Wie alles begann An der IGS Bad Oldesloe hat Kreativität einen
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Wie alles begann An der IGS Bad Oldesloe hat Kreativität einen
ÄSTHETISCHE BILDUN G Die Asthetisierung des Alltags, di e Poetisierung des Lebens, die Verbindung von Kunst, Musik, Spiel mi t Arbeit und Leben - derfrühromantische Traum . Auffast wundersame Weise scheint es, als ob das philosophische Programm der Frühromantiker, die Entfaltung des individuellen Lebens durch künstlerischen Ausdruck in zarten Ansätzen, aber immerhin doch, in einer Schule Gestalt an nimmt: Ein Besuch in der IGS Bad Oldesloe in Schleswig-Holstein, bei der musisch-ästhetische Bildung den Schulalltag prägt . s ist einfach super. Auf eine r anderen Schule wäre ich gar nicht so weit gekommen . Ic h habe hier viel fürs Leben gelernt ." Wir treffen Charlotte im Bistro der Integrierten Gesamtschule Bad Oldesloe, wo sie sich ge rade ein Pausenbrötchen holt. Die Begeisterung der Oberstufenschülerin is t echt . Nachdem sie in der Sekundarstufe das Wahlpflichtfach Gestalten belegt hatte, hat sie sich jetzt für den Leistungskurs Musik entschieden un d gehört damit zu den nur 1,6 Prozen t Oberstufenschülern in Deutschland , die diesen Weg wählen . Elke Meinerstorf Lehrerin an der IG S Bad Oldesloe, bringt einen weiteren Be leg für das Engagement der Schüler . Sie zitiert aus den Aufzeichnungen eine s Zehntklässlers aus dem Wahlpflichtfach Gestalten : „Ich habe in den letzten vier Jahren in Ihrem Unterricht nicht einma l aus dem Fenster gucken müssen . ” E Wie alles begann Die Geschichte der IGS Bad Oldeslo e beginnt 1990 . Damals gab es in de r knapp 25 000 Einwohner zählenden Kurstadt im Schleswig Holsteinischen gerad e mal zwei Grund- un d Hauptschulen, zwei Realschulen und ein Gymnasium , als Eltern und da s Gründungskollegium an eine m Profil für eine An Gesamtschule arbeiteten . „Wichtig war uns dabei die musisch-ästhetische Bildung”, erinnert sich Schulleiter Klau s Mangold. Der Pädagoge begründet das so : „Musisch-ästhetische Bildung ziel t von ihrem Grundverständnis auf all e Lebensbereiche ab, daher ist es für ein e zukunftsorientierte Gesellschaft unabdingbar, dass sie zum festen Bestandteil aller Bildungsinstitutionen wird .” Lehrer wie Eltern waren sich bei der Gründung einig, dass das Theater mit seine n fächerverbindenden Elementen i m Mittelpunkt stehen sollte . „Ob Musik, bildende Kunst, darstellende s Spiel oder auc h Sport — alles ist hier / Si e integriert .” wollten eine Alternativ e zum dreigliedrige n Schulsystem schaffen — auc h bei der in - der IGS Bad Oldesloe hat Kreativität einen ganz besonderen Stellenwert ÄSTHETISCHE BILDU I haltlichen Ausgestaltung — und fingen ein bis zwei Stunden ab . Stattdessen so an, wie man ein Haus baut : mit dem stehen drei Klassenlehrerstunden un d Fundament . Denn „für den geplan- zwei Stunden Neigungsdifferenzierun g ten musisch-ästhetischen Schwerpunkt — kurz NGD — für die Schüler der fünf mussten wir eine Basis schaffen”, erklärt ten und sechsten Klassen verpflichten d Mangold . auf dem Stundenplan. Das Angebo t wechselt halbjährlich von Puppenspie l Weder blind noch taub über Schultheater bis zu Masken- ode r Also wurde die Stundentafel für die Kulissenbau . Die beiden Fächer Musi k Jahrgänge 5 bis 7 geändert . Konkret : Die und Kunst werden in den Klassenstufe n Fächer Deutsch, Mathe, Naturwissen- 5-8 nicht epochal — wie sonst üblich — , schaften und Weltkunde geben jeweils sondern durchgängig jeweils zweistün - Gestalten im Schulangebo t Die musisch-ästhetische Bildung h i mehr und mehr Einzug in d e Schulalltag . So wird das Fach Gests ten in Schleswig-Holstein bereits sechs Gesamtschulen im Wa l pflichtbereich (WP) angeboten , Brandenburg gehört „Darstellen u r Gestalten” zum Fächerangebot d Wahlpflichtunterrichts ab Jahrgan g stufe 7 oder 9 und des Wahlbereic h 1987 wurde in einem Modellversu c das Fachangebot im Wahlpflicht b reich I an Gesamtschulen in No r rhein-Westfalen durch das Fach „D a stellen und Gestalten” erweitert. S c März 1999 ist WP I als Fach abge 5 chert . In den meisten Bundeslände r liegen (zum Teil vorläufige) Lehrp l ne bzw . Rahmenpläne für die Klass e 7 bis 13 vor. Die Kultusministerko s ferenz (KMK) erarbeitet derzeit „Ei s heitliche Prüfungsanforderungen i der Abiturprüfung” für das Fach D a stellendes Gestalten . ÄSTHETISCHE BILDUN G dig unterrichtet . Die Oldesloer Schüle r stehen also nicht, wie es der Frankfurte r Musikwissenschaftler Hans Günther Bastian ausdrückt, „vor der unzumutbare n ästhetischen Alternative, sich für Blindheit oder Taubheit entscheiden zu müssen” . Ein Stundenplankonzept, das sich nu r schwerlich mit einem „normal” strukturierten Kollegium durchsetzen lässt. Trotzdem sind in Bad Oldesloe nich t mehr Musik- oder Kunstlehrer angestellt als anderswo . Klaus Mangold verrät, warum es trotzdem funktioniert : „Jeder von uns hat ein Hobby und das wird in den Schulalltag eingebracht .” Er selbst unterrichtet Erdkunde und Sport . Sein „Hobby” : Theater. ,Wir haben Naturwissenschaftler, die sehr gut Gitarr e spielen und das auch vermitteln, un d unser Oberstufenleiter für Mathe un d Erdkunde ist ein hervorragender Pianist . " Trotzdem sollen und dürfen die andere n Fächer nicht zu kurz kommen . Dafü r sorgt unter anderem das verpflichtend e naturwissenschaftliche Praktikum für alle Schüler der 12 . Klasse . Als das Bad Oldesloer Kollegium vor el f Jahren dieses Schulkonzept mit de m Fach Gestalten als Wahlpflichtfac h komplettieren wollte, lehnte das Ministerium ab . Zwar wurde zu diesem Zeitpunkt bereits das Fach Gestalten als erstes Wahlpflichtfach in nordrhein-west - Schüler der IGS setzen eine Bildergeschichte zum Thema Angs t szenisch um : „Dabei entstehe n tolle Geschichten, Bewegungen un d Dialoge . . . jugend liche Kreativität, die man wie Rahm abschöpfe n muss . ” E&W 12/2004 fälischen Gesamtschulen unterrichtet , in Schleswig-Holstein gab es dafür abe r keinen Lehrplan . Den schrieben die Oldesloer Lehrer in den nächsten Jahre n dann kurzerhand selbst und wagten einen erneuten Anlauf — mit Erfolg . Seit nunmehr sechs Jahren können die Schüler neben den üblichen Wahlpflichtfächern Französisch, Latein, Technik und Wirtschaft auch das Fach Gestalten wählen . Und das tun sie mit Begeisterung. Jahr für Jahr müssen viele In teressenten abgewiesen werden . Denn die räumlichen und personellen Ressourcen lassen jeweils nur einen Kur s mit 18 Plätzen zu . Wie Rahm abschöpfe n Unterricht in Klasse 7 : Zwei Schülerinnen gehen aufeinander zu . Sie haben ihre Köpfe mit hellen Tüchern verhüll t und tragen Masken auf dem Kopf. Diese Masken können sich nur „anschauen”, wenn die beiden Protagonistinne n eine seltsam nach vorn gebeugte Haltung einnehmen . Gesprochen wird nicht . Eine eigenwillige und bedrücken de Szene . Der Rest der Gruppe verfolgt das Spiel der beiden konzentriert, gibt hin und wieder notwendige Regieanwei sungen . Elke Meinerstorf hatte ihren Schüler n eine Bildergeschichte vorgelegt, die Angste gegenüber anderen Mensche n und unbekannten Situationen themati - sierte . Jetzt probieren diese einige d e Ideen aus, die sie daraus entwickelt h < ben . „Dabei entstehen tolle Geschic l ten, Bewegungen und Dialoge, die ic mir gar nicht ausdenken könnte . D i stehen in keinem Buch . Es ist jugend l che Kreativität, die man wie Rahm al schöpfen muss .” Später wird die Grupp beschließen, welche Konzepte weit e verfolgt werden und welche nicht . D i Schüler werden am Ende viel dazu g f lernt haben . Nicht nur inhaltlich . Si haben gelernt, sich sachlich auseinand f zu setzen, Kritik zu ertragen, die eig f nen Ideen zu Gunsten anderer zu v e werfen und an einem gemeinsam e Konzept weiter zu arbeiten . Das stär l das Selbstvertrauen und die Sozialko n petenz . „Pädagogik im besten Sinne ' schwärmt Mangold . „Wenn unsere Schüler ein Referat h a ten, dann hört man ihnen gerne zu — s i haben eine ganz andere Haltung”, b ( richtet Meinerstorf. „Sie wissen, woh i mit den Armen, haben gelernt, sich au zudrücken und ihre Ergebnisse vor A r deren zu präsentieren . ” Auch ein E gebnis der Theaterpraxis . Elke Mein e storf ist ebenfalls von Anfang an dabe Die Mathe- und Erdkundelehrerin i vor vielen Jahren bei einer Schultheat e weiterbildung „auf den Geschmack g l kommen” . Mittlerweile hat sie sich it tensiv weiter qualifiziert — so wie ze h andere ihrer Kollegen . ÄSTHETISCHE BILD U Weiterbildung ist für Klaus Mangold ei ne der entscheidenden Säulen für de n Erfolg des Konzepts : „Wir haben vo n Anfang an dafür gesorgt, dass alle sic h intensiv weitergebildet haben .” Dabe i wurden die Fortbildungen größtenteil s selbst organisiert . In den vergangene n Sommerferien zum Beispiel haben zwe i Lehrer sich in Schnitttechnik qualifiziert, ihr Wissen geben sie jetzt in einem Wochenendseminar an ihre Kollege n weiter. Peymann, Eisenstein, Truffaut — das sin d keine Unbekannten für Schüler im Fac h Gestalten . Sie besitzen solide Theaterkenntnisse, haben Schnitttechnike n und Filmanalyse genauso gelernt wie ihre Mitschüler französische Vokabel n oder Grammatik . Unterfüttert wird di e musisch-ästhetische Bildung an der IG S Bad Oldesloe durch eine umfangreich e Bibliothek mit Filmen und Büchern . Und der Musikraum beherbergt eine erstaunlich große Anzahl von Musikinstrumenten . Theater ist umfassen d Die ganztägige Gesamtschule könnte doppelt so viele Schüler aufnehmen — wenn die Kapazität vorhanden wäre . Denn mehr als 50 Prozent der angemeldeten Kinder müssen Jahr für Jahr abgelehnt werden . Musisch-ästhetische Bildung ist ein Angebot für alle . Währen d der gesamten Schulzeit stehen pro Jahr IGS Bad Oldesloe : Schulerfolg durch Kreativität Zwölf Prozent der Schüler erreiche n einen Hauptschulabschluss , 27 Prozent der Schüler den mittlere n Bildungsabschluss , j 61 Prozent der Schüler die Fachhoch schulreife (zehn Prozent) oder das Abitur (51 Prozent) . Die Wiederholerquote liegt unter einem Prozent . Von den acht besten Abiturienten de s letzten Jahrgangs hatten sechs da s Fach Gestalten belegt . sechs verschiedene AGs ,Musische Bildung' zur Wahl. Ein weiterer wichtiger Baustein : das musische Projekt in de n Klassen 8 bis 10 zweistündig in Doppel besetzung : Es wird von einer Fachlehrkraft aus dem musisch-ästhetischen Bereich und dem Klassenlehrer unterrichtet . Gerade aktuelles Thema : Licht und Schatten . Ausgangspunkt dieses Projekts is t die bekannte Märchennovelle „Pete r Schlemihls wundersame Geschichte”, in der es um den Verkauf des eigene n Schattens geht . Genug Stoff für verschiedene Disziplinen . Lesen, Interpretieren und eigene Texte schreiben gehör t ins Fach Deutsch, für die Erklärung des „Phänomens” Schatten bedarf es physikalischer und mathematischer Grundkenntnisse, während der Bau eine s Schattenspiels eine Sache des Kunstunterrichts ist . Und für den Trickfilm, de n die Achtklässler zu guter Letzt noch dre hen werden, ist außer inhaltlicher auc h technische Kompetenz gefragt . An der IGS können Schüler, so rechne t Mangold vor, ein Viertel bis ein Dritte l ihrer Unterrichtsstunden mit musisch ästhetischer Bildung belegen . Trotzde m geht es dem Schulleiter nicht darum, ei ne kleine Gruppe von Spezialisten heranzubilden . „Wir leisten ganz viel Basis arbeit, nur so kann der Alltag ästhetisier t werden . ” Und das wirkt sich auf alle Schulfächer aus? „Klar”, meint Elke Meinerstorf, „wenn ich merke, beim Thema Französische Revolution kommt von de n Schülern bloß noch ein müdes Gähnen , dann spielen wir die Situation einfach nach : An diesem Tisch sitzen die Bauern, dort der Klerus, der Adel, das Bürgertum . Und schon sind sie mittendrin in der französischen Geschichte . ” Kurz vor der Mittagspause : Im Musikunterricht präsentieren drei Schülerinnen eine Performance auf einen AbbaSong, während mehrere Schülergruppen auf dem Schulhof mit ihren Gitarren Musikstücke einüben — ästhetisierter Alltag eben. Ute Diehl Schulleiter Kl Mangold : „ W leisten ganz v Basisarbeit, n so kann der A l ästhetisiert w den . ” E&W 12/2004