Das AG Mitte, die Mietnomaden und das
Transcrição
Das AG Mitte, die Mietnomaden und das
Recht & Praxis Recht&Praxis davon, daß diese Mieter mit der ihnen anvertrauten Wohnung oftmals nicht gerade pfleglich umgehen und die Wohnung, wohl wissend, daß man sowieso nicht bezahlen kann und wird, fahrlässig oder sogar vorsätzlich beschädigen, bleibt dem Vermieter der Mietausfall, der sich bei der Arbeitsweise der Berliner Justiz durchaus auf ein Jahr summieren kann. 2. Ein Beispiel aus dem Amtsgericht Mitte räungsverfahren dauern in berlin viel zu lange Das AG Mitte, die Mietnomaden und das staatliche Gewaltmonopol Von RA ALBRECHT FEUERLEIN 1. Der „ganz normale“ Mietnomade Kürzlich wurde ein Mietbetrüger hier in Berlin zu der doch beträchtlichen Freiheitsstrafe von fünf Jahren und acht Monaten verurteilt. Es handelte sich dabei allerdings um einen krassen Fall: Der Mieter war mit falschen Papieren aufgetreten und hatte mit dieser Hilfe in ganz Deutschland unter falschem Namen zahlreiche Geschäfte getätigt. Der „normale Mietnomade“ tritt durchaus unter seinem eigenen Namen auf. Er macht, soweit man das beurteilen kann, einen seriösen Eindruck. Sein Personalausweis ist in Ordnung, stammt aber oft von auswärts. Er unterschreibt den Mietvertrag, bekommt den Schlüssel und bezahlt weder Miete noch die Kaution. Dem vorsichtigen Vermieter, der wenigstens verlangt, daß die erste Kautionsrate bezahlt ist, präsentiert er einen gefälschten Überweisungsbeleg. Hinterher stellte sich heraus, daß der Mietnomade die eidesstattliche Versicherung („Offenbarungseid“) schon längst abgegeben hat, aber nicht unter der Adresse, die in seinem Personalausweis eingetragen war. Auch solche Mietnomaden werden vom Amtsgericht Tiergarten wegen Betrugs bestraft. Das hilft dem Vermieter, der keinerlei Zahlungen erhalten hat, jedoch nichts. Dem Mietnomaden fällt freiwilliger Auszug nach Kündigung oder während des laufenden Gerichtsverfahrens nicht ein, denn er hat keine Alternative außer der Untersuchungshaft. Abgesehen Das Grundeigentum 524 l Erhebung der Räumungsklage Ende März. l Kostenrechnung des Gerichts geht am 15. April ein. Gerichtskosten werden sofort überwiesen. l Das Amtsgericht Mitte beraumt Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 5. Juli an. Der Mieter erkennt in dieser Verhandlung den Räumungsanspruch an. l Die vollstreckbare Ausfertigung des Räumungsurteils geht beim Rechtsanwalt des Vermieters am 22. Juli ein und am selben Tag an den zuständigen Gerichtsvollzieher zur Zwangsräumung. l Der zuständige Gerichtsvollzieher beraumt Termin zur Zwangsräumung auf den 22. Oktober an.Vorstellungen bei den zuständigen Aufsichtsbehörden wegen dieses langen Zeitraums bleiben erfolglos. Der Mieter wird am 22. Oktober geräumt. Wohlgemerkt: Es kann schneller gehen, es kann aber auch noch langsamer gehen. Dafür reicht schon, daß der zuständige Richter im Urlaub ist. Mancher Mieter erreicht durch geschickte Verteidigung gegen die Räumungsklage weiteren Aufschub. Dafür genügt es schon, daß der Mieter Klageabweisung beantragt. Dann muß ein Endurteil gefällt werden, von dem die vollstreckbare Ausfertigung erst erteilt wird, wenn Tatbestand und Entscheidungsgründe abgesetzt sind (§ 317 II 1 ZPO), was Monate dauern kann. Nr. 9/2005 Recht & Praxis 3. Der Schaden des Vermieters Eine Wohnung, die erst noch zwangsgeräumt werden muß, kann nicht zur Weitervermietung annonciert werden, denn wie soll eine solche Wohnung besichtigt werden? Dazu kommt noch, daß meistens Reparaturarbeiten notwendig sind. D. h., daß die Wohnung in unserem Beispiel ab dem 1. Dezember neu vermietet werden kann. Der Mietausfall beträgt somit acht Monate. Dazu kommen noch die ersten beiden Mieten, denn der Wohnungsmieter kann wegen Mietrückstands erst gekündigt werden, wenn die zweite Miete in Folge nicht eingetroffen ist, § 569 III BGB. Das bürgerliche Recht und die Arbeitsweise der Berliner Justiz führen also dazu, daß der Vermieter einen Schaden von zehn Monatsmieten plus eventuellen Reparaturkosten erleidet, der von einem kriminellen Betrüger im allgemeinen nie wieder ersetzt werden wird. 4. Wie kann der Vermieter sich davor schützen? könnte daran gedacht werden, A Es dem Mieter die Wohnungsschlüssel erst zu geben, wenn die erste Miete bezahlt ist. Das scheitert aber daran, daß die erste Miete nach dem Gesetz erst am 3. Werktag des Monats fällig ist, § 556 b I BGB. Damit ist der Vermieter mit der Überlassung der Mietsache vorleistungspflichtig1) und darf, wenn man es recht besieht, die Schlüssel nicht bis zur Bezahlung der ersten Miete zurückbehalten. B Es könnte daran gedacht werden, in den Mietvertrag zu schreiben, daß die Miete oder wenigstens die erste Miete abweichend von § 556 b I BGB am Monatsersten zu bezahlen ist. Dann kann der Vermieter die Überlassung der Wohnungsschlüssel von der Bezahlung der ersten Miete abhängig machen. Obwohl diese Klausel zulässig ist2) und eigentlich nur empfohlen werden kann, ist sie bisher in den Formularverträgen selten anzutreffen. C Häufiger anzutreffen sind Klauseln, daß die Wohnungsschlüssel oder die Mietsache erst nach Zahlung der ersten Miete übergeben werden. Diese werden von manchen als unzulässig angesehen, was auf einer Entscheidung des LG München I3) beruht. Durch die Schuldrechtsreform von 2001 wurde die Fälligkeit aber vom ersten Tag des Folgemonats auf den dritten Werktag des laufenden Monats vorverlegt. Ob die Nr. 9/2005 genannte Entscheidung daher noch Fortgeltung beanspruchen kann, ist fraglich, insbesondere also, ob die Vorverlegung der Fälligkeit auf den ersten Tag des Monats ebenfalls zulässig sein soll4). D Der Mieter schuldet das erste Drittel (§ 551 b II) der Kaution „zu Beginn des Mietverhältnisses“. Der Vermieter darf daher die Herausgabe der Wohnungsschlüssel verweigern, wenn der Mieter nicht wenigstens das erste Drittel der Kaution bezahlt hat5). Wenn der Mieter als Sicherheit eine Bürgschaft stellen soll, muß die Bürgschaftserklärung vorliegen. E Gleich, ob es sich um die erste Miete oder um die erste Kautionsrate handelt: Beteuerungen des Mieters, er habe schon überwiesen, sind bloße Beteuerungen. Angeblich ausgedruckte Internet-Überweisungen sind genauso wertlos wie Kopien angeblicher Überweisungsbelege. Angeblich auf den Kopien angebrachte Quittungsstempel der Bank sind schwer kontrollierbar. Merke: „Nur Bares ist Wahres“. Man kann vom Mieter verlangen, daß er von dem angeblichen früheren Vermieter eine Bestätigung beibringt, wann er ausgezogen ist und daß er schuldenfrei ist. Das kann helfen. Wirklich betrügerische Mieter werden aber möglicherweise eine gefälschte Bestätigung beibringen. F G Das gilt erst recht für Arbeits- und Einkommensbescheinigungen. Abgesehen davon, daß auch hier Briefköpfe und Unterschriften gefälscht werden können und auch gefälscht werden, ist Papier bekanntlich geduldig. In manchen Branchen ist man „kreativ“ und bestätigt „wunschgemäß gern“, daß eine bestimmte Person in der letzten Zeit als freier Mitarbeiter bestimmte Summen verdient hat und ihr „weitere Aufträge in Aussicht gestellt“ seien.Aber was beweist das für Gegenwart und Zukunft? Wer will beweisen, daß die Auskunft falsch war und den angeblichen Arbeitgeber auf Schadensersatz verklagen? H Auskunfteien können hilfreich sein. Ihr Datenbestand ist aber oft um Monate veraltet. 1) Münchner Kommentar-Artz § 556 b Rdn. 6 2) Münchner Kommentar-Artz § 556 b Rdn. 15; Palandt-Weidenkaff § 556 b Rdn. 3; BGHZ 127, 245 3) WM 94, 370 4) s. o. Rdn. 2 5) Palandt-Weidenkaff § 551 Rdn. 5; Münchner Kommentar-Schilling § 551 Rdn. 16 Das Grundeigentum 525 Recht & Praxis Das amtliche Schuldnerverzeichnis nach § 915 ZPO ist öffentlich und kostenlos. Schriftliche Anfragen hier in Berlin sind wegen der Bearbeitungsdauer (nicht unter einem Monat) für unsere Zwecke hier sinnlos. Man kann aber während der üblichen Geschäftsstunden ins Gericht gehen und sich dort sofort eine Auskunft geben lassen. Man muß nicht einmal zu dem Gericht gehen, wo der Schuldner früher gewohnt hat; jedes Amtsgericht in Berlin gibt die Auskunft für ganz Berlin. Man muß nur angeben, daß die Auskunft benötigt wird, um „wirtschaftliche Nachteile“ (= die Vermietung an einen insolventen Mieter) zu vermeiden. Außerdem muß man eine Berliner Adresse der gesuchten Person angeben. Zweckmäßig ist auch das Geburtsdatum, da die Auskunft dann unabhängig von der Adresse gegeben wird. Wenn der Mieter in seinem Personalausweis eine auswärtige Adresse hat, kann man bei dem dort zuständigen Amtsgericht anfragen. Die Bearbeitungsdauer bei den verschiedenen deutschen Amtsgerichten ist allerdings unterschiedlich und beträgt zwischen wenigen Tagen und Monaten. Zur Beschleunigung empfiehlt sich die Anfrage per Telefax, per eMail ist zwecklos. Wenn der Mieter im Schuldnerverzeichnis eingetragen ist, kann man davon ausgehen, daß er zahlungsunfähig und insolvent ist. Wenn so jemand nicht eine schriftliche Bestätigung eines Sozialleistungsträgers für die Miete beibringt, ist die Vermietung an ihn riskant. Umgekehrt gilt das leider nicht: Daß keine Eintragung vorhanden ist, besagt erfahrungsgemäß nicht unbedingt, daß die betreffende Person zahlungsfähig ist. Trotzdem: Eine Anfrage beim Berliner Schuldnerverzeichnis kostet nicht sehr viel Mühe und ist sehr viel besser als fragwürdige Arbeits- und Einkommensbescheinigungen. I 5. Was kann der Vermieter tun, um die Bearbeitung bei Gericht zu beschleunigen? Man kann mit der Einreichung der A Räumungsklage einen Scheck über die Gerichtskosten beifügen. Das ist allerdings riskant, denn der Scheck kann bei der Post oder bei Gericht in falsche Hände geraten (was bei Berliner Behörden auch schon passiert ist). Immerhin handelt es sich, je nach Höhe der Miete, um Beträge in der Größenordnung von mehreren 100 €. B Man kann versuchen, das Akten- zeichen bei Gericht telefonisch zu erfragen, um die Gerichtskosten sofort zu überweisen. Das stößt bei den zuständigen Bediensteten allerdings auf blankes Unverständnis, wenn man dort überhaupt jemanden telefonisch erreicht. Beim Amtsgericht Schöneberg dauert es zum Teil sechs Wochen, bis der eingegangenen Klage überhaupt ein Aktenzeichen zugeteilt ist. In der Zeit liegt die Akte nur auf irgendeinem Stapel.Wenn man Glück hat und die notwendige Hartnäckigkeit aufbringt, kann man die Sache mit dieser telefonischen Nachfrage um etwa eine Woche beschleunigen. C Es ist zwar prozessual zulässig, die Räumungsklage mit der Klage auf Zahlung der laufenden Miete zu verbinden6). Das verkompliziert die Sache jedoch. Es genügt schon, daß die Miethöhe, z. B. wegen zwischenzeitlicher Mieterhöhungen, nicht peinlich genau vorgetragen werden kann, und schon bleibt der ganze Prozeß stecken. Es empfiehlt sich also nicht, den Räumungsanspruch mit anderen Streitgegenständen zu häufen. D Selbstverständlich zahlt man die Gerichtskosten so schnell wie möglich ein, beantragt noch am Tag der mündlichen Verhandlung die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Räumungsurteils usw. kann versuchen, den Richter E Man unter Darlegung der finanziellen Verhältnisse des Mieters und der Umstände des Vertragsschusses zu überzeugen, daß es sich hier um einen Einmietbetrug handelt, und ihn damit dazu zu bringen, die Akte nicht um zwei Monate zu verfristen. Die Richter neigen aber aus gutem Grund dazu, alle Räumungsklagen gleich zu behandeln, so daß dieses Vorgehen nur in Einzelfällen Erfolg haben wird. Das Grundeigentum 526 Wenn man nicht damit rechnet, daß der Mieter auf die Kündigung kurzfristig freiwillig auszieht, könnte man daran denken, die Räumungsklage sofort zu erheben, wenn der Mieter gekündigt wird. Das birgt aber ein Risiko: Ein erheblicher Teil der Rechtsprechung meint, daß der Vermieter nach der Kündigung etwa zwei Wochen warten muß, ob der Mieter auszieht, und erst dann die Räumungsklage erheben kann. Wenn der Vermieter die Räumungsklage trotzdem gleichzeitig mit der Kündigung erhebt, kann der Mieter sie unter Verwahrung („Protest“) gegen die Kostenlast anerkennen7). Dann bekommt der Vermieter zwar schnell ein Räumungsurteil, muß aber sämtliche Prozeßkosten tragen. M.E. ist das Risiko aber gering: Wenn der Mieter zahlungsunfähig ist, bleibt der Vermieter ohnehin auf seinen Anwaltskosten und den Gerichtskosten sitzen. Das Anerkenntnisurteil hat sogar noch den Vorteil, daß statt drei Gerichtsgebühren nur eine verbraucht wird. Dieses Kostenrisiko wird daher nur dann relevant, wenn der Mieter einen Anwalt nimmt, bloß um unter Verwahrung gegen die Kostenlast anerkennen zu lassen. Das ist denkbar, aber eher unwahrscheinlich. F 6. Was sind die Gründe für die derartig lange Bearbeitungsdauer bei der Berliner Justiz? A Obwohl man sich vorstellen müßte, daß die verschiedenen Berliner Amtsgerichte, im Verhältnis zum Geschäftsanfall, in quantitativer und qualitativer Hinsicht gleich gut (oder schlecht) mit Personal ausgestattet sind, ist die Bearbeitungsdauer sehr unterschiedlich. Auch erfahrene Mitarbeiter aus der Justizverwaltung sagen zu diesem Phänomen, daß sie sich diese Unterschiede nicht oder nur sehr eingeschränkt erklären können. Man muß dazu auch sagen, daß die ordentlichen Gerichte in Berlin im allgemeinen nicht exorbitant langsam ar- 6) BGH NJW 2003, 1395 = WM 2003, 280 = GE 2003, 320 7) Kinne/Schach Rdn. 284 m.w.Nachw. Nr. 9/2005 Recht & Praxis beiten, Kollegen berichten aus München durchaus ähnliche Bearbeitungszeiten. B Was hier in Berlin besonders langsam funktioniert, ist das Gerichtsvollzieherwesen. Eine Bearbeitungsdauer von drei Monaten wie in dem eingangs vorgestellten Beispiel liegt nicht viel über dem Berliner Durchschnitt. Der in diesem Fall zuständige Gerichtsvollzieher ist oft krank, so daß Rückstände auflaufen. Die Gerichtsvollzieher sind an sich nicht überlastet, und die Zustände haben sich seit den Nachwendezeiten, wo sie sehr schlecht waren, erheblich verbessert. Inzwischen wurden zahlreiche Gerichtsvollzieher eingestellt, so daß der Geschäftsanfall pro Gerichtsvollzieher in den letzten zehn Jahren um fast ein Drittel gesunken ist8). Warum das Gerichtsvollzieherwesen in Berlin insgesamt so langsam arbeitet und Zwangsräumungen doppelt so lange dauern wie z. B. in Leipzig, ist daher nicht recht erklärlich. C Nicht zuletzt leisten sich zahlreiche Richter an Berliner Amtsgerichten die Eigenheit, daß sie eingehende Räumungsklagen, verkürzt ausgedrückt, zwei Monate lang überhaupt nicht bearbeiten. Dies hängt damit zusammen, daß der Mieter gem. § 569 III BGB das Recht hat, die Räumung binnen der sog. „Schonfrist“ von zwei Monaten nach Zustellung der Räumungsklage durch Bezahlung der Rückstände oder Einschaltung eines Sozialleistungsträgers abzuwenden. Zahlreiche Berliner Richter verfahren daher so, daß sie Termin zur mündlichen Verhandlung erst zwei Monate nach Zustellung der Räumungsklage anberaumen, obwohl frühere Termine zur Verfügung stehen würden.Wenn, was prinzipiell zulässig ist, ein schriftliches Vorverfahren stattfindet und der Mieter keine Verteidigungsanzeige abgibt, wird mitnichten nach Ablauf der gesetzlichen 2-Wochen-Frist Versäumnisurteil erlassen, sondern die Akte einfach zwei Monate weggelegt. Wenn der Mieter dann später doch noch eine Verteidigungsanzeige abgibt, bekommt der Vermieter vorerst gar kein Räumungsurteil, bestenfalls bekommt er sein Räumungsurteil zwei Monate später. Im allgemeinen fällt das dem Vermieter und seinem Rechtsanwalt gar nicht auf. Daß die Sache so lange dauert, wird auf die in Berlin leider gewohnte Verfahrensdauer geschoben. 8) telefonische Mitteilung aus der Senatsverwaltung vom 17.3.2005 Nr. 9/2005 Das Grundeigentum 527 Recht & Praxis 7. Ist diese Vorgehensweise der Berliner Amtsrichter zulässig? A Angesichts der umfassenden Be- deutung der Mietwohnung für weite Bevölkerungskreise, die ja auch vom BVerfG vielfach hervorgehoben wurde, ist die gesetzliche Möglichkeit des Mieters, sich durch Zahlung der Rückstände von der Kündigung zu befreien, sicher eine richtige Vorschrift. Erfahrungsgemäß wird sie so gut wie nie genutzt. Früher kam es gelegentlich vor, daß die Sozialämter eingetreten sind, auch das passiert in der letzten Zeit kaum mehr. Denn nach § 22 V SGB II (sog. „Hartz IV“) werden Mietschulden nur noch darlehensweise übernommen, und auch nur dann, wenn die Räumung „die Aufnahme einer konkret in Aussicht stehenden Beschäftigung“ vereiteln würde. Und nach § 34 I SGB XII (Sozialhilfe) sollen Mietschulden übernommen werden, wenn sonst Wohnungslosigkeit drohen würde. Die Sozialämter stehen weitgehend auf dem Standpunkt, daß eine Räumung wegen Mietrückständen beim heutigen Wohnungsmarkt in Berlin nicht zu Wohnungslosigkeit führt. Die Sozialämter übernehmen daher lieber die Kosten einer neuen Wohnung als Mietrückstände. Es scheint ihnen manchmal sogar ganz recht zu sein, wenn der Hilfeempfänger geräumt wird, weil auf diese Weise erreicht werden kann, daß der Hilfeempfänger eine billigere Wohnung bezieht. Wenn man das von ihm sonst verlangen würde, müßte das Sozialamt dann auch noch die Umzugskosten tragen, während die Umzugskosten auf diese Weise bequem dem Vermieter aufgebürdet werden können. Die Berliner Amtsrichter spenden dem Mieter die Wohltat der Verfahrensverzögerung daher meistens vergeblich, während der Vermieter in den allermeisten Fällen den Schaden davonträgt. Dieses krasse Mißverhältnis führt dazu, daß die Praxis, sämtliche Räumungsklagen um zwei Monate zu verzögern, als unverhältnismäßig bezeichnet werden muß. B Die Richter des Amtsgerichts Mitte argumentieren damit, daß die sofortige Bearbeitung der Akten dazu führen könnte, daß der Mieter auf Räumung verurteilt wird, obwohl die Schonfrist noch nicht abgelaufen ist. Das hat zwei Aspekte: erstens den psychologischen Aspekt, daß der Mieter die Sache für abgeschlossen hält und sich für nicht mehr berechtigt hält oder auch bloß nicht mehr motiviert ist, die Rückstände in der Schonfrist wegzufertigen. Das Grundeigentum 528 Dazu ist zunächst zu sagen, daß es nicht Aufgabe der Gerichte ist, den Bürger vor falschen rechtlichen Entscheidungen zu schützen und ihm die Entscheidung zu ersparen, indem das gesetzliche Gerichtsverfahren verzögert wird.Auch ist es erfahrungsgemäß durchaus nicht so, daß Mieter das ergangene Räumungsurteil als endgültig ansehen. Erfahrungsgemäß nehmen viele Mieter die Sache erst dann ernst, wenn die Zwangsräumung droht und suchen auch oft erst dann einen Rechtsanwalt auf. Dies beweist, daß die Mieter sehr wohl in der Lage sind, sich gegen ein Räumungsurteil zu wehren. C Der Mieter, der nach Erlaß eines Räumungsurteils, aber noch innerhalb der Schonfrist bezahlt, ist auch prozessual nicht rechtlos gestellt. Ein Versäumnisurteil kann vielleicht noch mit dem Einspruch angefochten werden, ein Anerkenntnis- oder Endurteil vielleicht noch mit der Berufung. Selbst wenn diese Fristen abgelaufen sind, kann der Mieter unter Berufung auf die erfolgte Zahlung Vollstreckungsgegenklage erheben, denn die Zahlung innerhalb der Schonfrist hat eine materiell-rechtliche Wirkung. Sicher ist die Erhebung einer Vollstreckungsgegenklage ohne anwaltliche Hilfe kaum möglich. Andererseits kann man ja auch einem Mieter zumuten, einen Rechtsanwalt aufzusuchen. Gerade ein Mieter, der sich innerhalb der Schonfrist befreit hat und darauf den Einspruch, die Berufung oder die Vollstreckungsgegenklage stützt, wird Prozeßkostenhilfe bekommen. Denn sein Vorbringen wird materiell-rechtlich Erfolg haben, und die entsprechenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse werden meist vorliegen. Wenn die Befreiung im Wege des Einspruchs gegen das Versäumnisurteil geltend gemacht wird, führt das zwar nicht dazu, daß die Kosten dem Vermieter überbürdet werden. Voraussetzung der Prozeßkostenhilfe ist aber bloß, daß die Rechtsverteidigung der bedürftigen Partei in der Hauptsache Aussicht auf Erfolg hat. Wenn die Befreiung im Wege der Vollstreckungsgegenklage geltend gemacht wird, müssen die Kosten sogar dem Vermieter auferlegt werden, wenn er nach Zahlung der Rückstände und eingetretener Befreiung auf seinem Räumungsurteil beharrt hat. Die Praxis insbesondere des Amtsgerichts Mitte, die Entscheidung der Räumungsklage um zwei Monate hinauszuzögern, ist daher auch deswegen unverhältnismäßig, weil sie dem Vermieter einen irreparablen Schaden zufügt, um dem Mieter einen reparablen Schaden zu ersparen. Nr. 9/2005 Recht & Praxis D Die Rechtsauffassung, daß inner- halb der Schonfrist kein Versäumnisurteil ergehen darf, wird insbesondere von Sternel vertreten9). Es gibt zu dieser Frage nur einzelne Entscheidungen von Untergerichten10), wonach die Hinauszögerung des Prozesses um diese zwei Monate rechtswidrig ist11). Das war schon früher herrschende Meinung12) und muß jetzt erst recht gelten, seit die Schonfrist durch die Mietrechtsreform auf zwei Monate verlängert wurde. Die Gegenansicht13), daß vor Ablauf der Schonfrist kein Versäumnisurteil ergehen darf, beruft sich auf eine Entscheidung des OLG Hamburg14). Dabei handelt es sich aber um ein Ablehnungsgesuch seitens des Vermieters, das darauf gestützt war, daß der Amtsrichter den Mieter auf die Abwendungsmöglichkeit des jetzigen § 569 II hingewiesen hat. Das OLG hatte in jenem Fall also nicht darüber zu entscheiden, ob während der Schonfrist ein Versäumnisurteil ergehen darf. Es handelt sich also um ein bloßes obiter dictum und keine Entscheidung der Rechtsfrage. Weiter beruft sich die Gegenansicht ganz allgemein darauf, daß „sonst der soziale Schutzzweck der Norm unterlaufen würde“15). Etwas detaillierter16) wird auf § 89 des Preußischen Allgemeinen Landrechts verwiesen, ferner darauf, daß sonst die Vorschrift des (jetzigen) § 34 II SGB XII leerlaufen würde. Nach dieser Vorschrift teilt das Gericht den Eingang einer Räumungsklage von Amts wegen dem Sozialhilfeträger mit, damit Wohnungslosigkeit schon im Vorfeld vermieden werden kann. Nr. 9/2005 Wie jedoch bereits dargelegt wurde, verfehlt die Schonfrist ihren sozialen Schutzzweck inzwischen sowieso weitgehend, und die Sozialleistungsträger sind weder finanziell noch rechtlich in der Lage und auch nicht daran interessiert, die Rückstände zu übernehmen. Wenn die Gerichte die Räumungsklage wie jede andere Klage behandeln würden, würde dieser soziale Schutzzweck auch nicht völlig unterlaufen, sondern nur leicht beeinträchtigt. Gerade wenn der Sozialhilfeträger eine Übernahmeerklärung nach Erlaß eines Versäumnisurteils abgibt, kann er den Mieter auch über seine nach wie vor vorhandenen prozessualen Möglichkeiten belehren. Deswegen ist auch das Argument des OLG Hamburg falsch17), daß das Prozeßrecht dem Mieter nehmen würde, was das materielle Recht ihm gewährt. § 89 Preußisches Allgemeines Landrecht schließlich ist eine Vorschrift aus dem 19. Jahrhundert, gilt schon weit über 100 Jahre nicht mehr und gehört nicht zum deutschen Bundesrecht18). nach Sternels RechtsauffasE Selbst sung ist das Gericht nicht berechtigt, die Akte einfach zwei Monate lang nicht zu bearbeiten, sondern lediglich daran gehindert, ein Versäumnisurteil zu erlassen. Das macht einen erheblichen Unterschied, wenn der Mieter den Räumungsanspruch anerkennt, was für ihn wegen der erheblich geringeren Gerichtskosten oft empfehlenswert ist. Wenn das Amtsgericht Mitte Termin zur mündlichen Verhandlung wie in anderen Sachen anberaumen würde, könnte der Mieter schon früher anerkennen und dem Vermieter würde weiterer Geldverlust erspart. Der Mieter kann das Recht, sich von der Kündigung durch Zahlung innerhalb der Schonfrist zu befreien, nur einmal innerhalb von zwei Jahren ausüben. Wenn dieses Recht bereits verbraucht war, bekommt der Mieter durch die Verfahrensweise des Amtsgerichts Mitte einen in keiner Weise gerechtfertigten Räumungsaufschub. Um das zu vermeiden, müßte der Vermieter in jedem solchen Fall vorsorglich vortragen, daß der Mieter sein Befreiungsrecht innerhalb der letzten zwei Jahre bereits ausgeübt hat. Dies würde dann zu einer genauen F 9) Mietrecht aktuell 3. Aufl. Rdn. 1443 10) LG Kiel WuM 2002, 149; LG Berlin GE 2004, 1395, außerdem noch die bei Rdn. 8 zitierten weiteren 11) so auch Münchner Kommentar - Schilling 4. Aufl. § 569 Rdn. 34; Palandt-Weidenkaff § 543 Rdn. 66; Zöller-Herget § 331 Rdn. 12 je m.w.Nachw. 12) Münchner Kommentar - Voelskow, 3. Auflage § 554 Rdn. 23 13) außer Sternel noch Kinne/Schach Rdn. 89 und OLG Hamburg ZMR 1988, 225 14) ZMR 1988, 225 15) Sternel, Mietrecht V Rdn. 50 16) Sternel, Mietrecht IV Rdn. 424 17) ZMR 1988, 225 18) abgesehen davon, daß § 89 PrALR schon längst außer Kraft getreten ist, handelte es sich um Landesrecht. Sowohl das Miet- als auch das Zivilprozeßrecht sind bundesrechtlich geregelt. Auch deswegen kann aus dieser Norm nichts mehr hergeleitet werden. Das Grundeigentum 529 Recht & Praxis Prüfung führen, ob die Akte um zwei Monate verfristet werden soll oder nicht – eine groteske Vorstellung. 8. Was kann gegen diese Verfahrensweise der Amtsrichter unternommen werden? A Da die Richter auch in ihrer Ter- minsanberaumung unabhängig sind, sind Dienstaufsichtsbeschwerden wenig erfolgversprechend. B Beschwerden gegen die Nichtan- beraumung eines Termins oder den Nichterlaß eines Versäumnisurteils nach Ablauf der Notfrist im schriftlichen Vorverfahren zum Landgericht sind denkbar. Jedenfalls bei Nichterlaß des Versäumnisurteils im schriftlichen Vorverfahren hält die für das Amtsgericht Schöneberg zuständige 63. Zivilkammer diese Beschwerde für zulässig und begründet19). Gerade die für das Amtsgericht Mitte zuständige 67. Zivilkammer hält diese Beschwerden, soweit bekannt, jedoch für unzulässig. Abgesehen davon, daß eine solche Beschwerde kaum weniger Zeit als zwei Monate benötigen wird und dem Vermieter daher nicht viel hilft, müßte das Landgericht, wie immer es entscheidet, eigentlich die Rechtsbeschwerde zum BGH zulassen, denn schon die Zulässigkeit einer solchen Beschwerde ist fraglich, die Begründetheit, s. o., überaus umstritten. könnte das Land Berlin auf C Man Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung in Anspruch nehmen. Das sog. „Spruchrichterprivileg“ des § 839 II gilt nämlich gerade nicht für die „pflichtwidrige Verzögerung einer Amtshandlung“. Die Amtspflichtverletzung des Richters liegt darin, daß er, je nachdem, die mündliche Verhandlung entgegen § 272 III ZPO nicht „so früh wie möglich“ abgehalten hat bzw. entgegen § 331 III ZPO das Versäumnisurteil nach Ablauf der Frist für die Verteidigungsanzeige nicht erlassen hat. Der Richter kann sich auch nicht darauf berufen, daß die von ihm mit Sternel u. a. vertretene Rechtsauffassung vertretbar und die Sache nicht höchstrichterlich geklärt sei, denn dieser Grundsatz gilt nur, wenn diese Rechtsauffassung auf Grund sorgfältiger rechtlicher und tatsächlicher Prüfung gewonnen wurde20), wovon in der täglichen Praxis des Amtsgerichts Mitte keine Rede sein kann. Auch die Richtlinie, daß ein Verschulden ausscheidet, weil die Vorgehensweise durch ein Kollegialgericht gebilligt21) wurde, greift hier nicht durch. Denn das OLG Hamburg hat nicht aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden22), es handelt sich nur um ein obiter dictum und nicht um eine ausdrückliche Entscheidung der Rechtsfrage, die Rechtslage hat sich durch die Verlängerung der Schonfrist auf zwei Monate verändert, die h. M.23) hat sich inzwischen vollständig gegen die Rechtsauffassung des OLG Hamburg gestellt. Zu den Rechtsmitteln, die der Geschädigte zur Schadensabwendung ergreifen muß (§ 839 III), gehört auch die Gegenvorstellung24), die hier unschwer erhoben werden kann. Selbstverständlich gehört zu den Rechtsmitteln auch die oben unter 8 b erörterte förmliche Beschwerde. Deren Nichteinlegung gereicht dem Geschädigten aber nicht zum Verschulden, wenn die Einlegung nicht zugemutet werden kann25), z. B. weil keine Umstände für seine Erfolgsaussichten sprachen26). In der vorliegenden Fallkonstellation spricht gegen die Notwendigkeit, Beschwerde einzulegen, zweierlei: Erstens ist die Zulässigkeit der Beschwerde überaus fragwürdig. Zweitens wird die Bearbeitung der Beschwerde einschließlich Aktenvorlage ans Beschwerdegericht und Zurücksendung an das Amtsgericht ohne weiteres so viel Zeit beanspruchen, wie durch die Beschwerde erspart werden soll. Drittens muß das Beschwerdegericht bei richtiger Vorgehensweise die Rechtsbeschwerde zulassen27). Wenn die Beschwerde Erfolg hat und der Mieter dann Rechtsbeschwerde einlegen läßt, wird die Räumungsklage auf unabsehbare Zeit verzögert. 9. Zusammenfassung Vermieterseitig kann vorbeugend allerlei unternommen werden, um die Vermietung an einen zahlungsunfähigen Mieter Das Grundeigentum 530 oder an Mietnomaden zu vermeiden. Trotz aller Vorsicht wird es auch in Zukunft Räumungsklagen wegen Zahlungsverzugs geben. Da die Räumung in Selbsthilfe nach § 227 BGB verboten und ggf. wegen Nötigung strafbar ist, entsteht durch den gesetzlich vorgeschriebenen Räumungsprozeß weiterer Mietausfallschaden, oft auch weitere Beschädigung des Objektes, wofür der Vermieter angesichts der Zahlungsunfähigkeit und oft auch -unwilligkeit des Mieters vielfach keinen Ersatz erhalten wird. Die Verfahrensdauer vor den Berliner Gerichten stellt damit ein Problem dar. Das staatliche Gewaltmonopol ist nur zu rechtfertigen, wenn der Staat seine Gewalt auch in zumutbaren Zeiträumen zur Verfügung stellt. Das ist in Berlin sowohl bei den Gerichten als auch bei den Gerichtsvollziehern nicht immer der Fall. Auch für die Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen stellt der Staat sein Gewaltmonopol praktisch überhaupt nicht mehr zur Verfügung. Um so bedauerlicher ist es, daß viele Amtsrichter, vor allem beim Amtsgericht Mitte, die Verfahrensdauer um weitere sechs bis acht Wochen verlängern, ohne sich über die einfach-rechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen und verfassungsrechtlichen Zusammenhänge überhaupt irgendwelche Gedanken zu machen. Die Verluste addieren sich von Woche zu Woche. Mit einer Entscheidung des BGH zu der Frage, ob während der Schonfrist Versäumnisurteil ergehen darf, ist aus den aufgezeigten Gründen in der nächsten Zeit nicht zu rechnen. Aus dieser Situation hilft nur Bürgersinn, indem ein betroffener Vermieter, vielleicht unter Zusammenfassung mehrerer Fälle, eine Schadenersatzklage gegen das verantwortliche Bundesland erhebt. 19) LG Berlin GE 2004, 1395 20) Münchner Kommentar-Papier § 839 Rdn. 289 21) hier OLG Hamburg ZMR 1988, 225 22) BGH VersR 1970, 922 23) s. o. Rdn. 10 und 11 24) Münchner Kommentar-Papier § 839 Rdn. 331; Palandt-Sprau § 839 Rdn. 69 25) Palandt-Sprau § 839 Rdn. 72 26) BGH MDR 1985, 1000 27) s. o. 8 b Nr. 9/2005