Performance November 2001

Transcrição

Performance November 2001
November 2001
Performance
DAS KUNDENMAGAZIN DER BERLINER EFFEKTENBANK
NIEDERLASSUNG DER CONSORS CAPITAL BANK AG
Überblick: das
Vierte Finanzmarktförderungsgesetz
Zwischen Alan
und Anthrax:
die Märkte
300 Jahre nach
Leonardo da Vinci:
die CargoLifter AG
Performance
Editorial
Sehr geehrte Leserinnen und Leser
Unentschlossene Zeiten an der
Börse. Für die einen sind die Kurssteigerungen der letzten Wochen
schon „die“ Wende, für die anderen
sind sie nur ein kurzes Aufbäumen
inmitten eines weltweit rezessiven
Umfeldes – lesen Sie unsere Sicht
der Dinge im Marktteil auf den
Seiten 03-07.
Klaus-Gerd Kleversaat
Unentschlossene Zeiten, schwierige Zeiten. Die Rufe nach erhöhtem
Anlegerschutz sind Teil der Ungewißheit. Was der Entwurf des Vierten
Finanzmarktförderungsgesetzes
hierzu und zu anderen Fragestellungen der deutschen Kapitalmarktgesetz-
gebung vorschlägt, steht auf der
gegenüberliegenden Seite 02.
Als Orientierung für Anlageentscheidungen mag in der Zwischenzeit ein
ordnender Blick auf die Börsensegmente nützlich sein: im FinanzGlossar auf Seite 11.
Bleiben zwei Besuche in der Hauptstadt. Die Seiten 08 und 09 stehen
im Rahmen unserer Serie über
Berliner Unternehmen ganz im
Zeichen der CargoLifter AG.
„Docere et delectare – belehren und
unterhalten“ will das vor wenigen
Wochen eröffnete Jüdische
Museum. Dreizehn chronologisch
angeordnete Stationen erzählen
2000 Jahre deutsch-jüdischer
Geschichte. Mehr zur Kunst des
Erinnerns auf Seite 10.
Eine gewinnbringende Lektüre
wünscht Ihnen
Ihr
Klaus-Gerd Kleversaat
Mitglied des Vorstandes
Inhaltsverzeichnis
Ausgabe November 2001
Performance
Titel
Editorial
Seite 01
Inhaltsverzeichnis
Seite 01
Jurisdiktion – Das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz
Seite 02
Marktanalyse
Research – „New Economy“-Märchenstunde
Seiten 03-07
Berliner
Unternehmen
Was macht eigentlich… – die CargoLifter AG?
Seiten 08-09
Berlin
Finanz-Glossar
Mahnmal wider Willen? – Das Jüdische Museum
Seite 10
Börsensegmente – Atomisieren, segmentieren: Wann sind Märkte neu, geregelt, amtlich oder frei?
Seite 11
Impressum
Gedruckt auf umweltfreundlich
hergestelltem Papier. Für die
Richtigkeit der Beiträge wird keine
Gewähr übernommen.
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck nur
mit Genehmigung des Herausgebers.
01
Herausgeber: Berliner Effektenbank, Niederlassung der Consors Capital Bank AG, Kurfürstendamm 119, 10711 Berlin
Redaktion: Christa Scholl (V.i.S.d.P.)
Autoren dieser Ausgabe: Heike Noack, Anja Peinelt, Christa Scholl, Claus Vogt, Dr. Dieter Wuschick
Produktion: ADDEDVALUE
Redaktionsschluß: 24. Oktober 2001
Titel
Jurisdiktion
Das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz
Am 4. September hat das Bundesministerium der Finanzen den langerwarteten Entwurf des „Gesetzes
zur weiteren Fortentwicklung des
Finanzplatzes Deutschland“ (Viertes
Finanzmarktförderungsgesetz) vorgelegt.
Er verfolgt das Ziel, Attraktivität
und Wettbewerbsfähigkeit des
deutschen Kapitalmarktes im internationalen Vergleich zu steigern
und ist damit wichtiger Bestandteil
in der Strategie der Bundesregierung,
sich mit einer Reform des Börsenund Wertpapierrechtes an den
raschen Strukturwandel der internationalen Kapitalmärkte und
deren Standards anzupassen und
den heimischen Finanzplatz zu
stärken, seine Bedeutung weltweit
auszubauen.
Nach den verheerenden Entwicklungen der Kapitalmärkte in
den vergangenen Monaten gilt es
nunmehr, das Vertrauen der Anleger
durch eine Ausweitung und Präzisierung entsprechender Schutzvorschriften wiederherzustellen.
Gerade das Beispiel des Neuen
Marktes hat die Unzulänglichkeiten
der rechtlichen Rahmenbedingungen deutlich zutage treten lassen.
Ziel des Vierten Finanzmarktförderungsgesetzes ist es daher,
sowohl den Anlegerschutz auszuweiten als auch das Fehlverhalten
von Marktteilnehmern schärfer zu
sanktionieren.
Betrachtet man die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Neuerungen im einzelnen, lassen sich insbesondere die folgenden hervorheben:
Im Bereich des Börsengesetzes geht
es in erster Linie darum, mehr Flexibilität bei der Gestaltung des Börsenhandels zu erreichen. Dazu wird z.B.
der „Börsenhandel mit amtlicher Notierung“ eingestellt und das Segment
in „Amtlicher Markt“ umbenannt.
Die jetzt schon höchsten gesetzlichen Anforderungen bleiben unverändert, die Funktion des Amtlichen
Maklers als solche wird allerdings
abgeschafft.
Als weiteres Segment hat der Geregelte Markt auch künftig Bestand.
Hier sollen nach dem Gesetzesentwurf jedoch auch Wertpapiere, die
bisher ausschließlich im Freiverkehr
notierten, gehandelt werden können.
Voraussetzung hierfür ist, daß ein
ordnungsgemäßer Börsenhandel
und eine ausreichende Information
der Anleger gewährleistet sind. Daneben steht es den Börsen offen,
einen Freiverkehr auf privatrechtlicher Basis zu organisieren.
Die Börsengänge der Vergangenheit haben gezeigt, daß zwar „Veräußerungsbeschränkungen“ quasi
zum Standard geworden sind,
„Fälle wie EM.TV“ lassen die Überwachung solcher Verpflichtungen
jedoch mangelhaft wirken. Leidtragender ist insoweit der Aktionär,
der im treuen Glauben noch seine
Aktien im Portfolio hält, während
die Altaktionäre schon längst ihre
Anteile verkauft haben. Daher muß
bei zukünftigen Börsengängen im
jeweiligen Verkaufsprospekt genau
angegeben werden, welche Veräußerungsbeschränkungen bestehen und wie deren Einhaltung
überwacht wird (z.B. mittels
Verwahrung im Sperrdepot).
Betrachtet man die Veränderungen
im Wertpapierhandelsgesetz, betreffen die wesentlichen Änderungen die Bereiche Ad hoc-Publizität
und Novellierung der Vorschriften
zum Verbot der Kurs- und Marktpreismanipulation. Hiermit reagiert
der Gesetzgeber auf die jüngsten
Diskussionen betreffend der Defizite in diesem Bereich – wie dem
Mißbrauch zu Werbezwecken und
der Veröffentlichung falscher Angaben. Zukünftig sollen daher definierte Kennzahlen für eine bessere
Vergleichbarkeit sorgen und somit
zur höheren Verständlichkeit beitragen. Gleichzeitig sind falsche Informationen umgehend zu berichtigen. Neu ist auch, daß Verstöße gegen die Vorschriften zur
Ad hoc-Publizität zukünftig als
Ordnungswidrigkeit geahndet
werden. Hier wurde den Anlegern
sogar eine eigene Anspruchsgrundlage an die Hand gegeben.
Darüber hinaus müssen sogenannte Primärinsider wie Vorstände,
Aufsichtsräte und persönlich haftende Gesellschafter, einschließlich
ihnen nahestehende Personen, Geschäfte in Wertpapieren des eigenen Unternehmens offenlegen und
unverzüglich bekanntmachen. Die
Überwachung der Einhaltung dieser Pflicht wird der Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungsaufsicht
obliegen.
Verschärft werden auch die Vorschriften zum Verbot der Kurs- und
Marktpreismanipulation. Während
die Tathandlung als solche noch als
Ordnungswidrigkeit qualifziert
wird, können bestimmte Folgen
zum Straftatbestand werden. Ziel
dieser Neuregelungen ist es, sowohl die Funktionsfähigkeit der
Wertpapiermärkte als auch einzelne Vermögenswerte im Europäischen Wirtschaftsraum zu
schützen.
Anja Peinelt
Rechtsanwältin
[email protected]
Im Bereich der Termingeschäfte
wurden ebenfalls umfangreiche
Neufassungen vorgenommen,
Kernbereich ist die Neuregelung
der Aufklärungspflichten über
deren spezielle Risiken. Für mehr
Klarheit soll zukünftig auch die einheitliche Frist für die Wiederholung
der Unterrichtung, die vor Ablauf
von zwei Jahren zu erfolgen hat,
sorgen. In bestimmten Fällen erübrigt sich die Pflicht zur Information,
so z.B. bei juristischen Personen
des öffentlichen Rechts oder Kaufleuten, da davon ausgegangen
werden kann, daß sich diese
Rechtsträger über die Tragweite
ihres Handelns bewußt sind.
Fazit: Das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz sieht umfangreiche Änderungen in einer Vielzahl
von Gesetzen vor. Neben den
bereits angesprochenen wurden
Neuerungen u.a. im Gesetz über
Kapitalanlagegesellschaften, im
Auslandsinvestmentgesetz, in den
verkaufsprospektrechtlichen Vorschriften und im Gesetz über das
Kreditwesen vorgenommen. Bleibt
zu hoffen, daß die verfolgten Ziele
auch tatsächlich erreicht werden.
02
Markt
Rese
„New Economy“
„Vergangenheit hört
nicht auf, sie überprüft
uns in der Gegenwart.”
Siegfried Lenz,
deutscher Schriftsteller
„Wer die Vergangenheit
nicht studiert, wird ihre Irrtümer wiederholen. Wer sie
studiert, wird andere Möglichkeiten zu irren finden.”
Helmut Schmidt,
deutscher SPD-Politiker
„In Deutschland ist sechs
Monate Winter und drei
Monate kein Frühling.”
Elmar Kupke,
deutscher Aphoristiker
Unsere regelmäßigen Leser kennen unsere Vorliebe für Finanzmarktgeschichte. Sie wissen, welch hohen
Stellenwert wir der Vergangenheit
beimessen, um die Gegenwart verstehen und Prognosen abgeben zu
können. Wir stellen immer wieder
mit einem gewissen Erstaunen fest,
wie wenig verbreitet dieser Ansatz
ist. Kurzfristiges Denken ist offensichtlich an der Tagesordnung und
bestimmt weiterhin maßgeblich die
Voraussagen und Erklärungen zahlreicher Marktteilnehmer.
der dynamische High Tech-Bereich
den Rest der Wirtschaft auf den
Wachstumspfad zurückführen.
Ständig begegnen uns Modelle
oder Argumentationsketten, die lediglich die letzten 20 Jahre Finanzmarktgeschichte der USA oder Europas berücksichtigen. Nicht ganz zufällig, so vermuten wir, umfaßt diese Zeitspanne ziemlich genau den
letzten säkularen Aufwärtstrend,
zufällig einer der größten Bullenmärkte
aller Zeiten, der in der größten Spekulationsblase aller Zeiten kulminierte.
Nachdem dann auch die „Ciscos
dieser Welt“ verheerende Rückschläge
und Kursverluste zu verzeichnen
hatten, fabulierten sie von einer
Wachstumsdelle, die in spätestens
zwei Quartalen einem neuen, alle
glücklich machenden Aufschwung
weichen werde.
Es ist sicher für jedermann problemlos nachvollziehbar, daß sich aus
diesem empirischen Material keine
Lehren für einen säkularen Bärenmarkt ziehen lassen. Wenn ich in
einem Land wie Deutschland ausschließlich die drei Sommermonate
analysiere, wie soll ich daraus Prognosen für den Winter erstellen?
Oder noch provokativer und die
Leistung der durchschnittlichen
Finanzmarkt-Cheerleader während
der letzten Jahre besser beschreibend: Wie soll ich anhand dieser
ungenügenden Datenbasis überhaupt auf die Existenz des Winters
schließen? Stattdessen vermute ich
nach jedem kühlen Tag die unmittelbar bevorstehende Rückkehr sommerlicher Temperaturen. Dieses
absurde Spielchen können wir an
den Finanzmärkten seit über 18
Monaten verfolgen.
Während der Hochphase der Spekulationsblase wollten die Cheerleader
uns glauben machen, es handele
sich um eine „New Era“, der Wirtschaftszyklus sei überwunden. Als
erste, nicht zu ignorierende Zeichen
eines Abschwunges sichtbar wurden,
hieß es, der Technologiesektor sei
aber nicht betroffen und immun. In
spätestens zwei Quartalen werde
03
Dann implodierte in atemberaubender Geschwindigkeit die Internet
Bubble. Jetzt hörten wir, der richtige Platz zum Aussitzen dieser kleinen Anomalie seien die großen etablierten Technologieunternehmen.
Außerdem sei in spätestens zwei
Quartalen der Boom zurück, nachdem kleinere Übertreibungen abgebaut sein würden.
Nachdem dann klar wurde, wie
schwach das Wirtschaftswachstum
im zweiten Quartal 2001 ausfallen
würde, hieß es, eine Rezession sei
nicht zu befürchten. In spätestens
zwei Quartalen usw.
Nachdem jetzt offensichtlich wurde,
daß sich die USA in einer Rezession
befinden, versichert man uns, diese
sei nur mild und kurz. In spätestens
zwei Quartalen usw. usf. Früher begann die Märchenstunde mit: „Es
war einmal...“. Die „New Economy“Variante lautet offensichtlich: „Es
wird einmal in spätestens zwei
Quartalen...“.
Deflationäre
Bärenmärkte
Hin und wieder zumindest begegnen uns Argumentationen, die sich
auf Datensätze berufen, die die
Nachkriegszeit umfassen, also reichlich 50 Jahre. Ein halbes Jahrhundert
Finanzmarktgeschichte, das muß
doch reichen, um alle Höhen und
Tiefen von Gier und Angst zu beschreiben. Leider greift auch diese
Betrachtung zu kurz. Sie umfaßt
zwei säkulare Bullenmärkte und
einen säkularen Bären, hat also ein
gewisses bullishes Übergewicht.
Dieses kleine Zugeständnis an allseits beliebten Optimismus können
wir problemlos verzeihen. Unverzeihbar hingegen ist das Auslassen
des einzigen säkularen Abschwunges der neueren Zeit, der mit der
jetzigen Situation beängstigend
viele Gemeinsamkeiten aufweist,
nämlich die 1930er Jahre. Diese Ära
war geprägt von den Folgen des
Platzens einer sehr großen Spekulationsblase. Wir müssen sie leider
als eines der wenigen modernen
Beispiele für einen deflationären
Abschwung heranziehen. Zahlreiche
exzessive Rekorde hinsichtlich Überbewertung von Aktien stammten
von 1929 und hatten rund 70 Jahre
lang Bestand, bevor sie überboten
werden konnten. Wir haben in der
Performance immer wieder
Beispiele hierfür gebracht. Der
säkulare Bärenmarkt der 1970er
Jahre war von hohen Inflationsraten
geprägt und folglich mit der aktuellen Situation nicht vergleichbar.
Das zweite Vorbild eines säkularen
Bärenmarktes der deflationären
Variante sehen wir in der Entwicklung Japans. Dort platzte eine sehr
große Spekulationsblase zur Jahreswende 1989/90. Die Auswirkungen
dieses Ereignisses strangulieren die
Wirtschaftskraft und das Finanzsystem der zweitmächtigsten
Wirtschaftsnation der Welt noch
immer.
Unserer festen Überzeugung nach
müßten die verantwortlichen Politiker und Notenbanker in einem
ersten Schritt die drohende Gefahr,
inmitten einer deflationären Abwärtsspirale zu sein, erkennen und
anerkennen. Nur dann bestünde
zumindest die Möglichkeit, Maßnahmen zu treffen, die diesem
Szenario angemessen sein können.
Andernfalls befürchten wir, um das
oben verwandte Bild noch einmal
aufzugreifen, dem unaufhaltsam
näherrückenden Winter mit reichlich Sonnencreme und neuer Badehose ausgerüstet nicht adäquat
begegnen zu können.
„Buy and Sell“ statt
„Buy and Hold“
Wir bleiben bei unserer immer wieder geäußerten strategischen Grundhaltung, nicht dem „Buy and Hold“Credo der Wall Street anzuhängen,
sondern einen aktiven Tradingansatz zu verfolgen. Mit Hilfe unseres
analyse
arch
-Märchenstunde
Gesamtmodelles hatten wir auf
diese Weise ab März 2000 auf die
sich deutlich verschlechternden
Börsenaussichten hingewiesen. Im
Mai 2000 führten wir dann unsere
Asset Allocation-Empfehlungen ein,
also die Aufteilung eines Portfolios
in liquide Mittel, festverzinsliche
Wertpapiere und Aktien. Wir begannen seinerzeit mit der niedrigsten in den einzelnen Risikoklassen
erlaubten Aktiengewichtung. Erst
im Februar 2001 nahmen wir die
erste Änderung vor und reduzierten
den Cash-Bestand um jeweils fünf
Prozentpunkte zugunsten von Goldminenaktien. Anfang März 2001
lösten wir dann die Hälfte der liquiden Mittel auf, um den Aktienanteil
entsprechend zu erhöhen. Im April
schließlich empfahlen wir eine weitere Erhöhung des Aktienanteils in
Höhe der verbliebenen CashBestände.
Wir ließen in unseren Texten keinen
Zweifel daran, lediglich eine ausgeprägte Bearmarket-Rallye in einem
langfristigen Abwärtstrend zu erwarten und nicht etwa den Beginn
einer neuen Hausse. Unser Einstiegszeitpunkt schien zunächst gut gewählt, die Börsen begannen im Anschluß an die März-April-Tiefs eine
deutliche Rallye, die den Indizes bis
Ende Mai schnelle Kursgewinne in
der Größenordnung von 20% bis
40% bescherten, die in den folgenden Monaten natürlich wieder abgegeben wurden. Per September
wurden die März-April-Tiefs teilweise deutlich unterschritten.
Unser Gesamtmodell gab allerdings
bereits vor dem Anschlag auf das
World Trade Center weitere klare
Kaufsignale, die sich durch die kleine Verkaufspanik bis zum 21. September noch deutlich auf geradezu
historisch zu nennende Werte verstärkten. Folglich haben wir in unserer Oktober-Performance unsere Asset Allocation-Empfehlungen
unverändert gelassen. Wir wußten
per Redaktionsschluß der letzten
Ausgabe noch nicht, wo die Tiefstände sein würden. Wir schrieben:
„Das Ende dieser Abgabewelle kann
jeden Moment erreicht sein. Von
dem dann erreichten Niveau aus
ist eine Bearmarket-Rallye in der
Größenordnung von mindestens
20% das Normale. Jede beginnende
Aufwärtsbewegung werden wir anhand der Advance-Decline-Statistik
auf ihre Tragfähigkeit hin beurteilen.“
Per Mitte Oktober waren Aufwärtsbewegungen „von mindestens 20%“
zu verzeichnen, die in einigen Indizes zumindest an den ersten wichtigen Widerstandsmarken zum Halten
kamen. Diese Kurssteigerungen
waren nicht von Werten der AdvanceDecline-Statistik begleitet, die den
Beginn einer längeren Aufwärtsbewegung wahrscheinlich machen.
Einige kurz- bis mittelfristige Indikatoren deuten aber an, daß wir die
Höchstkurse dieser Bewegung noch
nicht gesehen haben, sondern nach
einer kurzfristigen Korrektur einen
Anlauf in Richtung der 200-TageDurchschnittlinien machen werden.
Da Überraschungen in einem langfristigen Abwärtstrend gewöhnlich
von der negativen Art sind, nutzen
wir die derzeitige Kurserholung
dennoch für eine erste Entscheidung.
Wir reduzieren auf dem aktuellen
Niveau den Aktienanteil in den verschiedenen Risikoklassen und halten damit wieder liquide Mittel wie
in der nachstehenden Tabelle nachzulesen. Eine weitere Reduzierung
Aggressives Wachstum
Langfristiges Wachstum
Mittleres Wachstum
Moderates Wachstum
Den Hauptunterschied dieser beiden „Schulen“ sehen wir in der
Fähigkeit, eine Spekulationsblase
zu erkennen. Bekanntlich hat Alan
Greenspan diese Fähigkeit ursprünglich als unmöglich, später jedoch als
sehr selten vorhanden bezeichnet.
Wir haben in den PerformanceAusgaben Juli und August 2000 eine Einführung in das Thema „Spekulationsblasen“ gegeben und die
wichtigsten Argumente genannt.
Interessierte Leser können diese
Ausführungen in unserem Archiv
nachlesen. Aus der Logik des Konzeptes „Spekulationsblase“ ergeben
sich dann zwingend Schlußfolgerungen und Prognosen. Unsere Erwartung einer deflationären Rezession
in den USA war beispielsweise eine
geradezu unvermeidliche Erkenntnis, die sich aus der Dynamik einer
platzenden Spekulationsblase ergibt. Ebenso unsere Prognose fallender kurzfristiger US-Zinsen unter
das Tief der 1990er Jahre und natürlich unsere Arbeitshypothese eines
säkularen Bärenmarktes an den
Aktienbörsen.
Auf der anderen Seite stehen die
Cheerleader, in deren Welt die
Spekulationsblase nicht vorzukom-
Liquide Mittel
Festverzinsliche Wertpapiere
Aktien
12,5%
10%
7,5%
7,5%
35%
20%
35%
60%
47,5%
65%
52,5%
27,5%
des Aktienteils in derselben Größenordnung werden wir vornehmen,
sobald der S&P 500-Index in die
Nähe seiner 200-Tage-Durchschnittlinie steigen sollte.
Die Bubble macht
den Unterschied
Die überwältigende Mehrheit der
Analysten, Strategen, Unternehmenslenker, Notenbanker, Marktbeobachter und -teilnehmer wurde von dem
laufenden Bärenmarkt und der Rezession in den USA vollkommen überrascht. Einer geradezu verschwindend
kleinen Minderheit, der wir mit unserer Arbeit angehören, ist es gelungen, frühzeitig auf die Gefahren
am Aktienmarkt und auf ein überdurchschnittlich großes Rezessionsrisiko in den USA hinzuweisen.
men scheint. Darunter befinden
sich selbstverständlich diejenigen,
die keine Kenntnis von Spekulationsblasen haben und sie folglich analytisch nicht erfassen können. Dazu
zählen aber wahrscheinlich auch
andere, die das Konzept sehr wohl
kennen, verstehen und anwenden
könnten, es aber aus Eigennutz
und politischen Interessen nicht
tun, nach dem Motto: „Weil nicht
sein kann, was nicht sein darf“.
Diese Damen und Herren haben den
gesamten Bärenmarkt voll investiert
und schreiend bullish in ihren Prognosen begleitet. Beide Varianten
haben die Mär der „New Economy“,
also den Klassiker: „Diesmal ist
alles anders“ zur Rationalisierung
absurd irrationaler Entwicklungen
benutzt. Von dieser Seite wurden
im Lauf der letzten 18 Monate
„Wirtschaftsprobleme
wären zu lösen, wenn man
die Selbstgefälligkeit
steuerpflichtig machte.”
Jacques Tati,
französischer Regisseur
„Die wenigsten können
wohl behaupten, daß sie
morgens um sieben Uhr
auf dem Höhepunkt ihrer
geistigen Leistungsfähigkeit sind. Um diese Zeit
steigt Alan „Superspan”
aus der Wanne – und hat
die wichtigste Arbeit des
Tages bereits hinter sich
gebracht. In den eineinhalb Stunden, in denen er
täglich sein heißes Bad
nimmt, erledigt der „mächtigste Mann der Welt" einen großen Teil seiner
Aufgaben: liest Statistiken,
erledigt Geschäftspost. Bei
diesem Ritual, ursprünglich
als Therapie gegen sein
Rückenleiden
XAU
gedacht, fallen die „wich5%
tigsten Ent5%
5%
scheidungen
5%
der Welt”.
Morgens um
sechs, sagt Greenspan, sei
sein Intelligenzquotient
um 20 Punkte höher als
abends um sechs.”
Quelle: gatrixx AG
04
Markt
Rese
„New Economy“
nahezu ausschließlich dramatisch
falsche Einschätzungen publiziert.
Wir sind gespannt, wie lange es
dauern wird, bis diese „Talking
Heads“ von den TV-Bildschirmen
verschwinden oder wenigstens mit
ihren katastrophalen Fehleinschätzungen konfrontiert werden.
„Greenspan ist kein Mann
der klaren Worte. Er spricht
leise und monoton, Syntax
und Rhetorik sind eine Zumutung – die Defizite reichen
bis ins Private: Andrea
Mitchell, seine zweite
Frau, erzählt, Greenspan
habe ihr drei Heiratsanträge
machen müssen, ehe sie verstanden habe, was er meinte.”
Übrigens sind auch von Alan
Greenspan Analysen bekannt, die
anhand der letzten großen USSpekulationsblase Ende der 1920er
Jahre klar aufzeigen, was eine Bubble
ist und welche verheerenden Folgen
ihr unvermeidliches Platzen für eine Volkswirtschaft und ihre Finanzmärkte hat. Allerdings stammen
diese Schriften Greenspans aus einer
Zeit, als er noch unabhängiger Berater war und nicht Chef-Cheerleader.
Quelle: gatrixx AG
Die Bubble ist geplatzt,
Greenspans Träume nicht
Auf der Homepage der Dallas Federal
Reserve Bank (www.dallasfed.org)
befindet sich am 18. Oktober als Aufmacher unter der Überschrift „Greenspeak“ der Hinweis auf Alan Greenspans Rede vor dem US-Kongreß
vom Tag zuvor und der Link zu seinem Redetext. Als Appetithäppchen
wird folgende Passage ausgewählt,
die die Macher der Seite offensichtlich für die wichtigste Aussage der
Rede halten: „The level of productivity
will presumably undergo a one-time
downward adjustment as our economy
responds to higher levels of perceived
risk. But once the adjustment is
completed, productivity growth
should resume at rates in excess of
those that prevailed in the quartercentury preceding 1995.” (Die Höhe
der Produktivität wird höchstwahrscheinlich eine einmalige Anpassung
erfahren, da unsere Volkswirtschaft
auf das erhöhte Maß an bewußt
wahrgenommenem Risiko reagiert.
Aber sobald diese Adjustierung abgeschlossen ist, sollte das Produktivitätswachstum wieder aufgenommen werden und zwar in Größenordnungen, die über dem Niveau
der 25 Jahre vor 1995 liegen.).
Greenspans Traum von der „New
Economy“, dank US-amerikanischer
Technik von einem Produktivitätswunder gekennzeichnet, ist offensichtlich noch immer nicht ausge-
05
träumt. Wir haben uns mit dieser
Produktivitätsthese, die wir als falsch
ansehen, bereits im Oktober 2000
und dann noch einmal im Juni 2001
befaßt. Deshalb soll hier der Hinweis
genügen, daß es sich unserer Meinung nach nicht um ein „Produktivitätswunder“ handelte, sondern
um ein normales zyklisches Phänomen, das in den Bubble-Jahren die
besondere Dynamik der Bubble
Economy sowie die kreative Manipulation der entsprechenden Statistiken widerspiegelte.
Das Festhalten Greenspans an seinem Produktivitätswunschtraum
werten wir als klaren Hinweis auf
sein Unvermögen, die von ihm zu
verantwortenden Fehler einzugestehen. Mit dieser Geisteshaltung
wird er zur Lösung des Problems,
dessen Hauptursache seine die Spekulationsblase erst möglich machende Geldpolitik war, nicht beitragen
können. Wir können in dieser Situation nur auf einen Nachfolger hoffen, der die geplatzte Spekulationsblase als eben solche erkennt und
bereit ist, sich dieser unangenehmen
Realität zu stellen.
Das unserer Meinung nach Wichtigste dieser Greenspan-Rede sehen
wir in seinen Ausführungen zu den
ökonomischen Folgen des Terroranschlages auf die USA. Hier ebnet
sich der alte Fuchs seine Exkulpation. So wie zahlreiche Unternehmensvorständeund Wall Street Cheerleader
die Gelegenheit nutzen, ihre Fehleinschätzungen und -entscheidungen
hinter dem unvorhersehbaren Ereignis zu verstecken, bereitet auch
Greenspan diesen Hinterausgang
vor, den er sicherlich benutzen wird,
um sich von seiner Verantwortung
für die Misere davonzustehlen.
Sündenböcke
Die in unserer August-Ausgabe beschriebene irrationale Suche nach
Schuldigen, die so typisch ist in Zeiten geplatzter Spekulationsblasen,
hält sich weiterhin an die historisch
überlieferten Vorgaben. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete
am 24. September von US-amerikanischen Volksvertretern, die das
Short Selling, also die Spekulation
auf fallende Kurse, einschränken
oder gar verbieten wollen. Diese
Forderung läßt sich nur mit einem
ungenügenden Verständnis der
Funktionsweise freier Märkte erklären. Sie können nur dann funktionieren, wenn es Käufer und Verkäufer gibt: Je mehr von beiden,
desto liquider ist der Markt. Der
volkswirtschaftliche Nutzen der
Spekulanten ist hinreichend untersucht und allgemein bekannt, so
daß wir in diese eher banale Fragestellung nicht einsteigen werden.
Politikern, die solche Ideen favorisieren, würden wir allerdings gerne
einen Grundkurs in Marktwirtschaft
verordnen.
Die Botschaft von
Merrill Lynch
Merrill Lynch, der größte US-Broker,
hat uns in der Endphase der Spekulationsblase kontinuierlich mit dem
Werbeslogan „Be bullish“ erfreut.
Wenn wir uns recht erinnern, wurde diese Aufforderung erst im Mai
2001 durch das unverfänglichere
„Ask Merrill“ ersetzt. Kürzlich hat
das Unternehmen die Entlassung
von bis zu 10000 Mitarbeitern oder
15% der Belegschaft angekündigt.
Kann es sein, daß das MerrillManagement den rosigen Prognosen seiner Cheerleader nicht glaubt?
„Be bearish. For internal use only“
fällt uns dazu ein. (Sei bearish. Nur
für den internen Gebrauch bestimmt.).
Der Fairness halber möchten wir
an dieser Stelle erwähnen, daß in
der großen Merrill Lynch-Welt auch
für einige wenige Nicht-Cheerleader
Platz war, an prominentester Stelle
Robert J. Farrell, der als Senior
Investment Advisor immer wieder
mit brillanten Analysen hervorsticht.
Das Gesamtmodell
Bei den drei Komponenten unseres
Modelles haben sich im Berichtszeitraum keine wichtigen Änderungen ergeben. Das Kaufsignal hat
unverändert Bestand.
Die monetären Rahmenbedingungen
bleiben geradezu beängstigend
positiv. Diese außergewöhnliche
Liquiditätsschwemme spiegelt das
panische Reagieren der US-Zentralbank wider.
analyse
arch
“-Märchenstunde
Geldmengenwachstum dieser
Größenordnung ist selbst für „Easy
Money Al“ Greenspan Neuland, der
seit seinem Amtsantritt 1987 auf
jede reale oder eingebildete Krise
mit einem beherzten Öffnen der
Geldhähne reagiert hat. Es stellt
sich natürlich verstärkt die Frage,
wo sich diese Inflation zeigen wird.
Während der Bubble-Jahre waren
es bekanntlich nicht die Gütermärkte, also dort, wo nahezu alle
zeitgenössischen Ökonomen ausschließlich Inflation erkennen zu
können glauben. Vielmehr äußerte
sie sich in irrational steigenden
Preisen für Unternehmen, also
dort, wo sie im allgemeinen nicht
als schlechte Inflation erkannt,
sondern als steigende Aktienkurse
willkommen geheißen wird. Natürlich hofft man bei der Fed, daß die
Gelder auch jetzt zu steigenden
Aktienkursen führen und die Wirtschaft ankurbeln. Leider zeigt die
Geschichte aber, daß überschüssige
Liquidität tendenziell dorthin fließt,
wo Preismomentum vorhanden ist
und nicht in fallende Märkte. Steigende Preise sehen wir (noch) am
US-Immobilienmarkt und bei Gold.
Außer extrem wachsenden Geldmengen erkennen wir zur Zeit keine
Anzeichen einer klassischen inflationären Entwicklung. Wir sind weiterhin der Meinung, daß die deflationären Folgen der geplatzten Spekulationsblase stärker sein werden
als die inflationären Versuche der
Notenbank.
Der CRB-Rohstoffindex, der uns in
den letzten Jahren gute Dienste bei
der Zins- und Inflationsprognose geleistet hat, befindet sich auf einem
350
Die Sentiment-Indikatoren sind im
kurz- und mittelfristigen Bereich
positiv, langfristig wie gehabt sehr
negativ. Die fundamentalen Bewertungen sind weiterhin absurd hoch.
Die Gewinne fallen noch immer
schneller als die Kurse. Die ungezählten unternehmerischen Fehlentscheidungen der Bubble-Jahre
werden jetzt nach und nach sichtbar. Das geradezu lächerliche
Wunschdenken und die Extrapolation der wildesten Exzesse haben
bei offensichtlich sehr vielen
Managern zu unternehmerischen
Weichenstellungen geführt, die der
Realität nicht gewachsen sind.
Swissair und die bereits recht zahlreichen Pleiten an Neuem Markt
und NASDAQ sind vermutlich erst
die Spitze des Eisberges.
Beispielsweise sehen wir das
Problem der Airlines nicht in dem
von Terrorismus ausgelösten kurzfristigen Geschäftsrückgang.
Vielmehr bestand schon vorher das
systematische Problem eines zu
hohen Verschuldungsgrades. Ein
hoher Leverage ist in Zeiten steigender Unternehmensgewinne
eine sehr lukrative Einrichtung. In
Problemzeiten wirkt der Hebel aber
genauso gut, nur in die andere
Richtung. Offensichtlich hat die
Bubble in weiten Kreisen der
Unternehmenslenker dazu geführt,
die Grundsätze ordentlicher
Kaufleute den Grundsätzen von
New Economy-Kaufleuten zu
opfern. Deren erste Doktrin war
offensichtlich die kurzfristige
Maximierung des Aktienkurses
ohne Rücksicht auf langfristige
Gefahren für das Unternehmen,
um sich per Optionsprogramm persönlich zu bereichern.
300
250
Fazit
200
150
100
1966 1971
1976 1981
1986 1991
1996 2001
CRB-Rohstoffindex
spannenden Niveau, nämlich im
Bereich seiner Tiefs der letzten 30
Jahre. Ein Bruch der Marke von 180
Zählern würde klar auf das Deflationsszenario verweisen, eine Bodenbildung
mit anschließendem Aufwärtstrend
hingegen das Inflationsszenario in
den Vordergrund rücken lassen.
Die erwartete Bearmarket-Rallye
hat innerhalb weniger Wochen
bereits deutliche Kursgewinne
geliefert und erste Widerstandszonen erreicht. Wir halten nach
einer kurzfristigen Abwärtskorrektur eine zweite Aufwärtswelle in
Richtung der nächsten Widerstände
in der Nähe der 200-Tage-Durchschnittlinien für wahrscheinlich. Da
im langfristigen Abwärtstrend mit
negativen Überraschungen gerechnet werden muß, die gewöhnlich
mit fallenden Aktienkursen einhergehen, nutzen wir bereits das
aktuelle Kursniveau, um in einem
ersten Schritt den Aktienanteil
abzubauen. Wenn die erwartete
zweite Aufwärtswelle in den nächsten zwei bis drei Monaten eintrifft,
werden wir sie für weitere Aktienverkäufe nutzen.
Dow Jones
Industrial Average
Der Tiefkurs des Dow Jones vom
21. September betrug knapp 8100
Zähler. Damit kam der Kursverfall
im oberen Bereich der von uns genannten Unterstützungszone von
8200 bis 7400 Punkten zu einem
Halt. Die anschließende BearmarketRallye von in der Spitze 18% erreichte die Widerstände, die sich aus
„Wann die Trendwende
kommt, weiß weder Alan
Greenspan noch irgendein
Nobelpreisträger.”
Peter Lynch,
Fidelity Investments
11600
„Ein Blase voll Luft fürchtet spitze Nadeln.”
Sorbische Redensart
11000
10400
9800
9200
8600
8000
08/99
02/00
08/00
02/01
08/01
DJIA
den März-April-Tiefs ergeben. Auf
diesem Niveau begann eine kurzfristige Korrektur, die wahrscheinlich noch zwei bis drei Wochen
anhalten wird. Ein Kursrückgang in
der Größenordnung von 40% bis
60% der vorangehenden Bewegung
wäre völlig normal. Daraus ergibt
sich ein kurzfristiges Abwärtspotential auf 9000 bis 8700. Natürlich
können wir einen Test der Tiefstände nicht ausschließen, halten
ihn aber für sehr unwahrscheinlich.
Nach dieser kurzfristigen Konsolidierung rechnen wir mit einer zweiten Aufwärtswelle, die über die bisherigen Hochs von 9500 Punkten
hinausführen wird. Ein ideales Kursziel dieses zweiten Schubes der
Bearmarket-Rallye ergibt sich aus
der fallenden 200-Tage-Durchschnittlinie. Wir interpretieren den Kursverlauf seit April 1999 als große
obere Umkehrformation und die
September-Einbußen als klaren
Ausbruch aus dieser Formation, die
ein Minimumkursziel von 7400
Punkten hat. Der langfristige Trend
ist eindeutig abwärts gerichtet. Wir
erwarten nach Beendigung der
Bearmarket-Rallye neue Tiefkurse.
„Das eine Zeitalter schlägt
Blasen, das nächste läßt
sie platzen.”
William Cowper,
englischer Lyriker (1765)
06
Marktanalyse
Research
„New Economy“-Märchenstunde
S&P 500
Das für den Dow Jones Gesagte gilt
analog auch für den S&P 500. Nach
dem Ausbruch aus einer oberen
Umkehrformation befindet er sich
in einem langfristigen Abwärtstrend. Die Tiefs vom 21. September
lagen ziemlich genau in der Mitte
werden kann, sehen wir die nächste Marke bei 5400, den MärzApril-Tiefs. Die stark fallende 200Tage-Durchschnittlinie, die zur Zeit
bei 5750 Punkten verläuft, wird dieses Niveau voraussichtlich Ende
November erreicht haben.
NASDAQ Composite
1500
Der Kursverfall dieses Indizes kam
bei knapp 1400 Punkten in der
Nähe der Tiefstände von 1998 zum
Stehen. Die anschließende Rallye
betrug am Hoch gut 25% und führ-
1400
1300
1200
1100
1000
900
08/99
02/00
08/00
02/01
08/01
der von uns genannten Unterstützungzone von 1000 bis 900 Punkten. Die anschließende Rallye führte ebenfalls in den Bereich der MärzApril-Tiefs und betrug in der Spitze
17%. Auch hier rechnen wir zunächst
mit einer Fortsetzung der kurzfristigen Korrektur und einer sich anschließenden Wiederaufnahme der
Bearmarket-Rallye mit einem Kursziel im Bereich der deutlich fallenden 200-Tage-Durchschnittlinie.
Danach erwarten wir neue Tiefstände.
Nikkei
Die Bearmarket-Rallye des japanischen Aktienindizes hat das letzten
5000
S&P 500
segment bei Erreichen der 200Tage-Durchschnittlinie. Wir erkennen immer noch keine Anhaltspunkte
für das Ende dieses Bärenmarktes
von historischer Proportion. Nach
einem Kursverfall von insgesamt
über 90% erwarten wir eine – bisher allerdings nicht erkennbare –
ausgeprägte Bodenbildungsphase,
bevor ein neuer Bullenmarkt beginnt. Wir werden diese Entwicklung geduldig abwarten.
4400
3800
20000
3200
18000
2600
16000
2000
14000
1400
08/99
02/00
08/00
08/01
12000
NASDAQ
10000
02/01
te bereits über die März-April-Tiefs.
Auch an der NASDAQ erwarten wir
eine kurzfristige Abwärtskorrektur,
gefolgt von einer zweiten Aufwärtswelle. Deren Kursziel bleibt die bereits letzten Monat genannte Marke
von 1900 bis 2000 Zählern.
08/99
02/00
08/00
02/01
08/01
Nikkei
Monat genannte Kursziel von 11500
Punkten noch nicht erreicht. Eine
Bodenbildung ist nach wie vor nicht
erkennbar, der langfristige Abwärtstrend mithin intakt.
NEMAX
XAU
Das sogenannte deutsche Wachstumssegment, an dem eigentlich
nur die Zahl der Pleiten und der Gewinnwarnungen wächst, hat sein
September-Tief bei 694 Punkten
gesehen. Damit beträgt der Kurs-
Der Gold- und Silberminenindex
hat Mitte Oktober etwas nachge-
DAX
Auch die deutsche Börse befindet
sich im langfristigen Abwärtstrend.
Sie hat im September-Abschwung
weiterhin relative Schwäche gezeigt
und kam erst im unteren Bereich
der Unterstützungszone bei 3540
Punkten zum Stillstand. Die anschließende Bearmarket-Rallye war
fulminant und erreichte in der Spitze
ein Plus von 35%. Eine Korrektur
dieser Bewegung von 40% bis 60%
ergibt kurzfristige Kursziele von
5600
4800
4000
08/99
02/00
08/00
02/01
08/01
DAX
Claus Vogt
Leiter Research
[email protected]
07
4300 bis 4100 Punkten. Danach
rechnen wir analog zu den anderen
Märkten mit einer zweiten Aufwärtswelle. Starke Widerstände beginnen bei rund 5000 Zählern. Falls
diese große Hürde überwunden
72
62
52
7000
42
6000
08/99
02/00
08/00
02/01
08/01
5000
XAU
4000
3000
2000
1000
08/99
02/00
08/00
02/01
08/01
8000
7200
82
8000
NEMAX
6400
92
verfall seit dem Allzeithoch im März
2000 sagenhafte 92%. Die Rallye
seit dem Tiefstand beläuft sich auf
stattliche 44% und drückt den Gesamtverlust seit dem Top auf 88%.
Erste Widerstände für eine Fortsetzung dieser Bearmarket-Rallye
sehen wir bei 1100 bis 1200 Punkten,
dann erst wieder bei rund 1500. Die
schnell fallende 200-Tage-Durchschnittlinie verläuft bei gut 1600.
Wir empfehlen den Verkauf etwaiger Bestände in diesem Spielkasino-
geben und seine steigende 200Tage-Durchschnittlinie sowie die in
der Grafik eingezeichnete Aufwärtstrendlinie bis jetzt erfolgreich getestet. Diese Niveaus sind einerseits
ideale Marken für Neuengagements.
Andererseits dürfen sie nicht deutlich unterschritten werden, da sonst
der Aufwärtstrend gebrochen ist.
Folglich raten wir bei Schlußkursen
unter 50 Zählern zum Ausstieg aus
unserer in der Februar-Performance
eingegangenen 5%igen LongPosition.
Berliner Unternehmen
Was macht eigentlich…
…die CargoLifter AG?
„Ich bin kein Flugzeugfreak“ – mit
diesem Bekenntnis verblüfft Dr. CarlHeinrich Freiherr von Gablenz häufig
seine Gesprächspartner. Wer die so
glorreiche und doch so tragische Geschichte der deutschen Luftschiffahrt
wiederbeleben will – muß der nicht
ein Visionär sein, ein Träumer mit
großem Herzen und noch größerer
Phantasie, ein romantischer Überzeugungstäter?
Muß er nicht. Am Anfang der Geschichte vom CargoLifter standen
nicht waghalsige Pioniere, sondern
kühlrechnende Logistikexperten –
wie Gablenz. Sicher, der Sohn des ersten Chefs der Deutschen Lufthansa
wuchs in einem Familienklima auf,
in dem Luftfahrt und Fliegen so zum
täglichen Gesprächsstoff gehörten
wie Autos in Wolfsburg, Wein in
Bingen oder das Meer auf Norderney.
Auch die anderen Gründerväter der
CargoLifter AG waren keine Luftfahrtenthusiasten, sondern grundsolide deutsche Anlagenbauer.
der Exporte ist die Infrastruktur
meist schwach entwickelt. Für Schwerlasttransporte müssen in der Regel
erst Straßen gebaut oder zumindest
Brücken verstärkt, Kurven begradigt,
Dämme aufgeschüttet und andere
Baumaßnahmen vorbereitet werden
– der Transport ist oft genauso teuer wie die ganze Anlage und kostet
monatelange Vorbereitungsarbeiten.
Und wenn ein Transportfahrzeug
von der Straße abkommt und im
Graben landet, gibt es meist keine
Möglichkeit, die Fracht zu retten – die
ganze Anlage muß nochmal hergestellt und antransportiert werden.
Hier soll der CargoLifter Abhilfe
schaffen. Mit seiner Tragfähigkeit
von 160 Tonnen und seiner Länge
von mehr als 200 Metern soll er
riesige sperrige Güter – maximal
50 mal acht mal acht Meter – vom
Hersteller direkt bis zum Einsatzort
transportieren und dort punktgenau absetzen. „Wir wollen weder
Personen noch Container transpor-
bewährt hat. „Künftig kann man
Anlagen wesentlich großzügiger
dimensionieren, weil sie mit dem
CargoLifter transportiert werden
können“, weiß der Vorstandsvorsitzende.
Doch erst einmal muß der CargoLifter
produziert und zugelassen werden.
Dabei sind noch viele technische
Probleme zu lösen – oft sehr unerwartete. So hat sich herausgestellt,
daß der Übergang von der Halle ins
Freie ein höchst gefährliches Manöver ist, weil Seitenwinde das Luftschiff gegen die Hallenwand drücken
und dabei schon vor dem ersten
Start schwer beschädigen können.
Ganze Teams von Meteorologen
haben die Windverhältnisse in den
märkischen Wäldern rings um die
Riesenhalle untersucht und herausgefunden: Die günstigste Zeit, um
den CargoLifter aus der Halle zu
fahren, ist vor Sonnenaufgang.
Ähnliche Probleme erwarten die
Entwickler der Riesenzigarre aber
auch bei vielen anderen Details des
Konzeptes: Wie manövriert das
Luftschiff bei großen Windstärken?
Wie sollen die großen, sperrigen
Lasten aus mehr als hundert Meter
Höhe aufgenommen und wieder
abgesetzt werden? Wie kommt die
Crew ins Cockpit und wieder
herunter? Was passiert, wenn die
Hülle in großer Höhe vereist?
Dr. Carl-Heinrich
Freiherr von Gablenz
Vorstandsvorsitzender
CargoLifter AG
Dr. Carl-Heinrich Freiherr von Gablenz
hat für diese und viele, viele weitere
Fragen die Besten der Luftschiffbauer in sein Entwicklungsteam
geholt. Bisher haben sie alle
schwierigen Themen in den Griff
bekommen – aber viele werden
erst auftauchen, wenn der Probeflug der ersten Zeppeline beginnt.
CL 75, zum Drucktest mit Luft befüllt, in der Werfthalle
Was bringt die Elite der deutschen
Großindustrie dazu, in die Luft zu
gehen? Es waren ganz praktische
Überlegungen, die zum CargoLifterKonzept führten: Der Schwerpunkt
der Investitionstätigkeit im Anlagenbau verlagert sich immer mehr in die
„Dritte Welt“. Doch in den Zielländern
Foto: CargoLifter AG
tieren – dafür gibt es andere, kostengünstigere Möglichkeiten, versichert
Gablenz. Aber für den Einsatzzweck,
für den der CargoLifter konzipiert
ist, haben allein die 30 Gründerfirmen bereits jetzt einen riesigen
Bedarf. Der dürfte schnell ansteigen,
wenn sich das System im Einsatz
Immerhin: Im einem alten Fliegerhorst der russischen Streitkräfte in
der Lausitz wurde die größte freitragende Halle der Welt in den märkischen
Sand gesetzt – 107 Meter hoch, 210
Meter breit, 360 Meter lang. Hier
sollen ab 2003 die fliegenden Riesenzigarren in Serie produziert werden.
08
Berliner Unternehmen
Aber die Zeit bis dahin wird noch
einmal schwer für das CargoLifterTeam. Der Börsengang hat 250 Millionen DM in die Kassen der Luftschiffbauer gespült. Aber noch einmal die gleiche Summe wird benötigt, bis der Serienstart beginnen
kann. Doch nach der Krise am Neuen
Markt und der Börsenflaute des
laufenden Jahres werden die ersten
Anleger bereits unruhig. High Tech
ist plötzlich suspekt geworden, und
bis 2004 ist mit einer Dividende ja
nicht zu rechnen. Der Kurs der
Möglich sei auch der stationäre
Einsatz als „schwebender Kran” für
sperrige Bauteile und Industrieanlagen. Einer der weltweit führenden Schwerlasthäfen, der Port of
Houston, gehört zu den Interessenten und eine Delegation aus dem
Reich der Mitte prüfte erst vor kurzem
die Möglichkeiten, den CargoLifter
in Südchina oder beim Bau des
Transrapid einzusetzen.
Die Entwickler haben den AirCrane
aber auch als Zwischenschritt der
Werfthalle in einem frühen Baustadium, Frühjahr 2000
CargoLifter AG
Silke Rösser
Potsdamer Platz 10
10785 Berlin
Tel. 030-72.61.03.92.12.4
Fax 035477-65.00.21.24
[email protected]
www.cargolifter.com
CargoLifter AG schwebt in niedrigen Höhen um die 14 Euro – zu
wenig, um eine zweite Emission
attraktiv erscheinen zu lassen. In
der Riesenhalle in Brand wird jetzt
erst einmal eine verkleinerte Version
des CargoLifters gebaut – der
AirCrane, ein Fesselballon mit einer
Tragkraft von 75 Tonnen. Da der
„Schwebekran” über keinen eigenen
Antrieb verfügt, wird er per LKW,
Schiff oder Hubschrauber fortbewegt. Vor allem für Großbaustellen
in entlegenen Gegenden wie Wüsten
oder Urwaldgebieten sei damit ein
kostengünstiger und umweltschonender Transport möglich, ohne
Schneisen zu schlagen oder Straßen
zu bauen, ist Gablenz überzeugt.
Foto: CargoLifter AG
Luftschiffentwicklung gebaut, um
das Verhalten von Helium und die
Druckbelastung in einer so großen
Hülle zu testen. Wie das Transportluftschiff CargoLifter hat der
AirCrane einen Durchmesser von 61
und eine stattliche Höhe von 85
Metern, er faßt 110000 Kubikmeter
Helium. „Bereits dieser Ballon ist
jetzt das größte Luftfahrtobjekt der
Welt”, verkündet Dr. Carl-Heinrich
Freiherr von Gablenz voller Stolz.
Der Ballon soll künftig die Langstreckentransporte des CargoLifters
ergänzen und gleichzeitig die Prüfverfahren beschleunigen – so wurden bereits das Blitzschutzsystem,
das Heliumabfüllverfahren, der
Lastaustausch beim Beladen und
andere Teile des langwierigen Genehmigungsverfahrens abgeschlossen.
Vor allem aber soll der AirCrane
bereits ab nächstem Jahr die ersten
Einnahmen bringen. Die Entwicklungskosten für das so völlig neuartige Projekt werden voraussichtlich doch höher als ursprünglich geplant. Bis zum Serienstart fehlen
noch 320 Millionen Euro. Um neues
Geld in die Kassen zu bekommen,
sollte zunächst in diesem Jahr eine
Wandelanleihe begeben und im
nächsten Jahr eine Kapitalerhöhung
durchgeführt werden. Aber jetzt
sucht man auch nach alternativen
Finanzierungsformen. Am liebsten
wäre dem CargoLifter-Vorstand der
Einstieg eines strategischen Partners.
Eindringlich appelliert Gablenz an
die deutsche Industrie: „Beim gegenwärtig niedrigen Kurs der CargoLifterAktie besteht die Gefahr, daß die
US-Konkurrenz das ganze Projekt
billig aufkauft und über den Atlantik holt.“ Der Mahnruf geht auch
an die industriellen Partner des
Projektes wie Siemens, Linde, MAN,
Mitsui oder Alstom, ihre Beteiligungen aufzustocken und einen Teil
der Zulieferungen vorzufinanzieren.
Der US-Konzern General Electric,
der die Triebwerke beisteuert, wird
für einige Zeit einen Kostenaufschub
gewähren, hat aber eine Beteiligung
an dem Projekt bisher abgelehnt.
Der CargoLifter-Lenker hofft auch
auf Unterstützung durch den Staat.
Mit ein wenig Neid beobachtet er
die öffentliche Förderung und die
Beteiligung von Risikopartnern
beim Airbus A380 – dessen Entwicklung kostet mit 10,7 Milliarden
US$ mehr als das Zehnfache des
CargoLifter-Projektes.
Aber Dr. Carl-Heinrich Freiherr von
Gablenz bleibt optimistisch, daß
alle Schwierigkeiten gelöst werden.
„Mehr als 60000 Aktionäre haben
uns trotz aller Turbulenzen am
Neuen Markt die Treue gehalten.
Sie wissen: Wir sind auf dem
richtigen Weg.“
Dr. Dieter Wuschick
09
Berlin
Mahnmal wider Willen?
Das Jüdische Museum
Seit dem 9. September hat Berlin
wieder ein Jüdisches Museum. Zur
feierlichen Eröffnung waren 850
Ehrengäste aus Politik, Wirtschaft
und Kultur geladen, um als erste
die Ausstellung in Daniel Libeskinds
architektonischem Meisterwerk zu
besuchen. Allein der noch leere Bau
hatte nach seiner Fertigstellung im
Januar 1999 schon mehr als
350000 Interessierte angezogen.
Ein Blick zurück in die Geschichte
läßt erkennen, wie schicksalhaft
der Zeitpunkt der Eröffnung des
ersten Berliner Jüdischen Museums
in der Oranienburger Straße war:
Es war der 24. Januar 1933, sechs
Tage vor Hitlers Ernennung zum
Reichskanzler. Nur fünf Jahre später, während der Reichspogromnacht im November 1938, wurde es
von der Gestapo geschlossen, die
Kunstschätze konfisziert.
Erst 1971 gab es mit der Ausstellung
„Leistung und Schicksal“ anläßlich
des 300jährigen Bestehens der
Berliner Jüdischen Gemeinde im
Berlin-Museum, dem ehemaligen
Collegienhaus in der Kreuzberger
Lindenstraße, wieder einen ersten
Ansatz, dort eine jüdische Abteilung
einzurichten. Dazu kam es nicht,
denn verschiedene Vertreter aus
der Politik sowie der Förderverein
„Gesellschaft für ein Jüdisches
Museum in Berlin“ machten sich
für ein eigenes Gebäude stark.
Wenn üblicherweise Ausstellungen
in bereits vorhandenen Häusern
eingerichtet werden, ist es eine
seltene Gelegenheit, eigens einen
Museumsbau für einen bestimmten Zweck zu schaffen und somit
eine einzigartige Einheit zwischen
dem Inneren und Äußeren herzustellen. Der ursprünglich als Erweiterungsbau des Berlin-Museums
geplante Neubau ist dreimal so
groß wie das Collegienhaus – erkennbar ist der Grundgedanke des
Anbaus heute nur noch dadurch,
daß das moderne Gebäude keinen
eigenen Zugang hat, sondern durch
das alte Berlin-Museum unterirdisch betreten wird.
Zu überzeugend waren die Pläne des
1946 in Lodz geborenen, mittlerweile
in Berlin lebenden Architekten
Daniel Libeskind, der unter 165 Teilnehmern im Juni 1989 die Ausschreibung gewann. Sein radikaler Entwurf „Between the Lines“ konfrontierte mit unregelmäßigen Winkeln
und ungewöhnlichen Perspektiven
und Projektionen von Raum und
Leere: Als Sinnbild der Geschichte
der Juden, ihrer Vertreibung, ihrer
Vernichtung, ihren Brüchen – ablesbar sowohl in dem mehrfach abgeknickten Grundriß, der an einen zerborstenen Davidsstern erinnert, als
auch in der geraden Achse, die das
Gebäude von Westen nach Osten
schneidet, darin eingefangen die
Schnittpunkte, die jene „Voids“
(„Leeren“) bilden, die verkörperte
Abwesenheit der vertriebenen und
ermordeten Juden in Deutschland.
Auch sonst finden sich kaum konventionelle bauliche Komponenten
– Fenster sind keine Fenster, sondern kreuz und quer verlaufende
Schnitte, die wie Wunden anmuten, man trifft auf tote Winkel,
Hohlräume, schiefe Wände.
„Zwei Jahrtausende deutsch-jüdische Geschichte“, so heißt die nun
erlebbare Ausstellung, die der neuseeländische Projektdirektor
Kenneth C. Gorbey erklärtermaßen
nicht vom Holocaust dominiert
wissen will. Vielmehr sollen Buntheit und Typenfülle jüdischen
Lebens als Element der einen deutschen Geschichte gezeigt werden.
Vielleicht brauchte es einen Nichtdeutschen, Nichtjuden wie Gorbey,
um dieses Ziel stilistisch und
künstlerisch umzusetzen. Mit dem
von ihm eingerichteten, berühmten
Nationalmuseum Te Papa Tongarewa im heimatlichen Wellington
ist es ihm schon einmal gelungen,
ein wissenschaftlich fundiertes
und gleichzeitig unterhaltsames
Museum aufzubauen.
Die Ausstellung umfaßt rund 3900
Exponate, Leihgaben und Installationen zeitgenössischer Künstler.
Eine aus dem Jahr 321 stammende
Urkunde, in der Kaiser Konstantin
den in Köln siedelnden Juden
Rechte zugestand, hat in doppelter
Hinsicht große Bedeutung für das
Projekt: Zum einen ist das Dokument die früheste bekannte Erwähnung jüdischer Siedler in Germanien, zum zweiten zeigt sie, daß
Juden seit altersher zur deutschen
Geschichte gehören.
Bemerkenswert an dem Museum
ist ebenso, daß es nicht nur äußerlich ungewöhnlich und modern ist,
Blick in den „silbernen Blitz”
Foto: Jüdisches Museum
sondern dieses Konzept auch im
Inneren fortgesetzt wird. Der Besucher wird auf Schritt und Tritt
von multimedialen Installationen
eingeladen, sich näher mit den
Exponaten oder geschichtlichen
Ereignissen zu beschäftigen – seien
es interaktive Bildschirme, wie als
Schubladen herausziehbare Tafeln
oder Videos und Tondokumente.
Seinem komplexen Auftrag, neben
traditionellen musealen Aufgaben
auch einer pädagogischen Zielsetzung zu folgen, wird das Jüdische
Museum Berlin gerecht durch eine
Reihe zusätzlicher Angebote: Im
Rafael Roth Learning Center können die Besucher Hintergründe
und Zusammenhänge deutschjüdischer Geschichte mit Hilfe
einer Museumsdatenbank selbst
erforschen. Darüber hinaus ist mit
der Eröffnung einer Dependance
des Archivs des Leo Baeck Institutes
New York das bedeutendste seiner
Art zur deutsch-jüdischen Geschichte zugänglich gemacht worden. In Bibliothek und Archiv lassen
sich nach vorheriger schriftlicher
Anmeldung Dokumente, Fotos und
Erinnerungsstücke zu Einzel- und
Familienschicksalen vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart erforschen. Abgerundet wird das Angebot durch das Restaurant „Liebermanns“, das auch über die Museumsöffnungszeiten hinaus täglich
von 9.30 Uhr-23.00 Uhr koschere
jüdische Spezialitäten anbietet.
Jüdisches Museum Berlin
Lindenstraße 9-14
10969 Berlin
Tel. 030-30.87.85.68.1
Fax 030-25.99.34.09
[email protected]
www.jmberlin.de
Öffnungszeiten:
täglich 10.00 Uhr-20.00 Uhr
(außer Heiligabend)
Heike Noack
Berliner Effektengesellschaft AG
10
Finanz-Glossar
Börsensegmente
Atomisieren, segmentieren: Wann sind
Märkte neu, geregelt, amtlich oder frei?
cscholl@
effektengesellschaft.de
angelehnt, faktisch aber weniger
streng. Schließlich hatte er bei seiner Etablierung 1987 in etwa die
gleiche Grundausrichtung wie der
Neue Markt zehn Jahre später: Mittelständische Wachstumsunternehmen
sollten im Geregelten Markt reifen,
um später den Schritt in den voluminöseren, entschieden regulierteren Amtlichen Handel zu wagen –
ein öffentlich-rechtlicher 1980er
Jahre-Neuer Markt ohne übertriebene TMT-Euphorie.
Hauptmanko des Geregelten Marktes war immer sein geringes Um-
erfüllen? Die Lösung für kleine und
mittlere Gesellschaften aus traditionellen Branchen mit gemäßigtem, aber solidem Wachstum heißt
seit April 1999 SMAX. Warren Buffett,
der als „The World’s greatest Value
Investor“ nur die Aktien kauft, bei
deren Emittenten er die dahinterstehende Geschäftspolitik überblickt, hätte hier seine helle Freude.
Bleibt das Freiverkehrssegment:
wie der Name schon sagt mit einem
weitreichenden Spektrum des Gesetzgebers an privatrechtlichem
Liberalismus bei Zulassungsmoda-
Börsensegmente und ausgewählte Anforderungskriterien im Überblick:
Amtlicher
Handel
Neuer
Markt
Mindestbestandsdauer des
emittierenden
Unternehmens
drei Jahre
wenigstens
ein Jahr,
möglichst
drei Jahre
Mindestemissionsvolumen
1,25 Millionen
Euro
5 Millionen
Euro
Mindesthöhe
Free Float
25%
wenigstens 20%,
möglichst 25%
–
Publizitätserfordernisse
nach dem
Börsengang
Jahresbericht,
mindestens ein
Zwischenbericht;
Ad hoc-Publizität
ist verpflichtend
Rechnungslegung nach
internationalen
Standards (IAS,
US-GAAP), Jahresbericht, Quartalsberichte; Ad
hoc-Publizität
ist verpflichtend
Jahresbericht,
mindestens
ein Zwischenbericht; Ad
hoc-Publizität
ist verpflichtend
tion seines Aktienportfolios und zur
Einschätzung seines persönlichen
Risikoprofils.
Everybody’s Darling war lange Zeit
der Neue Markt. Seine Konzeption
unterscheidet zwischen der öffentlich-rechtlichen Zulassung von
Aktien zum Geregelten Markt und
der privatrechtlich festgelegten
Notierungsaufnahme der zugelassenen Werte im Neuen Markt – das
eine geht nicht ohne das andere
und heißt im Ergebnis, daß die Papiere im Freiverkehr gehandelt werden. Gut zu wissen für jene Unternehmen, die in diesen Tagen auf
dem Delisting-Index der Deutschen
Börse AG für den Neuen Markt stehen: Sie bleiben am Geregelten
Markt zugelassen.
Dessen Regelwerk indes ist zwar
stark an das des Amtlichen Handels
Geregelter
Markt
–
250000 Euro
SMAX
Freiverkehr
–
–
–
Empfehlung:
250000 Euro
20%
–
Jahresbericht,
Quartalsberichte; Ad
hoc-Publizität
ist verpflichtend
Jahresbericht;
zumeist freiwillige Verpflichtung zur
Ad hoc-Publizität
satzvolumen. Ein Defizit, das der
Amtliche Handel nicht kennt,
schließlich rekrutieren sich aus seinen Reihen alle DAX30- und die in
ihrer Bedeutung gleich nachfolgenden 70 MDAX-Unternehmen, beide
zusammengefaßt im DAX100. Als
deutsches Börsensegment mit der
längsten Historie ist der Amtliche
Handel umfassend gesetzlich geregelt, von der jeweiligen Landesregierung bis zum 65. Lebensjahr
bestellte Amtliche Kursmakler
zeichnen für die Kursfeststellung
verantwortlich.
litäten und Transparenzanforderungen – ohne daß der Anlegerschutz
deswegen geringer wäre als in
anderen Segmenten: Dafür sorgen
die Handelsüberwachungsstellen.
Größtmögliche Vielfalt für den
Privatanleger ist das Motto: Allein
an der Berliner Wertpapierbörse
sind über 10000 Titel aus mehr als
60 Ländern notiert. Skontroführende Makler wie die bundesweit führende Berliner Freiverkehr (Aktien)
AG als 100%ige Tochter der Berliner
Effektengesellschaft AG ermitteln
die Kurse.
Was nun mit den Unternehmen, die
einerseits nicht in die „Innovationsschublade“ des Neuen oder Geregelten Marktes passen und andererseits die erhöhten Anforderungen
des Amtlichen Handels wie einen
Mindestkurswert der einzuführenden
Aktien von 2,5 Millionen DM nicht
Fazit: Eine für den Anleger verständlichere Struktur der Börsensegmente ist mehr als überfällig –
bleibt zu hoffen, daß das Vierte
Finanzmarktförderungsgesetz diese
„Licht ins Dunkel bringen“-Mission
erfüllt.
Bitte entlang der Linie abtrennen
Christa Scholl
Leiterin Investor und
Public Relations
Berliner
Effektengesellschaft AG
Anatomisch betrachtet sind Segmente Teile eines großen Organs,
mathematisch sind sie als Kreisoder Kugelabschnitte definiert. Und
an der Börse? Handelsusancen,
Grad der Regulierung und Umfang
der Publizitätspflichten für die notierten Unternehmen nutzen die
deutschen Finanzmärkte als Kriterien, um mehrere Börsensegmente
zu qualifizieren: im Aktienkassamarkt der Freiverkehr, der Neue und
Geregelte Markt und als Königsdisziplin der Amtliche Handel. Für
den privaten Anleger eine von vielen
möglichen Leitlinien zur Diversifika-