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20 DER DEUTSCHE MITTELSTAND MONTAG, 6. OKTOBER 2014, NR. 191 MARKTPLATZ Unternehmer: In Sorge vereint Immer weniger Gründer D ie Zahl der gewerblichen Existenzgründungen in Deutschland ist laut Institut für Mittelstandsforschung Bonn (IfM) im ersten Halbjahr 2014 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 5,7 Prozent weiter gesunken: Sie lag bei rund 164 100 – im ersten Halbjahr 2013 waren es noch rund 174 000 gewesen. Zugleich sank der Anteil der Unternehmensaufgaben, der bei rund 179300 lag, um 0,5 Prozent. Der sogenannte Gründungssaldo, die Differenz aus Gründungen und Schließungen, bleibt daher negativ. Ein Grund für die sinkende Zahl der Existenzgründungen sei die weiterhin positive Situation für Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt, erklärte IfM-Präsidentin Friederike Welter. am Dreimal war der Traktorhersteller Holder pleite, nun schreibt er wieder schwarze Zahlen. Anja Steinbuch Metzingen A m steilen Hang des Weinbergs hinter den Werkshallen kurvt ein Traktor um Treppen und Böschungen herum. Am Steuer sitzt ein Kunde aus Norddeutschland. Er testet auf dem Übungsparcours des Traktorenherstellers Holder ein neues Modell. Mit dem Traktor will er im Sommer mähen, im Herbst kehren und im Winter Schnee räumen. In den Büchern stehen Aufträge für 300 Traktoren, die rund 180 Mitarbeiter von Holder müssen Überstunden schieben. Keiner von ihnen beschwert sich darüber. Denn so gut wie heute ging es dem traditionsreichen Betrieb im baden-württembergischen Metzingen seit Jahrzehnten nicht. Im Gegenteil: Dreimal in den vergangenen 28 Jahren war Holder pleite. Noch vor sechs Jahren herrschte in den Werkshallen gähnende Leere und in der Belegschaft Untergangsstimmung. Kaum jemand glaubte damals an eine Zukunft des schwäbischen Fahrzeugproduzenten. Doch dann kam ein Trio schwäbischer Investoren. Diese stiegen mit eigenem Geld bei Holder ein. 2013 schrieb das Unternehmen erstmals wieder schwarze Zahlen, 2014 erwarten die Investoren bei einem Umsatz von 50 Millionen Euro eine Verdoppelung der Rendite, 2015 soll sie zweistellig werden. Zu den Konkurrenten zählen Kärcher, Hako, Fendt, Milfisk-Egholm und Carraro. Die Frühgeschichte von Holder ist schnell erzählt: 1888 wird das Unternehmen von Christian F. Holder gegründet, 1898 bringt er die erste auf dem Rücken tragbare Spritze zum Versprühen von Pflanzenschutzmitteln auf den Markt, 1930 kommt der erste Einachstraktor, 1954 der Allradtraktor mit Knicklenkung. Sie macht aus behäbigen Landmaschinen wendige Gefährte, die auch engste Kurven meistern. Trotzdem erwischt es Holder: 1986 muss die Eigentümerfamilie Insolvenz anmelden. Das Unternehmen gerät in die Hände eines japanischen Konzerns. 2001 die zweite Pleite. Ein türkischer Landmaschinenkonzern übernimmt den Betrieb – vor allem um seine eigenen Produkte unter dem bekannten Namen der Schwaben in Europa zu verkaufen. 2008 dann die dritte Insolvenz. In einer Lokalzeitung las Martin Haas, Chef der Unter- Einachsschlepper: Leichte Lenkung für enge Kurven im Weinberg. PR Handelsblatt -Redakteurin Anja Müller Steil aufwärts nehmensberatung Staufen, vom erneuten Absturz der 120 Jahre alten Firma. Der Maschinenbauingenieur nahm die Arbeitsabläufe bei Holder unter die Lupe. „Es war unglaublich, wie wenig die Abteilungen miteinander gesprochen haben“, erinnert sich Haas. Die Zustände in der Fertigung seien zum Teil chaotisch gewesen, die Produktionstiefe anachronistisch: „Fast jeder Monteur baute seinen eigenen Traktor zusammen.“ Weitere Probleme: kein Lieferantenmanagement, schlecht geführte Händler, hohe Lagerbestände und Reklamationsquoten. Martin Haas und seine UnternehmerFreunde Carl-Heiner Schmid (Chef einer Malerfirma) und Christoph Weiß (Coach für Familienunternehmen) entschieden sich trotzdem zuzugreifen. Mitte 2008 gaben sie ein Kaufgebot ab und setzten PR W ie sieht die Bilanz ostdeutscher Unternehmer zu 25 Jahren Mauerfall aus?“, wollte ich von Detlef Bischoff wissen. Der gebürtige Pforzheimer kaufte 1990 von der Treuhand die VEB Rechnungsführung und Wirtschaftsberatung und ist seitdem ein Fan seiner mehr als 400 Mitarbeiter, die „gut ausgebildet und hoch motiviert“ für ihn in Halle und Leipzig schaffen. Als Steuerberater weiß er, wie es um seine Kollegen steht: 1. Die vom damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl beschworenen blühenden Landschaften kamen – allerdings etwas später als gedacht. 2. Kleinere Mittelständler werden heute erfolgreich von Unternehmern geführt, die in Dresden, Erfurt oder Halle aufgewachsen sind. 3. Größere Mittelständler führen oft noch Unternehmer, die wie Bischoff damals die Chance ergriffen hatten, im Osten innerhalb von einer Generation etwas Neues aufzubauen. 4. Die Nachfolge gilt als größtes Problem. Letzteres kommt mir aus den alten Ländern sehr bekannt vor. Die Ost-Unternehmer sind also angekommen – oder anders ausgedrückt, mit den West-Firmeninhabern in Sorge vereint. [email protected] Die drei Holder-Investoren stiegen 2008 ein: Carl-Heiner Schmid, Martin Haas, Christoph Weiß (v.l.n.r). sich gegen 30 weitere Bieter durch. Neben dem Kaufpreis investierten sie einen zweistelligen Millionenbetrag, um das operative Geschäft und den notwendigen Umbau der Firma zu finanzieren. Gleich zu Beginn der Restrukturierung verkauften die neuen Gesellschafter die Pflanzenschutzsparte und spezialisierten Holder auf den Bau von Multifunktionstraktoren für Kommunen sowie Obst- und Weinbauern. Zudem wurde die Anzahl der Baureihen reduziert – statt zehn gibt es heute nur noch fünf. „Die Fokussierung auf nur ein Segment“ ist nach Überzeugung von Haas eine Maßnahme, die auch bei vielen anderen, in Schieflage geratenen Mittelständlern eine Option, „die man ins Auge fassen sollte“. Viel Geld steckten die Investoren in die Optimierung der Montage. So sorgten ab 2009 Logistiker für einen reibungsloseren Transport zwischen den fünf Fertigungsstationen. Der Erfolg: Früher wurden für das Herstellen eines Traktors im Schnitt 80 Arbeitsstunden benötigt, heute nur noch 40. Und vom Montagestart bis zur Auslieferung dauert es nicht mehr 30, sondern nur noch zehn Tage. Auch die Teststrecke und das elegante Kundencenter waren teuer, haben aber geholfen, das angekratzte Image des Fahrzeugbauers zu polieren. Ohne externe Expertise wären die Veränderungen allerdings nicht möglich gewesen. „Eine Insolvenz ist schlimm, drei Insolvenzen aber sind eine Katastrophe“, konstatiert Martin Haas. Wer einen solchermaßen gebeu- © Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an [email protected]. DER DEUTSCHE MITTELSTAND 21 MONTAG, 6. OKTOBER 2014, NR. 191 Gefährliche Trägheit KfW sorgt sich um die Konkurrenzfähigkeit des Mittelstands. Axel Schrinner Düsseldorf D PR, StockFood erzeit schaut es für Deutschland ganz rosig aus: Die Erwerbstätigkeit steigt, Deutschland ist die einzige große Volkswirtschaft der Euro-Zone, die wächst, Made in Germany gilt weltweit als Qualitätsmerkmal, Staat und Unternehmen schreiben schwarze Zahlen und haben damit die Möglichkeit, Standort und Betrieb fit für die Zukunft zu machen. Eine neue Umfrage der Staatsbank KfW unter 2 200 mittleren Unternehmen aus zehn großen Industrie- und Schwellenländern bestätigt, dass sich der deutsche Mittelstand derzeit sehr gut für den globalen Wettbewerb gerüstet sieht. Lediglich kleine und mittlere Unternehmen in den USA schätzen ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit noch höher ein. Doch der Befund hat einen Schönheitsfehler: Es gibt nämlich kein Abo auf die Silbermedaille; vielmehr sei die zukünftige interna- tionale Wettbewerbsfähigkeit in Gefahr, warnt KfW-Chefvolkswirt Jörg Zeuner. Stillstand bedeutet Rückschritt. Nur Unternehmen, die kontinuierlich investierten und neue Produkte und Prozesse entwickelten, könnten langfristig im globalen Wettbewerb bestehen, weiß der KfW-Ökonom. Genau in diesen beiden Bereichen bestehe im deutschen Mittelstand „großer Nachholbedarf“. Dies gelte umso mehr, wenn sie sich im globalen Wettbewerb mit innovativen Produkten und Dienstleistungen positionieren wollten. „Dort, wo investiert und innoviert wird, sieht man dem verstärkten globalen Wettbewerb deutlich optimistischer entgegen.“ Laut KfW-Befund hat der deutsche Mittelstand zu wenig investiert; der Anteil kleiner und mittlerer Unternehmen, die Produktoder Prozessinnovationen umgesetzt hätte, liege am unteren Rand der zehn befragten Industrie- und Schwellenländer. „Entsprechend bescheiden“ seien die Erwartungen. Holder-Traktor im Weinberg: Speziell für Schräglagen konstruiert. telten Betrieb wiederbeleben und auf kräftige Beine stellen wolle, brauche „enorm viel Veränderungskapazität“. Und die finde man in der Regel nicht intern, sondern nur draußen. Heute ist an der Max-Holder-Straße in Metzingen neben Andreas Vorig, dem Vorsitzenden der Geschäftsführung, den Haas kurz nach dem Neustart geholt hatte, ExStaufen-Berater Eberhard Schmid für das Unternehmen verantwortlich. Vorig konstatiert, dass die Wiedergeburt Holders auch gelungen sei, „weil Belegschaft, Lieferanten und Händler selbst in der schwierigen Zeit der Sanierung immer noch an die Marke und den Markenkern geglaubt haben“. Ein Beleg: Alle Vertragshändler behielten trotz erheblicher Einbußen während der Insolvenzphase die Holder-Fahrzeuge in ihrem Programm. Manfred Kürsch, Insolvenzverwalter aus Rheinland-Pfalz, kennt den schwäbischen Fahrzeugbauer gut. Er ist beeindruckt von dem finanziellen und unternehmerischen Engagement der neuen Eigentümer: „Holder lag in allen Bereichen vollkommen am Boden. Bei so einer Firma die Sanierung zu schaffen ist extrem schwierig“, sagt Kürsch. Das habe nur geklappt mit der Kombination aus Kapital und unternehmerischer Beratung: „Insofern ist ein solcher Investor ein echter Glücksfall.“ Vorig hat zwar die Gewinnschwelle erreicht, ganz zufrieden ist er aber noch nicht. „Das ist eine wichtige Etappe gewesen. Nun wollen wir in unserer Branche ein BenchmarkUnternehmen werden.“ © Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an [email protected]. „In einer exportorientierten Volkswirtschaft, in der mittelständische Betriebe eine tragende Rolle spielen, sollte das geringe Potenzial ein Warnsignal sein“, meint die KfW. Bleibe die Investitions- und Innovationstätigkeit weiter schwach, riskiere der deutsche Mittelstand, im globalen Wettbewerb von Konkurrenten aus Schwellenländern wie Brasilien oder innovativen Wettbewerbern aus Industrieländern wie den USA verdrängt zu werden. Im aktuellen Ranking folgen den USA und Deutschland auf den Rängen drei und vier Großbritannien und Frankreich; Japan ist Fünfter. Die Schwellenländer Brasilien, Russland und China rangieren in der zweiten Tabellenhälfte; ganz am Ende finden sich die Krisenstaaten Spanien und Italien wieder. An Deutschland schätzen die Mittelständler besonders die hohe politische und soziale Stabilität. Größte Standortprobleme sind die Bürokratie, Energiekosten, Steuern und der Fachkräftemangel – eine klare Aufforderung an die Politik.