Verbraucher nicht nur fordern, sondern auch fördern Gerd Billen
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Verbraucher nicht nur fordern, sondern auch fördern Gerd Billen
Berlin, den 12. Mai 2009 Verbraucher nicht nur fordern, sondern auch fördern Gerd Billen Rede zum Deutschen Verbrauchertag am 12. Mai 2009 in Berlin Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. – vzbv Markgrafenstr. 66 10969 Berlin [email protected] www.vzbv.de www.verbrauchertag.de Rede Gerd Billen zum Deutschen Verbrauchertag 2009 12. Mai 2009 Sehr geehrte Damen und Herren, steigende Strompreise, Gift-Cocktails im Kinderspielzeug, Frischmilch, die nicht frisch ist, Kontonummern auf dem Schwarzmarkt, Lehmann-Zertifikate, die Tausende Verbraucher in den finanziellen Ruin stürzen – die Liste der Verbraucherskandale in den letzten Wochen und Monaten ist lang. Mehr und mehr Verbraucher wollen diese Skandale nicht mehr hinnehmen, sie schlucken ihren Ärger nicht mehr runter. Sie verschaffen sich Luft in den Beratungsstellen der Verbraucherzentralen. Sie protestieren vor den Filialen der Citibank oder wechseln den Stromanbieter, weil sie den Klimaschutz auch für sich persönlich ernst nehmen. Sie verlangen, dass endlich Schluss ist mit der Abzockerei im Energiemarkt, mit den Abo-Fallen im Internet, mit der Tarif-Trickserei beim Telefonieren, mit Datenklau und Datenmissbrauch. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat diesen wachsenden Ärger beschleunigt. Hunderttausende haben bei der Finanzhotline der Verbraucherzentralen angerufen, weil sie Angst um ihre Ersparnisse und ihre Altersvorsorge hatten und haben. Die Verbraucherorganisationen sind – wie es der Philosoph Peter Sloterdijk ausgedrückt hat – zur „Wutsammelstelle“ der Republik geworden. Eine Wut, die angesichts der verheerenden ökonomischen und sozialen Auswirkungen der Finanzkrise mehr als verständlich ist. Während beim Ausbau von Kindertagesstätten oder beim Klimaschutz um jede Million Euro gestritten wurde, werden über Nacht Hunderte von Milliarden Euro in marode Banken gesteckt. Das mag unausweichlich gewesen sein. Doch es bleibt ein bitterer Beigeschmack übrig. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat dazu geführt, dass Menschen, Familien, Verbraucher das Vertrauen in die Wirtschaft und vor allem in die Banken verloren haben. Die wichtigste Aufgabe für die Verbraucherpolitik besteht deshalb darin, sich zu fragen, wie das Vertrauen der Verbraucher in Wirtschaft und Staat wiederhergestellt und gestärkt werden kann. 2 Rede Gerd Billen zum Deutschen Verbrauchertag 2009 12. Mai 2009 Dabei reicht es nicht, nur mündige Verbraucher zu fordern. Die Politik muss vor allem dafür sorgen, dass es in Supermärkten und Sparkassenfilialen, in Kaufhäusern und Krankenkassen, in Reisebüros und Pflegeheimen fair zugeht. Und: sie muss mündige Verbraucher fördern – durch die Schaffung fairer Märkte, durch Verbraucherbildung und ein besseres Angebot an Verbraucherberatung und Information. Verbraucher müssen sich in einer sozialen und ökologischen Marktwirtschaft auf Grundregeln verlassen können. Sie erwarten zu Recht, • dass sie einen Zugang zu essentiellen Konsumgütern und Dienstleistungen haben – dazu gehört zum Beispiel der Zugang zu Energie, aber auch das Recht auf ein Girokonto, • dass ihre Gesundheit, ihr Leben aber auch ihr Vermögen vor vermeidbaren Risiken geschützt werden, • dass sie von den Vorteilen des Wettbewerbs profitieren können – und nicht, wie es Hartz IV-Beziehern passiert, die günstigsten Stromtarife gar nicht bekommen, weil die Billiganbieter sich ihre Kundschaft doch lieber nach dem Portemonnaie aussuchen, • dass sie ihrer Verantwortung für die Umwelt, für Nachhaltigkeit, für den Schutz des Klimas auch nachkommen können. Verbraucherinnen und Verbraucher sollten auf einen Blick die wesentlichen Eigenschaften, Kosten und Risiken eines Produkts erkennen können – sei es bei Lebensmitteln oder bei der Lebensversicherung. Ihr Vertrauen in Wirtschaft und Gesellschaft wächst schließlich, wenn unseriöse Geschäftspraktiken unterbunden werden. Mit anderen Worten: Die Politik ist gefordert, für die Regeln und Rahmenbedingungen zu sorgen, damit wir mündig und selbstbestimmt handeln können. Und da private Haushalte mit ihrem Konsum mehr als 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausmachen, kann man ihnen eine gewisse „Systemrelevanz“ nicht absprechen. Der diesjährige Verbrauchertag befasst sich vor allem mit Familien. Denn sie gehören zu den Verbrauchern, die besonderen Schutz, Entlastung, Orientierung, gute Anreizprogramme und Unterstützung brauchen. 3 Rede Gerd Billen zum Deutschen Verbrauchertag 2009 12. Mai 2009 Nach einer repräsentativen Verbraucherbefragung, die der Verbraucherzentrale Bundesverband im letzten Jahr durchgeführt hat, leiden die 24 Millionen Mehrfamilienhaushalte zunehmend unter den Tücken der Märkte und den gewachsenen Anforderungen. Gerade in Familien ballen sich Ärger, Verdruss, Übervorteilung und Stress: • Wo kriege ich einen günstigen Familientarif fürs Telefonieren? • Was passiert, wenn ich aufgrund finanzieller Engpässe die Lebensversicherung kündigen muss? • Welcher Stromanbieter ist denn wirklich und wie lange der günstigste Anbieter? • Bei welchem ambulanten Pflegedienst ist das Kleingedruckte in Ordnung? • Und: Kann ich meinem Finanzberater noch trauen? Dieser Fragenkatalog ließe sich ohne Mühe fortsetzen. Das Managen unserer privaten Haushalte ist zu einer anspruchsvollen Herausforderung geworden. Woher kommt der Stress? Was hat sich verändert in den letzten Jahren? Dazu zählt zum Beispiel die Liberalisierung der Märkte. Viele Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge wurden in den letzten Jahren liberalisiert. Telekommunikation, Energie, Gesundheitswesen – in vielen dieser Märkte hat der Wettbewerb zu neuen Produkten und mehr Wahlmöglichkeiten geführt. Doch es gibt auch Kehrseiten: Unübersichtliche Tarife dienen dazu, Preisvergleiche zu erschweren und Verbraucher zu verwirren, um zu schnellen und teuren Abschlüssen zu kommen. Für Familien ist der Zeitaufwand, um sie zu informieren und zu entscheiden, gewaltig gestiegen. Große Veränderungen hat auch die Globalisierung mit sich gebracht: Billige Kleider aus China, Fernseher aus Malaysia, Schnittblumen aus Kenia – das Angebot ist groß und preiswert. Aber die Billig-Importe sind nicht nur preiswert – sie haben auch ihren Preis. T-Shirts enthalten giftige Farben, Toaster schmoren schon mal durch und Spielzeug ist für Kinder gefährlich. Gefährlich, unsozial und unakzeptabel sind aber auch viele Arbeitsplätze derer, die in China und Indien für unseren Konsum arbeiten. Um uns zu informieren, lesen wir Testberichte oder checken Internetportale. Schleichend werden wir Verbraucher für immer mehr in die Verantwortung genommen. Aber: Sind wir als Verbraucher eigentlich für die Sicherheit der Produkte und die Einhaltung der Sozialstandards zuständig? Ist die 4 Rede Gerd Billen zum Deutschen Verbrauchertag 2009 12. Mai 2009 Produktsicherheit nicht etwas, wofür die Unternehmen und der Staat die Verantwortung tragen? Der demografische Wandel verändert unsere Gesellschaft. Familien müssen für Grundrisiken wie Alter oder Pflegebedürftigkeit selbst zusätzlich finanziell vorsorgen. Das kostet nicht nur einen erheblichen Teil der Haushaltsbudgets. Wohl kaum ein Markt hat so viele Fallen für Verbraucher. Die Bundesregierung gibt Milliarden Euro aus, um die private Altersvorsorge zu unterstützen. Und sieht dann tatenlos zu, wie Verbrauchern schlechte Produkte verkauft werden, bei denen der größte Teil der öffentlichen Mittel in den Provisionen und Verwaltungsgebühren von Banken und Versicherungen verschwindet – statt in der Vorsorge für die Bürger. Zu guter Letzt: Die Lebens- und Verbraucherwelt wird zunehmend digitalisiert. Das bringt viel Komfort für uns: Shoppen und Bankgeschäfte im Netz rund um die Uhr und über alle Grenzen hinweg. Die Pflege von Freundschaften in Internet-Communities und sozialen Netzwerken. Doch auch hier zeigt sich: Der neue Kosmos bringt neue Ärgernisse mit sich. Ein Server, irgendwo in Russland, fischt die Kreditkartennummer ab. Die Gratis-Software entpuppt sich als teure Falle. Und Mitmachen kann in sozialen Netzwerken nur, wer persönliche Vorlieben dafür preisgibt. Aber: Ist es akzeptabel, dass Google, wenn wir seinen E-mail-Service nutzen, sich das Recht herausnimmt, in unseren E-mails nach werbewirksamen Hinweisen zu schnüffeln? Wer kontrolliert diesen Giganten im Internet? Alle diese Entwicklungen zeigen vor allem eines: Die Verbraucherpolitik ist nicht auf der Höhe der Zeit. Wir brauchen eine politische Debatte, wie die Rollen zwischen Staat, Wirtschaft und Verbrauchern neu justiert werden. Eine Debatte darüber, wer welche Verantwortung für was trägt. Verbraucherpolitik ist mehr als nur Verbraucherschutz. Verbraucher tragen Verantwortung – aber nicht für alles und jedes, nicht für die Sicherheit der Produkte und den Schutz ihrer Rechte. Der Markt alleine – das ist Lehre aus der Finanzkrise – kann es nicht richten! Oder wie es Bundespräsident Horst Köhler jüngst in seiner Berliner Rede formuliert hat: „Es braucht einen starken Staat, der dem Markt Regeln setzt und für ihre Durchsetzung sorgt. Denn Marktwirtschaft lebt vom Wettbewerb und von der Begrenzung wirtschaftlicher Macht. Sie lebt von Verantwortung und persönlicher Haftung für das eigene Tun. Sie braucht Transparenz und Rechtstreue. Auf all das müssen die Menschen vertrauen können.“ Das erfordert eine mutige, eine beherzte Verbraucherpolitik, • die nicht nur auf Reparatur setzt, sondern auf Vorbeugung, 5 Rede Gerd Billen zum Deutschen Verbrauchertag 2009 12. Mai 2009 • die für Familien einen Rahmen schafft, in dem sie sich als Verbraucher sicher, gesund und nachhaltig bewegen können, damit sie die Chancen der Märkte nutzen können, • die auf den Märkten für die Schiedsrichter sorgt, die bei wiederholtem Foulspiel gegenüber Verbrauchern auch die roten Karten verteilen. Was sind nun die wichtigsten Themen, bei denen aktive Verbraucherpolitik gefordert ist? Das ist in allererster Linie der Finanzmarkt. Der Finanzmarkt hat sich in den letzten Jahren sein eigenes Regelwerk geschaffen. Unter den Folgen leiden wir heute alle. 90 Prozent der Bundesbürger fordern laut Infratest eine schärfere Kontrolle des Finanzmarktes ein. 60 Prozent sorgen sich um ihre Ersparnisse. Und das mit gutem Grund. Auf jährlich 20 bis 30 Milliarden Euro schätzt eine Studie des Bundesverbraucherministeriums die Verluste der Privathaushalte, weil ihnen unrentable oder unpassende Finanzprodukte verkauft wurden. Die Bundesregierung hat einige Verbesserungen auf den Weg gebracht, die wir begrüßen. Dazu zählt die Verlängerung der Verjährungsfrist und die Einführung einer Dokumentationspflicht. Doch nach der Bundestagswahl muss auf dem deutschen Finanzmarkt das umgesetzt werden, was die Bundeskanzlerin für den Weltfinanzmarkt gefordert hat: Kein Markt, kein Anbieter und kein Finanzprodukt mehr ohne Aufsicht! Wir schlagen vor, • den Schutz der Verbraucher als unmittelbares Ziel der Finanzaufsicht festzulegen; • künftig alle verbraucherrelevanten Finanzprodukte auf ihre Risiken für Privathaushalte zu prüfen, bevor sie für den Handel freigegeben werden; es ist ein Skandal, dass die Lehman-Zertifikate hierzulande frei verkäuflich waren, während das in den USA verboten war; • unseriösen Geschäftspraktiken wie der beliebten Verteuerung von Krediten durch überflüssige Restschuldversicherungen endlich ein Ende zu setzen; • und vor allem die anbieter- und produktunabhänge Finanzberatung auszubauen, damit Verbraucher eine Alternative zu Banken, Sparkassen und Strukturvertrieben haben. 6 Rede Gerd Billen zum Deutschen Verbrauchertag 2009 12. Mai 2009 Verbraucherpolitischen Handlungsbedarf gibt es auch beim alltäglichen Einkauf. Bei Lebensmitteln, Kleidung, Baustoffen, Spielzeug oder technischen Geräten müssen Sicherheitslücken geschlossen werden. Familien müssen darauf vertrauen können, dass Lebensmittel und alltägliche Bedarfsgegenstände sicher sind. Die Marktüberwachung und -kontrolle in den Bundesländern und in der Europäischen Union ist so auszubauen, dass sie mit der Globalisierung Schritt hält und dafür sorgt, dass die Unternehmen ihre Verantwortung für die Produktsicherheit auch tatsächlich übernehmen. Es sollte reichen, dass sich die Eltern beim Kauf der Weihnachtsgeschenke im Jahr 2013 nur mit der Frage befassen, was ihren Kindern wohl gefallen wird. Auf Leck-, Rubbel- oder Riechproben bei Barbiepuppen oder Spielzeugautos verzichten wir gerne. Der dritte wichtige Bereich: Alles um rund ums Internet ! In der digitalen Welt herrscht vielfach Anarchie. Hier müssen die Grundregeln der Sozialen Marktwirtschaft noch durchgesetzt und mit Sanktionen bewehrt werden. Wir brauchen deshalb nicht nur Web 2.0, sondern eine Soziale Marktwirtschaft 2.0! Während jeder Hütchenspieler vom Berliner Ku’damm vertrieben wird, können es sich Datendiebe und Betrüger im Netz noch gemütlich einrichten. Über 270.000 Verbraucher werden alleine, so schätzen wir, jährlich Opfer sogenannter Abo-Fallen. Gegen betrügerische Methoden im Internet müssen Gesetzgeber und Polizei energischer vorgehen. Die Verbraucherpolitik muss die Weichen dafür stellen, dass im Netz die persönliche Souveränität der Verbraucher gewahrt und geachtet wird. Die Wirtschaft wird lernen müssen, das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der Verbraucher zu respektierten und zu achten. Das sage ich besonders in Richtung auf Zeitungsverleger, Werbebranche, Versandhandel und Adresshandel, die derzeit mit einer massiven Desinformationskampagne eine verbraucherfreundliche Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes verhindern wollen! In einer Sozialen Marktwirtschaft entscheiden die Verbraucher selbst darüber, wem sie welche Daten für welche Zwecke zur Verfügung stellen. Das muss fürs Online-Shoppen ebenso gelten wie für die sozialen Netzwerke oder die Gesundheitskarte. Das neue Paradigma in der digitalen und analogen Welt lautet: Der Verbraucher bestimmt, was mit seinen Daten geschieht. Die nächste Bundesregierung sollte es deshalb bis 2013 geschafft haben, den Schutz der Verbraucher durch die erforderlichen Gesetze, eine angemessene Ausstattung der Datenschutzbehörden und einen funktionierenden Vollzug zu sichern. 7 Rede Gerd Billen zum Deutschen Verbrauchertag 2009 12. Mai 2009 Damit Familien die Chancen der liberalisierten Märkte bei Strom und Gas für sich nutzen können, muss die Politik noch stärker für einen funktionierenden Wettbewerb sorgen. Zehn Jahre nach Beginn der Liberalisierung dominieren vier Stromkonzerne den Strommarkt. Wir sehen die Folgen an unserer Stromrechnung. Ohne eine entschlossene Verbraucherpolitik kommen wir nicht weiter. Zum Beispiel durch die eigentumsrechtliche Trennung von Netz und Stromerzeugung oder, wie von der Monopolkommission vorgeschlagen, durch den erzwungenen Verkauf von Kraftwerken der großen Anbieter. Vor allem aber, indem die Verbraucher durch Anreizprogramme und klare Kennzeichnungen darin unterstützt werden, in effiziente Haushaltsgeräte, bessere Heizungen, Wärmedämmung und sparsame Autos zu investieren. Sie brauchen auch konkrete Hilfe, wie sie zum Energiesparen und zum Klimaschutz beitragen können. Mit der Energieberatung der Verbraucherzentralen und unserem Klimaprojekt stehen wir ihnen als Lotse zur Seite. Mündige Verbraucher kann man nicht nur fordern, man muss sie auch fördern. Deshalb brauchen Familien bessere, schnelle und verlässliche Orientierungshilfen im „Dschungel der Möglichkeiten“. Verbrauchersein ist kein Vollzeitjob – und wir können nicht Experten für alles und jedes werden. Doch der Markt wird überflutet von aufgehübschten, inhaltsleeren Produktbeschreibungen, in die Irre führenden Preiserläuterungen und selbstgestrickten Qualitätssiegeln, die uns nicht den Einkauf erleichtern, sondern uns Zeit und Geld kosten. Die Verbraucherpolitik sollte deshalb dafür sorgen, dass wir weniger, dafür aber aussagekräftige und verlässliche Qualitätssiegel haben. Der Blaue Engel und das Bio-Siegel zeigen, wie es geht. Entscheidend ist, dass die Siegel von unabhängigen Stellen vergeben werden. Bis zum Ende der nächsten Legislaturperiode sollte deshalb der Blaue Engel als das Klimaschutzsiegel ausgebaut werden. Im Internet brauchen wir ein verlässliches Siegel für sicheres und faires OnlineShoppen, das für geprüfte Bezahlsysteme und hohen Datenschutz steht. Bei Lebensmitteln brauchen wir eine Nährwertampel, damit wir auf einen Blick die Kalorienbomben erkennen können. Und Fleisch, Eier oder Milchprodukte, die mit gentechnisch veränderten Futtermitteln hergestellt wurden, sollten klar deklariert werden. 8 Rede Gerd Billen zum Deutschen Verbrauchertag 2009 12. Mai 2009 Wenn es um Information und Transparenz geht, sind Unternehmen und Verbraucher noch nicht auf Augenhöhe. Umso wichtiger ist es, das Verbraucherinformationsgesetz zügig so nachzubessern, dass es von den Verbrauchern wirklich genutzt werden kann. Einen Lichtblick gibt es in Berlin: Das Bezirksamt Berlin-Pankow macht die Restaurants publik, die wiederholt Hygienestandards nicht eingehalten haben. Dieses Beispiel sollte Nachahmer finden. Auf den Aufgabenzettel für die nächste Legislaturperiode gehört deshalb, die Auskunftsrechte der Verbraucher auszuweiten. Verbraucher haben ein Recht darauf, schnell und unbürokratisch zu erfahren, welche Unternehmen Gammelfleisch verkauft, ihre Mitarbeiter bespitzelt oder Verbrauchern Schrottimmobilien angedreht haben. Mündige Verbraucher zu fördern – das ist eine zentrale Aufgabe der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände. Deswegen geht es am heutigen Tage auch nicht nur um Forderungen an Politik und Wirtschaft, sondern auch darum, welchen Beitrag wir leisten können, um Familien zu unterstützen. Wir verstehen uns als „Lotse im Markt“. Die Verbraucher schätzen unsere Glaubwürdigkeit und Nützlichkeit. Wir verstehen uns auch als Marktwächter, die aus den Fragen und Beschwerden der Einzelnen ersehen können, wo die schwarzen Schafe unterwegs sind. Wir sorgen für ein Stück soziale Gerechtigkeit, damit diejenigen, die ohnehin schon wenig haben, die sich keinen Fitness-Coach, keinen Rechtsanwalt, keinen Vermögensberater leisten können, nicht noch durch Betrug und Abzocke zusätzlich geschädigt werden. Wir sehen auch täglich, dass wir mit unserer Arbeit dazu beitragen, Produkte und Dienstleistungen zu verbessern. In einer idealen Welt, in der die Märkte funktionieren, brauchen wir keine Stiftung Warentest und keine Verbraucherzentralen. Doch in einer solchen Welt leben wir nicht. Die Informations- und Beratungsangebote, die wir den Verbrauchern machen können, reichen nicht aus. Bundesweit gibt es nur 190 Verbraucherberatungsstellen. Mit ihnen können wir zum Beispiel gerade 0,14 Prozent aller Haushalte in Deutschland in Finanzfragen beraten. Die Wirtschaftskrise – das ist jetzt schon absehbar – wird die Probleme verschärfen. Die Arbeitslosigkeit wird dramatisch ansteigen. Hunderttausende müssen dann mit knappem Arbeitslosengeld auskommen. Hunderttausende werden ihre Lebensversicherungen kündigen müssen und dabei wieder Geld verlieren. Auf die Verbraucherzentralen, aber auch auf die Arbeiterwohlfahrt, die Diakonie 9 Rede Gerd Billen zum Deutschen Verbrauchertag 2009 12. Mai 2009 oder die Caritas kommt die Herausforderung zu, wie wir Menschen in prekären Verhältnissen helfen und – wichtiger noch – wieder aus dieser Situation heraushelfen können. Doch dazu sind wir mit den gegenwärtigen Kapazitäten nicht in der Lage! 39 Cent öffentliche Förderung geben die Bundesländer gerade mal pro Jahr und Einwohner für die institutionelle Förderung der Verbraucherzentralen aus. Nimmt man alle Mittel von Bund und Ländern zusammen, sind es 75 Cent. Das ist zu wenig! Der Verbraucherzentrale Bundesverband und die 16 Verbraucherzentralen haben deshalb einen Vorschlag entwickelt, wie die Privathaushalte und Familien besser unterstützt und gestärkt werden können. „400+ Verbraucherzentrale der Zukunft“ heißt dieser Investitionsplan, den wir heute erstmals der Öffentlichkeit vorstellen. Ziel ist eine Infrastruktur aus Beratungsstellen, Internetangeboten, E-mail- und Telefonberatung, die es ermöglicht, 20 Prozent der Haushalte zumindest einmal im Jahr persönlich zu beraten. Dazu brauchen wir eine Infrastruktur aus 400 Beratungsstellen. In jedes Oberund Mittelzentrum, in jeden Landkreis gehört eine Beratungsstelle. Damit Familien, sozial schwache Haushalte, Senioren und Migranten überhaupt die Chance haben, ihre Rechte durchzusetzen. Jede dieser Beratungsstellen soll kompetente Antworten auf Fragen zu Verbraucherrechten, Finanzen, Gesundheit oder Energie geben können. Sie sollen in der Verbraucherbildung aktiv werden und die Schulen unterstützen. Von diesem Ausbau unserer Angebote profitieren Verbraucher, Wirtschaft und Politik. Was wäre der Nutzen für die Verbraucher? 134 Millionen Euro, das haben wir errechnet, würden Privathaushalte jährlich an Zinsen sparen, wenn sie bei der Suche nach einem Kredit nicht den Lockvogelangeboten der Banken folgen, sondern sich Rat in einer Beratungsstelle holen. 2,7 Milliarden Euro würden sie über einen Zeitraum von 20 Jahren beim Abschluss einer Riester- oder Rürup-Rente sparen. Doch es geht nicht nur um Geld: Unsere Arbeit stiftet Rechtsfrieden, weil die, die abgezockt oder ausgetrickst werden, über uns und mit uns ein Stück Gerechtigkeit erfahren können. Wir entlasten die Justiz, weil viele Konflikte im Vorfeld geregelt werden. Und schließlich haben auch die Unternehmen einen Vorteil, die sich ihren Kunden gegenüber fair und vernünftig verhalten. Wer, wenn nicht wir, nimmt denn wirklich die Schwarzen Schafe aufs Korn und rückt ihnen zu Leibe? Nicht nur Verbraucher, sondern gerade die Unternehmen, die sich fair verhalten – 10 Rede Gerd Billen zum Deutschen Verbrauchertag 2009 12. Mai 2009 und das sind mehr als 90 Prozent der Unternehmen – leiden unter den Schwarzen Schafen. Ich freue mich, wenn viele unsere Arbeit loben. Doch ich halte es für dringend geboten, die unabhängige Information und Beratung der Verbraucher jetzt auszubauen. Über welche Summe reden wir? Wir reden über einen Betrag von jährlich 246 Millionen Euro. Bund, Länder und Kommunen wären nach unserer Vorstellung an der Finanzierung zu beteiligen. Auch die ratsuchenden Verbraucher hätten ihren Eigenanteil zu tragen. Schließlich sollte sich die Wirtschaft an der Finanzierung beteiligen. Wer vom Wettbewerb profitiert, der sollte sich auch an den Kosten beteiligen, die dadurch verursacht werden. Derzeit machen wir auf Kosten der Steuerzahler das Beschwerdemanagement für die Telekommunikationsbranche. Ich bin hier für die Einführung des Verursacherprinzips! Die finanzielle Beteiligung der Unternehmen sollte dabei gesetzlich geregelt sein – unsere Unabhängigkeit muss gewahrt bleiben. Es ginge dann nicht mehr um 39 Cent, sondern um 3 Euro pro Verbraucher und Jahr. Nur zum Vergleich: Den Schuldenberg, den jeder Bürger für die Hypo Real Estate schultern muss, beträgt 1.000 Euro pro Bundesbürger. Familien, Verbraucher, private Haushalte – sie wollen aktiv und eigenverantwortlich handeln. Sie sind die Zellkerne dieser Gesellschaft, die Kinder großziehen, für den sozialen Kitt sorgen und auch für die Gründung neuer Unternehmen. Sie lieben die Freiheit – und doch brauchen sie Schutz. Sie sind völlig verschieden – und doch einig darin, dass es auf den Märkten fair zugehen muss. Sie fordern eine aktive und aktivierende Verbraucherpolitik ein, die sie nicht entmündigt, sondern darin unterstützt, ihr Verbraucherleben aktiv, selbstbestimmt, sicher und verantwortungsvoll zu gestalten. In diesem Sinne wünsche ich mir, dass der Deutsche Verbrauchertag 2009 einen Beitrag dazu leistet, Familien zu stärken – zu ihrem eigenen Wohl, zum Nutzen unserer Wirtschaft und zum Wohle unserer Gesellschaft. Vielen Dank! 11