten gibt es hier sogar die Niederlassung: „Euthy- Er hat Hochschullehrer in Ruanda ausgebildet. „Ent- mia-Carmel-Convent“. wicklungshilfe muss nachhaltig sein“, lautet die Devise von Tenckhoff, der auf Bildung setzt und in Ruanda Und das macht die Clemensschwestern überglücklich. gute Kontakte zu Behörden hat. Als er Schwester Mil- Weil ihre Arbeit in der Missionsstation fortgesetzt wer- githa und die Clemensschwestern im Jahr 2004 ken- den kann, die sie 1973 mit viel Liebe aufgebaut haben nenlernte, verspürte er Heimat und Herzenswärme. Dem Ingenieur ging die Not der Menschen unter die Haut, die in Scharen im Gesundheitszentrum auf eine Impfung warten. Die Sterblichkeitsrate in Ruanda sei hoch und Aids verbreitet, erinnert der Professor auch an den grausamen Völkermord, der über 40 Prozent Waisenkinder zurückgelassen habe. „Aus den Clemensschwestern und mir wurde ein ‚Dream-Team‘“, freut sich Tenckhoff, der als Vermittler alles klar machte für die Übergabe der Missionsstation an die indischen Schwestern am 13. März. Doch wie kommt man an sie ran? Antwort: Durch eine Begegnung der wundersamen Art. Nicht irgendwo, Das Herz der Clemensschwestern und das von Prof. Bernhard Tenckhoff schlägt für Ruanda. Im Bild (v. l.) mit Generalrätin Sr. Bernwarde, Generaloberin Sr. Charlotte und ihre Stellvertreterin Sr. Margret. Foto: (mm) 82 Vorbereitung zur Übergabe des Centre de Santé sondern in Ostbevern. „Als ich an der Loburg einen Spaziergang machte, kreuzte plötzlich eine indische Ordensfrau meinen Weg. Und sie war auch noch die Nichte des Bischofs von Kerala“, erzählt Tenckhoff. vielen Teilen Deutschlands und motivierenden Vorträ- Alles andere fügte sich nach zweijähriger Verhandlung gen hat sie um die Unterstützung gebeten, die dieses zusammen. Projekt erforderte. Sie fand dabei stets Gehör. Den zahllosen Spendern sei auch dafür gedankt. Alle Ge- Zur Übergabe der Station reiste auch die Afrikabeauf- neraloberen standen der Mission, teilweise begründet, tragte der Clemensschwestern, Schwester Mariata, auch etwas kritisch zur Seite. Auch der nicht unerheb- nach Ruanda - mit einem Bild von Schwester Maria liche finanzielle Beitrag des Mutterhauses war für den Euthymia als Geschenk. Erhalt der Station von Nöten. Dies soll, wie bereits gesagt, auch weiterhin so sein, denn die Menschen dort Für viel Geld haben die Ordensfrauen die weitläufi- werden noch lange auf unsere Hilfe angewiesen sein. ge Anlage renoviert. „Wir werden die Missionsstation Nachfolgend sollen nur wenige, beispielhafte Rund- erhalten und die indischen Schwestern unterstützen“, schreiben und Veröffentlichungen aufgeführt werden. sagt Generaloberin Schwester Charlotte. Ein Dank gilt auch der Presse, die diese Mission stets mit guten Artikeln unterstützt hat. Von Maria Meik, MÜNSTER Glücklich und mit Stolz nahm Sr. Mariata immer wieder großzügige Spenden entgegen und leitete das Geld Weitere Unterstützung durch nicht nur gezielt nach Kaduha, sie bemühte sich auch um die Clemensschwestern und Ruandafreunde deren Verwendung im Sinne der Ruandafreunde. Viele Alles Erreichte war nur durch den selbstlosen Einsatz Projekte konnten so Unterstützung aus Deutschland er- vieler Helferinnen und Helfer und aller Spender mög- fahren. Mit den künftigen Spenden sollen Projekte als lich, die sich stets für die Menschen in der Region Ka- „Hilfe zur Selbsthilfe“ initiiert und unterstützt werden, die duha eingesetzt haben. Schwester Mariata hat sehr es den Menschen in Kaduha ermöglichen, persönliches früh damit begonnen, die Brücke zwischen der Station Eigentum zu schaffen, damit ihren Lebensstandard zu in Ruanda (wo sie bereits fünfzehnmal war), dem Mut- verbessern und ihre Zukunft zu sichern. terhaus und dem Kreis der Ruandafreunde in Deutschland zu „errichten und zu pflegen“. Fühlt sie sich doch Schwester Mariata wird auch weiterhin bemüht sein, deshalb nicht ohne Grund als halbe Ruanderin. Mit die Ruandafreunde regelmäßig zu informieren. regelmäßigen Rundschreiben, zahllosen Besuchen in Die aktuellen Rundbriefe von ihr sind: Schwester Mariata: Ihr Herz schlägt für Ruanda. Eine Delegation der Ruandafreunde aus Ahlen überbringt eine Spende. Die Gruppe ist seit langen Jahren für die Menschen in Kaduha aktiv. Vorbereitung zur Übergabe des Centre de Santé 83 84 Vorbereitung zur Übergabe des Centre de Santé 4 Vorbereitung zur Übergabe des Centre de Santé 85 86 Vorbereitung zur Übergabe des Centre de Santé 4 Vorbereitung zur Übergabe des Centre de Santé 87 Schlussworte Schlussworte aus Münster und Kerala Am 18. Mai 2011 fand im Mutterhaus unser diesjähri- Am Schwerpunkt Gesundheit haben die Clemens- ger Gemeinschaftstag statt. Gefeiert wurde die gelun- schwestern mit ihrer Missionsstation, tief im Landesin- gene Übergabe unserer Missionsstation in Ruanda an nern, vor 38 Jahren ein Hilfeprojekt begonnen. Am 13. die indische Schwesterngemeinschaft der Teresian- März dieses Jahres wurde es in Kaduha den Teresi- Carmelites. an-Carmelites übergeben. Seither heißt die Niederlassung: Euthymia-Carmel-Convent. In einem sehr lebendigen Vortrag von Herrn Prof. Bernhard Tenckhoff wurde uns das wunderschöne Land in Zu den Bildern, die uns die konkrete Übergabe- Zentralafrika mit seinen liebenswerten Menschen und Feier zeigten, las unsere Generaloberin Schwester seiner großen Armut und Gefährdung vor Augen ge- Charlotte einen Brief der indischen Generaloberin führt. Drei Entwicklungsschwerpunkte: Ernährung, Ge- Mother Daphne vor, den diese noch in Kaduha ge- sundheit, Bildung stehen für das Land im Vordergrund schrieben hat: – so Tenckhoff. Zu Bildern von der ÜbergabeFeier in Ruanda las Schwester Charlotte einen Brief der indischen Generaloberin vor. 88 aus Münster & Kerala Ehrenwerte Mother, Grüße in Frieden! Dieser Brief bringt die Gefühle meiner tief empfundenen Dankbarkeit und Liebe zum Ausdruck!... ... Am 25. März reise ich morgens mit Sr. Catharine von Kigali aus nach Indien zurück. Von dem Tag an sind die Schwestern auf sich alleine gestellt. Aber sie sind nicht alleine, die Gegenwart des auferstandenen Gottes, der versprochen hat, immer mit uns zu sein, ist bei ihnen. Die Gebete und Präsenz der seligen Sr. Euthymia sind hier allgegenwärtig. Danke für die lieben Geschenke. Sie haben die Seelen meiner Schwestern belebt. Als ich im Mai 2010 in Münster war, haben du und ich gemeinsam am Grab von Euthymia gebetet und darum gebeten, dass wir innerhalb eines Jahres in das Euthymia Haus einziehen werden. Es geschah!!! Danke, selige Euthymia, für deine starke Unterstützung. Wir haben das Haus „Selige Euthymia Carmel Haus“ genannt. Die Gemeinschaft wird ihren Gemeinschaftstag am 09. September zelebrieren. Täglich werden sie zur seligen Euthymia beten und ich bin mir sicher, ihre Wunder werden nach Kaduha wirken. on der Clemensschwestern hier fortzuführen? Meine Darf ich die Gelegenheit nutzen, liebe Mother Char- Schwestern haben nicht die Diskriminierungen und lotte, um dir und deinen Rätinnen für die Einladung Unannehmlichkeiten zu ertragen, die ihr ertragen zu danken, diese herausfordernde Mission in Zuver- musstet. Somit können sie in Frieden leben und ihre sicht und Vertrauen zu übernehmen und die Missi- große Aufgabe beginnen. 89 Gott machte Prof. Bernhard und deine Rätinnen zu Ich schreibe dir erneut, wenn ich wieder in Indien bin. seinen Erfüllungsgehilfen, um die Teresian Carmelites Ich hoffe, dir geht es bald besser. Wir beten für dich. von der Mission zu überzeugen und sie ihnen anzuver- „Greetings of love“ von meinen Schwestern, Joyce, trauen. Wenn ich an diesen Weg Gottes denke, bin ich Martha und Sneha an dich und alle Schwestern dei- überfüllt von Emotionen. Ich würdige und danke Gott ner Gemeinschaft. und euch allen für euren guten Clemensbruder, Prof. Bernhard Tenckhoff für all seine Ausdauer, Begeiste- Herzliche Grüße deine Sr. Daphne. rungsfähigkeit, Verbindlichkeit, Mut und Entschlossen- Kaduha, 15.03.2011 heit, um diese Mission zu erfüllen. Seine Einfachheit und Bescheidenheit, selbstlos im Hintergrund zu bleiben, ist ebenso eines seiner großen Werte. Gott hat Der Festgottesdienst stand unter den Worten Jesu: eure Gemeinschaft mit ihm gesegnet. Danke für das „Geht in alle Welt...!“ Die Zusage Jesu: „Ich bin bei Vertrauen in seine Hilfe. „Danke“ ist das einzige Wort, euch alle Tage – bis an das Ende der Welt“ – so Dr. das ich kenne, um meine Dankbarkeit zum Ausdruck Reidegeld, ist die Kraft, aus der die Kirche, und in ihr zu bringen. Ich wiederhole es und meine es so! die Orden, in dieser Zeit, in der so viele Fragen und Das Euthymia Haus ist nun belebt durch Teresian Car- Sorgen im Vordergrund stehen, der eigentliche Halt, melites, aber es ist eures. Du und deine Schwestern die innerste Orientierung ist. sind immer herzlich willkommen, mit uns im Haus zu sein und die Schönheiten Ruandas zu erleben. Bitte zögert nicht zu kommen. Unsere Schwestern brauchen weiter eure Unterstützung. Ich habe darüber mit Prof. Bernhard gesprochen. Seine Schlussworte waren: We don´t forget Rwanda. Pfarrer Dr. Jochen Reidegeld, Ordensreferent im Bistum Münster, feierte den Dankgottesdienst. 90 Schlussworte Schlusswort des Autors Mit großer Freude habe ich mich daran gemacht, im Archiv der Clemensschwestern die umfangreichen Dokumente zu sichten und für die Chronik aufzubereiten. Durch die Gespräche mit Zeitzeugen wurde das Geschriebene für mich noch in einer besonderen Weise mit Leben erfüllt. Auch meine persönlichen Erfahrungen durch meine Tätigkeit in Ruanda sind neutral eingeflossen. Das vorliegende Werk erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Es ist ein Kinder auf dem Weg nach Kaduha repräsentativer Überblick über die 38 Jahre des segenreichen Wirkens der Clemensschwestern in Ru- Sr. Mariata und den vielen Clemensschwestern, die anda, ist es doch gleichsam ein Stück Geschichte der durch ihre aktive Unterstützung und ihre Gebete mit Ordensgemeinschaft. Möge die Schrift die Leser nicht zum Gelingen beigetragen haben. Ohne diesen star- nur über die Missionsarbeit der Clemensschwestern ken Rückhalt wäre es mir nicht möglich gewesen, die in Afrika informieren, sondern gleichsam motivieren, Mission zum Abschluss zu führen. Ein ganz besonde- die Menschen in der Region Kaduha auch weiterhin rer Dank gilt der Generaloberin, Schwester Charlotte. zu unterstützen. Sie war es, die besonders in allen äußerst schwieri- Seit meiner ersten Reise nach Kaduha in 2004 fühle gen Situationen immer für mich ansprechbar war und ich mich den Menschen in der Region in einer beson- mir mit Rat und Tat zur Seite stand. In vielen langen deren Weise verbunden. Diese Verbundenheit und die Besprechungen, meist gemeinsam mit einigen Gene- zu den Clemensschwestern waren und sind für mich ralrätinnen, wurde das weitere Vorgehen abgestimmt: eine innere Verpflichtung, mich für die Sicherung der Eine für mich beispielhafte, auf tiefem gegenseitigem Zukunft des Centre de Santé mit einzubringen. Solch Vertrauen beruhende Teamarbeit. eine Mission lässt sich nur mit einem starken Rückhalt aus dem Mutterhaus realisieren. Ich danke daher der Münster, im Februar 2012 Generaloberin, Schwester Charlotte, den Generalrätinnen Sr. Margret und Sr. Bernwarde, sowie Bernhard Tenckhoff 91 Literaturhinweis Literaturhinweis • Maria Meik, • Monika Pichol, „Missionsstation an indische Ordensfrauen über- „Engel für Afrika“ geben www.engelfuerafrika.de Schwester Maria Euthymia nun auch in Ruanda“ Westfälischen Nachrichten vom 03.06.2011 • Bernhard Tenckhoff, „Ruanda: Das Centre de Santé Kaduha“ Praktische Arbeitsmedizin, April 2009 • Bernhard Tenckhoff, • www.wikipedia „Ruanda“ • www.wikipedia „Genozid in Ruanda“ • Archivmaterial der Clemensschwestern Münster • Leihgaben von Schwester Mariata „Segensreicher Einsatz der Clemensschwestern in Ruanda wird fortgeführt.“ • Schlusstext: Praktische Arbeitsmedizin, Mai 2010 www.clemensschwestern.de • Hanna Jansen, „Über 1000 Hügel wandere ich mit dir“, Thienemann Verlag Fotos: Archiv der Clemensschwestern Münster, • P. Otto Mayer W.V., Ruanda: „Tagebuch des Grauens“ • Johannes Röser, „Frauensache ist Männersache“ Christ in der Gegenwart, 64. Jahrgang, Heft 6 92 Schwester Mariata und Bernhard Tenckhoff Kurzbiographie Kurzbiographie Bernhard Tenckhoff Bernhard Tenckhoff war seit Anfang 2003 in Ruanda regelmäßig bis zu sechsmal im Jahr tätig. Er lehrte von 2003 bis 2010 als Professor an der technischen Hochschule „Kigali Institute of Science and Technology“ und war dort in der Ausbildung des akademischen Personals und beim Aufbau des neu eingeführten Fachgebietes „Ingenieurmanagementsysteme“ (Qualität, Umwelt, Sicherheit, Gesundheit) tätig. Von 2003 an baute er in dem nationalen Energieversorgungsunternehmen „Elektrogaz“ heute „WEGASA“ ein Qualitäts- und Sicherheitsmanagement auf. Im Arbeitsministerium wurde mit seiner Hilfe eine nationale Aufsichtsbehörde für Arbeitssicherheits- und Gesundheitsschutzmanagement eingerichtet. Die neuen Aufsichtsbeamten wurden theoretisch und praktisch auf die neue Aufgabe vorbereitet. In seiner Freizeit engagierte er sich in Ruanda in ver- er als Mittler zum Mutterhaus in Münster. 2008 erteil- schiedenen Projekten der Diözese Münster und von te ihm die Generaloberin der Clemensschwestern die Interplast Germany. So lernte er 2004 das „Centre de Vollmacht, nach einer katholischen Ordensgemein- Santé“ in Kaduha kennen. Fortan war er regelmäßig schaft zu suchen und die Übergabe des Centre de an Wochenenden dort und unterstützte das Centrum Santé an die Gemeinschaft einzuleiten. vorwiegend in technischen Fragen. Ebenso fungierte 93 94 95 We don´t forget Rwanda 96